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M i t t w o c h , 2 3 . D e z e m b e r 2 0 0 9 – N r. 2 9 6 WÜRZBURG VBW Engelsflügel für den letzten Weg Todkranker Michael Rauch hat einen ungewöhnlichen letzten Wunsch ................................................................................... Von unserem Mitarbeiter STEFFEN STANDKE Standpunkt Zweifel bleiben Letzter Wunsch Tattoo ................................................................................ Von MICHAEL CZYGAN [email protected] ................................................................................... Michael Rauch ist todkrank. Er leidet unter einem bösartigen Hirntumor. Nur noch wenige Wochen hat er zu leben. Doch bevor er stirbt, will der 38-Jährige aus Karbach (Landkreis Main-Spessart) sich noch einen letzten Wunsch erfüllen: Zwei in seinen Rücken tätowierte Engelsflügel sollen ihn begleiten, wenn er diese Welt verlässt. WÜRZBURG/KARBACH Wer Michael Rauch auf der Palliativstation der Unklinik sieht, mag kaum glauben, dass er sich in der verzweifeltsten Situation seines Lebens befindet: Der Karbacher wirkt stark, gibt sich kämpferisch. Als könne er sein Schicksal noch unendlich weit vor sich herschieben. Das kann er nicht. Das Geschwür, das ihn seit sieben Jahren plagt, drückt auf sein Gehirn, lässt seine Sprache aussetzen, die Konzentration schwinden. Dazu kommt die Lähmung. Michael Rauch kann sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen. Doch ein Gedanke baut ihn auf, verschafft ihm Erleichterung: „Meine Engelsflügel werden mir helfen im Leben, vielleicht auch beim 'Wegfliegen'. Ganz sicher aber werden sie mich nicht fallen lassen.“ Nicht dass jemand denkt, Michael Rauch sei nicht mehr Herr seiner Sinne. Das ist er sehr wohl. Und er ist sich seines Schicksals voll bewusst. Er weiß, dass er in nur wenigen Tagen für immer gehen wird. Dass er endgültig Abschied nehmen muss von seiner Frau und den drei Kindern. Doch der Gedanke an seinen Engel, den er bei seinem letzten Gang auf dem Rücken trägt, verschafft ihm Erleichterung, lässt ihn mutig werden und gibt ihm Kraft. Erstmals in den Kopf gekommen ist ihm der Gedanke daran vor zwei Wochen – nach der letzten Strahlentherapie: „Ich habe WÜS - Seite 23 ................................................................................ E in todkranker Mann hat einen letzten Wunsch. Der Familienvater Michael Rauch will sich kurz vor dem Tod für 4000 Euro Engelsflügel tätowieren lassen. Die Uniklinik unterstützt ihn, sucht Spender, schaltet die Zeitung ein. Darf die Zeitung da mitmachen? Lange hat die Redaktion diskutiert. Wir haben gerungen, ob und wie wir über dieses ungewöhnliche Ansinnen berichten sollen. Na klar, der Sterbende verdient unser Mitgefühl. Wer so leidet, dem muss geholfen werden. Selbst dann, wenn man seinen Wunsch nicht teilt. Das ist die eine Position. Der todkranke Michael Rauch will sich seinen letzten Wunsch – auf den Rücken tätowierte Engelsflügel – erfüllen lassen. Seine Frau Tanja unterstützt ihn FOTO THERESA MÜLLER dabei. geträumt, dass ich meine eigenen Engelsflügel bekomme. Und dieser Traum ist immer wieder gekommen und stärker geworden“, berichtet der ehemalige Lagerist, wie sein letzter Herzenswunsch entstand. Das Team der Palliativstation unterstützt Rauch in seinem Vorhaben. An der Uniklinik gibt es diese Abteilung erst seit Oktober diesen Jahres. Dorthin kommen Patienten mit nicht heilbaren, fortgeschrittenen Krankheiten, die nur noch eine geringe Lebenserwartung haben. Sie sollen in ihren letzten Tagen noch möglichst menschenwürdig und schmerzfrei leben können. Und dazu gehört auch, dass man Menschen wie Michael Rauch ihren letzten großen Wunsch erfüllt. Auch wenn das Team der Palliativstation ihn sehr ausgefallen findet: „Solange die Leute ernsthaft solche Anliegen haben, sollten sie unterstützt werden“, sagt Stationsärztin Dr. Sigrid Rettig. Das sei gut für ihr Seelenheil, lasse sie aber auch gelassener werden – im Leben und im Sterben. Was die Aufgabe für die Ärzte nicht gerade einfacher macht: Rauch möchte nicht irgendein Tattoo. Er möchte von den Spezialisten von Miami Ink gestochen werden, einem Studio, das seinen Sitz in Florida hat. Der Karbacher hatte von ihnen aus einer Realityshow erfahren, die im TV-Spartensender DMAX läuft. Sigrid Rettig rief in Miami an, sprach auf den Anrufbeantworter. Am Tag darauf erhielt sie schon Antwort. Die Sache ginge in Ordnung, man solle nur das Tattoo-Motiv per E-mail in die USA schicken. Die Ärztin und die Tätowierer vereinbarten, dass zwei von ihnen vom 28. bis 31. Dezember nach Deutschland fliegen und Michael Rauch das Tattoo stechen werden. Untergebracht werden sie privat. Auch hat Rettig mit den Amerikanern ausgemacht, dass das Tattoo nur ein Drittel von dem kostet, was man eigentlich bezahlen müsste. Da die Klinik für die Erfüllung letzter Wünsche keinen Etat hat, hofft man auf Spender, die helfen, die rund 4000 Euro – davon allein 1600 Euro für den Flug - aufzubringen. Michael Rauch freut sich sehr auf den Moment, wenn die Tätowierer mit ihrer Arbeit beginnen: „Der Gedanke daran, mein eigener Engel zu sein, beflügelt mich. Wenn ich die Flügel habe, habe ich auch keine Angst mehr vorm Sterben.“ Wer helfen möchte, sollte Kontakt mit der Palliativstation aufnehmen: ü (09 31) 2 88 61 Die andere sagt, 4000 Euro für ein Tattoo aus Florida sind ein Haufen Geld. Wer so viel für eine spinnerte Idee übrig hat, soll es ausgeben. Aber dafür Spender suchen, geht zu weit. Mit 4000 Euro lässt sich sehr viel Sinnvolleres machen – auch und gerade für Krebspatienten. Man denke beispielsweise an Typisierungsaktionen, die manchmal sogar helfen, Leben zu retten. Und was sollen die vielen Ehrenamtlichen sagen, die unentgeltlich Zeit und Gefühle investieren, um Sterbenden die letzten Wochen zu erleichtern? Was also tun? Wir haben uns letztlich entschieden, den Wunsch von Michael Rauch und den Aufruf seiner Ärztin öffentlich zu machen. Unsere Zweifel aber auch. ANZEIGE