Karneval in Rio – Teil 1

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Karneval in Rio – Teil 1
Karneval in Rio – Teil 1
Jaaa, es geht zum Karneval nach Rio! Wieder einmal erfüllt sich für Jürgen ein schon seit vielen Jahren gehegter Traum. Einmal im Leben beim Karneval in Rio dabei sein! Bisher passte der Zeitpunkt - Anfang bis Mitte
Februar - nie zur entsprechenden Etappe, doch diesmal ist das Timing ideal.
Der Fahrer, der uns zu den Sehenswürdigkeiten in die Umgebung von Ouro Preto kutschiert hatte, bietet an,
uns am nächsten Tag auch zum Flughafen von Belo Horizonte zu bringen, denn von dort aus startet die
Maschine nach Rio de Janeiro. Unsere Maschine geht zwar erst um kurz vor 3.00 Uhr nachmittags und es sind
nur gut 130 Kilometer bis zum Flughafen, doch Julio, unser Fahrer, meint, wir müssten spätestens um kurz
nach 10.00 Uhr starten, da die Strecke sehr gebirgig und in jede Richtung nur einspurig sei. Das Verkehrsaufkommen sei hoch und die unzähligen LKWs ließen sich häufig über lange Strecken nicht überholen. Wir
lassen uns gerne überzeugen. Der Mann wird schon wissen, wovon er redet.
Nächster Tag. Die Fahrt verläuft viel zügiger als erwartet und so sind wir gegen halb eins viel zu früh am Flughafen, denn bei Inlandsflügen in Brasilen reicht es aus, eine Stunde vor Abflug am Gate zu sein. Als wir jedoch
die Abfertigungshalle betreten, bekommen wir einen Schreck. Vor den Eincheck-Schaltern von TAM-Airlines
stehen Hunderte von Menschen! Wie gut, dass wir so zeitig sind! Wir reihen uns ein, aber irgendwie tut sich
nichts in der Warteschlange, obwohl es 5 Schalter für die Economy Class gibt. Irgendwann geht uns ein Licht
auf: Trotz des großen Andrangs ist nur EIN einziger Schalter besetzt! Millionenmetropole, Drehkreuz für Flüge
in jede Himmelsrichtung, aber nur ein Schalter besetzt! Unglaublich! Etliche der Reisenden sind äußerst nervös, weil sie für ihren Flug eigentlich schon längst am entsprechenden Gate sein müssten.
Letztendlich erreichen auch wir erst eine dreiviertel Stunde vor Abflug unser Gate. Eine viertel Stunde später
dann die Durchsage, die Maschine hätte Verspätung. Früheste Abflugzeit statt um 15.00 Uhr erst um 15.50
Uhr. Was soll's, 50 Minuten Verzögerung können uns schon lange nicht mehr aufregen.
Aus 50 werden 90 Minuten und so rollen wir gegen halb fünf in Richtung Startbahn. Doch was ist jetzt schon
wieder los? Die Maschine biegt kurz vorher nach rechts in eine kleine Sackgasse neben der Startbahn ab. Bitte
nicht schon wieder etwas Unvorhergesehenes? Doch. "Leider gibt es ein kleines technisches Problem, das wir
überprüfen müssen. Bitte geben Sie uns 15 Minuten Zeit." Ok, Sicherheit hat immer oberste Priorität. Doch
dann ertönt ein Geräusch, das nicht gerade Vertrauen in die Flugfähigkeit unserer Maschine erweckt. Als Laie
würde ich es so umschreiben, dass es sich anhört, als ob im Winter ein Auto nicht anspringen will, weil die
Batterie den Geist aufgegeben hat, man aber trotzdem versucht, den Motor zu starten.
Der Pilot orgelt und orgelt, doch es tut sich nichts. Wir werden aufgefordert, angeschnallt in unseren Sitzen
auszuharren. Nach einiger Zeit werden die Ausstiegsklappen vorne und hinten geöffnet, Wärme von draußen
dringt ein. Nur auf ausdrückliches Bitten bekommt man einen Schluck Wasser gereicht. Die Stewardessen sind
gereizt. Ein Mobilkran wird vor die vordere offene Tür gerollt und ein Maschinist, Ingenieur oder was auch
immer, steigt zu und verschwindet im Cockpit. Das mysteriöse Geräusch hält an. Einige Passagiere bestehen
darauf, den Piloten sprechen zu wollen, um sich das Problem erklären zu lassen. Der 2. Pilot beruhigt die einzelnen fragenden Fluggäste, es gibt jedoch keine erklärende Durchsage für die Allgemeinheit, was denn nun
eigentlich los ist. Ich glaube, wenn es die Möglichkeit gäbe, würden einige Leute es vorziehen, auszusteigen
und die nächste Maschine zu nehmen. Gibt's aber nicht. Nach geschlagenen eineinhalb Stunden Orgelkonzert
ertönt die Durchsage, man habe das Problem in den Griff bekommen und bitte nun nur noch einmal um 5
Minuten Geduld. Das Gelächter im Passagierraum ist groß, war doch zu Beginn auch nur von 15 Minuten
Geduld die Rede.
