Weidenobjekte

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Weidenobjekte
Gestaltung
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Weidenobjekte
FASZINIERENDES
FLECHTEN
Weidenobjekte werden in Gärten immer beliebter, sei es für Deko-Objekte,
Zäune oder Spielhäuschen – Flechtwerkgestalter Simon Mathys über
seinen seltenen Beruf und darüber, was es beim Pflanzen und Verflechten
von Weiden zu beachten gilt.
Schweizer Garten 5/2014
Der erst einjährige Weidenzaun, der
als Blickschutz dient, ist bereits grün.
K ätzchen ihr der Weide, wie
aus grauer Seide, wie aus
grauem Samt! O ihr Silberkätzchen, sagt mir doch, ihr Schätzchen, sagt, woher ihr stammt»,
dichtete einst Christian Morgen­
stern, über die Flaumbällchen staunend, die auftauchen, wenn noch
alles andere im Winterschlaf liegt.
V IEL ARBEIT
Nicht nur Christian Morgenstern,
auch Simon Mathys wurde von der
Weide massgeblich beeindruckt. So
sehr, dass er sich nach der Schule
entschied, eine Lehre als Korb- und
Flechtwerkgestalter zu absolvieren.
Heute ist der 27-Jährige aufs Flechten
von trockenen und lebenden Weidenzäunen und Sichtschutzelementen spezialisiert. Zusammen mit sei-
Schweizer Garten 5/2014
LEBENSR AUM FÜR TIERE
Anders als das Handwerk ist die
­Weide selbst nicht vom Aussterben
bedroht. Sehr wohl aber ihr Lebensraum. Die meisten Weiden bevor­
zugen Standorte an Wasserläufen
und in Moorgebieten – Landschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten fast verschwunden sind.
Dabei sind Weiden von unschätz­
barem Wert für die Artenvielfalt.
Weil sie sehr früh blühen, finden
Bienen und Wildbienen bei ihnen die
erste Nahrung. Weiden werden von
über 1000 Insektenarten aufgesucht,
darunter zahlreiche Schmetterlingsarten wie der Trauermantel und der
Grosse Schillerfalter. Und je hohler
und morscher der Baum, desto häufiger dient er als Lebensraum für
Vögel und Fledermäuse.
Rustikaler Trockenweidenzaun.
IN FÜNF JAHREN EIN BAUM
Als Pionierpflanzen gehören Weiden
zu den ersten Gewächsen, die Gebiete nach Überschwemmungen und
Erdrutschen besiedeln. Ausserdem
wachsen sie vergleichsweise schnell –
ideal für jene Gartenbesitzer, die
Aus Weiden können vielerlei Gegestände geflochten
werden – hier ein Rankobelisk.
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ner Partnerin Salome Portmann hat
er die Firma Flechtart in Affoltern
a. A. gegründet.
Auf Anfrage stellen die beiden auch
Weidenpavillons, Möbel und Deko-­
Objekte her. «Das Flechten ist eines
der ältesten Handwerke überhaupt
und war einst weitverbreitet», so
­Mathys. Heute, wo vieles aus Kunststoff hergestellt würde, könne man
sich kaum noch vorstellen, wie
viele Gebrauchsgegenstände früher
geflochten worden seien – «und wie
viel Arbeit darin steckte».
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rasch zu einem lichten Schattenplätzchen kommen möchten. «Diese
Gehölze haben die geniale Fähigkeit,
aus einem einzelnen Trieb innert
fünf Jahren zu einem stattlichen
Baum heranzuwachsen», erklärt
­Simon Mathys.
Grund genug also, die Weide im heimischen Garten anzusiedeln. Zu­
mal sich aus ihrer Flechtbarkeit fast
grenzenlose Möglichkeiten in der
Gestaltung ergeben.
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TROCKEN ODER LEBEND ?
Man unterscheidet dabei zwischen
trockenen und lebenden Weiden­
bauten. Aus trockenen Ruten flechtet
man Beetumrandungen, Staudenstützen oder Rankobelisken, etwa für
Clematis oder Stangenbohnen. Fortgeschrittene Flechter fertigen Kugeln,
Windlichter oder Stuhllehnen an.
Das Material erhält man über Gartenbaubetriebe oder städtische Unterhaltsbetriebe. «Manche Gemeinden
Arbeiten von Simon Mathys: Stern, Säule und Nest.
Alles aus Weide: Rankhilfen für die
Bohnen und Einfassungen für die Beete.
BUCHTIPP
Lebendige Kunstwerke
Welche Weidenarten sind zum
Flechten am besten ge­eignet? Wie
funktioniert das Ernten, Sortieren
und Lagern? Lebendes Weiden­
material wird zu Tunneln, Tipis,
wachsenden Gartenmöbeln oder
-lauben verflochten. Aber auch
totes Material wird genutzt, um
Klettergerüste und geflochtene Zäune herzustellen.
Ungewöhnliche Materialien finden Verwendung, der
Fantasie und Krea­tivität sind in der Flechtkunst keine
Grenzen gesetzt. Ein Buch für Profi- und Hobbyflechter,
Gartenbesitzer und kreative Gärtner.
