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Marktmacher
d a s
M a g a z i n
mi t
w e i t b li c k
starten: Worüber Marktexperten per Video direkt aus dem Handelssaal berichten.
orientieren: Wer zu den Gewinnern der neuen industriellen Revolution zählt.
handeln: Wie sich ein Investment in Mittelstandsanleihen gekonnt diversifizieren lässt.
ankommen: Was Margot Käßmann über Reiche sagt. Welche Papiere Michael Opoczynski handelt.
w w w . b o e r s e - s t u t tga r t . d e
A P R I L
2019
DAS DRUCKEN IN 3D
2013
verändert die Industrieproduktion und bereichert
die Produktwelt: Die neue Technologie macht die
Fertigung flexibler und kostengünstiger. Das kann
auch für Anleger vielversprechend sein.
editorial
wird 2013 wirklich ein
Bullenjahr, oder überwiegen
am Ende doch die negativen
Auswirkungen der Euro-Krise? In jedem Fall ist es für
Privatanleger sinnvoll, sich
intensiv zu informieren, den
Schritt an den Finanzmarkt
zu wagen und das umfangreiche Spektrum an börsengehandelten Wertpapieren zu nutzen. Denn nur so
lässt sich vermeiden, dass niedrige Zinsen und inflationäre Tendenzen das Vermögen mittelfristig schmälern.
Besonders im Fokus stehen dabei momentan Aktien – nicht nur, weil sie als Sachwerte Inflationsschutz
bieten. Im Frühjahr haben die Leitindizes Höchststände
erreicht, und die Dividendensaison läuft. Es gibt also
vielfältige Gründe, sich mit Aktien zu beschäftigen und
Papiere zu finden, die zum eigenen Risikoempfinden
und Anlageziel passen – etwa langfris­tig für die Altersvorsorge oder für Ertragschancen aus Dividenden.
Dabei kann sich auch ein Blick über den Tellerrand
lohnen, zum Beispiel in die USA, Mutterland des
Shareholder-Value-Gedankens.
Ebenfalls aus Nordamerika stammt ein innovativer
Technologietrend, den wir im Schwerpunkt dieser
„Marktmacher“-Ausgabe beleuchten: Der 3D-Druck
hat das Potenzial, die Fertigung von Konsum- wie
Investitionsgütern grundlegend zu verändern. Denn
per Drucker lassen sich künftig individuelle Produkte
kostengünstig und flexibel herstellen – eine interessante Perspektive für Unternehmen, Verbraucher und
auch Investoren.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen
bei der Lektüre!
Christoph Lammersdorf
Vorsitzender der Geschäftsführung
der Börse Stuttgart
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marktmacher 01/2013
starten
4–5 ZAHLEN & FAKTEN
Jetzt bis 22 Uhr ordern – Wie viel in Währungen
gehandelt wird – Schnelle Infos aus dem Handelssaal – Attraktive Standorte für Immobilieninvestoren – Rohstoffe interessieren Privatanleger – Umfrageexperte Manfred Hübner zur
Stimmung an den Aktienmärkten.
orientieren
6–13 ZUKUNFTstrend
2019 – Industrielle Revolution in 3D
Drucken in der dritten Dimension bringt Massenproduktion und Individualisierung zusammen.
Die Fertigungsmöglichkeiten sorgen in ganzen
Volkswirtschaften für einen Wachstumsschub.
14–15 INTERVIEW
Bestsellerautor und Journalist Chris Anderson
Weshalb für den Visionär des 3D-Drucks vor
allem die Kreativität eines Unternehmens zählt.
16–17 INVESTMENTHINTERGRUND
Mögliche Ansätze für Privatanleger
Bestimmte Unternehmen, Branchen und Länder
profitieren, wenn sich die neuartige Fertigung
per Drucker durchsetzt.
handeln
18–20 Börsenstrategien
Gut durchdacht ordern
Bewährte Vorgehensweisen mit klaren
Vorgaben helfen, das Spektrum möglicher
Aktieninvestments gezielt einzugrenzen.
21 mittelstandsanleihen
Breit gestreut
Mit einem neuen Investmentfonds erhalten
Anleger erstmals einen diversifizierten Zugang
zu börsennotierten Mittelstandsanleihen.
22–23 chartanalyse
Tool für den Trend
Welche Möglichkeiten das kostenfreie
Profiwerkzeug der Börse Stuttgart für die
technische Analyse eröffnet.
Foto Cover: Platzhalter
Foto Cover:
links: Börse
Jens-Ulrich
Stuttgart
Koch/DAPD/ddp images, Christoffer Askman/Cultura/gettyimages (Montage)
Foto:li:
Foto
Platzhalter
Börse Stuttgart; Foto re.: 3D Systems
Liebe Leserin,
Lieber Leser,
inhalt
6–13
ZUKUNFTstrend
24–25 brasilien
Der Cup als Chance
Interessante Perspektive: Vor der Fußball-WM
nimmt Brasiliens Wirtschaft wieder Fahrt auf.
26–28 dividendenTITEL
Ausschüttung mit Ansage
Das Zinsniveau liegt derzeit unterhalb der Inflationsrate. Das lenkt den Blick auf dividendenstarke Aktien, die regelmäßige Erträge bieten.
ankommen
30–31 REGULIERUNG
Privatanleger zahlen doppelt
Warum der EU-Entwurf zur Finanztransaktionssteuer Fragen nach einer fairen Verteilung der
Belastungen aufwirft.
32 pro & contra
„Hauptversammlungen müssen den Dialog
stärker fördern“
Die Aktionärsschützerin Jella BennerHeinacher und Klaus-Peter Müller von der
Regierungskommission Deutscher Corporate
Governance Kodex diskutieren.
33 ESSAY
Einen Augenblick, Frau Käßmann
Weshalb der verantwortliche Umgang mit
Finanzmitteln wichtig für die Gesellschaft ist.
Eine neue Dimension
des Druckens
verändert die Welt
34 INTERVIEW
„Über Geld spricht man nicht. Oder doch,
Herr Opoczynski?“
Wie risikoaffin der Fernsehjournalist ist und
welche Anlageformen er privat favorisiert.
35 NACHGEFRAGT
Leserfrage & Impressum
Bei der Leserfrage nehmen alle eingesandten
Antworten an der Verlosung teil. Zu gewinnen
gibt es ein iPad 4.
Nicht nur Lampenschirme und Spielzeug für Konsumenten, auch Bauteile für Flugzeuge und Maschinen
entstehen mithilfe spezieller 3D-Drucker. Der Technologie
sind kaum Grenzen gesetzt – sie sorgt für Flexibilität und
geringere Kosten in der Produktion.
marktmacher 01/2013
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starten
Beliebte Beimischung
Rohstoffe haben sich als Anlageklasse auch bei privaten Investoren etabliert. Das
zeigte nicht zuletzt die Umfrage in der letzten Ausgabe von „Marktmacher“: Für
knapp drei Viertel der Leser spielen Rohstoffe eine wichtige Rolle. Ein häufig genannter Grund ist dabei die Diversifizierung des Depots. Aufgrund seiner Wertbeständigkeit und als Inflationsschutz stößt Gold nach wie vor auf besonders großes Interesse.
Doch weil sich die wirtschaftliche Lage bessert und auch die Weltkonjunktur offenbar
wieder Fahrt aufnimmt, rücken weitere Edelmetalle wie Platin, Silber und Kupfer in
den Fokus. Sie finden auch in der Industrie Verwendung – von möglichen Steigerungen bei Nachfrage und Preisen können auch Anleger profitieren.
Leserfrage: Spielen Rohstoffe
als Anlageklasse für Sie eine
wichtige Rolle?
74 %
26 %
Ja
Nein
4.000.000.000.000 Euro
Der Währungsmarkt ist gigantisch: Rund um die Uhr und weltweit handeln Marktteilnehmer pro Tag Währungen im Volumen von rund vier Billionen Euro. Der Großteil des Geschäfts läuft direkt zwischen Finanzinstituten. Aber auch
Privatanleger können an der Entwicklung bestimmter Währungen teilhaben – positiv wie negativ. So ist an der Börse Stuttgart
eine Vielzahl von Anleihen in Fremdwährung gelistet, bei denen die Wechselkurse zum Euro den Anlageerfolg beeinflussen.
Zuletzt wurden in Stuttgart beispielsweise Anleihen in den Handel eingeführt, die in indischen Rupien notieren.
@
www.boerse-stuttgart.de/
news-aus-dem-handel
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marktmacher 01/2013
VIER DEUTSCHE STÄDTE
IN DEN TOP TEN
Deutsche Großstädte sind sehr
attraktiv für europäische Immo­bi­lien­
investoren. Das belegt eine Studie
des Dienstleisters CBRE. Erstmals
befinden sich gleich vier heimische
Metropolen in den Top Ten Europas:
München (2), Berlin (3), Hamburg (7)
und Frankfurt (8). An der Spitze des
Rankings liegt London. Im Rahmen
des „Real Estate Investor Intentions
Survey“ haben professionelle Anleger benannt, welche Standorte ihrer
Meinung nach sehr lohnend sind.
Bezogen auf ganze Länder bescheinigen 35 Prozent der Befragten,
Deutschland sei 2013 der begehrteste Immobilienmarkt. Dabei sind vor
allem Büros, Logistikbauten und
Einkaufszentren gefragt.
Foto: Börse Stuttgart
MARKTNAH UND AUS ERSTER HAND
„News aus dem Handel“– der Name des audiovisuellen Angebots ist Programm.
Hier berichten Marktexperten per Video direkt aus dem Handelssaal der Börse
Stuttgart, des größten europäischen Börsenplatzes für verbriefte Derivate. In
maximal 90 Sekunden werden Trends im Handelssegment Euwax und aktuell
häufig gehandelte Produkte vorgestellt. So erhalten Trader marktnahe Informationen ungefiltert aus erster Hand – ein Novum in der deutschen Börsen­bericht­
erstat­tung. Alle Videos sind auf der Internetseite der Börse Stuttgart sowie über
Youtube und Facebook verfügbar. Das Angebot soll noch auf andere Anlageklassen ausgeweitet werden.
starten
Rund 89,2 Milliarden
Euro Umsatz weist
das Orderbuch der
Börse Stuttgart für
2012 aus. Das ist dreimal mehr als das
Volumen im E-Commerce in Deutschland
im selben Jahr.
Verbriefte Derivate, Anleihen,
Aktien, Fonds und Genussscheine – in diesen Anlageklassen kam an der Börse Stuttgart
2012 ein Handelsvolumen von
89,2 Milliarden Euro zusammen.
Zum Vergleich: Im Onlinehandel
mit Waren und Services wurden
2012 deutschlandweit nur 29,5
Milliarden Euro umgesetzt.
Fotos: li. Ersinkisacik/E+/gettyimages, re. Sentix GmbH
Bis 22 uhr handeln
Die Börse Stuttgart setzt die Ausweitung der Handelszeiten fort. Seit
März 2013 können Anleger alle Aktien, Genussscheine sowie Investmentfondsanteile und ETPs bis 22 Uhr handeln. „Privatanleger haben
jetzt zwei Stunden mehr Zeit, um auf Entwicklungen der US-Märkte
zu reagieren“, sagt Ralph Danielski, stellvertretender Vorsitzender
der Geschäftsführung der Börse Stuttgart. Und wie erste Erfahrungen zeigen, stößt das Angebot auf positive Resonanz. Flankiert
wird die Handelszeitverlängerung durch eine Ausweitung der Servicezeiten: Die aktive Limit-Überwachung und die kostenfreie Kundenhotline stehen Privatanlegern nun auch bis 22 Uhr zur Verfügung.
@
Die Handelszeiten auf einen Blick
www.boerse-stuttgart.de/handelszeitverlaengerung
Drei Fragen an …
Manfred Hübner,
Geschäftsführer
der Sentix GmbH,
die auf internetbasierte Kapitalmarktumfragen
spezialisiert ist.
1. Emotionen beeinflussen die Finanzmärkte.
Was bringen Analysen der Anlegerstimmung?
Für den einzelnen Anleger können Emotionen
problematisch sein: Ausgeprägter Optimismus
nach Kursanstiegen verleitet zu sorglosem
Handeln, große Angst nach Kursverlusten verhindert, günstige Preise zum Einstieg zu nutzen. Sie
bergen zudem die Gefahr, von der eigenen Befindlichkeit auf die des Marktes zu schließen. Deshalb
ist es wichtig, jenseits des subjektiven Empfindens die tatsächliche Stimmung am Markt zu
kennen – also den Querschnitt aller Anleger.
2. Wie ist die Lage im Frühjahr?
Die Stimmung für Aktien ist gut. Auf unserer
Skala von minus 100 bis plus 100 liegt sie aktuell
bei plus 40. Ab diesem Wert sprechen wir von
Optimismus. In den vergangenen beiden Jahren
haben wir in unseren wöchentlichen Internetumfragen unter 4.000 Anlegern nur zweimal ein
höheres Niveau ermittelt.
3. 2012 herrschte Krise, im Frühjahr sehen wir
Rekordindexstände. Was ist geschehen?
