Deutschland zur letzten Eiszeit - Nationalatlas

Transcrição

Deutschland zur letzten Eiszeit - Nationalatlas
Deutschland zur letzten Eiszeit
Herbert Liedtke
Tsd.
Stadiale
Stratiund
graphie vorJahre
heute Interstadiale
Holozän
0
(Ob.) Hochglaz.
Spätglazial
10
10°
Atlantikum
11
13
15
20
Frost- Steppe Strauch- Wald
schutt- oder
tundra
tundra Tundra
2
5
18
22
Jüngere Tundrenzeit
Alleröd-Interstadial
Ältere Tundrenzeit
Bölling-Interstadial
Älteste Tundrenzeit
Pomm. Stadium
Frankf. Stadium
Brand. Stadium
Nagelbeek-Stadial
11°
-3°
-6°
Vordringen
des Eises
27
Mittleres
37
40 39
43
Huneborg-Stadial
Hengelo-Interstadial
Hasselo-Stadial
0° bis -2°
-4°
0° bis -2°
-5°
0° bis -2°
Lattrop-Stadial
60 61
Unteres
Denekamp-Interstadial
Moershoofd-Interstadial
Glinde-Interstadial
Ebersdorf-Stadial
Oerel-Interstadial
-4°
Schalkholz-Stadial
-5°
70
73
Odderade-Interstadial
(Göttweig-I., St-Germain 2-I.)
80
84
Rederstall-Stadial
3° - 6°
0° bis -2°
90
Brörup-Interstadial
(St-Germain 1-I.)
100
103
110
Eem
32
50
Weichselfrühglazial
Weichseleiszeit
Plenigglazial
30
Deutschland vor 20.000 Jahren
Temperatur (Jahresmittel)
warm
kalt
Vegetation
108
115
Amersfoort-Interstadial
4°
Herning-Stadial
-2°
Eemwarmzeit
(Rocourt-Boden)
11°
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2002
66
3°- 6°
Insgesamt ist das Klima im Laufe des
Eiszeitalters kühler geworden, auch
wenn Elster- und Saaleeiszeit kälter als
die Weichseleiszeit waren. Die Jahresdurchschnittstemperatur lag beim Höhepunkt der letzten (Weichsel-) Eiszeit
in Norddeutschland bei -6 bis -8 °C ,
in Süddeutschland bei -4 °C; heute liegt
sie bei +8 °C. Die Abkühlung um 1216° reichte aus, um in ganz Deutschland
Dauerfrostboden (Permafrost) hervorzurufen, auch wenn die Augusttemperaturen in Norddeutschland bei 3-5 °C und
in Süddeutschland bei 7-9 °C lagen;
heute betragen sie etwa 18 °C. Dafür
war der Winter extrem kalt und erreichte im Februar in Norddeutschland -20
bis -22 °C, im Oberrheingraben etwa -6
bis -8 °C, wogegen heute nur um -0,5
bis +2 °C erreicht werden. Die Niederschläge waren wegen der großen Kälte
auf etwa 100-300 mm/Jahr zurückgegangen und lagen damit in Norddeutschland um 250-500 mm und in West- und
Süddeutschland um über 500 mm niedriger als heute. Die Schneegrenze war
um 1200 m gesunken, und die Rückstrahlung in die Atmosphäre (Albedo)
hatte sich um rund 10% vergrößert,
über den vereisten Gebieten Norddeutschlands und der Alpen sogar um
40%.
