Theodor Storm, DER SCHIMMELREITER

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Theodor Storm, DER SCHIMMELREITER
Judith Wolf
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07.06.2000
Theodor Storm,
DER SCHIMMELREITER
Zum Dichter:
Theodor Storm (1817-1888) wurde in Husum geboren, und ging dort zur Schule. Später
studierte er an der Universität Kiel. Nach seinem Studium war er bis 1852 wie sein Vater als
Rechtsanwalt in Husum tätig. Von seinem Vater, einem leidenschaftlichen Erzähler, seiner
Großmutter und seiner Jugendfreundin Dorothea Jensen erhielt Storm einen wahren
Märchenschatz vermittelt. Seine Bildkraft wurde von der weiten Marsch, dem Meer und
vorbei segelnden Schiffen geprägt.
Als Schleswig nach hartem Kampf unter dänische Oberherrschaft kam, mußte Storm 1854
wegen seiner Einstellung zu seinem deutschen Vaterland das Land verlassen. Die Zeit bis
1864 verbrachte er als Justizbeamter in Potsdam und Heiligenstadt. 1864 konnte er wieder in
die Heimat zurückkehren, und wurde Kreisvogt in Husum. Ein Jahr nach dem Tod seiner
Frau, die ihm sieben Kinder schenkte, heiratete er Dorothea Jensen. Erst 1870 begann
Theodor Storm wieder zu Schreiben. 1888 starb er in Hadermarschen bei Husum.
Die Entstehungsgeschichte:
Seine bedeutendsten Novellen schrieb Storm in den siebziger und achtziger Jahren des
neunzehnten Jahrhunderts. Bei den Vorarbeiten zu seinem Meister- und Alterswerk, „Der
Schimmelreiter“, bediente er sich zweier Chroniken: „Heimreichs Nordfriesische Chronik“
(Schleswig 1668) und „Sammlungen einiger Nachrichten“ (Flensburg 1750). Die
Entstehungsgeschichte zu „Der Schimmelreiter“ dokumentiert Storm ausführlich in
Tagebucheintragungen und Briefen an seine Freunde. So trug er sich schon Anfang 1885 mit
den Plänen für eine Deichnovelle. Immer wieder schob er diese Novelle aber zurück, und gab
anderen („Ein Fest auf Haderslevhuus“, „Bötjer Basch“) den Vorzug. Erst im Juli und August
1886 arbeitete Storm an „Der Schimmelreiter“, wobei jedoch neue Verzögerungen eintraten.
So schob er einmal die Novelle „Ein Doppelgänger“ dazwischen, ein anderes Mal erkrankte
er im Oktober schwer, und konnte bis zum darauffolgenden Februar nicht schreiben. Ende
Mai nahm er seine Arbeit wieder auf, und selbst eine Verschlimmerung seiner Krankheit und
ein Besuch in Husum hielten ihn nicht auf, das Manuskript bis zum 9. Februar 1888
fertigzustellen.
Zum Inhalt:
Als ein Reisender in einer Oktobernacht bei starkem Unwetter auf einem nordfriesischen
Deich entlang reitet, stürzt plötzlich eine dunkle Gestalt auf einem hageren Schimmel sitzend
an ihm vorbei. Als er kurz darauf in einer Gaststube von dieser seltsamen Begegnung
berichtet, versetzt er damit alles in Aufregung. Er erfährt auch, daß dies der sogenannte
„Schimmelreiter“ sei, und ein alter Dorfschullehrer erzählt ihm die Geschichte des Hauke
Haiens.
