Die Audi-RS-Kombis VERGLEICHSTEST Audi RS2 Avant Audi RS4
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Die Audi-RS-Kombis VERGLEICHSTEST Audi RS2 Avant Audi RS4
VERGLEICHSTEST Die Audi-RS-Kombis Audi RS4 Avant Audi RS2 Avant 18 AUTO BILD test&tuning | Nr. 9 • September 2002 EINE SCHRECKLICH SCHNELLE FAMILIE Audi RS6 Avant Der neue RS6 ist der stärkste Serien-Audi aller Zeiten. Aber bietet er die Sportlichkeit seiner Vorgänger? Ein Vergleich mit den legendären RS2 und RS4 Zuverlässig, korrekt und zuletzt sogar ein bisschen nobel – unser Bild von Audi schien Anfang der Neunziger vor Überraschungen so sicher wie eine Beamtenlaufbahn. Weit gefehlt. „Wir können auch anders!“, riefen die Ingolstädter, als sie 1993 der ungläubig staunenden Auto-Gemeinde erstmals einen RS präsentierten: den 99 600 Mark teuren RS2, mit 315 Turbo-PS so vernünftig wie das Münchener Oktoberfest. Fotos: Sven Krieger Die RS-Kombis können engen Rennern richtig eins auswischen Als wolle man allen engen, krawalligen Rennern richtig eins auswischen, kombinierten die Konstrukteure Sportwagen-Dynamik mit typischen Audi-Tugenden: Basis des RS2 war der Audi 80 Avant, ein kreuzbraver Kombi mit praktischem variablem Kofferraum. Eine bis heute gültige Philosophie: Auch der RS6 Avant protzt mit Ladeleistung wie mit Fahrleistung. Die wird wie bei den RS generell über alle vier Räder auf die Straße gebracht – Walter Röhrls quattro-Legenden lassen grüßen. Klare Botschaft: Audi fährt nicht nur für die kreuzbraven Typen. Audi verheißt Sport, Spiel, Spannung. Und sogar ein bisschen Sünde. Äußerlich musste sich der RS2Fahrer nicht zu seinem Hang zum Frivolen bekennen: Zwar deuten die Front mit den großen Kühlluftöffnungen und die 17-Zoll-Räder mit 245er-Reifen dezent auf den etwas anderen Audi hin. Doch wenige Nachbarn dürften die geheimen Laster des RS2-Besitzers erahnen, wenn der seine Kinder in die Schule oder die Kommode zum Tischler Typisch für alle RS: Sie transportieren nicht nur Leidenschaft, sondern dank Kombiheck auch Urlaubsgepäck für die Familie. Und das natürlich ziemlich schnell gebracht hat: Allradantrieb, 410 Newtonmeter Drehmoment und die 315 PS garantieren Ausschweifungen der ganz besonderen Art. Die Wandlung vom Biedermann zum Brandstifter gelang damals nur mit Hilfe eines erfahrenen Trainers: Porsche dopte Motor und Fahrwerk. Stolz prangt der Ausweis kompromissloser Sportlichkeit auf den knallroten Bremszangen oder im Emblem auf dem Kofferraumdeckel. Auch die Motorabdeckung Bitte umblättern September 2002 • Nr. 9 | AUTO BILD test&tuning 19 VERGLEICHSTEST Die Audi-RS-Kombis Audi RS2 Avant Porsche hatte die Hand im Spiel, brachte Bremse, Fahrwerk und Motor auf Trab. Zudem genehmigte das Zuffenhausener Emblem Tempo ohne Limit: Der RS2 ist der einzige Serien-Audi ohne die 250km/h-Beschränkung Fotos: Sven Krieger Audi RS4 Avant Das können wir auch: Den A4 adelt Audis quattro GmbH ohne fremde Hilfe zum RS4. Von Mai 2000 bis Juli 2001 werden 6030 Stück gebaut. Obwohl der alte A4 die Basis stellt, ist das Interieur noch wertig und die Technik – mit ESP – durchaus zeitgemäß adelt der Name. So viel Leistung aus einem 2,2-Liter-Fünfzylinder zu pressen, das gelingt nicht jedem. So entstand ein Turbo-Tier nach echter Porsche-Manier: Beim Tritt aufs Gaspedal passiert erst mal wenig. Zäh beginnt der 20-Ventiler die Drehzahlleiter emporzukrabbeln. Wo stecken hier 315 PS? Die Antwort folgt ab etwa 3500 Umdrehungen prompt. Dann