Leseprobe - Weltbild.at

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Leseprobe - Weltbild.at
NICOLE RICHIE
Die Vintage Prinzessin
Buch
Die 22-jährige Charlotte hat alles, wovon andere Mädchen nur träumen können: Sie ist reich, groß, schlank, blond, bildhübsch und dazu
noch eine talentierte Sängerin. Gerade hat sie ein Auslandsjahr in Paris
abgeschlossen und ist glücklich, in ihrem Penthouse in der schillernden
Park Avenue endlich wieder ihren Vater in die Arme zu schließen. Jacob
Williams, ein sehr erfolgreicher Finanzberater, ist nach dem Tod ihrer
Mutter ihre ganze Familie und – wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst
ist – ihr einzig wahrer Freund.
Doch statt harmonischem Wiedersehen erlebt sie eine böse Überraschung: Ihr Vater wurde wegen Veruntreuung angezeigt und kommt
in Untersuchungshaft. Charlotte, einsam unter lauter skrupellosen Paparazzi und klatschsüchtigen falschen Freunden, tritt die Flucht an.
Und zwar dorthin, wo sie niemand suchen wird: nach New Orleans …
Autorin
Nicole Richie, geboren 1981 in Berkeley, Kalifornien, ist ein amerikanisches It-Girl. Sie ist die Adoptivtochter von Lionel Richie und wurde
an der Seite von Paris Hilton durch die Reality-Show »The Simple Life«
bekannt. Neben zahlreichen Fernsehauftritten arbeitete Nicole Richie
auch als Schauspielerin. 2005 gewann sie den »Young Hollywoods Style
Icon«-Award von Hollywood Style Awards und 2008 den »Golden Pacifier Award« vom Babytalk Magazine. Im Juni 2008 kam Richies erste
Schmuckkollektion »House of Harlow 1960«, die sie nach ihrer Tochter benannte, heraus. 2010 gründete sie das Schuh- und ­Fashionlabel
»Winter Kate«.
Seit Ende 2006 ist sie mit Joel Madden, dem Sänger der US-amerikanischen Punk-Band »Good Charlotte«, zusammen. Die beiden sind verlobt und haben zwei Kinder.
Nicole Richie
Die VintagePrinzessin
Roman
Deutsch
von Stefanie Retterbush
Die Originalausgabe erschien 2010
unter dem Titel »Priceless« bei Atria Books,
a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2011
Copyright © 2010 by Nicole Richie, Inc.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagcollage:
FinePic®; Getty Images/Irina Tatarnikova
KA · Herstellung: Str.
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
eISBN 978-3-641-11977-5
www.goldmann-verlag.de
K apitel 1
Die bildhübsche junge Frau, die durch die internationa-
le Ankunftshalle des JFK-Flughafens schritt, erregte einiges
Aufsehen, und etliche Leute drehten sich neugierig nach ihr
um. Einer Flugbegleiterin fiel ihr anmutiger Gang auf, ihre
exquisite Kleidung und die teuren Schuhe, und sie war sich
sicher, dass sie gerade aus der ersten Klasse ausgestiegen
sein musste. Und recht hatte sie. Der junge Mann an der Espressomaschine der Kaffeebar ließ, von ihrer unwiderstehlichen Ausstrahlung und ihrer hinreißenden Figur betört, alles
stehen und liegen. Als die Frau seinen Blick auf sich spürte, drehte sie sich zu ihm um und bedachte ihn mit einem
flüchtigen Lächeln, das ihm die Hand zittern ließ, die er sich
prompt verbrühte. Ein Mann im Savile-Row-Anzug ließ sein
Wall Street Journal sinken und zog die Augenbrauen hoch.
Hmm. Charlotte Williams war wieder in der Stadt. Das würde ihren Vater freuen. Und die Börsenkurse würden zulegen.
Er faltete die Zeitung zusammen und rief seinen Broker an.
Charlotte fuhr mit der Rolltreppe nach unten und ließ den
Blick über die wartenden Menschen in der Ankunftshalle
schweifen. Dann lächelte sie; dort drüben stand Davis. Er
sah sie und erwiderte ihr Lächeln. Ihr Gepäck hatte er schon
abgeholt.
»Hallo, Davis, wie schön, gleich wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen.« Und damit gab sie ihm die Hand.
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»Miss Charlotte, es ist uns ein Vergnügen, Sie wieder bei
uns in New York zu haben. Es war sehr still ohne Sie.«
Sie lachte. »Das wage ich zu bezweifeln, Davis, aber besten Dank. Ist es weit bis zum Wagen? Meine Schuhe bringen
mich um.« Während des Fluges hatte sie einen bequemen Jogginganzug getragen, aber kurz vor dem Landeanflug hatte sie
sich dann umgezogen und war in etwas Vorzeigbareres geschlüpft. Louboutins, die ihre Füße schon nach gerade mal
hundert Metern malträtierten wie mittelalterliches Folter­
gerät, ein Marc-Jacobs-Kleid vom Frühjahr 09 mit breitem
Wickelgürtel, und dazu eine lange Kaschmirstrickjacke. Alles
ebenfalls sehr bequem und angenehm zu tragen, aber man
konnte sich darin sehen lassen.
Er schüttelte den Kopf. »Er steht gleich vor der Tür, Miss.«
Und tatsächlich, die lang gezogene, tief liegende Mercedes-Limousine stand unmittelbar vor dem Flughafengebäude
im absoluten Halteverbot, und davor ein Verkehrspolizist, der
gerade dabei war, im Schneckentempo einen Strafzettel auszustellen. Als er die beiden kommen sah, schaute er sich kurz
um, um sich zu vergewissern, dass es niemand mitbekam,
wie er sich von Davis einen aufgefalteten Geldschein zustecken ließ. Drinnen streifte Charlotte erleichtert die Schuhe
ab und machte es sich gemütlich, während Davis den Wagen
fachmännisch durch den dichten Stadtverkehr manövrierte.
Es war wunderbar, wieder zu Hause zu sein.
*
Wobei außer den Hausangestellten niemand da war, um sie
zu Hause willkommen zu heißen. Die Haushälterin war dieselbe wie eh und je, aber ein junger Mann, den sie noch nie
gesehen hatte, kümmerte sich gerade um die Pflanzen. Sie
musterte ihn kurz und beschloss, ihn sich für später aufzuhe6
ben. Auf der Bettkante sitzend schaute sie sich in ihrem Zimmer um.
»Dein Vater hat es eigens neu streichen lassen.« Die Haushälterin packte gerade ihre Sachen aus, wobei sie wortlos die
seidene Unterwäsche und die edlen Markendessous beäugte
und goutierte: La Perla, Aubade, Eres.
