Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in

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Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in
Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel
Ordinariat Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
in Zusammenarbeit mit
Shift – Festival der elektronischen Künste, 2009
Berichte zum Forschungsprojekt
Magische Kanäle? Über
Phantome und Phantasmen in
der Mediengeschichte.
Mit Beiträgen von
Anna Martensen, Martina Niggli, Marco Baumgartner und Samuel Sieber
1
Inhaltsübersicht
A.
Rahmentext zum Shift-Festival 2009
3
B.
Die Forschungsprojekte im Überblick
Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
4
Teilprojekt 1
C.
Medien und Magie in medien- und kulturhistorischer Perspektive.
Martina Niggli BA
6
Teilprojekt 2:
D.
Medien und Magie in medienanalytischer und zeithistorischer Perspektive.
Samuel Sieber BA
27
Teilprojekt 3:
E.
Medium und Magie – Kunst als magischer Diskurs / Kunstdiskurse über Magie
Marco Baumgartner BA
46
Teilprojekt 4:
F.
Medium und Magie – Recherchen zur Geschichte der Magie und der Medienkünste
in der Perspektive ihrer medialen Präsentation
Anna Martensen BA
59
2
Rahmentext zum Shift-Festival 2009
Shift – Festival der elektronischen Künste
Thema 2009:
Magic. Übersinnlichkeitsvermutungen und Technologiebeschwörungen
Festivaltitel gemäss [plug.in
Spätestens seit die Spiritisten und Okkultisten des 19. Jahrhunderts ins Jenseits zu telegrafieren und
Geister zu fotografieren vorgaben, gibt es eine reiche Wechselbeziehung von Magie und - jeweils neuen Medien. Die technischen Medien – von der Fotografie, über Telegrafie und Radio bis zum Computer –,
zumeist Produkte rationaler Wissenschaft oder geistreicher bzw. zufälliger Erfindungen, eignen sich für
die Projektion übersinnlicher Verbindungen und magischer Kräfte, da ihnen ein Rest an Übernatürlichkeit
oder Zauberkraft innezuwohnen scheint. Fasziniert oder ängstlich, erwartungsfroh oder gar gläubig,
betrachten wir Kunst und Medien bisweilen als magische Kanäle. Das beginnt im Alltag, beispielsweise
wenn der Computer etwas „wie von selbst“ macht.
In der Kunst ist in jüngster Zeit ein neues Interesse an magischen Praktiken und ihrer Geschichte zu
beobachten, gerade auch vor dem Hintergrund der Omnipräsenz technischer Kommunikation und der
damit einhergehenden permanenten Überforderung. Dabei geht es zumeist nicht um ein Abdriften ins
Esoterische, sondern eher um eine experimentelle Untersuchung über das Wechselspiel zwischen
technischen Allmacht-Visionen und spielerischen Subversionen vermeintlicher Subjektivität und
Souveränität.
Das Thema hat eine wichtige historische Komponente: Technische Medien haben (neben menschlichen
Medien) eine wichtige Rolle gespielt beim Boom von Spiritismus und Okkultismus um 1900.
Medientechnologie wurde (und wird) zum Aufspüren oder Sichtbarmachen von Übersinnlichem
eingesetzt – häufig mit bewusster Scharlatanerie verbunden (Geisterfotografie, Camera Obscura,
Holografie).
Zu untersuchen sind am Festival aber auch und in erster Linie aktuelle Verbindungen von Medien und
Magie: Es gibt "magische" und beschwörende, optimistische und pessimistische Umgangsformen und stile in der Beziehung zu Medien und Technologie, zu (literarischen und musikalischen) Automaten und
(industrieller) Automation, im Alltag wie in der Politik (Staaten, Religionen, Sekten). Im Alltag setzen
wir uns ständig mit der Magie und Monstrosität der Black Box 'Computer' auseinander, es liegt nahe, mit
Technologie-Beschwörungen und Übersinnlichkeitsvermutungen zu reagieren.
Schliesslich gibt es ein starkes künstlerisches Interesse an magischen Praktiken. Ein solches Interesse
der Kunst, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg (vor dem Hintergrund der Totalitarismen des
20.Jh), richtet sich oftmals gegen die Rolle des Künstlers als souveränes Subjekt bzw. speist sich aus
einer Skepsis gegenüber einem Rationalismus, der die Gefahr des Totalitären birgt.
Demgegenüber steht gleichzeitig eine stark personalisierende Tradition magischer Vorstellungen über das
positive Genie des Künstlers als Zauberer oder Schamane. Und schliesslich hat die Magie als Inhalt (neo)konzeptueller Kunst-als-Recherche Konjunktur.
3
Die Forschungsprojekte im Überblick
LC-Teilprojekt 1: Medien und Magie in medien- und kulturhistorischer Perspektive.
(behandelt von Martina Niggli)
Spiritismus, Okkultismus, insbesondere (!) um bzw. seit 1900 und ihr Umgang mit 'Medium' und
'Medien' (vgl. u.a. Hagen, Kuni usw.); Einsatz von Medientechnologie zum Aufspüren oder
Sichtbarmachen von Übersinnlichem (Laterna magica, Camera Obscura, Spielautomaten seit der
Romantik, Geisterphotographie, Holographie). Lernziel ist eine Zusammenstellung und Auswertung
relevanter medienwissenschaftlicher Texte, inkl. Thesen zum Themenschwerpunkt, Vorschläge für 2-3
Referenten (größere Auswahl zunächst).
angedacht: W. Hagen (Radio und Gespensterphotographie); Jens Schröter (von der Laterna magica zur
Holographie: Diskurs der optischen Medien); Stimmenübertragung (Karl-Heinz-Göttert, Daniel
Gethmann); Automaten und Automation (H.D. Bahr)
LC-Teilprojekt 2: Medien und Magie in medienanalytischer und zeithistorischer Perspektive.
(behandelt von Samuel Sieber)
"Magische" und beschwörende, optimistische und pessimistische Umgangsformen und -stile in der
Beziehung zu Medien und Technologie, zu (literarischen und musikalischen) Automaten und
(industrieller) Automation, im Alltag wie in der Politik (Staaten, Religionen, Sekten). Die Magie und das
Monströse der Black Box 'Computer', Technologie-Beschwörungen, Übersinnlichkeitsvermutungen.
Lernziel ist eine Zusammenstellung und Auswertung relevanter medienwissenschaftlicher Texte, inkl.
Thesen zum Themenschwerpunkt, Vorschläge für Referenten.
angedacht: die Magie der Hexen und Zauberer in den Künsten (N.N).; E-Meter und Engramme.
Seelensäuberung der Scientology-Sekte( Frank Nordhausen/W. Handl); Regierungstechnologie als
Selbsttechnologie (der panoptische Diskurs der Kontrollgesellschaft und die neuen Medien
(Bröckling/Krasmann); Spielautomaten vom Barock bis zu virtuellen (automatischen) Klangysnthesen
LC-Teilprojekt 3: Medium und Magie – Kunst als magischer Diskurs /Kunstdiskurse über Magie
(behandelt von Marco Baumgartner)
Künstlerisches Interesse an magischen Praktiken, aber auch magische Vorstellungen über das positive
Genie des Künstlers (als gottähnlicher Zauberer usw.) bzw. über das negative Werk des Teuflischen und
Verhexten. Zeithistorische Fragestellung: Ist ein solches Interesse der Kunst an Magie, insbesondere nach
dem zweiten Weltkrieg, eines, das sich u.a. gegen die Rolle des Künstlers als souveränem Subjekt richtet
bzw. aus einer Skepsis gegenüber dem Rationalismus bzw. Totalitarismus speist? Lernziel ist eine
Zusammenstellung und Auswertung relevanter wissenschaftlicher Texte, inkl. Thesen zum
Themenschwerpunkt, Vorschläge für Referenten.
Angedachte Themen: die Magie der Hexen und Zauberer in den Künsten (N.N), Interesse der Kunst an
magischen Praktiken (Maya Deren u.a.), Dekonstruktion der Magie des autonomen Subjekts und seiner
Bildmaschinen, im postmodernen Film , im postdramatischen Theater (multimedial operierend), in den
digitalen Netzkünsten; philosophischer Exkurs: Magie und Kausalität. Eine Begriffsanalyse von Ursache
und Wirkung; Freud/Lacan über die Magie der Tele-Pathie.
4
LC-Teilprojekt 4. Medium und Magie – Recherchen zur Geschichte der Magie und der
Medienkünste in der Perspektive ihrer medialen Präsentation (Ausstellung)
(behandelt von Anna Martensen)
Der/die Studierende recherchiert in Fachzeitschriften, Netzpublikationen und Büchern nach aktuellen
sowie historischen Arbeiten aus der Medienkunst zum Festivalthema „Magie“. Diese Recherche soll in
Zusammenarbeit mit den KuratorInnen der Ausstellung auch die Gliederung der Ausstellung in mögliche
thematische Unterkapitel beinhalten. Ziel ist ein Dossier in elektronischer Form mit Kurzbeschrieben von
möglichen künstlerischen Arbeiten inkl. Bildern, Kontaktdaten und weiterführenden Links.
Betreuender Professor der Learning Contracts ist Prof. Dr. Georg Christoph Tholen. Die Recherchen
werden unter Anleitung/in Absprache mit den verantwortlichen kuratierenden Personen von Shift
durchgeführt.
5
Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel
Frühjahrssemester 2009
Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
Forschungsbericht
SHIFT- Festival 2009
Forschungsprojekt
„Magische Kanäle? Über Phantome und
Phantasmen in der Mediengeschichte.“
Teilprojekt 1
Vorgelegt von:
Martina Niggli BA
Studienfächer
Medienwissenschaft (8. Semester)
Anglistik (8. Semester)
Mai 2009
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ………………………………………………………………………..9
2. Spiritismus, Okkultismus und das „Medium“ im magischen Sinne –
Definitionen
2.1. Spiritismus ……………………………………………………………. 10
2.2. Okkultismus …………………………………………………………... 10
2.3. Das „Medium“ im Spiritismus als Übermittler zwischen zwei Welten .. 11
3. Einsatz von Medientechnologien zum Aufspüren / Sichtbarmachen von
Übersinnlichem
3.1. Laterna Magica …………………………………………………………. 13
3.2. Camera Obscura ………………………………………………………… 14
3.3. 19. Jahrhundert: Galvanismus und Elektrizität …………………………. 15
3.4. Magnetismus, Telegrafie und Telepathie ……………………………….. 16
3.5. Geisterfotografie ………………………………………………………... 17
3.6. Holografie, Strahlung und Röntgen …………………………………….. 18
3.7. Radioaktivität …………………………………………………………… 19
3.8. Psycho- und Gedankenfotografie ………………………………………..20
4. Stimme und Telefon
4.1. Die mechanische Stimme ……………………………………………….. 21
4.2. Rohrsystem und Telefon ………………………………………………... 23
5. Übersicht / Schluss ……………………………………………………………..25
6. Quellenverzeichnis ……………………………………………………………..26
8
1. Einleitung
Das Teilprojekt 1 mit dem Titel „Medien und Magie in medien- und kulturhistorischer
Perspektive“ fokussiert sich auf das Übersinnliche und dessen Sichtbarmachen im 19.
Jahrhundert. Dies war das Jahrhundert des Okkultismus, des Spiritismus und der
medientechnologischen Erfindungen, welche der Menschheit Erklärungen für Vieles - bisher
Unbekanntes - lieferte. Dieses Teilprojekt untersucht sowohl die Entwicklungen im
technischen Bereich der Medienerfindungen, welche Tüftler, Forscher, Physiker und
Interessierte zur Sichtbarmachung von Geistern, Erscheinungen und Phänomenen benutzten,
als auch die Reaktionen der Menschheit und ihr Handling mit den Phantomen und
Phantasmen des 19. Jahrhunderts.
Im heutigen Jahrhundert kann sich die westliche Welt kaum noch vorstellen, wie sich das
Unwissen im 19. Jahrhundert angefühlt und wie sehr neue technische Entdeckungen die
Menschheit geschockt haben müssen. Kulturhistorisch zählen Elektrizität, Fotografie und
Telefon zu den im 19. Jahrhundert okkultistisch und spiritistisch angehauchten Medien,
welche anfangs die Menschen schockierten und zu unglaublichen Fantasien anregten, ganz
nach der Vorstellung „Huch, es redet einfach!“, wie dies zum Beispiel bei der Erfindung des
Telefons empfunden wurde.
Dieser Forschungsbericht beinhaltet eine Darstellung der historischen Entwicklung der
Medientechnologien, angefangen bei der Laterna Magica über die Geisterfotografie bis hin
zur mechanischen Stimme und dem Telefon. Während im zweiten Kapitel die genauen
Definitionen der Oberbegriffe des Themas des SHIFT- Festivals „Okkultismus“,
„Spiritismus“ und „Medium“ geklärt werden, fokussiert sich das dritte Kapitel auf die
medientechnologischen Erfindungen, die den Okkultismus über das Auge und das
Sehvermögen transportierten. Das vierte Kapitel hingegen gibt den Okkultismus wider,
welcher über die Sprache und das Gehör / Hörvermögen transportiert wurde. So werden zwei
verschiedene Sinne angesprochen. Während man beim Sehsinn noch sagen konnte „Ich hab’s
mit eigenen Augen gesehen“ und man somit eine beweisähnliche Bestätigung erhielt, steigert
der Hörsinn die Unsicherheit in Bezug auf Übersinnliches, da die Augen ausser Gefecht
gesetzt sind, Augenzeugen-Beweise gänzlich fehlen und die betroffenen Personen einer
Schutzlosigkeit beziehungsweise Hilflosigkeit ausgeliefert sind.
Die Reise in das Jahrhundert des Unwissens und Aberglaubens wird hiermit gestartet.
9
2. Spiritismus, Okkultismus und das „Medium“ im magischen
Sinne - Definitionen
2.1.
Spiritismus
Martin Stingelin betont in seinem Text über Gehirntelegraphie, dass der Benutzer der
neuen Medien in jenen keine Gespenster sehen darf, denn dies würde die Nutzung der Medien
behindern. Eine Kontrolle des Wahnsinns ist ein absolutes Muss. 1
„Spiritismus oder Spiritualismus bezeichnet die Lehre und Praxis der Beschwörung
von Geistern, die sich mit Hilfe eines Mediums sinnlich wahrnehmbar mitteilen sollen. Die
häufigste Form ist die Totenbeschwörung oder Nekromantie. Spiritualismus bezeichnet
darüber hinaus spiritualistische Lehren und Glaubenssysteme jeglicher Art“ 2 . Diese
aussergewöhnliche Tätigkeit wird nur von auserwählten Personen ausgeübt, welche angeblich
Kontakte zum übersinnlichen Bereich herstellen können oder zumindest dazu befähigt sind 3 .
Diese auserwählten Personen, welche mit Geister und Übersinnlichem kommunizieren,
werden Medium genannt und haben mit den technischen Medien gemeinsam, dass beide als
Übermittler von Informationen und Kommunikation gedacht sind. Der Spiritismus umhüllte
die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts mit Mythen und Phantasmen.
2.2.
Okkultismus
Der Okkultismus kann als einen Oberbegriff des Spiritismus‘ bezeichnet werden, da
der vom lateinischen Wort occultum stammende Begriff die Bedeutungen „das
Geheimnisvolle“
und
„das
Verborgene“
trägt.
Der
Okkultismus
umfasst
alle
„weltanschaulichen Praktiken und Richtungen, die nicht einzugliedernde Tatsachen der Natur
und des menschlichen Geistes betreffen, insbesondere aussersinnliche Wahrnehmungen,
Spuk,
Schweben,
parapsychologische
Wahrnehmungen
und
Fernbewegungen
[…].
Okkultismus beruht zum einen auf dem Glauben an die Übermacht menschlicher Seelenkräfte
gegenüber den Naturgesetzen und an die Existenz von Geistern, zum anderen nimmt er eine
Beseeltheit der Natur an und rechnet schliesslich mit einer Möglichkeit der Korrespondenz
1
Vgl. Stingelin Martin, S. 51.
Vgl. Wikipedia
3
Vgl. Meyer’s Lexikon
2
10
der menschlichen Seele mit der beseelten Natur“ 4 . Die Erkenntnisse, die daraus gewonnen
werden, werden als Geheimwissen gehandelt.
Der Okkultismus fand seinen Anfang mit der Elektrizität – eine Erfindung des Luigi
Galvani, weshalb dieses Zeitalter auch Galvanismus genannt wird -, denn durch diese
revolutionäre Erfindung wurde die Entwicklung von Medientechnologien erst ermöglicht. Der
Übergang vom allgemeinen Unwissen zu einem enormen Ideenreichtum geschah sehr schnell,
so dass Hagen fragt: „Okkultismus als eine beklemmende Reaktion auf die erfahrungslos
machende Übermacht der Technik?“ 5 Der Okkultismus wurzle in seiner diskursiven
Genealogie in der ein halbes Jahrhundert lang unaufgeklärten Frage des physikalischen
Galvanismus‘ selbst. 6 Laut Hagen ist der Okkultismus aufgrund seiner Wurzeln eine sehr
physikalische Angelegenheit und beruht oft auf unwissenschaftlichen Spekulationen
beziehungsweise auf theoretischer Unklarheit. Benjamin sieht die Erfahrungsarmut in der
Bevölkerung gleich wie Hagen, da er den Okkultismus als „fragwürdigen Versuch
[beschreibt, der darauf zielt,] die Ketten steigender Unheimlichkeiten wissenschaftlich
aufzuarbeiten“ 7 .
2.3.
Das „Medium“ im Spiritismus als Übermittler zwischen zwei
Welten
Man könnte sich die Frage stellen, wieso ausgerechnet der Mensch als Bindeglied
zwischen dem Hier und dem Jenseits auserkoren wurde. Doch geht man von der Annahme
aus, dass eine Korrespondenz der menschlichen Seele mit der beseelten Natur besteht 8 , ist die
Wahl des Menschen als „Medium“ nachvollziehbar.
Der Mensch als „Medium“ hat mit den technischen Medien eines gemeinsam: deren Funktion
als Übermittler von Information zwischen zwei distanzierten Orten und als Kanäle zur Pflege
der Kommunikation. Verena Kuni beschreibt das menschliche Medium wie folgt:
Medium (lat.), Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes; in der
griech. Sprache ein eignes Genus des Verbums (s.d.); in
der spiritistischen Weltanschauung jemand, der mit
einem Magnetiseur oder der Geisterwelt in Rapport steht. 9
4
Ebd.
Vgl. Hagen, S. 338
6
Ebd.
7
Benjamin, S. 214
8
Vlg. Meyer’s Lexikon
9
Vgl. Verena Kuni, S. 295
5
11
Die sogenannte Fox-Mär (auch Fox Rapping genannt) aus dem Jahre 1848 ist das meisterzählte
und wohl bekannteste Beispiel einer Geister-Zwei-Wege-Kommunikation, in welcher ein Medium mit
einem Geist kommuniziert: „…[D]er Geist eines im Hause vor fünf Jahren angeblich verscharrten
Toten [habe] durch Morseklopfzeichen geantwortet […]“ 10 . Als Regel für das einseitige Verständnis
diente zweimaliges Klopfen als ein Ja, während kein Klopfen als Nein interpretiert wurde. Das
Revolutionäre daran war, dass damit etwas in der Geschichte des Okkultismus Unbekanntes in die
Welt kam, nämlich „eine überprüfbare, reproduzierbare Geister-Kommunikation“ 11 .
Es existierten selbstverständlich verschiedenste Formen der Arbeit eines Mediums. Neben der MorseKommunikation sass man um tanzende und schwebende Tische herum, wo geklopft, geknallt,
gedonnert und den Tisch gerückt wurde, um so auf eine Antwort der Geister zu warten. 12
Im Jahre 1844 wurde angeblich das erste Trance-Medium Andrew Jackson Davis in New York
entdeckt, welcher sogar Eintritt für seine Trance-Vorlesungen verlangte. Dies nicht etwa aufgrund
einer Arroganz des erst Siebzehnjährigen, sondern aufgrund seiner aussergewöhnlichen und
spektakulären Fähigkeit im Trancezustand exzellente Vorlesungen über okkultistische Physik zu
halten, während er im Wachzustand stumm war. Der einst Stumme mutierte zum Medium der
Offenbarung. 13
Ab dem Jahre 1860 wurden England und Frankreich mit mediumistischen Medien und ihren Machern
überschwemmt. Helena Petrovna wurde zum bekannten Klopfgeister-Medium und Florence Cook
diente als persönliches Medium an Crooke‘s Seite. 14
Aufgrund des rasanten Wachstums der Anzahl von menschlichen Medien begann nicht nur die
Konkurrenz grösser und härter zu werden, sondern auch der Ruf des Mediums zu leiden. Ein Medium
genoss nicht nur den Ruf als Faszination und Geister-Sprecher, sondern je länger je mehr auch den
schlechten Ruf als Gaukler- und Taschenspielerbetrüger. 15 Dies ist vorstellbar, da das Unwissen der
Bevölkerung immer mehr verschwand und Illusionen schneller erkannt wurden. Doch nicht nur unter
einem schlechter werdenden Ruf hatten die einst bewunderten Medien zu leiden. Es kam der
unangenehme Nachgeschmack hinzu, zum Versuchsobjekt degradiert zu werden, denn während der
Arbeit eines Mediums pflegte man stets Sitzungsprotokolle anzufertigen, um das Medium genau zu
beobachten und eventuelle Geschehnisse zu notieren. 16 Jene Sitzungsprotokolle „lehnen sich an den
Stil wissenschaftlicher Versuchsprotokolle an und sind stets nach demselben Schema aufgebaut“ 17 .
Der Name des Mediums selbst bleibt im Protokoll unerwähnt, was auf eine Hierarchie und eine
Abwertung schliessen lässt.
10
Vgl. Hagen, S. 345
Ebd.
12
Vgl. Hagen
13
Ebd., S. 343
14
Vgl. Hagen und Kuni
15
Ebd.
16
Vgl. Kuni, S. 303
17
Ebd.
11
12
3.
Einsatz von Medientechnologien zum Aufspüren /
Sichtbarmachen von Übersinnlichem
3.1. Laterna Magica
Die Laterna Magica heisst vom Lateinischen übersetzt „Zauberlaterne“. Die Wörter
„Zauber“ und „Magica“ alleine lassen bereits auf seine magische Wirkung schliessen. Die
Laterna Magica „ist ein Projektionsgerät, das [- erfunden im Jahre 1656 vom niederländischen
Physiker Christiaan Huygens -] vom 17. bis ins 20. Jahrhundert hinein in ganz Europa
verbreitet war und im 19. Jahrhundert zum Massenmedium avancierte“ 18 . In diesem
Instrument entdeckte man quasi eine Zusammenfassung aller bekannten optischen Effekte.
Die „Zauberlaterne“ gilt sowohl als Vorläufer der heutigen Diaprojektion als auch der
Filmprojektion, denn sie ermöglichte damals bereits die verschiedensten Formen der
Bildprojektion.
Die Projektionsvorrichtung funktioniert nach dem umgekehrt optischen Prinzip der Camera
Obscura (siehe 3.2.) und projektiert gewöhnlich auf eine Leinwand. 19
Das Okkultistische beziehungsweise Magische an dieser Medientechnologie ist deren
Möglichkeit zum Spiel mit der Illusion in den Menschenaugen. Die Laterna Magica wurde
gern benutzt, um eine Illusionswirkung von Lichtbildern im dunklen Raum zu erreichen und
sogar „oftmals, um sie als Wirklichkeit erscheinen zu lassen“ 20 . Die Zuschauer täuschten sich
somit in dem, was sie sahen, da die Laterna Magica absichtlich unsichtbar platziert wurde.
„Als Projektionsfläche diente häufig Rauch, so dass der Eindruck von frei im Raum
schwebenden Figuren entstand“ 21 . Diese wahrgenommenen Geisterdarstellungen wurden
Phantasmagorien genannt und waren nichts weiter als Trug- und Traumbilder. Aufgrund
dieser abschreckenden Wirkung dieses Geräts wurde aus dem poetischen Namen der
„Zauberlaterne“ bald „Schreckenslaterne“. 22
18
Vgl. Wikipedia
Ebd.
20
Ebd.
