lesen - Herbstwind

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Kriegsgefangene trotz Verbots an den Mittagstisch geholt
Die Kriegsgefangenen in den Lagern müssen großen Hunger gelitten haben. Die Zeitzeugen
berichten durchgängig, dass die gefangenen Russen selbstgefertigte Spielzeuge aus Holz,
Holzschnitzereien, Kästchen, Körbe, Spazierstöcke, ja sogar Kuhnholz (harziges Kleinholz zum
Feueranmachen) gegen Brot und Lebensmittel getauscht haben. Viele dieser kleinen Kunstwerke
sind in der Nachkriegszeit verlorengegangen. Das eine oder andere Stück fristet noch ein
verstecktes Dasein. Dem Zeitzeugen O. B. aus Dahn ist noch in bester Erinnerung, dass die
Russen auf einem Holzteller aus Holz geschnitzte Hühner mit einem Hahn angeboten haben. Die
Tiere waren so konstruiert, dass sie die Flügel bewegten und mit dem Kopf auf dem Boden
pickten, wenn man sie an einer Kordel zog. Ähnliche Schilderungen hört man von Zeitzeugen in
allen Dörfern, in denen es russische Gefangene gab. Manche gingen übers Wochenende von
Haus zu Haus und boten an, in einem Versteck Holz zu sägen, um ein Stück Brot zu bekommen.
Dass in den Lagern Hunger herrschte, wird durch die Schilderungen vieler Zeitzeugen aus der
ganzen Region bestätigt.
Dahn. Besonders drastisch wird der Hunger der Gefangenen durch die Schilderung des
Zeitzeugen W. Sch. bezeugt. Er erinnert sich heute noch mit Schaudern daran, dass russische
Kriegsgefangene ein durch Beschuß getötetes Pferd, das auf dem Feld in Richtung Erfweiler lag,
zerteilt und das rohe Fleisch gegessen haben.
Dahn. Der Zeitzeuge O. B. berichtet, dass Jugendliche, die sich mit den russischen
Kriegsgefangenen in der Alten Schule angefreundet hatten, gegen Bezahlung ab und zu einen
Stein (Bier) für die Gefangenen geholt haben.
Dahn. Der Zeitzeuge W. B. erinnert sich, dass mit ihm eine Ukrainerin und ein Ukrainer die dritte
Volksschulklasse in Dahn besucht haben. Ihre Eltern haben auf dem Sägewerk Thomasser in
Dahn-Reichenbach gearbeitet. Ferner ist W. B. zusammen mit einem ukrainischen Junge am 16.
April 1944 in der Dahner Kirche St. Laurentius zur Erstkommunion gegangen.
Dahn. Die Zeitzeugin J.F. berichtet, dass jedermann auf der Verwaltung (Kommandantur) auf
Antrag einen Kriegsgefangenen zur Arbeit anfordern konnte. So bekam auch ihre Familie einen
Gefangenen zur Gartenarbeit zugeteilt. Der 17jährige verschüchterte Russe hat sich bei Familie J.
T. wohlgefühlt. Er wurde morgens abgeholt und abends wieder ins Lager zurückgebracht. Zum
Mittagessen wurde der Russe von J. T. an den Tisch geholt, was von den Nazis unter Strafe
verboten war. Der Gefangene war hoch gebildet und sehr arbeitsam. Er hat Selbstgebasteltes
mitgebracht, um es gegen Brot zu tauschen.
Dahn. Der Zeitzeuge N. N. berichtet über die Behandlung italienischer Kriegsgefangener in Dahn:
Im Spätherbst 1944 führte der SA-Mann J. K. italienische Gefangene - seit dem Umsturz durch
General Badoglio Badoglios genannt - von Schanzarbeiten (Panzersperrenbau, Panzergraben
ausheben) zu ihrem Quartier auf dem Gelände der ehemaligen Schuhfabrik Cronauer bzw. in den
Kinosaal Zwick zurück. Als der Trupp durch die Tannstraße an der Feldschlächterei Herder
vorbeikam, stürzten ausgehungerte Badoglios auf die Abfallgrube, um mit tierischen Abfällen
(Därmen, Innereien, Knochenresten) ihren Heißhunger zu stillen. Der SA-Mann schlug mit seinem
Knüppel brutal auf die Gefangenen ein. Er hat Gefangene blutig geschlagen. Der 17jährige
Frontsoldat M. S., der auf Heimaturlaub war, schaute dem Geschehen entsetzt zu. Er sagte zu
dem SA-Mann sinngemäß: Lassen Sie die Gefangenen in Ruhe. Ich bin auf Heimaturlaub und in
wenigen Tagen kann es mir an der Ostfront genauso ergehen, wie den Gefangenen hier. Der SAMann J. K. meldete das Einschreiten des Frontsoldaten M. S. bei der Ortsgruppenleitung.
Daraufhin wurde M. S. vorgeladen. Die Ortsgruppenleitung drohte dem Heimaturlauber Sanktionen
an. Ein mit dem Heimaturlauber bekannter SA-Mann beendete das Verfahren mit dem Satz: Laßt
doch den Soldaten in Ruhe, das ist der Katsche ihr Bub, der in den nächsten Tagen wieder an die
Ostfront kommt..
Dahn. Der Zeitzeuge T. Z. berichtet, dass die Italiener (Badoglios) erst im Spätsommer 1944
(Juli/August bis Oktober) für Schanzarbeiten nach Dahn gebracht wurden. Sie mußten
Panzergräben ausheben und Panzersperren bauen. Die Zahl der Gefangenen soll sich zwischen
1000 bis 2000 Mann bewegt haben. Die Italiener waren auf dem Gelände der Schuhfabrik
Cronauer (heute Pennymarkt), Pirmasenser Straße Nr. 62 und im Kinosaal Peter Zwick (heute
Getränkeabteilung Euromarkt), Pirmasenser Straße Nr. 58, untergebracht. In den ersten drei
Tagen bekamen die Gefangenen nichts zu essen. Bewacht wurden sie u. a. von NS-Männern aus
Dahn. Zeitzeugen berichten, dass Gefangene geschlagen und drangsaliert wurden.