Wer hätte das gedacht? Eine halbe Stunde später sind wir doch tatsächlich in der Luft und gegen 20.00 Uhr in
unserem Hotelzimmer! Für einen einstündigen Flug waren wir fast 10 Stunden unterwegs!
Rio de Janeiro! Unser Hotel Rio Othon Palace liegt direkt an der Copacabana! Ziemlich genau in der Mitte des
kilometerlangen Sandstrandes. Und das Zimmer! Es entschädigt für alle Strapazen der Anreise! Im 25. Stockwerk des Hotels haben wir eine stylische 2-Zimmer-Eck-Suite mit Blick auf Strand und Meer gebucht. Durch
die Ecklage können wir in beide Richtungen der Copacabana schauen. Zur einen Seite sehen wir den
Zuckerhut (mit Seilbahn), der Blick in die andere Richtung reicht fast bis zum Nachbarstrand, dem Ipanema.
Bei unserer Ankunft ist es natürlich schon dunkel und wir schauen in ein Meer aus Lichtern und Sternen. Am
Strand und auf der Promenade ist ein einziges Menschengewimmel. Mein erster Weg in unserem Zuhause für
die nächsten 5 Tage führt mich zum Telefon. „Room-Service“ lautet das Zauberwort. Wir kommen fast um vor
Hunger. Die Wertsachen werden im Safe verstaut und nur das Notwendigste für die Nacht ausgepackt. Als
nach einer 3/4 Stunde das Essen kommt, können wir vor nächtlicher Copacabana-Kulisse und angestrahltem
Zuckerhut unseren ersten Abend in Rio bei satten 35 Grad und weit geöffneten Schiebetüren genießen. Jetzt
kann nichts mehr schiefgehen. Wir sind in Rio. Wir haben ein Dach überm Kopf. Der Karneval kann beginnen.
Blick aus unserem Appartement
Am nächsten Morgen, es ist Freitag, der 13., klingelt der Wecker bereits um 7.00 Uhr, denn heute Vormittag
zwischen 9.00 und 12.00 Uhr werden uns unsere Tickets für die Samba-Paraden am Karnevalssonntag und montag ins Hotel geliefert. Sie werden durch einen Kurier gebracht und müssen persönlich an der Hotelrezeption in Empfang genommen und quittiert werden. Wir müssen also ab 9.00 Uhr auf unserem Zimmer
telefonisch erreichbar sein und können nicht noch gemütlich im Speisesaal beim Frühstück sitzen, denn dann
könnte es ja passieren, dass man uns nicht findet. Es gab zwar auch die Option, die wertvollen Tickets, die
Jürgen bereits im Dezember online bestellt hatte und kurze Zeit später ausverkauft waren, direkt bei der
entsprechenden Agentur abzuholen, doch dafür hätte man mit einem Taxi quer durch die Stadt fahren
müssen. Zudem hätte die Ticketausgabe sicherlich einige Zeit in Anspruch genommen, sodass man das Taxi
nicht hätte warten lassen können. Also wäre für den Rückweg wieder ein neues Taxi zu beschaffen. Hätte sich
eventuell alles etwas schwierig gestalten können. Also lieber gegen einen geringen Aufpreis die Tickets
während eines vorgegebenen dreistündigen Zeitfensters ins Hotel liefern lassen. So sind wir auf der
bequemeren und sicheren Seite.
Gegen 10.00 Uhr fängt Jürgen an, etwas nervös zu werden, denn die Sonne lacht fröhlich zum Fenster herein
und vor der Tür warten die herrlichsten Motive darauf, fotografiert zu werden. Wo bleibt der Ticket-Lieferservice? Ich beschwichtige ihn. Die Leute haben schließlich bis 12.00 Uhr Zeit, uns die Eintrittskarten für's
Sambódromo, wo die Paraden der Sambaschulen stattfinden, zu übergeben.