21
Ebd.
22
Ebd.
19
13
3.2. Camera Obscura
Die Erfindung der Camera Obscura stellte einen Schritt beziehungsweise eine Art
Urform „auf einer langen Stufenleiter der Entwicklung“ bis hin zum Fotoapparat dar. 23 Die
Camera Obscura kann als Vorgänger der modernen Fotokamera beschrieben werden und hatte
die Funktion, eine Annäherung an die Repräsentation der Wirklichkeit zu ermöglichen. Crary
schreibt weiter, dass sowohl die Verwendungsmöglichkeiten als auch die gesellschaftlichen
Praktiken von diesem Gerät sehr vielfältig waren, doch die Hauptmerkmale stets unverändert
blieben.
Das Fotoapparat-Vorgängermodell diente oft als Zeichenhilfe bei Gemälden und in der
Malerei und wird in einigen Schriften als „Analogon zum menschlichen Auge“ 24 bezeichnet.
Die Camera Obscura entstand zur selben Zeit wie die Laterna Magica, arbeitete jedoch mit
dem umgekehrt optischen Prinzip.
Das Übersinnliche an der Camera Obscura ist wie bei der Laterna Magica die Nähe zu
Trick- und Illusionsverfahren, welche eine Möglichkeit der Verzerrung erlauben und somit
die „Wirklichkeitstreue“ infrage stellen25 . Crary beschreibt diese Art der Verzerrung wie
folgt:
Erst dann wird vermerkt, dass „selbst jemand, der nicht
zeichnen kann, mit diesem Apparat in die Lage versetzt
wird, äussert präzise Zeichnungen anzufertigen. 26
Weitaus schockierender als die Täuschung stellt sich die okkultistische Funktion der Camera
Obscura heraus: „[…] den Akt des Sehens vom Körper des Betrachters zu lösen, das Sehen zu
entkörperlichen“ 27 . Die Vorstellung einer Trennung des Auges vom Subjekt war
furchteinflössend und schwer nachvollziehbar für die Menschheit, worauf Nietzsche
antwortete: „Die Sinne täuschen, die Vernunft corrigirt die Irrthümer“ 28 .
23
Vgl. Crary, S. 38
Ebd., S. 44
25
Ebd.
26
Ebd.
27
Ebd., S. 50
28
Nietzsche in Crary, S. 50
24
14
3.3. Galvanisierung und Elektrizität
Hagen schreibt, dass im Jahre 1786 durch Luigi Galvani das Wegbereitende zur
heutigen Elektrizität erfunden wurde, nämlich der „elektrische Effekt“ 29 . Die Entdeckung der
Existenz von unsichtbarer Energie und leitungsfähigen Körpern geschah schockmässig, wie
die vielen anderen Entwicklungen zuvor auch schon, denn man darf nicht vergessen, wie sehr
zu dieser Zeit die Erfahrungsarmut die Welt im Griff hatte. Die zufällige Entdeckung des
Schlüsseleffekts „zur darauf folgenden chemischen Erzeugung von Elektrizität, die Volta,
wenige Jahre später, erstmals 1800 gelang“ 30 , geschah unerwartet und musste dem Tüftler
Galvani sicherlich unheimlich erschienen sein. Er testete elektrolytische Spannung an einem
frischen, nervendurchzogenen Froschschenkelfleisch, welches plötzlich zu zucken begann.
„Menschheitsgeschichtlich ist das die erste Erzeugungsquelle von kontinuierlichen
Stromflüssen, eine Batterie“ 31 und sie hat die Welt verändert, denn Galvani wandte seine
Theorie der Elektrizität auch auf die Nervenphysiologie an, da es die Nerven des Frosches
waren, welche auf die Stromstösse reagiert hatten.
Galvani’s Entdeckung war der Auslöser für Volta’s Erzeugung von Elektrizität im Jahre
1800. Der definitive Beweis war nun erbracht, „dass die Elektrizität ein sehr viel mächtigeres
Fluidum sein müsse als je gedacht, ein Stoff, verantwortlich für organische und anorganische
Reaktionen […]“ 32 . Doch die Experten gingen noch weiter und wagten zu behaupten, dass
Elektrizität
möglichweise
sogar
aus
„zwei
gegeneinanderwirkenden
Komponenten
zusammengesetzt“ 33 sei. Dies würde die Kraft der Erde und die Gravitation erklären, denn
sogar Napoleon hielt die Elektrizität für mächtig, da gekoppelt mit Anziehungs- und
Abstossungskraft (Magnetismus). Als empirischen Nachweis für den vorhandenen
Magnetismus in der Elektrizität diente das Experiment im Jahre 1820 mit einer Magnetnadel,
welche durch Elektrizität erfolgreich abgelenkt wurde. Diese Erkenntnis ging als die Geburt
der Elektrizität in die Geschichte ein und gründete den „soliden Bauplan“ 34 der Telegrafie.
29
Vgl. Hagen, S. 340
Ebd.
31
Ebd.
32
Ebd.
33
Ebd.
34
Vgl. Hagen, S. 341
30
15
3.4. Magnetismus, Telegrafie und Telepathie
Nach der Entdeckung des elektronischen Stroms und dessen Wirkung auf die Umwelt
blieb der Weg hin zur Telegrafie kurz. Geht man davon aus, – will man Hagen glauben – dass
bei der Morse-Technik laut Morse Intelligenz übermittelt wird und die Geister, wie zum
Beispiel der Geist in der Fox-Mär, schriftlich oder akustisch antworteten, so wird diese
Vorstellung wohl menschliches Unbehagen ausgelöst haben. Der Morse-Telegraf des Jahres
1838 wurde wie folgt beschrieben:
…A new and usefull machine and systems of sings for
for transmitting intelligence between distant points…
any sings thus produced and representing intelligence,
transmitted as before named between distant points. 35
Die Umsetzung dieses Projekts gelang Morse erst einige Jahre später, da Amerika sehr
suspekt und skeptisch auf seinen Vorschlag reagierte und ihm finanzielle Unterstützung
verweigerte. „Wenn sich nun schon die Einführung der Telegrafie in Amerika durch ein
mesmeristisch-spiritistisches Kongressklima verzögerte, wird nicht verwundern, dass die
spiritistische Antwort, eine komplette Okkultifizierung dieses Mediums nicht lange auf sich
warten liess“ 36 . Das Fox-Rapping ist die am meisten erzählte und bekannteste Erfahrung mit
einem morsenden, telegrafisch antwortenden Geist. Doch eine Erkenntnis aus dem Jahre 1919
an magnetischen Feldern bewies, dass die Telegrafie nicht ein Phänomen für sich sei, sondern
der Magnetismus als mitschuldig gesehen werden muss. 37
Das Pendant zur Telegrafie stellt die Telepathie dar. Nietzsche behauptete, dass
Telepathie ein „elektrische[r] Draht zwischen unsern Seelen“ 38 sei und somit das psychische
Gegenstück zur drahtlosen Telegrafie formierte. Der Stromfluss in der Telepathie stammte
von den wilden Gedanken der Probanden, welche meistens paranoide Menschen waren und
zu psychologischen Forschungszwecken gebraucht wurden. Im 19. Jahrhundert versetzte man
jene Paranoiden oder vom Verfolgungswahn Gestörten mittels Hypnose in einen
Trancezustand, um danach ihre wilden und zerstörenden Gedanken mittels Telepathie –
Gedankenübertragung durch Gedankenenergie – den Experten zugänglich zu machen. Die
Vorstellung des gläsernen Menschen war damals schon unerträglich und angsteinflössend und
35
Vgl. Hagen, S. 344
Ebd.
37
Vgl. Hagen
38
Vgl. Stingelin, S. 51
36
16
ist es bis heute geblieben, auch wenn heute nicht die Telepathie eine Gefahr darstellt, sondern
der panoptische Blick der überall gegenwärtigen Überwachungskameras und Computern.
3.5. Geisterfotografie
Die Geisterfotografie fand ihren revolutionären Anfang in den siebziger Jahren, „[…],
dann nämlich, als die Kameras mit einer 1/25 Belichtung auf Glasplatten schon annähernde
Aktionsbilder zulassen“ 39 . Somit wurde der telegrafische Okkultismus um eine vierte,
anfangs mythenumzogene Dimension erweitert. Geisterfotografie wurde zum Beispiel
benutzt, um während einer Trance-Sitzung einen Geist auf einer Fotoplatte zu erwarten und
die Hoffnung bestand endlich seine exakte Gestalt visuell auszumachen. Diese Magie der
Geisterfotografie sollte wie folgt funktionieren:
…dass es ein Fluidum oder einen Äther in der Natur giebt, welcher
unter gewissen Bedingungen sich verdichtet und in diesem Zustande
Sensitiven sichtbar wird; und dass, wenn seine Ausstrahlung eine
sensitiv gemachte Platte trifft, die Schwingung seiner Vibrationen
eine solche ist, dass sie eine kräftige chemische Tätigkeit bewirkt, so
wie solche nur dem stärksten Einflusse der Sonne zuzuschreiben sein
würde. 40
Doch schlussendlich gibt und gab es Geisterfotografien nie, da die Mythen um die
Geisterfotografien immer aufgrund von technischem Unwissen oder Aberglaube entstanden
waren.
Die Pseudo-Geister werden heute Orbs genannt und lassen sich zu 99% aufklären 41 .
Orbs können sowohl tagsüber als auch nachts fotografiert werden. Tagsüber entstehen Orbs,
wenn zum Beispiel direkt gegen die Sonne geschossen wird, was zu Blendflecken auf dem
Foto führt. Es kann aber auch vorkommen, dass sich eine in der Nähe befindliche helle
Lichtquelle in der Linse spiegelt. 42 In der Dunkelheit entstehen Orbs nur, wenn beim
Fotografieren ein Blitz verwendet wird, welcher eine ideale Reflektionsfläche für in der Luft
umherschwirrende Partikel, wie zum Beispiel Schneeflocken oder Blütenstaub, bietet.
Bei der Analogfotografie liegt die Fehlerursache bei einer möglichen Doppelbelichtung oder
einer zu langen Verschlusszeit, während bei der heutigen Digitalfotografie eine zu geringe
Pixel-Auflösung der Grund für Orbs in Fotografien ist. Dieser „Pixelbrei“ 43 sorgt für
Verwaschungen und optische Täuschungen.
39
Vgl. Hagen, S. 348
Ebd.
41
Vgl. www.Geister-und-Gespenster.de
42
Ebd.
43
Ebd.
40
17
Die anfängliche Magie der Geisterfotografie wurde durch die Realität zerstört, doch bleibt
etwas Magisches an der Fotografie haften, denn das Phänomen der Orbs kann für die Kunst
verwendet werden um mystische Effekte in Bildern zu erzeugen.
3.6. Holografie, Strahlung und Röntgen
Das Wort Holografie stammt von den zwei griechischen Wörter holos und graphein.
Ersteres kann mit „ganz, vollständig“ übersetzt werden, während das zweite Wort auf Deutsch
„schreiben, aufzeichnen“ bedeutet. Unter Holografie „fasst man Verfahren zusammen, die den
Wellencharakter des Lichts ausnutzen, um anschauliche Darstellungen zu erzielen, die über
die Möglichkeiten der klassischen Fotografie hinaus gehen“ 44 .
Das Magische und Revolutionäre an der vom Physiker Dennis Gabor im Jahre 1947
entdeckten Wissenschaft der Holografie ist, dass damit ein weiterer Schritt nach vorne
gemacht wurde, um anschauliche dreidimensionale Darstellungen zu erzielen. Während
Gabor ursprünglich ein ganz anderes Ziel hatte – nämlich das Auflösungsvermögen von
Mikroskopen zu verbessern -, hatte er im Jahre 1920 die Idee der kurzen Wellenlängen, die
wir heute Röntgenstrahlen nennen. 40 Jahre später wurde die Idee des Röntgens fortgesetzt
und der Laser erfunden, worauf nur vier Jahre später das erste Hologramm fertiggestellt
wurde. 45
Um ein Hologramm herzustellen „wird dabei kohärentes Laserlicht verwendet, um die
Interferenzmuster, die ein Objekt im Strahlengang erzeugt, auf einem fotografischen Film
abzubilden“ 46 .
Ein auf diesem Wege entstandenes Abbild, „manchmal aber auch die
Fotoplatte selbst“ 47 , erhält den Namen Hologramm.
Die Magie der Dreidimensionalität, welche den Abbild-Betrachtern ein neues Gefühl
der Echtheit und Authentizität vermittelte, wurde durch die Erfindung der Crookerschen
Röhren
weiter
verstärkt.
1895
entdeckte Conrad
Röntgen
die
weltverändernden
Röntgenstrahlen, welche für ihn zeitlebens unerklärlich blieben 48 . Trotzdem veränderte der
entdeckte vierte Aggregatszustand die ganze Welt, denn
[t]atsächlich hat mit einer solchen Crookes-Röhre Conrad
Röntgen aus purem Zufall jene Strahlung gefunden, die nicht
nur für den Spiritismus und die Kunst der Avantgarde, sondern
auch für die Physik des ausgehenden Jahrhunderts wirkmächtig
44
Vgl. Wikipedia
Ebd.
46
Ebd.
47
Ebd.
48
Vgl. Hagen, S. 350
45
18
wurden. 49
Weiter als magisch – ja, sogar als Wunder wurde es definiert - galt die Tatsache, dass mit
Strahlung Abbilder und Fotografien hergestellt werden konnten, ohne dass weder eine
Kamera noch eine Linse zum Einsatz kamen. Zu dieser Zeit war es der Menschheit noch
unbekannt, dass die Röntgentechnik nicht ein Wunder war, sondern mit Radioaktivität
arbeitete. Aus diesem Grund war der Anblick des Bildes einer geröntgeten Hand etwas
Magisches, da weder Kamera noch Linse zum Einsatz kamen und der Knochenabdruck wie
von Geisterhand auf die Platte gepresst wurde. Laut Crooke strahle der vierte
Aggregatszustand wie „das Gesicht der Geistererscheinung „Katie King““ 50 , welche ihm
erschien.
3.7. Radioaktivität
Aufgrund eines Zufalls entdeckte Antoine Henri Becquerel im Jahre 1896 die
radioaktive Strahlung des Urans, weil er sich zum Ziel setzte, die letzten Geheimnisse des
Universums aufzuklären 51 . Wie bereits bei den vorherigen spiritistischen Entdeckungen
vermittelte auch hier das Zufällige das Magische: Die Radioaktivität entdeckte Becquerel,
indem „er […] eine belichtbare Platte unabsichtlich über Nacht neben Uranstaub liegen
[liess]“ 52 .
Ein Jahr später wurde durch J. J. Thomson mithilfe Crookerscher Röhren die
Entdeckung des Elektrons gefeiert. Es gelang Ernest Rutherford, welcher ein Schüler von
Thomson war, nun den möglichst realitätsnahen Nachbau des Äthers so, „dass es in ersten
Umrissen dem heutigen schulphysikalischen Atommodell […] sehr nahe kommt“ 53 .
Heute ist die Faszination über Radioaktivität und Atome noch immer vorhanden und es wird
gespürt, dass noch nicht jeder Bereich des Universums erprobt worden ist. Aktuell kann man
das CERN (European Organization for Nuclear Research) Projekt nennen, welches die
Entdeckung des bisher noch nie real beobachteten Higgs-Teilchens zum Ziel hat. Dabei
arbeitet CERN in Genf mit der weltweit stärksten Teilchenbeschleunigungsanlage HLC. 54
Dieses Projekt stiess bei der Bevölkerung nicht nur auf Begeisterung, sondern weckte eher
Ängste auf. Diese Tatsache ist medien- und kulturtheoretisch sehr interessant, da die früheren
49
Ebd., S. 349
Ebd., S. 350
51
Ebd.
52
Ebd.
53
Ebd.
54
Vgl. www.news.ch vom 7. August 2008
50
19
Ängste, wie sie bereits im Zeitalter des Okkultismus existent waren, bei aussergewöhnlichen
Projekten dieser Dimension wieder an die Oberfläche schwappen.
3.8. Psycho- und Gedankenfotografie
Die Idee, dass man Röntgenstrahlung nicht nur auf Körperteile, sondern auch auf
mentale Körperzustände anwenden könnte, ist gar nicht so abwegig, denn bedenkt man die
damalige Annahme des Okkultismus‘, dass Gedanken auch Strahlung seien, dann sollte man
logischerweise auch die wilden Gedanken eines psychisch Kranken auf einer belichtbaren
Platte fixieren können. Auch Röntgen behauptete im Jahre 1897, dass das Phänomen der
Gedankenübertragung aus dem Effekt einer Röntgenstrahlung entstünde 55 . Besonders
sensitive Menschen könnten Gedanken bündeln und sie via Strahlung weitergeben.
Die Gedankenfotografie fand ihren Weg in die abstrakte Malerei. Künstler wie
Kandinsky oder Leadbeater gaben den Gemütszuständen Liebe, Eifersucht, Gier und vielen
weiteren eine Form, eine Farbe und einen Inhalt. Leadbeater jedoch war als zwielichtige
„theosopische
Gestalt“ 56
bekannt,
welcher
seine
Bilder
und
Stilisierungen
von
Doppelbelichtungen und Zufallsmanipulationen ableitete statt wahre Psychofotografie zu
betreiben. Die malerischen Artefakte sehen spektakulär und ungewohnt aus, sind lohnenswert
sich mal über das Dargestellte und seine Bezüge zum dargestellten Gemütszustand Gedanken
zu machen, doch, so schreibt Hagen, befinde sich nichts als sinnlose Willkür hinter den
Bildern:
Ohne irgendeinen Anspruch auf Sinn, ohne irgendeinen Gedanken,
der sich lohnte, hier zitiert zu werden, ordnet Leadbeater in sinnloser
Willkür seinen geometrisch gereinigten und nachgefärbten GedankenFotografie-Elementen […] hysterogen überzogene
Gefühlsausdrücke und -muster zu. 57
Ein Trunksüchtiger in dem Augenblick, als er eine Kneipe betrat.
C. W. Leadbeater.
Die Tentakel dient als Ausdruck von Gier und Besitzstreben.
„Gelegentlich zeigt die Aura Formungen ähnlich von Tentakeln.
Oft tragen diese als markantes Kennzeichen an ihren Enden Widerhaken. Leadbeater
beschrieb diese Erscheinung ausführlich und reihte sie unter Psychogonen ein. Da diese
55
Ebd., S. 351
Ebd., S. 352
57
Ebd.
56
20
Ausformungen durch die gestaltgebende Kraft von Gedanken entstehen, ist es durchaus
gerechtfertigt die Tentakel als Psychogone zu bezeichnen“ 58
Das Magische an diesen umstrittenen Artefakten der Psychofotografie und an der
Psychofotografie selbst ist, dass sich oft ein bisschen Wahrheit hinter der wohl nicht
wissenschaftlich wahren Darstellung verbirgt.
4.
Stimme und Telefon
4.1. Die mechanische Stimme
Die Vorstellung, dass man einen Hörer in der Hand hält, weit und breit niemand in
Sichtweite ist und plötzlich aus dem Nichts eine Stimme aus dem Hörer redet, dir Fragen
stellt und auf deine verdutzten Antworten in den Hörer in Sekundenschnelle antwortet, hat
etwas Unheimliches. Ganz nach der altertümlichen Vorstellung „Huch, es redet einfach!“.
Im Okkultismus hat das mit den eigenen Augen Gesehene einen höheren Wahrheitswert als
das mit den Ohren Gehörte, denn den Augen traut man generell mehr als den Ohren, denn
man könnte sich ja verhört haben.
Nicht nur das „Huch, es redet einfach!“ verunsicherte die Menschheit, sondern auch die
Beziehung zwischen Stimme und Klang. Beide bedingen einander und können nicht ohne
einander existieren. Weiter können sie nur anwesend sein, „wenn sie verschwinden“ 59 . Das
heisst, das eine kann nur anwesend sein, wenn das andere abwesend ist. Folglich ist das, was
aus dem Hörer in der Hand des Hörers kommt, der Klang der innerhalb von
Schallgeschwindigkeit verschwundenen Stimme.
Sind wir uns diese Magie der Stimme bewusst, liegt es auf der Hand, dass
physiologische Nachbauten des menschlichen Sprechapparats im Interessenfokus der
Wissenschaftler standen. Vorzugsweise die Konstruktion von künstlichen Stimmen stiess auf
grosses Forschungsinteresse, wobei zwischen zwei Konstruktionsverfahren unterschieden
wurde: „Das eine suchte nach einer zunächst mechanischen Nachbildung des menschlichen
Sprachapparats, das andere nach einer Erzeugung seiner lautlichen Eigenschaften“ 60 . Selbst
diese Ideen lösten wiederum einen magischen Schrecken unter der Bevölkerung aus, da eine
Trennung der Stimme vom Körper möglich sein musste, doch diese Annahme vollkommen
58
Vgl. http://astral.lichtnetz.eu.org/aura/tentakel.htm, im Mai 2009
Vgl. Gethmann, S. 23
60
Ebd., S. 24 59
21
unvorstellbar blieb: „Wir waren darüber sehr erschrocken und hatten wohl Grund dazu; denn
wir sahen niemand und hörten doch die verschiedensten Laute, die von Männern, Frauen,
Kindern und Pferden herzurühren schienen“ 61 . Dieser Schrecken konnte auf die Erkenntnis
zurückgeführt werden, dass die körperliche, sterbliche Hülle eines Menschen mit der
Erfindung des Telefons überflüssig geworden war, denn man hörte, ohne den Körper zu
sehen.
Der erste Schritt, um dem Vorläufer eines Telefons näher zu kommen, bildete die
mechanische Stimme, welche durch die Nachbildung des menschlichen Sprachapparats
geschaffen wurde. Im 18. Jahrhundert wurde die Erfindung von jeglichen Nachbauten des
Sprechapparats in Angriff genommen und man war stets um die Verbesserung der bereits
existierenden Nachbauten bemüht, um möglichst nahe an das Original des menschlichen
Sprachapparats zu kommen. Die Sprechenden Köpfe, welche Abbé Mical im Jahre 1783
vorstellte, glichen im Aussehen einem Menschen, doch
basierten [sie] […] auf dem Prinzip der Orgel, deren von
einem Blasebalg gelieferte Luft in diverse Kanäle geleitet
wurde, wo Membranöffnungen mit im Luftstrom schwingenden
Zungen angebracht waren. Dies war das Bauprinzip der Orgelpfeife
Vox humana, „doch erst durch die verschieden geformten Schallräume, in denen sich Membran und Zunge befanden, wurde der
erzeugte Ton moduliert.“ 62
Die Sprechenden Köpfe produzierten eine erste „Kollektivstimme“ 63 und waren fähig
konkrete Sprechakte zu äussern, doch waren immer noch orgelähnliche Hilfsmittel zwingend
nötig um den Köpfen das Sprechen zu ermöglichen. Da wurde der Druck gross mehr über den
Kehlkopf eines Menschen zu erfahren, um sich in dessen Nachbau zu profilieren. Der
Physiologe Johannes Müller untersuchte an Leichenteilen das Stimmensystem mit dem Ziel
eine Sprechmaschine zu bauen. Es war eine Zeit, wo viele verschiedenste Theorien und
Experimente zur Stimmproduktion durchgeführt wurden. 64 Die im Jahre 1835 präsentierte
Sprechmaschine Euphonia, welche einer auf einem Stuhl sitzenden Puppe ähnelte, lieferte die
„beste Sprechleistung“ 65 seit jeher, da deren Erfinder Joseph Faber „grosse[n] Wert auf eine
exakte Nachbildung der menschlichen Sprechorgane [legte]“ 66 . Euphonia war jedoch
schwierig zu bedienen und bedurfte einiger Hilfstechniker zur Tonproduktion.
61
Ebd., Zitat von R. Francois
Ebd., S. 32
63
Ebd.
64
Ebd., S. 41
65
Ebd.
66
Ebd.
62
22
Erst mit der Erfindung des Phonoautographen kam man der menschlichen Originalstimme
nahe, da dieses Gerät mit der Sichtbarmachung des Schalls arbeitete. Der Phonoautograph
besass eine synthetische Stimme und übernahm „die Funktion eines Vorbilds für die
menschliche Stimmbildung […]“ 67 .