brechen die Pferde aus der Koppel aus, der Audi stürmt los. Unter dem berühmten Tosen des Fünfzylinders springt die Nadel 20 AUTO BILD test&tuning | Nr. 9 • September 2002 des Drehzahlmessers auf 7000 U/min. So wütet er durch alle Stufen des Sechsganggetriebes, ohne dass der Bums nachlässt. Erst bei 262 km/h endet die Beschleunigungsorgie – das Porsche-Abzeichen garantiert Tempo ohne Grenzen. Der RS4 kann sechs Jahre später davon nur träumen. Zwar stellt er den Ur-Rabauken leistungsmäßig klar in den Schatten. Aber seine Väter gehören zu Audis quattro GmbH. Und die darf nicht vergessen, was sich gehört: maximal 250 km/h. Mit dem sagenhaften Motor wäre deutlich mehr drin: Der V6 mit 2,7 Liter Hubraum, fünf Ventilen pro Zylinder und zwei Turboladern pumpt eine Leistung zu den Rädern, die selbst hartgesottenen Sportwagen-Freaks Respekt ab- nötigt: 380 PS. Bescheidenheit ist für diesen RS kein Thema. Seine kompromisslose Karosserie hat mit der des A4 Avant nur das Dach und die vorderen Türen gemeinsam. 18-Zoll-Räder, 255er-Reifen, Seitenschweller, die mit großen Öffnungen gierig nach Luft schlürfende Frontpartie, der Heckspoiler – besonders im Farbton „Misanorot“ des Testwagens wirkt der RS auf dem Parkplatz so dezent wie Bitte umblättern VERGLEICHSTEST Die Audi-RS-Kombis ein Apachenkrieger im Bürosessel. Noch spektakulärer ist der Fortschritt unter der Motorhaube: Wo der RS ruppig zuschlägt, serviert der V6 seine schier endlosen Kraftreserven ganz gepflegt. Seidig und nur mit geringer Verzögerung öffnet der Tritt aufs Pedal ein unerschöpfliches Füllhorn an Energie. In 4,9 Sekunden hämmert der RS4 auf 100 km/h, sechs Zehntelsekunden schneller als der Vorgänger. Der V6 gibt seine Leistung so leicht und turbinenartig ab, dass immer wieder der Drehzahlbegrenzer zügelnd eingreifen muss. Red Bull verleiht Flügel. Schwer, da eins draufzulegen. Aber dem RS6 gelingt das Kunststück. Mit 450 PS wuchtet er mehr Leistung als das Topmodell der einstigen Lehrmeister, der Porsche Turbo mit 420 PS. Er wirft acht Zylinder und zwei Turbolader in den Ring, durchschlagende Argumente wie die Fäuste der Klitschko-Brüder. Der Biturbo-V8 klingt wie ein schnarchender Gorilla Aber ist das noch ein Sportwagen? Die fette A6-Basis bietet bis 1590 Liter Kofferraumvolumen, dazu die 4,2 Liter Hubraum und ein serienmäßiges Automatikgetriebe – die RS-Philosophie scheint flexibel zu sein. Nur in einer Hinsicht geht es „back to the roots“: Der neueste RS gibt sich wieder so zivil wie möglich. 18-Zoll-Felgen, 255er-Reifen, dicke Frontschürze – okay. Trotzdem versteckt der RS6 seine Muskeln fast so gut wie ein Bodyguard im schwarzen Anzug. Monströs aber der Preis: 88 600 Euro. Der Motor scheint nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen: Im Leerlauf und bei niedrigen Drehzahlen blubbert er gemütlich vor sich hin – schon eindrucksvoll, aber nicht gefährlicher klingend als ein schnarchender Gorilla. Um in zwei, drei Atemzügen an einem Lkw vorbeizusetzen, genügt ein sanfter Druck aufs Gaspedal – im normalen Straßenverkehr kennt der RS6 keine Herausforderungen. Selbst bei Vollgas wird es nur wenig unruhiger – der Gorilla träumt schlecht. 