»Wie hat er es denn geschafft, dass es immer noch genauso
aussieht wie vorher?« Jede Puppe, jedes Bild, jedes Foto war
noch an genau demselben Platz wie vor einem Jahr, als sie
weggegangen war.
Greta zuckte die Achseln. »Er war oft hier, während du weg
warst.« Sie schaute sich um. »Und er hat den Innenarchitekten
einen Plan zeichnen lassen, auf dem genau zu sehen war, was
wohin gehört.« Bei der Erinnerung daran musste sie lächeln.
»Eine Herkulesaufgabe.«
Stirnrunzelnd strich Charlotte sich die langen blonden
Haare hinter die Ohren. »Weshalb war er so oft hier drin?«
Sie zog die Beine an, legte die Füße aufs Bett, stockte, als sie
Gretas Blick sah, und zog schnell die Schuhe aus.
Greta strich sich die graue Uniform über den Hüften glatt,
dann ging sie zur Tür. »Er vermisst deine Mutter, und er hat
dich vermisst. Er wird sich sehr freuen, dich heute Abend zu
sehen.«
»Erwarten Sie ihn zum Abendessen?«
»Nein. Ich denke, es wird später werden.«
Charlotte nickte. Ihr Vater kam selten vor zehn nach Hause; so war das immer schon gewesen. Als sie irgendwann kein
Kindermädchen mehr gehabt hatte, hatte sie jeden Abend allein gegessen. Wenn sie mit den Hausaufgaben fertig gewesen
war, hatte sie sich in einem Sessel in seinem Arbeitszimmer
zusammengeringelt und auf ihn gewartet, bis sie einschlief.
Wenn sie die Augen zumachte, konnte sie sich noch genau da7
ran erinnern, wie es sich angefühlt hatte, behutsam aus dem
Sessel hochgehoben zu werden, den Duft von Whiskey und
Zigarren zu schnuppern, seine rauen stoppeligen Wangen zu
spüren, wenn er ihr einen Kuss gab, und die weiche Wolle
seiner Anzugjacke. Gemeinsam saßen sie dann vor dem Kamin, während er ihr von seinem Arbeitstag erzählte und sich
Märchen ausdachte über die sagenhafte Finanzwelt und die
Ritter und Drachen, die sie bevölkerten. Er war wunderbar,
wenn er da war, und Charlotte liebte ihn von ganzem Herzen.
Wenn er denn da war.
Doch auch wenn er durch seine Arbeit kaum Zeit für sie
hatte, verdiente er damit doch das Geld für ihre Wohnung
am Central Park, ihr Pony im Reitstall in der 89th Street (bis
der Stall irgendwann zumachte), den neuen Jaguar zu ihrem
achtzehnten Geburtstag, das Apartment im Marais während
ihres Auslandsaufenthaltes in Paris und alles an Kleidern und
Schmuck, was ihr kleines Herz begehrte. Es gab eine Menge,
wofür sie dankbar sein konnte. Sollte sie je das Gefühl gehabt
haben, dass etwas fehlte, so hatte sie es sich zumindest nicht
anmerken lassen.
*
Charlotte rief ein paar Freunde an und organisierte eine
spontane kleine Willkommensparty für sich selbst. Dann riss
sie die Türen ihres begehbaren Kleiderschranks auf, trat zwischen die Kleiderstangen und schob die Bügel auseinander.
Der Schrank war beinahe sieben Meter lang und wohlgeordnet wie eine Museumssammlung. Auf der einen Seite hingen
Hosen, Hosenanzüge, Kostüme, Blazer und Jacken. Auf der
anderen Kleider, Röcke und Blusen. Alles von Abercrombie
bis Alaïa. Deckenhohe Regale beherbergten vier Dutzend
Paar Schuhe, alle einzeln in durchsichtigen Plastikschachteln
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verpackt. Manchmal, wenn sie sich als Teenie allzu sehr gelangweilt hatte, hatte sie den Schrank umgeräumt und neu
­geordnet. Nach Designern zum Beispiel. Oder chronologisch. Oder farblich. Sie hatte sich oft gelangweilt.
Ihr Lieblingsregal war das mit den Kleidern ihrer Mutter;
denen, die ihr Vater behalten hatte. Ihre Mutter war bei einem
Autounfall ums Leben gekommen, als Charlotte gerade sieben war. Auf dem Weg von einer Party zurück nach Hause,
ausnahmsweise allein unterwegs, ohne ihren Mann, stocknüchtern und allem Anschein nach unterhalb der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit. Ein anderer Autofahrer, betrunken,
high, war mit beinahe achtzig Meilen auf eine Kreuzung zugerast, hatte die Ampel an der Fifth überfahren und ihren Wagen seitlich gerammt. Sie war auf der Stelle tot gewesen. Wohingegen der Unfallverursacher aus dem Auto gestiegen und
beinahe unversehrt davongekommen war. Charlotte konnte
sich kaum an ihre Mutter erinnern, obwohl überall im ganzen Haus Fotos von ihr hingen. Jackie Williams war eins der
ganz großen Models gewesen, auf der ganzen Welt bekannt
und anerkannt, und von ihr hatte Charlotte die mandelförmigen Augen und den breiten Mund geerbt. Ihr Tod hatte die
Modewelt erschüttert, und das Einzige, woran sich Charlotte
aus dieser Zeit noch ganz klar und deutlich erinnern konnte, war, dass pausenlos das Telefon geklingelt hatte. Nach der
Beerdigung war ihr Vater nach Hause gekommen und hatte
die Schnur aus der Wand gerissen, sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen, sich betrunken und haltlos geschluchzt
wie ein kleines Kind. Als er schließlich wieder herausgekommen war und gesehen hatte, wie Jackies Assistentinnen ihre
Kleider einpackten, hatte ihn die Wut gepackt, er hatte sie allesamt auf der Stelle gefeuert und dann jedes einzelne Kleidungsstück zärtlich glatt gestrichen, behutsam zurück auf die
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gepolsterten Kleiderbügel gehängt und schließlich leise die
Schranktür geschlossen.
Und nun hatte Charlotte eine Weltklassesammlung von
Beinahe-Vintage-Couture im Schrank, und sie kannte die
Geschichte und sämtliche Details jedes einzelnen Teils. Vieles waren Einzelstücke, nur bei Modeschauen getragen und
eigens für ihre Mutter genäht. Jackie war größer und schlanker gewesen als Charlotte, die eine etwas kurvenreichere Figur hatte, und viele der Stücke passten ihr nicht. Viele saßen
aber auch wie angegossen, und sie liebte es, in einzigartige
Kreationen ihrer exquisiten Kollektion zu schlüpfen.
An diesem Abend entschied sie sich für ein schlichtes Spaghettiträgerkleid von Galliano, eins seiner weniger grellen,
auffälligen Stücke, und betrachtete sich kritisch im Spiegel.
