Ritter der

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Ritter der
_ B L U T W U R S T _
Ritter der
BLUNZEN
ALLJÄHRLICH WIRD IN DER NORMANDIE DER
BLUNZENWELTMEISTER GEKÜRT. ÖSTERREICH IST STETS
AN VORDERSTER STELLE MIT DABEI.
T EXT
VON M ARTIN C HRISTIANSEN ,
F OTOS
Wenn der Fleischermeister Franz Dormayer (55), als erster Nichtfranzose Weltmeister der Blutwürste im Jahr 2000,aus Wiens Randgemeinde Langenzersdorf sich am dritten Wochenende im März auf
den Weg ins ferne Mortagne-au-Perche,ein verschlafenes Städtchen
in der Normandie, macht, ist es für ihn, als zöge er ein ins Paradies –
ins Blunzenparadies. Hier schlägt das Herz der Brühwurst als Blutwurst, der ihre weltweit verbreitete Bruderschaft, die „Confrérie des
Chevaliers du Goûte Boudin“, Jahr für Jahr feierlich huldigt. Wobei
jedoch anzumerken ist, dass der Orbit der Boudin aus französischer
Sicht zunächst einmal vornehmlich aus Frankreich besteht.Oder,um
dem hohen Anspruch gerecht zu werden, eigentlich aus Mortagneau-Perche selbst, dann noch aus Frankreich mit seinen sieben
„Departements du Boudin“, deren Einteilung den regionalen Wursttraditionen Rechnung trägt, einigen europäischen Staaten wie
Belgien, Deutschland oder Österreich und schließlich dem Rest der
VON G ERALD H ÄNEL /GARP
Welt in Form von Kanada und den Antillen – jedenfalls
selbstverständlich nur aus den Gegenden, wo Französisch gesprochen wird. Man sieht, es handelt sich hier
um eine Angelegenheit der Grande Nation von blutigem
Ernst. Wie kommt es nun zur eingangs erwähnten
Expedition des Großen Sohns der Stadt Wien?
„DIE BLUNZEN IST MEIN LEBEN!“, schnauft Franz
Dormayer, treuherzig blickend, unter seinem mächtigen Schnauzer hervor.Ihm ist die Vielfalt der Blutwurst
Mittel der Völkerverständigung: „Der Engländer schätzt
sie mit Minze,der Franzose mag sie mit Milch eher tatschig, und ich bevorzuge festes Fleisch und festen Biss.
Andere Länder, andere Geschmäcker!“ Als rastloser
Daniel Düsentrieb in der Erfüllung seines idealen Lebens-
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Es geht um die Blutwurst. Genauer: um
Aussehen, Anschnitte, Geruch, Geschmack
und Abgang derselben.
Leben füllt. Ein eindringlicher Geruch von Fett und dem Eisengehalt des Schweinebluts liegt in der Luft,der auch in den nächsten
Tagen in Nase und Kleidung haften bleiben wird. Frauen und
Männer in Schürzen und Roben der Bruderschaft schieben hohe
Gestelle auf Rollen, bepackt mit Tabletts voller Boudins, aus den
Kühlräumen und eilen geschäftig die Tischreihen entlang,um anonymisierte Proben auf nummerierte Teller zu verteilen.Ich erkenne
unter ihnen unsere Gastgeber wieder,bei denen wir am Abend zuvor in einem alten, grauen, hoch gemauerten Steinhaus auf dem
flachen Land einquartiert wurden. Zur Feier des Tages hatten
Nicole und Gérard, ein beleibtes, älteres Fleischerehepaar, noch
zwei weitere Paare von ähnlicher Statur aus ihrer Zunft hinzugebeten,die uns erwartungsvoll mit einem Aperitif auf der Couch im
Empfangszimmer begrüßen. Später an der großen Tafel in der
guten Stube rühmen mein Fotografenkollege und ich unter Einsatz von verschüttet geglaubtem,spärlichem Schulfranzösisch und
ständigem Nachlegen Gérards hausgemachte, sagenhafte Pâtés
vom Reh und Wildschwein, bis mir schließlich die Hausfrau resolut den Teller entwindet.Natürlich,wir sind ja in Frankreich! Es gibt
doch noch den obligatorischen zweiten und dritten Gang!
„Die Blunzen ist mein Leben!“
Franz Dormayer, Fleischermeister aus
Langenzersdorf in der Normandie
zwecks verfügt er heute über eine Palette mit mehr
als 40 erprobten und vorrangig saisonal frisch
angesetzten Kreationen wie beispielsweise
Ananas, Bärlauch, Datteln, Erdbeeren, Ingwer,
Mango, Marille, Pistazie, Sauerkirsch bis hin zur
Zwetschge. Dabei gilt es, um die vor zehn Jahren
hart erkämpfte meisterliche Trophäe, stets aufs
Neue zu ringen. „Damals fühlte ich mich wie ein
Olympia-Sieger! Es hat mich glatt umgehauen!“,
erinnert er sich nicht ohne Stolz und Rührung.
