Nutzen von Mammographie Screening
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Nutzen von Mammographie Screening
Nutzen von Mammographie Screening - Politik vs. evidenzbasierte Medizin? Stellungnahme des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e.V. Durch die kürzlich publizierte systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration zum Mammographie Screening (www.cochranelibrary.net/Cochrane/issues.htm) und die fast gleichzeitige Bundestagsdebatte ist die Einführung eines flächendeckenden Screenings für gesunde Frauen verstärkt in die öffentliche Diskussion gerückt. Da in diesem Zusammenhang an diversen Stellen - und oft missbräuchlich - der Begriff „evidenzbasiert“ benutzt wird, nimmt das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (DNEbM) hierzu Stellung, ohne jedoch die in vielen Artikeln der letzten Wochen umfassend dargestellten Argumente pro und contra Mammographie Screening wiederholen zu wollen: Das Konzept der Evidenzbasierten Medizin (EbM) fordert die systematische Einbeziehung der jeweils besten verfügbaren Evidenz als Basis für Entscheidungen in der Medizin. Die Evidenz höchster Aussagekraft stammt aus Ergebnissen patientenorientierter Evaluationsstudien. Im hier betrachteten speziellen Zusammenhang sind als wichtigste Kriterien für die Wirksamkeitsbeurteilung die brustkrebsbezogene Mortalität und die Gesamtmortalität zu nennen. Aus sagen zur Wirksamkeit stützen sich auf die möglichst vollständige Analyse von relevanten Artikeln aus anerkannten Zeitschriften mit einem formalen Begutachtungssystem. Dabei hat die Qualitätsbewertung der einzelnen Originalarbeiten zentrale Bedeutung. Deren wichtigstes Qualitätskriterium ist der methodisch einwandfreie Vergleich gegen eine Gruppe ohne Intervention (also hier ohne systematisches Screening). Entscheidend ist ein Vergleich mit einer möglichst ähnlich strukturierten Gruppe im selben Zeitraum, um eine Mortalitätssenkung auch tatsächlich allein der durchgeführten Maßnahme zuschreiben zu können und andere Ursachen ausschließen zu können. Schaut man auf die gegenwärtige Diskussion, so stellt man schnell fest, dass man von den oben beschriebenen Charakteristika evidenzbasierter Aussagen oft nur das Etikett „evidenzbasiert“ findet, ohne dass der Anspruch der EbM eingelöst wird. In der Presseerklärung der AG der Spitzenverbände der Krankenkassen und der KBV wurde mit beeindruckender Geschwindigkeit (24. Okt. 2001) kurz nach Erscheinen der Cochrane Übersichtsarbeit festgestellt, „das qualitätsgesicherte MammographieScreening ist die wirksamste Maßnahme zur Brustkrebsfrüherkennung“ wie es „die Mehrheit der Brustkrebs-Experten in aller Welt sieht“. Weiter heißt es „Neuere Untersuchungen belegen, daß durch flächendeckende Screening-Programme erheblich mehr Brustkrebstote vermieden werden, als nach den vor Jahrzehnten durchgeführ ten und von den dänischen Autoren kritisierten Studien zunächst vermutet wurde“. Man braucht nicht einmal EbM zu bemühen, um die naheliegende Frage zu stellen: „Wo sind diese Untersuchungen?“. Die geeignete - jedoch nicht gegebene - Antwort bestünde in mindestens einem Literaturzitat mit einer Qualitätsbewertung der Arbeit. Dazu auf „die Entscheidungsträger in den führenden westlichen Industrienationen“ zu verweisen, ist sicherlich keine Antwort, die das Prädikat evidenzbasiert verdient. Eine ähnliche Argumentation findet sich in der Erklärung zur Pressekonferenz der Koalition Brustkrebs (Berlin, 18. Okt. 2001). Wieso ein „flächendeckendes Mammographiescreening nach Europäischen Leitlinien als evidenzbasiert“ zu betrachten ist, bleibt ihr Geheimnis. In der Neuauflage der Europäischen Leitlinie (3. Auflage, Januar 2001) sind fünf lesenswerte Seiten (S. 48-53, von 365 insgesamt) der Wirksamkeit von Screening Programmen gewidmet. In sehr kritischer Weise werden dort die großen Probleme einer validen Evaluation dargestellt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die in den randomisierten Studien beobachtete Mortali tätsreduktion in der Routine vermutlich nicht erreicht wird ( "... recent data examining non-randomised population screening suggest that the impact in these settings is lower", S. 51). Gemeint ist die oft genannte 30%ige Mortalitätsreduktion, die auch in der oben erwähnten Presseerklärung als realistisch bezeichnet wird. Der hier - wie auch in der Bundestagsdebatte - als Begründung aufgeführte Verweis auf die europäische Leitlinie ist dabei jedoch völlig sinnlos, da diese nur den Prozess betrifft und kein Beleg für den Nutzen ist. Gerade die Frage nach der Wirksamkeit bzw. dem Nutzen steht jedoch im Mittelpunkt von EbM. Auch bei wohlwollender Betrachtung ist der Aussage „Im Vordergrund sollten in Zukunft vielmehr die positiven Ergebnisse der Länder stehen, die ein evidenzbasiertes Brustkrebsscreening bereits eingeführt haben und in denen die Sterblichkeit zu sinken beginnt“, aus Sicht der EbM nur mit Verständ nislosigkeit zu begegnen. Überzeugende wissenschaftliche Belege dafür, dass die Sterblichkeit (welche?) in den angesprochenen Ländern aufgrund des Mammographie Screenings sinkt und nicht nur „zu sinken beginnt“, stehen bisher leider aus. Ohne solche Belege kann nur ein von uns schon früher kritisierter opportunistischer Gebrauch des Begriffs „evidenzbasierte Medizin“ konstatiert werden. Dieser kurze Blick auf die Bundestagsdebatte und darüber hinaus zeigt deutlich, dass die Frage der Evidenz in der gegenwärtigen Diskussion von untergeordneter Bedeutung ist und der Begriff nur instrumentalisiert wird, um den eigenen Argumenten Gewicht zu verleihen. Dies ist umso bedauerlicher, als die gegenwärtige, auch vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen festgestellte äußerst unbefriedigende Situation dringend einer Verbesserung bedarf. Dazu gehören auch wohldurchdachte Konzepte zur Evaluation der Screening-Maßnahmen. Die gegenwärtige Diskussion hat sich von der wissenschaftlichen Grundlage gelöst und ist nur noch Ausdruck von opportunistischen Äußerungen und von Partikularinteressen. Die Einführung eines flächendeckenden Screening kann aus Sicht des DNEbM nicht mit dem Prädikat „evidenzbasiert“ versehen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt, also gerade zum kürzlich erfolgten Beginn der drei Modellprojekte der KV, eine flächendeckende Einführung zu fordern, zeigt das Desinteresse an fundierterer Information zu den Realisierungsmöglichkeiten eines qualitätsgesicherten Screening unter deutschen Bedingungen. Das DNEbM hält die Rückkehr zu einer rationalen Diskussion von Nutzen und Schaden von Screening Maßnahmen, bei sorgfältiger Unterscheidung zwischen dem Screening gesunder Frauen und der diagnostischen Abklärung bei Tumorverdacht, für unbedingt notwendig. Aufgrund der unklaren Evidenzlage muss ein Höchstmaß an Transparenz und Information gewährleistet sein, auch um damit die Voraussetzungen für informierte Entscheidungen der betroffenen Frauen zu schaffen. Für den Vorstand des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e.V.: Dr. rer. nat. Dr. Gerd Antes - Vorsitzender 2. November 2001 Deutsches Cochrane Zentrum, Freiburg Korrespondenzadresse: Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. Geschäftsstelle Dr. Ilka Suelmann c/o Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung Aachener Str. 233-237 50931 Köln e-mail:[email protected]