Sie wusste, dass sie bildhübsch war, und sie wusste um
ihre Wirkung auf Männer, aber sie konnte nicht anders, als
sich mit ihrer Mutter zu vergleichen. Oder vielmehr mit dem
Bild, das sie von ihrer Mutter hatte, denn sie war noch viel zu
klein gewesen, um sich an sie erinnern zu können. Die Öffentlichkeit hatte Jackie zu einer unnahbaren, eleganten Mode-Ikone stilisiert, bekannt für die platinblonden Haare und
das aristokratische, eher distanzierte Auftreten. Charlotte hatte eine sinnlichere, wärmere Ausstrahlung. Ihre hellblonden
Haare waren von honigfarbenen Strähnen durchzogen, von
denen einige beinahe dunkelblond leuchteten. Ihre Mutter
hatte ganz glatte Haare gehabt, ihre dagegen fielen in weichen
Wellen und Locken widerspenstig bis auf die Schultern. Sie
war ein bisschen nervös, nach der langen Zeit zum ersten Mal
wieder in ihrem alten Revier auszugehen, und entschied sich
für die volle Kriegsbemalung. Die Haare ließ sie einfach offen
und ungebändigt. Bei ihrem Teint brauchte sie keine Grundierung und stäubte sich stattdessen einfach nur ein biss10
chen schimmerndes Rouge auf die Wangenknochen, um sie
etwas hervorzuheben. In Paris trugen die Frauen meist nur
minimales Augen-Make-up, und sie tat es ihnen nach, trug
nur ein wenig blass-aquamarinblauen Lidschatten auf, der
das gedämpfte Türkis ihrer Augen sehr schön betonte, und
zog zum Schluss einen rasiermesserscharfen, feinen Lidstrich
mit Flüssigeyeliner. Mehrere Schichten Wimperntusche und
matten roten Lippenstifts später war sie schließlich ausgehfertig.
Schmuck. Den hätte sie beinahe vergessen. Inmitten ihrer Garderobe stand ein chinesisches Lackkästchen, an sich
schon unschätzbar kostbar, und in seinen vielen Schubladen
lag ein kleines Vermögen an Edelsteinen und Edelmetallen.
Ihr Vater kaufte nur zu gerne besonderen Schmuck und war
in dieser Hinsicht ein echter Snob. Die Sammlung seiner Frau
beinhaltete Dutzende antiker Stücke neben etlichen wichtigen zeitgenössischen Kreationen. Charlotte öffnete eine der
Schubladen auf der Suche nach dem perfekten Schmuckstück. Ein einzelner Smaragd in Cabochonschliff an einer
langen goldenen Kette, die zwischen ihren Brüsten endete;
der Stein passte besonders gut zu ihren grünen Augen. Und
dann: Auf in den Kampf.
K apitel 2
Vor Charlottes Abreise nach Paris ein Jahr zuvor war das Le
Petit Champignon noch ziemlich neu gewesen; ein echter
Geheimtipp, ein bisschen ungünstig an der Jane Street gelegen. Sie hatte es spontan zu ihrem Lieblingslokal auserkoren,
weil sie die opulente vegetarische Küche einfach zu köstlich
fand. Der Chefkoch war für seinen Ausspruch bekannt: »Nur,
weil es vegetarisch ist, muss es noch lange nicht gesund sein«,
und die schweren Soßen und butterlastigen Gerichte waren
der lebende Beweis, dass dieser Satz kein bloßes Lippenbekenntnis war. Anscheinend hatte sich das inzwischen herumgesprochen, denn als Davis sie vor dem Restaurant absetzte, hatte sich vor dem Eingang bereits eine veritable Warteschlange gebildet.
»Möchten Sie nachher anrufen, Miss?«
Sie nickte. Nach dem einen Mal, als sie allein mit der
­U-Bahn nach Hause gefahren war, hatte ihr Vater sie beiseite­
genommen.
»Charlotte, die Welt ist voller hochinteressanter Menschen.
Wie dem auch sei, es ist nicht nötig, gleich mit hundert von
ihnen im unbelüfteten engen Wagen einer ­U-Bahn Bekanntschaft zu schließen. Bitte ruf Davis an, wenn du irgendwohin
willst. Dafür ist er schließlich da.«
Kaum hatte sie einen Fuß in das Restaurant gesetzt, erkannte sie der Oberkellner Jean-Claude auch schon.
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»Miss Williams! Paris’ Verlust ist unser Gewinn. Ich habe
Ihren Namen bei den Reservierungen gesehen und gehofft,
dass Sie das sind. Ihr Lieblingstisch wartet schon auf Sie.«
Zwei ihrer Freunde waren bereits da, James und Zeb. Highschool-Freunde. Sie standen auf und umarmten Charlotte
zur Begrüßung.
»Du bist ja noch dünner als vorher, du Miststück. Wie hast
du das denn geschafft?« Zeb war schwul und nahm kein Blatt
vor den Mund. »Ich dachte, die Franzosen ernähren sich von
Schmalz und Käse?«
James brachte ihn rasch zum Schweigen. »Schrei hier nicht
so rum, Zeb. Wir sind noch nicht im Club. Vielleicht hat sie
angefangen zu rauchen; das hält schlank.«
Angewidert rümpfte Charlotte die Nase. »Dünn und stinkig. Bestimmt nicht. Ich glaube, Zebs Erinnerung ist ein bisschen getrübt von den vielen Partydrogen und den hübschen
Jungs, die er regelmäßig inhaliert.«
»Ich inhaliere keine Jungs.«
»Ach, schluckst du nur?«
Zeb gluckste.
James goss Charlotte etwas von dem 2007er-Malbec ein
und hob dann sein Glas.
»Auf die liebreizende Charlotte. Willkommen zu Hause,
meine Süße.« Sie und James hatten mal eine kurze Affäre
­gehabt, und als er sie nun mit seinem Grinsekatzenlächeln
­anstrahlte, musste sie wieder an seine … besonderen Fähigkeiten denken. Und fragte sich, ob sie diese kleine Bettgeschichte kurzfristig aufwärmen sollte. Ansonsten war weit
und breit nichts Verlockendes in Aussicht.
Dann flog die Tür auf, und hereingeschneit kamen Clara, Jane und Emily. Die drei verrückten Schwestern. Wobei
nur Jane und Emily tatsächlich Schwestern waren; durch
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eine Laune der Natur und der Fruchtbarkeit waren sie bloß
elf Monate auseinander, aber in dieselbe Klasse gegangen.
Abwechselnd Erzfeindinnen und Busenfreundinnen waren
die zwei zusammen eine wahre Naturgewalt. Clara war die
Friedensstifterin zwischen den beiden, eine Cousine irgendeines Grades. Unter den Superreichen von Manhattan gab
es vielfältige Verwandtschaftsbeziehungen: Cousinen, Cousinen zweiten Grades; man war verwandt, verschwägert, verheimlicht. In der 10021 wohnen nicht allzu viele Leute, und
wenn man nicht arbeiten muss, hat man jede Menge Zeit totzuschlagen.