Wegen der großen Abkühlung und
der geringen Niederschläge war die
hocheiszeitliche Vegetation völlig
anders als heute. Jeglicher Baumwuchs
fehlte, und auf dem sommerlich nur
oberflächlich auftauenden Dauerfrostboden gedieh auf Norddeutschlands reliefarmen, schlecht entwässerten Flächen nur eine sehr lückenhafte tundrenähnliche Vegetation. In den südlich
anschließenden Teilen Deutschlands
herrschten mehr steppenartige Verhältnisse vor, weil das Klima arider wurde
Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser
Flächen der Eisbedeckung
vor 20000 Jahren
Norddeutschland
47450 km²
13,3%
Harz
580 km²
0,17%
Periglazialgebiet
Schwarzwald
540 km²
0,16%
295600 km²
82,8%
Bayerischer Wald
240 km²
0,07%
Alpen und Alpenvorland
12650 km²
3,5%
heutiges Deutschland insgesamt 357000 km²
1mm² ^= 250km²
Eisbedeckung durch
Gletscher / Inlandeis
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2002
kommen. Auch in den Südvogesen gab
es ein umfangreiches Vergletscherungsgebiet (1180 km2 ), und in den Nordvogesen gibt es mindestens 39 Kare, die
wie im Nordschwarzwald im Buntsandstein liegen.
Gliederung des Eiszeitalters
Norddeutschland
Zeit
Holozän Nacheiszeit (Alluvium)
Jungpleistozän
Norddeutschland
Gliederung der Weichseleiszeit
Jahre vor heute
Eemwarmzeit
Warthestadium (BW)
Drenthestadium (BD)
Holsteinwarmzeit
Elstereiszeit (A)
Würmeiszeit (W)
115 - 128000
Menapkaltzeit
Waalwarmzeit
Eburonkaltzeit
730000
970000
1670000
Tegelenwarmzeit
Brüggenkaltzeit
TERTIÄR
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2002
Riss-Würm-Warmzeit
Risseiszeit (R)
195000
297000
320 - 440000
Cromerkomplex
(aus Warm- und Kaltzeiten)
Bavelkomplex
Alpen
10000
Weichseleiszeit (C)
Saaleeiszeit (B)
Mittelpleistozän
Pleistozän Eiszeitalter (Diluvium)
In den letzten 2,4 Mio. Jahren ist es
mehrfach zum Wechsel von Kaltzeiten
oder Eiszeiten mit Warmzeiten (Interglazialen) gekommen. Dass eine allgemeine Abkühlung auf der Erde möglich
wurde, lag an der Wanderung der antarktischen Kontinentalplatte in die jetzige Pollage; aber der häufige Klima-
und das stärkere Relief eine bessere Entwässerung ermöglichte. Der Mensch hat
sich in diesem erbärmlichen Milieu offensichtlich nicht niedergelassen, worauf die Fundlücken aus dieser Zeit hinweisen.
Wegen des starken Absinkens der
Schneegrenze in Deutschland war es
auch zur Vergletscherung auf drei Mittelgebirgen gekommen . Im Harz war
die Umgebung des Brockens (1142 m)
vergletschert, und in Süddeutschland
trugen Bayerischer Wald und Schwarzwald Eiskappen. Als besonders deutliche Formen hierfür gelten die Kare
und Karseen am Gr. und Kl. Arber
(1456 m, 1384 m) im Bayerischen Wald
sowie Endmoränenwälle und Toteishohlformen. Die Eisdecken hatten sich
auch auf das benachbarte heute tschechische Gebiet erstreckt. Insgesamt lagen während der Eiszeiten maximal
47,8% des heutigen Deutschlands unter
Eis .
Im Schwarzwald ist es zu einer kräftigen Eisdecke auf dem Südschwarzwald
und im Nordschwarzwald zur Bildung
von über 90 Kargletschern in der Umgebung der Hornisgrinde (1164 m) ge-
Ältestpleistozän Altpleistozän
Permafrost – der im heutigen Deutschland während der
Eiszeiten 10 bis >100 m tief ständig gefrorene Boden (Dauerfrostboden), der nur im Sommer 0,4-1,2 m tief auftaute
wechsel zwischen Warm und Kalt lag
auch an Schwankungen der Sonnenstrahlung, der Erdbahnelemente oder
der Meeresströmungen.