Charles Wheatstone hatte bereits einige Jahre zuvor die richtige Idee der Stimmenübertragung
im Kopf: „Dabei schlug er eine Kombination von Übertragungs- und Reproduktionstechnik
vor, indem nicht die Stimme sondern Steuerungssignale übertragen werden sollten, mittels
derer an einem anderen Ort befindliche Sprechmaschinen die Stimme und damit auch die
Botschaft reproduzierten“ 68 . Dies war der richtige Gedanke um näher an das heutige Telefon
zu avancieren, denn das Geheimnis der Übertragung war der Schall.
4.2. Rohrsystem und Telefon
Schall besteht aus Schwingungen, welche sich über Distanzen und Räume forttragen. So
zitiert Gethmann:
Jede mögliche Bewegung ist entweder eine fortschreitende, oder
eine drehende, oder eine schwingende Bewegung, welche letztere
auch zitternde Bewegung (motus vibratorius, oscillatorius, tremulus)
genannt wird. Diese allein wirkt unter den nachher anzugebenden
Bedingungen auf das Gehör; 69
Seit dem Altertum wurde die Schallausbreitung in der Luft untersucht, wobei jedoch die
Reichweite einer solchen Übertragung sehr eingeschränkt blieb. Mit dem von Sir Samuel
Morland im Jahre 1671 kreierten Sprachrohr wurde es ermöglicht eine „Verständigung über
eine grosse Distanz“ 70 zu erreichen. Dieses Sprachrohr glich jedoch noch eher einem langen
Megaphon. Bald kam der Wunsch nach Stimmröhren auf, weil diese in einer Stadt praktischer
wären als einzelne Sprachrohre. Doch ein solches Stimmröhrensystem in einer Stadt
aufzubauen wäre ein enormer Aufwand gewesen. Nichtsdestotrotz verharrte der Wunsch nach
mehr Kommunikation in den Köpfen der Menschen „um zu verhindern, dass ein einsamer
Bewohner „gantz alleine in seinem Hause mit 4 wende umgebe sitzet und also verdackter
weise allerley Händel ausdencket““ 71 . Da jedoch in einer Stadt zu viele Menschen über ein
Stimmrohr sprechen würden und niemand den anderen verstehen würde aufgrund des
Stimmenwirrwarrs, wurde der Vorschlag eines Kanals für jeden Gesprächspartner geäussert.
67
Ebd., S. 43
Ebd., S. 39
69
Ebd., S. 46
70
Ebd., S. 47
71
Ebd., S. 49
68
23
Somit wären immer zwei Personen mit einem eigenen Kanal miteinander verbunden und
sowohl Mithörer als auch Stimmenwirrwarr wären ausgeschlossen. „Dadurch, dass jedes
Stimmrohr mit dem Namen des Freundes oder Bekannten beschriftet ist, lässt sich ein
Gesprächspartner leicht wählen, indem man einfach an das Rohr tritt und ihn anruft“ 72 . Huth
spinnt den Faden weiter und schlägt eine Ausdehnung dieses Kommunikationsweges auf das
ganze Land vor. Seine Namensvorschläge für dieses Kommunikationsnetz lauteten
„Telephon, oder Fernsprecher“ 73 . Dabei betonte Huth nicht nur der private Nutzen, den man
aus diesem Telefonsystem ziehen könne, sondern erwähnte auch dessen öffentlichen Nutzen
um in Notfällen die ganze Stadt, beziehungsweise Teile der Welt, zu informieren. Da er zu
diesem Zeitpunkt den öffentlichen Zweck als wichtiger betrachtete, schlug er vor, das private
Telefonnetz kostenpflichtig, jedoch bezahlbar und günstig zu halten.
So verhält es sich heute noch und das Telefon wäre vom täglichen Gebrauch nicht mehr
wegzudenken. Seine Magie hat es inzwischen verloren, doch fällt es auf, dass in
Erpressungsfällen in Filmen noch gerne über Telefon Forderungen geäussert werden, da die
Stimme verzogen werden kann und man unsichtbar bleibt. Mit den Ortungsmöglichkeiten des
21. Jahrhunderts fällt diese Telefon-Erpressungsmöglichkeit ins Wasser, doch ein neues
Phänomen tauchte auf: Stalking mit Telefonterror, wobei es sehr unangenehm und
furchteinflössend ist von einer unbekannten Person ständig angerufen zu werden, ohne zu
wissen, wer sie ist. Hier merkt man, dass heutzutage noch eher den Augen vertraut und mit
dem Hörsinn alleine hilflos in der Welt herumgewandelt wird.
5. Übersicht
Die Gesellschaft hat sich sowohl vom anfänglichen Schock der okkultistischen
Erfindungen als auch vom Unwissen längst erholt und wehrt sich je länger je mehr gegen
Okkultismus und Spiritismus. Übersinnliches wird heute oft gerne als Aberglaube oder
Gehirngespinst abgetan, doch ein Restchen Unsicherheit bleibt, da wir alle wissen, dass an
72
73
Ebd.
Ebd., S. 51
24
jeder Lüge ein Stückchen Wahrheit haftet. Zumindest amüsiert sich die Gesellschaft des 21.
Jahrhunderts
ab
den
okkultistischen
Medientechnologien
der
Avantgarde
zur
Sichtbarmachung von Übersinnlichem und staunt, wie lange es dauerte alles Unwissen
aufzuklären.
Der Hype um den Okkultismus beziehungsweise Spiritismus erlebte die Menschheit am
Anfang dieser Trends. Was sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Lug und Trug
herausstellte, riss jahrelang tausende von Anhängern und Menschen in den Bann.
Jede der beschriebenen Medientechnologie hatte seine faszinierende Seite, doch was am
eindrücklichsten wirkte, waren die zufälligen Entdeckungen, welche Körperteile auf
belichtbare Platte abbildeten und sie geisterhaft aussehen liessen. Die Fotografie nutzte diese
mythenumwobene Faszination aus und tut dies noch heute. Die Psychofotografie stellte sich
noch als eine Spur dramatischer und radikaler dar, da sie diesmal an das persönlichste Recht
eines Menschen herantrat, an seine Gedankenfreiheit, und versuchte, das einzige Freie (die
Gedanken) schonungslos zu veröffentlichen. Während diese optischen Medien die Welt
revolutionierten, blieb auch der akustische Körpersinn nicht von okkultistischer Konfrontation
verschont. Die Schritte bis zum Telefon – angefangen bei Sprechköpfen, über
Sprechmaschinen bis hin zum Stimmrohrsystem – waren einige und blieben lange
unvorstellbar in den Köpfen der Menschen.
Heutzutage - trotz alles Wissens über Technik und Naturgeschehnisse - existieren einige
dunkle Bereiche, über welche wir keine Ahnung haben und die in uns Magie und Unbehagen
auslösen. Der Unterschied zu früher ist, dass auf grössere Dimensionen und Unfassbareres
zurückgegriffen werden muss um der heutigen Gesellschaft Magie zu vermitteln. Die Fragen
nach ausserirdischem Leben oder dem Zustandekommen der Feldkreise bleiben nach wie vor
unbeantwortet und mit einem Hauch von Magie und Mythos verhaftet. Dies begründet das
immerwährende kulturelle Interesse an Okkultismus, schwarzer Magie und dem
Unbekannten.
25
6. Quellenverzeichnis
Crary, Jonathan
1996
Die Camera obscura und ihr Subjekt. In: Techniken des Betrachters.
Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert. Dresden: Verlag der Kunst,
S. 37 – 73.
Geister und Gespenster, vom März 2009. Das Zustandekommen und eine Erklärung zur
modernen Geisterfotografie
www.geister-undgespenster.de/wissen/wissenschaft/zustandekommen_von_Geisterfotografien.htm
Gethmann, Daniel
2006
Die Übertragung der Stimme. Vor- und Frühgeschichte des Sprechens
im Radio. Diaphanes, Zürich – Berlin.
Hagen, Wolfgang & Tholen, Georg Christoph (Hrsg.)
1999
Der Okkultismus der Avantgarde um 1900. In: Konfigurationen.
Zwischen Kunst und Medien. München, S. 338 – 357.
Krämer, Stefan
2008
Kuni, Verena
2008
Äther. Und es gibt ihn doch. Desontologisierte Überlegungen zur
Immanenz der Medien. In: Künnel-Schnur, Albert & Schröter, Jens
(Hrsg.): Äther. Ein Medium der Moderne. Bielefeld, S. 33 – 53.
Medien-Künste. Mediologie als Methode an der Schnittstelle von
Kunst- und Medienwissenschaften. In: Birgit Mersmann / Thomas
Weber (Hrsg.): Mediologie als Methode. Berlin, S. 293 – 314.
Meyer’s Lexikon vom März 2009:
http://lexikon.meyers.de/wissen/Okkultismus+(Sachartikel)
Stingelin, Martin
1989
Gehirntelegraphie. Die Rede der Paranoia von der Macht der Medien
1900. Falldarstellungen. In: Kittler, Friedrich & Tholen, G. Ch. (Hrsg.):
Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870. München,
S. 52 – 69.
Wikipedia vom März 2009
http://de.wikipedia.org
26
Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel
Frühjahrssemester 2009
Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
Forschungsbericht
SHIFT-Festival 2009 Forschungsprojekt
„Magische Kanäle? Über Phantome und
Phantasmen in der Mediengeschichte.“
Teilprojekt 2
vorgelegt von:
Samuel Sieber BA
Studienfächer
Medienwissenschaft (12. Semester)
Geschichte (12. Semester)
Mai 2009
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................................ 28
1.
Einleitung ..................................................................................................................................... 29
2.
Medien, Technologie und Magie: Gegenstand und Definitionen ............................................ 30
3.
4.
2.1.
Magie und das Magische ....................................................................................................... 30
2.2.
Technik und Technologie ...................................................................................................... 31
2.3.
Medium: Zwischen Medienwissenschaft und Mediologie .................................................... 33
Vom Magnetismus zum Web 2.0: Entwicklungslinien im individuellen Medienumgang .... 34
3.1.
Magische Vermittlung: Von der Magnetnadel zum Mobiltelefon, vom Telegrafen zum
Massenradio ........................................................................................................................... 34
3.2.
Magische Bilder: Von der Geisterfotografie zur Virtual Reality .......................................... 37
3.3.
Magische Maschinen: Von der Elektrizität zur „Black Box Computer“ ............................... 39
Politische Umgangsformen mit der Magie des Mediums......................................................... 41
4.1.
Regierungs- und Selbsttechnologien ..................................................................................... 41
4.2.
Scientology: Beschwörung der Technik ................................................................................ 42
5.
Überblick ...................................................................................................................................... 43
6.
Literatur ....................................................................................................................................... 45
28
1. Einleitung
Für ihre Nutzer haben Medien magische Qualitäten. Magisch erscheint der Computer, wenn er aus
dem Nichts virtuelle Realitäten erzeugt; magische Wirkung haben Fernsehbilder, welche den Blick in
die ganze Welt im eigenen Wohnzimmer ermöglichen und magisch werden auch die aktuellen
Möglichkeiten der Telekommunikation wahrgenommen, die dem Menschen eine ubiquitäre
Verfügbarkeit von Kommunikation anbieten. Die Magie des Mediums besteht aber nicht erst seitdem
Computer, Fernsehgeräte oder Mobiltelefone unsere Wahrnehmung der Welt bestimmen. Ein Blick
auf die Geschichte attestiert technischen Medien seit jeher magische Eigenschaften. Okkultistische
Vorstellungen im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert standen in enger Verbindung mit der
Erfindung und der Entwicklung des Telegrafen, in welchem das Potential übersinnlicher
Kommunikation mit Geistern gesehen wurde. Der Radiopionier Guglielmo Marconi selbst behauptete
im Rahmen seiner Experimente, mysteriöse Transmissionen empfangen zu haben. Und unerklärbare
Erscheinungen auf Fotografien lösten schliesslich eine Auseinandersetzung mit Geistern und
Gespenstern im Rahmen der Geisterfotografie aus.
Das Shift-Festival der elektronischen Künste beschäftigt sich im Herbst 2009 mit der Thematik von
Magie und Medien. Die dritte Auflage des durch [plug.in] in Zusammenarbeit mit dem Institut für
Medienwissenschaft der Universität Basel organsierten Festivals trägt den Untertitel „Magic.
Übersinnlichkeitsvermutungen und Technologiebeschwörungen“. Der vorliegende Bericht ist Teil des
Forschungsprojekts, welches im Rahmen der Vorbereitungen zum Festival von Masterstudierenden
am Institut für Medienwissenschaft durchgeführt wurde. Unter der wissenschaftlichen Leitung von
Prof. Dr. Georg. Christoph Tholen beschäftigten sich vier Forschungsteilprojekte unter dem Titel
„Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in der Mediengeschichte.“ mit der Recherche
und Zusammenstellung themenrelevanter Texte, Untersuchungen, Ausstellungen, Arbeiten, Autoren
und Künstler. Das hier vorgestellte Teilprojekt „Medien und Magie in medienanalytischer und
zeithistorischer Perspektive“ legt den Schwerpunkt dabei auf "magische" und beschwörende,
optimistische und pessimistische Umgangsformen und -stile in der Beziehung zu Medien und
Technologie, zu (literarischen und musikalischen) Automaten und (industrieller) Automation, im
Alltag wie in der Politik (Staaten, Religionen, Sekten).
Die Frage nach der Magie der Medien, im Speziellen nach den medialen Umgangsformen, ermöglicht
eine Vielzahl wissenschaftlicher Zugänge, weshalb eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
unerlässlich erscheint. Seit Jahrhunderten weisen Vorstellungen von magischen Vorgängen der Magie
heuristisch-progressive Qualität zu, die auf dem Weg zur exakten Wissenschaft immer wieder
29
fragwürdige Feststellungen und Schwindel mit wegweisenden wissenschaftlichen Erkenntnissen
verbunden haben. 1 Gleichzeitig haftete der Magie immer die Funktion des Fremden, Unerklärliche
oder Übersinnlichen an, die auf individueller wie kollektiver Ebene gleichsam Angst und Neugier
hervor zu rufen vermochte. 2 Auf die Entwicklung von technischen Medien und den alltäglichen und
politischen Umgang mit Medien Bezug nehmend, geht die hier vorgestellte Forschungsarbeit von der
Arbeitsthese aus, dass die Magie der Medien auf deren Technizität beruht, die den Menschen
historisch wie aktuell überfordert hat und überfordert und die in einer wechselwirksamen Beziehung
zu Individuum und Gesellschaft steht. Technizität meint dabei den technischen, die Natur dem
Menschen nutzbar machenden Charakter von historischen und aktuellen Medien. Von frühen
Magnetnadelexperimenten über die Entwicklung von Fernsehgeräten bis hin zum modernen Internet
und der Mobilkommunikation sollen in der Folge historische Kontinuitäten des magischen
Medienumgangs aufgezeigt werden. Diese Vorgehensweise verlangt zunächst eine Arbeitsdefinition
der Magie und des Magischen, eine Auseinandersetzung mit Technik und Technizität und schliesslich
eine Diskussion der Medienterminologie (→ Kap. 2). In der Folge werden dann individuelle
Umgangsformen mit Medien anhand historischer Leitlinien aufgezeigt. Dabei kommen magische
Formen der Vermittlung (→ Kap. 3.1.), das magische Wirkungspotential von Bildern und Bildmedien
(→ Kap. 3.2.) und die Magie der Maschine (→ Kap. 3.3.) zur Sprache. Abschließend wirft die
Forschungsarbeit einen Blick auf politische und kollektive Formen des Medienumgangs. Dabei
werden einerseits Regierungs- und Selbsttechnologien auf magische Charakteristika untersucht (→
Kap. 4.1.), anderseits wird anhand der Scientology-Sekte ein extremes Anwendungsbeispiel magischer
Apparate diskutiert (→ Kap. 4.2.).
2. Medien, Technologie und Magie: Gegenstand und Definitionen
2.1. Magie und das Magische
Eine Untersuchung magischer Eigenschaften von Medien erfordert zunächst eine definitorische
Eingrenzung der Begriffe der Magie und des Magischen. Der theoretische Zugang zur Magie führt
dabei zunächst über eine Definition von Religion, wie sie Émile Durkheim 1912 in „Die Elementaren
Formen des religiösen Lebens“ vorgenommen hat. Nach Durkheim stellt eine Religion ein
solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken dar, die sich auf heilige und damit auf
abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, welche wiederum in
1
2
vgl. Krommer, Axel: Von den sympathetischen Nadeln zur ubiquitären Mobilkommunikation, in Ästhetik &
Kommunikation 2004. Technik - Magie – Medium. Geister, die erscheinen, Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S.
75.
vgl. Hurst, Matthias: Dialektik des Aliens. Darstellung und Interpretation von Ausserirdischen in Film und
Fernsehen, in Michael Schetsche/ Martin Engelbrecht (Hrsg.): Von Menschen und Ausserirdischen.
Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft, Bielefeld 2008, S. 33 & S. 42.
30
einer moralischen Gemeinschaft alle Angehörigen vereinen. 3 Durkheim identifiziert in seinen
Konzeptionen von Religion und Magie einerseits Parallelen, andererseits aber auch Unterschiede. Wie
die Religion besteht die Magie aus Überzeugungen und Riten und die Wesen, die ein Magier aufruft,
sind oft die gleichen wie in der Religion. Anders als die Religion ist die Magie aber unterentwickelter,
weil sie technische und nutzenbringende Ziele verfolgt und so keine Zeit mit Spekulationen verliert.
Gleichzeitig ist die Magie zwar weit verbreitet, hat aber nicht die Fähigkeit, ihre Anhänger
untereinander zu verbinden, womit es keine magische Kirche geben kann. 4
Der rituelle oder feierliche Charakter der Magie macht dieselbe im Alltag nicht nur mit religiösen
Riten, sondern auch mit rechtlichen Akten oder Techniken verwechselbar. Historisch betrachtet ist
deshalb kaum ein von Künsten und Fertigkeiten erreichter Zweck nicht für ein Objekt der Magie
gehalten worden. 5 Von religiösen Riten grenzt sich die Magie aber nach Marcel Mauss durch deren
Geste des Verbergens ab. Religionen schaffen sich immer eine Art Ideal, zu welchem sich Hymnen,
Gelübde oder Opfer erheben und welches durch Verbote geschützt wird. Die Magie hingegen meidet
diese Regionen und tendiert zu Behexung. Während der religiöse Ritus grundsätzlich Publikum sucht,
verbirgt und isoliert sich die Magie. 6 Nach Mauss ist entsprechend jeder Ritus magisch, „der nicht Teil
eines organisierten Kultes, sondern privat, heimlich, geheimnisvoll ist und zum verbotenen Ritus als
seinem Extrem tendiert.“ 7 Für die vorliegende Forschungsarbeit erweisen sich die Definitionen von
Durkheim und Mauss in zweierlei Hinsicht hilfreich. Erstens verfolgt die Magie technische und
nutzenbringende Ziele, was sie per se schon mit jeder Technizität verbinden muss. Zweitens liegt das
entscheidende Charakteristikum der Magie und des Magischen im Streben hin zum Geheimnisvollen
und Verborgenen. Ausgehend von diesen Magiedefinitionen erscheint zusammenfassend ein Medium
dann als magisch, wenn es seine nutzenbringende Eigenschaften und dessen Funktion zu verbergen
sucht.
2.2. Technik und Technologie
Wie bereits angetönt lässt sich in der Definition der Magie bereits eine Verwandtschaft mit Techniken
und damit auch mit der Technologie erkennen. So ist es in der Tat die Unerklärbarkeit von
technologischen Prozessen, die in deren Nutzung und Anwendung durch ihre Verhüllung ein
magisches Moment zu produzieren vermag. 8 Gerade in der Technik erwartet der Mensch allerdings
einen nachvollziehbaren Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Funktion und Wirkung eines
3
4
5
6
7
8
vgl. Durkheim, Emile: Die Elementaren Formen des Religiösen Lebens, Zürich 1981, S. 75.
vgl. Durkheim 1981, S. 69 & S. 71-72.
vgl. Mauss, Marcel: Soziologie und Anthropologie. Theorie der Magie, Soziale Morphologie, Bd. 1,
Frankfurt am Main 1978, S. 53.
vgl. Mauss 1978, S. 56-57.
Mauss 1978, S. 58.
vgl. Furtwängler, Frank: Zahllose Welten aus dem Nichts erzeugt. Computerspiele zwischen Fantasy, Magie
und Technologie, in Ästhetik & Kommunikation 2004. Technik - Magie – Medium. Geister, die erscheinen,
Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S. 82.
31
technischen Apparates werden als auf mechanische Weise erzeugt und direkt aus der Koordinierung
von Gebärden, Geräten und physischen Kräften resultierend wahrgenommen. Das magische Element
einer Technologie muss sich nach Mauss deshalb dieser Definition von Ursache und Wirkung
entziehen. 9 So wäre ein Computer im Moment einer „selbständigen“ Handlung, beispielsweise eines
scheinbar nicht ausgelösten Druckvorganges, eine magische Technologie. Magie und Technologie
bleiben damit zwar in mancherlei Hinsicht distinkte Kategorien, sind aber insoweit miteinander
verbunden, als dass beide wichtige Charakteristika des jeweils anderen übernommen haben. 10
Wenn in technischen Apparaten Magie wahrnehmbar wird, so müssen auch in technischen Medien
magische Momente erkennbar werden. Tatsächlich lässt sich die Verbergung der Technik unschwer
auch in der Interpretation von Medienbegriffen wiederfinden. Bereits Marshall McLuhan konzipiert
mit der Ausweitung des menschlichen Körpers durch die Technik eine entsprechende
Medienauffassung, in der sich die Auswirkungen der Technik nicht mehr in Meinungen oder
Vorstellungen zeigen, sondern sich vielmehr widerstandslos in die menschliche Sinnesorganisation
und Wahrnehmung einprägen. 11 McLuhan identifiziert ebenfalls bereits eine historische Kontinuität,
wenn er das Zeitalter der Elektrizität als Voraussetzung für die systematische Betäubung des
menschlichen Zentralnervensystems durch die Technik sieht. 12 Die Ausweitung des Körpers durch
Medientechnologien lässt sich unschwer bis in die Aktualität verfolgen. Auch für Jean Baudrillard
bilden virtuelle Maschinen und neue Technologien mit dem Menschen einen integrierten Schaltkreis
und werden zu integrierten Prothesen, die fast schon genetisch zum Körper gehören. 13 Wie Georg
Christoph Tholen festhält, bedeuten diese anthropologisierenden Medienauffassungen die Annahme
einer totalen Vermittlung von Welt und Bedeutung durch Medien und damit in der Tat einen
lückenlosen, das heisst magischen Beeinflussungsmechanismus. Weil aus solchen Perspektiven aber
ausschliesslich die Medientechnologie Sinn und Bedeutung konstituieren müsste, gilt es im Rahmen
von medientheoretischen Problematisierungen, diese magische Beeinflussung gleichsam zu
hinterfragen. 14 Anschaulich lässt sich eine technische Dominanz in der Wahrnehmung des Menschen
am Beispiel des psychischen und kommunikativen Milieus in Japan aufzeigen. Ulrich Heinze sieht im
Technikboom Japans ein direktes Magiemoment, weil sich die Konturen des Subjekts auf Grund der
kulturspezifischen Geschichte Japans zwischen den Grenzen zum Aberglauben, zur Kindheit und zur
Technik verwischen. Während im westlichen Gedankengut Spuren eines magischen Bewusstseins,
beispielsweise in Form von Aberglauben, überdauert hat, fehlen in Japan diese reflexiven
9
10
11
12
13
14
vgl. Mauss 1978, S. 54.
vgl. Stivers, Richard: Technology as Magic, Vorlesung an der Azusa Pacific University 2004, URL:
http://www.apu.edu/cris/pdfs/technology_magic.pdf, S. 1.
vgl. McLuhan, Marshall: Die Magischen Kanäle, Düsseldorf 1992, S. 30.
vgl. McLuhan 1992, S. 64.
vgl. Baudrillard, Jean: Videowelt als fraktales Subjekt, in: Ars Electronica (Hrsg.): Philosophien der neuen
Technologie, Berlin 1989, S. 125.
vgl. Tholen, Georg Christoph: Medium/Medien, in: Alexander Roesler/ Bernd Stiegler (Hrsg.):
Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005, S. 152.
