Neue Entwicklungen in der Wettervorhersage: Potential und

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Neue Entwicklungen in der Wettervorhersage: Potential und
Forum für Wissen 2007: 19–23
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Neue Entwicklungen in der Wettervorhersage:
Potential und Anforderungen für Anwender
Mathias W. Rotach
Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, MeteoSchweiz, Krähbühlstrasse 58, CH-8044 Zürich
[email protected]
Der Artikel erklärt Ansätze und Methoden der modernen Wettervorhersage, insbesondere die Veredelung der numerischen Wetterprognosen durch die Prognostiker. Seit einiger Zeit wird die Unsicherheit, die jeder Prognose für ein natürliches System anhaftet, mit so genannten Ensemble-Vorhersagen quantifiziert.
Diese liefern neben dem eigentlichen Prognosewert («Morgen wird das Wetterelement X den Wert Y annehmen») zusätzlich die Zuverlässigkeit der Prognose
(«Der Wert trifft mit einer Wahrscheinlichkeit von Z Prozent ein»). Dieses neue
Element erfordert nicht nur eine neue Arbeitsmethodik auf Seiten der Prognostiker. Auch die Anwender müssen lernen, die Methode und ihre Resultate zu verstehen sowie mit diesen Zusatzinformationen in der Praxis umzugehen.
1 Einführung
Naturgefahren / Naturkatastrophen –
mit Ausnahme der Erdbeben – stehen
praktisch immer im direkten Zusammenhang mit aussergewöhnlichen Wetter- oder Klimasituationen. Sei es die
Wetterlage selbst, die zum Ereignis
wird (Stürme wie Lothar oder Kyrill),
sei es das Auftreten seltener klimatischer Ereignisse (die Hitzewelle im
Sommer 2003, siehe z. B. BADER 2004;
SCHÄR et al. 2004) oder sei es eines der
«nachgelagerten Elemente» (Wasser –
Überschwemmungen; Feuer – Waldbrände; Erde – Rutschungen, Luft –
Aufwirbelung von Sand in einem Sandsturm, Schneeverfrachtung etc.), das in
aussergewöhnlicher Weise reagiert und
damit zum Naturereignis wird. Die
Warnung vor Naturgefahren ist damit
immer direkt mit der Wettervorhersage verknüpft.
Wetterprognosen unterscheiden sich
grundsätzlich nach deren Zeithorizont:
Kurzfristprognose (1 bis 3 Tage) und
Mittelfristprognose (4 bis 10 Tage).
Längere Vorhersagen wie die Monatsprognose oder die saisonale Prognose
gelten bereits als «klimatologische
Vorhersagen». Diese prognostizieren
nicht, dass in 30 Tagen nachmittags in
Zürich starke Schneefälle zu erwarten
sind (dies ist theoretisch unmöglich),
sondern zum Beispiel, dass «der Folgemonat statistisch signifikant kälter als
die Klimatologie (der Durchschnitt)
sein wird».
Auf der anderen Seite der Zeitskala
steht das so genannte Nowcasting mit
einer Vorhersagedauer von maximal
sechs Stunden. Im Gegensatz zu den
Kurz- und Mittelfristprognosen, die
sich im Wesentlichen auf die grossräumige synoptische Situation abstützen («Wie entwickeln sich Hoch- und
Tiefdruckgebiete?, wie bewegen sich
Fronten, wo entstehen neue?», usw.),
geht es beim Nowcasting vor allem
darum, die kurzzeitige Entwicklung
bereits bestehender Wetter-Systeme
vorauszusagen. Typische Fragen sind:
«Wie wird sich eine Gewitterzelle in
den nächsten Stunden entwickeln
(Wachstum, Zugbahn)?» oder «Gibt es
lokal starke Böen im Zusammenhang
mit dem Eintreffen einer bestimmten
Störung?»
Abhängig vom Zeithorizont der Vorhersage betrachten die Meteorologen
unterschiedliche geographische Gebiete. Nowcasting beruht wie erwähnt im
Wesentlichen auf der Beobachtung bestehender Wettersysteme. Damit liegt
das Gebiet des Nowcasting in der Nähe
des Gebiets des interessierenden
Wettersystems und ist in der Regel
eher kleinräumig. Kurzfristprognosen
betreffen Wettersysteme, die zum Prognosezeitpunkt möglicherweise in einer Entfernung von mehreren hundert
Kilometern entstehen. Das Vorhersagegebiet umfasst damit ganze Kontinente und allenfalls Ozeane. Die
Mittelfristprognose schliesslich bedarf
direkt globaler Information1, da sich
die relevanten Luftmassen für das
Wettergeschehen in 5 bis 10 Tagen
noch weit weg befinden und lange entwickeln können. Das Vorhersagegebiet
umfasst deswegen immer den ganzen
Globus.
2 Wettervorhersage
Seit dem Beginn der wissenschaftlichen Wetterprognose zu Beginn des
20. Jahrhunderts (BJERKNES 1904) gibt
es eine fundamentale Zweiteilung für
die Wettervorhersage:
1. Analyse des gegenwärtigen Zustands der Atmosphäre
2. Vorhersage der Entwicklung
Die Analyse basiert auf Beobachtungen und Messungen – weltweit führen
unzählige so genannte synoptische
Stationen ein vorgeschriebenes Messprogramm für die Meteorologie durch.
Zu vorgegebenen Zeiten speisen sie
ihre Information ins Global Telecommunication System (GTS) – ein globales Datennetz, auf das alle nationalen
Wetterdienste zugreifen können. In
Abbildung 1 ist die Analyse der
MeteoSchweiz für den europäischen
Raum wiedergegeben, wobei jede der
kleinen Zahlengruppen die Meldung
1
Das gilt, streng genommen, natürlich
auch für die kürzeren Prognosezeiträume,
da die globalen Prozesse die lokalen bestimmen.
20
einer synoptischen Station darstellt.
Diese Zahlen enthalten neben meteorologischen Stationsdaten auch ausgeklügelte Parameter, die bestimmte
Tendenzen der Atmosphäre beschreiben. Natürlich ist es eine gewaltige
Aufgabe, all diese Informationen
gleichzeitig zu verarbeiten. Deshalb
nehmen die Meteorologen seit einigen
Jahrzehnten vermehrt die numerische
Wetterprognose, also die Unterstützung durch Computer, zu Hilfe. Die
Computer gestützten Wettermodelle
überziehen die Erde (globale Modelle)
oder die interessierende Region mit
einem Modellgitter (Abb. 2) und lösen
auf jedem der Gitterpunkte fundamentale physikalische Erhaltungsgleichungen (Erhaltung der Energie, des Impulses und der Masse).
Damit sind Wetterprognosemodelle
zumindest theoretisch korrekt – allerdings ergeben sich durch die räumliche
Auflösung (Abstand der Gitterpunkte)
und durch die Anfangsbedingungen
(die Analyse) erhebliche Unsicherheiten. Globale Wettermodelle haben
heute eine horizontale Auflösung von
ca. 25 km, während regionale Modelle
ca. 10 km Auflösung aufweisen2. Die
Schweizer Alpen jedoch sind komplex.
Das (regionale) Modell der MeteoSchweiz ist daher immer etwas höher
aufgelöst als der weltweite Durchschnitt – gegenwärtig sind es 7 km, ab
Januar 2008 werden es 2,2 km sein. Die
numerische Wetterprognose allein
kann auch mit den besten Computern
die Prognostiker nicht ersetzen. Aber
sie trägt dazu bei, die Arbeit der
Prognostiker zu optimieren und ihre
Erfahrung bestmöglich auszunutzen.
Das Stichwort «Man Machine Mix»
beschreibt wohl am besten das gegenwärtig optimale Zusammenspiel der
verschiedenen Möglichkeiten in der
Wetterprognose.