Auch in diesem Jahr hat er seinen Hut – pardon,
die Blunzen – abermals in den Ring geworfen.
Es ist an diesem kühlen und regnerischen Freitagmorgen noch früh, als sich die schmucklose
Mehrzweckhalle mitten im Ort allmählich mit
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AUCH JETZT,AM MORGENdarauf,geht es ans Eingefleischte.Der
Auslandsmeister der Bruderschaft, Jean-Michel Eichelbrenner (70),
emeritierter Professor der Linguistik, ein deutschstämmiger und
schon als junger Mann naturalisierter Franzose, hat mich ehrenhalber zum zusätzlichen Mitglied der Jury auserkoren, so dass ich
nun kurz nach neun mit dem Zahnstocher entschlossen nach der
ersten Blunzenscheibe picke.
An dieser Stelle ist es jedoch geboten, in aller Kürze die notwendigen Worte über den historischen Hintergrund und das Regelwerk
dieses Wettbewerbs zu verlieren,das in seinen ausgetüftelten Details
durchaus mit dem der Bewertung im Eiskunstlauf verglichen
werden kann.Wir befinden uns im 46. Jahr dieses fortlaufenden Ereignisses.Anfang der Sechziger des letzten Jahrhunderts gründeten
einige Liebhaber der Boudin die Bruderschaft nicht ohne Grund in
Mortagne-au-Perche. Schließlich hat sie hier beste Tradition. Auch
heute kommen auf die rund viertausend Einwohner immer noch
sechs Fleischerläden, die die Boudin im Wappen führen. Die Franzosen betrachten ihre Nahrungsmittel als kulturelles Erbe, das sie
in den unterschiedlichsten Confrérien wie die der Rillettes oder
Pâté gegen die Macht der Discounter hartnäckig verteidigen.So ist
aus der privaten Liebhaberei verschworener Enthusiasten eine mit
dem gebührenden Ernst gepflegte Zeremonie mit mittelalterlicher
Gewandung und dem feierlichem Eid zur Mehrung von Ruhm und
Ehre der Boudin auf Rost und Gabel geworden. In einer zweitägigen Blindverkostung, an der sich allerdings die Metzger aus Mor-
tagne mit ihren „boudins noirs“ nicht beteiligen,
weil sie sich in diesem Metier ohnehin für unschlagbar halten, sollen nun Aussehen, Anschnitt, Geruch, Geschmack und selbst der Abgang auf das
Penibelste geprüft werden.Wer je an einer größeren Weinprobe teilgenommen hat, weiß um den
allmählichen,kaum vermeidbaren Verlust der Sensorik. Hier jedoch werden bis morgen Mittag 550
verschiedene Proben der Boudin aufgetischt! Wobei wohlgemerkt nichts ausgespuckt wird! Obwohl
ganz professionell mit Baguette und Cidre versucht
wird, dagegen zu wirken, schwinden mir allmählich die Geschmackssinne. Mit Hinweis auf meine
eigentliche Pflicht als Berichterstatter bitte ich nach
dem Durchgang mit den ersten beiden Dutzend
um Dispens von meinem Ehrenamt, der mir huldvoll gewährt wird.
WAS NUN AUS UNSEREM KLEINEN FLEISCHERMEISTERaus Langenzersdorf geworden ist? Er wird
in diesem Jahr leer ausgehen. Er hat als neueste
Kreation eine Blunzen mit Kartoffelstücken eingereicht, die in Scheiben aufgeschnitten und in der
Pfanne geröstet,ihm als genial erdachte vollwertige
Mahlzeit und damit als großer Wurf erschien.Pech
jedoch für ihn, dass die Boudin aus Gründen der
Wettbewerbsgleichheit von den Juroren weder aufgewärmt noch gebraten,sondern lediglich im kalten
Zustand verzehrt wird.Ich muss gestehen,dass auch
ich in der Jury über die Kartoffelblunzen den Daumen senkte. Macht aber nichts, da überraschend
der ungesetzte Kollege Cyril Schmuck aus Sulzberg
das österreichische Vaterland ruhm- und siegreich
als Weltmeister vertreten hat.
Nun denn,es muss geschieden sein.Lebt wohl,ihr
wackeren Blutsbrüder! Es geht am frühlingshaften
sonntäglichen Vormittag entlang grüner Wiesen
voller Apfelbäume nordwärts Richtung Kanalküste,
um unterwegs in den Calvados-Destillerien Geschmackssinn und Magennerven Schluck für Schluck
allmählich wieder in die Balance zu bekommen.
METZGEREI CYRIL SCHMUCK
Dorf 239, 6934 Sulzberg
Tel.: 05516/22 15
FRANZ DORMAYER
Wienerstraße 1, 2103 Langenzersdorf
www.dormayer.at

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