Die Reiherkönigin – Ein Rap

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Die Reiherkönigin – Ein Rap
Die Reiherkönigin – Ein Rap
Stanisław Retro spielt den ganzen Tag „Diablo II“, killt hasserfüllt die Bösen, die Welt vom Bösen
zu erlösen. Er hat geweint, er kann es nicht fassen, seine Freundin Ewa, wie konnte sie ihn
verlassen, er hat es doch so gut gemeint, so gut, die Kräfte des Guten waren in ihm vereint.
Für Stanisław – genannt Stan – läuft es seit geraumer Zeit einfach nicht. Bis vor kurzem als
Popsänger gefeiert, nun von seiner Freundin verlassen, stellt ihm die Presse mit Verleumdungen
über sein Sexualleben nach. Die Plattenverkäufe gehen in den Keller und auch die Versuche
seines Managers, ihn mit abwegigen Marketingideen als Schwulenstar zu etablieren, scheitern
gewaltig. Hinzu gesellen sich außerdem die Rockgruppe „Die Pferde“, ein Musikkritiker, der den
Kampf ‘Willensstärke gegen Fettsucht’ verloren hat und dies im Fernsehen freimütig eingesteht,
der vormalige Untergrund-Funktionär und derzeitige Medienhecht Szymon Rybaczko,
Meuchelmesser in harten Schulterblättern und die Sehnsüchte einer Verkäuferin in der StadtteilBäckerei. Stanisław ist also in bester Gesellschaft.
Ich schreibe nie: ‘Er ging die Straße entlang. Es dämmerte.’, da würde ich ja über der Tastatur
einschlafen. Ich brauche die Herausforderung der Form. […] Ich wollte schon immer ein Lied
schreiben, aber diese Form ist für mich zu klein, hat zu wenig Worte. Und dann fiel mir ein: Warum
aus dem Lied keine Prosaform machen? Im Versmaß rechnet die junge polnische Autorin – im Text
als MC Dorota verkleidet – auf sarkastische Weise mit der vom Markt beherrschten Kultur- und
Konsumszene ab, demontiert die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie des gegenwärtigen
Polens, die den gleichen merkantilen Gesetzmäßigkeiten unterliegt wie die gesamte westliche
Welt. 1983 in Wejherowo (Woiwodschaft Pommern) geboren, gilt Masłowska inzwischen als
Ausnahmeerscheinung in der jüngeren polnischen Literaturlandschaft. Bereits für „Schneeweiß
und Russenrot“ ausgezeichnet, sorgte sie mit „Die Reiherkönigin“ regelrecht für Furore unter den
Kritikern und erhielt 2006 Polens höchste literarische Auszeichnung, den NIKE-Preis. Es gelang
ihr, innerhalb des Rap einen eigenen, teils sprachartifizierenden, teils karikierenden und in
höchstem Maße onomatopoetischen Schreibstil zu etablieren, der Masłowskas durchweg von
Gesellschafts- und Selbstkritik geprägte literarische Botschaften enthält. Auf Vergleiche mit
Gombrowicz, Burgess oder Salinger reagierte sie jedoch mit der ihr eigenen Skepsis angesichts
der etwaigen Inbesitznahme durch die Medien. Ihrem ausgeprägten Argwohn gegen leere
Worthülsen verdankt sie darüber hinaus, dass es bisher nicht gelang, so ihr Übersetzer Olaf Kühl,
sie als Sprachrohr polnischer Befindlichkeiten für das Ausland zu missbrauchen. EB