Natürlich passiert nichts bis Mittag. Um kurz nach 12.00 Uhr rufen wir bei unserer Agentur an. Anrufbeantworter. Um 14.00 Uhr klingeln wir bei unserer Hotel-Rezeption durch. Hat jemand nach uns gefragt? Nein,
es war noch Niemand von unserer Verkaufsagentur da.
Um 15.00 Uhr sitzen wir im Taxi, auf dem Weg zur persönlichen Ticketausgabe. Die Agentur hat für diesen
Zweck extra einen großen Ballsaal in einem Hotel angemietet, um den Ansturm der Ticketabholer logistisch
überhaupt meistern zu können. Unser Taxifahrer umkreist gefühlte drei Mal ganz Rio, ehe er uns vor dem
entsprechenden Hotel absetzt und prima abkassiert. Im Ballsaal ein unglaublicher Menschenauflauf. Nach
Bestellnummern sortierte Warteschlangen. Ausweisvorlage. Kopie von Ausweis. Zuweisung einer neuen
Warteschlange für die eigentliche Ticketausgabe. Wir geraten an eine Kaugummikauerin, die ihre Gesichtszüge
in der Rubrik "freundlich und zuvorkommend" um diese Tageszeit nicht mehr unter Kontrolle hat. Angenervt
hört sie sich unser Anliegen an, sucht auf einem Tisch hinter sich in verschiedenen Stapeln und gibt uns dann
unsere Kopie mit dem Nachweis unserer Bestellung mit den Worten "Eure Tickets sind hier nicht" wieder
zurück. Wir erklären ihr nochmals, dass sie ja eigentlich auch bis 12.00 Uhr hätten geliefert werden sollen,
was aber auch bis 15.00 Uhr nicht geschehen sei. Sie verschwindet durch eine Tür in die Katakomben. Und
lässt uns ganze zwanzig Minuten doof in dem Menschengewimmel stehen. Endlich kommt sie zurück, sagt, der
"Moto-Boy" wäre noch immer unterwegs, er sei gerade bei der Ticket-Auslieferung in den Hotels, die noch
mindestens 3 Buchten hinter der Copacabana lägen und er würde schon noch kommen. Wir sollten weiter im
Hotel auf ihn warten. Könnte auch 20.00 Uhr werden. Und damit dreht sie sich einfach auf dem Absatz um
und geht weg.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffen wir es, ein nicht schon besetztes Taxi anzuhalten und fahren, diesmal
auf dem kürzesten Weg, innerhalb von 10 Minuten zurück zum Hotel. Jürgen dreht natürlich am Rad! Der
ganze Tag ist unnütz verstrichen. Aber die entscheidende Frage ist: Was machen wir, wenn überhaupt kein
Kurier mehr kommt? Vielleicht sind die Tickets längst irgendwo auf dem Schwarzmarkt verschollen. An wen
wenden wir uns? Wen können wir zur Verantwortung ziehen, falls man überhaupt keine Chance hat, jemanden zu sprechen oder telefonisch zu erreichen?
Um 17.30 Uhr endlich der erlösende Anruf von der Rezeption. Ein Ticket-Zusteller wartet in der Lobby auf uns.
Im Nu ist Jürgen im Fahrstuhl verschwunden. Und kommt nicht wieder. Jedenfalls nicht in der von mir veranschlagten Zeitspanne. Es vergehen fast 30 Minuten, dann wird die Zimmertür endlich aufgeschlossen. Aber
irgendwie sieht Jürgen komisch aus. So weiß um die Nase herum und mit spitzem Mund, was bei ihm immer
ein Zeichen von Anspannung ist. "Was ist los? Hast Du die Tickets?" "Ich habe Tickets" kommt es zögerlich
aus seinem Mund, "aber es sind nicht die Karten, die ich bestellt hatte!" Ach, Du grüne Neune. Das darf doch
alles nicht wahr sein! Das kann doch jetzt wirklich nur ein schlechter Scherz sein.