Seit Mario Draghi die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank bekräftigt hat, Anleihen der
Krisenländer im Zusammenhang mit Reformauflagen zu kaufen, bildet sich die Unsicherheit
an den Märkten zurück. Die Politik der EZB hat
die Gefahr eines Auseinanderbrechens der
Euro-Zone reduziert.
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orientieren
orientieren
Analyse: Wie 3D-Druck auf Dauer die Welt verändert S. 8 –13
Interview: Wer zu den Profiteuren zählt S. 14 –15
Strategie: Welche Schlüsse Privatanleger ziehen können S. 16–17
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marktmacher 01/2013
Gedruckte Objekte (von links oben nach rechts unten): Lampen, Architekturmodell, Steuerknüppel,
Schmuckring, Oberschenkelprothese, Helikoptermodelle, Modell einer Kreissäge, Schaltsystem mit
Zahnrädern
2019
die neue
industrielle
revolution
Fortschrittliches Drucken in der dritten
Dimension verändert die Fertigung wie
auch die Produktwelt und wird zum Wachstumstreiber ganzer Volkswirtschaften.
von nando sommerfeldt und Holger Zschäpitz*
M
illionen US-Bürger sind bereits im Bilde: Sie in­te­r­
es­sie­ren sich für „additive Fertigung“. Was hierzulande eher Wissenschaftlern, Ingenieuren oder
Technikfans ein Begriff ist, fasziniert in Übersee fast
eine ganze Nation: Drucker begnügen sich nicht
länger nur mit Papier, sondern spucken auch ganze Gegenstände
aus – etwa Schrauben, Tassen oder Flugzeugteile. Geräte, nicht
größer als ein Kühlschrank, scheinen komplette Fabriken ersetzen
zu können.
Die Rede ist nicht von einer neuen Science-Fiction-Serie. Die
TV-Zuschauer in den USA verfolgen stattdessen die allabendliche
„Tonight Show“. Talk-Legende Jay Leno führt hier regelmäßig die
neuesten Werke seines 3D-Druckers vor. Denn Leno ist nicht nur
einer der bekanntesten Entertainer des Landes, er ist auch leidenschaftlicher Sammler von Oldtimern.
Er bastelt und schraubt ständig an seinen Autos herum. Genervt von der ewigen Suche nach passenden Ersatzteilen, hat er
den 3D-Druck für sich entdeckt. Nun kommen die Kurbelwellen
Fotos (von links oben nach rechts unten): MakerBot®, Electro
Optical Systems (2x), Shapeways, Stratasys, Electro Optical
Systems, MakerBot® (2x)
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orientieren
NEUER
SCHUB
oder Stoßdämpfer aus seinem Drucker. Leno ist der
größte Fan der neuen Technologie und lässt die halbe
Nation regelmäßig daran teilhaben. Amerika wird
damit bereits im Frühstadium Zeuge einer industriellen Revolution.
Der bekannte
Ökonom Robert
Gordon hat davor
gewarnt, dass die
westliche Welt in
ein Zeitalter der
Stagnation zurückfallen könnte.
Bis zum Ende des
18. Jahrhunderts
war Wachstum
allein der Bevölkerungszunahme geschuldet.
Erst durch drei
große industrielle Revolutionen –
die Erfindung der
Dampfmaschine
und der Siegeszug der Eisenbahn, die Elektrifizierung der Welt
sowie die Einführung von Computer und Internet
– verbesserte sich
die Wirtschaftsleistung pro Kopf
deutlich. Seit
2004 verlangsamt
sich die Dynamik
merklich. Der
3D-Druck, so Experten, könnte
neue Wachs­tums­
impulse geben
und die Welt vor
einer drohenden
Stagnation bewahren.
Am 12. Februar 2013 hat auch ein anderer Amerikaner die 3D-Druck-Technologie als neuen Mega­trend
geadelt. US-Präsident Barack Obama griff das Thema
in seiner Rede zur Lage der Nation auf. „Unsere
einstigen Industrieruinen sind jetzt die Labors, in
denen mit dem 3D-Druck eine Revolution losgetreten
wird. Sie hat das Potenzial zu verändern, wie wir
produzieren“, verkündete er.
Spricht Obama noch von großen Visionen, ist die
Revolution im Kleinen schon in vollem Gange – in der
sogenannten „Maker-Bewegung“. Dahinter verbergen
sich Kreative aller Berufe: Architekten, Designer oder
Ingenieure können ihre Ideen dank 3D-Druck relativ
einfach in Produkte zum Anfassen umsetzen. Das Fertigungsprinzip ähnelt dem eines Tintenstrahldruckers: Beim 3D-Gerät trifft zwar keine Tinte auf
Papier, dafür fließen aber Sand, Mineralstaub und
Bindemittel auf die Druckfläche. Ist eine Schicht
gelegt, hebt sich der Druckkopf und füllt die nächste
Lage – bis das eingescannte Objekt dreidimensional
fertiggestellt ist (s. Infografik auf Seite 12).
Mussten die Entwickler bislang teure Fertigungskapazitäten anmieten, um die ersten Stücke
eines Produkts aufwendig herzustellen, kann nun
schnell und kostengünstig ein Prototyp gedruckt
werden. Das finanzielle Risiko ist damit verschwindend gering. „So wie heute dank PC und Internet
niemand mehr eine Druckerei benötigt, um seine
Ideen zu veröffentlichen, so ermöglicht uns die 3DDruck-Technologie mit einem Klick den Zugang zur
eigenen Fabrikhalle“, schwärmt Chris Anderson,
Technologie-Pionier und Autor des Bestsellers „The
Long Tail“, in dem er das wirtschaftliche Potenzial von
Nischenprodukten im Internetzeitalter beleuchtet.
Was Anderson die Demokratisierung des Produktionsprozesses nennt, ist im Grunde nichts anderes
als ein gewaltiges Innovationsprogramm (s. Interview
auf Seite 14). Denn praktisch jeder kann jederzeit und
überall seine Ideen in eine konkrete Form bringen.
„Wir wissen, dass in fast allen Industriezweigen 70 bis
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marktmacher 01/2013
Die Autoren sind Redakteure
der „WELT“ und „WELT am
SONNTAG“.
* 80 Prozent aller Innovationen
nicht von Herstellern kommen,
sondern letztlich von einem unzufriedenen Kunden“, erklärt Frank
Piller, Professor an der RWTH
Aachen und Mitarbeiter des Massachusetts Institute of Technology
(MIT). Anstatt das unzureichende
Angebot einfach hinzunehmen,
könnten die Verbraucher selbst
die Produktwelt aufmischen.
Zumal die Drucker künftig nicht
größer als eine Mikrowelle sein
werden und so in jeder Wohnung
eine Fabrik entstehen kann.
Schon heute greift ein Handyhersteller den Trend auf: Kunden
können anhand von Vorlagen im
Internet ihre individuelle Handyhülle gestalten und anschließend
selbst ausdrucken.
„Individualisierung und
Massenproduktion finden erstmals zusammen. Das ist ein ganz
neues gesellschaftliches Phänomen“, sagt Piller. Mit dem 3DDruck verliert die herkömmliche
Fertigung ihre Starre. Ohne große
Umbauten und logistischen
Aufwand kann die Produktions­
linie verändert werden. Individuelle Kundenwünsche lassen sich
somit unmittelbar und günstiger
als jemals zuvor umsetzen. Eine
effiziente und gleichzeitig flexible
Fertigung – der 3D-Druck vereint
das Beste aus zwei Welten.
Claudio Dalle Donne ist in
beiden Welten zu Hause – als
Chefentwickler von EADS Innovation Works. Seine For­schungs­
ergeb­nis­se sollen die Produktion
des Luft- und Raumfahrtkonzerns
effizienter und gleichzeitig die
Flugzeuge oder Satelliten besser
machen. „Additive Manufacturing,
orientieren
Am Rechner
werden digitale
Daten zu dreidimensionalen
Objekten.
Fotos: o. Wang Fang/Xinhua Press/Corbis, u. privat
wie wir den 3D-Druck nennen, ist derzeit das heißeste
Thema in der Produktionstechnik“, sagt Dalle Donne.
„Die Technologie existiert zwar bereits seit rund 15
Jahren. Doch erst jetzt beginnt sie, richtig abzuheben.“
Er muss es wissen. Die Luftfahrtindustrie ist das
Paradebeispiel für den Nutzen der Technologie:
Flugzeugbauer produzieren traditionsgemäß an vielen
Standorten und sind in besonderer Weise abhängig
von Zulieferern und deren Materialien. Komplexe
Lieferketten und steigende Rohstoffkosten stehen den
immer anspruchsvolleren Kunden gegenüber. Airlines
fordern wegen der ständig steigenden Kerosinpreise
Dr. Frank Piller,
Professor an der RWTH
Aachen und Mitarbeiter
des Massachusetts
Institute of Technology
»INDIVIDUALISIERUNG UND MASSENPRODUKTION FINDEN ZUSAMMEN.
DAS IST EIN NEUES GESELLSCHAFTLICHES PHÄNOMEN.«
sparsamere Maschinen, vor allem
aber eine pünktliche Auslieferung. Dass die Flugzeugbauer
dabei oft an ihre Grenzen stoßen,
offenbaren die jahrelangen
Verzögerungen bei jüngsten
Prestigeprojekten.
In Zukunft könnte die 3DDruck-Technologie dieses
Dilemma der Luftfahrtindustrie
lösen. Durch das neue Produktionsverfahren lassen sich Bauteile überall auf der Welt vor Ort
„ausdrucken“, was die Komplexität der Lieferkette erheblich
reduziert. Außerdem können
Ingenieure rund um die Uhr in
Labors weltweit an innovativen
Konstruktionslösungen tüfteln
und ihre digital verfügbaren
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9
orientieren
Ohnehin reduziert das Drucken die Verschwendung von Rohstoffen. Dalle Donne führt als
Beispiel eine etwa zehn Zentimeter große Titan-Verstrebung an, die in jedem Flugzeug verbaut wird.
Bislang gab es bei der Herstellung durch Fräsen aus
einem Metallblock bis zu 90 Prozent Abfall. Beim
3D-Druck hingegen wird das Titan-Teil quasi aus dem
Nichts mithilfe von Pulver erschaffen – Schicht für
Schicht. Verschnitt gibt es bei dieser additiven Fertigung kaum. „Mit der 3D-Technologie können wir die
Natur nachahmen und für jedes Teil nur so viel
Material verwenden, wie wirklich nötig ist“, macht
Chefentwickler Dalle Donne klar.
Vorbild sind die hohlen Knochen von Vögeln, die
leicht sind und dennoch vollständig ihren Zweck
erfüllen. So kann auch die besagte Titan-Strebe bei
gleicher Stabilität mit einem Hohlraum gedruckt
werden, was nicht nur Rohstoffkosten spart, sondern
auch viel Gewicht. Die „gedruckten“ Flugzeuge
könnten also in Zukunft um Tonnen leichter sein. Da
jedes Flugzeug im Schnitt 30 Jahre in Betrieb ist,
bringt jedes Kilogramm weniger der Airline eine
Ersparnis von rund 6.000 Liter Kerosin pro Flieger.
allerdings gibt es Noch einen entscheidenden
Makel. Die 3D-Drucker arbeiten nicht schnell genug,
um täglich große Stückzahlen zu fertigen. Für die
Luftfahrtindustrie ist der Faktor Zeit noch handhabbar. Für die Autoindustrie, die Schlüsselbranche der
industriellen Fertigung, müssen die Drucker deutlich
schneller werden. „Wenn die Automobilkonzerne für
ihre Massenfertigung additive Verfahren einsetzen, ist
der Durchbruch für die 3D-Drucker geschafft“, erklärt
Dalle Donne.
Bis 2019 setzen die Experten analog zu anderen
Technologien auch beim 3D-Druck auf das sogenannte Moore’sche Gesetz. Intel-Gründer Gordon
Musik oder Filme unterliegen
als künstlerische
Werke gemäß §
2 Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG)
einem besonderen Schutz. Dagegen kann man
bei 3D-Druckstücken meist
nicht von künstlerischen Werken
sprechen. Denn
beispielsweise einer Micky-MausFigur aus dem
3D-Drucker fehlt
es zu einem urheberrechtlichen
Schutz bereits an
der sogenannten
Schöpfungshöhe. In diesem Fall
würde nämlich
in freier Benutzung eines bereits vorhandenen
Werks (§ 24 Abs.
1 UrhG) ein eigenständiges neues
Stück geschaffen. Dieses ist von
dem Ursprungswerk lediglich
inspiriert, was
juristisch keine
Urheberrechtsverletzung darstellt.
Claudio Dalle Donne,
Chefentwickler von
EADS Innovation Works
»ADDITIVE MANUFACTURING, WIE WIR
DEN 3D-DRUCK NENNEN, IST DERZEIT DAS HEISSESTE THEMA IN DER
PRODUKTIONSTECHNIK.«
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marktmacher 01/2013
Moore hatte einst die Gesetzmäßigkeit erkannt, dass sich die
Leistungsfähigkeit der Chips alle
18 Monate verdoppelt. Nun
könnte dies auch für die 3D-Technologie gelten – umso mehr, als
die additive Fertigung besonders
umweltfreundlich ist, weil Transportwege vermieden und Rohstoffe gespart werden. Allein
wegen dieser Eigenschaften
dürften Konzerne und Staaten die
neue Technologie künftig konsequent vorantreiben.
