Gesund daddeln

Transcrição

Gesund daddeln
Healthcare-Markt
Fotos: Euro RSCG ABC
Gesund daddeln
Computer- und Videospiele galten lange als gesundheitsschädliche Zeitverschwendung für männliche, jugendliche
Couchpotatoes. Dies ändert sich jetzt: Immer mehr Games
wollen einen Zusatznutzen anbieten.
„Hüte Dich vor dem metabolischen
Syndrom“, warnt das Spiel den Nutzer. Und verrät auch gleich, wie dieses
zu vermeiden wäre: Durch regelmäßiges Nutzen von ‚Wii fit‘, einem Zusatzgerät zur Spielekonsole Wii von
Nintendo. Damit kann man Yoga
betreiben, seine Balance stärken oder
seine Muskeln trainieren. Letzteres
sogar erstaunlich unspielerisch: Ein
Trainer macht die Übung vor, der
Spielende muss sie wiederholen.
Das dieser Tage auf den Markt gekommene Gerät ist Teil eines Trends:
Computer- und Videospiele sollen
nicht nur der Unterhaltung dienen,
sondern die körperliche oder geistige
Fitness und Gesundheit verbessern.
Hierzu gibt es sowohl Ansätze der
Spieleentwicklerfirmen als auch der
Konsolenhersteller.
Spiele helfen bei der Therapie
‚ReMission‘ von der amerikanischen
HopeLab Foundation beispielsweise
heißt ein Spiel, das an Krebs erkrankten Patienten helfen soll. In den USA
wurde es bereits erfolgreich bei der
12
Healthcare Marketing
6/08
Therapie von Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Der Bundesverband
Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.
führt derzeit Gespräche, ob ‚ReMission‘ oder ein ähnliches Produkt auch
auf dem deutschen Markt veröffentlicht werden kann.
„Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an
Spielen, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können, wie
zum Beispiel Glucoboy“, sagt Ruth
Lemmen, Projektmanagement und Referentin Medienkompetenz bei dem
Verband. Glucoboy, eine Erweiterung
für die tragbaren Spielekonsolen Game
Boy Advance oder Nintendo DS, unterstütze an Diabetes erkrankte Kinder
bei der Blutzuckermessung und belohne sie für konstante Blutzuckerwerte
und regelmäßiges Messen mit der Freischaltung von Minispielen. ‚Serious
Games for Health‘ nennen sich solche
Spiele, denen der Verband gemeinsam
mit ‚nordmedia – die Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen‘ dieses
Jahr eine Konferenz widmete.
Die East Carolina University belegte in
einer sechsmonatigen Studie die positiven Effekte von Games für Patienten,
die an psychischen Krankheiten litten.
Dr. Carmen Russoniello, Associate
Professor Of Recreational Therapy,
fand die Ergebnisse beeindruckend:
Sie sieht Anwendungsmöglichkeiten
auch bei stressbedingten Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes. So
reduzierten die getesteten Spiele Bejeweled 2, Peggle und Bookworm Adventures das Stresslevel um 54 Prozent
gegenüber der Vergleichsgruppe und
bewirkten einen Rückgang von Spannung, Ärger und sogar Depressionen.
Manche Konsolenhersteller
folgen dem Trend
Bei den Konsolenherstellern ist der
Trend unterschiedlich stark präsent.
Microsoft etwa hat für seine X-Box
360 lediglich eine so genannte Tanzmatte im Angebot: Dancing Stage
Universe von der Firma Konami, bei
der Spieler im Rhythmus auf verschiedene Symbole steigen müssen.
„Schätzungen zufolge verbrennt ein
Spieler dabei pro Stunde ca. 600 kcal.
In den USA gibt es zahlreiche Berichte
über Personen, die mit Hilfe dieses
Healthcare-Markt
Spiels signifikante Erfolge bei der
Gewichtsabnahme
erzielen konnten“,
sagt
Felix Petzel, Head of PR
& Communication bei Microsoft
Deutschland. Man beginne erst jetzt,
Ausschau nach neuen Zielgruppen zu
halten, weshalb es noch keine weiteren Spiele mit ähnlichen Konzepten
gibt. Da Games und Gesundheit aber
„grundsätzlich natürlich hervorragend zusammenpassen“, sieht er in
der Zukunft durchaus Neues in diesem Bereich entstehen.
Die Macher der Sony-Konsole Playstation hingegen hatten die Idee, dass
man mit Spielen seine Fitness fördern
kann, schon vor vier Jahren. Man
erfand dort das Eye Toy, das mit Sensoren ausgestattet ist. Bei den Spielen
Eye Toy Kinetic und -Kinetic Combat
hatte der Nutzer Fitness-Übungen vor
dem Bildschirm
zu absolvieren.
„Damit haben wir
gute Erfahrungen
gemacht“,
sagt
Guido Alt, Senior
PR Manager bei
Sony Computer
Entertainment, Frankfurt, „weswegen
wir beide Spiele gerade neu auflegen.