»Charlotte!« Schrilles Kreischen. Umarmungen. Küsschen
links, Küsschen rechts.
Schließlich hatten sich alle beruhigt und kamen zum ernsten Teil des Abends, nämlich, sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen, was die jüngsten Gerüchte und Geschehnisse betraf.
Während der Vorspeise gaben die Zwillinge sämtlichen
Klatsch und Tratsch aus ihrem kleinen, feinen Kreis zum
Besten.
Emily war ganz aufgebracht. »Und wusstest du schon, dass
Bebe heimlich mit dem Freund ihrer Schwester schläft? Ich
meine, bitte, wir sind doch hier nicht in einer Realityshow.«
Das Kerzenlicht schimmerte in ihren dunklen, welligen Haaren; ihre perfekte kleine Stupsnase war das Ergebnis hervorragender plastischer Chirurgiekunst.
Charlotte fand das eher amüsant. »Jüngere oder ältere
Schwester?«
»Älter. Sie war am Vassar College, als Bebe Tim kennengelernt hat, und dann ist sie während der Semesterferien im
Frühjahr zurückgekommen und dachte wohl, der kleine Timmy könne auch sie beglücken.« Sie seufzte. »Ist alles irgendwie
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sehr East-Village-mäßig geworden.« Und damit säbelte sie
gedankenverloren an ihrem Steak herum.
James grinste. »Was auch immer das heißt.« Er schenkte
ihnen Wein nach. Charlotte merkte, dass sie schon ein bisschen beschwipst war, denn er wirkte von Minute zu Minute
unwiderstehlicher.
Auch Clara hatte Neuigkeiten zu berichten. »Erinnert ihr
euch noch an Jemima Rhodes?« Alle erinnerten sich noch.
»Ihre Mutter hat ihren Job verloren, als Bear Stearns zusammengebrochen ist, weshalb sie ihr Strandhäuschen verkaufen mussten. Wir waren alle schrecklich enttäuscht.« (Das
Strandhäuschen war ein Herrenhaus mit sechzehn Schlafzimmern gleich am Meer in East Hampton.) »Ich meine, wo
sollen wir denn dieses Jahr am 4. Juli den Unabhängigkeitstag feiern?« Dann senkte sie vertraulich die Stimme. »Ich habe
gehört, sie wollen was mieten.« Kurzes Schweigen. »Auf der
North Fork.« Alle drei Mädels schüttelten sich wohlig.
Charlotte pickte wie ein Vögelchen an ihrem Salat herum
und genoss das vertraute Geplapper sinnlosen Klatschs. Man
konnte sich immer darauf verlassen, dass diese drei haargenau wussten, was die Gerüchteküche gerade hergab. Emily
und Jane waren die mittleren Töchter einer Familie, der seit
den Zwanzigerjahren der größte Teil der Upper West Side gehörte. Durch die UWS-Verbindung waren sie die obligatorischen »Künstlertypen« auf ihrer ultrakonservativen UpperEast-Side-Schule gewesen, und man hatte, wenn es um ihr
Betragen ging, die Zügel etwas länger gelassen. Clara stammte aus einer leicht inzuchtgeschädigten blaublütigen Familie,
die auf der Mayflower nach Amerika gekommen war und kurz
danach ein Vermögen gemacht hatte. Wie genau sie zu Geld
gekommen waren, wusste Charlotte nicht. Knopfhaken? Kutscherpeitschen? Irgendwas Archaisches jedenfalls. Seit Ge15
nerationen hatte in Claras Familie niemand mehr für seinen
Lebensunterhalt arbeiten müssen, aber sie engagierten sich
sehr für den guten Zweck und saßen in unzähligen Wohltätigkeitsgremien. Clara war in der Schule fast so etwas wie eine
Überfliegerin gewesen und hatte sich irgendwann mal zu der
Bemerkung verstiegen, am MIT studieren zu wollen. Solche
hehren Ziele steckte man sich in ihrer Klasse nicht, hatte man
ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, weshalb sie die
Idee gleich wieder verwarf. Haltung bewahren, das schon.
Aber ein Rückgrat? Fehlanzeige.
James stand auf, um zur Toilette zu gehen, und schaute
Charlotte vielsagend an. Sie seufzte. Ach, warum nicht? Sie
wartete einen Augenblick, dann folgte sie ihm. Leise klopfte
sie an die Toilettentür, und sofort zog er sie zu sich hinein.
»Charlotte Williams, dass ich ausgerechnet dich hier treffe.« James knabberte an ihrem Hals, während seine Hände
auf ihren Rücken wanderten und anfingen, ihr das Kleid auszuziehen.
Entschieden packte sie seine Handgelenke. »James.«
»Hmm, du willst ein bisschen spielen? Von mir aus gerne.« Und damit löste er sich aus ihrem Griff, umklammerte
ihre Handgelenke und drückte sie über ihrem Kopf gegen die
Wand. Dann beugte er sich vornüber und wollte ihre Brüste
küssen.
»James, nein.« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen,
dass sie es ernst meinte, und er stockte.
»Was denn, meine Herzallerliebste? Willst du nicht das vergangene Jahr schnell wieder aufholen? Wir können einmal vor
dem Hauptgang vögeln und dann noch mal vor dem Dessert.
Wie in guten alten Zeiten.«
»Und das«, meinte Charlotte sehr bestimmt und schob ihn
beiseite, »ist genau das Problem.« Sie seufzte. »Du bist wirk16
lich süß, aber mir ist gerade nicht danach. Weißt du, was ich
meine? Ein Jahr französische Männer hebt unweigerlich die
persönlichen Ansprüche.«
Gekränkt zog er eine Schnute. James war äußerst attraktiv
und gut aussehend und hatte an jedem Finger zehn Mädchen.
Dass Charlotte ihm eine Abfuhr verpasste, konnte sein immenses Selbstbewusstsein nicht ankratzen.
»Und warum bist du dann hinter mir hergekommen?«
Charlotte zuckte bloß die Achseln. »Ich war mit der Vorspeise fertig und hatte gerade nichts Besseres zu tun.«
James strich sich die Hose glatt und wusch sich die Hände.
»Du bist ein kleines Miststück, Charlie, meine Süße.«
Charlotte nickte fröhlich. »Du bist nicht der Erste, der mir
das sagt, Schatz.«
Und damit war sie auch schon nach draußen verschwunden und ließ die Tür hinter sich sperrangelweit auf.