Entsprechend optimistisch
fallen die Wachstumsprognosen
aus: Der US-Analyst Terry Woh­
lers, dessen jährlicher Report als
Branchen-Bibel gilt, erwartet
Steigerungsraten von knapp 20
Prozent pro Jahr. Bis 2019 wird
sich nach seiner Rechnung allein
das Volumen des DruckerMarktes auf 6,5 Milliarden USDollar verdreifachen.
Die amerikanische Denkfabrik
Atlantic Council wagt einen noch
weiteren Ausblick. Danach dürfte
die Technologie der additiven
Fertigung Produktionsströme mit
Billionen-Dollar-Volumen bewegen. Davon profitieren neben
Druckerproduzenten beispielsweise innovative Maschinenbauer,
Hersteller von Kommunikationstechnik und Softwareanbieter
– sowie deren Kunden in der
Fer­ti­gungs­indus­trie.
Der Aufstieg der 3D-DruckTechnik wird auch folgenreich für
ganze Volkswirtschaften sein.
Wenn Kosten sinken und eine
neue Flexibilität in der Fabrikhalle Einzug hält, kann es zu einem
historischen Wachstumsschub
kommen.
Foto: EADS
URHEBERSCHUTZ
Forschungsresultate auch in physischer Form mit
ihren Kollegen teilen.
orientieren
zahlen & Fakten
extrem günstige produktion
Herstellungskosten einer Badeente in Euro
Kosten pro Einheit
Methode 1: 7.734 Euro für die Form,
15,50 Euro für Material pro Ente.
773,00
Links
zum Thema:
77,30
15,50
Methode 2: 15,50 Euro pro
3D-Druck für Zeit und Material.
7,70
1
100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 Einheit
Quelle: Chris Anderson
90
Minuten
So schnell entsteht heute beim US-amerikanischen
Schuhproduzenten Timberland mit Hilfe von 3DDruckern ein neuer Prototyp. Die Kosten: 35 US-Dollar. Noch 2002 haben Modellbauer dafür eine Woche
benötigt und 1.200 US-Dollar in Rechnung gestellt.
Fotos: o. 3DSystems, u. Stratasys
@
3D-Druck hilft: Ein vier Jahre altes Mädchen kann
jetzt – trotz eines Geburtsfehlers – ihre Arme
nutzen. Forscher eines Krankenhauses in Philadelphia/USA haben eine Art Außenskelett geschaffen.
Es unterstützt das Kind, dessen Muskeln unterentwickelt sind: Das Mädchen spricht von ihren
„Zauberarmen“.
Eine Studie des
Atlantic Council
zum 3D-Druck:
http://bit.ly/oPBerz
Details zum Wohlers
Report 2012, dem
Magazin für 3D-Druck:
http://bit.ly/16GCs6B
Forschern, Ökonomen und
Staatsmännern in den westlichen
Ländern schwebt vor, die Produktion von Gütern wieder nach Hause
zu holen. Wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr
Herstellungskapazitäten in Niedriglohnländer verlegt, könnte sich
dieser Trend mit dem Durchbruch
des 3D-Druck-Verfahrens wieder
umkehren. Denn die Technologie
ermöglicht eine effiziente Fertigung, die auf individuelle Kundenwünsche eingeht. Die klassische
Massenproduktion, etwa in China,
die heute vor allem mit geringen
Arbeitskosten punktet, würde
dadurch weniger attraktiv.
Hinzu kommt: Wenn Unternehmen fertige Produkte oder einzelne
Bauteile nicht mehr von Zu­lie­fe­
rern in aller Welt beziehen, sondern selbst ausdrucken, krempelt
das globale Lieferketten radikal
um. Aufwendungen für Transport
und Logistik sowie die unvermeidlichen Wartezeiten wären dann
Geschichte.
Gewinnt die Technologie
weiter an Dynamik, muss sich auch
Talkmaster Jay Leno etwas Neues
einfallen lassen – etwa mithilfe der
Firma Voxeljet. Das Unternehmen
aus Augsburg hat den legendären
Aston Martin DB5 für den jüngsten
James-Bond-Film detailgetreu
nachgedruckt, damit der wertvolle
Originalwagen bei Stunts keinen
Schaden nimmt. Die Kopie entstand zwar nur im Maßstab 1 : 3.
Doch Millionen Kinozuschauer
haben den Unterschied nicht
bemerkt. Einen Aston Martin DB5
hat Leno noch nicht in seiner
Sammlung. Es wird also höchste
Zeit, den Druckauftrag zu erteilen.
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Infografik: Niko Wilkesmann
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orientieren
»jEDER
KANN ZUM
FABRIKANTEN
WERDEN«
Für Bestsellerautor, Journalist und Unternehmer Chris Anderson
zählt bei der Produktion von Gütern im Zeitalter des 3D-Drucks
weniger die Größe eines Unternehmens als seine Kreativität.
Herr Anderson, Barack Obama hat unlängst über den
3D-Druck philosophiert, der eine industrielle Revolution
hervorbringen könnte. Ist damit die neue Technologie in
der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Das ist vielleicht etwas zu weit gegriffen. Um von einem
Massenphänomen zu sprechen, müsste es Millionen
solcher Drucker geben. Tatsächlich sind es derzeit aber
vielleicht mehrere Zehntausend. Dennoch sorgt die neue
Technologie wegen der damit verbundenen denkbaren
Umwälzungen für Aufsehen – vom Silicon Valley bis nach
Washington.
14
marktmacher 01/2013
Worin besteht das Revolutionäre des 3D-Drucks?
Das ist in etwa so, als ob Sie den PC und das Internet
gleichzeitig einführen würden. Denn jeder kann in Zukunft
mit einem einfachen Rechner seine eigenen Produkte
herstellen.
Was ist so außergewöhnlich daran, sich einen 3D-Drucker auf den Schreibtisch zu stellen und seine eigene
Badeente auszudrucken?
Es ist nicht die Ente an sich. Es ist die Tatsache, dass
jeder ein „Maker“ werden kann, der sich mit anderen
orientieren
verbindet, um Ideen und Innovationen
auszutauschen und die Produkte dann im
Internet anzubieten. So wie durch das
Internet heute praktisch jeder sein eigener
Verleger sein kann, werden wir durch den
3D-Druck alle zu Fabrikanten.
Foto: Peter Dasilva/The New York Times/NYT/Redux/laif
Wenn jeder alles herstellen kann, wie
sollen Firmen dann Geld verdienen?
In der Tat handelt es sich um einen sehr
wettbewerbsintensiven Markt. Aber Wettbewerb ist gut. Er bringt die Technologie voran
– macht sie effizienter. Es geht auch nicht
so sehr um hohe Gewinnmargen; hohe
Stückzahlen bringen das Geld. Hier muss
ein Unternehmen immer einen Tick schneller sein, die bessere Qualität liefern oder
einen wohlklingenden Namen mitbringen.
Es ist aber nicht so, dass wenige das ganze
Geschäft machen werden, vielmehr könnten
ganz viele Firmen und auch einzelne „Maker“ profitieren. Bei der Nutzung des
3D-Drucks zählt nicht Größe, sondern
Kreativität. Es handelt sich um eine Art
Demokratisierung der Produktion.
Wer macht das Geschäft bei der von Ihnen
beschriebenen industriellen Revolution?
Unmittelbar lassen sich vor allem drei
Gruppen von Profiteuren ausmachen. Das
sind zum einen die Anbieter von 3D-Software. Denn jedes Produkt muss erst einmal
am Computer entworfen und danach in eine
für die Drucker lesbare Software übersetzt
werden. Hier wird sich langfristig eine
einheitliche Programmiersprache durchsetzen, die alle Endgeräte verstehen. Zum
anderen verdienen natürlich auch die
Hardware-Hersteller, welche die 3D-Drucker produzieren. Und nicht zuletzt existieren Plattformen im Internet, auf denen die
Ideen und Designs ausgetauscht werden
können.
Wie wird geistiges Eigentum geschützt?
Die 3D-Bewegung wirft noch mehr ju­ris­ti­
sche Fragen auf, als das bei digitalen
Werken der Fall ist. Wenn Sie einen Text,
zur
person
Chris Anderson
hat den Posten
des Chef­redak­
teurs beim
renom­mierten
Tech-Magazin
„Wired“ aufgegeben, um sich
auf seine Firma
zu konzentrieren. Sie bietet
Verbrauchern
eine Plattform,
über die sie
persönliche Aufklärungsdrohnen
bauen lassen
können. In Bestsellern wie „The
Long Tail“
und „Makers“
beschreibt der
51-jährige USAmerikaner die
Güterproduktion
der Zukunft. Er
gilt als Visionär
des 3D-Drucks,
spricht von einer
„neuen industriellen Revolution“.
Musik oder Filme erstellen, haben Sie
automatisch ein Copyright. Das ist bei
physischen Gütern anders. Hier haben die
Firmen vielleicht ihren Markennamen
geschützt, das Produkt aber nicht. Stellen
Sie sich vor, Sie haben eine Micky-MausFigur auf dem Schreibtisch stehen. Dann
reichen drei kostenlose Programme auf
Ihrem Smartphone, um diese Maus zu
kopieren und sie vielleicht mit einem
eigenen Namen zu versehen. Aber haben
Sie mit der bearbeiteten Micky Maus die
Rechte eines Unternehmens verletzt? Nicht
wirklich – zumindest existiert noch keine
entsprechende rechtliche Basis. Ich hoffe,
dass in Zukunft ein völlig neuer Markt
entstehen wird, der offene Lösungen und
Ideen unterstützt.
Werden Konzerne diesen Durchbruch nicht
vereiteln?
Nein, warum denn? Ein offenes System
muss nicht schlecht sein – es kann vielmehr großen Erfolg haben. Denken Sie an
das offene Betriebssystem Linux. Rund um
diese kostenlose Software haben sich
profitable Geschäftsmodelle etabliert. Und
trotzdem gibt es auch noch geschlossene,
kostenpflichtige Betriebssysteme. Durch
den harten Wettbewerb bringen sich beide
Modelle gegenseitig voran, zum Nutzen
aller. Das zeigt sich etwa auch bei der
Software für Mobiltelefone. Es gibt eine
Open-Source-Plattform, von der viele
Gruppen profitieren und ziemlich viel Geld
damit verdienen. Die Konkurrenz bietet ein
geschlossenes System – und verdient
ebenfalls prächtig. Der Wettbewerb ist zum
Vorteil beider. Dieses Prinzip könnte sich
beim 3D-Druck auf andere Branchen
ausweiten. Beispiel Konsumgüter: Wenn
jeder vorhandene Designs weiterentwickeln
kann, führt das zu einer ungeahnten Produktvielfalt. Gleichzeitig lassen sich auch
kleinere Stückzahlen rentabel produzieren.
Interview: Holger Zschäpitz, Nando sommerfeldt
Redakteure der „WELT“ und „WELT am SONNTAG“
marktmacher 01/2013
15
orientieren
1
TECHNOLOGIEFÜHRER
DES 3D-DRUCKS
Da es sich noch um eine junge und volatile
Branche handelt, eignen sich die Aktien reiner
3D-Druck-Unternehmen lediglich für sehr ri­si­ko­
freu­di­ge Anleger. So haben sich die Papiere der
Programmierer von entsprechender Software oder
der Druckerproduzenten in den vergangenen zwei
bis drei Jahren sehr gut entwickelt – und ihren Wert
oft mehr als verdoppelt. Die Aktien sind also keine
mögliche
ansätze für
Privatanleger
Bei wirtschaftlichen Umwälzungen lohnt
es sich, mögliche Gewinner in den
Blick zu nehmen. Bei der Fertigung mit
3D-Druck geht es um Unternehmen,
Branchen und Länder – mit spezifischen
Chancen und Risiken.
3
PRODUKTIONSSTANDORTE
IM WANDEL
Die industrielle Revolution der Gegenwart
hat globale Auswirkungen. Während der Westen im
19. Jahrhundert fast 100 Prozent der Produktion
erbrachte, ist der Anteil heute auf 50 Prozent gefallen – Massenfertigung wurde aus Kostengründen in
16
marktmacher 01/2013
Hintergrund: Der Druckkopf wandert und baut in dünnen Lagen Schicht für Schicht selbst komplexe
Objekte auf; li. u.: ausgelagerte Arbeit: Fabrikarbeiterin setzt Maschinenteile zusammen
unentdeckten Perlen mehr, in ihren Kursen steckt
bereits sehr viel Fantasie. Aktuelle Kennzahlen sind
wenig aussagekräftig. Für die Investoren steht deshalb
vor allem das künftige Wachstumspotenzial im Fokus.
Wer sich in diesem Stadium als Aktionär engagiert, tritt
gewissermaßen als Risiko- oder Wagniskapitalgeber auf.