Ist es aber nicht. Jürgen erzählt: Als er in der Lobby ankommt, steht der kleine Mopedfahrer, der für die
Agentur die Karten ausliefert, etwas abseits neben der Rezeption. In der einen Hand hält er einen geöffneten
Briefumschlag, auf dem zwei Tickets liegen. Leider sind es nur unsere preiswerten "Notfall-Tickets" für die
Parade am 2. Abend, dem Montagabend, die wir ausschließlich für den Fall, dass der Sonntag verregnet sein
sollte oder es zu sonstigen unvorhersehbaren Zwischenfällen kommen sollte, vorsorglich noch zusätzlich
bestellt hatten. Aber warum ist der Umschlag mit den Eintrittskarten schon geöffnet, wo doch im Vorfeld so
ein Zirkus um „persönliche Übergabe“ usw. gemacht wurde?
In der anderen Hand hält der Lieferant noch zwei weitere Tickets, einfach so, ohne jeden Umschlag. Und
tatsächlich sollen genau das unsere „Number One-Eintrittskarten“ für die große Parade sein. Es handelt sich
dabei auch wirklich um Tickets für die Auftritte der Sambaschulen am Sonntagabend, aber nicht um unsere
frühzeitig bestellten - und sehr, sehr teuren - Tickets für eine 6-Personen-Loge in der 1. Reihe direkt an der
Paradestrasse. Stattdessen sind es Eintrittskarten für die VIP-Lounge „Folia Tropical“, die man uns komischerweise bereits gestern Abend bei unserer Ankunft im Hotel mit bunten Prospekten und der Anmerkung, dass
"nur noch ein ganz geringfügiges Kontingent" davon verfügbar sei, durch einen Hotelmitarbeiter schmackhaft
machen wollte. Im – übrigens vollkommen überzogenen - Verkaufspreis des Hotels für die VIP-Lounge-Tickets
seien der Transfer zum Sambódromo, alle Getränke, ein üppiges Buffet sowie eine Massage und ein HairStyling enthalten. Alles ohne zusätzliche Kosten. Dazu gäbe es als Erkennungszeichen für alle VIPs ein einheitliches farbenfrohes T-Shirt und eine Umhängetasche mit kleinen Überraschungen. Haken an der Sache: In
dem lang gestreckten VIP-Sektor finden ein paar Hundert Menschen Platz, es gibt aber nur einen sehr
schmalen Frontbalkon zur Paradestraße hin. Feiern ok, gucken und fotografieren schwierig bis unmöglich.
Jürgen versucht dem Kurier klarzumachen, dass er uns die falschen Karten geliefert hat und er ihm deshalb
auch nicht den Empfang der Tickets quittieren werde, doch der Junge spricht nur portugiesisch, schaut
todunglücklich aus der Wäsche und zuckt mit den Schultern. Daraufhin mischt sich eine junge Rezeptionistin in
das Gespräch ein und erklärt Jürgen auf Englisch, dass das doch ganz tolle Karten seien und wir damit ein
erhebliches Upgrade bekommen würden. Bei unseren eigentlichen Karten müssten wir schließlich den Transfer
auch noch selber organisieren und bezahlen. Und Taxen wären an dem Abend unmöglich zu bekommen und
die Gegend rund ums Sambódromo wäre sowieso unheimlich gefährlich usw. Und dann meint sie plötzlich
auch noch, sie selber hätte Karten für eine Loge in der 1. Reihe in Sektor 10 (wir hätten eigentlich welche für
Sektor 11 gehabt) und würde die sofort mit uns gegen die VIP-Tickets für die „Folia Tropical“ tauschen. Denn
dort wäre alles viiieeel besser, viel mehr Spaß, tolle Stimmung, Alkohol ohne Ende und, und und. Jürgen meint
daraufhin, dass er erst mit mir darüber sprechen müsse. Niedergeschlagen nimmt er die „falschen“ Tickets
vom Kurier entgegen und kommt damit zurück auf unser Zimmer. Doch was tun? Tausend Fragen schwirren
durch unsere Köpfe. Warum war der Umschlag mit den Notfall-Tickets schon geöffnet? Und warum lagen die
VIP-Tickets gar nicht erst in einem Umschlag? Und warum sind es genau die Karten, die uns auch schon das
Hotel bei unserer Ankunft verkaufen wollte? Wir einigen uns darauf, erst mal mit einem ganz unguten Gefühl
eine Nacht darüber zu schlafen, ob wir den Deal mit der Rezeptionisten wagen sollen.
Abendstimmung an der Copacabana
Am nächsten Morgen sind wir schnell darüber einig, dass wir während der Sambashow weder eine Massage
noch einen Friseur brauchen, sondern Logenplätze, von denen man eine uneingeschränkte Sicht auf die
Parade hat und es sich ungestört fotografieren lässt. Und uns ist klar, dass unsere „wahren“ Tickets sowieso
nie mehr auftauchen werden. Wir müssen wohl oder übel den Tauschhandel eingehen.