K apitel 3
Es war unfassbar laut und heiß im Club. Der pulsierende
Beat war in jedem Höschen im gesamten Laden zu spüren,
was wohl auch die glasigen Blicke und erhöhte Herzfrequenz
der Anwesenden erklärte. Wobei möglicherweise auch Drogen im Spiel gewesen sein könnten. Nicht, dass hier irgendwer Drogen konsumierte. Das wäre ja illegal.
Wäre man nichtsahnend die Straße in Alphabet City entlanggegangen, man hätte wohl angenommen, dass irgendwer
hier eine kleine Privatparty feierte. Keine Warteschlange. Kein
Schild an der Tür. Kein Absperrseil. Nur von ganz entfernt
ziemlich laute, wummernde Musik. Man musste vorher anrufen, um in diesen Club zu kommen, und wenn sich dann jemand dazu herabließ, ans Telefon zu gehen, bekam man eine
Ankunftszeit genannt, zu der man eingelassen wurde. Der
Chauffeur hielt vor der Tür, die Tür ging auf, und man war
drin. Charlotte schrieb dem Besitzer des Clubs einfach eine
SMS. Normale Telefonanrufe waren was für normale Leute.
Mit einer Umarmung nahm er sie oben an der Treppe in
Empfang und umarmte dann auch die anderen Mädels.
»Charlie, dich habe ich ja seit einer halben Ewigkeit nicht
mehr gesehen. Ich glaube, ich war noch auf der West Side
High, als du gegangen bist.« Er lachte. »Das ist Lichtjahre her!«
Charlotte lächelte ihn an. Nur eine Handvoll Menschen
durfte sie ungestraft Charlie nennen, und Nick war einer von
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ihnen. Er war mit ihr zur Schule gegangen, und sie hatte ihm
geholfen, seinen ersten Club zu finanzieren. Clubs wie der
von Nick zogen meist rastlos weiter wie die sprichwörtliche
Karawane: Es ging nicht um die Lokalität, es ging um die Mischung. Man musste der Polizei einen Schritt voraus sein, den
East Village Hipsters zwei Schritte und der Meute aus dem
Umland drei. Nick war ein Meister seines Fachs. Kaum hatte er eine Örtlichkeit gefunden, machte er sich schon auf die
Suche nach der nächsten. Eine Lagerhalle in DUMBO. Ein
verlassenes Kaufhaus oberhalb von Harlem. Ein entkerntes
Stadthaus im West Village. Seine Kundschaft waren die Jungen, die Reichen und die Gelangweilten. Sie kamen, um sich
unterhalten zu lassen, Freunde zu treffen, die Show zu sehen.
»Wer ist denn heute Abend da?« Charlotte beugte sich zu
ihm vor, um seine Antwort zu verstehen.
Er nahm sie an der Hand und zog sie zur Seite. »Ehrlich
gesagt, Herzchen, Taylor ist da. Fast hätte ich dir gesagt, du
sollst lieber nicht kommen, aber dann dachte ich mir, bestimmt ist der Kuchen inzwischen gegessen.«
Charlotte wurde es plötzlich eiskalt, trotz der schwülen Hitze im Club. »Ach.«
Nick trat einen Schritt zurück und schaute sie an. »Aha,
verstehe. Da habe ich mich wohl geirrt.«
»Ist sie auch da?«
»Soll das ein Scherz sein? Nein, Herzchen, die ist längst
Schnee von gestern. Heute Abend ist er mit Stacy Star da.
Und ihrer Freundin. Und der Freundin ihrer Freundin.« Er
hüstelte. »Promis, was soll man sagen?« Fragend zog Charlotte eine Augenbraue hoch, doch Nick schüttelte bloß den
Kopf. »Ignoriere ihn einfach, Schätzchen. Du warst sowieso
viel zu gut für ihn.«
Charlotte seufzte. In ihrem ersten Studienjahr in Yale hatte
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sie sich Hals über Kopf in Taylor Augustine verliebt. Er war
ein paar Jahre älter als sie, studierte europäische Literatur
und war einfach göttlich. Er selbst sah sich als Beatnik des 21.
Jahrhunderts und murmelte viel in seinen nicht vorhandenen
Bart. Die meiste Zeit verbrachten Charlotte und er im Bett,
lasen sich gegenseitig Gedichte vor und rauchten Gras. Bis
er dann irgendwann fand, das sei ihm alles zu bourgeois, und
sie für eine heiße Politikwissenschaftlerin abservierte, die der
Meinung war, sich die Achselhöhlen zu rasieren bedeutete,
sich der Diktatur des Patriarchats zu beugen.
Charlotte war am Boden zerstört. Es war das allererste Mal
in ihrem Leben, dass sie nicht ihren Willen bekommen hatte,
und diese Niederlage hatte sie nicht gerade mit Fassung getragen. Ganz und gar nicht. Betrunken und außer sich vor
Wut und Raserei hatte sie das Politikwissenschaftsgebäude
in Brand gesteckt.
Zum Glück war ihr Vater in die Bresche gesprungen und
hatte angeboten, den Teil des Gebäudes, der nicht bis auf die
Grundmauern niedergebrannt war, wiederaufbauen zu lassen, und schließlich hatten er und das Direktorium in Yale
sich darauf geeinigt, dass es besser wäre, Charlotte würde
ihr zweites Studienjahr in Paris verbringen. Europa wäre sicherlich weit genug weg, dachten sie sich, und so bekam die
Sorbonne zum folgenden Semesterbeginn eine neue Studentin und als Sahnehäubchen ein modernes Computersystem
dazu.
Und nun war sie wieder da, noch nicht mal einen Tag in der
Stadt, und schon musste er ihr über den Weg laufen. Manchmal war das Leben wirklich zum Kotzen.
*
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Als sie in den Hauptbereich des Clubs kam, sah sie auf den
ersten Blick, dass sich in ihrer Abwesenheit nicht viel verändert hatte. Alles, was jung, bildschön, reich oder notgeil
war, war da, und die meisten von Nicks Gästen waren alles
zusammen. Umwerfend gut aussehende Jungs und Mädels
tanzten in diversen Stadien der Nacktheit auf den Podesten
des Clubs, während alle angestrengt taten, als schauten sie
nicht hin, und gleichzeitig hofften, selbst gesehen zu werden.
Immer dasselbe. Sie drehte sich zu Nick um, der ihr gefolgt
war, vermutlich um sicherzugehen, dass sie seinen Club nicht
in Brand steckte.
