kultur1 - Tessa Szyszkowitz | szylog
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WARNER MUSIC kultur1 Grau in Grau Sentimentaler Realismus: das Wiener MigrantenMelodram „Risse im Beton“. D ass Superstar Prince, 56, schon lange keine interessante Musik mehr macht, ist ein gängiges Märchen. In Wahrheit frönt der Popeklektiker seinem ausufernden Schaffensdrang (über 30 Studioalben gibt es bisher) seit Jahren unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit. Das liegt zum einen daran, dass es Prince Rogers Nelson, wie der virtuose Multiinstrumentalist aus Minneapolis mit vollem Namen heißt, spätestens seit seinem Bruch mit der Plattenfirma Warner Music Anfang der 1990er-Jahre (zu der er nun zurückgekehrt ist) genau darauf abgesehen hat; aus Protest gegen die „Versklavung“ durch die Musikindustrie legte er seinen Namen ab, reduzierte sich auf ein androgynes Symbol (die etwas holprige Bezeichnung „The Artist Formerly Known As Prince“ war die Folge), bis er sich schließlich doch wieder Prince nannte. G Gleich zwei neue Alben veröffentlicht der erratische Popweltstar Prince – eines mit Band, eines solo. FUNKMONSTER Prince: Art Official Age (Warner) Prince and 3rdEyeGirl: Plectrumelectrum (Warner) FILMLADEN FILMVERLEIH Zum anderen liegt das Dilemma neuer Prince-Alben auch darin, dass er in vielen Dingen einfach zu früh dran war. „Crystal Ball“ wurde bereits 1998 ausschließlich über das Internet vertrieben, 2007 ließ er seine CD „Planet Earth“ dem britischen Massenblatt „Mail on Sunday“ beilegen. Auch diesmal bleibt es wieder bis zum Veröffentlichungstermin spannend: Die Medien, so Prince in einer Erklärung, sollen die zwei neuen Alben (eines davon solo eingespielt, eines mit Band) erst zeitgleich mit seinen Jüngern hören dürfen. Ein paar der neuen Songs wurden immerhin schon verbreitet, Videoschnipsel in Umlauf gebracht oder bereits live gespielt. Besonderes Augenmerk sollte man diesmal auf das Album „Plectrumelectrum“ legen, das er gemeinsam mit seiner aktuellen Begleitband 3rdEyeGirl live und analog einspielte. Prince erlebt mit den vier jungen Musikerinnen nicht nur auf Tournee einen sprichwörtlich zweiten Frühling. Sein neues Soloalbum „Art Official Age“ hingegen, so viel darf verraten werden, beinhaltet alles, wofür das quirlige Funkmonster seit jeher steht: Soul, Funk und R&B. Ein Grenzgänger eben, darauf ist Verlass. ph. d. ut und Böse sind in diesem Film übersichtlich verteilt: Drogengeschäfte, Aggression und Gangsta-Rap auf der einen Seite, erste Liebe, Sozialarbeit und Rehabilitation auf der anderen. Ein Ex-Häftling bereut seine Taten, versucht, ein besserer Mensch zu werden; ein Teenager kämpft um seinen Platz im Leben. Der junge Wiener Filmemacher Umut Dag, der sich auf Migrantendramen spezialisiert, zeigt in seiner zweiten großen Arbeit (nach „Kuma“), in dem Straßenmelodram „Risse im Beton“, dass er als Regisseur technisch durchaus versiert ist; sein Problem ist die unbedingte Vermittlung der Melodramatik, die er im Sinn hat: Er versucht die Härte, die er vorgibt, und die reale Vulgarität des Milieus, in dem er dreht, mit zu viel Sentimentalwirkstoffen (zartes Piano!) und dick aufgetragener Familienund Teenager-Romantik auszupendeln. Das HauptdarstellerDuo (Murathan Muslu und Newcomer Alechan Tagaev) wirkt unterbetreut, das Drehbuch papieren. „Risse im Beton“ erzählt alte Kinogeschichten: urbaner Existenzialismus, Grau in Grau. st. gr. LAUF DURCH EIN TRISTES LEBEN Murathan Muslu in „Risse im Beton“ 94 SURıOš6HSWHPEHU 6HSWHPEHUšSURıO 95 BESTSELLER BELLETRISTIK SACHBUCH 1 kultur2 Geschenkt Daniel Glattauer Deuticke, EUR 20,50 (2) Darm mit Charme (1) Giulia Enders Ullstein, EUR 17,50 2 3 Brennerova (1) Wolf Haas Hoffmann und Campe, EUR 20,60 Zwei Herren am Strand Michael Köhlmeier