250 km/h läuft der Audi so lässig wie ein Beamter um den Schreibtisch. Ist der RS dick und müde geworden? Irrtum. Der Blick auf die Messprotokolle belegt: In nur 18,7 Sekunden jagt das Automatik-Auto von null auf 200 km/h – da kommt weder der krawallige RS4 noch der schlanke RS2 mit. Zweite Überraschung auf der Rennstrecke, wo der 1960 Kilo schwere 6er gegen den Ur-RS doch keine Chance haben kann. Der legt eine hohe Messlatte an: Seine Por- Audi RS6 Avant Der Überflieger: Biturbo-V8 mit 450 PS für schnelle Etappen auf der Autobahn. Für einen Kombi dieses Kalibers kommt auch die Sportlichkeit nicht zu kurz. Die Bremsen allerdings gingen beim Test auf der Rennstrecke in die Knie. Trotz des stolzen Preises von 88 600 Euro bis Mitte 2003 ausverkauft Weiter auf Seite 24 22 AUTO BILD test&tuning | Nr. 9 • September 2002 Fotos: Sven Krieger September 2002 • Nr. 9 | AUTO BILD test&tuning 23 VERGLEICHSTEST Die Audi-RS-Kombis Technische Daten Motor Einbaulage Ventile/Nockenwellen Turbolader Hubraum Bohrung x Hub Verdichtung kW (PS) bei U/min Nm bei U/min Literleistung Leistungsgewicht Bremsen vorn/hinten Getriebe Radstand Bereifung Reifenfabrikat Wendekreis links/rechts Tankinhalt Kofferraumvolumen Leergewicht Audi RS2 Fünfzylinder-Reihenmotor vorn längs 4 pro Zylinder/2 1 2226 cm3 81,0 x 86,4 mm 9,0:1 232 (315)/6500 410/3000 143 PS/Liter 5,2 kg/PS Scheiben/Scheiben 6-Gang 2597 mm 245/40 R 17 Y ContiSportContact 2 11,2/11,5 m 64 l 370 l 1625 kg Audi RS4 V-Sechszylinder vorn längs 5 pro Zylinder/4 2 2671 cm3 81,0 x 86,4 mm 9,0:1 280 (380)/6100 440/2500 142 PS/Liter 4,5 kg/PS Scheiben/Scheiben 6-Gang 2607 mm 255/35 ZR 18 Y Pirelli PZero 11,4/11,3 m 62 l 390 l 1700 kg Audi RS6 V-Achtzylinder vorn längs 5 pro Zylinder/4 2 4172 cm3 84,5 x 93,0 mm 9,8:1 331 (450)/5700 560/1950 108 PS/Liter 4,4 kg/PS Scheiben/Scheiben 5-Stufen-Tiptronic 2759 mm 255/40 ZR 18 Y Pirelli PZero Rosso 11,9/11,9 m 82 l 455 l 1960 kg Audi RS2 Audi RS4 Audi RS6 6,2 s 6,9/11,7 s 4,5 s 5,8/8,1 s 2,6 s (Zwischenspurt) 3,2 s (Zwischenspurt) 39,3 m 39,1 m 37,5 m 37,5 m 36,4 m 36,8 m Bereit zum Härtetest: RS4 an der Rennstrecke in Oschersleben Testwerte Elastizität 60–100 km/h 4. Gang 80–120 km/h 5./6. Gang Bremsweg 100–0 km/h kalt 100–0 km/h warm Geräusche Innengeräusch (50 km/h) Innengeräusch (100 km/h) Innengeräusch (160 km/h) Höchstgeschwindigkeit 62 dB (A) 66 dB (A) 73 dB (A) 262 km/h 57 dB (A) 65 dB (A) 72 dB (A) 250 km/h 59 dB (A) 64 dB (A) 70 dB (A) 250 km/h 99 600 Mark (1994) 129 085 Mark (2000) 88 600 Euro Neupreis Beschleunigung Abmessungen (in Millimetern) 0 – 50 km/h 2,1 s Audi RS2 520 Kofferraum: 370–1200 l 445 1385 930 630–840 610 –1125 600 935 900–9 65 620 Innenbreite v/h: 1355/1355 Breite: 1695 Radstand 2597 / Länge 4510 Audi RS4 480 1350 Kofferraum: 390–1250 l 640 480 580–820 630 –1170 930 960 Innenbreite v/h: 1475/1445 Breite: 1799 930–1 010 630 RS2 1,7 s RS4 2,0 s RS6 0 – 100 km/h RS 2 5,5 s RS2 RS 4 4,9 s RS4 RS 6 5,0 s RS6 0 – 130 km/h RS 2 RS 4 Radstand 2607 / Länge 4525 RS 6 8,9 s 7,7 s 8,0 s RS2 RS4 RS6 Audi RS6 Innenbreite v/h: 1510/1470 Breite: 1850 510 500 1389 950 720–950 Kofferraum: 455–1590 l 21,7 s RS 4 18,9 s RS 6 18,7 s 620 –1120 910 0 – 200 km/h RS 2 710 tral durch die schnellsten Kurven. Das Ergebnis: Der dicke Hund nimmt dem Urahn pro Runde fast drei Sekunden ab. Gegen den Sportwagen RS4 hat der Große aber keine Chance. Motor, Lenkung, Fahrwerk – ein perfektes Renngerät, das zudem nur wenig unkomfortabler federt als der große Bruder. Der wie entfesselt drehende V6 katapultiert den Kombi die Geraden hinunter, gnadenlos zupackende Bremsen stauchen das Tempo wieder zusammen. Leicht wischt er durch die Kurven, mit ganz milder Übersteuerungstendenz, die selbst Laien locker im