32
Erklärungsmuster zu Individuum und Gesellschaft, welche die Entwicklung von der Magie zur
Moderne dekodieren. 15 Nirgendwo ist die Distinktion zwischen Mensch und Technik deshalb so
unsauber und nirgendwo breitet sich neue Technologie schneller aus als in Japan.
2.3. Medium: Zwischen Medienwissenschaft und Mediologie
Wenn in der medialen Technizität, wie vorgängig aufgezeigt, magisches Potential liegt, so bietet sich
eine weiterführende Betrachtung der technischen Strukturen der Übertragung und deren Bezug zu
sozialen Funktionen an. Eine solche bietet die Mediologie nach Régis Debray, die sich mit der
Korrelation zwischen den symbolischen Aktivitäten einer Gruppe von Menschen, deren
Organisationsformen und deren Modi, Spuren zu erfassen, zu archivieren und zirkulieren zu lassen
befasst, wobei sich diese symbolische Interaktion nie ohne Bezug zu den Technologien der
Speicherung erklären lassen. 16 Im Gegensatz zu einer Medienkulturwissenschaft geht es der
Mediologie also an erster Stelle um den Prozess der Mediation oder der Vermittlung. Nach Debray
beherrschen Vermittlersysteme die Kunst, sich transparent zu machen. „Gut“ ist darum jenes Medium,
dass dem Menschen die Sache selbst liefert, das heisst seine Medialität (oder, im Fokus dieser Arbeit
seine Technizität) verbirgt. Das Medium hat darum selbstauslöschende Eigenschaft. 17 Aus einer
mediologischen Perspektive weisst das Medium deshalb per se magisch-technische Eigenschaften auf,
wenn es sich selbst dem Nutzer verbirgt oder auslöscht. Tatsächlich, so Debray, könnte es sogar sein,
dass die Unsichtbarkeit des Mediums die sichtbare Seite eines technisch Unbewussten wäre und das
Nichtwahrgenommene das Nichtwahrnehmbare. 18
Aus den Überlegungen der Mediologie lässt sich aber, gerade in zeithistorischer Hinsicht, noch ein
weiterer interessanter Medienaspekt ableiten. Mediationen können nämlich nicht nur technischer,
sondern auch sozialer und kultureller Natur sein. 19 Im weitesten Sinne soziale Übermittlungen sind in
der Geschichte der Spiritismus- Okkultismus-Bewegungen ab dem 19. Jahrhundert auszumachen. Im
Zentrum vieler okkultistischer und spiritistischer Praktiken stand die „Übersetzung“ von
Geisterbotschaften in den als Séancen bekannten einschlägigen Treffen, in denen über ein
menschliches Medium (welches sich meist in Trance befand) Kontakt zu einem oder mehreren
15
16
17
18
19
vgl. Heinze, Ulrich: Lockere Schrauben und flexible Nieten. Magie und Technik in Japan, in Ästhetik &
Kommunikation 2004. Technik - Magie – Medium. Geister, die erscheinen, Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S.
41-44.
vgl. Debray, Régis: Für eine Mediologie, in: Claus Pias/ Lorenz Engell/ Oliver Fahle/Joseph Vogel
(Hrsg.):Kursbuch Medienkultur. Die Massgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart 2001, S.
67.
vgl. Debray, Régis: Einführung in Die Mediologie, Bern 2003, S. 185.
vgl. Debray 2003, S. 186-187.
vgl. Debray 2001, S. 72.
33
Geistern aufgenommen wurde. 20 Obwohl sich in solchen okkultistischen Praktiken eine Vorstellung
der Magie einfach verorten lässt, ist aus mediologischer Sicht die Differenz minim, wenn nicht sogar
irrelevant. Ein im alltäglichen Sinne technisches und ein spiritistisch-menschliches Medium verbindet
ihre Funktionalität. Beiden bleiben nämlich unfähig zu produzieren; sie besitzen lediglich die
Fähigkeit zu reproduzieren. Das menschliche Medium übermittelt und materialisiert wie ein Apparat
nie eine eigene Produktion, sondern höchstens eine Reproduktion. 21 Spiritistische Medien, also
Menschen, denen übersinnliche Fähigkeiten attestiert wurden, unterscheiden sich deshalb in ihrem
Magiegehalt nicht von modernen technischen Medien wie dem Fernsehen oder dem Internet.
Spiritistische Tendenzen, so lässt sich schliesslich feststellen, scheinen bis in die aktuelle Zeit Bestand
zu haben und ihre Faszination scheint bis heute ungebrochen. 22
3. Vom Magnetismus zum Web 2.0: Entwicklungslinien im individuellen
Medienumgang
3.1. Magische Vermittlung: Von der Magnetnadel zum Mobiltelefon, vom
Telegrafen zum Massenradio
Frühe Vorstellungen und Ideen einer Telekommunikation, einer synchronen und unmittelbaren
Überwindung beliebiger Distanzen zu Kommunikationszwecken also, waren stark von magischen
Vorstellungen geprägt. Grundlage dieser Vorstellungen war ein bereits diskutiertes Nichtverstehen
neuer Techniken und Technologien. Davon zeugen bereits die Magnetnadelexperimente aus der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mittels zweier, sich auf mit dem Alphabet beschriebenen
Scheiben sitzenden Magnetnadeln, die mittels der gleichen Quelle magnetisiert worden waren, sollte
später Kommunikation über beliebige Distanzen möglich sein. Die nicht funktionierende Idee der
„sympathetischen Nadel“ ging davon aus, dass sich bei einer Bewegung der ersten Nadel durch den
Absender einer Botschaft die zweite Nadel synchron mitdrehen müsse. 23 Die gewünschte
20
21
22
23
vgl. Schüttpelz, Erhard: Von „We cannot manifest through the medium. Der Geisterangriff auf Edward B.
Taylor und der transatlantische Spiritismus, in Ästhetik & Kommunikation 2004. Technik - Magie –
Medium. Geister, die erscheinen, Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S. 12 sowie: Hagen, Wolfgang: Der
Okkultismus der Avantgarde um 1900, in: Sigrid Schade/ Georg Christoph Tholen (Hrsg.): Konfigurationen.
Zwischen Kunst und Medien, München 1999, S. 343.
vgl. Kuni, Verena: Medien-Künste. Mediologie als Methode an der Schnittstelle von Kunst- und
Medienwissenschaften, in: Birgit Mersmann / Thomas Weber (Hrsg.): Mediologie als Methode, Berlin 2008,
S. 312.
So porträtiert «Das Magazin» im April 2009 das 37-jährige Medium Martin Zoller, der mit seiner
„Hellsichtigkeit“ Millionäre, Sozialhilfeempfänger, Anwälte oder Priester in «ausserkörperlicher» Arbeit
berät (Schwegler, Daniela: Ein Tag im Leben von Martin Zoller, 37, Medium, in: Das Magazin, 25.4.-1.5.2009, S. 54.) Im Mai
2009 erscheint der Schweizer Kinodokumentarfilm «Beyond Farewell», der sich mit «Antennen ins Jenseits»
und der Kommunikation mit den «verstorbenen Liebsten im Jenseits» auseinandersetzt (Hübscher, Susanna:
Beyond Farewell, Kinodokumentarfilm, Hugofilm 2008.)[http://hugofilm.ch/filme.php?id_film=25&f=Dokumentarfilm&lang=de].
vgl. Krommer 2004, S. 73.
34
Kommunikation über Distanz wurde aber erst rund zweihundert Jahre später mit der Erfindung und
Realisierung des elektrischen Telegrafen Realität.
Die Erfindung des elektrischen Telegrafen fiel in eine Zeit, in der neue Erkenntnisse zu Elektrizität,
Gravitation und Magnetismus sowohl die Wissenschaft wie auch die Gesellschaft faszinierte. So
wurde erst im frühen 19. Jahrhundert der direkte Zusammenhang zwischen Magnetismus und
Elektrizität, beispielsweise die magnetische Wirkung eines geladenen Kabels, erkannt. 24 Ein erster
direkter Nutzen aus dieser Erkenntnis pries im Jahre 1838 Samuel B. Morse in Form eines Systems
zur Informationsübermittlung zwischen entfernten Punkten an. Es sollte allerdings noch Jahre dauern,
bis Morses Erfindung des elektrischen Telegrafen öffentliche Akzeptanz, geschweige denn politische
Unterstützung erhalten sollte. 25 Begründen lassen sich die zögerlichen Reaktionen durch zwei
magiebehafteten Umstände. Die öffentliche Reaktion auf den Telegrafen war erstens von einem
technischen Unverständnis geprägt. Frühe Nutzer des Telegrafen hatten die Erwartung, dass das Papier
mit der handgeschriebenen Nachricht selbst durch die Drähte übermittelt würde oder glaubten sogar,
es liessen sich ganze Objekte übertragen. 26 Zweitens wurde der Telegraf politisch im direkten
Zusammenhang mit dem Mesmerismus und spiritistischem Gedankengut interpretiert. Der Morsecode
erinnert an die Geisterkommunikation durch Klopfen aus entsprechenden Séancen und die
Konzeption, Gedanken über Drähte zu vermitteln war nicht weniger abwegig als die mesmeristischspiritistsiche Idee einer kabellosen Gedankenübertragung. 27
Der Telegraf, so lässt sich
zusammenfassend feststellen, besass als erstes „elektrisches“ Medium die magische Qualität der
Unerklärbarkeit seiner technischen Funktion und etablierte sich in einer Zeit, in der magische
Vorstellungen
von
der
Geisterkommunikation
bis
zur
Magnetheilung
vielversprechende
wissenschaftliche Konzepte darstellten. Das historisch erste Medienapriori der Elektrizität vermochte
sogar, wie Wolfang Hagen feststellt, die Geschichte des Okkultismus in eine „alte“
geistesoffenbarende und eine „neue“ geisterkommunizierende Epoche zu teilen. 28
So wegweisend und progressiv die elektrische Telegrafie historisch gewesen sein mag, so blieben ihre
Möglichkeiten doch eingeschränkt. Einerseits mag dies an deren kabelgebundenen und damit nichtmobilen Technologie, andererseits an Morsecode und Telegrafenbüros gelegen haben, durch die jede
auch noch so private Nachricht vor der Übermittlung zu passieren hatte. Dieser Voraussetzung wirkten
die Experimente der kabellosen Funktechnologie entgegen, die – genau wie der Telegraf – von
magischen Vermutungen und Übersinnlichkeitsideologien begleitet waren. Bereits der Funk- und
Radiopionier Guglielmo Marconi behauptete, mysteriöse Transmissionen empfangen zu haben. Am
24
25
26
27
28
vgl. Simon, Linda: Dark Light. Electricity and Anxiety from the Telegraph to the X-Ray, Orlando 2004, S.
30.
vgl. Hagen 1999, S. 344.
vgl. Simon 2004, S. 35.
vgl. Simon 2004, S. 34 & Hagen 1999, S. 344-346.
vgl. Hagen 1999, S. 346.
35
Übergang der Funk- und Radiotechnologie vom Experimentalstadium zur Massentechnologie hafteten
dem neuen Medium entsprechende Vorbehalte und Ängste an. Als in den frühen 1920er-Jahren das
Radio mit der Stimm- und Tonübertragung definitiv die kabelgebundene und kabellose Telegrafie
ablöste, bewegte sich die mysteriöse kabellose Übertragung von den Garagen und Estrichen in die
Wohnzimmer privater Haushalte. Zwar vermochten die Technologie und das Phänomen des Radios
damit selbst nicht länger zu erstaunen, doch boten sie Zugang zu einer magischen, neu realisierten, oft
erstaunlichen und manchmal sogar bedrohlichen öffentlichen Sphäre. 29 Mit der späteren Entwicklung
des Massenradios schwand zwar dessen frühere Auffassung als fantastische, fremde und aus dem
Äther stammende Stimmen empfangende Technologie und das Radio wurde zu einer familiären,
bequemen und unscheinbaren Präsenz im Haushalt, welche die Struktur des täglichen Lebens
wiedergab und orchestrierte. 30 Trotz seiner weiten Verbreitung, blieben dem Radio aber
beeinflussende Kräfte erhalten. Hörspiele wie „War of the Worlds“ (H. G. Wells) machten sich die
magische Simultaneität und Präsenz des neuen Mediums zu nutzen und spielten mit der öffentlich
eben erst erlangten Familiarität des jungen Mediums. 31
In der interpersonalen Kommunikation führt die technologisch-historisch Entwicklungslinie vom
Telegrafen zum Telefon, das anders als das Radio keine Massenkommunikation, dafür aber nicht
minder simultane, präsente und vor allem wechselseitige verbale Kommunikation ermöglichte. Der
nachrichtentechnische
Traum
einer
einfachen,
schnellen,
bidirektionalen
und
synchronen
Kommunikation im Modus der Telepräsenz realisierte sich in der Erfindung des Telefons und seiner
gesellschaftlichen Durchsetzung und kann als magischer Ausdruck des menschlichen Verlangens
gelten, sich gegen die Natur der Dinge durchzusetzen. 32 Seit seiner Etablierung gegen Ende des 19.
Jahrhunderts haftet dem Medium Telefon neben seiner erstaunlichen Fähigkeit der synchronen
Distanzüberwindung aber gleichzeitig noch eine weitere magische Kraft an. Seine schrillende Glocke
– die sich heutzutage eher in Form von Piepsen oder Vibrieren bemerkbar macht – übt auf den
Angerufenen eine magische Anziehungskraft aus, ans Telefon zu gehen. So hat auch Vilém Flusser
das Telefon als „hysterisch kreischendes Vieh“ bezeichnet, das den Angerufenen zwingt, seinem
Willen nachzukommen, um es zum Schweigen zu bringen. 33
Schliesslich hat die Magie des Telefons in Form der inzwischen überall verfügbaren
Mobilkommunikation unlängst neue Dimensionen beschritten. Die magische Anziehungskraft des
klingelnden Telefons ist dem Menschen heute dank ultra-mobilen Endgeräten und einem ubiquitär
verfügbaren Mobilfunknetz ein ständiger Begleiter, längst ist die Telefonie nicht mehr ausschließlich
29
30
31
32
33
vgl. Sconce, Jeffrey: Haunted Media. Electronic Presence from Telegraphy to Television, Durham 2000, S.
93.
vgl. Sconce 2000, S. 105.
vgl. Sconce 2000, S. 111.
vgl. Krommer 2004, S. 75.
vgl. Flusser, Vilém: Kommunikologie, Frankfurt am Main 2000, S. 301.
36
stationär. Mittels Kurznachrichten (SMS) kombinieren moderne Mobiltelefone das nach McLuhan
kühle, wenig Beteiligung fordernde Medium des (Sprach-)Telefons mit dem heißen Medium des
phonetischen Alphabets, was dem Nutzer einen ständigen Wechsel zwischen der magischdiskontinuierlichen Welt des Wortes und dem langweilig-gleichförmigen visuellen Medium der
alphabetischen Schrift abverlangt. 34 Mit leistungsstarken Kleinbildschirmen bringt das Mobiltelefon
ausserdem das magische Potential des Bildschirms (→ Kap. 3.2.) in den persönlichen Alltag seiner
Nutzer. Durch seine Technizität bedeutet die moderne Mobilkommunikation in ihrer Affinität zur
Magie summa summarum einen Einbruch des Übernatürlichen in die Sphäre der Alltagswelt. Sichtbar
wird diese „Alltagsmagie“ im Einzug des Privaten in die Öffentlichkeit, beispielsweise in Form eines
im Zug mitgehörten Telefongespräches. 35
3.2. Magische Bilder: Von der Geisterfotografie zur Virtual Reality
Genau wie in der historischen Entwicklung und im aktuellen Umgang mit Kommunikationsmedien
lassen sich auch in der Geschichte und Aktualität der Bildmedien magische Tendenzen und
Übersinnlichkeitsvermutungen verorten. Ab den 1870er Jahren wurden spiritistische Séancen der
Geisterbeschwörung von der sogenannten Geisterfotografie begleitet, welche die Präsenz des
Übernatürlichen belegen sollten. Technisch ermöglicht wurden solche Bilder durch das Aufkommen
von Aktionsbildern, als Kameras auf Glasplatten 1/25 Belichtungen zuliessen. Dem psychotisierten
Medienapriori des „telegrafischen Okkultismus“ im 19. Jahrhundert stand damit neu eine
Bilddimension zur Seite 36 , die bis heute im Internet fortzubestehen scheint 37 . Die Vorstellung von
magischen Bildern erfuhr rund zwanzig Jahre später einen erneuten Schub, als Wilhelm Conrad
Röntgen 1895 die X-Strahlen entdeckte, die er nach dessen Unerklärbarkeit benannte, und damit die
Röntgenfotografie ermöglichte. Röntgens erste Aufnahme der Hand seiner Frau zeigte keine
gewöhnliche Fotografie, sondern ein gespenstisches Schattenbild. 38 Deshalb überrascht es kaum, dass
in der Folge der Erfindung Röntgens diesen Schattenbildern magisches Potential und schier
unbeschränkte Fähigkeiten zugesprochen wurden. Wissenschaft wie Öffentlichkeit sahen in der
Röntgenfotografie wundersame Funktionen wie die Vernichtung von Bakterien, die Beschleunigung
des Haarwachstums oder die Wiederbelebung der Toten möglich werden. 39
Das magische Potential von Bildern setzte sich auch in der technischen Ermöglichung des historisch
nächsten grossen Bildmediums, dem Fernseher, fort. Wie schon beim Radio, präsentierte das
34
35
36
37
38
39
vgl. Krommer 2004, S. 77.
vgl. Krommer 2004, S. 77-78.
vgl. Hagen 1999, S. 348.
So finden sich beispielsweise auf dem Webportal GespensterWeb.de [http://www.gespensterweb.de] sowohl alte
wie auch neue Geisterfotografien, die teils als Fälschung entlarvt, teils aber auch für authentisch befunden
werden.
vgl. Simon 2004, S. 273.
vgl. Simon 2004, S. 278.
37
Fernsehen eine weitere Art elektrischer Entkörperung und Dissoziation, weshalb die historische Idee
kaum überrascht, dass auch das Fernsehen Fantasien paranormaler Phänomene unterstützen müsse. 40
Davon zeugen angebliche Geistererscheinungen auf Fernsehbildschirmen oder wütend-zerstörerische
Handlungen gegenüber Fernsehgeräten, wie sie in den frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu
beobachten waren. 41 Das Wesen des Fernsehers war zum Zeitpunkt dessen Markteinführung wahrlich
das eines Geistes, nämlich ein Wesen mit sichtbarer Form aber ohne materielle Substanz. Solche
immaterielle
Bilder
und
Töne,
die
elektrisch
und
elektronisch
vermittelte
Welt
der
Telekommunikation und des Fernsehens also, schienen das Übernatürliche zu evozieren und zu
beschwören, indem sie virtuelle Existenzen ohne physische Form schufen. 42 Hinzu kam, dass dem
Medium Fernseher die fantastische Fähigkeit zugesprochen wurde, den Zuschauer in ferne Realitäten
tele-portieren zu können. 43 Diese magischen und fantastischen Eigenschaften des Fernsehens ziehen
sich durchaus bis in die Aktualität weiter. Bis heute bleibt das Fernsehen im Alltag wie in der
Wissenschaft gewissermassen ein magisches Medium. Seine kulturelle Allgegenwärtigkeit, wie auch
seine ununterbrochene Simultaneität beschreibt dessen elektronische Welt als das ultimative
„Anderswo“, unabhängig davon, ob der Fernseher als eine Illusion, ein analoges Medium, ein
Surrogat, eine Aufzeichnung, ein Trugbild oder eine parallele Version der Realität betrachtet wird. 44
Aktuell steht dem Fernsehen im Alltag ein weiteres Bildmedium zur Seite, nämlich das des
Computers, resp. dessen Bildschirms. Auch die technischen Charakteristika des Bildschirms weisen
magische Qualitäten auf. Wie Lev Manovich festgehalten hat, handelt es sich beim Bildschirm
nämlich keines Falls um ein neutrales, Information repräsentierendes Medium, sondern vielmehr um
ein Medium der Aggression, das ausgrenzt, filtert, übernimmt und alles ausserhalb seines Rahmens als
inexistent kodiert. 45 Als magisch wird der Bildschirm deshalb aufgefasst, weil selbiger sich mittels
seiner Darstellung virtueller Welten oder entfernter Orte selbst ausblendet und in seiner
Allgegenwärtigkeit inzwischen Teil des menschlichen Körpers geworden ist. Symptomatisch sieht
Machiko Kusahara in den Displaybildern von Mobiltelefon eine gemischte Realität aus Umgebung
und Virtualität entstehen. 46 Diese Entwicklung ist in abgewandelter Form in der Welt der
Computerbilder, von Spielen bis zu Simulationsprogrammen zu beobachten. In Computerspielen
bedeutet einerseits die Entstehung einer temporär geregelten und vollständig sinnbeladenen Spielwelt
ein magisches Moment. Wie Frank Furtwängler betont, besteht die Magie virtueller Welten aber nicht
in der Ausblendung der Realität, sondern in der steten Einblendung der Virtualität als menschliches
40
41
42
43
44
45
46
vgl. Sconce 2000, S. 126.
vgl. Sconce 2000, S. 2.
vgl. Sconce 2000, S. 4 & S. 126.
vgl. Sconce 2000, S. 128.
vgl. Sconce 2000, S. 171.
vgl. Manovich, Lev: The Language of New Media, Cambridge 2001, S. 96.
vgl. Kusahara, Machiko: mini screens and big screens. aspects of mixed reality in everyday life, in:
Proceedings: cast01/ living in mixed realities, The magazine for media production and internet-media
research, Special Issue, S. 31-33, [http://netzspannung.org/cat/servlet/CatServlet/$files/133750/Kusahara.pdf], S. 33.
38
Wunscharsenal, welches den Sinn von virtuellen Realitäten überhaupt erst konstituieren kann. 47 Aus
technologischer Sicht verdichtet sich schließlich das „Anderswo“ elektronischer Welten in der
virtuellen Realität des Computers als dem letzten und transzendentesten elektronischen Raum.
Zweifelsohne lässt sich deshalb, wie auch Jeffery Sconce feststellt, im Feld der Bildmedien eine
historische Kurve vom spiritistischen Okkult bis zum aktuellen Supernaturalismus des Cyberspace
ziehen. 48
3.3. Magische Maschinen: Von der Elektrizität zur „Black Box Computer“
Den magischen Tendenzen im Umgang mit Kommunikations- und Bildmedien scheint ein
gemeinsamer technischer Nenner zu Grunde zu liegen, nämlich eine Faszination für die Elektrizität. In
der Tat lassen sich viele der beschriebenen Übersinnlichkeitsvermutungen auf ein Unverständnis des
Konzepts von Strom zurückführen, welches auf die historische Frage nach einer Ontologie der
Elektrizität verweist. Seit dem späten 18. und während fast dem ganzen 19. Jahrhundert stellte sich
durch hunderte Experimente der Galvanisierung und der Elektrizität die Frage nach dem Wesen dieses
unbekannten Stoffes. Die Elektrizität wurde um 1800 dann auch als ein mächtiges Element
eingeschätzt, das möglicherweise für alle organischen und anorganischen Reaktionen verantwortlich
sei. 49 In direktem Zusammenhang mit dem Rätsel der Elektrizität stand gleichzeitig die Beschäftigung
mit der absoluten Materie des Äthers als dem fünften Seienden, das schon Aristoteles den vier
Elementen als unwandelbare, ewige und alles durchdringende Substanz beigestellt hatte. 50 Mit dem
Aufkommen der Elektrizität und ihrer ersten technischen Anwendungen in der Telegrafie- und
Funktechnologie anerbot sich der Äther als omnipräsente Substanz auf der Suche nach Antworten als
Erklärungsansatz an, weil dieser Elektrizität und Magnetismus in sich zu vereinen vermochte. Die
Brücken zum Mesmerismus und Spiritismus wie auch die bereits aufgezeigten Spekulationen über
Geisterkommunikation
und
Stimmen
aus
dem Äther
resultieren
damit
direkt
aus
den
Auseinandersetzungen mit der Elektrizität und dem Äther. 51 In diesem Sinne, so Wolfgang Hagen,
wurzelt der Okkultismus des 19. Jahrhunderts in einer Überforderung durch die Effekte der
technischen Medien und ihrer elektrischen Grundlage. 52
Die Elektrizität bleibt bis heute ein unheimlicher Agent einer wesentlichen Komponente in der
kontinuierlichen metaphysischen Präsenz kontemporärer Medien. Die den technischen Medien
gemeinsame elektrische Basis und die scheinbare elektrische Transmutabilität des Flusses des Körpers
47
48
49
50
51
52
vgl. Furtwängler 2004, S. 84-85.
vgl. Sconce 2000, S. 171.
vgl. Hagen 1999, S. 340.
vgl. Kramer, Stefan: Äther: Und es gib ihn doch…. Desontologisierte Überlegungen zur Immanenz der
Medien, in: Albert Kümmel-Schnur/ Jen Schröter (Hrsg.): Äther - Ein Medium Der Moderne, Bielefeld 2008,
S. 1-2.
vgl. Hagen 1999, S. 341.
vgl. Hagen 1999, S. 353.