Einige Einzelaktien von 3D-Druck-Firmen dienen auch
als Basiswert für derivative Hebelprodukte. Optionsscheine und Knock-out-Produkte erhöhen noch einmal
die Ertragschancen, aber gleichzeitig auch die Risiken
für den Anleger – bis hin zum Totalverlust des eingesetz-
ten Kapitals. Etwas weniger riskant sind die Aktien von
etablierten Technologiekonzernen, die sich im 3D-Druck
zusätzliche Geschäftsfelder erschließen. Dazu zählen
Hersteller konventioneller Drucker, aber auch führende
Softwareanbieter – sie besetzen mit ihren 3D-Produkten
bisher eine attraktive Nische bei professionellen Anwendern und könnten nun auch private Nutzer erreichen.
Neben Einzelwerten von Technologiekonzernen werden
an der Börse Stuttgart auch elf Exchange Traded Funds
(ETFs) auf Technologieindizes gehandelt, die breiter
gestreute Investments ermöglichen.
Die Produktfinder der
Börse Stuttgart:
­www.boerse-stuttgart.de/
produkt-finder
2
Sollte sich die 3D-Druck-Technologie in der
Breite durchsetzen, werden einige Branchen besonders
großen Nutzen daraus ziehen. Der 3D-Druck ermöglicht
individuelle Massenfertigung – profitieren dürften vor
allem Produktionsunternehmen, denen effiziente Individualisierung durch die additive Fertigung besondere
Vorteile bringt. Das könnten Firmen der Konsumgüteroder der Automobilindustrie sein. Für den Investitionsgüterbereich spielen verkürzte Lieferketten mit der ent-
sprechenden Zeit- und Kostenersparnis eine Rolle. Auch
der Materialeinsatz dürfte gegenüber der herkömmlichen Produktion sinken. Diese Aspekte kommen bereits
jetzt beim Einsatz des 3D-Drucks in der Medizintechnik
und der Luftfahrtindustrie zum Tragen. An der Börse
Stuttgart sind zehn ETFs mit Bezug zur Konsumgüterbranche gelistet. Die Umwälzungen im Investitionsgüterbereich lassen sich über zwölf Industrie-ETFs
berücksichtigen. Bei Einzelaktien können Anleger beispielsweise jene Unternehmen betrachten, die heute
einen Großteil ihrer Margen durch Logistikkosten verlieren und durch den 3D-Druck profitabler werden.
Billiglohnländer ausgelagert. Der 3D-Druck dürfte das
ändern: Firmen in westlichen Industrienationen könnten
individuelle Produkte wieder vor Ort herstellen, Logistikkosten sparen und die Wirtschaft ankurbeln. Potenzielle
Verlierer sind Länder, die als verlängerte Werkbänke auf
den Export billig hergestellter Produkte angewiesen
sind. Eine Verlagerung der Produktion würde ihr Wachstum schmälern. Mit aktiv gemanagten Fonds, ETFs oder
Anlagezertifikaten können Anleger auf die Reindustrialisierung der USA oder Japans setzen – und in die Industrienation Deutschland investieren. Zur Auswahl stehen
an der Börse Stuttgart rund 70 Investmentfonds mit
Anlageschwerpunkt Deutschland, die ohne Ausgabeaufschlag gehandelt werden. 29 in Stuttgart gelistete ETFs
bilden deutsche Aktienindizes ab – zum Teil auch gehebelt oder als Short-Variante.
ANWENDER IN
DER INDUSTRIE
Fotos: Hintergrundbild: Veronika Lukasova/ZUMA Press/Corbis, li. u.: Eightfish/Iconica/gettyimages
marktmacher 01/2013
17
handeln
handeln
GUT DURCHDACHT ORDERN
E
motionale Distanz zum Marktgeschehen, ein
kühler Kopf und gut begründete Entscheidungen bilden die Basis für jeden Erfolg im
Wertpapierhandel. Kurzum: Ein Anleger sollte
wissen, was er tut. Sich bestimmte Börsenstrategien anzueignen und dann nach ihnen zu handeln ist ein
Weg bei Aktieninvestments: Die Strategien dienen als
Richtschnur für Kauf- und Verkaufsentscheidungen. Sie
schützen vor impulsivem Handeln. Und sie regen dazu an,
sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen,
weil sie auf Anlage- und Risikotypen zugeschnitten sind.
Fühlt sich der Anleger mit einer Strategie nicht wohl,
kann er hinterfragen, woran das liegt – und erfährt so
mehr über sich selbst. Damit sind Börsenstrategien auch
ein probates Mittel, um psychologische Fallstricke bei der
Aktienanlage zu erkennen.
18
marktmacher 01/2013
@
Die intelligenten
Ordertypen der Börse
Stuttgart:
www.boerse-stuttgart.de/
ordertypen
Den Klassiker unter den Börsenstrategien für Aktien hat US-In­
ves­to­ren­-Legende Warren Buffett
populär gemacht: den Value-Ansatz. Wichtigstes Kriterium für
Buffett ist ein transparentes Geschäftsmodell. Er will unmittelbar
verstehen, wie und womit ein
Unternehmen sein Geld verdient.
Kein Wunder also, dass sich sein
Aktienportfolio vorwiegend aus
Getränkeproduzenten, Versicherungen, Eisenbahnlinien und
anderen Konzernen in eher bodenständigen Branchen zusammensetzt.
Foto: Dominik Pabis/E+/gettyimages
Das Spektrum möglicher Aktieninvestments lässt sich mithilfe
ausgesuchter Börsenstrategien eingrenzen. Doch bei allen Leitlinien
gilt: Die Titel müssen auch zu den Präferenzen des Anlegers passen.
handeln
Foto: UniCredit Group
Doch diese Vorgaben genügen
noch nicht für eine Strategie:
Buffett sieht sich ausschließlich die
Großen an – bekannte Marken mit
einer starken Wettbewerbsposition.
„Und, das wird gerne vergessen, mit
einem langfristig nachhaltigen
Wachstumspotenzial“, sagt Norbert
Paul, Handelsexperte an der Börse
Stuttgart. Heranzuziehen sind auch
fundamentale Kennzahlen: ValueAktien haben in der Regel ein
vergleichsweise geringes KursGewinn-Verhältnis (KGV) und zahlen
meist eine ordentliche Dividende.
Mit anderen Worten: Die Titel sind
aus Sicht des Investors an der
Börse günstig bewertet und daher
interessant.
Damit sind die Prüfkriterien
für ein Investment und das Anlagespektrum beim Value-Ansatz klar
umrissen. Die Strategie gilt insgesamt als konservativ, und gerade in
turbulenten Börsenzeiten haben
sich Value-Aktien immer wieder als
Stabilitätsanker im Portfolio erwiesen. „Dafür stehen schnelle Kursgewinne, verglichen mit anderen
Konzepten, weniger im Fokus, und
die Strategie ist eher langfristig
angelegt“, sagt Paul.
Garantien gibt es allerdings
auch beim Value-Ansatz nicht:
Energieunternehmen zum Beispiel
gelten eigentlich als klassische
Value-Investments, doch in jüngster
Zeit machte deutschen Betreibern
von Atomkraftwerken die Energiewende zu schaffen. Und das spiegelte sich im Kursverlauf ihrer
Aktien. „Eine der wichtigsten
Fragen vor jeder Anlageentscheidung ist deshalb, wo das Potenzial
für negative Überraschungen liegen
könnte“, erklärt Aktienanalyst
Stefan Röhle vom Frankfurter
Analysehaus Independent Research.
NUR FÜR
PROFIS
Eine gute
Börsenstrategie
zeichnet sich
durch klare
Kriterien aus.
Bei manchen
Ansätzen aber
ist es schwer,
Kauf- oder
Verkaufssignale
zu definieren
– für Privatanleger sind sie
deshalb mit
größter Vorsicht
zu genießen.
Beispiel Turn­
around: Ob ein
Unternehmen in
der Krise wieder
auf die Erfolgsspur kommt
und vor allem
wann die Börse
beginnt, das zu
honorieren, ist
äußerst schwer
zu beurteilen. Im
Ergebnis greifen
Anleger hier in
der Regel in das
fallende Messer
oder verpassen
den richtigen
Zeitpunkt für den
Einstieg.
Christian Stocker,
Aktienstratege bei der
UniCredit Group in
München
Immer auf Überraschungen gefasst sein müssen
Anleger, denen ein hohes Kurspotenzial besonders
wichtig ist: Sie verfolgen eher eine Growth-Strategie. Die
Unternehmen, deren Aktien dafür infrage kommen, sind
meist junge Gesellschaften. Ihr Umsatz steigt überdurchschnittlich, und sie sind häufig in typischen Wachstumsbranchen zu finden, etwa Biotechnologie oder Internet­
industrie. Dividenden schütten sie in der Regel nicht aus,
der gesamte Gewinn wird in das weitere Wachstum
investiert. Das Schlagwort Risikostreuung bekommt hier
für Anleger eine besondere Bedeutung: Ein Biotechunternehmen beispielsweise, dessen jüngstes Medikament und
größter Hoffnungsträger die Vertriebszulassung in Europa
oder den USA nicht erhält, kann so schnell von der
Bildfläche verschwinden, wie es aufgetaucht ist.
Wer solche Risiken vermeiden, aber dennoch eine
gewisse Wachstumsfantasie in seinen Investments
berücksichtigen will, könnte sich mit einer etwas anderen
Definition von „Growth“ anfreunden, wie sie Christian
Stocker vertritt, Aktienstratege bei der UniCredit in
München: „Growth-Aktien können auch von etablierten
Unternehmen stammen, die es geschafft haben, in den
Schwellenländern Fuß zu fassen, und dort ein hohes
Wachstumspotenzial haben.“
Ob „Growth“ oder „Value“: Es stellt sich auch die
Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Ein- und
Ausstieg. Hier kann es sinnvoll sein, einige recht simple
Regeln zu beherzigen – ein Stop-Loss zu nutzen ist die
einfachste unter ihnen. Das bedeutet, ein maximales
Verlustniveau zu definieren, zum Beispiel zehn Prozent,
und zu verkaufen, wenn diese Marke unterschritten wird.
Wer dieses Vorgehen noch verfeinern möchte, kann einen
der intelligenten Ordertypen der Börse Stuttgart nutzen:
Mit der Trailing-Stop-Order wird die Verkaufsschwelle bei
steigenden Kursen automatisch nachgezogen.
In der Vergangenheit sind Anleger auch durchaus gut
damit gefahren, das Stop-Loss zu einer eigenständigen
Strategie zu erheben und ihr dann mechanisch zu folgen.
Die Vorgaben lauten, am Jahresbeginn zu investieren und
die Stop-Loss-Marke festzulegen. Der Anleger verkauft
in der Folge nur dann, wenn der festgelegte Wert
»GROWTH-UNTERNEHMEN SIND
FÜR MICH AUCH KONZERNE, DIE IN
SCHWELLENLÄNDERN HOHES
WACHSTUMSPOTENZIAL HABEN.«
marktmacher 01/2013
19
handeln
„Sell in Summer“ funktioniert langfristig
Durchschnittliche DAX-Performance
auf Monatsbasis seit 1959 (in %)
DAX-Verlauf 2012
8.000
2,0
1,40
1,0
0,89
0,18
0,0
0,52
0,79
0,64
–0,33 0,01
1,15
1,30
7.500
–0,20
7.000
6.500
–1,0
–2,0
–2,10
Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Aug. Sep. Okt. Nov. Dez.
6.000
Die Betrachtung seit 1959 zeigt:
Der Juli macht auf lange Sicht
die Verluste im Mai wett, der
September entpuppt sich als
der Minusmonat schlechthin.
Dass aber Statistik wenig als
Kurzfristindikator taugt, belegt
der Kursverlauf des DAX im
Jahr 2012: Abwärts ging es bereits von März an, und die Rallye
zwischen Mai und September
hätte man verpasst, wäre man
der Regel entsprechend erst im
Oktober wieder eingestiegen.
Quellen: Finanzen.net,
Deutsche Börse
unterschritten wird. Ist das der Fall, wartet er bis Jahresende und startet eine neue Runde. Das ist nicht sehr
unterhaltsam, kann aber erfolgreich sein.
Ebenso einfach ist der Grundsatz „Sell in Summer“. Die Idee dahinter: August und September sind
statistisch die schwächsten Monate an der Aktienbörse.
Warum also nicht rechtzeitig alles verkaufen, Urlaub
machen und im Herbst erneut einsteigen, wenn alles
überstanden ist? „In den Sommermonaten fehlen der
Börse häufig die Impulse“, erklärt Handelsexperte Paul,
„es gibt weniger Unternehmensnachrichten, viele Familien sind in den Ferien, und es wird eher Geld abgezogen
als investiert.“ Statistisch ist das belegt, aber wer diesem
Rat folgt, muss mitunter damit rechnen, eine ausgeprägte
Rallye zu verpassen. Darauf verweist auch der Frankfurter Analyst Röhle und gibt zu bedenken, „dass die Vergangenheit niemals verlässlich Prognosen für die Zukunft
erlaubt“.