Solche Games werden aber für uns
immer nur ein Teil der Produktpalette
bleiben.“
Viel Erfolg beim Besetzen der neuen
Themen hat Nintendo mit Deutschlandsitz in Großostheim. Das Unternehmen kümmert sich sowohl um
die geistige Gesundheit – etwa mit
Dr. Kawashimas Gehirnjogging, das
gemeinsam mit dem Nachfolger mehr
als 1,5 Millionen Käufer fand und für
das laufend Anzeigen in reichweitenstarken Publikumsmedien geschaltet
werden – als auch um die körperliche Fitness, beispielsweise mit dem
erwähnten Wii fit, das in Japan seit
vergangenem Dezember fast 2 Millionen Mal verkauft
wurde und in
Deutschland bislang laut Nintendo ebenfalls sehr
gute Ergebnisse
erzielt.
Obwohl der Kon-
solenzusatz speziell darauf ausgerichtet scheint, die Fitness der Spieler zu
trainieren, ist Nintendo DeutschlandGeschäftsführer Dr. Bernd Fakesch
wichtig, dass der Spielspaß im Vordergrund stehe. Das ist erstaunlich, denn
die Übungen sind teilweise direkt aus
dem Fitness-Studio entlehnt, beispielsweise Step-Aerobic oder die Yoga-Figuren. Insofern wäre es naheliegend,
dies auch entsprechend zu kommunizieren. Dennoch sind weder Studien
geplant, die einen gesundheitlichen
Nutzen beweisen würden, noch will
man eventuelle neue Einsatzgebiete
wie den Reha-Sport oder Altenheime
vorgeben: „Wir selbst sind Experten
für Bewegungsspiele, nicht für Bewegungstherapie.“ Nur die Werbung
wird jetzt auch in ‚Erwachsenen-Medien‘ geschaltet, und das Unternehmen
war auf der ‚Messe 66‘ für Menschen
über 50 vertreten.
Wenn sich von selbst Initiativen ergeben, wird dies allerdings schon unterstützt. So fand Anfang dieses Jahres
eine Wii-Bowlingmeisterschaft in fünf
Krankenkassen nicht abgeneigt
Eine Idee, die man bei der Techniker
Krankenkasse begrüßt: „Senioren bewegen sich häufig zu wenig. Für die
sind Games, die gleichzeitig fit halten,
eine schöne Abwechslung, die auch
der Gesundheit gut tut“, sagt Sprecherin Michaela Steldrich. Hingegen sieht
sie gerade im Wii fit auch ein Risiko:
„Wenn sportliche Menschen die Konsole statt des Fitness-Studios wählen
und unsportliche Menschen sich für
das Spiel gar nicht erst entscheiden, ist
nichts gewonnen.“
Dennoch steht sie Bildschirmspielen,
die die Gesundheit fördern sollen,
grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. „Wii fit wäre als Prämie in unserem Bonusprogramm denkbar“, so
Steldrich. „Mit Bonuspunkten unterstützen können wir einen Kauf jedoch
nicht, da die Nutzung nicht überprüfbar ist.“ Dies könnte sich allerdings
bald ändern, denn die Konsole verfügt
über einen Online-Anschluss – und
laut Nintendo gab es bereits Anfragen
„Für Senioren sind Games eine schöne Abwechslung,
die auch der Gesundheit gut tut.“ Michaela Steldrich, TKK
Münchner Seniorenheimen statt. Nintendo stellte die Konsolen – die Idee
jedoch kam von zwei Studenten: Josef
Kiener und Markus Deindl. Deindls
Großeltern waren bei einer Familienfeier von der Konsole derart begeistert
gewesen, dass er sich im Rahmen seines Studiums mit Kiener die BowlingMeisterschaft für Senioren ausdachte.
Dabei gab es diverse Hürden: „Zunächst mussten wir die Heime überzeugen“, sagt Kiener, „denn deren
Leiter gingen nicht davon aus, dass
Games für die Bewohner interessant
sein könnten.“ Als dann doch fünf
gefunden waren, mussten die Senioren
selbst motiviert werden. Denn die trauten der Technik nicht über den Weg.
Die Idee war dennoch ein Erfolg, der
nun sogar eine Deutschland-Seniorenmeisterschaft nach sich ziehen soll.
Die beiden Studenten wollen dafür in
ihrem Praxissemester in zehn deutsche
Großstädte gehen – zahlreiche Anfragen von Seniorenheimen liegen bereits
vor. Eine Anmeldung ist auf www.
wii-senioren.de möglich.
von Ärzten und Krankenhäusern, die
diesen nutzen wollen, damit die Patienten zuhause Übungen durchführen
können. Bis Games in den Leistungskatalog aufgenommen würden, wird
aber laut Steldrich noch viel Zeit vergehen: „Momentan sind wir erst einmal dabei, das Thema durch Vorträge
präsenter zu machen“, sagt Steldrich.
Weniger enthusiastisch gibt man sich
bei der BKK: „Natürlich befürworten
wir jede neue Entwicklung, die den
Patienten zu mehr Gesundheit verhilft“, sagt Sprecherin Ann Hörath.
„Games sind unserer Meinung nach
noch nicht so weit. Wir werden eventuelle Fortschritte aber beobachten.“
Negative Voreinstellungen scheinen
also auf dem Rückzug zu sein. Das
ist auch notwendig: Denn noch vor
einem Jahr wurde die laut den Ärzten
erfolgreiche Reha-Therapie von Soldaten mittels einer Konsole eingestellt
– deren Vorgesetzte waren nicht einverstanden damit, dass die Untergebenen im Dienst daddelten.
Agneta Melzer
6/08
Healthcare Marketing 13