39
und des Flusses der Information in den Medien haben ganze Serien von kulturellen Fantasien
hervorgebracht, die gleichsam den Telegrafen, das Radio, das Fernsehen und den Computer
einschliessen. 53 Der Computer zeigt seine magische Eigenschaft dabei in seiner automatischen
Arbeitsweise. Nach Alan Ramón Clinton kann die Automation dabei als Relaismoment von Vorfall,
Technologie und Magie beschrieben werden, der den spiritistischen Medien in Séancen um 1900
genauso innewohnt wie den technischen Automaten, die letztlich durch ihren Gebrauch einer
zufallserzeugenden Technizität den Verstand entgleisen lassen. 54 Im Computer mag diese magische
Natur des Automaten einen aktuellen Höhepunkt erlangt haben, dessen sich der Mensch aber kaum
gewahr wird. Im Gegensatz zum (historisch aggressiven) Umgang mit Fernsehgeräten wird der
Computer durch dessen Interaktivität und Intimität eher als Freund und Vertrauter behandelt. 55 Wie
bereits einleitend diskutiert, schafft Technologie dann magische Faszination, wenn sie ihre Technik
verhüllt. Aktuell entspricht wohl kein Medium diesem Paradigma besser als der moderne Computer.
Als Black Box lässt der Computer keinen Blick in sein Inneres und in seine Funktionsweise zu und
schafft damit fortlaufend Faszination an seiner Oberfläche. 56 Auch Janet Murray hat den Computer
deshalb als magischen Gegenstand beschrieben, der als autonome, lebendige Existenz agieren kann. 57
Vor dem Hintergrund einer magischen Technizität des Computers darf es schliesslich kaum
überraschen, dass im jüngsten technischen Massenmedium des Internets eine Art Renaissance des
Okkultismus möglich wird. Das „Netz“ ist universell verfügbar und absolut anonym, weshalb es sich
gerade für Anbieter okkulter Themen anbietet, weil diese schon mit ihrer verschlüsselten Identität
Geheimnisvolles schaffen. Die unbegrenzte Verfügbarkeit verändert zudem die Vorstellung der
Bedeutung von Wissen. 58 Der papierne Vernunftspeicher des Buchdrucks wird in seiner digitalen
Form im Internet zu einem offenen Feld okkulter Weltanschauungen umgepolt. Die Herkunft von
Information bleibt, beispielsweise im Falle der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ im Dunkeln, im
Wortsinn also okkult. Elektronische Enzyklopädien, Suchmaschinen und Datenbanken ersetzen dank
ihrem Geschwindigkeitsvorsprung eine kombinatorische Gedankenführung. Über virtuelle Netzwerke
und Knoten nimmt der anonyme Nutzer assoziativ Eindrücke auf, deren Zersplitterung dem
Bewusstsein entgegenkommt, weil die Mühe des Lernens entfällt. 59 Im Internet wird Unsinn,
beispielsweise im Falle von erfundenen Nachrichtenmeldungen zu legitimiertem Sinn und scheinbares
Wissen führt zu anonymen Urhebern. Je mehr Wissen im Internet kursiert, desto mehr atomisiert sich
53
54
55
56
57
58
59
vgl. Sconce 2000, S. 8.
vgl. Clinton, Alan Rámon: Wie man einige seiner Bücher schreibt. Avantgardistische Magier und
Zufallsgenerierung , in Ästhetik & Kommunikation 2004. Technik - Magie – Medium. Geister, die
erscheinen, Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S. 87-88.
vgl. Sconce 2000, S. 2.
vgl. Furtwängler 2004, S. 81.
vgl. Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck: The Future of Narrative in Cyberspace, New York 1998, S.
99.
vgl. Doering-Manteuffel, Sabine: Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung,
München 2008, S. 273.
vgl. Doering-Manteuffel 2008, S. 274 & 277-278.
40
dieses zu Nichtwissen und je mehr Sinn das Internet transportiert, desto mehr Unsinn produziert es. Im
Internet, so Sabine Doering-Manteuffel, besteht ein durch technische Verfahren generierter
Okkultismus und die Cyberwelt ist eine okkulte Parallelwelt, weil sie in ihrer Gesamtheit okkult ist. 60
Das Internet, so lässt sich abschliessend festhalten, besitzt damit nicht nur im technischen Sinne
magische Eigenschaften, sondern auch in der Konstitution von Semantik und Wissen.
4. Politische Umgangsformen mit der Magie des Mediums
4.1. Regierungs- und Selbsttechnologien
Individuelle Umgangsformen mit magischen Medien wirken sich auch auf einer politischen Ebene
aus. Wie bereits aufgezeigt wurde bereits der Telegraf politisch im direkten Zusammenhang mit dem
Mesmerismus und spiritistischem Gedankengut interpretiert. Historisch betrachtet reagierte die Politik
mit den gleichen Übersinnlichkeitsvermutungen auf technologische Innovationen, wie dies Individuen
in ihrem Alltag taten und es bis heute tun. Allerdings lassen sich in der Politik noch weitere
Reaktionen auf magische Medien, wundersame Technik und unerklärbare Phänomene verorten. Neben
den magischen Erwartungen an die Technologie ist nämlich die politische Etablierung einer Fülle von
„Nachahmungs-Technologien“, die als Formen der Magie funktionieren, zu beobachten.
Nachahmungs-Technologien lassen sich wiederum in zwei Kategorien unterteilen, nämlich erstens in
psychologische Technologien und zweitens in administrative Techniken. 61 Gemäss Richard Stivers
operieren solche psychologische und administrative Techniken anhand von Informationen, die auf den
Menschen einwirken, wogegen Maschinen unabhängig von ihrem Einfluss auf den Menschen
funktionieren. 62
Magisch bleiben psychologische und administrative Techniken gleichwohl, orientieren sie sich doch
an der Funktionsweise technischer Medien und weisen entsprechend ebenfalls magische
Charakteristika auf. Hintergrund solcher Techniken sind dann auch fantastische Vorstellungen der
menschlichen Reaktion auf Kommunikation und Information. So geht das Konzept der
Neolinguistischen Programmierung (NLP) als Management-Technologie beispielsweise davon aus,
dass durch ein „richtiges“ mentales Training negative Denk- und Verhaltensmuster umprogrammiert
werden können. Wenn sich ein Individuum mittels der Sprache der NLP nur in den richtigen
Erfolgszustand, die sogenannte Zielphysiologie, begibt, soll das menschliche Gehirn in der Lage sein,
60
61
62
vgl. Doering-Manteuffel 2008, S. 280 & 288-289.
vgl. Stivers 2004, S. 2.
vgl. Stivers 2004, S. 3-4.
41
jedes erdenkliche Problem zu lösen. 63 Das Gehirn scheint in solchen Konzeptionen genauso magisch,
das heisst nicht nachvollziehbar und im Verborgenen zu funktionieren, wie ein unkontrollierbarer
Computer. Die Magie der Technizität ist damit unschwer in technischen und psychologischen Selbstund Regierungstechnologien auszumachen, was gleichsam die Problematik technischer Medien mit
sich bringt. Stivers betont, dass nur Menschen in den technologischen Systemen ein Feedback bieten
können. Weil der Mensch aber übermäßiges Vertrauen in die Technologie, ob nun auf Regierungsoder Apparateebene, hat und im Glauben bleibt, dass die Schaffer der Technologie auch ihre Meister
sind, braucht er technischen Systemen keine Rückmeldung zu geben. Darum ist jedes technologische
System mehr oder weniger autonom, und das heisst auch frei von jeglicher moralischer Kontrolle. 64
4.2. Scientology: Beschwörung der Technik
In einigen Extremfällen schliesst sich der magische Glauben an Regierungs- und Psychotechnologie
mit den Eigenschaften technischer Geräte gleich. Exemplarisch lässt sich dies anhand der ScientologyBewegung aufzeigen. Der Gründer von Scientology, Lafayette Ronald Hubbard, knüpfte mit seiner
Idee des Computergehirns an die Vorstellung der möglichen Befreiung des Menschen durch
Psychotechnik an. Das Scientology-Vokabular passt bis heute zu einem Mensch-Maschinen-Modell,
bei dem Hubbard davon ausging, dass der Mensch durch entsprechende Trainings ähnlich einer
Maschine repariert werden könnte. Deshalb erinnern Trainingsroutinen bei Scientology oft an
maschinell-technoide Prozeduren. 65 Hubbards Grundidee, dass zwecks Erreichung des Zustandes
„clear“ als höchste Form der Befreiung sogenannte Engramme, also Erlebniseindrücke, die
Gedächtnisspuren hinterlassen, im Menschen gelöscht werden müssten, wurde ab den 1950er Jahren
die Erfindung des E-Meters als technisches Hilfs- und Lügendetektormittel beigestellt. 66 Das Gerät, an
welches zwei simple Metalldioden angeschlossen sind, misst lediglich die elektrische Hautspannung
und zeigt auf einem entsprechenden Display deren Veränderung an. Scientology verwendet den EMeter, der ursprünglich als Lügendetektor entwickelt wurde und dem heute jeder wissenschaftlicher
Nutzen abgesprochen wird, für die Anwerbung und ihre Auditing-Gespräche. Deutlich wird in diesem
Beispiel, dass sich Psychotechniken und technische Apparaturen auf Grund ihrer Verwandtschaft einer
nichtverstandenen und damit magischen Technizität von Gehirn und Maschine unschwer kombinieren
lassen.
63
64
65
66
vgl. Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement, in:
Thomas Lemke/Susanne Krasmann/Ulrich Bröckling (Hrsg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien
zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M 2000, S. 158-159.
vgl. Stivers 2004, S. 4-5.
vgl. Nordhausen, Frank/ von Billerbeck, Liane: Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will,
Berlin 2008, S. 187.
vgl. Nordhausen / von Billerbeck 2008, S. 192f.
42
5. Überblick
Das hier vorgestellte Teilprojekt „Medien und Magie in medienanalytischer und zeithistorischer
Perspektive“ hat versucht, "magische" und beschwörende, optimistische und pessimistische
Umgangsformen und -stile in der Beziehung zu Medien und zur Technologie im Alltag wie in der
Politik aufzuzeigen. Die Magie der Medien lässt sich durchaus in ihrer medialen Technizität verorten,
weil die Magie erstens selbst technische und nutzenbringende Ziele verfolgt und zweitens das
entscheidende Charakteristikum der Magie in ihrem Streben hin zum Geheimnisvollen und
Verborgenen liegt. Mediale Vermittlersysteme beherrschen genau diese Kunst, sich transparent zu
machen und damit ihre Medialität (oder eben ihre Technizität) zu verbergen. Dass im Umgang mit
Medien magisches Potential liegt, lässt sich historisch wie aktuell und auf individueller wie politischer
Ebene nachzeichnen. Kommunikations-, Bild-, und schliesslich elektronische Medien im Allgemeinen
weisen vom Telegrafen bis zum Mobiltelefon, von der Geisterfotografie bis zur Virtual Reality und
von einer Ontologie der Elektrizität bis zum Internet die Problematik einer sich verbergenden, kaum
verstehbaren und damit magischen Technizität auf.
Historisch trifft dies erstmals auf den Telegrafen zu, der sich in einer Zeit etablierte, in der magische
Vorstellungen
von
der
Geisterkommunikation
bis
zur
Magnetheilung
vielversprechende
wissenschaftliche Konzepte darstellten. Die spätere Entwicklung der Funk- und Radiotechnologie
machte dieselbe zwar zu einem familiären, bequemen und unscheinbaren Präsenzmedium, doch
blieben dem Radio beeinflussende Kräfte der magischen Simultaneität und Präsenz erhalten. Die
moderne Mobilkommunikation kombiniert einerseits das kühle Medium des (Sprach-)Telefons mit
dem heißen Medium des phonetischen Alphabets (SMS), was dem Nutzer einen ständigen Wechsel
zwischen der magisch-diskontinuierlichen Welt des Wortes und dem langweilig-gleichförmigen
visuellen Medium der alphabetischen Schrift abverlangt und bedeutet andererseits durch ihre
ubiquitäre Verfügbarkeit einen Einbruch des Übernatürlichen in die Sphäre der Alltagswelt. Der
Fernseher scheint die fantastische Fähigkeit zu besitzen, den Zuschauer in ferne Realitäten teleportieren zu können und beschreibt durch seine Allgegenwärtigkeit wie auch seine ununterbrochene
Simultaneität die elektronische Welt als das ultimative „Anderswo“. Auch in virtuellen (Computer)Welten besteht die Magie in der steten Einblendung der Virtualität als menschliches Wunscharsenal,
welches den Sinn von virtuellen Realitäten überhaupt erst konstituieren kann. Als Black Box lässt der
Computer gleichsam keinen Blick in sein Inneres und in seine Funktionsweise zu und schafft damit
fortlaufend magische Faszination an seiner Oberfläche. Im Internet schliesslich besteht ein durch
technische Verfahren generierter Okkultismus, wobei das Netz nicht nur im technischen Sinne
magische Eigenschaften besitzt, sondern auch in der Konstitution von Semantik und Wissen. Parallel
zu den magischen Erwartungen an die Technologie ist die politische Etablierung einer Fülle von
„Nachahmungs-Technologien“, die als Formen der Magie funktionieren, zu beobachten. In einigen
Extremfällen schliesst sich der magische Glauben an solche Regierungs- und Psychotechnologie mit
43
den Eigenschaften technischer Geräte gleich. Exemplarisch lässt sich dies anhand der ScientologyBewegung aufzeigen, die Psychotechniken und technische Apparaturen auf Grund ihrer
Verwandtschaft einer nichtverstandenen und damit magischen Technizität von Gehirn und Maschine
unschwer kombinieren kann.
44
6. Literatur
Baudrillard, Jean: Videowelt als fraktales Subjekt, in: Ars Electronica (Hrsg.): Philosophien der neuen Technologie, Berlin
1989.
Bröckling, Ulrich: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement, in: Thomas
Lemke/Susanne Krasmann/Ulrich Bröckling (Hrsg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des
Sozialen, Frankfurt/M 2000, S. 131-167.
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& Kommunikation 2004. Technik - Magie – Medium. Geister, die erscheinen, Jg. 35, Bd. 127, Berlin 2004, S. 87-92.
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Heinze, Ulrich: Lockere Schrauben und flexible Nieten. Magie und Technik in Japan, in Ästhetik & Kommunikation 2004.
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45
Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel
Frühjahrssemester 2009
Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
Forschungsbericht
SHIFT-Festival 2009 –
Forschungsprojekt
„Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in der Mediengeschichte.“
Teilprojekt 3
vorgelegt von:
Marco Baumgartner BA
Mai 2009
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
48
2. Über das Unheimliche
49
3. Das Doppelgängermotiv
51
4. Der Spiegel
52
5. Der Übergang vom Mechanischen zum Lebendigen
54
6. Schlusswort
56
7. Literaturverzeichnis
57
47
1.
Einleitung
„Auf der einen Seite werden [...] Medien als Vermittler von Kommunikation definiert. [...]
Auf der anderen Seite steht ein Begriff, der Technik generell [...] als Medium fasst und ins Verhältnis
zum menschlichen Körper setzt.“ 1 So definieren die beiden Autorinnen Daniela Kloock und Angela
Spahr in ihrem Buch „Medientheorien. Eine Einführung“ die Medien. Diese treten demnach als Vermittler zwischen etwas Technischem und den Menschen auf.
Ein Medium muss aber nicht zwangsweise zwischen einer Maschine und einem Menschen
vermitteln. Eine solche Verbindung kann aber auch zwischen zwei Menschen stattfinden, was zwei
aktuelle Presse-Artikel bestätige: zum einen berichtet Das Magazin 2 über Martin Zoller, ein Medium,
dessen Treffsicherheit gemäss eigener Aussage bei achtzig Prozent liege und der über die Medialität
sagt, sie sei für ihn nichts anderes als eine gesteigerte Intuition 3 . Zum anderen berichtete Der Spiegel 4
über einen Doppelmord, bei dem ein Fahnder der Kripo Waldshut-Tiengen eine Seherin zu Rate zog,
dies aber in den Aktenvermerken nicht deklarierte. 5
Auch die Figur des Dale Coopers in der Fernsehserie Twin Peaks funktioniert oft als Medium.
Denn „ohne die Hinweise des gespenstischen Riesen, des rückwärtssprechenden Zwerges, die Warnungen des ‚Mannes von einem anderen Ort und die Einflüsterungen der im Traum auferstandenen
Laura Palmer“ 6 wäre FBI-Special Agent Cooper vielfach aufgeschmissen. Twin Peaks wird dieser
Arbeit eine Art roten Faden verpassen, da die Fernsehserie aus den frühen 1990er Jahren verschiedene
Themen des Teilprojekts 3 anspricht.
Das eben erwähnte Teilprojekt 3 ist eines von vier Projekten, das im Rahmen einer Zusammenarbeit des Instituts für Medienwissenschaft der Universität Basel und [plug.in] entstand. Unter
dem Motto „Magic. Übersinnlichkeitsvermutungen und Technologiebeschwörungen“ wird das ShiftFestival im Jahre 2009 bereits zum dritten Mal durchgeführt. Vier Masterstudierende haben sich unter
der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Georg Christoph Tholen mit vier Teilprojekten mit dem
Titel „Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in der Mediengeschichte.“ beschäftigt. Das
dritte Teilprojekt steht unter dem Titel: „Medium und Magie – Kunst als magischer Diskurs / Kunstdiskurs über Magie“ und geht der Frage nach, welches Interesse die Kunst an magischen Praktiken hat
beziehungsweise, wie Magie in Kunstwerken eingesetzt wird.
1
Kloock, Daniela / Spahr Angela: Medientheorien. Eine Einführung, 2. Auflage. Willhelm Fink Verlag, München 2000, S. 11.
2
„Das Magazin“, Nr. 17 vom 25. April 2009, Martin Zoller, 37, Medium, ein Artikel von Daniela Schwegler im
Rahmen der Serie „Ein Tag im Leben von“, S. 54.
3
Vgl. ebd.
4
„Der Spiegel“, Nr. 17 vom 20. April 2009, Das Medium und der Polizist, ein Artikel von Jürgen Dahlkamp, S.
40ff.
5
Vgl. ebd.
6
Dziersk, Frank: There is no (such) place like home. Das Gespenst des Heims oder Fernsehen nach Twin Peaks,
in: Sturm, Martin / Tholen, Georg Christoph / Zendron, Martin (Hrsg.): Lacan: Phantasma und Phantome: Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz 1995, S. 112.
48
In einem ersten Teil wird diese Arbeit den Versuch einer Begriffserklärung des Unheimlichen
liefern. Hierfür wird vor allem der bekannte Aufsatz „Das Unheimliche“ von Sigmund Freud angesprochen, welcher dann durch ein Beispiel aus Twin Peaks illustriert wird.
Darauffolgend werden verschiedene Doppelgängermotive in der Literatur zusammengetragen
und auch hier wird das Beispiel Twin Peaks wiederum den Bezug zum Festival-Thema herstellen.
Zudem wird hier kurz auf ein Doppelgängermotiv der Medien verwiesen. Das Doppelgängermotiv ist
eng mit dem folgenden Punkt dieser Arbeit verknüpft: dem Spiegel. In etlichen Texten und Filmen
spielen Spiegel eine wichtige Rolle, so auch in Twin Peaks. Was aber stellt ein Spiegel eigentlich dar
beziehungsweise was sieht jemand, der sich im Spiegel betrachtet? Diesen Fragen geht Punkt 4 dieser
Arbeit nach.
„Unheimliche Effekte zeitigt etwa die sogenannte ‚Echtzeit‘ von Computern, die bewirkt, dass
die Rechenmaschine ebenso schnell ist wie ein Ereignis, zu dessen Steuerung sie eingesetzt wird.“ 7
Unheimliche Effekte durch maschinengestützte Medien entwickelten sich insbesondere im 19. und 20.
Jahrhundert, durch das Aufkommen von Telegraph, Telefon und Television 8 . Es erstaunt daher nicht,
dass auch die Literatur solche unheimlichen Effekte beschrieb. Das fünfte Kapitel, das den Titel „Der
Übergang vom Mechanischen zum Lebendigen“ trägt, liefert hierzu Beispiele (von Coppola bis Computer).
2. Über das Unheimliche
Der österreichische Neurologe und Tiefenpsychologe Sigmund Freud veröffentlichte 1919 den
Aufsatz über das Unheimliche. Darin nähert sich Freud dem Begriff des Unheimlichen zuerst von der
sprachlichen Seite und stellt fest: „Das deutsche Wort ‚unheimlich‘ ist offenbar der Gegensatz zu
heimlich, heimisch, vertraut, und der Schluss liegt nahe, es sei eben darum schreckhaft, weil es nicht
bekannt und vertraut ist.“ 9 Freud stellt demnach eine Bedeutungsverschiebung fest: „Das Unheimliche
ist [...] das ehemals Heimische, Altvertraute. Die Vorsilbe ‚un‘ an diesem Worte ist aber die Marke der
Verdrängung.“ 10 Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass alles unheimlich sei, „was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist.“ 11
Als Beispiel für dieses Gefühl des Unheimlichen erwähnt Freud die infantile Kastrationsangst
in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann: Nathanael, der Protagonist der Erzählung, fürchtet
7
Tholen 1984: S. 89.
Vgl. Weibel, Peter: Phantom Malerei. Reed lesen: Malerei zwischen Autopsie und Autoskopie. Zu finden unter:
http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/lexikon%20der%20linguistik/u/UNHEIMLICHES%20nach%20Freud.ht
m, (Zugriff am: 16.5.2009).
8
9
Freud, Sigmund: Das Unheimliche (1919), in: ders.: Gesammelte Werke, Band XII, herausgegeben von Anna
Freud, Frankfurt am Main 1947, S. 244.
10
Ebd., S. 259.
11
Ebd., S. 236.
49
sich vor Coppelius, diesem „grossen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht [...] Die ganze Figur war überhaupt widrig und abscheulich.“ 12 der dem Jungen drohte, ihm die Augen heraus zu reissen. Diese Erinnerung an das Kindheitsereignis Nathanaels beziehungsweise die Angst vor dem Verlust der Augen vergleicht Freud mit der Kastrationsangst. Gemäss
Freud sei sowohl der Augapfel als auch das männliche Glied ein „kostbares Organ“ 13 , welches es zu
schützen gilt. Denn
„ ‚Kastration‘ bezeichnet den symbolischen Unter-Schied der Geschlechter, d.h. die verdrängte Wahrnehmung der anatomischen Geschlechtsdifferenz durch das Kind, das sich als solches nicht zu entscheiden vermag, ‚Mann‘ oder ‚Frau‘ zu sein, und doch von diesem
unspiegelbaren in sich haltlosen Unterschied subjektiviert wird.“ 14
Anne Jerslev, eine dänische Medienwissenschaftlerin, erwähnt, „dass etwa das klassische
‚Doppelgängermotiv‘ in all seinen Ausbildungen im allgemeinen Unheimlichkeit zu erwecken vermag.“ 15 Als Beispiele gibt sie einerseits das gleichzeitige Auftreten zweier vollkommen identischer
Personen an und andererseits erwähnt sie den Fall einer Person, „die sich so sehr mit einer anderen
identifiziert, dass sie in Zweifel darüber gerät, wer sie nun wirklich ist.“ 16
Bevor wir aber auf Twin Peaks eingehen können, muss zuerst noch geklärt werden, was genau
denn unheimlich ist. Jerslev verweist für diese Frage auf den Elefantenmensch, einem Film von David
Lynch aus dem Jahre 1980. Das Drama erzählt die wahre Geschichte einer Person, die durch eine körperliche Missbildung auffällt und aufgrund dieser auf Jahrmärkten als Attraktion aufritt. Der Elefantenmensch an sich wäre im Sinne Freuds nicht unbedingt als unheimlich zu betrachten.