Wem „Sell in Summer“ ein zu grobes Maß ist, der
sieht sich die 200-Tage-Linien seiner Aktien an – eine
Methode, an der sich viele Investoren orientieren. Bei der
200-Tage-Linie wird für jeden Tag der Mittelwert der
Schlusskurse der vergangenen 200 Handelstage berechnet, anschließend werden die einzelnen Durchschnittskurse miteinander verbunden. Anhand der Linie beobachtet der Anleger also den gleitenden Durchschnitt der
vergangenen 200 Tage und wartet auf eine Trendwende.
Beginnt die Linie zu fallen und notiert der Kurs aktuell
darunter, wird verkauft. Setzt der Durchschnitt hingegen
20
marktmacher 01/2013
ZUERST
TESTEN
Wer ohne Risiko
testen möchte,
welche Strategie
zu ihm passt,
kann sich auf
der Internetseite der Börse
Stuttgart anmelden und dort
verschiedene
Musterportfolios
mit den jeweils
ausgewählten
Werten zusammenstellen.
Dann heißt
es abwarten:
Verläuft der Test
für eine Strategie im Sinne des
Anlegers, lässt
sich das schon
ausprobierte
Vorgehen mit
echtem Kapital
in die Tat umsetzen.
zu einem Höhenflug an und der
aktuelle Kurs liegt darüber, dann
wird gekauft. „Das funktioniert
recht gut“, meint der Münchner
Aktienexperte Stocker, „allerdings
erfordert diese Regel viel Flexibilität vom Anleger – er muss min­des­
tens wöchentlich die 200-TageLinien seiner Titel prüfen.“
Eine eigenständige Aktienauswahl, wie sie Value- und GrowthAnsatz dem Investor abverlangen,
übernimmt bei rein regelgebundenen Strategien der Markt selbst.
„Top-Flop“ ist eine dieser Strategien, und auch sie ist im Kern ganz
einfach: Der Anleger setzt im ersten
Halbjahr auf die fünf oder zehn
Verlierer des abgelaufenen Vorjahres, denn sie haben Aufholpotenzial. Dann schichtet er im Juni auf
die bisherigen Gewinner des laufenden Jahres um, denn sie haben
ein positives Momentum.
Auch dieses Vorgehen hat in der
Vergangenheit schon zu guten
Ergebnissen geführt. „Wer eine
solche regelbasierte Strategie
verfolgt, muss sie allerdings sehr
strikt anwenden und darf sich nicht
von der aktuellen Nachrichtenlage
verunsichern lassen“, sagt UniCredit-Analyst Stocker.
Aber die eine groSSe Wahrheit gibt es leider nicht: Letztlich
kommt es immer darauf an, dass
sich der Investor mit seiner Strategie wohlfühlt. „Eine Flop-Strategie
passt nicht zu mir, wenn ich mit
solchen Werten im Depot nicht
mehr ruhig schlafen kann“, sagt
Handelsexperte Norbert Paul.
„Dann sollte ich besser eine TopTop-Strategie mit Umschichtungen
in die jeweiligen Gewinner des
Halbjahres fahren – oder es gleich
mit einem ganz anderen Ansatz
versuchen.“ CARSTEN MICHAEL
handeln
BREIT GESTREUT
Erstmals können Anleger per Investmentfonds ein aktiv
verwaltetes Portfolio aus börsennotierten Mittelstandsanleihen
erwerben. So erhalten sie einen diversifizierten Marktzugang.
I
n Zeiten niedriger Zinsen sind neue Ideen
für Investments gefragt. Eine Möglichkeit sind börsengehandelte Anleihen
mittelständischer Unternehmen. Diese
festverzinslichen Papiere bieten höhere
Rendite­chancen als etwa ein Sparbuch oder
Bundes­anlei­hen – allerdings auch bei höheren
Risiken. Mittlerweile sind rund 70 Mittelstandsanleihen mit einem Volumen von über
3,5 Milliarden Euro in speziellen Handelssegmenten an deutschen Börsen gelistet – 25
davon in Stuttgart, wo vor zweieinhalb Jahren
der Startschuss für das Segment Bondm fiel.
Seit Anfang April gibt es an der Börse
Stuttgart einen neuen Zugang zu Mittelstandsanleihen: Erstmals ist dort ein Investmentfonds gelistet, der ausschließlich an deutschen
Börsen gehandelte Mittelstandsanleihen in
seinem Portfolio hat. „Anleger können mit dem
Fonds über ein einziges Investment breit
gestreut und gezielt auf die Anlageklasse
Mittelstandsanleihen setzen“, sagt Christopher
Schütz, Leiter der Primary Market Group der
Börse Stuttgart. Fondsgesellschaft ist die
BayernInvest Kapitalanlagegesellschaft.
Foto: Börse Stuttgart
Der neue Investmentfonds richtet sich
insbesondere an erfahrene Anleger, die statt
»ANLEGER KÖNNEN NUN PER
FONDS BREIT GeSTREUT
IN MITTELSTANDSANLEIHEN
INVESTIEREN.«
Christopher Schütz, Leiter der Primary Market Group
der Börse Stuttgart
bondM
Kennzahlen des Fonds
•Name: BayernInvest Deutsche Mittelstands anleihen UCITS ETF
Das Handelssegment für
Anleihen mittelständischer
Unternehmen
an der Börse
Stuttgart besteht
seit Mai 2010.
Die Emittenten
der Anleihen
verpflichten sich
zu fortlaufender
Transparenz und
Publizität über
die Regelungen
des normalen
Freiverkehrs
hinaus. Anleger
können direkt an
der Zeichnung
der Anleihen
partizipieren.
Zudem sorgt die
Börse Stuttgart
mit ihren Handelsexperten für
einen liquiden
Sekundärmarkt.
•WKN: A1T6LL
•Ausgabeaufschlag: maximal 2 %
(einmalig, entfällt bei Orderaufgabe über
die Börse Stuttgart)
•Portfoliowährung: Euro
•Ertragsverwendung: Ausschüttung
• Verwaltungsgebühr: maximal 1,50 % p. a.
•Fondsgesellschaft: BayernInvest Kapital anlagegesellschaft mbH, München
auf Einzeltitel auf Diversifizierung und professionelle Fondsmanager bauen. Diese stellen
das Fondsportfolio zusammen und berücksichtigen dabei eine Reihe festgelegter Kriterien. Beispielsweise muss die Emission ein
adäquates Mindestvolumen aufweisen. Zudem
muss ein extern beauftragtes Mindestrating
vorliegen. Auch Obergrenzen für das Gewicht
einzelner Emittenten, Branchen und Ratingklassen im Gesamtportfolio sind festgelegt,
um eine breite Streuung sicherzustellen.
Mit Blick auf die Werte im Portfolio sagt
Dr. Oliver Schlick, Geschäftsführer und Chief
Investment Officer bei der BayernInvest: „Unser
Fonds investiert nur in Papiere, die in einem
speziellen Handelssegment für Mittelstands­
anleihen an einer deutschen Börse gelistet
sind. Dies stellt sicher, dass die Anleihe­
emittenten den erhöhten Transparenz- und
Publizitätspflichten nachkommen, die für diese
Segmente vorgeschrieben sind.“ Zudem hat das
Fondsmanagement die Möglichkeit, die Investments kontinuierlich an die aktuelle Marktsituation anzupassen, etwa bei Ratingveränderungen oder Neuemissionen. GIAN HESSAMI
marktmacher 01/2013
21
handeln
Tool für
den Trend
Für professionelle Chartanalyse haben Privatanleger
jetzt das passende Werkzeug: Die Börse Stuttgart
stellt kostenfrei vielfältige Funktionen bereit.
A
ls Begründer der technischen Analyse von
Wertpapieren hätte der US-Amerikaner
Charles Dow vor 130 Jahren seine Freude
an diesem virtuellen Werkzeugkasten
gehabt: Das kostenfreie Online-Chart-Tool
der Börse Stuttgart eröffnet Privatanlegern jetzt
vielfältige Möglichkeiten. Aus Sicht von Richard Ditt­
rich, Leiter der Kundenbetreuung der Börse Stuttgart,
entspricht der Funktionsumfang dem von Profi-Tools
– allerdings sind diese meist kostenpflichtig: „Um
unser Werkzeug zu nutzen, müssen sich Anleger
lediglich auf der Internetseite der Börse Stuttgart
anmelden.“
Danach steht ihnen die ganze Welt der technischen
Analyse offen: Alle in Stuttgart handelbaren Wertpapiertypen sowie Rohstoffe und Währungen lassen sich
untersuchen, bis zu vier Benchmark-Vergleiche in
einem Chart hinzuschalten. Intraday-Daten auf Minutenbasis sind rückwirkend für bis zu zehn Tage, Daten
auf Tagesbasis sogar für die letzten zehn Jahre verfügbar. „Hat ein Anleger auf der Website der Börse Stutt­
gart ein Musterportfolio oder eine Watchlist angelegt,
so sind alle enthaltenen Wertpapiere automatisch auch
im Chart-Tool aufrufbar“, sagt Dittrich. Das ermögliche
eine effiziente Analyse.
Benutzerfreundlichkeit zählT: Anwender
können Lieblingsfunktionen und Charteinstellungen in
ihrem Profil speichern. Mit der Maus lässt sich ein
bestimmter Abschnitt im Chart für eine eingehendere
Betrachtung aufziehen. Wer möchte, kann seine
Analyse auch mit zusätzlichen Texten anreichern. Zwei
Klicks im Menü-Feld „Zeichenelemente“, und die
Anwendung erkennt Formationen wie Flaggen,
22
marktmacher 01/2013
1
Chartanalyse
Welche Bedeutung hat technische Analyse
in der Praxis?
Dieser Frage
gingen David
Smith, Chris­
tophe Faugère
und Ying Wang
von der State
University of
New York nach.
Sie konsultierten
eine Datenbank,
die rund 10.000
von Profis verwaltete Vermögen erfasst.
Das Ergebnis:
Seit 1993 haben
Fonds, die auch
auf technische
Analyse achten,
besser abgeschnitten als
solche, die dieses Verfahren
ignorieren.
@
Das Chart-Tool der
Börse Stuttgart:
www.boerse-stuttgart.de/
chart-analyse
3
Dreiecke oder Kanäle sowie
Candlestick-Formationen.
Dank der verwendeten PushTechnologie aktualisieren sich die
Preise in Echtzeit, auch bei Währungen und Rohstoffen. Ebenso
lassen sich News zum betrachteten Wert ein- oder ausblenden.
Zudem können Charts ausgedruckt oder per Mail versandt
werden – etwa an Fans von
Charles Dow.
JAN MÜNSTER
handeln
Ausgesuchte Funktionen auf einen Blick
MENÜ-LEISTE Das Chart-Tool erschließt sich schnell durch Ausprobieren.
Dazu tragen Anwender zum Beispiel links oben im Feld „Quick Search“ den
Namen eines Unternehmens oder eine WKN ein, wählen daneben den Wertpapiertyp „Aktie“ und klicken auf „OK“. Im neuen Fenster wählen sie den Börsenplatz und klicken wieder auf „OK“. Für den angezeigten Verlauf bestimmen
Anwender jetzt noch Zeitraum und Charttyp – dann kann die Analyse beginnen.
1
OHLC-INFO Bei allen Charts
erscheint für jedes Zeitintervall ein
Info-Kasten, wenn der Anwender mit
dem Cursor dem Kursverlauf folgt.
Der Kasten zeigt entweder das Datum
mit dem jeweiligen Close-Kurs oder
zusätzlich die Open-, High- und
Low-Kurse. So kennt der Anwender
sofort den Eröffnungs-, Höchst-,
Tiefst- und Schlusskurs sowie die
Handelsspanne. Eine weitere Information erhält er, wenn er eine farbige
Darstellung wählt: Grün steht für
steigende, Rot für fallende Kurse.
2
4
2
THREE WHITE SOLDIERS Anwender können sich
automatisch positive oder negative CandlestickFormationen anzeigen lassen. Unter „Patterns“ ist
zum Beispiel die stark positive Formation „Three
White Soldiers“, kurz TWS, auswählbar. Dabei
folgen drei weiße, gleich aussehende Kerzen
aufeinander. Diese Formation signalisiert, dass ein
Abwärtstrend beendet ist. Die Bullen gewinnen
gegenüber den Bären an Boden – und siegen
schließlich.
Chart: Börse Stuttgart
4
GLEITENDER DURCHSCHNITT
Unter „Indikatoren“ kann der
Anwender aus einer Fülle von
Alternativen auswählen. Erklärungen liefert jeweils ein Klick auf
das Kästchen rechts neben dem
Indikator. Die Linie im Screenshot
zeigt als Beispiel den durchschnittlichen Kurs über die letzten
50 Tage. Durch die Glättung der
Kursbewegung sind Trends leichter ablesbar. Das Kreuzen des
Kurses mit dem gleitenden Durchschnitt von unten nach oben kann
als Kaufsignal bewertet werden –
und umgekehrt.
3
5
ECHTZEIT-PUSH Das Analyse-Tool zeigt die
Kurse eines Wertpapiers sekundengenau an. Sie
fließen automatisch in den animierten Chart ein.
Die letzte Kerze wird also stets aktuell gehalten.
Abzulesen sind die Kurse und ihre Veränderung
– absolut wie auch relativ – ebenso in der Leiste
über dem Schaubild. Für aktive Privatanleger ist
der Echtzeit-Push ein großer Vorteil gegenüber der
ansonsten notwendigen Aktualisierung durch den
Anwender selbst.