Der technisch hochbegabte Hauke Haien, ein Autodidakt und Sohn eines Kleinbauern, der
jedoch von einem großen Selbstgefühl beseelt ist, widmet schon in seiner Jugend sein ganzes
Interesse der Deichbaukunst. Da in ihm der Drang nach Wissen und Weiterbildung lebt tritt er
als Kleinknecht in den Dienst des Deichgrafen. Durch seine technischen Kenntnisse,
brennenden Ehrgeiz und unermüdliche Arbeitskraft erwirbt er sich zwar die Gunst seines
Herrn, jedoch auch den Haß des Großknechts Ole Peters. Während dieser Zeit verlieben sich
die Deichgrafentochter Elke Volkerts und Hauke in einander, was sie jedoch auf Grund des
Klassenunterschiedes geheimhalten. Als der Deichgraf stirbt und beratschlagt wird, wer neuer
Deichgraf werden soll, schlägt Elke Hauke vor, da er ja schon seit geraumer Zeit die
Geschicke der Deichgrafenschaft lenkt. Seit Hauke durch die Heirat mit Elke nicht nur deren
Besitz, sondern auch die damit verbundene Würde zugefallen war, kämpft er mit verbissener
Tatkraft gegen den von seinem größten Feind Ole Peters in die Welt gesetzten Vorwurf nur
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seines Weibes wegen Deichgraf geworden zu sein. Um das Gegenteil zu beweisen setzt
Hauke Haien gegen die Trägheit der Dorfbewohner den Bau eines neuen, architektonisch
revolutionären Deiches durch.
Zu gleicher Zeit geht ein Gerücht um ein Pferdegerippe auf Jeverssand, welches bei heller
Mondnacht dort grasen solle im Dorf um. Seit Hauke jedoch von einem Ritt in die Stadt einen
völlig verwahrlosten Schimmel mitgebracht hat, sei es jedoch nicht mehr dort zu sehen.
Hauke erfährt aber nichts von diesem Gerücht, und somit auch nichts von dem Bund, den er
dem Aberglauben des Volkes nach mit dem Teufel geschlossen haben soll.
Statt dessen überwacht er auf seinem Schimmel die Arbeiten am neuen Koog, und trotzt dem
Meer mit äußerster Willensanstrengung, wobei er nicht frei von Haß und Verachtung seinen
Mitmenschen gegenüber ist, Neuland ab.
Privates Glück aber bleibt ihm versagt: Als ihm seine Frau nach neun Jahren Ehe endlich ein
Kind schenkt, muß er erkennen, daß seine Tochter Wienke schwachsinnig ist. Seelische
Vereinsamung und Krankheit schwächen seine Widerstandskraft. In einem Augenblick der
Verzagtheit gibt er sogar seinem Gegenspieler Ole Peters nach, und wird somit sich und
seinem Werk untreu. Als eine schwere Sturmflut kommt, bereut er diesen Fehler auf das
Bitterste, und versucht verzweifelt seinen Koog zu retten. Der Deich bricht jedoch, und als er
Elke und Wienke, -sein Ein und Alles, ins Meer stürzen sieht, stürzt er sich mit seinem
Schimmel ebenfalls in die entfesselten Fluten. –Ab da an sei immer wenn die Deiche in
Gefahr sind der Schimmelreiter zu sehen.
Als der alte Schullehrer geendet hat, verabschieden sie sich von einander, und der Reisende
nimmt sich noch vor, sich den Hauke-Haien-Koog, am Weg in die Stadt selbst anzusehen.
Der Falke dieser Novelle ist meiner Meinung nach der sich bewährende und behauptende
Mensch im Kampf mit dem Schicksal. Hauke Haien wartet nicht darauf, was ihm das
Schicksal bringt, sondern fordert es heraus, und gestaltet es selbst, indem es alles bekämpft,
was sich ihm in den Weg stellt. Er kämpft gegen die kraftvollen Naturgewalten, die sich in
der unbändigen Kraft des Wassers äußern. Hauke hat sich als Ziel gesetzt mit Hilfe des neuen
Deiche als Sieger aus diesem Kampf hervorzugehen. In diesem Kampf gerät er zwangsläufig
in Konflikt mit den Dorfbewohnern, die auf Altes und Bewährtes vertrauen, und Neues –wie
die neue Art der Deichkonstruktion- grundlos ablehnen. Hauke verletzt auch den seit
Generationen tief wurzelnden Aberglauben der Bewohner, in dem er verhindert, daß etwas
Lebendiges zur Besänftigung der Naturmächte in den Deich mit eingegraben wird. Dem nicht
genug steht er auch noch in einem dritten Kampf: Dem mit dem Schicksal. Es tritt ihm als
unbegreifliche Fügung entgegen; in der Krankheit Elkes und der Schwachsinnigkeit Wielkes.
Nicht die Gewalten der Natur bringen ihn ums Leben, sondern das Schicksal, das ihm seine
Lieben hinwegrafft. Er kann das Schicksal nicht ertragen, und nimmt es daher selbst in die
Hand, indem er seiner Familie in den Tod folgt.
Die Personen:
Hauke Haien, der Held der Novelle, ist stets von Ehrgeiz und Trotz begleitet. Durch sein
Selbstvertrauen und seine Zielstrebigkeit ist er den anderen überlegen. Seine
Widerspenstigkeit, Ungeduld und Überheblichkeit treiben ihn immer mehr in die Einsamkeit,
so daß er bald völlig von den Mitmenschen isoliert ist. Als er die Herausforderung an Mensch
und Natur durchsetzt, reagieren die Anderen mit Haß, Neid und Mißgunst, und leisten
passiven Widerstand. Doch die Liebe und Unterstützung seiner Frau Elke lassen ihn als
Sieger hervorgehen.
Elke Volkerts, die Tochter des alten Deichgrafen und spätere Frau Haukes, hat einen ebenso
scharfen Verstand wie ihr Gatte. Sie ist die Stütze Haukes, und besänftigt ihn auch immer
wieder, wenn er gegen die Dorfbewohner aufgebracht ist.
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Elkes Vater Tede Volkerts, ist bezeichnend für den Abstieg seines Geschlechts. Er ist
mitseiner Bequemlichkeit und ein wenig Dummheit der Gegenpart zu Hauke. Wäre ihm
Hauke Haien nicht schon in den letzten Jahren zur Hand gegangen, wäre es sicher noch
schlechter um die Deiche bestellt gewesen.
Ole Peters ist der alte Widersacher Haukes, und ist von Ehrgeiz und Eifersucht erfüllt. Er ist
stets zu Verleumdungen bereit. So stammt auch der Vorwurf, Hauke Haien sei nur seines
Weibes wegen Deichgraf geworden, von ihm, wenn gleich er selbst nur durch seine Frau zu
Besitz gekommen ist. Er ist es auch, der befielt den neuen Deich abzustechen,. so daß dieser
zerstört wird.
Tede Haien, Haukes Vater, ist ein strebsamer, tüchtiger und ehrlicher Mann. Er ist nur ein
Kleinbauer, gilt jedoch als der klügste Mann im Dorf. Nach dem Tod seiner Frau wird er zum
Alleinerzieher. In den entscheidenden Abschnitten Haukes Leben greift er rasch und
energisch ein, und steht ihm mit gutem Rat zur Seite.
Aufbau und Struktur:
Während der erste Teil der Novelle „Der Schimmelreiter“ eher einem Entwicklungsroman
gleicht, hält der zweite Teil an der strengen Kunstform der Novelle fest. So finden sich
sowohl eine unerhörte Begebenheit (der Schimmelreiter selbst), ein Falke (siehe oben), ein
Konflikt, als auch eine Rahmenerzählung auf.
Der Dichter bettet die eigentliche Novellenhandlung in diese Rahmenerzählung ein, die eine
weitere Rahmenerzählung umschließt. Im ersten Rahmen, dem äußeren, welcher sich 1888
abspielt, erzählt Storm, was ihm vor reichlich einem halben Jahrhundert beim Lesen alter
Zeitschriften im Hause seiner Großmutter kund geworden war. Im weiten, inneren Rahmen,
kommt der eigentliche, damalige Erzähler zu Wort, der 1830 bei starkem Unwetter einen
Deich entlang reitet, und dem in einem Wirtshaus von einem alten Dorfschullehrer die
Legende vom Schimmelreiter erzählt wird. Diese Legende, die sich wahrscheinlich um 1750
zugetragen hat, und die eigentliche Novelle ist, wird vom Dorfschullehrer selbst erzählt.
Viermal unterbricht der alte Mann jedoch seine Erzählung, wodurch die Spannung verstärkt
wird. Diese gestaffelte Rahmenhandlung rückt das Geschehen in eine mystische Ferne und
rechtfertigt die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart, sowie von rationalen und
phantastischen Elementen.
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