Für das Gebiet des heutigen Deutschlands sind im Alpengebiet fünf Eiszeiten bekannt, in denen die Gletscher aus
den Alpentälern bis in das Vorland hinaustraten: Günz-, Haslach-, Mindel-,
Riss- und Würmeiszeit . Dagegen
kennt man in Norddeutschland nur drei
Eiszeiten, bei denen die Gletscher in
Skandinavien so stark anschwollen, dass
sie als Inlandeis über die Ostsee hinweg
auf mitteleuropäischen Boden vordringen konnten: Elster-, Saale- und Weichseleiszeit. Zwischen den Eiszeiten gab es
Warmzeiten mit einem Klima, das noch
etwas wärmer als heute war. Die Kälteschwankungen vor dem Einsetzen der
Eiszeiten bezeichnet man als Kaltzeiten.
QUARTÄR 2,4 Mio. Jahre
Periglazialgebiet – (griech. peri – um, herum; lat. glacies –
Eis, Gletscher) das im Vorland großer Eismassen dem Kaltzeitklima ausgesetzte Gebiet mit entsprechendem Periglazialklima
2480000
Mindel-Riss-Warmzeit
Mindeleiszeit (M)
Haslach-Mindel-Warmzeit
Haslacheiszeit
Günz-Haslach- Warmzeit
Günzeiszeit
Donau-Günz-Warmzeit
Donaukaltzeit
Biber-Donau-Warmzeit
Biberkaltzeit
Eisbedeckung
Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20000 Jahren
letzteiszeitlich von Inlandeis, Vorlandgletschern oder Gletschern bedecktes
Gebiet
Skandinavisches Inlandeis in Norddeutschland (Weichseleiszeit)
und alpine Gletscher im Alpenvorland (Würmeiszeit)
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20 000 v.h.
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Frankfurt (O.)
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SW
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Weichselzeitliche Urstromtäler
Glogau-Baruther Urstromtal um 20000 v.h.,
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(Ege
O hre
1244
dem Glogau-Baruther Urstromtal zuströmender periglaziärer Fluss
Warschau-Berliner Urstromtal um 18400 15000 v.h.,
Thorn-Eberswalder Urstromtal um 15000 14100 v.h.,
Netze-Randow Urstromtal um 14100 13000 v.h.
1051
Mainz
Main
175
tav
Nürnberg
elsterzeitlicher Schmelzwasserabfluss in
fremde Einzugsbereiche
a
Saarbrücken
673
Enz
1456
328
au
400
126
1164
Periglazialgebiet der Mittelgebirge mit
vorwiegend steinreichen, oft mehrgliedrigen
Schuttdecken oder Deckschutt
295
zig
Kin
u
Das gletscherfreie Gebiet
Das Gebiet des heutigen Deutschlands,
das nicht vergletschert war, unterlag
dem Periglazialklima. Wenn im Frühsommer der Permafrost oberflächlich
aufzutauen begann, kam es zuerst zu
kräftiger Abspülung (Abluation). Bei
weiterem Auftauen konnte es zu Bodenfließen (Solifluktion) kommen,
wenn die Hangneigung mehr als 2° betrug. Daher sind unsere Hänge meist
von Solifluktionsdecken überzogen, auf
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München
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Ebersberg
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1064
2962
3
4
deren Lockermaterial sich nach dem
Ende der Eiszeit Böden entwickeln
konnten. Während in flach geneigten
Gebieten wie im norddeutschen Flachland oder in größeren Becken meist
nur eine schlecht gliederbare Solifluktionsdecke vorhanden ist, kann man in
den stärker geneigten Gebieten,
besonders in den Mittelgebirgen,
mehrgliedrige Schuttdecken beobachten. In Gebieten mit Lockergesteinen
wie Kies, Sand, Schluff oder Ton lassen
Flottsand
Löss, meist mit periglaziärer Beeinflussung
G
Ö
Seeon
528
422
518
2995
200 0
© Institut für Länderkunde, Leipzig 2002
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395
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1000
Autor: H.Liedtke
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1500
Schaffhsn.
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1493
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Günz
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Riss
1015
Biber
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Do n
490
Freiburg
i. Br.
überwiegend tiefer gelegenes reliefärmeres
Periglazialgebiet mit Geschiebedecksand,
Ablualsedimenten und Solifluktionsdecken
1453
424
Stuttgart
n
Do
Mu
rg
Periglazialgebiete
(Moldau)
Regensburg
1423
Breslau-Bremer Urstromtal um 195000 v.h.