„Das Unheimliche ist nicht das Monster, das wir alle sehen können
und worüber wir uns einig sind, dass es ein Monster ist [...] Das
wirklich Unheimliche ist die Fassade, die sich als Fassade entpuppt,
die jederzeit rissig werden kann, um eine unbeschreibliche, unförmige Masse aus sich hervorquellen zu lassen.“ 17
12
Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann, herausgegeben von Rudolf Drux. Reclam-Verlag, Stuttgart 1991, S. 7f.
Freud (1919): S. 250.
14
Tholen, Georg Christoph: Einleitung. Der befremdliche Blick, in: Sturm, Martin / Tholen, Georg Christoph /
Zendron, Martin (Hrsg.): Lacan: Phantasma und Phantome: Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz 1995, S. 15.
15
Jerslev, Anne: David Lynch, Mentale Landschaften. Passagen-Verlag, Wien 1996, S. 31.
16
Ebd.
17
Ebd., S. 30.
13
50
An dieser Stelle kann nun der in der Einleitung erwähnte Bezug zu Twin Peaks einsetzen.
Frank Dziersk schreibt in seinem Aufsatz „There is no (such) place like home. Das Gespenst des
Heims oder Fernsehen nach Twin Peaks“ 18 zu ebendiesem Thema, dass
„in Twin Peaks allerdings die schrecklichsten Dinge gerade zuhause
in der Familie und nicht etwas in den Ghostwood-Wäldern rund um
den Ort Twin Peaks geschehen. Es ist gerade das Vertrauteste, das
sich als das unheimlichste herausstellt.“ 19
Um dieses Zitat zu veranschaulichen, möchte ich kurz auf die Figur des Leland Palmer in
Twin Peaks eingehen. Der Vater von Laura Palmer, um deren Tod sich die Serie die meiste Zeit dreht,
leidet unter Schizophrenie, was ihn zuweilen zum Dämon Bob werden lässt. Die Vaterfigur Bob, von
der normalerweise Liebe und Geborgenheit erwartet wird, teilweise aber genau das Gegenteil, sprich
Hass und Gewalt austeilt, ist hier also vertraut und unheimlich zugleich 20 . Anne Jerslev empfindet an
dieser Figur das Unheimliche daran, „dass nichts so ist, wie es scheint, oder dass das Vertraute auf
einmal unbekannt geworden ist.“ 21
3. Das Doppelgängermotiv
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ 22 . Bereits vor über 200 Jahren hat sich Johann
Wolfgang Goethe der Thematik des Doppelgängers angenommen und selbige im eben erwähnten Zitat
literarisch festgehalten. Auch knappe 100 Jahre später ist das Doppelgängermotiv in der Literatur noch
präsent, was die bekannten Erzählungen Dr Jekyll and Mr Hyde (Robert Louis Stevenson) oder auch
The Picture of Dorian Gray (Oscar Wilde) belegen. Während es sich bei Dr Jekyll and Mr Hyde um
eine tatsächliche Doppelgängergeschichte handelt, so geht es in The Picture of Dorian Gray um ein
Bildnis, das anstelle der realen Person altert 23 .
Zeitlich betrachtet steht zwischen Goethe und den beiden britischen Schriftsteller die bereits
oben erwähnte Erzählung Der Sandmann. Auch in jenem Text findet sich ein Doppelgängertum, nämlich in der Zweiheit von Spalanzani und Coppola. Diese Zweiheit lässt sich auch an Nathanaels
18
Dziersk, Frank: There is no (such) place like home. Das Gespenst des Heims oder Fernsehen nach Twin Peaks,
in: Sturm, Martin / Tholen, Georg Christoph / Zendron, Martin (Hrsg.): Lacan: Phantasma und Phantome: Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz 1995, S. 109-122.
19
Ebd., S. 118.
20
Vgl. Frucht, Péter: Fire walk with me. Hausarbeit im Rahmen des interdisziplinären Kolloquiums Bildtheorien. Sommersemester 2000, zu finden unter: http://www.peter-frucht.net/texts/FWWM.pdf (Zugriff am:
16.05.2009), S. 10.
21
Jerslev 1996: S. 30.
22
Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie Erster Teil. Durchgesehene Ausgabe. Reclam Verlag, Stuttgart
2000, Vers 1112, S. 33.
23
Vgl. Wilde, Oscar: The Picture of Dorian Gray. First published 1891, published in Penguin 1994. Penguin
Books, London 1994. Hierzu den Titel des zweiten Kapitels: Jealous of his Own Portrait, S. 5.
51
Schicksal erkennen, woran Freud die Ambivalenz der Vater-Imago beschreibt 24 . Dies führt beim Protagonisten Nathanael schliesslich dazu, „dass seine Einbildung den Vater phantasmatisch zerlegt in
den leiblichen, geliebten Vater und den verhassten Coppelius.“ 25
In den frühen 1990er Jahren, griff Twin Peaks dieses Motiv auf und liess es als roten Faden
durch seine Geschichten laufen. Die gesamte Serie begreife sich als Geisterbeschwörung: „Sie zeigt
uns Laura Palmer als Repräsentation auf einer Photographie, als Geist in einer Vision ihrer besten
Freundin Donna Hayward [...] und schliesslich sogar ‚auferstanden‘ als Doppelgängerin in der Gestalt
ihrer Cousine Maddy Ferguson.“ 26 Das Doppelgängermotiv ist in Twin Peaks durchgehend zu finden,
es wird bereits in der Einleitungssequenz angedeutet, in welcher die in Wolken gehüllten Zwillingsgipfel (Twin Peaks) zu sehen sind 27 . Weitere Beispiele wären etwa das Doppelleben von Laura Palmer und auch dasjenige ihres Vaters. Zudem deutet bereits der Titel auf eine Verdoppelung hin. Diese
Verdoppelungen „erinnern auch an die fliessenden Grenzen zwischen Ich und Du, Innen und Aussen,
Gut und Böse, und sie werden Symbole für das Verdrängte und dessen zahlreiche Erscheinungsformen.“ 28
Das Doppelgängermotiv muss aber nicht nur in der Literatur gesucht werden. Auch in der
Medienwissenschaft an sich tritt dieses Motiv auf. Peter Weibel, ein gebürtiger ukrainischer Kunstund Medientheoretiker schreibt den Medien eine Doppelgängerfunktion zu: „Alle neuen Medien verdoppeln nicht nur die Wirklichkeit – das tun sie nur auf fragmentarische und ausschnitthafte Weise,
sondern sie sind vor allem Doppelgänger der historischen Medien.“ 29 Als Beispiel fügt Weber die Fotografie an, die zum Doppelgänger der Malerei, gleichzeitig aber auch von selbiger in ihrem Anspruch
auf Kunst kastriert wurde. Zudem wird angefügt, „dass durch die Ankunft der Fotografie die Malerei
selbst zu einem Gespenst, Geist, Phantom, mehr lebendig als tot bzw. lebendig begraben“ 30 wurde.
4. Der Spiegel
„Heiss und zornig stürzte ich vor den Spiegel und sah mühsam durch die
Maske durch, wie meine Hände arbeiteten. [...] Er nötigte mich [...] und diktierte mir ein Bild, nein, eine Wirklichkeit, eine fremde, unbegreifliche monströse Wirklichkeit, mit der ich durchtränkt wurde gegen meinen Willen: denn
24
Vgl. Tholen 1995: S. 18.
Ebd.
26
Dziersk 1995: S. 117.
27
Vgl. Jerslev 1996: S. 33.
28
Ebd., S. 183.
29
Weibel: S. 3.
30
Ebd.
25
52
jetzt war er [der Spiegel, Anm. M.B.] der Stärkere, und ich war der Spiegel.“ 31
Dieses Zitat aus Rainer Maria Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge soll vor
allem aufzeigen, dass in einer Spiegelszene eine Selbst-Konfrontation geschieht: im Spiegel wird man
mit sich selbst konfrontiert, der Spiegel ist ein Ort der Selbst-Identifikation 32 : „Der Spiegel verspricht
und demontiert zugleich“ 33 .
Spiegel spielen aber nicht nur in Rilkes Erzählung eine wichtige Rolle, auch in Stanley Kubricks The Shining wird das Motiv des Spiegels sehr häufig verwendet34 . Angefangen bei der zu Beginn
gezeigten Autofahrt zum Hotel, bei welcher die Strasse urplötzlich gespiegelt gezeigt wird. Oder den
einen Spiegel im Schlafzimmer, in welchem Wendy (Shelley Duvall) gegen Ende des Filmes den
Hinweis „Murderer“ des Sohnes Danny (Danny Lloyd) entdeckt. Und schliesslich sind all diejnigen
Spiegel zu erwähnen, welche Jack (Jack Nicholson) die jeweilige Realität widerspiegeln, wie etwa in
der Badzimmerszene, in welcher Jack erst durch den Spiegel realisiert, dass er eine ältere Frau geküsst
hat.
Auch hier lässt sich wiederum der Bezug zu Twin Peaks herstellen. Insbesondere die letzte
Szene der Serie greift das Spiegel-Motiv auf und konfrontiert den Zuschauer ein weiteres Mal mit dem
Unheimlichen. Leland Palmer begegnet seinem alter ego Bob, parallel dazu sehen wir Dale Cooper
vor einem Spiegel, wobei sein Spiegelbild nur in der einen Hälfte erkennbar ist. Kurz darauf schaut
Cooper von vorne in den Spiegel, schlägt den Kopf dagegen und in jenem Augenblick, in welchem
sein Kopf das Spiegelglas zertrümmert, zeigt der Spiegel das Bild von Bob 35 . Diese Szene hat gewisse
Ähnlichkeiten mit dem Zitat aus Rilkes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, denn auch dort
erkennt die Person (Malte) die in den Spiegel schaut, sein Gegenüber nicht, sie ist sich selbst (noch)
nicht bewusst. Auch auf den FBI-Agenten Dale Cooper trifft dies zu, denn „Nichtsdestotrotz zeigt das
zerbrochene Spiegelbild, dass die Maske haften bleibt: das Böse ist auch ein Teil von Cooper und wird
destruktiv sein, solange er seine Anwesenheit nicht akzeptiert.“ 36
31
Rilke, Rainer Maria: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Herausgegeben und kommentiert von
Manfred Engel. Reclam-Verlag, Stuttgart 1997, S. 92.
32
Die Informationen für die folgenden Zeilen zu Malte Laurids Brigge entstammen einer Sitzung des Seminars
„Rilke in Paris“ im Deutschen Seminar der Universität Basel vom 14.5.2009.
33
Tholen 1995: S. 20.
34
Die Informationen für die folgenden Zeilen zu The Shining entstammen einer Sitzung des Seminars
„Spiel(film)räume“ im Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel vom 12.5.2009.
35
36
Vgl. Jerslev 1996: S. 194.
Ebd.
53
5. Der Übergang vom Mechanischen zum Lebendigen
„Der zweideutige Übergang vom Mechanischen zum Lebendigen war seit der Mitte des 18.
Jahrhunderts [...] ein durchaus gängiger Topos.“ 37 Dass ein solcher Übergang eine durchaus magische
Wirkung haben kann, zeigt die Geschichte um den bereits oft erwähnten Nathanael im Sandmann. Der
Protagonist verliebt sich in Olimpia, einer „lebendigtoten Figur“ 38 , die er „nach und nach uneingeschränkt als Objekt seiner Liebe, die Loslösung von der Realität als nahezu vollkommen“ 39 betrachtet.
„Innere und äussere Realität werden abgetrennt. Nathanael hat über Stunden hinweg die Aussenwelt
[...] nicht wahrgenommen.“ 40 Für ihn existiert in jenem Moment nur Olimpia. Umso grösser ist später
die Enttäuschung Nathanaels, als er erfährt, einen Automaten geliebt zu haben. Diese Erkenntnis verleitet ihn zu einem Selbstmordversuch und bringt ihn schliesslich in ein Tollhaus 41 .
Eine ähnliche, wenn auch nicht derart lebensbedrohliche Wirkung wie im Sandmann entfalteten auch Stillleben-Malereien des 16. bis 18. Jahrhunderts. „Ein Teil der nachgerade ‚magischen‘ Wirkung vieler Stillleben beruht just auf diesem Punkt: Sie sind alles andere als eindimensional, sondern
bieten dem Betrachter eine faszinierende Fülle von Annäherungsmöglichkeiten.“ 42
Auch die Werke des französischen Bildhauers Auguste Rodin entfalteten bei einigen Betrachtern eine starke Wirkung. Rainer Maria Rilke hat diese Wirkung in Auguste Rodin 43 über das Bild
L’homme au nez cassé wie folgt beschrieben:
„Man glaubt zu fühlen, wie einige von diesen Furchen früher kamen, andere
später, wie zwischen dem und jenem Riss, der durch die Züge geht, Jahre
liegen, bange Jahre, man weiss, dass von den Zeichen des Gesichts einige
langsam eingeschrieben wurden. [...] Man muss sich mühsam erinnern, dass
alles das auf dem Raume eines Gesichtes steht, so viel schweres, namenloses
Leben erhebt sich aus diesem Werk.“ 44
Die angesprochenen magischen Effekte sind aber auch in der heutigen, Computer determinierten Zeit noch anzutreffen:
„Es ist heute der gleiche gespenstische Effekt der Auflösung jeglicher wesensmässiger Differenz von Mensch und Maschine, die im Zeitalter künstlicher Intelligenz durch die Gleichsetzung von Computer und Gehirn uns die
37
Tholen 1995: S. 15.
Ebd.
39
Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann, Ausgabe in einer Auflage von fünfzig numerierten und signierten Exemplaren mit wissenschaftlichen Beiträgen von Friedhelm Auhuber und Bernhard Schemmel. ICHverlag Häfner &
Häfner, Nürnberg 1998, S. 35.
40
Ebd.
38
41
Vgl. Ebd.
Sander, Jochen (Hrsg.): Die Magie der Stilllebenmalerei 1500-1800. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung
des Städel Museums, S. 14.
43
Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1984.
42
54
Möglichkeit nimmt, zwischen täuschendem Trugbild und originalem Vorbild
entscheiden zu können.“ 45
Ein weiteres Beispiel liefert Samuel Sieber 46 , der sich für das selbe Forschungsprojekt mit der
leitenden Frage auseinandergesetzt hat, welches die magischen Qualitäten der (technischen) Medien
sind. Als ein aktuelles Beispiel erwähnt Sieber in Abschnitt 4.2 seiner Arbeit Scientology-Methoden,
die davon ausgehen, „dass der Mensch durch entsprechende Trainings ähnlich einer Maschine repariert werden könnte.“ 47
44
45
Ebd., S. 24.
Tholen 1984: S. 94.
46
Sieber, Samuel: SHIFT-Festival 2009-Forschungsprojekt. „Magische Kanäle? Über Phantome und Phantasmen in der Mediengeschichte.“ Teilprojekt 2. Eingereicht im Mai 2009.
47
Ebd., S. 16.
55
6. Schlusswort
Diese Arbeit hat versucht, die vier bearbeiteten Themengebiete (Das Unheimliche, das Doppelgängermotiv, den Spiegel und den Übergang vom Mechanischen zum Lebendigen) jeweils zu erläutern und diese dann auch mit Beispielen aus Literatur und Film zu illustrieren.
Es hat sich herausgestellt, dass Unheimlich insbesondere das ist, was ehemals Heimisch war,
auf einmal aber unbekannt geworden ist. Das Doppelgängermotiv ist in vielen Texten zu finden und
beinhaltet in den meisten Fällen eine Beziehung zwischen jemand „Gutem“ und jemand „Bösen“.
Doppelgängerfunktion kann aber auch den Medien zugeschrieben werden, da diese die Wirklichkeit
verdoppeln. Verdoppelung ist auch die Funktion des Spiegels. Zudem ist der Spiegel auch immer ein
Ort der Selbst-Identifikation, was anhand von Beispielen aus Twin Peaks und Die Aufzeichnungen des
Malte Laurids Brigge belegt werden konnte. Schliesslich besprach diese Arbeit den Übergang vom
Mechanischen zum Lebendigen. Dieser Übergang war früher ein bereits erkannt worden und wird es
auch in der heutigen Zeit noch, beispielsweise bei Formen von künstlicher Intelligenz.
Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit konnten die meisten Theorien nur angeschnitten und nicht vertieft analysiert werden.
56
7. Literaturverzeichnis
ƒ
Dziersk, Frank: There is no (such) place like home. Das Gespenst des Heims oder Fernsehen nach Twin Peaks, in: Sturm, Martin / Tholen, Georg Christoph / Zendron, Martin
(Hrsg.): Lacan: Phantasma und Phantome: Gestalten des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz 1995, S. 109-122.
ƒ
Freud, Sigmund: Das Unheimliche (1919), in: Ders.: Gesammelte Werke, Band XII, herausgegeben von Anna Freud, Frankfurt am Main 1947, S. 229-268.
ƒ
Ders.: Die Traumdeutung. Mit einem Nachwort von Hermann Beland, Zwölfte, unveränderte Auflage. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2005.
ƒ
Frucht, Péter: Fire walk with me. Hausarbeit im Rahmen des interdisziplinären Kolloquiums
Bildtheorien.
Sommersemester
2000, zu finden unter: http://www.peter-
frucht.net/texts/FWWM.pdf (Zugriff am: 16.05.2009)
ƒ
Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie Erster Teil. Durchgesehene Ausgabe.
Reclam Verlag, Stuttgart 2000.
ƒ
Hagen, Wolfgang: Der Okkultismus der Avantgarde um 1900, in: Schade, Sigrid / Tholen,
Georg Christoph (Hrsg.): Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien, München 1999,
S. 338-357.
ƒ
Harbers, Stefan: Amerikanische Gesellschaftsbilder in den Filmen David Lynchs. Coppi
Verlag, Oldenburg 1996.
ƒ
Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann, herausgegeben von Rudolf Drux. Reclam-Verlag,
Stuttgart 1991.
ƒ
Ders.: Der Sandmann, Ausgabe in einer Auflage von fünfzig numerierten und signierten
Exemplaren mit wissenschaftlichen Beiträgen von Friedhelm Auhuber und Bernhard
Schemmel. ICHverlag Häfner & Häfner, Nürnberg 1998.
ƒ
Jerslev, Anne: David Lynch, Mentale Landschaften. Passagen-Verlag, Wien 1996.
ƒ
Kloock, Daniela / Spahr Angela: Medientheorien. Eine Einführung, 2. Auflage. Willhelm
Fink Verlag, München 2000.
ƒ
Kramer, Stefan: Äther: und es gibt ihn doch. In: Albert Könnel-Schnur, Jens Schröter
(Hg.): Äther. Ein Medium der Moderne. Bielefeld 2008.
ƒ
Kuni, Verena: Medien-Künste. Mediologie als Methode an der Schnittstelle von Kunstund Medienwissenschaften, in: Mersmann, Birgit / Weber, Thomas (Hrsg.): Mediologie
als Methode, Berlin 2008.
ƒ
Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1984.
57
ƒ
Ders.: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Herausgegeben und kommentiert
von Manfred Engel. Reclam-Verlag, Stuttgart 1997.
ƒ
Sander, Jochen (Hrsg.): Die Magie der Stilllebenmalerei 1500-1800. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Städel Museums.
ƒ
Stevenson, Robert Louis: Dr Jekyll and Mr Hyde. First published 1886, published in Penguin Popular Classics 1994. Penguin Books, London 1994.
ƒ
Stingelin, Martin: Gehirntelegraphie. Die Rede der Paranoia von der Macht der Medien
1900. Falldarstellungen, in: Kittler, Friedrich A. / Tholen, Georg Christoph (Hrsg.): Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870, München 1989.
ƒ
Tholen, Georg Christoph: Einleitung. Der befremdliche Blick, in: Sturm, Martin / Tholen,
Georg Christoph / Zendron, Martin (Hrsg.): Lacan: Phantasma und Phantome: Gestalten
des Unheimlichen in Kunst und Psychoanalyse, Linz 1995, S. 12-25.
ƒ
Ders.: Das Unheimliche an der Realität und die Realität des Unheimlichen. Überarbeitete
und erweiterte Fassung der Einleitung zum 3. Symposion „Psychoanalyse – Literatur – Literaturwissenschaft“; zuerst erschienen in: Fragmente. Schriftenreihe zur Psychoanalyse,
Nr. 11, Kassel 1984, S. 6-19.
ƒ
Weibel, Peter: Phantom Malerei. Reed lesen: Malerei zwischen Autopsie und Autoskopie.
Zu finden unter:
http://culturitalia.uibk.ac.at/hispanoteca/lexikon%20der%20linguistik/u/UNHEIMLICHE
S%20nach%20Freud.htm, (Zugriff am: 16.5.2009)
ƒ
Wilde, Oscar: The Picture of Dorian Gray. First published 1891, published in Penguin
Readers Level 4 1994. Penguin Books, London 1994.
58
Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel
Frühjahrssemester 2009
Prof. Dr. Georg Christoph Tholen
Werk- und Ausstellungsliste
SHIFT-Festival 2009 Forschungsprojekt
„Magische Kanäle? Über Phantome und
Phantasmen in der Mediengeschichte.“
Teilprojekt 4
Vorgelegt von:
Anna Martensen BA
Mai 2009
Aktuelle Ausstellungen zum Festivalthema “Magie”:
“Goodbye and Hello: Im Dialog mit dem Jenseits” (läuft bis Juli ´09, Museum für Kommunikation,
Bern)
Gliederung der Ausstellung:
Arme Seelen/ Im Gespräch mit Verstorbenen/ Ein Blick ins Jenseits - Nahtoderlebnisse/ Spuk/ Diktate
aus dem Jenseits/ Botschaften aus dem Jenseits/ Spiritismus/ Lug & Trug/ Zeitzeugen persönlich
www.mfk.ch/index.php?id=997&L=0
“Wach sind nur die Geister” - über Gespenster und ihre Medien (ab 16. Mai, HMKV in der Phoenix
Halle Dortmund)
Es geht um die Präsenz des Übernatürlichen, um die Anwesenheit von Geistern und eine durch
technische Medien ermöglichte (Trans-) Kommunikation mit dem Jenseits. Die Ausstellung zeigt 22
internationale künstlerische Positionen, die nach der Existenz von Geistern fragen, sich für den Einsatz
neuer Medien und Technologien in `spiritistischen´ Zusammenhängen interessieren, sich mit der Sichtoder Wahrnehmbarmachung von Unsichtbarem beschäftigen und den politischen Implikationen sowie
der Ästhetik solcher Phänomene zeitgenössischer Transkommunikation nachspüren. Die
künstlerischen Arbeiten reichen von Fotografie über Malerei, Video und Sound bis hin zu
Radioarbeiten.
www.hmkv.de
Geräuschwelten Festival #49 (2.Mai 2009, CubaCultur in Münster):
Konzert von Frieder Butzmann
Seine Lieder handeln von unserer aktuellen Umwelt. Es sind kurze Geschichten oder Blicke auf
alltägliche Gegenstände, Situationen und Momente, wie auf die Berliner S-Bahn, auf ein
Telefonfräulein, auf den Dampf einer Kaffemaschine, auf eine Computerstimme, auf das Rauschen
technischer Tonübertragungsanlagen, aber auch auf Nachrichten aus dem Jenseits. Die Lieder an sich
bleiben immer etwas rätselhaft.
www.aufabwegen.de/events/?p=46
www.muenster.org/cuba/haus/blackbox/rueckblick.php
“Fotographie und das Unsichtbare” (läuft seit Februar bis zum 24.Mai ´09 in der Albertina, Wien)
Die Ausstellung wurde vom San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) organisiert und geht
dem Einsatz der Fotografie in der Wissenschaft des 19. Jh nach. Besonderes Interesse gilt der
Darstellung von Phänomenen, die sich dem bloßen Auge entziehen. Im Verlauf dieses Jahrhunderts
benutzten die Wissenschaftler beim Fotografieren auch das Mikroskop, das Teleskop und den
Röntgenapparat - und fingen damit Bilder aus den bisher verborgenen Bereichen des unendlich
Kleinen und des unvorstellbar Großen ein. In der Ausstellung werden ca. 200 Fotographien und
fotografisch illustrierte Bücher gezeigt. Dazu erscheint ein Katalog (“Fotographie und das Unsichtbare
1840-1900“ mit Beiträgen von Corey Keller, Tom Gunning, Jennifer Tucker und Maren Gröning)
www.albertina.at
“We´re Not alone” (läuft bis August 2009, Städtische Galerie Wolfsburg)
In der Solo-Ausstellung zeigt die in Düsseldorf lebende Künstlerin Arbeiten aus, in denen sie das
Bildmedium Fotographie neu in Frage stellt. Sie untersucht die Gestalt des Bildes im Hinblick auf die
Veränderungen, denen es bei medialer Technisierung wie Film, Video und Fotographie unterliegt. Ihre
Bilder gehen von vornherein über einen dokumentarischen Charakter hinaus und verweisen auf etwas
im Bild Anwesenden, das den Zuschauer verunsichert.
www.staedtische-galerie-wolfsburg.de
60
Ausstellungen zum Festivalthema “Magie” in der Vergangenheit:
“The great Transformation - Kunst und taktische Magie” (2008, Frankfurter Kunstverein) Die
Ausstellung wurde in Kooperation mit MARCO, Museo de Arte Contamporánea de Vigo realisiert,
und lief dort noch bis Januar 2009.