5
marktmacher 01/2013
23
handeln
der cup
als Chance
Im Vorfeld der Fußball-WM kommt die
brasilianische Wirtschaft wieder in
Schwung. Anleger haben vielfältige
Möglichkeiten, an dieser Dynamik
teilzuhaben.
Die Aussichten kennt Oliver Döhne, Repräsentant von
Germany Trade & Invest, der Gesellschaft für Außenwirtschaft der Bundesregierung, in São Paulo: „2013 könnte
die brasilianische Wirtschaft wieder um vier Prozent
wachsen.“ Auch für die Folgejahre seien die Aussichten
gut, so Döhne: „Brasilien wird zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen.“ Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet dies sogar schon 2014. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt, liegen nur noch die
USA, China, Japan und Deutschland vor Brasilien. „Schon
aufgrund der Größe seines Binnenmarkts mit 198 Millionen Einwohnern, seines Rohstoffreichtums, seiner
Stabilität und seiner politischen Bedeutung wird Brasilien
stark wachsen“, prognostiziert der Experte.
Bereits seit Herbst 2012 geht es wieder aufwärts mit
der Konjunktur. Vor allem die Industrie fasst laut Döhne
zusehends Vertrauen und verstärkt ihre Investitionen. Für
24
marktmacher 01/2013
Brasiliens
Werte
An der Börse
Stuttgart können Anleger
Wertpapiere mit
Brasilienbezug
auswählen: Das
Spektrum reicht
von Zertifikaten
und Hebelprodukten auf
brasilianische
Aktien über
ETFs auf die
Aktienindizes
Bovespa und
MSCI Brasil bis
hin zu Fremdwährungsanleihen in der
brasilianischen
Währung Real.
@
Die Produktfinder der
Börse Stuttgart:
­www.boerse-stuttgart.de/
produkt-finder
Bereiche, in die besonders viel
staatliches Geld fließt, erwartet die
brasilianische Entwicklungsbank
BNDES ein Wachstum von 20 bis 25
Prozent. Das betrifft beispielsweise
die Öl- und Gasförderung, die
Energieerzeugung und die urbane
Infrastruktur.
Allein für die WM steckt Brasilien 30 Milliarden Dollar in Flughäfen, Stadien, Hotels, Nahverkehr
und Stadtentwicklung. Das ist auch
notwendig: Die überlastete Infrastruktur ist derzeit die größte
Wachstumsbremse des Landes.
Für ein gutes Investitionsund Konsumklima sorgt dagegen
die Notenbank. Sie hat die Inflation
erfolgreich bekämpft und konnte
den Leitzins sukzessiv senken. Vor
allem frisst die Inflation die Löhne
nicht mehr auf. Dies hat maßgeblich
zum Entstehen einer wohlhabenden
Mittelschicht beigetragen. „Die
neue Mittelklasse vereint fast 100
Millionen Menschen und erfüllt sich
lange gehegte Konsumwünsche“,
so Döhne. Auch wenn gleichzeitig
Foto: John W. Banagan/Photographer‘s Choice/gettyimages
I
m Sommer 2014 dreht sich in Brasilien bei der Fußballweltmeisterschaft alles um das runde Leder. Die
dortige Nationalmannschaft Seleção rechnet sich gute
Chancen aus, das Finale am 13. Juli 2014 im legendären Estádio do Maracanã in Rio de Janeiro zu
erreichen. Ob die Kicker am Ende tatsächlich triumphieren werden, bleibt abzuwarten. Aber ganz gewiss lenkt
die Fußball-WM den Blick nicht nur auf einen sportlichen,
sondern auch auf einen ökonomischen Riesen. Nach
einer kleinen Wachstumsdelle im letzten Jahr nimmt Brasiliens Wirtschaft wieder Fahrt auf.
Vorfreude
auf die WM:
Graffiti in Rio
de Janeiro.
handeln
den brasilianischen Aktienindex Bovespa darunter. Der
Leitindex der Börse in São Paulo repräsentiert 70 Prozent
der Marktkapitalisierung des Landes und enthält 66
Aktien. Am stärksten vertreten sind die Sektoren Rohstoffe, Energie und Banken. Ein unkompliziertes und
gleichzeitig breit gestreutes Investment ermöglichen
ETFs: Sie bilden den Bovespa ab, aber auch den MSCI
Brasil, der etwas breiter aufgestellt ist und 81 Aktien
umfasst. Am stärksten gewichtet ist hier die Finanzbranche, gefolgt vom Rohstoff- und Energiesektor.
nach wie vor Teile der Bevölkerung
in Armut leben: Insgesamt präsentiert sich Brasilien als stabiles und
wirtschaftlich starkes Land.
Auch Investments in brasilianische Aktien lassen sich
an der Börse Stuttgart tätigen – allerdings mit einem
Umweg über New York. Denn ein Direktkauf ist für Privatanleger in Deutschland nicht möglich. Deshalb erwerben die Anleger sogenannte American Deposit Receipts,
kurz ADRs. Diese Papiere verkörpern eine bestimmte
Zahl hinterlegter Aktien eines Nicht-US-Unternehmens,
die dadurch weltweit handelbar werden. Dazu Roland
Hirschmüller, der den Handel mit Auslandsaktien an der
Börse Stuttgart leitet: „ADRs werden an der New Yorker
Börse in US-Dollar gehandelt und ausgehend von diesem
Referenzmarkt an der Börse Stuttgart in Euro. Damit ist
der Markt für ADRs hochliquide.“
Aus diesem Ablauf folgt auch: Anleger sollten den
Wechselkurs des Euro zum Dollar beachten. Zu den
umsatzstärksten Brasilien-ADRs an der Börse Stuttgart
gehören laut Hirschmüller „die großen Rohstoffwerte, die
auch eine hohe Marktkapitalisierung aufweisen“.
JAN MÜNSTER
Oliver Döhne,
Repräsentant von
Germany Trade &
Invest in São Paulo
Wer als Anleger auf Brasilien
setzen möchte, kann in Aktien,
börsengehandelte Indexfonds
(ETFs) und verbriefte Derivate
investieren. Rund 750 strukturierte
Produkte mit Brasilien-Bezug
werden an der Börse Stuttgart
gehandelt. Neben Anlagezertifikaten und Hebelprodukten auf
Einzelaktien sind auch Papiere auf
»BRASILIEN STEIGT SCHON BALD
ZUR FÜNFTGRÖSSTEN VOLKSWIRTSCHAFT DER WELT AUF.«
Foto: Torsten George/Germany Trade & Invest
Entwicklung des Aktienindex Bovespa
Veränderung des Bruttoinlandprodukts1
8,0
7,5
70.000
6,0
60.000
4,0 2
2,7
50.000
2,0
1,5 2
40.000
30.000
2009
2010
Quelle: BM&F Bovespa S.A.
2011
2012
2013
4,0
0,0
–0,3
–2,0
2009
2010
2011
2012
2013
1
Reale Veränderungsrate in Prozent. 2 Prognose.
Quelle: Germany Trade & Invest
Brasiliens Wirtschaft nimmt
Fahrt auf. Seit Ende des
dritten Quartals 2012 legen
Investitionen und Konsum
wieder zu. Große Infrastrukturprojekte sorgen für
Wachstum im Land. Weil
sich auch die Aussichten für
die Weltwirtschaft aufhellen,
könnte Brasilien vor einem
anhaltenden Aufschwung
stehen. Denn es verfügt
über zahlreiche Rohstoffe,
die Boom-Länder wie China
dringend benötigen.
marktmacher 01/2013
25
handeln
AUSSCHÜTTUNg mit Ansage
Die Zinsen liegen derzeit meist unterhalb der Inflationsrate. Da bietet
sich der Blick auf dividendenstarke Aktien an – Anleger sollten
allerdings mehr beachten als nur die Höhe der Dividendenrendite.
E
in bemerkenswerter Tag war das, Anfang
Februar: Erstmals seit anderthalb Jahren
überstieg die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen mit 1,72 Prozent die aktuelle Inflationsrate. Allerdings fiel das Polster mit gerade
einmal 0,2 Prozentpunkten recht dünn aus. Aufgrund der
anhaltend niedrigen Zinsen sind Anleger auf der Suche
nach Alternativen – und nehmen dabei verstärkt Aktien in
den Blick, die verlässlich hohe Dividenden versprechen.
Das beobachtet auch Joachim Brandmaier, Herausgeber des „Stuttgarter Aktienbriefs“: „Das Interesse von
Anlegern an Dividenden ist in den vergangenen zehn
Jahren stetig gestiegen.“ Wurde die Ausschüttung früher
eher als Zubrot zur Kursentwicklung gesehen, spielt sie
heute als regelmäßiger Ertrag eine viel wichtigere Rolle.
Der wesentliche Grund: Die Dividendenwerte haben
die großen Kursrückschläge in dieser Zeit besser verkraftet als die übrigen Aktien. Das bestätigt auch Brandmaier:
26
marktmacher 01/2013
Stück für Stück:
Dividenden sind als
regelmäßige Erträge interessant.
»IN VERGANGENEN MARKTTURBULENZEN SIND DIE
KURSVERLUsTE BEI
DIVIDENDENSTARKEN
AKTIEN GERINGER
AUSGEFALLEN.«
Joachim Brandmaier,
Herausgeber des
„Stuttgarter Aktienbriefs“
Fotos: o. T-Pool/Stock4B/gettyimages, li. Börse Aktuell Verlag
Die Dividende ist tatsächlich weit mehr als eine
Beigabe. Im DAX, der als Performance-Index die Ausschüttungen berücksichtigt, sind aktuell rund 3.600 Punkte auf
Dividenden zurückzuführen. Das zeigt der Vergleich mit
dem DAX als Kursindex ohne Einbeziehung von Dividenden:
Die Performance-Variante zählte am 15. März genau 8.043
Punkte, die Kurs-Variante hingegen lediglich 4.380. In die
gleiche Richtung weist eine Rechnung der Fondsgesellschaft Fidelity: Wer vor 20 Jahren 1.000 Euro in den S&P500-Aktienindex investiert hat, erhielt Ende März 2012
ohne Dividenden 3.420 Euro zurück, inklusive wieder
angelegter Dividenden jedoch 5.100 Euro.
Doch auch im indexinternen Vergleich machen dividendenstarke Werte langfristig eine passable Figur: So ist
der DAX von Anfang 2001 bis Ende 2012 um rund 21
Prozent gestiegen, der DivDAX hingegen, die Auswahl der
15 dividendenstärksten Titel im deutschen Leitindex, legte
um 67 Prozent zu.
handeln
„Gerade in den vergangenen Marktturbulenzen, etwa 2008, hat sich
gezeigt, dass bei dividendenstarken
Aktien die Schwankungen und
Kursverluste geringer ausfielen als
im Gesamtmarkt.“ Ähnliches hat
die Fondsgesellschaft Allianz Global
Investors (AGI) mit Blick auf die
vergangenen 60 Jahre nachgewiesen: In Zeiten negativer Börsenentwicklungen konnten Dividendenwerte in den USA den Gesamtmarkt
hinter sich lassen.
Für AGI ist das keineswegs
statistischer Zufall, denn Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen
kommen häufig aus defensiveren
Branchen wie Energie, Telekommunikation oder Nahrungsmittel­indus­
trie. Allerdings ist die relative
Solidität der Dividendentitel nicht
umsonst zu haben: In positiven
Marktphasen hinkt ihre Kursentwicklung dem Gesamtmarkt häufig
hinterher. Dies zeigt ein Blick auf
den DivDAX: Seit Anfang 2009 wird
er vom DAX klar geschlagen.
Bei der Auswahl von Divi­den­
den­aktien ist die Höhe der Dividendenrendite das erste Kriterium – die
Kennzahl setzt als Momentaufnahme die jüngste gezahlte oder die
geplante Dividende ins Verhältnis
zum aktuellen Kurs der Aktie. Doch
allein auf diesen Wert sollten sich
Anleger nicht verlassen – gerade
professionelle Investoren hinterfragen ihn kritisch und sehen ihn im
Zusammenhang mit anderen
Kriterien.
So auch Roger Peeters, Vorstand beim Analysehaus Close
Brothers Seydler: Er erwartet von
Dividendentiteln „eine solide Rendite auf ausreichendem Niveau“.