Bobenthal. Die Zeitzeugin E. berichtet: Im Saal (Tanzsaal) des Gasthauses Landgasthof (ehemals
Gasthaus Kiefer) waren mehrere Kessel aufgestellt. Hier haben zwei Frauen aus Bobenthal für die
Gefangenen gekocht. Die Polen wurden von deutschen Soldaten bewacht und jeden Morgen in
Richtung Niederschlettenbach zur Arbeit geführt. Kurz bevor die Amerikaner einrückten (22. März
1945), flüchteten die Wachsoldaten mit den Polen. Die zurückgelassenen Karabiner warf die
Zeitzeugin aus Furcht vor den heranrückenden Amerikanern in die Mistgrube vor ihrem Haus und
bedeckte sie mit Stroh und alten Säcken.
Busenberg. Zeitzeugen berichten: Die Gefangenen wurden unter Bewachung morgens aus dem
Dorf zur Arbeit geführt und abends wieder ins Lager zurückgebracht. Arbeitsstellen waren u.a. das
Sägewerk Thomasser auf der Reichenbach und der Pionierpark am Dickenberg. Um ihren Hunger
zu stillen, haben Gefangene Körbe geflochten, Kinderspielzeug gefertigt und gegen Brot und
Lebensmittel getauscht. Es gab auch Tote. Diese wurden in Richtung Dahn weggebracht. Man
vermutet, dass sie im Almensäckers Wald oder am Dickenberg begraben wurden.
Busenberg. Die Zeitzeugin I. K. berichtet über ihre ukrainische Freundin: Die Ukrainerin Anna kam
verschüchtert und mit ein paar Habseligkeiten unterm Arm zu uns (Familie Laux). Anfangs war sie
sehr schweigsam. Sie war ein einfaches, aber geschicktes und arbeitsames Mädel. In kurzer Zeit
hat sie die deutsche Sprache erlernt. Im Sticken war sie eine Meisterin. Sie war nur wenige Jahre
jünger als ich, etwa 18 Jahre alt. Anna wurde bei uns als Familienmitglied aufgenommen und hat
bei mir im Schlafzimmer geschlafen. Anna war eine furchtlose Frau; sie hat bei Fliegeralarm nie
einen Luftschutzkeller oder einen Bunker aufgesucht. Ab und zu besuchte Anna ihre Landsleute
auf dem Bärenbrunnerhof, selbst gefährliche Jabo-Angriffe konnten sie davon nicht abhalten. Anna
hatte noch einen Bruder in Deutschland, der nach 1945 in Deutschland geblieben ist. Nach dem
Kriegsende wurden Anna und die anderen Ukrainer in der Dorfmitte an der Linde abgeholt. Wir
haben uns unter Tränen verabschiedet. Wohin sie gebracht wurde, weiß ich nicht. Ich habe nichts
mehr von ihr gehört.
Die Zeitzeugin berichtet von weiteren Zivilarbeitern in Busenberg: Beim Viehhändler Hermann
Keller arbeitete ein Ukrainer, beim Bauer Ferdinand Laux eine Ukrainerin namens Anna, beim
Bauer Ernst Müller eine Ukrainerin, beim Bauer Reinhard Müller ein Pole namens Stefan und beim
Bauer Johannes Wachtel ein sehr gebildeter Ukrainer, der Englisch sprach. Familie Reinhard
Müller stand mit ihrem polnischen Zivilarbeiter Stefan nach dem Krieg in regem Briefkontakt,
Pakete wurden nach Polen geschickt.
Fischbach. Die Zeitzeugin A. Sch. berichtet, dass 1944 italienische Kriegsgefangene (Badoglios)
in einer Baracke am Krottenhof in Richtung Petersbächel (Zollhäuser) untergebracht waren. Sie
waren zu Schanzarbeiten eingesetzt. Die Gefangenen mußten Hunger leiden. Die Familie der
Zeitzeugin A. Sch. gab den Kriegsgefangenen heimlich zu essen. 1945, nach der Befreiung, hat
der ehemalige italienische Kriegsgefangene Nikolaus aus Italien Obst an die Familie nach
Fischbach geschickt.
Ludwigswinkel. Der Zeitzeuge W.W. berichtet: In der Baracke befanden sich etwa 40 russische
Kriegsgefangene. Sie waren in der Gerberei Fritz Krämer, bei Waldarbeiten und als Erntehelfer
eingesetzt. Mein Vater hat die russische Kriegsgefangenen bewacht. Ab und zu hat er eine
Wildsau für sie geschossen. War durch einen Jabo-Angriff ein Pferd getötet worden, dann erlaubte
er den Russen, dieses auf einem Karren in das Lager zu schaffen. Bei Kriegsende hat sich mein
Vater mit den Gefangenen abgesetzt. Als er mit den russischen Kriegsgefangenen bei
Johanniskreuz von den Amerikanern überrollt wurde, haben ihn die Gefangenen als Russen
verkleidet und schützend in ihre Mitte genommen.
Am Müttergenesungsheim sollen einige Gefangene/Ostarbeiter begraben sein.
Dieser Artikel wurde zur Verfügung gestellt von:
Arbeitskreis Judentum im Wasgau
Otmar Weber, Schillerstraße 10b, 66994 Dahn,
Tel: 06391 – 2331
E-Mail: otmar_weber@gmx

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