Plinius der Jüngere – Leben und Werk - Karolinen

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Plinius der Jüngere – Leben und Werk - Karolinen
Plinius der Jüngere – Leben und Werk
Gaius Plinius Caecilius Secundus, Plinius der Jüngere (lat. Plinius minor) wurde ca. 62 n. Chr. in Novum Comum, heute Como geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde er von Plinius dem Älteren (23-79 n. Chr.,
lat. Plinius maior), dem Bruder seiner Mutter, adoptiert und erzogen. Sein Onkel gehörte zu den gelehrtesten
Männern seiner Zeit und schuf neben anderen Werken auch die Naturalis historia, eine thematisch weit gefächerte Zusammenfassung des damaligen praktischen Naturwissens in 37 Büchern. Sein Neffe beschreibt uns anschaulich die Lebens- und Arbeitsweise seines Onkels, den „ein scharfer Verstand, unglaublicher Fleiß und
höchste Aufmerksamkeit“ auszeichneten – acre ingenium, incredibile studium, summa vigilantia (epist. 3,5).
Plinius der Ältere sorgte auch dafür, dass seinem Neffen eine ausgezeichnete Ausbildung zukam. So studierte
er in Rom Rhetorik bei M. Fabius Quintilianus, dem bedeutendstens Redelehrer seiner Zeit. Im Jahre 79 war er
als Begleiter seines Onkels Zeuge des Vesuvausbruchs, bei dem sein Adoptivvater als Kommandant der in Misenum nahe bei Neapel stationierten kaiserlichen Flotte in dem 4,5 km südlich von Pompeji gelegenen Stabiae
starb. Als Erbe sowohl seines Vaters als auch seines vermögenden Onkels war Plinius finanziell unabhängig.
Dies ermöglichte es ihm, sich seinen geistigen Interessen zu widmen. Über seinen Lebenslauf sind wir sowohl
durch seine Schriften als auch aus einer Inschrift detailliert informiert. Unter Kaiser Domitian (81–96) begann
seine öffentliche Laufbahn, die sich unter Kaiser Nerva (96–98) fortsetzte und unter Kaiser Trajan (98–117)
ihren krönenden Abschluss fand. Seine Ämterlaufbahn umfasste zahlreiche hohe Positionen, so das Konsulat
100/101, das Augurat 104, die Aufsicht über Gewässer und Abwässer in Rom 104–107, schließlich die Statthalterschaft in Bithynien 110–112, wo er wahrscheinlich ca. 112 n. Chr. starb. Zu seinen Freunden und Korrespondenten zählten die Geschichtsschreiber Sueton und Tacitus, zu seinen Bekannten die Dichter Martial und Silius
Italicus.
Neben den öffentlichen Tätigkeiten stand ein fruchtbares und reichhaltiges literarisches Schaffen. Verloren sind
(bis auf wenige Zitate in epist. 7, 4 und 9) die Gelegenheitsgedichte und seine Reden. Erhalten ist uns allein der
Panegyricus, die Preisrede auf den Regierungsantritt Trajans, gehalten am 1. September 100.
Das Hauptwerk des Plinius sind seine Briefe: 9 Bücher angeordnet in 3 Dreiergruppen, insgesamt 248 Schreiben an 105 Adressaten. Mannigfaltigkeit der Themen, Variabilität des Stils sowie literarische Formvollendung
sind ihre Kennzeichen. Wir erhalten durch sie einen Einblick in das gesellschaftliche Leben, in Kultur, Geschichte und die politischen Verhältnisse des kaiserlichen Roms am Ende des 1. Jahrhunderts. Über die neun
Bücher spannt sich ein reicher thematischer Bogen. Sie handeln über Plinius’ literarisches Schaffen (1,1; 7,4),
über seine Villen und seinen Tagesablauf auf seinem Landgut (5,6; 9,6; 9,36), über seine Ehefrau (4,19); wir lesen Anekdoten, Begebenheiten und Geschichten sowie seine Ansichten zu Bildungs- und Erziehungsfragen etc.
Besonders hervorzuheben sind die beiden Briefe 6,16 und 6,20 an den Historiker Tacitus über den Vesuvausbruch im Jahre 79. Auch wenn Plinius als Vertreter der Oberschicht sich z.B. bei der Behandlung seiner Sklaven als menschlich zeigt (epist. 8,16), stellt er das politische und gesellschaftliche System niemals grundsätzlich in Frage.
Im Buch 10 der Briefe ist uns die amtliche Korrespondenz des Plinius erhalten, die er als Statthalter in Bithynien mit dem Kaiser führte (123 Briefe). Neben Glückwunschadressen enthält dieses Buch hauptsächlich Anfragen bzw. Berichte verwaltungstechnischer und juristischer Natur. Das 10. Buch gewährt uns einen einzigartigen
Blick in die Praxis und die Probleme der Provinzialverwaltung; am berühmtesten sind die Briefe 96 und 97
über die Behandlung der Christen.
Während das 10. Buch authentische Dokumente bietet, ist bis heute nicht eindeutig geklärt, inwieweit dies bei
den übrigen Briefen auch zutrifft. Nach epist. 1,1 handelt es sich auch bei diesen um authentische Schreiben.
Wie weit Plinius diese für die Herausgabe literarisch gestaltet oder überarbeitet hat, lässt sich nicht eindeutig
klären. Auffallend ist, dass diese Privatbriefe im Gegensatz zur Alltagspraxis stets auf ein Thema beschränkt
sind, formal ähnlich dem Essay und dem Feuilleton.
Essay (engl., franz. essai = Versuch, Kostprobe), kürzere Prosa-Abhandlung über e. künstler. oder wiss. Gegenstand, e. aktuelle Frage des geistigen, kulturellen oder soz. Lebens u. ä. von allg., nicht fachspezif. Interesse in
leicht zugängl., doch künstlerisch wie bildungsmäßig anspruchsvoller, geistreicher und ästhetisch befriedigender
Form und anregend lockerem, doch geschliffenem, teils aphorist., iron., pointiertem oder paradoxem Stil von eleganter Leichtigkeit mit einprägsamen, originellen Formulierungen. Der E. ist gekennzeichnet durch bewußte Subjektivität der Auffassung, die dem E. auch im Fall überholter wiss. Voraussetzungen im einzelnen als geistigem
Zeugnis seines Schöpfers bleibenden Wert gibt, durch bewußten Verzicht auf systemat. und erschöpfende Analyse des Sachwertes zugunsten mosaikhaft lockerer, das Thema von versch. Seiten willkürlich, sprunghaft-assoziativ umkreisender und belichtender Gedankenfügung...
Feuilleton (franz. = Blättchen), ... kurze populärwiss. Darstellungen, allg. Betrachtungen über das menschl. und
Gesellschaftsleben, Reisen und belletrist. Beiträge: Gedichte, Kurzgeschichten, Erzählungen und Fortsetzungsromane ... in leichtverständl., geistreich-witzigem, durchaus persönl., subjektivem Plauderton, die im besten Fall,
wenn nicht nur im Massenbetrieb und für den Tag hingesetzt, die Form des Essay erreichen.
Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur