20 Jahre Ottawa - Ilona Kickbusch: Die Gesundheitsgesellschaft

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20 Jahre Ottawa - Ilona Kickbusch: Die Gesundheitsgesellschaft
20 Jahre Ottawa: Bilanz und
Perspektiven
Professor Dr. Ilona Kickbusch
RADIX Mittwoch 30. August 2006
Biel
Ein veränderter Gesundheitsbegriff
Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und
sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und
Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen,
ist eines der Grundrechte des Menschen, ohne Unterschied der Rasse,
der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder
sozialen Stellung.
(WHO, 1948)
Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen
und gelebt: Dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit
entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt,
dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und
eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben, sowie
dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, di
all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.
(Ottawa Charter, 1986)
Der Paradigmenwechsel:
die Gesundheitsgesellschaft
„
Thomas Kuhn in seinem berühmten Buch über
den Paradigmenwechsel erläutert, dass ein
solcher stattfindet, wenn das herrschende
Denksystem keine Antworten mehr auf die
aktuellen Probleme hat, die sich stellen.
„
Wir befinden uns in einer solchen Umbruchzeit –
das derzeitige “Gesundheitssystem” und die
derzeitige “Gesundheitspolitik” können nicht
adäquat auf die gesundheitlichen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
reagieren.
Expansion: vier Maximen treiben die
Gesundheitsgesellschaft
„
„
„
„
Gesundheit ist grenzenlos
Gesundheit ist überall
Gesundheit ist machbar
jede Entscheidung ist auch eine
Gesundheitsentscheidung.
Der neue Kontext: Die Dynamik der
Moderne
„
Globalisierung
„
•Differenzierung
Individualisierung
Die Gesundheitsrevolutionen
„
Die jeweils historisch spezifische Antwort auf
die anstehenden gesundheitlichen
Problemlagen und Risiken - immer zugleich
Ausdruck von und Treibkraft neuer
gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse.
Die Machbarkeit von Gesundheit
„
Die erste Gesundheitsrevolution: der große
gesundheitspolitische Fortschritt des 19 Jahrhunderts ist
die Sicherung der öffentlichen Gesundheit, SICHERUNG
„
Die zweite Gesundheitsrevolution: die Absicherung des
einzelnen bei Krankheit, Invalidität und Alter im Verlauf
des 20 Jahrhunderts, VERSORGUNG
„
Die dritte Gesundheitsrevolution: die des 21
Jahrhunderts ist die FÖRDERUNG der Gesundheit in
den vielfältigen Lebenswelten des modernen Alltags.
Gesundheit als treibende Kraft in der
Moderne
„
Individualisierung, Differenzierung, Autonomie,
Wohlbefinden sind auch Ergebnis der Erfolge
der ersten zwei Gesundheitsrevolutionen. Die
außerordentlichen Verbesserungen in der
Lebens- und Gesundheitserwartung haben
einerseits die Lebensoptionen erweitert aber
auch veranschaulicht, dass neue
Gesundheitsrisiken diesen individuellen wie
kollektiven Lebensentwürfen inhärent sind.
Gesundheitsförderung
„
„
„
In den Umbrüchen zur Gesundheitsgesellschaft, die wir
derzeit erleben. wird dieses Spannungsfeld zwischen
Sicherheit, Autonomie und Kontrolle immer wieder von
neuem deutlich.
Martin Kohli spricht von einer neuen Moralökonomie, die
neue Kontrolle aber auch mehr Ressourcen, sozialer
Kontrolle zu widerstehen, schafft. (KOHLI 1992)
Sie finden ihren Niederschlag im neuen Paradigma der
Gesundheitsförderung: Gesundheit als aktive Ressource
Die neue Sicht auf Gesundheit
“A new perspective on the health of
Canadians” 1974
„
Die Gesundheitspolitik reagiert das erste Mal 1974
auf die neue Situation. In Kanada wird vom
Gesundheitsminister Marc Lalonde ein international
richtungweisender Bericht vorgelegt: (Ein neuer
Blick auf die Gesundheit der Kanadier). Lalonde
legte ein neues Denkmodell vor und nannte es “the
health field concept”. Es beinhaltete vier
Handlungsfelder einer modernen Gesundheitspolitik : biologische Faktoren, die physische Umwelt,
Lebensstile und Gesundheitsdienste.
Der Blick weitet sich……………
„
Viele dieser Gesundheitsdeterminanten liegen
ausserhalb des medizinischen Versorgungssystems.