Auch wer nicht an die Kräfte des Magischen und Okkulten wirklich glauben mag, zeigt sich
nichtsdestoweniger von ihnen fasziniert. Die Ausstellung thematisiert eine verstärkte Hinwendung von
Künstlern zur Spiritualität, die aber keinen neuen Irrationalismus darstellt, sondern einem in der
westlichen Welt allgemein zu beobachtenden Interesse entspricht, unter bewussten und gezielt
eingesetztem Rekurs auf transzendentale Zeichen einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken.
Die künstlerischen Arbeiten zeigen, wie Magie methodisch und als kritisches Medium eingesetzt
werden kann, um das Verständnis von Gesellschaft und ihren Kommunikationswegen zu hinterfragen.
So setzen Künstler Magie etwa taktisch ein, um herauszufinden wie Wissensvermittlung zwischen
Individuen und innerhalb von Gruppen funktioniert.
Es wurden Werke von Jonathan Allen, Marcel Breuer, Center for Tactical Magic, Erich Consemüller,
Roberto Cuoghi, Maya Deren, Claire Fontaine, Aurélien Froment, Werner Herzog, Mike Kelley,
Joachim Koester, Maria Loboda, Goshka Macuga, Michele di Menna, Eduardo Navarro, Olivia
Plender, ride.1, Jean Rouch, Allen Ruppersberg, Kerstin Stoll, Joanne Tatham&Tom O´Sullivan,
Banks Violette und Adrian Williams ausgestellt.
www.fkv.de/frontend/arciv_ausstellungen_detail.php?id=271
“Die Magie der Dinge - Stilllebenmalerei 1500-1800” (lief von September ´08 bis Januar ´09,
Kunstmuseum Basel) ist eine Ausstellung des Frankfurter Städel Museums und des Kunstmuseums
Basel in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Ziel der Ausstellung war
es, die Vielfalt der im Stillleben augentäuschend wiedergegebenen Gegenstände aufzuzeigen.
www.kunstmuseumbasel.ch/de/ausstellungen/archiv/die-magie-der-dinge/
“The message - Das Medium als Künstler” (2008, Museum Bochum)
Die Ausstellung thematisiert okkulte Praktiken, Stimmen höherer Wesen und magische Momente und
versucht die Darstellung in der Kunst. Sie versammelt Gemälde, Zeichnungen, automatische
Radierungen, Film-, Foto- und Tonaufnahmen und schlägt so einen Bogen von der zweiten Hälfte des
19. Jh bis zur Gegenwart. Es wurden Werke folgender Künstler ausgestellt: Gonzales Consuelo
Amezcua, Maguerite Burnat-Provins, Helen Butler Wells, Fernand Desmoulin, Magde Gill,
Margarethe Held, Georgiana Houghton, Hilma af Klingt, Paul Laffoley, Augustin Leage, Raphael
Lonné, Léon Petitjean, Miloslava Ratzingerova, Victorien Sardou, Malvina Schnorr von Carolsfeld,
Ted Serois, Hélène Smith (Catherine Elise Müller), Johann-Heinrich Stratil, Barbara Suckfüll, Jeanne
Tripier, Adelma von Vay, Vanda Vieire-Schmidt, Agahtha Wojciechowsky und circa 40 Geisterfotos
aus dem Archiv Albert von Schrenck-Notzing.
www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W27AHDFK340BOLDDE
“Wild Signals - Künstlerische Positionen zwischen Symptom und Analyse” (2008, Württembergischer
Kunstverein Stuttgart)
Elf Künstler (Corinne May Botz, Sorel Cohen, Martin Dammann, Charles Gaines, Jana Gunstheimer,
Susan Hiller, Joachim Koester, Joshua Mosley, Pablo Pijnappel, Tim Roda, Kevin Schmidt) haben sich
wissenschaftliche Methoden zu eigen gemacht und historische Dokumente einer verschobenen
Lesweise unterzogen. Die Instrumentarien und Diskurse der Kriminalistik, Psychoanalyse, Ethnologie,
Natur- und Parawissenschaften werden in Frage gestellt. Medien wie Fotografie, Film und Bühne als
Instrumentarien des Wissens, die nicht dem Nachweis von Erkenntnissen dienen, sondern diese erst
produzieren und in Szene setzen.
www.wkv-stuttgart.de/programm/2008/ausstellungen/wild-signals/
61
“Trace du sacré - Relations entre art occidental et spiritualité au 20e siècle” (2008, Centre Georges
Pompidou)
http://traces-du-sacre.centrepompidou.fr
“conspire! “ (2008, Transmediale 08, Berlin)
Thema Konspiration und digitale Medien. Konspirative Wahrheiten, bioorganische Systeme oder
verkehrte Realitäten waren Unterthemen der Ausstellung. Künstler gehen dem Begriff der
Konspiration nach, in dem sie unser Verständnis von kollaborativer Netzwerkpraxis hinterfragten und
die zahlreichen Kontrollmechanismen diskutierten, mit denen unsere technologisierte Gesellschaft
tagtäglich konfrontiert ist.
http://dev.transmediale.de/site/index.php?id=168&L=1
“Fables du doute/ Tales of Disbelief” (2008, La Galerie, Noisy-le-Sec)
Die Ausstellung erkundet die Verbindungen zwischen der Wissenschaft, der Kunst und irrationalen
Annahmen wie Spiritualismus und Magie im 19. Und 20. Jh. Der kritische Standpunkt der Künstler zu
diesem Thema schließt eine Anwesenheit des Vergangenen und des Mysteriösen nicht aus. Die
ausgestellten Arbeiten zeigen dem Betrachter eine zweideutige Betrachtung der Thematik. Einerseits
führen sie uns vor Augen, dass sich manches mit der Entwicklung als hinfällig erwiesen hat, aber
andererseits auch das Bedürfnis des Menschen, sich nach Unerklärlichem zu sehnen.
Es stellten aus:
Athanasios Argianas, Ulla von Brandenburg, Joao Maria Gusmao & Pedro Paiva, Nick Laessing,
Goshka Macuga, Kit Craig, Christian Frosi
www.alessandrodemarch.it/file/49_1.pdf (Press release)
“Rational/Irrational” (2008, Haus der Kulturen der Welt, Berlin)
Eine Ausstellung mit Werken von Pawel Althamer, Arthur Bispo do Rosario, Francois Bucher, Hanne
Darboven, Juan Downey, Javier Téllez. In dieser Ausstellung wurde die Frage nach der Grenze
zwischen Rationalität und Irrationalität gestellt. Die Künstler erkunden psychische
Ausnahmezustände, die an die Grenzen der Logik zu neuen Wahrnehmungen der Wirklichkeit führen.
www.hkw.de/de/div/veranstaltungen/Veranstaltungsdetail_28314.php
“Magie real” (2007, Galerie art mbassy Berlin)
Die Fotographie-Ausstellung leitet sich von der Idee eines magischen Realismus ab, der die
Verschmelzung von realer Wirklichkeit und magischer Realität darstellt und somit eine dritte Realität
schafft; eine Synthese aus den uns geläufigen Wirklichkeiten, eine Einbettung des Wunderbaren in den
Alltag. Acht Künstler (Frauke Bergemann, Katrin Korfmann, Virginie Morel, Marcella Müller,
Roberto de Paolis, Andy Scholz, Werner Gasser, Martin Schmid) präsentieren magisch aufgeladene
Parallelwelten.
www.artmbassy.com/im/artMb_PK_MagieReal_s.pdf
“Strange Powers” (2006, Creativetime, New York)
Die Ausstellung stellt die Frage nach einer transformativen Kraft der Kunst - gibt es sie oder nicht?
21 Künstler versuchen dieser Frage in ihren magisch aufgeladenen Arbeiten ein Stück näher zu
kommen. Während andere Ausstellungen zu jenem Zeitpunkt eher okkulte oder spirituelle Aspekte
dieser Fragestellung nachgegangen sind, hat Strange Powers das Ziel, die magische, bisweilen
paranormale Wirkungskraft der Kunstwerke selbst auf die Besucherwelt wirken lassen.
Es wurden Arbeiten von folgenden Künstlern gezeigt: Pawel Althamer & Artur Zmijewski, James Lee
Byars, Sophie Calle & Fabio Balducci, The Center for Magical Tactic, Peter Coffin, Jennifer Cohen,
Anne Collier, Christian Cummings, Trisha Donnelly, Douglas Gordon, Brion Gysin, Friedrich
Jürgenson (von Carl von Hauswolff präsentiert), Joachim Koester, Jim Lambie, Miranda
62
Liechtenstein, Euan Macdonald, Jonathan Monk, Senga Nengudi, Paul Pfeiffer, Eva Rothschild,
Mungo Thomson.
www.creativetime.org/programs/archive/2006/strangepowers/site/exhibition.html
“Blur of the Otherworldly - Contemporary Art, Technology and tue Paranormal” (2005,
Wanderausstellung Center for Art and Visual Culture, UMBC, Baltmore, MD)
25 gegenwärtig aktive Künstler gehen in ihren Werken der Frage nach Übersinnlichem und
Abergläubischem nach, die Voraussetzung für den Glauben an eine zu unserer parallelen Welt bilden.
Sie verwenden dabei moderne Kommunikationstechnologien (Fotographie, Film, Video, Radio,
Internet, Computer). Schließlich setzen auch Gegner wie Befürworter des Übersinnlichen Technologie
immer wieder ein, um die Präsenz von Übersinnlichem in Form von Verschwörungstheorien,
Spukgeschichten oder Besuchen von Außerirdischen zu überprüfen.
Zu den ausstellenden Künstlern gehören Zoe Beloff, Mark Amerika, Diane Bertolo, Jeremy Blake,
Corinne May Botz, Susan Collins, Gregory Credson, Paul deMarinis, Spencer Finch, Ken Goldberg,
Susan Hiller, Marko Maetstamm, Miya Masaoka, Jennifer McCoy & Kevin McCoy, Maria Miranda &
Norie Neumark, Mariko Mori, Paul Pfeiffer, John Roach, fred Ressler, Ted Serios, Leslie Sharpe,
Chrysanne Stathacos, Thomson & Craighead, Suzanne Treister, Anne Walsh & Chris Kubick
www.bluroftheotherworldly.com/artists.html
“The perfekt Medium: Photography and the occult” (2005, The Metropolitain Museum of Art, New
York)
In der Ausstellung werden historische Fotographien gezeigt, die zum Einen angebliche Geister und
zum Anderen vermutete Körpersäfte der menschlichen Medien (z.B. Ektoplasma) oder die meist
weiblichen Medien selbst abbilden.
http://www.metmuseum.org/special/Perfect_Medium/occult_more.asp
“Haunted Media” (2004, Sie Gallery, Centre for Contemporary Art, Sheffield)
Die Ausstellung hat den Anspruch, das Verhältnis zwischen neuen Medien und übernatürlichen
Phänomenen zu untersuchen, da die Präsenz von paranormalen Ereignissen seit der Erfindung des
Telegraphen nicht selten an die Präsenz neuer Medien gekoppelt wurde. Acht Künstler erkunden in
der Ausstellung den medialen Raum und seine Möglichkeiten für das Übersinnliche (Susan Hiller,
Thomson &Craighead, Susan Collins, Scanner, S Mark Gubb, Lindsay Seers, Patrick Ward.)
www.sitegallery.org/exhibitions/view.php?id=36
“Bewitched, bothered and bewildered - Spatial Emotion in Contemporary Art “ (2003, migros
museum für Gegenwartskunst, Zürich)
Für die Ausstellung dienten als Ausgangspunkte drei Kontexte, in denen der Raum eine zentrale
Position einnimmt: Freuds Begriff des “Unheimlichen” und seine psychoanalytische Ausarbeitung des
Raums, Michel Foucaults Behandlung von der soziopolitischen Implikation auf Gefängnisräume,
sowie Walter Benjamins Faszination am isolierten Stadtindividuum. (…) Es ist die Pathologie des
Raumes, die Bilder von hysterischen, panischen und neurotischen Zuständen entwirft. Gleichzeitig
soll der Raum aber auch als Ort des Mysteriösen, des Unergründlichen und als Versuchung gezeigt
werden.
www.kunstaspekte.de/index.php?tid=5652&action=termin
“Im Reich der Phantome: Fotographie des Unsichtbaren” (1998, Museum am Abteiberg,
Mönchengladbach/ Kunsthalle Krems, Österreich/ Fotomuseum Winterthur)
In der Ausstellung wird ein reichhaltiger Überblick über die historischen Geisterfotographien des 19.
Und 20. Jh gezeigt, sowie ihre Auswirkungen auf die Geschichte der Fotographie diskutiert.
Katalog
63
“Zeichen und Wunder” (1995, Kunsthaus Zürich)
Im Mittelpunkt der Ausstellung stand die naive Malerei des Georgiers Niko Pirosmani, die zugleich zu
der Frage nach zeitgenössischen Wundern hinführt.
(Katalog: Bice Curiger (Hrsg.) (1995): Zeichen und Wunder: Niko Pirosmani (1862-1918) und die
Kunst der Gegenwart: Kunsthaus Zürich)
www.kunsthaus.ch
“Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915”(1995, Schirn Kunsthalle
Frankfurt)
(kein online-Archiv, Katalog)
64
Werkliste zum Festivalthema “Magie”
Leah King-Smith (AUS, *1957 in Gympie, Queensland)
Patterns of Connection (1992), Fotographie mit Cibachrome
Die Künstlerin wurde in den frühen 90ern mit ihrer zehnteiligen Foto-Reihe “Patterns of Connection”
bekannt. Die Reihe repräsentiert australische Archivbilder des 19.Jh, auf denen viktorianische
Aborigines abgebildet sind. King-Smith verweist auf eine aktuell wirkende spirituelle Anwesenheit
der Abgebildeten, die den fixierenden Charakter der Fotographie sowie das im 19.Jh herrschende
Untitled, No.11 (1992)
koloniale Regime überdauert hat. King-Smith widmet sich der Aufgabe, die Wirklichkeit samt ihrer
spirituellen und multidimensionalen Facetten darzustellen und legt eigene gemalte oder fotografierte
Bilder des australischen Outbacks über die Originalaufnahmen. So entsteht eine transparente SchichtCollage, die Vergangenes anwesend erscheinen lässt.
In der Reihe “Beyond Capture” (2004) greift King-Smith dieses Thema wieder auf.
http://artsearch.nga.gov.au/Detail.cfm?IRN=179395&PICTAUS=TRUE
Eric Rondepierre (F, *1950 in Orléans)
Moires (2004), Fotogramme, 30-teilige Reihe
Rondepierre arbeitet mit filmischen Bildern, die durch den Lauf der Zeit materielle Mängel aufweisen,
wodurch bizarre sichtbare Formationen des vergänglichen Materials magisch anmutende neue Bilder
erzeugt werden. Die Fotogramme stammen aus Farbfilmen aus dem Filmarchiv in Montréal.
Confidence (1996-1998) aus der Reihe Moire (2004)
Diese Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit Körperlichkeit, Intimität und der Frage nach der
Motivation.
Die Vergänglichkeit ist auf gespenstische Weise anwesend und reiht die Fotogramme in die Geschichte
der Geisterfotographie ein: z.B. das Fotogramm Confidence aus dieser Reihe erinnert an die Idee der
Geisterfotografie, vermutete Körperfluide wie Ektoplasma fotografieren zu können.
65
www.ericrondepierre.com
www.ericrondepierre.com/pages/decomp_moires.html
Dunja Evers (D, *1963 in Hamburg, lebt und arbeitet in Düsseldorf)
Chamber of Horrors (2008)
Chambers of Horrors No.33 (2008)
Es ist noch etwas auf dem Bild, was unsichtbar vorhanden ist. Eine Anwesenheit, die zum Fürchten
ist.
Aktuelle Solo-Ausstellung in Wolfsburg We´re Not alone.
www.staedtische-galerie-wolfsburg.de/
Roberto de Paolis (I, 1980 in Rom)
Chiara, aus der Reihe Rooms I (2007)
Der Künstler thematisiert ins seinen Bildern den dynamischen Weg der Identitätsfindung. Magisch
real impliziert er die Idee eines Jenseits im eigenen Körper, der sich immer wieder differenzieren
muss. Auf der Fotographie “Chiara” zeigt er Parallelwelten der besonderen Art: Eine Begegnung mit
der anderen Art in sich selbst. Wie in der Tradition des magischen Realismus verschmelzen bei de
Paolis reale und magische Realität zu einer Synthese aus Sichtbarem, Halluzinierten und Geträumten.
www.robertodepaolis.com/works.html
www.artmbassy.com/im/artMb_PK_MagieReal_s.pdf
Thorsten Fleisch (D, *1972 in Koblenz)
Energie! (2007) HD Animation, 5:03 Minuten
In rein technischer Manier wird der TV- oder Videobildschirm mit Hilfe eines Elektronenbündel, das
66
durch die Branusche Röhre gejagt wird, kontrolliert lebendig. Ungefähr 30 000 Volt machen das
Fotopapier sichtbar, das von Fleisch so montiert und neu zusammengesetzt wird, dass ein neues
System
der elektronischen Organisation sichtbar wird. Das Ergebnis scheint abstrakt, doch es erzählt eine
universale Geschichte, die älter als die Welt selbst ist.
http://fleischfilm.com
http://cartes-art.fi/flux3/lang/en-gb/en/screening/ii/thorsten-fleisch-energie (Cartes flux³, Festival of
New Media Art; Tapiola, Espoo Mai 2008)
Usman Haque (UK, lebt in London)
Sky Ear (2004), interaktive Installation, Kohlefasernetz mit 25m Durchmesser , ca 1000 Ballons
Varying electromagnetic Fields (EMF) sind überall gegenwärtig. Dieses Phänomen inspirierte Haque;
für ihn scheinen diese Felder eine ähnliche Funktion für den Menschen zu haben wie die Architektur:
den Menschen auf gespenstische Weise zu verorten und zu lenken. Mit Sky Ear verleiht Haque dem
elektromagnetischen Raum eine Form und macht Unsichtbares sichtbar. Sky Ear funktioniert als onenight-event, bei dem eine leuchtende Konstruktion aus Mobiltelefonen und Helium-Ballons in die Luft
aufsteigt, so dass die mitmachenden Menschen die “Stimme des Himmels” hören können, wenn sie die
Nummern der schwebenden Mobiltelefone wählen. Die Ballone sind mit LED-Elektroden ausgestattet,
so dass sie bei jedem Anruf und auch jeder sonstigen Veränderung des elektromagnetischen Umfeldes
ihre Farben und ihre Helligkeit wechseln.
www.haque.co.uk/skyear/information.html
www.fondation-langlois.org/html/f/page.php?NumPage=373
67
Anne Collier (US, *1970 L.A. )
Untitled (auraphotographs), (2002-2004)
In dieser Reihe zeigt Collier auratische Porträts einiger Künstlerfreunde, die sie jedoch nicht selbst
aufgenommen hat, sondern in einem psychic store in Oakland machen lassen. Das esoterische
Fachgeschäft verlangte pro Bild 15 $ und benutzte eine Polaroid-Kamera mit Sensor und PCAnschluss (s.u. Sylvie Fleury), mit der Begründung, die Farbauflösung gebe Auskunft über die
persönliche Aura.
Jedes Bild wird von einem PC-Ausdruck begleitet, der eine pseudo-wissenschaftliche Erklärung über
die sichtbaren chromatischen Effekte in jedem Bild liefert. Menschliche spirituelle Energie - können
wir sie ohne diese Kamera nur nicht wahrnehmen und sie existiert doch? Collier nimmt keine
deutliche
Position ein, doch sie spielt mit der technischen Besonderheit: mit der Aurafotographie wird ein Bild
zugleich erstellt und beurteilt.
Diese Foto-Reihe wurde in der Ausstellung “Strange Powers” gezeigt.
www.creativetime.org/programs/archive/2006/strangepowers/site/collier.html
Sylvie Fleury (CH, *1961 Genf)
Seit Anfang der 90er Jahre sorgt Fleury als “Fashion girl” für Aufregung, da ihre Arbeiten auf den
ersten Blick wie eine Bestätigung der Wertmaßstäbe der Konsumgesellschaft wirken. Ihre subtile
Kommentierung des schönen Scheins liegt darin, an der physischen Oberfläche der Dinge anzusetzen,
um dann ihre Erscheinung substantiell zu verändern. In ihren neueren Arbeiten wendet sie sich dem
Thema der Esoterik zu und spielt mit Aurafotographien und Spektralfarben, um die Inhaltsleere des
boomenden “Selbstfindungs-Marktes” zu hinterfragen. Farbige Räume, glänzende Oberflächen und
magische Lichterscheinungen gewinnen in ihrer Arbeit an Bedeutung. In ihrer Installation rücken
magische Aura, Schönheit und Erhabenheit der inszenierten Objekte (Kristalle, Pendel) in den
Mittelpunkt. Die unwirklichen auratischen Strahlen, die in ihren Arbeiten präsent sind, nehmen es
leicht mit den sinnlichen Wirkungen der Mode-Ikonen auf und verknüpfen diese mit der paradoxen
Sehnsucht nach der Empfindung des Übersinnlichen.
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Aura-Büro (2001), Installation
Aura-Fotographien (s. Katalog), Digitale Kamera, die an ein Computersystem angeschlossen ist;
die abzulichtende Person legt ihre Hand auf einen Sensor. “Die Maschine übersetzt die Aura des
Menschen farblich auf den Bildschirm (vgl. Anne Collier)
www.kunstwissen.de/fach/f-kuns/o_pm/fleury.htm
http://on1.zkm.de/zkm/mnk/archiv/fleury/
www.indexmagazine.com/interviews/sylvie_fleury.shtml
Katalog 49000
Joachim Koester (DK, *1962 in Kopenhagen, lebt in New York und Kopenhagen)
The Magic Mirror of John Dee (2006), Fotographie des Original Spiegels mit Text von J.K.