«Weidenflechtwerke»: Marion Fröhlich und Hans-Peter
Sturm, gebunden, 155 Seiten, 124 Farbfotos, 162 Farb­
zeichnungen, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, ISBN
978-3-8001-4895-0, ca. CHF 45.–
Simon Mathys und Salome Portmann
hinter einem Weidenzaun in Zug.
Statt von Buchs ist dieses Blumenbeet von geflochtenen Weidenruten umgeben.
bewirtschaften noch Kopfweiden,
also Weiden, deren Äste jedes Jahr
wieder bis auf den Stamm zurückgeschnitten werden», sagt Simon Mathys. An vielen Orten seien in den
vergangenen Jahren Weidenbauten
bei Spielplätzen, Schulen oder Badeanstalten erstellt worden.
HOCHBE TRIEB IM WINTER
Weiden werden nach dem ersten
Frost und vor dem neuen Austrieb
geschnitten, also noch während der
Saftruhe. Für Simon Mathys und Salome Portmann herrscht deshalb im
Winter Hochbetrieb. Ihre Trockenzäune und Sichtschutzwände flechten sie oft in eisiger Kälte. «Diese
Objekte sind sehr beliebt, da sie natürlich aussehen, keine Pflege brauchen und im Ge­gensatz zu Hecken
oder lebenden Weidenzäunen nur
wenig Platz einnehmen», so Mathys.
Je nach Witterung halte ein solcher
Zaun bis zu zehn Jahre. Als Stützen
verankern die beiden Flechter Eisenstangen in den Boden, um die
Zaunelemente in kurzer Zeit erneuern zu können. Ihre lebenden Zäune
und Weidenobjekte pflanzen und
verflechten sie, sobald keine längeren
Fröste mehr zu er­warten sind – im
Idealfall an einem hellen, feuchten
Platz, da die Weiden sonst asymmetrisch wachsen.
IGLUS UND SIT ZPL ÄT ZE
Je nach Grösse des Objekts werden
die noch wurzellosen Ruten zwischen 30 und 80 cm tief eingegraben.
Eine Anreicherung des Bodens mit
Kompost oder Dünger ist nicht notwendig, im ersten Jahr sollten die
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Triebe aber gut gegossen werden, um
das Wurzelwachstum zu fördern.
Mit Kokosschnur wird das Grundgerüst aus einzelnen, dickeren Trieben
oder ganzen Triebbündeln, sogenannten Bindern, fixiert. Anschliessend
können dünnere Triebe eingeflochten
werden. So entstehen Weidenzäune,
Torbögen, kleine Iglus, Tunnel für
Kinder oder grössere Weidenpavillons
mit lauschigen Sitzplätzen für die ganze Familie, welche oft bereits im ersten
Jahr üppig ausschlagen.
MEHR ZEIT IM SOMMER
«Um zu verhindern, dass sich das
Spielhäuschen in einen Dschungel
verwandelt, müssen Weidenobjekte
einmal jährlich, am besten im Januar, zurückgeschnitten werden», erklärt Simon Mathys.
Weiden bilden übrigens keine Ausläufer. Allerdings muss man, wenn
ein Weidenobjekt aufgelöst werden
soll, den ganzen Wurzelstock ausgraben, da die Pflanze ansonsten immer
wieder nachwächst. Grössere Weidenobjekte sollten wegen ihres erhöhten Nährstoff- und Wasserbedarfs nicht direkt neben einem
Gemüsegarten gepflanzt werden.
Ende Mai können Simon Mathys und
Salome Portmann tief durchatmen.
Im zweiten Halbjahr haben sie dann
genügend Zeit, um zu reflektieren
und neue Pläne zu schmieden.
ALTE TECHNIKEN
Nicht ohne Grund haben sich die
beiden auf Sichtschutz und Zäune
spezialisiert. «Unser Handwerk ist
enorm vielfältig», freut sich Salome
Portmann. «Aber damit wir mit
Gestaltung
­nserem seltenen Beruf überleben
u
können, müssen wir eine Nische besetzen und darin innovativ bleiben.»
In Zukunft möchten die beiden deshalb versuchen, alte Flechttechniken
neu zu interpretieren und auch grössere Objekte, etwa Verkehrskreisel,
zu erarbeiten. Auch mit anderen Materialien wollen sie experimentieren.
Die Weide aber wird auch zukünftig
massgeblicher Bestandteil ihrer Arbeiten bleiben.
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Sandra Weber (Text)
Sandra Weber, Carmen Siegrist
(Bilder)
Ein sogenanntes
Weidenauge:
kunst­voller
Zierknoten an
der Lehne des
Gartenstuhls.
Flechten ohne Grenzen
Simon Mathys und Salome Portmann experimentieren,
entwickeln, entwerfen und probieren, denn das Gestalten
mit Weiden kennt keine Grenzen. Vom grossen, stabilen
Bauwerk bis hin zum feinen, filigranen Geflecht, von Dekorationen, Möbeln und Lampen bis hin zu überdimensionalen Wand­
installationen und Kunstobjekten ist alles
möglich. Dies hat auch die Jury der Gartenmesse Giardina
beeindruckt, die die Firma Flechtart mit dem «Giardina
Award Gold» in der Kategorie bis 40 m2 prämierte.
Kontakt: Flechtart GmbH, Telefon 043 817 15 49 und
www.flechtart.ch