Neue Hilfe gegen tückische Darmentzündungen - Kliniken Essen

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Neue Hilfe gegen tückische Darmentzündungen - Kliniken Essen
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09. Oktober 2013, 09:34 Uhr
Morbus Crohn
Neue Hilfe gegen tückische Darmentzündungen
Von Felicitas Witte
Krampfartige Bauchschmerzen, Durchfall, Erschöpfung: Patienten mit Morbus Crohn
leiden immer wieder unter heftigen Symptomen. Bei manchen Betroffenen versagen
herkömmliche Medikamente. Für sie gibt es jetzt neue Präparate - und pflanzliche
Hilfsmittel.
Zweimal traf sie die Diagnose Brustkrebs, dann ließ sie sich beide Brüste amputieren. Und das ist
nicht alles, was Anastacia plagt: 2010 landete die Sängerin beim Internetportal zehn.de auf Platz
sechs der "zehn bewundernswertesten Stars und ihre Krankheiten" - noch vor Stephen Hawking.
Mit 13 Jahren, so heißt es, habe sie eine faustgroße Geschwulst in ihrem Bauch getastet. Kurz
darauf wurde bei ihr Morbus Crohn festgestellt. "Was für manche ein Fluch ist, war für mich ein
Segen", soll Anastacia gesagt haben. "Denn die Krankheit hat mir geholfen, mein wahres Ich zu
erkennen."
Morbus Crohn gehört wie Colitis ulcerosa zu den chronisch entzündlichen Darmkrankheiten (CED),
rund 320.000 Deutsche leben damit. Immer wieder leiden sie unter Schüben mit krampfartigen
Bauchschmerzen, totaler Erschöpfung und heftigem Durchfall. "Als ich die Diagnose hörte, dachte
ich, ich müsste bald sterben", erzählt Jasmin Wiget, angehende Juristin aus Zürich. Der Arzt habe
ihr nur unverständliche Fachbegriffe mitgeteilt - und dass das eine unheilbare Krankheit sei. "Jetzt
weiß ich aber, dass man die Krankheit in den Griff bekommen und trotzdem ein schönes Leben
führen kann."
Wiget gehört zu den 15 Prozent der Patienten, die von einer neuen Art von Arzneimitteln
profitieren, sogenannte Biologika. Diese unterdrücken die Entzündung gezielter als herkömmliche
Medikamente. "Bei den meisten Patienten bekommen wir CED zum Glück mit Mesalazin oder
Kortison in den Griff", sagt Gehard Rogler, einer der führenden CED-Forscher in Europa und
leitender Gastroenterologe an der Uni-Klinik Zürich. "Aber für diejenigen mit schlimmem Verlauf
sind Biologika ein Segen." Gemeint sind damit Medikamente, die biotechnologisch mit Hilfe
genetisch veränderter Organismen hergestellt werden. Antikörper etwa zählen dazu.
TNF-Hemmer wirken nicht bei jedem
Als erstes kam der Antikörper Infliximab auf den Markt. Dieser blockiert den Tumor-NekroseFaktor (TNF), ein Protein, das bei CED in höherer Konzentration vorkommt und den
Entzündungsprozess in Gang hält. Infliximab besserte in Studien bei über 50 Prozent der
Patienten die Beschwerden. Auch Adalimumab ist ein TNF-Hemmer, der inzwischen zugelassen ist.
In den Studien fiel aber auf, dass die TNF-Hemmer bei jedem Dritten nicht gut wirkten. "Manche
bilden vermutlich Abwehrstoffe gegen die Medikamente und machen sie dadurch unschädlich, und
bei anderen liegt es vielleicht an ihren Genen, dass sie nicht darauf ansprechen", sagt Rogler.
Man müsste noch an anderen Stellen ansetzen, dachten sich die Forscher und kamen auf
Ustekinumab, das bereits bei anderen entzündlichen Krankheiten wie Schuppenflechte wirkte. Der
Antikörper hemmt die Entzündungsbotenstoffe Interleukin 12 und 23, die bei CED ebenfalls zu
viel gebildet werden.
Nach sechs Wochen Therapie hatten Patienten damit weniger Beschwerden, brauchten weniger
Medikamente gegen Durchfall und verloren nicht so viel Gewicht wie Patienten, die nur Placebo
bekamen. Für die Behandlung von Crohn oder Colitis ist das Medikament derzeit aber nicht
zugelassen. Und auch in den Ustekinumab-Studien gab es einige Patienten, bei denen der
Antikörper nichts half.
Neue Medikamente sind auf dem Weg
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15.10.2013
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Ende August veröffentlichten die Mediziner Ergebnisse zu einem weiteren Antikörper:
Vedolizumab. Dieser hemmt ein bestimmtes Integrin, ein weiteres Protein, das bei
Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle spielt. Von 1115 Patienten mit Morbus Crohn besserte
sich die Entzündung nach 52 Wochen bei über 35 Prozent der Patienten mit Vedolizumab, bei
Placebo waren es 21 Prozent. Zeitgleich wurde eine andere Studie veröffentlicht, die ähnliche
Effekte bei Colitis ulcerosa zeigte.
Noch Dutzende weiterer Substanzen werden zurzeit getestet, die auf unterschiedliche Weise die
Weiterleitung von Entzündungssignalen blockieren. "Biologika sind ein Quantensprung in der
Therapie - aber nicht das Allheilmittel", sagt Andreas Stallmach, Chef-Gastroenterologe am UniKlinikum Jena.
Mindestens ebenso wichtig sei, dass man seine Krankheit aktiv angehe, sagt Jost Langhorst. Der
Gastroenterologe von den Kliniken Essen-Mitte untersucht seit Jahren komplementäre
Heilverfahren und setzt auf "Mind-Body-Medicine": eine Kombination aus Bewegung, mediterraner
Vollwertkost, Entspannungsübungen, Stressbewältigung und Verhaltensänderungen.
"In Studien besserte sich damit die Lebensqualität deutlich", sagt Langhorst. Bestimmte
pflanzliche Präparate zögerten einen erneuten Schub hinaus, etwa eine Mischung aus Myrrhe,
Kamille und Kaffeekohle. Auch mit Akupunktur brauchten manche Patienten im akuten Schub
weniger Medikamente. An der Uni-Klinik Zürich testet Gerhard Rogler Heidelbeeren, Lecithin und
Wurmeier. "Einigen hilft das, aber außerhalb von Studien sollte man das nicht versuchen", sagt
Rogler. "Und alternative Verfahren immer begleitend zur Standardtherapie machen."
Jasmin Wiget hat gelernt, ihren Crohn zu akzeptieren. Ähnlich wie bei Anastacia hat die Krankheit
ihr Leben geändert - zum Positiven, wie sie findet. "Durch den Crohn freue ich mich viel mehr
über Kleinigkeiten."
URL:
http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/neue-medikament-fuer-entzuendlichedarmkrankheiten-a-926707.html
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Mehr im Internet
Ustekinumab gegen Morbus Crohn: Fachartikel von Sandborn et al.
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1203572
Vedolizumab gegen Morbus Crohn: Fachartikel von Sandborn et al.
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1215739
Vedolizumab gegen Colitis ulcerosa: Fachartikel von Feagan et al.
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1215734
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