Solide ist dabei entscheidend, denn
zu hoch darf der Wert nicht sein:
„Zweistellige Dividendenrenditen
Neuer
REKORD
In diesem Frühjahr schütten
die DAX-30-Konzerne nach
Berechnungen
der Commerzbank 28,4
Milliarden Euro
an ihre Aktionäre aus – mehr
als im Rekordjahr 2007. Die
Summe umfasst
85 Prozent der
von deutschen
börsennotierten
Unternehmen
gezahlten Dividenden.
deuten bei einem Unternehmen eher auf Probleme hin
denn auf Verlässlichkeit.“ Allein sage die Kennzahl wenig
aus: „Sie ergibt sich immer aus einem dynamischen
Prozess. Steigt der Kurs, sinkt die Dividendenrendite.“
Umgekehrt kann sich eine hohe Dividendenrendite
auch aus Kursverlusten ergeben. „Dann sollte man als
Anleger besonders genau hinsehen“, sagt Peter Seibold,
Leiter des Handels mit DAX-Aktien an der Börse Stutt­
gart. Zur Beurteilung der Aktie bietet sich beispielsweise
der Vergleich mit anderen Titeln aus derselben Branche
an: Eine relativ hohe Dividendenrendite kann auf eine
schlechtere Kursentwicklung als beim Wettbewerber
hindeuten. „Dann kommt es auf die persönliche Ri­si­ko­
neigung an“, erklärt Seibold. Eher defensive Anleger
wählen den Branchenwert mit der vergleichsweise hohen
Dividendenrendite, eher offensive Anleger hingegen
bevorzugen die Aktie mit dem guten Kursmomentum.
Kommt eine Aktie mit höherer Dividendenrendite in
die engere Wahl, dann lohnt ein Blick auf die Qualität des
Unternehmens, das hinter der Aktie steckt. Das bestätigt
Joachim Brandmaier: „Man sollte nicht ausschließlich
auf die Dividende schauen, sondern auch auf das Geschäftsmodell und eventuelle Risiken.“ Der erfahrene
Divi­den­den­investor rät Anlegern sogar, langfristig nur in
Unternehmen zu investieren, von denen sie auch ohne
Dividende überzeugt wären. Denn immer wieder kommt
es vor, dass Dividenden überraschend gekürzt oder ganz
gestrichen werden – auch in der laufenden Saison hat es
Top-Dividendenwerte laufen besser
S&P 500 und S&P 500 Dividend Aristocrats über fünf Jahre
Der Index S&P 500 Dividend
Aristocrats umfasst alle Werte
des S&P 500, die seit mindestens 25 Jahren in jedem Jahr
ihre Dividende angehoben
haben. In den vergangenen fünf
Jahren hat er durchschnittlich 10,54 Prozent pro Jahr
zugelegt – der S&P 500 hat es
im selben Zeitraum auf nur
4,61 Prozent gebracht. Auch
der DivDAX schlug den DAX
von 2001 bis 2007 klar, erst
von 2008 an ist er hinter den
Leitindex zurückgefallen.
Prozent
180
160
140
120
100
80
60
S&P 500
S&P 500 Dividend Aristocrats
40
20
2009
2010
2011
2012
2013
Quelle: S&P Dow Jones Indices
marktmacher 01/2013
27
handeln
Indexfonds statt Einzelaktie
Orderbuchumsätze mit Dividenden-ETFs an der Börse Stuttgart
Mio. €
16
14
12
10
8
6
4
2
0
Jan. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul.
2012
Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jan.
2013
Im Januar 2013 ist der
Orderbuchumsatz mit
Dividenden-ETFs an der
Börse Stuttgart den vierten
Monat in Folge gestiegen
und erreichte rund 16
Millionen Euro. Dabei gab
es viermal mehr Käufe als
Verkäufe. Das zeigt, dass
private Anleger verstärkt in
diese Papiere investieren,
die sich auf spezielle Indizes
aus besonders dividendenstarken Aktien beziehen.
Quelle: Börse Stuttgart
solche Fälle gegeben. „Wenn die Dividende ausfällt, ist zu
hinterfragen, woran es liegt – und ob das Geschäfts­mo­
dell des Unternehmens noch funktioniert“, sagt Seibold.
Auch kommt es immer wieder vor, dass die ausgeschüttete Dividende die Gewinnsumme übersteigt oder
gar aus einem Verlust heraus gezahlt wird. Doch eigentlich sollte die Dividende aus dem operativ erwirtschafteten Gewinn kommen. „Dann lässt sich ausschließen,
dass hier auf Kosten der Substanz gewirtschaftet wird“,
sagt Seibold. Insbesondere Dividende zahlende Verlustunternehmen sollten Anleger sich genauer ansehen.
Eine hohe Ausschüttungsquote im Verhältnis zum
Gewinn muss indes nicht negativ sein. Für die USA hat die
Fondsgesellschaft AGI folgenden Zusammenhang ermittelt: je höher die Ausschüttungsquote, desto höher das
Gewinnwachstum in den folgenden Jahren.
Die AGI-Experten erklären das so: Die im Unternehmen
verbleibenden Mittel werden auf ausgewählte, hochrentable Investitionen konzentriert. Kapitalflüsse in unprofitable Projekte unterbleiben angesichts der verknappten
Mittel. Dies führt in den meisten Fällen zu einer höheren
Rentabilität und höheren Gewinnen bei den Unternehmen.
Garantieren kann die Dividendenzahlung niemand,
doch es gibt einen recht verlässlichen Hinweis: die Kontinuität. „Regelmäßig gezahlte Dividenden erhöhen die
Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen diese Praxis
auch künftig fortsetzen wird“, sagt Brandmaier. Als
Beispiel nennt er eine kanadische Bank, die seit 1832
28
marktmacher 01/2013
Aktienfinder
Dividendenstarke Aktien
gibt es natürlich
nicht nur im
Deutschen Aktienindex DAX 30.
Für ein gut
gestreutes Depot
sollten Privatanleger auch andere Segmente
und Länder in
Betracht ziehen.
Der Aktienfinder
der Börse Stuttgart hilft dabei,
passende Titel
zu finden und
nach Kennzahlen
wie der Dividendenrendite
zu selektieren.
Clever: die
dynamische
Weltkarte mit
den Leitindizes.
@
www.boerse-stuttgart.de/
aktienfinder
ununterbrochen eine Dividende
zahlt – selbst mitten in der Finanzkrise wurde lediglich die Erhöhung
ausgesetzt.
Noch besser als regelmäßige
Zahlungen sind allerdings kontinuierliche Dividendenerhöhungen.
Dieser Aspekt ist gerade bei der
langfristigen Anlage wichtig, „denn
bei steigenden Kursen steigt zwar
die aktuelle Dividendenrendite
nicht, wohl aber die Rendite gegenüber dem Einstandskurs“, betont
Brandmaier. Dass stetig steigende
Ausschüttungen sich auch positiv
auf den Kursverlauf auswirken
können, zeigt der S&P 500 Dividend
Aristocrats aus US-Werten mit
kontinuierlichen Dividendensteigerungen (s. Seite 27: „Top-Dividendenwerte laufen besser“).
Und noch etwas macht der
Index deutlich: Wer nach Dividendenaktien sucht, sollte sich nicht zu
sehr auf heimische Titel konzentrieren. „Die Dividendenkultur mit
kontinuierlichen und wenn möglich
steigenden Ausschüttungen ist vor
allem in den USA sehr ausgeprägt“,
sagt Brandmaier.
Das Prinzip des Shareholder
Value wird dort bewusster umgesetzt als in Deutschland und Europa. Hier neigen viele Firmen dazu,
in schlechten Zeiten die Dividende
zu kürzen. Aber selbst regelmäßige
Steigerungen sind keine Garantie.
Analyst Peeters verweist auf eine
Goldmine, „deren Vorkommen
erschöpft sind – sie wird keine
Dividende mehr zahlen“, unabhängig davon, wie regelmäßig sie zuvor
ausgeschüttet hat. Für Börsen­
exper­te Seibold belegt das eines:
„Um die weitergehende Analyse
eines Unternehmens kommen
Privatanleger vor dem Investment
nicht herum.“ CARSTEN MICHAEL
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© The Royal Bank of Scotland plc. Alle Rechte vorbehalten.
ankommen
ankommen
Privatanleger
zahlen doppelt
Der EU-Entwurf zur Finanztransaktionssteuer wirft Fragen nach einer fairen
Verteilung der Belastungen auf. Denn vor
allem private Anleger und Realwirtschaft
würden von der Steuer getroffen.
F
ür EU-Kommissar Algirdas Šemeta war es, wie er
sagte, „ein großes Vergnügen“, den Entwurf der
Europäischen Union zur
Finanztransaktionssteuer Mitte
Februar in Brüssel vorzustellen. Als
Ziel gibt der Litauer vor, die Verantwortlichen der Finanzkrise für
deren Bewältigung heranzuziehen.
Er erwartet Einnahmen von bis zu
35 Milliarden Euro pro Jahr. Doch
sein Entwurf ist bei Experten auf
Widerstand gestoßen. Ein Grund:
Die Steuer belastet nicht zuletzt
Privatanleger – obwohl sie die Krise
nicht verursacht haben.
Am 1. Januar 2014 soll die neue
Steuer in Kraft treten, wenn zuvor
alle elf teilnehmenden EU-Länder,
darunter Deutschland, den Entwurf
parlamentarisch absegnen. Besteuert werden sollen Käufe und Verkäufe von Aktien und Anleihen mit
0,1 Prozent sowie von Derivaten mit
0,01 Prozent. Die Steuer greift nicht
nur, wenn ein Finanzinstitut aus den
teilnehmenden Ländern an der
30
marktmacher 01/2013
AltersVorsorge
Die geplante
Finanztransaktionssteuer
führt bei der
Altersvorsorge
zu Renditeeinbußen von bis
zu 5,5 Prozent.
Dies fand der
Münchner Kapitalmarktforscher
Professor Chris­
toph Kaserer
in einer empirischen Studie
heraus. Schuld
daran sind die
erhöhten Transaktionskosten,
die bei einer
Ansparphase von
40 Jahren bei
der Umschichtung der Portfolios entstehen.
Belgien
Frankreich
Portugal
Spanien
Transaktion beteiligt ist. Der EU-Vorschlag sieht zudem
eine Besteuerung von allen Geschäften mit Finanzprodukten vor, die in einem der teilnehmenden Staaten
ausgegeben wurden.
„Für eine verantwortungsvolle Umsetzung der Steuer
besteht noch dringender Handlungsbedarf“, sagt Dr. Chris­
toph Boschan, Vorstand der Börse Stuttgart. „Das Ziel der
Politik, die Verursacher der Finanzkrise an deren Kosten
zu beteiligen, wird mit dem aktuellen Richtlinienentwurf
der EU-Kommission nicht erreicht.“ Stattdessen zahlten
Privatanleger doppelt: „Auf der einen Seite fällt für sie die
Steuer beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren an. Auf
der anderen Seite wandert Liquidität von den Handelsplätzen im Geltungsbereich der Steuer ab. Das vergrößert
die Spreads, und die Anleger werden hierdurch zusätzlich
belastet.“ Hinzu kommt: Privatanleger entrichten Kapitalertragssteuer und bestreiten ihre Investitionen aus
bereits versteuerten Arbeitseinkommen.
Deshalb fordert Boschan, Privatanleger von der
Finanztransaktionssteuer auszunehmen. Denkbar seien
etwa erhöhte Freibeträge im Rahmen der Kapitalertrags-
ankommen
Estland
Deutschland
Slowakei
Österreich
Die Einführung der
Finanztransaktionssteuer
in allen 27 EU-Ländern ist
nach monatelangem Streit
gescheitert – vor allem an
den Briten, die Nachteile
für die Finanzmetropole
London befürchten. Übrig
geblieben sind elf Länder:
Deutschland, Frankreich,
Belgien, Estland, Griechenland, Spanien, Italien,
Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei.
Sie machen zwei Drittel der
Wirtschaftsleistung der EU
aus. Es ist aber durchaus
möglich, dass sich noch
weitere Länder anschließen werden.
Slowenien
Italien
Griechenland
@
Foto: Börse Stuttgart
Studie zur Auswirkung
der Finanztransaktionssteuer auf die
Optionsmärkte:
http://bit.ly/ZPn1WL
steuer oder die Anrechnung der Finanztransaktionssteuer
auf die Kapitalertragssteuer. Auf der anderen Seite
schlägt er vor, den unregulierten außerbörslichen Wertpapierhandel höher zu besteuern: „Das ist eine Frage der
Gerechtigkeit, denn dort liegt ein Großteil der Verantwortung für die Finanzkrise.“
Welche Folgen die neue Steuer für die Wirtschaft
haben kann, zeigt ein Blick nach Frankreich, wo bereits
im August 2012 eine Finanztransaktionssteuer eingeführt
wurde. Sie gilt nur für Aktien französischer Unternehmen
mit einer Marktkapitalisierung von über einer Milliarde
Euro. Eine jüngst veröffentlichte Studie der Börse Stutt­
gart und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
kommt zu einem klaren Ergebnis: Das Handelsvolumen
der betreffenden Aktien ist seit der Steuereinführung um
rund 25 Prozent gesunken. Dies verringert der Analyse
zufolge die Liquidität an den Märkten, was wiederum die
Eigenkapitalbeschaffung der Unternehmen erschwert
und somit die Realwirtschaft belastet.
Christian Koziol, Professor an der Eberhard Karls
Universität Tübingen, erläutert den Zusammenhang
zwischen der geplanten Steuer und der Realwirtschaft an
einem anderen Beispiel: „Industrieunternehmen nutzen
Optionskontrakte, um geschäftliche Risiken wie Währungsschwankungen zu verringern.“ Eine Verteuerung
der Transaktionen könne dazu führen, dass sie künftig
Risiken in geringerem Umfang oder gar nicht mehr
absichern, so Koziol. Die Folge: Unternehmen müssten
zusätzliche Risiken eingehen, die ohne die Finanz­trans­
aktions­steu­er nicht entstünden.