3 Die Atmosphäre –
ein chaotisches System
Wie bereits erwähnt, ist die Analyse
(Bestimmung des gegenwärtigen Zustands der Atmosphäre) eine wichtige
Grundlage für die Wetterprognose. Bis
vor wenigen Jahrzehnten galt das Paradigma: «Die Atmosphäre ist unter
idealen Bedingungen (also bei optimal
bekanntem Anfangszustand) über ei-
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Abb. 1. Beispiel der synoptischen Analyse der MeteoSchweiz für den 9.
August 2007.
Abb. 2. Modelgitter eines globalen atmosphärischen Modells mit darin eingebettetem regionalen Modell (am Beispiel des
COSMO Modells der MeteoSchweiz, das
Europa abdeckt). Typischerweise hat ein
atmosphärisches Modell 40 bis 60 vertikale
Schichten, die die Troposphäre («Wetterschicht», ca. unterste 10 km der Atmosphäre) sowie den untersten Teil der darüber liegenden Stratosphäre abdecken.
nen Zeitraum von ca. 14 Tagen vorhersagbar. Danach machen die zahlreichen nicht-linearen Prozesse in der
Atmosphäre eine Vorhersage unmöglich».
Die Bahn brechenden Arbeiten von
LORENZ (1963) haben dann gezeigt,
dass kleinste Variationen in den
Anfangsbedingungen dazu führen können, dass sich die Atmosphäre völlig
unterschiedlich
entwickelt. Diese
«Sensitivität auf die Anfangsbedingungen» ist eine zentrale Eigenschaft des
so genannten deterministischen Chaos.
Eine Strategie in der numerischen
Wettervorhersage war es deshalb in
der Folge, aus der Not eine Tugend zu
machen: Neben dem konventionellen
Ziel, mit «möglichst genauen» Anfangsbedingungen eine «möglichst genaue» deterministische Vorhersage zu
erreichen3, verfolgten die Meteorolo2
3
Für ein Gebiet von 10 × 10 km Ausdehnung kann ein solches Modell also eine
Temperatur, eine Windgeschwindigkeit,
etc. voraussagen. Man kann sich vorstellen, dass dies eine drastische Limitierung
in der Präzision der Vorhersage darstellt
– insbesondere wenn Oberflächennutzung und Topographie stark variieren.
Dies wird selbstverständlich immer noch
gemacht – je nach Anwendung ist die
deterministische oder die probabilistische
Vorhersage besser.
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gen nun auch das Ziel, mehrere Vorhersagen mit leicht veränderten Anfangsbedingungen zu berechnen und
deren Ergebnisse zu analysieren. In
Abbildung 3 stellt jeder Pfeil eine einzelne Vorhersage dar. Am Anfang
(kurzfrist) liegen die Prognosen eher
nahe beisammen. Mit der Zeit beginnen sie jedoch auseinanderzudriften.
Wichtig ist festzustellen, dass die Vorhersagen nach einer gewissen Zeit
auch wieder grössere Übereinstimmung aufweisen können (nicht müssen!). So kann zum Beispiel zwischen
den meisten Modellläufen Einigkeit
darüber herrschen, dass eine Störung
in ca. fünf Tagen eintreffen wird (relativ grosses Vertrauen in die Vorhersage). Der Übergang in diese Phase kann
dagegen ungewiss und mit vergleichsweise grossen Unsicherheiten behaftet
sein.
Die Strategie, mehrere Vorhersagen
mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen zu rechnen, wird Ensemble
Vorhersage oder auch probabilistische
Vorhersage genannt. Das globale
System des Europäischen Zentrums
für Mittelfristprognose (ECMWF) berechnet täglich 50 Prognosen über 10
Tage (MOLTENI et al. 1996). Aufgrund
der enormen Computer-Ressourcen,
die für ein solches Unterfangen nötig
sind, ist die Auflösung gegenüber der
entsprechenden deterministischen Prognose reduziert. Gegenwärtig wird das
«EPS» (Ensemble Prediction System)
des ECMWF um 00 und 12 UTC gestartet und für jeweils 10 Tage in die
Zukunft gerechnet.