„
Damit läutete Lalonde nicht nur eine neue Phase
der Expansion der Gesundheitspolitik in andere
gesellschaftliche Bereiche ein, er sprach auch ein
zentrales Moment der Veränderung zwischen der
ersten und der zweiten Moderne an: die Systeme,
die geschaffen wurden um den anstehenden
Problemen Herr zu werden, werden selbst zum
Problem
Wiederentdeckung „old public health“
Soziale DETERMINANTEN
von Gesundheit
„
Gesundheitsziele: Die neue Ordnung
„
„
Tradition der Machbarkeit und Planbarkeit
von Gesundheit: man wollte durch eine neue
Ordnung der Unmenge neuer Risiken
begegnen, sie klassifizieren und Prioritäten
setzen.
Das amerikanische Gesundheitsministerium
stellte das erste Mal nationale
Gesundheitsziele auf: US Health Objectives
for the Nation.
Die Un-Ordnung der Dinge:
„the new public health“
Identity politics – das Indiviuum rückt ins
Zentrum - Menschenrechte
Subpolitiken – soziale Bewegungen
„
The very nature of politics
has changed: Globalization
has provided opportunities
for women, lesbians and
gay men, disabled persons,
indigenous people to
mobilize to a degree that
was generally unavailable
to them in …territorial
politics.
„
(Scholte 1999)
PATIENTENORGANISATIONEN
„
Gesundheitsförderung zielt auf den Prozeß,
allen Menschen ein höheres Maß an
Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu
ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer
Gesundheit zu befähigen
NEUORIENTIERUNGEN
„
Emanzipation: Das eigene Ich wird über den Körper
reflektiert und über den Körper werden neue
Solidaritäten gebildet.
„
positive Orientierung: Kiss a non smoker – taste the
difference.“ „Salutogenese“, Alltagsorientierung
(OttawaCharter)
„
Tabubruch: Themen – AIDS, Brustkrebs, Behinderung,
Abhängigkeit – treten aus der Tabuzone in die
Öffentlichkeit. Die Absolutheit der Definitionen – dies ist
gesund und dies ist krank – wird aufgebrochen ,
NEUORIENTIERUNGEN
„
Identität und Solidarität: Ebenso wie das erhöhte
Gesundheitsbewusstsein, wird auch Krankheit und
Behinderung bisweilen zum bestimmenden Teil der
Identitätsfindung und Sinnstiftung, Jeder einzelne kann
sich sichtbar solidarisch zuordnen:
„
Machbarkeit :Gesundheit greift nun auf immer neue
Marktbereiche über.
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Globalität: das persönliche Gesundheitsinteresse
verbindet sich zunehmend mit globalen
Gesundheitsfragen
DAMALS : WHO Führungsrolle
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Fügt zusammen:
Health field Lalonde
Equity
Participation
Social concept
Goal setting
1986 Die Ottawa Charter: eines der ersten
gesundheitspolitischen Dokumente, das die Konsequenzen
der Moderne in ihrer Bedeutung für die Gesundheit fasste:
towards a new public health…………...
Wir befinden uns mitten im Umorientierungsprozess
HEUTE 2003 : Schwedische Ziele
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„
Teilnahme und Möglichkeiten zur Mitbestimmung in
der Gemeinschaft
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Sicherheit
Sichere und fördernde Gegebenheiten für eine
gesunde Kindheit
Gesunde Arbeitsbedingungen
Gesunde und sichere Umgebung und Produkte
Gesundheitssystem, das aktive
Gesundheitsförderung betreibt
Schwedische Ziele
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„
Effektiver Schutz gegen nicht kommunizierbare
Krankheiten
Sichere Sexualität und Sexualleben
Genügend körperliche Bewegung
Ausgewogene und gesunde Ernährung
Reduzierter Tabak- und Alkoholkonsum,
Gesellschaft frei von Drogen und
Drogenmissbrauch und Reduktion der Folgen
von Spielsucht
Kennzeichen der dritten
GESUNDHEITSREVOLUTION
„
Gesundheit ist ein Ressource .
„
Gesundheit ist aktiv. „Health is a verb“
„
Gesundheit ist eine Fähigkeit (capacity) kein
Zustand
Neue Steuerungsprobleme
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Gesundheit als Produkt: Erwartungen an den
Gesundheitsmarkt
Gesundheit als Investition: die Steuerungsaufgaben
des Staates
Gesundheit als Teilhabe : die neue Verantwortung
der BürgerInnen
Werte in der Gesundheitsgesellschaft
Gesundheit als persönliche und gesellschaftliche
Ressource
Gesundheit als globale Verantwortung
Gesundheit als Bürgerkompetenz.
Veränderung des Gesundheitsbegriffes
„
GESTERN: Gesundheit grenzt der Freude und Lust
aus– alles was gesund ist macht keinen Spaß, schmeckt
nicht und verlangt Opfer.
Gesundheitsbegriff heute
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HEUTE:
Gesundheit ist erstrebenswert und Ausdruck und Teil
der modernen Lebensqualität und des Wohlbefindens.
Sie hat auch eine historisch verloren gegangene
Dimension wieder gewonnen: die Emanzipation,
(empowerment).
Damit verändert sich das Verständnis von Gesundheit in
der späten Moderne ganz grundsätzlich: es geht nun
darum, Gesundheit als positive Ressource in einen
aktiven Lebensalltag zu integrieren und sowohl als
Emanzipation förderndes und Gemeinschaft stiftendes
Moment einzusetzen.
Die europäische Aufklärung: von der
Perfektion des Menschen und der Utopie
der Gesundheit
Diderot
Die Multioptionengesellschaft
Perspektive: Der Gesundheitsmarkt
“
Wellness
Gesundheitsmarkt
Der Informations- und Beratungsmarkt
Internet
News
Media
TV/
Radio
Health
Ins.
Org’s
Friends
&
Family
Peerreview
Lit.
The
Consumer
Popular
Media
Gov’t
Health
Org’s
Filter
Selfhelp
books
Healthcare
Provider
Health
Assoc’s
Internet:
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Familie Nestreu
Nestlé im Kampf gegen Fettleibigkeit
Vevey - Der Nestlé-Konzern will sein Geschäft mit dem Kampf gegen Fettleibigkeit
verstärken.
Perspektive: Neue Akteure
„
NEW YORK (AP) —
Time magazine has
named Bill and Melinda
Gates and rock star Bono
its "Persons of the Year,"
citing their charitable
work and activism aimed
at reducing global poverty
and improving world
health.
2005
„
Junior doctors are calling
on celebrity chef Jamie Oliver
to repeat his success
with school dinners
and lead a campaign
to improve food in hospitals.
BBC
California School
Nutrition Bill”
„
„
„
Die am 15. September 2005
in Kalifornien, USA, verabschiedete Gesetzgebung für
Schulspeisungen sieht vor, dass an Schulen der Verkauf
von Süßgetränken und Junk Food rigoros limitiert wird.
Diese legt im Rahmen der Enactments SB 12 and SB
965 Lebensmittelstandards an Schulen vor, welche die
Nährwertdichte von Snacks und Mahlzeiten festlegen
und den Verkauf von Süssgetränken stark bis ganz
limitieren.
Die gesundheitspolitische
Herausforderung
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Ist die Förderung der Gesundheit in den
vielfältigen Lebenswelten. Dazu bedarf es
des aktiven Bürgers ebenso wie
des schützenden und fördernden Staates,
eines an Prävention ausgerichteten
Versorgungssystems sowie
einer verantwortungsvollen Wirtschaft.
UND EINE NEUORGANISATION
Werte Orientierungen in der
Gesundheitsgesellschaft
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„
„
Gesundheit als Emanzipation und
empowerment
Gesundheit als Produkt
Gesundheit als Perfektion und ultimativer
Wert.
Gesundheit als globale Verantwortung
Auf dem Weg in die Zukunft
„
Gesundheit wird von den Menschen in ihrer
alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt, dort
wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben.
„
Gesundheit entsteht dadurch, daß man sich um
sich selbst und für andere sorgt, daß man in der
Lage ist, selber Entscheidungen zu fällen und
Kontrolle über die eigenen Lebensumstände
auszuüben sowie dadurch, daß die Gesellschaft
in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen
Bürgern Gesundheit ermöglichen.
Im 21. Jahrhundert……………….
„
„
Das Ziel ist nicht mehr die perfekte
Gesundheit als Utopie, sondern Gesundheit
als positive Lebensressource.
Ihre Machbarkeit ist näher an den Alltag
gerückt. Dieser Gesundheitsbegriff verwischt
den Gegensatz gesund-krank und jung-alt
auf positive Weise, denn er blickt nicht nur
anders auf die Gesundheit, sondern auch auf
die Krankheit und auf das Alter. Hierin liegt
eine enorme historische Chance.
FAZIT
„
Gesundheitsförderung als Rhizom
EINLADUNG
Bitte vormerken:
Buchvernissage
APERO
am 5. 9. 2006
18.00 Uhr
Forum Altenberg
Altenbergstrasse 40
CH 3013 BERN

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