Das Foto zeigt die Spiegelfläche des “Magischen Spiegels” von John Dee, einem Wissenschaftler aus
dem 16./17. Jh, der sich intensiven Experimenten mit dem okkulten hingab. Dieser heuerte den
Geisterbeschwörer Edward Kelly als sein Medium an. Sieben Jahre lang führten die beiden zusammen
magische Séancen durch, bei denen Kelly unter Trance in ein schwarzes Glas starrte und dabei Bilder
und Botschaften aus dem Jenseits vernahm: henochische Rufe. Jedoch änderte die Kommunikation
nichts an der Ungewissheit, die sozusagen Grund für die Séancen war: den verborgenen Mechanismen
der Welt standen die uneingelösten göttlichen, henochischen Verheißungen entgegen und Dees
Aufzeichnungen lesen sich wie eine Reihen von Enttäuschungen. Der schwarze Spiegel befindet sich
heute im British Museum, wo der Blick des Betrachters einer dunklen Abwesenheit begegnet, sobald
er auf den Spiegel trifft. “Eine leere Oberfläche, die noch in ihrer Stummheit vom Verharren erzählt,
die eine schlafende Präsenz ausstrahlt, die der Fotografie nicht unähnlich ist.
Koester hematisiert die Grauzone zwischen Rationalem und Irrationlanen im Hinblick auf die
Funktion des Spiegel als Blick in eine andere mögliche Welt
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www.creativetime.org/programs/archive/2006/strangepowers/site/koester.html
www.wkv-stuttgart.de/programm/2008/ausstellungen/wild-signals/werke/joachim-koester/
Kevin Schmidt (*1972, lebt in Vancouver)
Wild Signals (2007) HD Videoinstallation, 9,42 Min., Loop
Die Installation zeigt eine Bühne, die wie von Geisterhand im unbewohnten, verschneiten Tal einer
Gebirgslandschaft installiert wurde. Zu hören ist die minimalistische Klangfolge, die in Steven
Spielbergs Film “Unheimliche Begegnung mit der dritten Art” (1977) der Kommunikation mit
Außerirdischen diente. Spielberg bezog sich wiederum auf wissenschaftliche Farb- und
Klangexperimente des 19. Jh wie eta des Musikers Jean-Francois Sudre, der eine aus Tönen
konstruierte Universalsprache namens Solresol schuf.
www.wkv-stuttgart.de/programm/2008/ausstellungen/wild-signals/werke/
www.catrionajeffries.com/b_k_schmidt_works.html
Alice Miceli (BR, *1980 in Rio de Janeiro)
The invisible Stain - Capturing Images of radiation in Chernobyl Exclusion Zone (2008)
23 Jahre nach dem Tschernobyl-Unglück widmet sich Miceli dem Vorhaben, die aktuell vorhandene
radioaktive Strahlung am Ort des Geschehens sichtbar zu machen. Um die unsichtbaren GammaStrahlen sichtbar machen zu können, benutzt Miceli eine Technik, die erst kürzlich am IRD, Radio-
Protection-Institue in Rio de Janeiro, entwickelt worden ist. Im Fokus des Projekts steht die Idee, eine
radiographische Reihe von Bildern zu produzieren, die die in der Chernobyl Exclusion Zone
schwebende Energie dingfest zu machen, da bisher nur die Spuren von der zerstörerischen Kraft
zeugen. Auf einem Blog wird das Projekt als work in progress dokumentiert.
www.premiosergiomotta.org.br/blog/chernobyl2
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http://magazines.documenta.de/frontend/article.php?IdLanguage=1&NrArticle=671
Goshka Macuga (PL *1967, lebt in London)
Madame Blavatsky (2007), Installation
Die im Zentrum der Installation liegende Holzfigur stellt Madame Blavastky dar, während sie
zwischen zwei Stühlen schwebt. Macuga bezieht sich auf einer der Begründer der Teophysischen
Gesellschaft, die weitläufig als Paradigma für das Denken des New Age gelten kann. Madame
Blavatsky stellte die
Theorie auf, dass das Schlafwandeln der einzige spirituelle Zustand sei, der zugleich ein
unterbewusster Traumzustand ist, in dem unsere Sinnes Wahrnehmung erst aktiviert werden könne.
Die Figur wurde 2007 zum ersten Mal in der Ausstellung Whats a name in der Andrew Kreps Gallery
in New York gezeigt.
2008 hatte Macuga eine Solo-Ausstellung in der Kunsthalle Basel.
www.andrewkreps.com/macuga.html
71
Maria Loboda (* 1979, D/PL)
Four or five manifestations- of a nightmare (2008), Installation
Die Installation erzeugt mit ihrem Licht-und Schattenspiel eine flatterhafte Atmosphäre, die typisch
für die frühen Morgenstunden ist, in denen wir Alpträume haben und unsere alltägliche Umwelt in
einem anderen Licht als sonst erscheint . Dinge, die uns umgeben, lösen sich in fragile Rätsel auf,
wodurch
die uns sonst so vertraute Welt unkenntlich und abstrakt erscheint. Loboda manifestiert in ihrer
Installation, das unsere Wahrnehmung unsere Umwelt auf magische Weise verändern kann. Magisches
Denken kann wie die Kunst selbst eine transformative Kraft sein, für Außenstehende wie für
Betroffene.
www.frieze.com/issue/review/the_great_transformation/
http://www.fkv.de/frontend/archiv_ausstellungen_detail.php?id=271http://www.fkv.de/frontend/archiv
_ausstellungen_detail.php?id=271
Vanda Vieira-Schmidt (D, *1949 in Berlin)
Weltrettungsprojet (seit 1995), 500 000 Zeichnungen und Schriften
In ihrer Installation versammelt die psychisch kranke Künstlerin stapelweise Botschaften, die helfen
sollen, die Welt zu retten. Doch handelt es sich bei ihr nicht um ein Spiel mit okkulten Bräuchen,
sondern um einen ernst gemeinten Versuch, gegen das Böse in der Welt zu handeln. Sie schreibt und
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zeichnet beinahe jeden Tag und inzwischen ist ihre Arbeit als Kunst anerkannt worden. Ihre
Motivation ist das Gefühl, selbst Medium oder ein Gott zu sein, und die Kunst bietet die nötige Kraft,
um gegen die Gesandten des Teufels vorzugehen. Seit Mitte der 1990er Jahre hat Vieira-Schmidt
meterhohe Türme aus täglich angefertigten Zeichnungen mit magischen Mustern und Symbolen
gestapelt, und sie zeichnet täglich weiter…
Sie stellte ihr Projekt im Kleisthaus in Berlin bis März 2009 aus.
www.kunstaspekte.de/index.php?action=termin&tid=46068
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Thomson & Craighead (UK, neu media artists: Jon Thomson *1969, Alison Craighead *1971,
leben und arbeiten in London und Kingussie, Schottland)
e-Poltergeist (2001) Netzkunst
Diese Arbeit reflektiert die automatisierte Funktionsweise von Suchmaschinen im Netz. Sie ist ein
nicht zu stoppender virtueller Zyklus, in dem sich Suchergebnisse, Pop-ups und Warnmeldungen ohne
Unterbrechung aneinanderreihen. Thomson & Craighead haben diesen “Geist aus dem Netz”
hervorgerufen, um den Zusammenhang zwischen Technik und Beschwörung neu zu hinterfragen. Dem
Anschein nach sind die Botschaften an den Endverbraucher gerichtet, doch niemanden scheint zu
interessieren, was dieser dazu sagen würde.
Obituary (2004), Video-Installation
Mit der Installation untersuchen die Künstler die komplexen und widersprüchlichen
Erscheinungsformen des elektrischen Äthers, und wie diese in unser Leben eingreifen. Eine bewegte
Kamera wirft ihr Auge auf eine Séance, die für die abgebildeten Geister der elektronischen Nachwelt
eine Schwelle zum Lebendigen ist. Aufgenommene Musik, Grußkarten, Radio und Fernsehen rufen in
uns mannigfaltige Emotionen wach: Thomson & Craighead versuchen, die verschiedenen Schichten
flüchtiger Emotionen wie Intimität, Angst, Macht und Paranoia frei zu legen, die überhaupt erst durch
mediale Rezeption auftauchen.
So wird der elektrische Äther für Thomson & Craighead zu einem Raum, der von globalen, medialen
Vektoren konstituiert wird, die u.a. wiederum von Rundfunk und Fernsehen determiniert sind, aber
gleichzeitig auch von ohne genutzt werden. So funktioniert der elektronische Äther als Archiv für
unzählige Daten über oft banale, doch potenziell belastende Beweise für unsere täglichen Handlungen
und Aufenthaltsorte.
www.thomson-craighead.net
www.thomson-craighead.net/docs/obitmov.html (nach dem Kommentar von Pauline van Mourik
Broekman)
74
Susan Alexis Collins (GB, *1964 in London)
The Spectrascope (2005) Netz-Installation
Für die Dauer der Ausstellung wird eine Web-Kamera in einem alten Herrenhaus in England
installiert, in dem es spuken soll. Die Bilddaten werden dann via Internet in den Ausstellungsraum
übertragen. Was der Betrachter sieht, ist ein Pixel-by-Pixel konstruiertes Bild, wobei jede Sekunde ein
Pixel oben links im Bild mit einem Pixel unten rechts im Bild ersetzt wird. Der Bildschirm zeigt uns
also ein Bild des Spukhauses, das durch die verzögerte Netzübertragung geisterhaft wirkt. Collins
Arbeit wirkt wie ein Nachhall technologischer Untersuchungen von Parapsychologen, doch die
Bedeutung von Datensammlung hat ein absurdes Level erreicht. Das Bild bewegt sich an der Grenze
zwischen Signal und Rauschen, ein unbehaglicher Zwischenraum wo unsere Wahrnehmung gesteigert
wird, indem wir versuchen zu bestimmen, was Störung und was echt ist, was Zufall und was Absicht,
was Gespenst und was lebendig ist. Collins zeigt mit The Spectrascope auf, dass Technologie selbst
ein Spuk-Raum ist und legt diesen Raum über die Dauer der Ausstellung offen.
www.bluroftheotherworldly.com/collins.html
Ljudmila Belova (RUS, *1960 Kamchatka, lebt und arbeitet in St. Petersburg)
Media Spiritist (2001) Installation
Auf einem Tisch, der mit grüner Spiegelplastik bedeckt ist, liegen sieben Paare Gipshände, die jeweils
eine Maus festhalten. Über dem Tisch hängt ein eisernes Netz mit gepressten Gesichtern darauf,
womit die Körperlosigkeit der Hände betont wird. Das blaue Theaterlicht gibt dem ganzen das
Künstlich-
75
Kalte, das jede Identifizierung der Interface-Kommunikation als sachlich-menschliche
Alltagshandlung erschwert. Der Umgang mit dem Internet wird von Belova hinterfragt, indem sie das
virtuelle world wide web als magische Realität inszeniert. Jeder Mausklick wird somit zu einem
spirituellen Element einer Séance mit technischen Geistern. Es entsteht der Eindruck einer MedienAllmacht.
www.ludmilabelova.com/de/index.php?id=2&id_key=15 (Die Installation wurde 2001 im Rahmen der
Ausstellung Virtuelle Spiele in Petersburg ausgestellt.)
Mario Airò (I, *1961 Pavia, lebt und arbeitet in Milano und Radda in Chianti)
Acqua Tonica (1994) Multimedia-Installation: Schwarzlicht-Neon, Tonic Water
La lune dans le caniveau (1994) Multimedia-Installation: Schwarzlicht-Neon, Plexiglas, Sandpapier
Der Künstler Mario Airò versucht den Zuschauer in verschiedene Gedankenzustände und stark
emotional aufgeladene Gefühlszustände einzuführen. Seine Arbeiten sind aus Objekten, Bildern,
Texten, Klängen und magisch anmutenden Lichtquellen zusammengestellt, die mit schwer zu
fassenden Effekten spielen. So entstehen auf der Ausstellungsfläche selber unreale mentale Räume, die
die Fähigkeit haben, dem Zuschauer eine eher geträumte als wirkliche Bedeutung des Lebens wider zu
spiegeln. Airò scheint damit sagen zu wollen, dass Vorstellungen immer etwas mit Idealität verwoben
76
sind, und dadurch einen halluzinatorischen Charakter aufweisen.
www.italanarea.it/index.php/Mario_Air%C3%B2/?idartista=1239806869
Katalog Zeichen und Wunder
S Mark Gubbs (*1974, in Ramsey, UK, geboren und lebt in Nottingham):
If you call a dog a cat enough times, you´ll notice it drinking milk (2004)
Im Rahmen der Ausstellung Haunted Media (Site Gallery, Sheffield, 2004)) kreiert Gubbs eine
Installation, die aus einer Pinnwand und drei Tischen mit CD-Playern und Kopfhörern besteht. Er geht
der medienöffentlichen Anschuldigung nach, die drei Musik-Alben Priest, Led und Ozzy, enthielten
verschlüsselte Botschaften, die nur bei einem rückwärtigen Anhören zum Vorschein kämen. A la
Nostradamus versucht S Mark Gubbs diese zu entziffern, indem er die Lyrics von hinten nach vorne
anhört und semantisch sinnvolle Informationen mit historischen Ereignissen aus der Zeit der AlbumReleases zu verknüpfen versucht. Mit dem Wunsch, unerklärbare Bedeutungen zu lokalisieren,
schreibt er seine entdeckten geheimen Botschaften auf die Zettel an der Pinnwand nieder.
S Mark Gubbs Installation kann als künstlerischer Beitrag zu einem Medienverständnis gesehen
werden, das die Frage nach Medien als potentieller Raum für übernatürliche Botschaften stellt.
www.smarkgubb.com/cat dog.htm
Peter Coffin (US *1972, Berkeley, California, lebt und arbeitet in New York)
Ufo oder Gdansk (2008)
Der Künstler baute ein technisch versiertes Fluggerät in Form eines Ufos, das in allen Spektralfarben
schillert und ließ es in die Luft aufsteigen. Mit dieser Aktion vertauscht Coffin die Kategorien des
Echt und Unechten, denn indem das normalerweise unechte Ufo physisch vorhanden ist, wird auf eine
Art die Realität betont.
Das UFO stieg am 4. Juli 2008 im Rahmen des Festivak of Stars in Gdansk (Polen) in die Luft.
www.petercoffin.com
77
Patrick Ward (UK, *1977 in Sheffield)
Reception (2004) DVD, 4,31 min., Loop
Präsentiert filmische Momentaufnahmen, bei denen TV-Bildschirme von unbekannten Kräften
heimgesucht werden, die dem Zuschauer per Interface-Kommunikation begegnen möchten. Die
Szenen
im Originalfilm zeigen Sendungen, die beginnen und sich in dem Flackern eines aufgebrochenen
Bildesauflösen: Das, was einmal auf dem Bildschirm gezeigt worden ist, fehlt jetzt in den
Originalaufnahmen. Das gleich bleibende Flackern ist keine Störung mehr, sondern wird zum Inhalt
des Films, Ward spricht ihm eine narrative Funktion zu. Aufnahmen in der Totalenführen zu einem
mesmeristischen unklaren Bild des weißen Rauschens.
(Diese Arbeit war 2004 Teil der Ausstellung Haunted Media.)
In order of Appearance (2007) digitalisiertes VHS-Videoband, 5,32 min., Loop
Hier zeigt Ward die Aufnahme-Momente eines Videobands, wenn die erste Aufnahme endet und somit
im selben Moment die zuvor aufgenommene, bis dahin überspielte, Aufnahme wieder frei gibt. Da
diese Momente in einer Endlosschlaufe laufen, wird deutlich, dass wenn etwas endet, dies zugleich der
Beginn des Folgenden und das Ende des Davorigen sein wird. Da der Schnitt am Material selbst
durchgeführt worden ist, spricht Ward seine Vermutung aus, dass das Objekt von allem anderen
bestimmt wird. Wir finden uns selbst ständig zwischen Dingen wieder. Würden wir den Schnitt nur als
etwas wahrnehmen, das das Folgende ersetzt, ignorierten wir die Widersprüche und die Komplexität
dessen, was geschah.
Diese Arbeit wurde 2007 im Museum of Modern Art in Ljubljana, Slovenia, ausgestellt.
Marie Sester (*1966 in Frankreich, lebt in New York):
L´architecture du Paradies (2000)
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In ihrer Arbeit thematisiert Marie Sester drei verschiedene Themen: zum Einen reflektiert sie den in
der in der Menschheit verbreiteten Traum des Verlorenen Paradises, zugleich die Frage nach Inklusion
und Exlusion, bzw. Transparenz in der Politik und zudem den Status des Unsichtbaren. In den
Sequenzen
sieht man Röntgenaufnahmen von Gebäuden, Gepäckstücken und Fahrzeugen.
Marie Sester versucht also das Unsichtbare mit Röntgenstrahlen sichtbar zu machen, verdeckte
gesellschaftliche Strukturen offen zu legen und zu zeigen, dass Magie keinesfalls durchsichtig ist.
(http://www.sester.net/projects/larchitecture/larchitecture.html)
Hermen Maat (*1963 NL):
Paranoid Panoptikum (2000)
Die Installation Paranoid Panopticum thematisiert die Erfahrung mit den Kontrollmechanismen
unserer Gesellschaft. Laut Hermen Maat kann Kontrolle zur Angst vor dem Verlust der Kontrolle
führen. Dieses Paradoxon liegt dem Werk zugrunde.
Die Installation besteht aus einer undurchsichtigen Privalit-Glaswand, die sich in einen Spiegel
verwandeln kann. Der Betrachter bewegt sich im Raum zwischen Spiegel und den gegenüberliegenden
Projektionsflächen. Eine Videokamera filmt ihn durch den semitransparenten Spiegel, und sein Bildnis
wird auf die Leinwand gegenüber projiziert. Im Spiegel erblickt der Betrachter sein Abbild, das ihn
über seine Schulter anschaut. Die Projektion zeigt ebenfalls eine Schauspielerin, die mit einem
unsichtbaren Gegenüber einen Dialog führt
Sobald der Besucher die Installation betritt, durchläuft er seine eigenen Kontrollmechanismen.
Während er seine Mimik und Gestik in einem Spiegel und in einer Videoprojektion beobachtet,
verändert sich seine Wahrnehmung der Realität. Die Kontrolle schlägt in die Angst um, selbst
überwacht zu werden, und verwandelt sich von einer zunehmenden Überwachung in eine persönliche
Bedrohung. Der Betrachter wird in diesem Panoptikum von seinen eigenen Spiegelbildern verfolgt.
(http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$2816)
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Fred Fröhlich (*1968 Suhl, ehemalige DDR; lebt in Halle)
Wunder (1997) Interaktive Dia-Installation
Die technische Apparatur ist eine Art Wunschmaschine. Der Betrachter kann auf einem Touchscreen in
der Mitte des Raumes zwischen Begriffen wählen, die für menschliche Sehnsüchte stehen.
Entsprechend dem aktivierten Wort wird eine Abfolge von Dias mit zugeordneten Gegenständen
großformatig auf drei Wandflächen projiziert.
Durch die Kombination von sonst nicht assoziierten Bildern und Begriffen ergeben sich neue
Zusammenhänge; eine andere Sicht auf deren Sinn und Inhalt wird möglich. Der Auswahlprozess
erfordert die aktive, spielerische Teilnahme des Betrachters.
Aus ihrem Kontext gelöst und als auratische, große, leuchtende Bilder an die Wand projiziert, läßt sich
in ihnen die verlorenen Magie des Alltags wiederentdecken.
(http://www.fredfroehlich.com/wunder.html)
80
Pawel Althamer (PL *1967 Warschau) & Artur Zmijewski :
Sogenannte Wellen und andere Phänomene des Geistes (2003-2004), Acht-Kanal-Video-Installation
LSD (2003-2004), Video-Installation
In acht Filmarbeiten versucht Althamer durch den Konsum von halluzinogenen Drogen oder Hypnose
in einen sogenannten puren Wahrnehmungszustand gelangen, in dem alle Dinge und Zeichen noch
unbesetzt scheinen und auf diese Art und Weise, unkonditioniert Bedeutung erlangen können.
Althamer versucht das Leben als unmediatisiertes Ereignis darzustellen. Die künstlerische psychische
Grenzerfahrung soll keine Flucht vor dem Leben darstellen, sondern vielmehr eine Reflexion über die
Möglichkeit, das Leben in einer ent-mediatisierten Wahrnehmung zu erleben. Es entsteht ein Mythos
über die Überlegenheit eines erweiterten Bewusstseins und seiner Schöpfungen, die Althamer und
Zmijewski mit beinahe wissenschaftlichem, dokumentarischen Blick von außen auf ihre Experimente
und sich selbst festhalten. Althamer nimmt als Künstler die Rolle eines Schamanen ein, der die Welt
und sich selbst im veränderlichen Kosmos kennen lernt.
www.hkw.de/media/sounds/2008/rational_irrational/althamer_pawel.mp3
www.artnet.de/magazine/reviews/mania/mania11-06-08.asp
www.culturebase.net/artist.php?4059 (Bilder)
(Die Arbeiten wurden u.a. 2008 auf der Ausstellung Rational/Irrational im Haus der Kulturen der Welt
in Berlin gezeigt.)
Welle:Erdball 4-köppfige Musikband (D), electro/ gothic/ wave
z.B. Der Telegraph
“Hallo, hier spricht Welle: Erdball, Symphonie der Zeit, Hallo, hier spricht Welle: Erdball. Komm,
mach dich bereit, Hallo, hier spricht Welle: Erdball, Es ist an der Zeit, Aus dem Äther schwingt und
schwillt sie, in die Ewigkeit”
81
Mit diesem Zitat auf der Homepage von Welle: Erdball bezieht sich die Band auf eine Radiosendung,
in der bereits 1928 vom Breslauer Sender Schlesische Funkstunde eine Hörsymphonie mit dem Titel
Hallo! Hier Welle Erdball! gesendet wurde. Jedes Album der Band ist wie eine Radiosendung
aufgebaut, in denen Werbung, Meldungen zu Verkehr und Wetter und funkisches Rauschen integriert
ist. So haftet der radiophonen Technologie, die über den Äther funken kann, auch in ihren
Kompositionen noch eine mystische Faszination an. Welle: Erdball orientiert sich an den Werten der
Gothic-Szene, die häufig im Unerklärlichen nach Erklärungen sucht. Hierin liegt die Verbindung zum
Mystischen, Spiritistischen und Okkulten, zum Ätherparadigma und zur metaphysischen Aura, die das
Radio von Beginn an begleiteten.
www.welle-erdball.info/
www.myspace.com/funkbereit
www.ruhr-uni-bochum.de/genderstudies/kulturundgeschlecht/pdf/Ottmann_Beitrag.pdf
Frieder Butzemann (D, *1954 in Konstanz) Künstler, freier Komponist und Hörspielautor
Friedhofsgarten Chill-Out-Mix Alethes Soundbeams (2006): Autorenproduktion für Deutschlandradio
Kultur 2006, 51´09 min.
Auf dem Friedhof entdeckte Butzmann das Grab von Baron de la Motte-Fouqué, dessen Roman “Die
wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein” voller Geister und seltsamen
Erscheinungen ist. Alethes besteht in dem Roman so manches Abenteur. Indem er stets versucht, die
mystischen Rätsel aufzuklären, beschwört er aber immer wieder neue unerklärliche Gefahren herauf.
In seinem Radiofeature praktiziert Frieder Butzmann beinahe eine akustische Geisterbeschwörung:
Mit Hilfe der elektromagnetischen Wellen, die durch unsichtbare Schallübertragungen, einen Klang
erzeugen, verleiht Butzmann den körperlosen Wesen aus Alethes Leben die Fähigkeit zu Sprechen und
zu Klingen; sie erhalten zumindest einen (Klang-)Körper.
www.aufabwegen.de/events/?p=46
www.friederbutzmann.de
www.dradio.de/dkultur/sendungen/klangkunst/658344/
www.lastfm.de/listen/artist/Frieder%2BButzmann/similarartists
Stephen Vitiello (US, *1964 in New York): Avantgarde, Experimental, Sound Art
Scratchy Monsters, Laughing Ghosts (2005, Album) mit David Tronzo
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In diesem Album vermischen sich computergenerierte, vorsichtig anmutende Klanggewebe mit
kräftigem Gitarren-Blues, der an Mutanten denken lässt. Es ergibt sich eine harmonische Balance
zwischen diesen unterschiedlichen Klangwelten. Das Album besteht aus 4 Hauptstücken, die
zusammen den 30min. Track Long Walk ergeben.
www.allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=33:0cfux9tkldhe (Probe hören)
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