»Wie ich sehe, die üblichen Verdächtigen.«
Er zuckte die Achseln. »Was soll man machen? Die oberen
Zehntausend werden von mir magisch angezogen – warum
wäre ich wohl sonst hier?« Mit fachmännischem Blick, dem
trotz Kerzenlicht und Zigarettenqualm nichts entging, schaute er sich um. »Da hinten in der Ecke ist er.«
Charlotte brauchte einen Augenblick, bis sie ihn gesichtet
hatte, aber dann blieb ihr fast das Herz stehen. Taylor. Immer noch zum Darniederknien, wobei er neuerdings einen
auf Gangsta machte, was ein bisschen albern wirkte in Anbetracht der Tatsache, dass er aus Connecticut stammte und
sein Vater Präsident einer Großbank war. Die schlimmste Bedrohung, der er je ausgesetzt gewesen war, war die Begegnung mit den Einheimischen seines Universitätsstädtchens.
Weite Hose, schlaffe Haltung, jede Menge Bling und drei als
futureske Schlampen verkleidete Mädels auf jeder Seite. Eine
Flasche Courvoisier auf dem Tisch. Eine Flasche Cristal, vermutlich für die Schlampen.
Nick drückte ihren Arm. »Willst du hier Wirbel machen
oder bleibst du cool?«
»Ich bleibe cool.«
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»Zünde bitte nichts an, versprochen?«
»Das ist über ein Jahr her.«
»Hast du Streichhölzer dabei?«
»Nein, du Trottel. Und außerdem, schau dich mal um. Der
ganze Laden ist voller Kerzen und Besoffener. Das macht ungefähr sechshundert potenzielle Brandstifter. Wenn hier mal
jemand vom Brandschutz reinkäme …«
Schnell legte er ihr eine Hand auf den Mund. »Sag dieses
Wort nie, niemals wieder in meiner Gegenwart.« Er zeigte mit
erhobenem Zeigefinger auf sie. »Also ehrlich, so was bringt
Unglück. Treib es nicht so weit, dass ich deine Nummer sperren muss.«
Lachend schaute sie ihm hinterher, als er in der Menge
verschwand. Auf der anderen Seite des Clubs, so weit von
Taylor entfernt wie nur möglich, hatte ihr Dinnerclub seine
Zelte aufgeschlagen, und James war allem Anschein nach damit beschäftigt, zwei Stripteasetänzerinnen zu bequatschen,
ihn zu sich auf die Bühne zu lassen. Die beiden schienen allerdings kein Interesse zu haben, waren aber so angetrunken,
dass sie sich dennoch recht widerstandslos angraben ließen.
Emily und Jane winkten sie zu sich. Mit einem stummen
Seufzer steuerte sie auf die beiden zu. In vieler Hinsicht lebte
sie quasi in diesen Clubs, zumindest die öffentliche Person
Charlotte Williams. Bis sie das Miststück in sich entdeckt und
gemerkt hatte, dass die Leute es offensichtlich köstlich fanden, wenn sie keck ein bisschen über die Stränge schlug, hatten solche Clubs ihr eigentlich immer ein bisschen Angst gemacht. Und insgeheim war ihr immer noch ein wenig mulmig
dabei, aber so ginge es wohl jedem, wenn man ständig unter
Beobachtung stünde und die ganze Welt einem auf Schritt
und Tritt zuschaute. Nicht, dass irgendjemand aus ihrer Clique das je zugegeben hätte.
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»Hast du Taylor schon gesehen?« Jane schien etwas besorgt.
Charlotte nickte. »Schon okay. Ist lange her.«
»Hast du gesehen, mit wem er hier ist?« Emily schien ganz
kribbelig vor Aufregung.
Wieder nickte Charlotte. »Stacy Star.«
Zeb war völlig außer sich. »Ich habe all ihre Alben zu Hause. Sie ist einfach unglaublich. Sie ist für Gaultier gelaufen,
und es war fabulös, jenseits jeder Beschreibung. Sie ist der
Hammer.«
Charlotte schaute ihn an. »Du brabbelst wirres Zeug, Zeb.
Beruhige dich.«
Er zitterte wie ein Greyhound kurz vor dem Rennen.
»Kann ich nicht. Sie ist der Hammer. Ich liebe sie.«
Charlotte runzelte die Stirn und winkte einer vorbeieilenden
Kellnerin. Die Kellnerin ignorierte sie. »Zeb, ich war mit ihr
in der Vorschule. Im wahren Leben heißt sie Stacy Fishbein.«
Was Zebs Begeisterung allerdings nicht den geringsten Abbruch zu tun schien. »Tja, dann kann ich nur zu gut verstehen, dass sie sich einen anderen Namen zugelegt hat. Ich
würde meinen auch ändern, wenn ich könnte.«
»Und was hindert dich daran?«
»Meine Eltern. Die finden, Zebediah ist ein cooler Name
für eine Schwuchtel. Verdammte Hippies. Die sind so tolerant, das ist nicht zum Aushalten.«
Endlich kam die Kellnerin zu ihnen. Charlotte lächelte sie
an.
»Zwingt Nick Sie, diesen Fummel zu tragen, oder sind das
Ihre eigenen Klamotten?«
Die Kellnerin trug einen Peekaboo-BH mit Schlitz über
den Brustwarzen und Glitzer auf den Nippeln, und dazu ultrakurze Hotpants. Mit zusammengekniffenen Augen guckte
sie Charlotte an. »Sind Sie eine Freundin von Nick?«
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»Ich bin eine sehr gute Freundin von Nick. Sie müssen
neu sein, sonst hätten Sie mich sofort erkannt und mir längst
einen Grey Goose mit Grapefruit gebracht, den trinke ich
nämlich immer. Ich bezahle nicht, und das erwartet auch niemand von mir.«
Die Kellnerin lachte laut auf. »Das soll ein Scherz sein,
oder?«
Urplötzlich wurde es totenstill am Tisch. Die Kellnerin
wirkte nervös. Dann schaute sie rüber zu Nick, der sie kritisch beäugte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an
und machte eine Handbewegung, um ihr zu bedeuten, dass
sie Charlotte alles bringen sollte, was ihr Herz begehrte.
»Ähm, ich bringe Ihnen sofort Ihren Drink. Sorry.« Sie
drehte sich um.
»Zeig mir deine Titten.« Eigentlich eine Unverschämtheit
von James, der sich mal wieder unmöglich aufführte, aber
Charlotte ließ ihn gewähren. Neuem Personal musste man
eben manchmal eine Lektion erteilen.
Die Kellnerin drehte sich wieder zu ihnen um. Eigentlich
war sie ganz hübsch. »Nein. Du kannst mich mal.«
Hübsch und angriffslustig. Eine ziemlich unwiderstehliche Mischung, weshalb James nun richtig scharf auf sie war.
»Nein, im Ernst, zieh deinen BH aus, damit ich deine Titten
anfassen kann. Wobei, wenn du nicht blöd bist, dann zeigst
du mir am besten gleich alles. Sonst sagt Charlotte Nick Bescheid, und du fliegst hier raus.«
Charlotte seufzte entnervt. Das war eindeutig zu viel.