Griff haben. Voller Leistungseinsatz beim Herausbeschleunigen? Kein Problem. Die RS4-Reifen beißen in den Asphalt, und es geht vorwärts, als gäbe es keine Querbeschleunigung. Keine Frage: Der wahre RS heißt RS4, ein waschechter Sportwagen, der nur aussieht wie ein Kombi. Leider gibt es schon seit letztem Jahr keine Neuen mehr – Gebrauchte gelten als Sammlerstücke. Doch ein Nachfolger ist in Sicht. Audi weiß: Die RS bringen nicht nur Spaß und Image. Auch Umsatz. Warum also wie bislang mit der RSVersion immer bis kurz vor einen Modellwechsel warten? Der RS4 auf Basis des aktuellen A4 kommt wohl schon im übernächsten Jahr. Ganz unvernünftig, mit noch mehr Leistung. Wir freuen uns schon. Detlev Hammermeister 920–9 80 620 Foto: Sven Krieger sche-Bremsen packen eisern zu, erlauben vor den Kurven Vollgas bis zum allerletzten Moment. Na gut, die Lenkung bietet nicht viel Rückmeldung. Aber willig und handlich liegt der Audi in der Hand. Toll die Fahrwerkabstimmung: Leicht lässt er das Heck raushängen – man merkt, dass dem Audi PorscheIngenieure mit diebischer Freude Beine gemacht haben. Kritisch wird der RS2 nie – der Fahrer kann mit dem Auto spielen wie auf einem Musikinstrument. Wie soll der Trumm RS6 da hinterherkommen? Ganz einfach: erstens mit der schieren Gewalt eines übermächtigen Motors und zweitens mit einem narrensicheren Fahrwerk. Natürlich geht er die Strecke schwerfälliger an, doch wie an der Schnur gezogen jagt er neu- Radstand 2759 / Länge 4833 ‡ Der gute alte RS2 schlägt sich respektabel. Er stellt ja auch mit 1625 kg das Leichtgewicht in diesem Vergleich. Dass der RS4 mit seinen 380 PS am besten geht, verwundert dagegen kaum. Seine 75 kg Mehrgewicht werden durch 66 zusätzliche Pferdestärken mehr als ausreichend nach vorn getrieben. Da überrascht eher schon, wie gut der RS6 trotz kräftezehrender Automatik mitkommt. Er schleppt gegenüber dem RS2 immerhin stolze 335 kg, gegenüber dem RS4 noch 260 kg Übergewicht mit. 24 AUTO BILD test&tuning | Nr. 9 • September 2002 Geschwindigkeiten/Rundenzeiten Messpunkt 6 Messpunkt 4 99,7 km/h 101,8 km/h 102,4 km/h 126,2 km/h 129,0 km/h 133,7 km/h Testbedingungen Streckenlänge: 3667 Meter Wetter: 21° Celsius, sonnig Aphalt: trocken Dunlop-Gerade Messpunkt 8 97,1 km/h 108,9 km/h 103,2 km/h 101,9 km/h 108,9 km/h 109,2 km/h Turn 8 Shell-Esses Turn 6 Hasseröder-U Messpunkt 3 79,8 km/h 84,6 km/h 84,5 km/h Triple McDonald’s Messpunkt 7 RS 2 RS 4 RS 6 Rundenzeiten 1:58.01 min 1:54.23 min 1:55.18 min Sachsen-Anhalt-Kurve Hotelkurve Turn 4 Messpunkt 5 Messpunkt 2 Messpunkt 1 75,7 km/h 77,9 km/h 78,0 km/h 78,5 km/h 79,3 km/h 79,0 km/h 179,3 km/h 185,0 km/h 181,2 km/h ¤ Der Motopark Oschersleben in der Nähe von Magdeburg ist das Zentrum der Tests von AUTO BILD test & tuning. In acht Kurven messen wir die erzielten Geschwindigkeiten, dazu das maximale Tempo auf der Zielgeraden sowie die Rundenzeit. An den Messpunkten 2, 3 und 5 – jeweils lang gezogene Kurven – zeigt sich Handlichkeit und Untersteuer-Tendenz der Testwagen. Das schnelle Linkseck an Messpunkt 4 deckt vor allem Instabilität beim Einlenken auf. Punkt 6 steht für Spurhaltung beim Herausbeschleunigen, Punkt 7 für Stabilität beim Richtungswechsel. Messpunkt 8 verdeutlicht unter anderem zu große Seitenneigung Messpunkt 9 74,6 km/h 79,1 km/h 78,0 km/h ‡ Wir haben uns die Augen gerieben: Der schwere RS6 stürmt schneller um den Kurs als der schlanke RS2. Sieger ist der als Kombi verkleidete Sportwagen RS4