Der Gesetzentwurf aus Brüssel sorgt auch in der
Investmentbranche für Irritation. Der deutsche Fondsverband BVI, dessen Mitglieder als Investmentgesellschaften
rund zwei Billionen Euro Anlegergelder verwalten, äußert
Bedenken. „Es geht der Politik um eine neue staatliche
Einnahmequelle und um die Gunst der Wähler, die glauben, die Banken zahlten die Steuer“, sagt Thomas Richter,
Hauptgeschäftsführer des BVI. Tatsächlich aber würde es
vor allem die Kunden der Banken treffen, somit Unternehmen und Privatanleger, an die eine Finanztransaktionssteuer weitergereicht wird. Es bleibt also zu hoffen,
dass Algirdas Šemeta den Entwurf der EU-Kommission
noch einmal nachbessert.
GIAN HESSAMI
»BEI DER GEPLANTEN FINANZTRANSaKTIONSSTEUER
SOLLTE ES AUSNAHMEN FÜR PRIVATANLEGER GEBEN.«
Dr. Christoph Boschan, Vorstand der Börse Stuttgart
marktmacher 01/2013
31
ankommen
Pro & Contra:
HAUPTVERSAMMLUNGEN MÜSSEN
DEN DIALOG STÄRKER FÖRDERN
pro
Mehr Expertenmeinungen bei Börse
Stuttgart TV:
www.boerse-stuttgart.tv
32
marktmacher 01/2013
zu den
­personen
PRO
Jella BennerHeinacher ist
Vize-Hauptgeschäftsführerin
der Deutschen
Schutzvereinigung
für Wertpapierbesitz. Die 53-jährige
Rechtsanwältin ist
Aufsichtsrätin und
vertritt die
Vereinsinteressen
auf Hauptversammlungen.
CONTRA
Klaus-Peter
Müller leitet bis
Sommer 2013 die
Regierungskommission Deutscher
Corporate
Governance Kodex.
Sie hat Regeln zur
guten Unternehmensführung
erarbeitet. Der
68-Jährige ist
Vorsitzender des
Aufsichtsrats der
Commerzbank.
Contra
Allzu lange Monologe behindern den Dia­
log. Deshalb ist es auf Hauptversammlungen
so wichtig, dass die Berichte der Vorsitzenden
von Vorstand und Aufsichtsrat knapp gehalten
sind. Eine halbe Stunde muss reichen. Zudem
sollten die Redner, statt ausgiebig über die
Vergangenheit zu sprechen, die ja der Geschäftsbericht abdeckt, mehr über das laufende Jahr reden – und zudem eine dezidierte
Prognose abgeben.
Wichtig wäre auch, die Fragen der Aktionäre nicht en bloc zu beantworten. Sonst
dauert es mitunter fünf Stunden, bis eine
Nachfrage geklärt ist. Am besten wäre eine
direkte und qualifizierte Auskunft. Das dürfte angesichts des Expertenstabs hinter der
Bühne und der technischen Möglichkeiten kein
Problem sein: Der Angesprochene auf dem
Podium kann die nötigen Informationen direkt
auf seinen Bildschirm geliefert bekommen.
Auch das Informationsrecht der Aktionäre gilt es zu stärken. Allzu häufig wird auf
Hauptversammlungen kleinerer Aktiengesellschaften keine Angabe über den Kaufpreis
einer Akquisition gemacht, weil Stillschweigen
vereinbart worden sei. Das ist ungerechtfertigt.
Letztlich ist ein verbesserter Dialog im
Sinne aller. Allein schon, weil er dazu beiträgt,
die Hauptversammlungsdauer zu verkürzen.
In erster Linie ist die Hauptversammlung
(HV) ein Entscheidungsorgan. So sieht es der
Gesetzgeber und auch der Deutsche Corporate
Governance Kodex. Die Aktionäre haben unter
anderem über die Gewinnverwendung, die
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat und
die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat zu
entscheiden. Seit 2009 können sie auch über
die Billigung des Systems der Vergütung der
Vorstandsmitglieder beschließen.
Wenn die HV vor allem Entscheidungen
treffen soll, dann gilt es, die Basis dafür zu
stärken. Wichtig ist hier Transparenz, die
gerade in den letzten Jahren zugenommen hat,
wie der Umfang der Geschäftsberichte zeigt.
Für mehr Offenheit und eine bessere Entscheidungsgrundlage sorgen auch die Vorschläge
der Kodexkommission, dass jedes Unternehmen spezifische Gehaltsobergrenzen festlegt
und das Niveau der Altersversorgung definiert.
Um die Vergleichbarkeit mit anderen
Unternehmen zu verbessern, regt die Kommission an, die Informationen zur Vorstandsvergütung vorab einheitlich aufzubereiten. Das
fördert eine sachorientierte Diskussion auf
der Hauptversammlung. Dabei bieten die im
Vergleich zu anderen Ländern ausgeprägten
Auskunftsrechte für Aktionäre in Deutschland
einen angemessenen Rahmen.
Fotos: li. Felix Heyder/dpa/pa, re. Commerzbank AG
@
ankommen
einen
augenblick,
frau
kässmann
Der verantwortliche Umgang mit
Finanzmitteln ist entscheidend für
die Güte der Gesellschaft.
Foto: Daniel Reinhardt/dpa/pa
W
er investiert,
über­nimmt selbstverständlich auch
Verantwortung.
Denn Geld arbeitet
nicht einfach so. Jeder muss sich
vielmehr fragen, warum sich Kapital vermehren sollte – mithin was
die Bedingungen dafür sind.
Das gilt nicht nur für Investoren,
sondern für alle Beteiligten: Un­
ter­neh­mer, Mitarbeitende, Konsumenten. Nehmen wir das viel
diskutierte Beispiel Textildiscount:
Ware wird dort billigst angeboten, ein T-Shirt für 2,50 Euro. Für
welchen Lohn am Anfang der Kette
wird solch ein Kleidungsstück dann
eigentlich hergestellt? Hier verdient
ein Unternehmen Respekt, wenn es
die gesamte Produktionskette im
Blick hat – und wo nötig eingreift.
Und wer kauft, sollte auch „Politik
mit dem Einkaufskorb“ betreiben.
Das heißt für mich zu fragen, woher
ein Produkt kommt, und nicht dem
Rausch nach mehr zu verfallen.
Glücklich macht der ohnehin nicht.
Wenn Menschen viel Geld verdienen und in sozialen Projekten enga­
zur
­person
Margot Käßmann ist
„Bot­schaf­te­rin
für das Re­for­
ma­ti­ons­jubi­
lä­um 2017“ im
Auftrag des Rats
der Evan­ge­li­
schen Kirche
in Deutschland
(EKD). Zuvor
war sie Ratsvorsitzende
der EKD und
Landesbischöfin
der Evangelischlutherischen
Landeskirche
Hannovers. Die
promovierte
Theologin hat
zahlreiche Bücher publiziert.
Sie ist verheiratet und Mutter
von vier erwachsenen Töchtern.
giert sind, überzeugt mich das. Denken wir an Bill Gates
und Warren Buffett: Auf ihre Initiative hin haben sich
inzwischen fast hundert US-amerikanische Milliardäre
bereit erklärt, mindestens die Hälfte ihres Vermögens für
wohltätige Zwecke zu spenden.
Wenn eine gut situierte Person ihren Besitz nicht zum
einzigen Lebensinhalt macht, sondern innere Freiheit
behält, ist das richtig. Wer sich hingegen allein auf Reichtum ausrichtet, ist fehlgeleitet. Es geht darum, immer
auch den Nächsten im Blick zu haben. Die entscheidende
Frage lautet, wie ich mit meinen Talenten wuchern kann –
zugunsten der Gemeinschaft.
Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang mit
Geld – im Kleinen wie im Größeren. Die hannoversche
Landeskirche etwa hat 30.000 Mitarbeitende und einen
Haushalt von knapp einer halben Milliarde Euro. Das
zeigt: Die Kirche ist nicht welt- oder finanzfremd. Eckpfeiler sind für mich dabei Transparenz, der Blick auf das
Gemeinwohl und Partizipation. In der Kirche entscheiden
Synoden oder Kirchenvorstände, da ist Partizipation gegeben. Den Haushalt jeder Kirchengemeinde kann jedes
Gemeindemitglied einsehen, das ist Transparenz. Und das
Gemeinwohl ist bei Entscheidungen immer im Fokus –
scheint das infrage gestellt, wird offen diskutiert.
Verantwortung lässt sich natürlich auch anders
übernehmen, etwa im Rahmen einer Genossenschaft. Ihr
Prinzip, das der evangelische Bürgermeister Friedrich
Wilhelm Raiffeisen begründet hat, trägt Früchte. Jeder
kann Anteile an Genossenschaften erwerben und mitentscheiden. Das ist aktive Beteiligung an der Wirtschaft.
marktmacher 01/2013
33
Was ist Ihre persönlich bevorzugte Anlageform?
Unternehmensanleihen sind
meine Favoriten. Ich setze auf
große Unternehmen, die ich zu
kennen glaube. Generell kaufe
ich nur Finanzprodukte, von
denen ich hoffe, dass ich sie
einschätzen kann.
Was ist mit anderen Anlagen?
Na ja, zum Beispiel nutze ich
Reverse-Bonus-Zertifikate, um
meine Aktien abzusichern.
» über Geld
spricht man
nicht. oder
doch, herr
OPOCZYNSKI? «
Wofür zahlen Sie heute auch gerne einmal etwas
mehr?
Also vor allem für gute Kleidung. Ich finde, das lohnt
sich. Ein Beispiel: Ich trage Schuhe, die schon 14
Jahre alt sind, aber immer noch in Ordnung sind. Die
waren seinerzeit teuer, auf lange Sicht hat sich die
Anschaffung aber gelohnt.
Als Moderator sprechen Sie viel über Geldanlagen.
Wie risikoaffin sind Sie selbst?
Wenn ich 1.000 Euro habe, gehe ich mit 900 Euro
vorsichtig um. Mit dem verbleibenden Zehntel setze
ich auf Risiko.
34
marktmacher 01/2013
Werden Sie auch privat in Geldfragen um Rat gebeten?
Das passiert oft. Aber da bin ich
sehr zurückhaltend. Wenn ich
mich bei mir irre, dann trage ich
die Folgen. Aber bei anderen?
Da könnte ich Freunde verlieren
– und das will ich nicht!
zur
­person
Michael Opoczynski leitet die
ZDF-Hauptredaktion „Wirtschaft,
Recht, Soziales
und Umwelt“. Er
gilt als Gesicht der
Verbrauchersendung „WISO“ und
ist Herausgeber
mehrerer Ratgeber. Der 64-jährige
Politologe ist
verheiratet und hat
einen Sohn.
Nutzen Sie auch Berater?
Überhaupt nicht. Ich werde immer mal wieder in meiner Bank
angesprochen. Aber inzwischen
berate ich mich selbst, damit
fahre ich am besten.
Haben Sie sich schon mal über
ein Fehlinvestment geärgert?
Oh ja. Ich habe Aktien eines
Pharmaunternehmens gekauft,
als dieses mit einem vielversprechenden Medikament auf
den Markt kam. Mein Fehler
war ein Klassiker: Ich habe die
Anteile viel zu früh abgestoßen.
Angsthase!
interview: rudolf kahlen
Foto: Rico Rossival/ZDF
Herr Opoczynski, mit wie viel Jahren haben Sie Ihr
erstes Geld verdient?
Mit 19, nach der Schule. Da habe ich ein paar Wochen
als Verkäufer bei Neckermann auf der Frankfurter
Zeil gearbeitet. Von dem Geld habe ich bei einem
Antiquitätenhändler einen alten Sekretär gekauft. Den
habe ich heute noch! Angeblich ist er wertvoll. Das
wäre also meine erste, na ja, erfolgreiche Investition
gewesen.
Wie viel Zeit haben Sie, Ihre Investments im Blick zu halten?
Jeden Tag schaue ich mir online
mein Depot an, meist reicht dafür ein Blick. Im Höchstfall sind
es einmal zehn Minuten.
ankommen
Ihre Meinung zählt in unserer Umfrage
für die kommende Ausgabe:
Haben Sie 2013 angesichts
der positiven Entwicklung
bei Aktienindizes neues
Vertrauen in die Finanzmärkte gefasst?
Wir sind gespannt auf Ihre Antwort. Als Dankeschön verlost „Marktmacher“ unter allen Teilnehmern ein iPad 4.
Bitte nutzen Sie die eingeklebte Postkarte oder senden
Sie eine E-Mail mit Ihrer Antwort an marktmacher@
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Es handelt sich um ein Gewinnspiel der Boerse Stuttgart Holding GmbH.
­Angestellte der Boerse Stuttgart Holding GmbH sowie von deren verbundenen
Unternehmen sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist unabhängig von einem kostenlosen Abonnement. Teilnahmeschluss ist der
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nicht möglich. Der Gewinner wird postalisch oder per E-Mail benachrichtigt.
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