»Nein, das tue ich bestimmt nicht, James. Reiß dich zusammen. Und Sie holen uns unsere Drinks, ja?« Die Kellnerin
suchte schleunigst das Weite.
James war beleidigt. »Ich wollte die Kellnerin, Charlotte.«
Charlotte zuckte nur die Achseln. »Tja, warum machst du
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es dann nicht wie jeder andere normale Mann, James? Unterhalte dich zehn Minuten mit ihr und sag ihr, wie schön du
sie findest. Funktioniert doch sonst auch immer, oder? Wobei
du jetzt natürlich erst mal dein Arschlochbenehmen wiedergutmachen musst, weshalb es womöglich eine halbe Stunde
dauern könnte.«
Währenddessen hatte sie Taylor nicht aus den Augen gelassen. Er hatte sie noch nicht gesehen. Zeit, den ersten Schritt
zu tun.
Also stand sie auf, zerstrubbelte sich lässig die Haare und
strich sich das Kleid glatt. »Komm, James, tanz mit mir.« Innerlich fühlte sie sich ganz leer, aber das durfte sie sich nicht
anmerken lassen.
James schmollte. Trotzig schüttelte er den Kopf.
Charlotte lächelte ihn bloß an. »Komm schon. Wir beide
tanzen so heiß, dass die Kellnerin nicht mehr anders kann,
als es dir gleich auf der Tanzfläche zu besorgen.«
James grinste. Er war wirklich ein schlichtes Gemüt. Langsam stand er auf, groß und elegant, und nahm sie an die
Hand.
Eben war die Tanzfläche noch brechend voll gewesen, doch
nun leerte sie sich rapide, und auf einmal war die Hälfte der
Leute verschwunden, um sich was zu trinken zu holen. Weshalb jeder Charlotte und James sehen konnte, als sie die Tanzfläche betraten, und da die meisten Menschen im Club wussten, wer sie waren, wurde sofort getuschelt und geraunt.
Geschmeidig wie eine Katze begann Charlotte zu tanzen.
Sie wusste, wie gut sie aussah, und Tanzen machte sie eigentlich immer an. Sie und James hatten das schon tausend
Mal gemacht; so hatten sie sich kennengelernt. Irgendwie
sprühten zwischen ihnen auf Anhieb die Funken, und was
sie auf der Tanzfläche machten, war mehr Vorspiel als Tanz.
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Sie spürte Taylors Blicke auf sich und legte die Hände an ihren Körper, strich über das Seidenkleid, bis ihre Brustwarzen
hart wurden und sich unter dem dünnen Stoff deutlich abzeichneten. James war ganz dicht neben ihr, er bewegte sich
im Takt mit ihr, drückte sich gegen sie, gegen ihre Hüften.
Dann nahm er ihre langen Haare in eine Hand und schlang
sie um sein Handgelenk, zog damit ihren Kopf nach hinten
und leckte lasziv über ihren Hals. Die andere Hand wanderte
zu ihrer Brust, legte sich darum, drückte zu und zog an ihrem
bereits harten Nippel, was sie mehr und mehr erregte. Die
Tanzfläche war inzwischen leer gefegt, und selbst die Tänzerinnen an der Stange schauten ihnen zu. Urplötzlich drehte
Charlotte sich um und kehrte James den Rücken zu, worauf
er sie an den Hüften packte und mit geschlossenen Augen
gegen sich presste. Charlotte sah, wie die Kellnerin sie beobachtete, und winkte sie heran.
»Er gehört dir, Süße. Viel Spaß.« Und damit küsste sie das
Mädchen auf den Mund, einfach so, und schlenderte zu Taylors Tisch.
Taylor sah sie kommen, und sein Gesicht war kaum zu deuten. Stacy Star dagegen war ein offenes Buch.
»Charlotte Williams, als ich dich das letzte Mal gesehen
habe, hast du noch mit Legos gespielt. Du hast dich ja gut
gemacht! Meine Freundin würde dich am liebsten gleich vernaschen, stimmt’s, Kätzchen?«
Das Kätzchen nickte und lutschte an seinem Finger. »Du
bist hübsch.«
Charlotte lächelte sie zuckersüß an. »Und du bist ein Spatzenhirn. Geh lieber spielen. Ich will mit Taylor reden. Geht
und leckt euch auf dem Klo.«
Erst sah es so aus, als wollte Stacy ihr an die Gurgel gehen,
aber dann zuckte sie bloß die Achseln. »Was soll’s? Kommt,
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Mädels, ich muss mir das Näschen pudern, wenn ihr versteht, was ich meine.« Dann kicherte sie, beugte sich schnell
vornüber und schniefte zwei Lines Koks, die hinter ihrem
Drink versteckt waren. Schließlich rieb sie sich den Rest auf
das Zahnfleisch, stand auf, schwankte ein wenig und zog die
anderen Mädchen hinter sich her. Charlotte setzte sich und
wischte mit dem Handrücken das restliche Koks vom Tisch.
Taylor wollte protestieren, ließ es aber dann bleiben. Dazu
war Koks einfach zu billig.
»Was gibt’s, Charlotte? Lange nicht gesehen, Süße.«
»Ist gerade mal ein Jahr her, Taylor. Wo ist denn Phillipa
abgeblieben?«
Ein unbeteiligtes Schulterzucken. »Sie hat jetzt was mit einem Rohstoffbroker mit Haus auf den Bahamas.«
»Und du hast was mit Stacy Fishbein?«
»Sie hat ihren Namen geändert. Ich will ins Musikbusiness
einsteigen, weißt du. Sie kennt Leute. Sie ist total angesagt,
eine ganz heiße Nummer, und sie steht auf mich. Warum also
nicht?« Charlotte sagte gar nichts. Taylor zündete sich eine Zigarette an; dass er rauchte, war ihr neu. »Ich bin fertig mit der
Uni, Mäuschen, und nicht jeder hat einen Daddy, der einen
aus allem Ärger freikauft. Ich muss arbeiten, ich muss was für
meine Karriere tun.«
»Ehrlich? Ich dachte, das wäre optional.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte arbeiten.«
Das wunderte sie. Denn nötig hatte er das eigentlich nicht.
Seine Familie war beinahe so stinkreich wie ihre. Wieder
schaute sie ihn an. Blonde Haare bis zu den Schultern, Dreitagebart, Gesicht wie ein Model; es zog sich immer noch alles
schmerzlich zusammen, wenn sie ihn sah.
Aber es ging vorbei. Sie spürte förmlich, wie das sehnliche
Verlangen langsam nachließ, und dankte der dafür zuständi27
gen höheren Macht, die beschlossen hatte, sie aus den Klauen
dieser unerfüllten Liebe zu entlassen.
Als könne er ihre Gedanken lesen, setzte Taylor wieder
an. »Du machst mich immer noch ganz schön an, Charlotte.