Vla
l
se
5
6
Günzeiszeit vor ca. 720000 Jahren
Mindel-, Elstereiszeit vor ca. 630000 Jahren
Riss-, Saaleeiszeit (mit Maximalstand SD
Drenthestadium vor ca. 300000 Jahren und
SW Warthestadium vor ca. 195000 Jahren)
Schmelzwasser
391
Main
250
80
Mo
G
M,E
R,SD
106
Saa
Erfurt
880 Frankfurt a.M.
818
Ältere Eiszeiten
^
a
ld
Fu
481
916
747
Kare im Nordschwarzwald und in den Nordvogesen (Auswahl)
geomorphologischer Rand der Alpen
SD
Dresden
Köln
Brandenburger Stadium
Frankfurter Stadium
Pommersches Stadium
Rosenthaler Staffel
Velgaster Staffel
Nordrügensche Staffel
in Süddeutschland
am Rheingletscher
Sch Schaffhausener Stadium
S
Singener Stadium
K
Konstanzer Stadium
am Inn-Chiemsee-Gletscher
Ki
Kirchseeoner Stadium
E
Ebersberger Stadium
Ö
Ölkofener Stadium
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Leipzig
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120
Kassel
Neandertal
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Dortmund
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Berlin
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Potsdam
Brandenburg
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Bielefeld
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Ebe ald
Eisrandlage der Abschmelzzeit
mit Jahresangabe (v.h. = vor heute)
in Norddeutschland
Ro
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Szczecin
(Stettin)
v.h
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18 40 158
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14 100 v.h.
15
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Feldberg
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179
63
169
SW
Bremen
Höhe der Eisoberfläche über NN (in m)
äußerster Eisrand der letzten Eiszeit
Rosenthal
Elbe
18
500
do w
Ran
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Transfluenzpass in den Alpen und Vogesen
Ve
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Eisstromrichtung
0
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14 100
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50
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1 3 70 0 v.h
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Ne
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Rostock
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20000 Jahren
Velgast
250
Ro 169
00
Kiel
vor
13 3
Festland
Br
aus dem Eisstromnetz herausragende
Erhebungen (Nunatakker), meist
schuttfreier Fels
161
7
0
1
2
3
4
5
6
7
Aare-Linth-Gletscher
Rheingletscher
Iller-Lech-Gletscher
Isar-Loisach-Gletscher
Inn-Chiemsee-Gletscher
Salzachgletscher
Traungletscher
25
50
75
Maßstab 1: 3750000
sich in Aufschlüssen häufig Frostbodenformen beobachten.
Auf vielen Flächen im unmittelbaren
fast vegetationslosen Vorland des Eises
und auf den Talböden größerer Flüsse
kam es zu kräftiger Abblasung. Das abgewehte Material wurde als Löss
hauptsächlich im Vorland höherer Gebirge, aber auch anderswo abgelagert.
Am Ende der Eiszeit entstanden im
Binnenland auf ähnliche Weise zahlreiche Dünen- und Flugsandfelder.
100 km
Eiskeil; Eiskeilnetz (in Auswahl)
Verwürgung; Palse der jüngeren
Tundrenzeit (11000-10000 v.h.)
kaltklimatisch bedingte Talasymmetrie
490
Höhenangabe (in m)
Küste, Gewässernetz, Höhenangaben und
Landschaftsbezeichnungen nach heutigem Stand.
Fast so schnell wie das Eis vorgerückt
war, verschwand es auch wieder. Es hatte für den Weg von Rügen bis zum
Nordrand des Spreewaldes nur 4000 bis
5000 Jahre gebraucht, und nach weiteren 7000 Jahren hatte es vor 13.000
Jahren den Boden Deutschlands wieder
verlassen, nachdem es während der Abschmelzzeit bei kleineren Kälterückfällen kurzfristig zum Absatz von Endmoränen gekommen war.
Deutschland zur letzten Eiszeit
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