Hanser, EUR 18,40 Sechs Jahre Charlotte Link Blanvalet, EUR 20,60 Dein Gehirn weiß (2) mehr, als du denkst Niels Birbaumer Ullstein, EUR 20,60 (3) 4 (3) 5 6 Alles rot Eva Rossmann Folio, EUR 19,90 (6) Ein ganzes Leben Robert Seethaler Hanser, EUR 18,40 (4) Die Abwicklung Georg Packer Fischer, EUR 25,70 (5) Der Crash ist die (4) Lösung Matthias Weik Eichborn, EUR 20,60 96 SURıOš6HSWHPEHU Im gegenwärtigen Russland steht Memorial mit dieser Initiative sehr allein da. Unter Putin wird eher an Stalins Sieg über den Faschismus als daran erinnert, dass er Millionen Menschen in den Gulag schickte. Seit 2012 müssen sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Die Memorial-Mitarbeiter werden inzwischen als Volksfeinde behandelt. „Es ist ungeheuer schwer“, seufzt Mitarbeiterin Irina Sherbakova: „Wir wissen nie, ob wir nächste Woche noch arbeiten können.“ Unter den neuen Spionparagrafen fällt theoretisch auch die Ausstellung „Tales of 2 Cities“, die vergangene Woche im privaten Moskauer Museum of Modern Art von Wassili Tseriteli eröffnet wurde. Politisch mutig sind die gezeigten Werke der russischen Teilnehmer, die Österreichs Kulturattaché Simon Mraz ausgewählt hat. Die aus dem künstlerischen Umfeld der Gruppe Pussy Riot stammende Alisa Yoffe wurde von einem Thora-Vorhang aus der Wiener Sammlung zu einem Punkkonzert-Gemälde inspiriert; der russisch-israelische Künstler Haim Sokol hat sich mit der Bleikugel, die den jüdischen Revolutionär Karl Heinrich Spitzer 1848 tötete, befasst und statt Kugeln bleierne Buchstaben gegossen. Hans Weigand suchte bei Memorial einen Polsterbezug aus, auf den ein Häftling im Gulag ein Bild des Revolutionsdichters Wladimir Majakowski stickte. Der WahlBurgenländer Weigand ist gerne nach Moskau gekommen: „Millionen Menschen sind im Gulag umgekommen, und was bleibt davon? Ein paar Stahlschränke voller Artefakte.“ Tessa Szyszkowitz 10 Die Frau auf der (7) Treppe Bernhard Schlink Diogenes, EUR 22,60 Der Circle (–) Dave Eggers Kiepenheuer & Witsch, EUR 23,70 Das goldene Ei Donna Leon Diogenes, EUR 23,60 (8) Kinder der Freiheit (–) Ken Follett Lübbe, EUR 30,90 Die zerrissenen Jahre Philipp Blom Hanser, EUR 28,70 (7) Einfach beste (6) Freunde Kurt Kotrschal Brandstätter, EUR 22,50 Lebensbilder (10) Erhard Busek Kremayr & Scheriau, EUR 24,– Die Schlafwandler (3) Christopher Clark DVA, EUR 41,20 C‘est la vie - Ein (–) Lebens-Lauf Peter Turrini Amalthea, EUR 24,95 Mr. Kaufman, was halten Sie von politischer Korrektheit? p rofil: Wie haben Sie es geschafft, ein Ultra-Low-Budget-HorrorStudio wie Troma, das Sie 1974 gegründet haben, 40 Jahre lang am Leben zu erhalten? Kaufman: Keine Ahnung. Wir waren nie berühmter als heute, aber finanziell trocknen wir aus. Die Existenz von Troma hängt seit Jahren an einem Stück Zahnseide. Wir stehen auf allen schwarzen Listen, haben nirgendwo mehr einen echten Vertrieb. Wir werden nur noch von Fans unterstützt, die DVDs, T-Shirts und „Toxic-Avengers“-Puppen kaufen. profil: Kann man Sie einen extrem sturen Menschen nennen? Kaufman: Ja! Wir kämpfen gegen Leute wie Rupert Murdoch, denn die Einzigen, auf die solche Typen keinen Zugriff haben, sind unsere Fans. WWW.SLASHFILMFESTIVAL.COM UNDRITZKOVA (2) „TALES OF 2 CITIES“ Blick in die Moskauer Ausstellungsräume mit dem Jüdischen Museum Wien hat man seine Sammlungen nun für je drei Kunstschaffende geöffnet. Neben Shapiro-Obermayr beteiligen sich Hans Weigand und Zenita Komad aus Österreich, Haim Sokol, Olga Jitlina und Alisa Yoffe aus Russland. Dabei versuchte man zu vermeiden, den Gulag in die Nähe von Auschwitz zu rücken: „Man kann die Vernichtung der Juden nicht mit Stalins Terror vergleichen“, meint Museumsdirektorin Danielle Spera. Ihr ging es darum, „zwei Institutionen zusammenzubringen, die sich um die Erinnerung