MeteoSchweiz beteiligt sich am Betrieb bzw. der Weiterentwicklung eines
regionalen Ensemble-Vorhersagesystems, COSMO-LEPS (MARSIGLI et al.
2005; MOLTENI et al. 2001; WALSER und
ROTACH 2006), das mit 10 km horizontaler Auflösung ein ähnliches Modellgebiet abdeckt, wie in Abbildung 2
gezeigt. Als Randfelder benutzt es das
globale System des ECMWF. Dieses
System wird nur einmal täglich (00
UTC) für jeweils 5 Tage in die Zukunft
gerechnet.
Mit Hilfe der Ensemble-Vorhersagetechnik lassen sich nicht nur bestimmte
Wetterentwicklungen prognostizieren,
sondern auch die Wahrscheinlichkeit
ihres Eintreffens, bzw. die Zuverlässigkeit der Prognose. Wenn die meisten
der 50 Modellläufe für einen bestimm-
21
ten Zeitpunkt und ein bestimmtes
Gebiet Niederschlag vorhersagen, bedeutet dies, dass sich dieses Niederschlagsereignis relativ zuverlässig vorhersagen lässt (das Vertrauen in die
Prognose ist gross). Wenn umgekehrt
ein einzelner oder nur wenige Läufe
ein solches Ereignis vorhersagen, ist
die Vorhersagbarkeit gering (das Ereignis aber trotzdem nicht unmöglich).
Abbildung 4 zeigt eine «Wahrschein-
lichkeitskarte» für den 72-StundenNiederschlag während des Unwetters
vom August 2005 (MeteoSchweiz
2006). In einem Band entlang der
Alpen zeigt die Karte eine grosse
Wahrscheinlichkeit (60–90 %) für
Niederschlagssummen grösser als
100 mm/72 h und immer noch beträchtliche Wahrscheinlichkeiten für
Niederschlagssummen grösser als
150 mm/72 h. Dies entspricht recht ge-
Abb. 3. Schematische Darstellung der prognostizierten Entwicklung des «Wetterzustandes»
als Funktion der Zeit in einem Ensemble-Vorhersagesystem. Jeder Pfeil entspricht einer
einzelnen Prognose. Wenn alle Pfeile übereinander liegen, sagen alle Modell-Läufe eine
ähnliche Entwicklung voraus – die Prognose gilt als relativ zuverlässig. Je weiter die Linien
von einander abweichen, desto grösser sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Prognosen. Die Zuverlässigkeit nimmt ab.
Abb. 4. Vorhersage der Niederschlags-Wahrscheinlichkeiten für das «August 2005 Ereignis»
mit dem COSMO-LEPS Modellsystem (MOLTENI et al. 2001; WALSER and ROTACH 2006).
Vorhersage vom 19.8.2005 12 UTC für die 72 h-Periode 20.8.2005, 0600 – 23.8.2005 0600
(aus MeteoSchweiz 2006).
22
nau den Beobachtungen. Tatsächlich
fielen örtlich sogar über 250 mm/72 h
(MeteoSchweiz 2006).
Wichtig ist zu beachten, dass eine
Prognose mit geringer PrognoseZuverlässigkeit keine schlechtere Prognose darstellt, sondern ein schwieriger vorherzusagendes Ereignis zu
prognostizieren versucht. Vor dem tatsächlichen Prognosezeitraum, d. h. vor
dem Eintreten des Ereignisses, ist auch
nicht bekannt, welche der 50 Prognosen nun tatsächlich «die Richtige» ist:
Alle Einzelprognosen sind gleich
wahrscheinlich. Und schliesslich ist die
Prognostizierbarkeit nicht überall auf
der Welt gleich einfach4.
Ensemble-Vorhersagen sind wie
oben erwähnt immer noch sehr aufwändig herzustellen, und damit ist die
enorme Computerleistung nur von
grossen Zentren zu bewältigen. Die
MeteoSchweiz benutzt die Produkte
des «Europäischen Zentrums für Mittelfristprognose» (ECMWF) sowie die
Prognosen mit dem höher aufgelösten
COSMO-LEPS System für die eigenen
Prognosen. Insbesondere wird in Bälde
ein Index für die Prognose-Zuverlässigkeit für die allgemeinen Prognosen
der MeteoSchweiz auf dem Internet
verfügbar sein. Dieser basiert dann natürlich auf solchen Ensemble-Vorhersagen.