Komm doch mit uns nach Hause. Stacy ist ein echtes Partytier, falls du verstehst, was ich meine. Würde dir sicher gefallen. Früher haben wir die ganze Nacht durchgefeiert, weißt
du noch?«
»Das weiß ich noch. Aber besten Dank, Taylor. Das ist es
nicht wert, die Glut noch mal zu entfachen, wenn du mir das
kleine Wortspiel verzeihst.«
Sein Lächeln verschwand, als sie sich umdrehte und ging.
Aber ihres wurde mit jedem Schritt breiter.
K apitel 4
Natürlich war ihr Vater aufgeblieben und hatte auf sie ge-
wartet. Sie ließ den Hausschlüssel auf den Tisch im Foyer
fallen, blieb stehen und lauschte.
»The lovely girl, the lovely day …«
Sie lächelte. Ihr Vater hatte eine großartige Stimme – das
war ihr kleines Geheimnis, das sie niemandem verriet –, und
zusammen zu singen war eins ihrer liebsten Privatvergnügen.
Dieses Lied hatte er sich eigens für sie ausgedacht, als sie
noch ein kleines Mädchen war.
»A perfect time to run and play …«
Charlottes Stimme dagegen war ein offenes Geheimnis.
Mit fünf hatte sie »Happy Birthday« gesungen und damit einen ganzen Raum in andächtigem Schweigen versinken lassen. Die Leute hörten wirklich zu, wenn sie sang, und zuerst
hatte sie das verlegen gemacht und sie geängstigt. Aber als
Millie, ihr geliebtes Kindermädchen, ihrem Vater erklärt hatte, wie talentiert sie war, da hatte ihr Vater Charlotte ermuntert, Unterricht zu nehmen, sie zu den besten Gesangslehrern
geschickt, und vor allem hatte er kaum etwas lieber getan, als
ihr beim Singen zuzuhören. Ihre Stimme war tief, sanft und
weich, mit einem winzig kleinen rauen Unterton.
»Daddy’s here, won’t go away …«
Charlotte folgte dem Klang seiner Stimme und fand ihn,
wie erwartet, vor dem Kamin in seinem Arbeitszimmer.
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»And in his arms you’ll always stay.«
Gemeinsam sangen sie lachend das Lied zu Ende, und Jacob Williams streckte die Arme nach ihr aus. Sie ließ sich von
ihm umarmen, legte den Kopf auf seine Schulter, und der
weiche Kaschmir seiner Jacke fühlte sich so wunderbar flauschig an wie immer. Nicht mal ein Hauch von Zigarrenrauch
zu riechen – das hatte sie ihm abgewöhnt.
Er küsste sie auf die seidig weichen Haare und ging dann
zum Sideboard. »Drink?« Er schenkte sich noch etwas Scotch
nach, und die Eiswürfel in seinem Glas klirrten.
Charlotte nickte. »Einen kleinen.«
»Scotch?«
»Brandy.«
Er nickte und griff nach der Flasche.
Sie kuschelte sich gemütlich auf das Sofa, wärmte das Glas
in beiden Händen und lächelte ihn strahlend an. Zu Hause
durfte sie einfach sie selbst sein.
»Erzähl mal, Daddy, was gibt’s Neues an der Wall Street?«
Er lachte. »Als würde dich das interessieren.«
Sie tat ein bisschen gekränkt, streifte die Schuhe ab und
ließ sie auf den Boden fallen. »Natürlich interessiert mich das.
Bloß weil ich es nicht verstehe, heißt das noch lange nicht,
dass ich es nicht interessant finde. Griechische Philosophie
verstehe ich auch nicht, aber ich höre gerne zu, wenn Leute
darüber reden.«
»Tatsächlich?« Er schaute sie etwas perplex an. »Blödsinn.«
Sie lachte.
»Aber wo du schon danach fragst, der Markt hat heute einen ordentlichen Sprung gemacht, und gewisse Leute haben
eine Menge Geld verdient.«
»Und wie das?«
Er schaute in sein Glas. »Ich war gut aufgelegt, ich habe
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verkauft, ich habe gekauft, und siehe da – der Markt hat angezogen.«
»Himmel, was du für eine Macht hast. Kannst du nicht
auch was für den Weltfrieden tun? Oder noch besser, gegen
die Wucherpreise für Couture-Klamotten?«
Er schüttelte den Kopf. »Das liegt nicht in meiner Macht.
Aber um den Preis für Couture-Klamotten brauchst du dir
keine Sorgen zu machen. Du bist heute um rund drei Millionen Dollar reicher geworden.«
Charlotte schwieg kurz und nippte an ihrem Brandy. »Ehrlich? Kam mir gar nicht vor, als hätte ich auch nur einen Finger gerührt.«
»Hast du ja auch nicht. Und ich hatte auch nichts damit zu
tun. Vor ihrem Tod hat deine Mutter einen Treuhandfonds für
dich eingerichtet, auf den ich keinen Zugriff habe. Der hat
heute ordentlich zugelegt, ganz ohne mein Zutun.«
»Hm, wer hätte das gedacht?«
»Abgedroschene Redensarten, Charlotte? Ich habe dich doch
nicht nach Paris geschickt, damit du dein Englisch verlernst.
Ich habe dich hingeschickt, damit du Französisch lernst.«
Sie überhörte ihn. »Und was gibt’s sonst so Neues? Triffst
du dich mit jemandem?«
Augenblicklich wurde sein Gesicht hart und verschlossen.
»Nein, natürlich nicht.«
Scherzhaft verzog auch sie das Gesicht. »Und warum
nicht? Du bist doch noch nicht zu alt dafür.«
»Das will ich doch sehr hoffen.«
»Und du siehst auch immer noch ganz passabel aus.«
»Das sagst du nur, weil ich dein Vater bin.«
»Möglich.« Aber sie hatte recht. Jacob war immer noch eine
stattliche Erscheinung. Groß, gesund und sportlich, exzellent
gekleidet und einer der mächtigsten Männer der Wall Street.
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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Nicole Richie
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Roman
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Erscheinungstermin: Mai 2013
Eine reiche, verwöhnte Society-Göre probt das ganz normale Leben...
Charlotte Williams ist ein armes reiches Mädchen – verwöhnt, attraktiv, verschwenderisch und
weltfremd. Vom echten Leben hat sie nicht viel mitbekommen, ihre Welt ist die Jeunesse dorée
der Upper East Side Manhattans. Als ihr Vater in einen Finanzskandal verwickelt wird, bedeutet
das den jähen Abschied aus ihrem Elfenbeinturm. Sie flüchtet nach New Orleans, um fernab von
Presse und Paparazzi ein ganz normales Leben zu führen. Doch was für andere ein „normales
Leben“ ist, entpuppt sich für Charlotte als eine sehr schwierige und exotische Aufgabe.

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