jener kümmern, die ausgelöscht wurden“. Ab Jänner 2015 wird „Tales of 2 Cities“ in Wien zu sehen sein. 9 (5) Das jüdische Museum Wien und eine russische Menschenrechtsorganisation wagen sich in Moskau an ein gemeinsames zeitgenössisches Kunstprojekt. in Bild der Idylle, der Blick aus dem Fenster; doch bei genauerem Hinsehen erkennt man am Zaun einen Stacheldraht. Die Stickerei entstand einst im Gulag, die Künstlerin ist unbekannt, wahrscheinlich dort umgekommen. So wie viele andere Artefakte landete die Arbeit in der Sammlung der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial. Die russisch-österreichische Künstlerin Ekaterina ShapiroObermar hat sie für die Ausstellung „Tales of 2 Cities“ ausgewählt. Memorial widmet sich der Aufarbeitung der Gulag-Geschichte; gemeinsam 8 Grundriss eines Rätsels Gerhard Roth Fischer, EUR 25,70 Stahlschrank der Erinnerung E 7 wöchentlich erhoben von den Buchhandlungen Thalia, Leporello, Morawa Buch und Medien-Gruppe, Frick, Wagnersche Buchhandlung Platzierung in der Vorwoche profil: Als Sie begannen, Filme zu machen, gab es noch Drive-in-Kinos, die Midnight-Movie-Kultur, eine Liebe zum klassischen B-Horror der Fifties. Das existiert alles nicht mehr. Kaufman: Ja, weil die von Medienkonglomeraten beherrschten Filmstudios fast alle Kinos besitzen oder kontrollieren. Heute geht es darum, für ein freies und offenes Internet zu kämpfen. Ich finde Filesharing großartig, das nützt den Künstlern. profil: Nicht finanziell. Kaufman: Nicht direkt. Aber es sorgt für Verbreitung. Und mir genügt es schon, wenn niemand anderer Geld mit meinen Filmen macht. profil: Ihre krassen, mit Latexmasken und Kunstblut ausgestatteten SpaßSchocker haben oft politische Subtexte. Wie wichtig ist Ihnen das? Kaufman: Sehr. Wir sind dem Mainstream da oft weit voraus. „The Toxic Avenger“ setzte sich 1984 für Umweltschutz ein, lange bevor Al Gore in diesem Bereich initiativ wurde. Wir attackierten auch früh die FastFood-Industrie. profil: In „Poultrygeist“ 2006. Kaufman: Die politische Heuchelei, die heute herrscht, gibt uns viel Stoff für satirische Zuspitzung. profil: Mögen Sie den Begriff „Trash“ eigentlich? Kaufman: Nein, viel zu negativ. profil: Aber die Leute, die ihn auf Ihre Filme anwenden, tun das liebevoll. Kaufman: Egal. Trash heißt Müll. Das ist etwas, das man wegwirft. Meine Filme wirft man nicht weg. Im Gegenteil: Hollywood bereitet ein Remake von „Toxic Avenger“ vor, das vermutlich eine halbe Milliarde Dollar kosten wird. profil: Daran verdienen Sie nicht? Kaufman: Bis jetzt leider nicht. profil: Als Sie 1974 mit Michael Herz Troma gründeten, sahen Sie sich als echte Auteurs? Kaufman: Klar. Wir studierten in Yale, lasen die „Cahiers du Cinéma“, ließen uns die Gehirne von Chabrol, Godard und Melville waschen. Das ruinierte mein Leben. Ich hätte Michael Bays Karriere machen können! profil: Was halten Sie von Political Correctness? Kaufman: Nichts. Ich hasse sie. Sie ser Tage auf Einladung ist garstig und undes /slash-Filmfestilogisch. Ich habe sogar extra desvals, das im Filmcasino halb zu rauchen nach der Eröffnung mit begonnen. Ich war Ulrich Seidls Dokuimmer NichtrauSchocker „Im Keller“ cher, aber als der diese Woche noch abDschihad gegen wegige Horrorwerke das Nikotin einaus Europa, Japan und setzte, zündete ich den USA (sowie das mir eine an. Und fand es großartig. Comeback der betagten Stanley Lloyd Kaufman, 68, gründete 1974 das Trash-Filmunternehmen Troma, ein im Geiste der C-Pictures der 1950er-Jahre agierendes Low-BudgetStudio, das in vier Jahrzehnten an die 1000 heiter-bestürzende internationale Sexploitation- und Spaßgewaltwerke auf den Markt gebracht hat. Kaufman weilt die- Fantasy-Legende Alejandro Jodorowsky) zeigt, in Wien. Interview: Stefan Grissemann 6HSWHPEHUšSURıO 97