4 Potential für Anwender
Die Anwendung meteorologischer
Prognosen im Zusammenhang mit
Umweltrisiken ist in der Regel mit
Entscheidungsprozessen verbunden.
Dabei mag es auf den ersten Blick
wenig sinnvoll erscheinen, eine Wahrscheinlichkeitsangabe («mit 80 %
Wahrscheinlichkeit werden im Gebiet
XY mehr als 120 mm in 24 h fallen»)
statt einer deterministischen Aussage
(«in den nächsten 24 h werden im Gebiet XY 120 mm Niederschlag fallen»)
zu erhalten. Tatsächlich muss bei Umweltrisiken die letztendliche Entscheidung immer eine eindeutige sein.
Trotzdem bringt die probabilistische
Prognose wertvolle Zusatzinformation:
– Während die deterministische Prognose «nur» die Vorhersage selbst
liefert, erhält man bei der Ensemble-
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–
–
–
–
Prognose auch noch eine Information über die Zuverlässigkeit der Information.
Mit Hilfe der Ensemble-Vorhersage
lassen sich schon einige Tage im Voraus potentiell gefährdete Gebiete
ausmachen und entsprechende Vorbereitungen treffen.
Für die Lagebeurteilung im Katastrophenfall ist es äusserst wichtig zu
wissen, wie genau sich die Situation
vorhersagen lässt: ist es klar, dass ein
zeitlich und örtlich recht gut eingrenzbares Ereignis bevorsteht?
Oder müssen möglicherweise noch
andere Gebiete / längere Zeiträume
in Betracht gezogen werden?
Eine Entscheidung kann auch – je
nach Art und Ort der Gefährdung –
von der prozentualen Überschreitung eines Grenzwerts abhängig
gemacht werden. So mag die Regulierung eines Seebeckens bereits
sinnvoll sein, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass der entsprechende
Grenzwert überschritten wird, 70 %
ist. Im Gegensatz dazu sollte die
Evakuierung eines ganzen Stadtteils
vielleicht erst bei 90 % Eintretenswahrscheinlichkeit angeordnet werden.
Schliesslich kann die probabilistische
Information aus der meteorologischen Vorhersage auch an die
nachgelagerten Systeme, z. B. die
hydrologische Vorhersage, weitergegeben werden. Erfahrungen mit probabilistischen Abflussvorhersagen
(z. B. VERBUNT et al. 2006; JAUN et al.
2006) sind äusserst viel versprechend. Dieses Vorgehen erlaubt, die
kombinierte Unsicherheit der verschiedenen Systeme (Atmosphäre
und Hydrosphäre, in diesem Fall),
aber auch deren Interaktion in Betracht zu ziehen. Letztendlich betrifft
die Wahrscheinlichkeitsaussage dann
direkt die den Anwender interessierende Grösse («Der Abfluss an der
Messstelle XY wird mit 80 % Wahrscheinlichkeit einen bestimmten
Schwellenwert überschreiten»).
Für den Anwender bedeutet die probabilistische Information also einen
Gewinn – aber auch eine Herausforderung. Die Ausbildung der Entscheidungsträger ist von grosser Bedeutung,
da es nicht reicht, die Zuordnung «XX
mm Niederschlag → Gefahrenstufe rot
→ Handlungsanweisung» zu kennen.
Die Interpretation der probabilistischen meteorologischen oder hydrologischen Information erfordert hohe
Prozesskenntnis, über die nur die Fachleute der entsprechenden Dienste verfügen. Entscheidungsträger müssen
also auf Fachleute zurückgreifen können, die sie in kritischen Situationen
unterstützen. Aber – und das ist wichtig im Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der entsprechenden
Warnsysteme – auch die Entscheidungsträger müssen lernen «die probabilistische Sprache zu verstehen und zu
sprechen».
Im Rahmen des internationalen Forschungsprogramms MAP D-PHASE
ist die MeteoSchweiz massgeblich an
der Entwicklung und dem Test von
Systemen beteiligt, die zum Ziel haben,
die Vielzahl an wissenschaftlichen und
technischen Informationen in die Sprache der Anwender zu übersetzen. Dies
umfasst optimale Kombinationen von
Informationen und leicht verständliche
Darstellungsformen (ROTACH and
ARPAGAUS 2006). Das Kernstück des
Projekts, das «Demonstration of
Probabilistic Hydrological and Atmospheric Simulation of Flood Events in
the Alpine Region» heisst, ist eine
Visualisierungsplattform, auf der eine
Vielzahl von deterministischen und
probabilistischen Vorhersagemodellen
zusammen mit neuesten Messinformationen aus verschiedenen europäischen
Messnetzen und weiteren NowcastingInstrumenten zusammengestellt sind.
Während der DOP (D-PHASE Operations Period) vom Juni bis November
2007 nutzen unzählige «Endbenutzer»
aus dem gesamten Alpenraum sowie
meteorologische und hydrologische
Prognostiker diese Plattform und geben ihr Feedback auf strukturierten
Formularen – eine Evaluation, die
dann mit der objektiven Modellverifikation verglichen werden kann. Auf
4
Das banale Beispiel stellt hier die Prognose «morgen wird es im Gebiet der
Sahara heiss und trocken» dar, die mit
sehr grosser Zuverlässigkeit gemacht
werden kann – aber gerade deshalb von
geringem Wert ist.
Forum für Wissen 2007
diese Art soll einerseits die objektive
Qualität der Modellvorhersagen überprüft werden, andererseits Erkenntnis
darüber gewonnen werden, inwieweit
die objektive Modellqualität allein die
Nützlichkeit in der Anwendung bestimmt. Die Weltorganisation für
Meteorologie WMO (World Meteorological Organisation) unterstützt das
Projekt als Forecast and Demonstration
Project (ROTACH et al. 2005). Erste
konkrete Resultate der Auswertungen
sind im Verlauf von 2008 zu erwarten.
5 Literatur
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4–8 December 2006 Landshut (D). 54–55.
Abstract
New developments in weather forecasting: potential and requirements for users
In this contribution recent methods and approaches in weather prediction are
presented and discussed. A particular focus is given to upgrading of products from
Numerical Weather Prediction by the forecasters. For some years the uncertainty,
which is intrinsically inherent in any forecast for a natural system, is being
quantified using so-called Ensemble Predictions. These yield besides the usual
forecast (“Tomorrow, weather element X will assume the value Y”) additional
information concerning the reliability of this prediction (“This value can be
expected with a probability of Z percent”). This new approach not only requires
adaptations in the forecast methodology on the side of the forecasters themselves.
End users as well will have to get familiar with the methodology and its potential,
and they will have to find strategies on how to include this additional information
in the context of their practical work.
Keywords: weather prediction, ensemble prediction, reliability of forecast, natural
hazards, deterministic chaos
ROTACH, M.W.; BOUTTIER, F.; BUZZI, A.;
DORNINGER, M.; FRUSTACI, G.; MYLNE,
K.; RANZI, R.; RICHARD, E.; SCHÄR, C.;
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Forecast Demonstration Project in the
framework of MAP, Proposal to Scientific
Steering Committee of World Weather
Research Programme (WWRP-SSC) of
WMO.
SCHAER, C.; VIDALE, P.; LUETHI, D.; FREI, C.;
HAEBERLI, C.; LINIGER, M.; APPENZELLER, C., 2004: The role of increasing
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Benefit of a Limited-Area Ensemble
Prediction System with Respect to flood
forecasting, Proceedings CHR Workshop
“Ensemble Prediction and uncertainties
in flood forecasting”, Bern, March 30/31
2006. 31–36.