Die junge Rezeptionistin hat wieder Dienst, kann es nicht glauben, dass wir tatsächlich unsere tollen VIPKarten in der „Folia Tropical-Lounge“ gegen ihre Logenkarten in der 1. Reihe tauschen wollen, holt dann aber
doch "ihre" Tickets hinten aus einem Büro und nimmt unsere entgegen. Als Bonus verkauft sie uns noch einen
ausgesprochen teuren Bustransfer zum Sambódromo und zurück, denn sie hatte uns ja bereits am Vorabend
vor den Schwierigkeiten, ein freies Taxi an so einem Abend zu finden, gewarnt. Busfahren ist am besten.
Nun können wir entspannen und genießen den restlichen Samstag beim Straßenkarneval in den Stadtbezirken
rund um die Copacabana und Ipanema, bei dem die Anwohner laut singend und tanzend mit viel Alkohol im
Blut in der prallen Sonne mit einzelnen Musikbeschallungs-Wagen durch die Straßen ihrer Stadtviertel ziehen.
Ausgelassene Stimmung beim Karneval in den Straßen und auf den Strandpromenaden von Rios bekanntesten Stadtteilen Ipanema & Copacabana
Der Samstag am Strand und in den Straßen rund um Copacabana und Ipanema vergeht wie im Flug. Es war
ein herrlicher Tag und mit dem sehr authentischen Straßenkarneval eine wunderbare Einstimmung auf den
„großen“ Karneval im Sambódromo, auf den wir uns riesig freuen. Wir sind so gespannt, was uns erwartet!
Am Sonntag schlafen wir tagsüber so viel wie möglich, denn die Auftritte der Sambaschulen beginnen wegen
der großen Hitze in Brasilien erst um 21.00 Uhr. Sowohl am Sonntag- als auch am Montagabend treten jeweils
6 Sambaschulen nacheinander auf. Es ist die Parade der Grupo Especial, der zwölf besten Sambaschulen von
Rio. Jede Sambagruppe hat 80 Minuten Zeit, mit ihren prunkvollen Wagen und Fußgruppen über die 700
Meter lange Straße des Sambódromo zu ziehen, die zu beiden Seiten von Logen und Tribünen gesäumt ist.
Oberhalb unserer Loge sitzt eine von mehreren handverlesenen Gruppen von Juroren entlang der Strecke und
beurteilt nach strengen Richtlinien die Darbietungen der einzelnen Sambaschulen. Kriterien für die Punktevergabe sind die Umsetzung des jeweiligen frei gewählten Themas, die Kostüme, die Choreographie, der
Gesang, der Rhythmus und die phantasievoll geschmückten Festwagen. Zu jeder Sambaschule gehören 3000
bis 5000 Mitglieder, darunter allein 200 bis 400 Trommler, die den Rhythmus vorgeben. Die Verkündung der
Gewinner sowie deren nochmalige Parade finden am Samstag nach Aschermittwoch statt.
Es ist einfach unglaublich, 1 Millionen Besucher sind über die Karnevalstage in Rio! Bereits seit Freitagnachmittag müssen wir aus Sicherheitsgründen ein grünes Plastikbändchen am Handgelenk tragen, um als Hotelgäste erkannt und zu den streng bewachten Aufzügen, die zu den Zimmern führen, durchgelassen zu werden.
Gut gelaunt und erwartungsfroh stehen wir zusammen mit vielen anderen Hotelgästen um kurz vor 20.00 Uhr
in der Lobby und warten auf den Bus, der uns zum Sambódromo fahren soll. Man muss sich das mal vorstellen: Außer uns sind noch 90 000 andere Menschen in diesem Moment auf dem Weg dorthin.
Um Punkt acht Uhr öffnet der Himmel vollkommen unerwartet seine Schleusen und es beginnt zu regnen und
zu stürmen, wie wir es noch nie zuvor erlebt haben. Hunderte Menschen, die gerade eben noch leicht
bekleidet und gut alkoholisiert entlang der Copacabana schlenderten und sich gerade auf Höhe unseres Hotels
befinden, versuchen in die Hotelhalle zu stürmen, um sich vor Regen und Gewitter in Sicherheit zu bringen.
