Von Dirndl, Bier und Deutschland

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Von Dirndl, Bier und Deutschland
Von Dirndl, Bier und Deutschland
Essay
Abgegeben am 31. August 2010
Birgit Stenzel
Integriertes Design (Ba), 2. Semester
Vorlesung Designtheorie bei Prof. Annette Geiger
Sommersemester 2010
Hochschule für Künste Bremen
Der Ausgangspunkt meiner Beobachtungen ist die Erlanger Bergkirchweih. Nördlich von
Nürnberg, mitten im Bierland Franken gelegen, wird dort alljährlich die Weihung der
Bergkirche anno dazumal als Ausrede genutzt, maßweise Bier zu trinken und auf den Tischen
zu tanzen. Im Wesentlichen ist es eine kleinere Wiesn – und das drittgrößte deutsche
Volksfest – wenn auch die regionalen Biere und die Lage am Berghang einiges an Charme
hinzufügen. Und ebenso wie in München nimmt die Attraktivität des Festes von Jahr zu Jahr
mit der wachsenden Zahl an tief dekolletierten Dirndl-Trägerinnen zu. Denn spätestens seit
Paris Hilton in kurzer Tracht übers Oktoberfest getrippelt ist, ist auch im kleinen Erlangen ein
Zuwachs an den volkstümlichen Kleidern zu bemerken.
Doch woher kommt die steigende Bereitschaft der vor allem jungen Frauen, sich in die
altmodischen Mieder und Schürzen zu zwängen? Es scheint so, dass anlässlich des recht
volkstümlichen Anlasses das Traditionsbewusstsein und die Heimatverbundenheit
sprungartig wachsen. Denn das symbolisieren das Dirndl und die ebenfalls immer beliebter
werdenden Lederhosen als (männliches) Pendant schließlich: Heimat und Tradition.
Genau diese Werte sind aber den Deutschen eigentlich fremd: Nationalstolz war lange Zeit
nach den Nazis ein großes Tabu und der neue gute Deutsche war alles, nur kein guter
Deutscher mehr. Anbracht der geschichtlichen Ereignisse ist diese Entwicklung nur zu
verständlich. Die meisten Enkel der Betroffenen aber haben Deutschland nur in dem Status
kennengelernt, in dem es sich momentan befindet, und das ist ein im Vergleich ziemlich
friedlicher und wohlhabender. Da sind die alten Vorbehalte kaum noch verständlich1. Und
1
Ehrlich gesagt kann meine Generation das ständige Aufwaschen der Sünden unserer Großeltern inzwischen
eigentlich kaum mehr hören - Nachricht angekommen, danke für die Warnung, wir machen‘s nicht wieder.
Aber, bei allem Respekt, werft uns doch bitte keine Fehler vor, die wir nicht gemacht haben.
tatsächlich wird die Volkstümelei2 vor allem in den bierseligen Zeiten immer stärker. Sei es
nun Fußball-WM oder Volksfest, das Nationalgebräu macht es offenbar einfacher sich
wieder eingestehen zu können, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist, Deutscher zu sein.
Zumindest das deutsche Bier ist gut.
Genau in diese Bresche schlägt auch der Trachten-Trend. Zwar laufen sicherlich viele der
Dirndl-Trägerinnen einfach einer Mode nach, die immer beliebter zu werden scheint
und/oder wollen einfach die Gaudi mitmachen. Dennoch steht hinter der Gewandung doch
noch ein bisschen mehr als nur eine lustige Kostümierung oder eine beliebige
Modeströmung. Anders als irgendeine Faschingsverkleidung wird das Dirndl tatsächlich auf
eine gewisse Art ernst genommen – nahezu bierernst. Denn trägt man die (vermeintliche)
Tracht, will man damit eine Aussage treffen: „Ich komme von hier und ich gehöre hierher“.
Und: „Ich bin stolz drauf“3. Mit der ländlichen Kleidung soll an jene Vergangenheit erinnert
werden, in der das Dirndl die normale Mode war.
Ironisch dabei ist, dass das Dirndl eigentlich von Beginn an eine Art Kostümierung war.
Ursprünglich entspricht der Schnitt der Arbeitskleidung der bäuerlichen Mägde aus Bayern
oder Österreich. Die Kleidung wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Städterinnen kopiert,
die besonders ländlich erscheinen wollten – um so z.B. bei Aufenthalten auf dem Land oder
bei Volksfesten ihre Nähe zur Landbevölkerung auszudrücken.4 Erst dadurch wurden die
Kleider aufgewertet. Aus dieser Zeit kommt auch der Name für das Dirndl: „Dirndl“ bedeutet
eigentlich junges Mädchen – oder eben Magd. Der eigentliche Name ist Dirndlgwand oder
Dirndlgewandung, was einfach verkürzt wurde. Ein Dirndl besteht klassischerweise aus
einem tiefausgeschnittenen Leibl mit Rock (die heute meist zu einem Kleid zusammengefasst
sind), einer Bluse, die klassischerweise kurz unter der Brust enden, und einer Schürze.
Es ist wichtig, dass man sich nicht verleiten lässt, ein Dirndl mit einer echten Tracht
gleichzusetzten – da fühlt sich sonst ganz schnell jemand auf den Fuß getreten. Regionale
Trachten haben ganz bestimmte Schnitte und Merkmale wie Farben, Muster oder Abzeichen
usw. Lederhosen allerdings entspringen tatsächlich aus der Tracht, wobei lange nicht jedes
moderne Exemplar noch einer Region zuzuordnen ist.
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist das Dirndl die perfekte Kleidung für ihre
Trägerinnen: Es bindet einen, aber nicht zu fest – und das in mehr als einer Hinsicht: Zum
einen das traditionelle Aussehen – es gibt ein bestimmtes Paket an die Dingen, die
vorhanden sein müssen, aber auch einige Freiheiten, angefangen der Farbwahl. Es bindet
einen aber auch an das Land: Das Dirndl lässt sich zwar grob als bayerisch oder
österreichisch einordnen, aber keiner speziellen Region. Das Schicksal teilen inzwischen
2
Womit keinesfalls Nationalsozialismus gemeint ist, sondern eher die Einstellung, sich nicht wie getretener
Hund zu verhalten, nur weil das Wort Deutschland gefallen ist.
3
Und auch hier lässt sich die Parallele zum Fußball ziehen: Niemand trägt das Trikot seines Vereins aus
irgendeinem anderen Grund als purem Ernst. Der wesentliche ideologische Unterschied zwischen beiden
besteht nur darin, dass die einen durch ihre Kleidung aussehen wie Narren, während die anderen… nun ja…
wenigstens ein hübsches Dekolleté haben.
4
Also im Prinzip aus den gleichen Gründen wie heute.
einige Leute, denn nur wenige Familien bleiben heute noch für immer an Ort und Stelle.
Dennoch will man sich verwurzelt zeigen und eigentlich auch sein. Stichwort Heimat –
Heimeligkeit und die damit verbundene innere Sicherheit sind heute leider keine
Selbstverständlichkeiten mehr.
Dass diese Entwicklung in Bayern stattfindet, ist bei genauerer Betrachtung übrigens nicht
besonders überraschend. Denn während der Bayer lange Zeit kein Deutscher mehr sein
wollte, so war er doch eigentlich immer ein Bayer5. Denn die Bayern bilden sich schon lange
etwas auf ihren Freistaat ein. Und immerhin: Wirtschaft, Kultur und Landschaft bieten
tatsächlich einen gewissen Wohlstand. Und dass sowohl der Raum München als auch die
Region um Erlangen zu den einkommensstärksten Teilen Deutschlands gehören, spielt wohl
auch in das Bild mit herein: Hier ist auf eine gewisse Art und Weise vielleicht mehr als
anderswo heile Welt… in die die alte Mode gut reinpasst.
Während
der
Bergkirchweih6
zumindest ist für ein paar Tage alles
prächtig und man beschwört die gute
alte Zeit recht erfolgreich hervor. Und
wenn man den Traditionen und
Heimatgefühlen rund um Dirndl und
Lederhosen auch vielleicht sonst
nichts abgewinnen kann – kleidsam
sind sie allemal. Die bunten Kleider
mit den mal längeren, mal kürzeren
Röcken, kontrastierenden Schürzen,
engen
Leibchen
und
weißen
Puffärmelblüschen machen selbst aus
faden
Mädchen
eine
kleine
Augenweide. Dazu noch ein paar
stramme Waden, die aus den
Krachledernen
zu
den
roten
Karohemden heraus schauen, und die
Aussicht ist gerettet. So zelebrieren
die heimeligen Bayern (und alle
Auswärtigen, die die Party zu lustig
finden, um nicht Teil von ihr zu sein,)
ihr Brauchtum und pfeifen ganz kurz
auf den Rest der Welt.
5
beziehungsweise ein Franke, was nicht das gleiche ist. Bremen ist ja auch nicht gleich Hamburg. Franken und
Altbayern sind zwar meist friedliche Nachbarn, möchten aber plakativ gesprochen eigentlich nicht so viel
miteinander zu tun haben – nur leider teilen sie sich ein Bundesland. Außerdem gibt es da noch Schwaben.
6
kurz Berg, Berch oder wie auch immer der betrunkene Dialekt die Zunge bemüht