Die Hotelmitarbeiter haben ein echtes Problem damit, die Glastür zum Hotel vor der drängenden Menschenmasse zu sichern. 10 Bodyguards versperren den Zugang zur Lobby und lassen nur noch Plastikbändchenträger - Farbe dunkelgrün - durch.
Um 21.30 Uhr ist unser Bus immer noch nicht da. Angeblich schafft er es wegen des Verkehrschaos nicht, bis
zum Hotel durchzukommen. Die ganze Straße sei von Bussen und Taxen verstopft. Wir warten. Endlich heißt
es, der Bus habe es bis in eine Seitenstraße geschafft. Über einen Hinterausgang werden wir aus dem Hotel
gelotst und in den Bus gekarrt. Er fährt los, um bereits nach 10 Minuten schon wieder zu stoppen. Und wieder
heißt es warten. Es schüttet noch immer wie aus Kübeln. Nach einer Viertelstunde ertönt die Durchsage, dass
ein anderer Bus nun hinter uns parken würde und alle Personen, die Tickets im Sambódromo für einen Sektor
mit einer geraden Nummer hätten, nun den Bus wechseln müssten. Wir gehören dazu.
Um 22.30 Uhr sind wir endlich in unserer Loge. Sie ist natürlich nicht überdacht und es regnet noch immer.
Wir haben Regenponchos dabei, aber es gibt ein anderes Problem: wegen des heftigen Regens ist nicht daran
zu denken, die Kameras auszupacken. Die Stimmung ist dennoch unbeschreiblich. Die Tanzgruppen laufen
durch riesige Wasserlachen, die Kostüme sind klatschnass, aber die Menschen strahlen dennoch über das
ganze Gesicht! Einfach fantastisch! Man muss es selbst erlebt haben, es lässt sich nicht beschreiben! Durch
den Regen, der sogar irgendwann, etwa beim Auftritt der 3. Sambagruppe nachlässt, hat sich das ganze Zeitkonzept nach hinten verschoben und so ist es bereits schon wieder hell, als die letzte der 6 Sambaschulen an
uns vorbeizieht. Wir sind hellwach und überglücklich, dieses Riesen-Event einmal live miterlebt zu haben.
Wie nicht anders zu erwarten, schafft es unser Bus auch auf dem Rückweg nicht, uns zur verabredeten Zeit
am vereinbarten Ort einzusammeln, aber das stört uns langsam nicht mehr wirklich. Um 9.00 Uhr morgens
sind wir zurück im Hotel, gehen direkt frühstücken und fallen anschließend zufrieden ins Bett.
Rosenmontag. Wir schlafen bis 4 Uhr nachmittags. Als wir wenig später in die Hotel-Lobby kommen und
unsere Eintrittskartentauscherin an der Rezeption sehen, fragen wir sie natürlich, ob sie denn letzte Nacht gut
gefeiert habe im VIP-Bereich. "Ach nein, ich hatte gestern einen 14-Stunden-Tag und danach war ich zu
müde, um noch ins Sambódromo zu fahren." Ah-ja, alles klar! Ein Schelm, der Böses dabei denkt...
Heute sind wir schlauer als gestern und verlassen uns nicht wieder auf irgendwelche teuren, unpünktlichen
Bustransfers zur Samba-Parade, sondern nehmen gegen 22.00 Uhr ein Taxi, das uns problemlos innerhalb
einer viertel Stunde zum Sektor 8 bringt, in dem wir für die heutige Parade preiswerte Stehplätze auf den
oberen Rängen haben (unsere Notfall-Tickets!). Das Wetter spielt ebenfalls mit, und wir haben sogar das
Glück, in der Pause, nach dem Durchzug der zweiten Sambaschule, einen frei gewordenen Platz zu ergattern,
der einen guten Blick von oben auf die riesigen und traumhaft schön gestalteten Themenwagen der einzelnen
Schulen zulässt, die gemächlich durch das extra für den Karneval von Oscar Niemeyer entworfene „Stadion“
hindurch ziehen. Eine gänzlich andere Perspektive als aus der ersten Reihe in der gestrigen Nacht, wo das
Augenmerk mehr auf die tanzenden Fußgruppen gerichtet war. Bis 4 Uhr morgens sind wir gefangen von der
unbändigen Lust und Leidenschaft, mit der die Brasilianer ihren Karneval feiern. Hier einige Impressionen, zu
denen man sich noch den Klang der lautstarken, kräftigen Samba-Rhythmen vorstellen sollte: