Analyse sprachrelevanter Hirnrindenpotentiale mit Wavelets

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Analyse sprachrelevanter Hirnrindenpotentiale mit Wavelets
9. DGA Jahrestagung 2006
Analyse sprachrelevanter Hirnrindenpotentiale mit Wavelets
Burger M.1, Hoppe U.2, Kummer P.1, Lohscheller J.1, Eysholdt U.1, Döllinger M.1
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Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Bohlenplatz 21, D-91054 Erlangen, Email: [email protected] 2 Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Waldstrasse 1, D-91054 Erlangen
Einleitung
Die herkömmlich zur Überprüfung des zentralen Hörens eingesetzten audiologisch orientierten Sprachtests
sind auf Grund ihres subjektiven und kognitiven Charakters nicht durchgehend in der Lage, auditive Teilleistungen differenziert zu diagnostizieren. Deshalb sollen akustisch evozierte Potentiale (AEP) als objektives audiometrisches Verfahren für klinische Zwecke nutzbar gemacht
werden.
Mit der AEP-Komponente Mismatch-Negativity
(MMN) steht ein Instrument zur objektiven Untersuchung auditiver Diskriminationsleistungen zur Verfügung. Ausgelöst wird die MMN-Komponente im Oddball-Paradigma, bei dem in eine Reihe eines immer wieder dargebotenen Standardreizes sporadisch ein abweichender Reiz (Deviantreiz) eingestreut wird. Die Amplitude der MMN ist ein Indikator dafür, wie intensiv die
dargebotene Änderung wahrgenommen wird (Baldewig
et al., 1999). Aufgrund dieser Eigenschaften erscheint
die MMN für das Überprüfen zentral-auditiver Teilleistungen bei Kindern besonders geeignet.
In einer Kleinstudie mit Vorschulkindern wurden
MMN-Messungen mit 4 unterschiedlichen Reizänderungen durchgeführt. Die Messungen beruhten auf einem
von Näätänen (2004) vorgestellten zeitsparenden MMNParadigma, das wir für unsere Zwecke kindgerecht modifizierten.
Anstelle der herkömmlichen Auswertung der MMNKurven (Sinkonnen & Tervaniemi, 2000) wurde als
methodische
Neuerung die diskrete WaveletTransformation (DWT) eingesetzt. Der Vorteil der DWT
ist die Aufspaltung des Signals in beliebige Frequenzund Zeitbereiche, wodurch einerseits die Bestimmung
von Latenz und Amplitude vereinfacht wird und andererseits die Signal-Morphologie, d.h. die Form des Wellenzuges, mit wenigen Parametern darstellbar wird.
identischen Sequenzen von je fünf Minuten dargeboten.
Das Inter-Stimulus-Intervall betrug 500 ms. Die Reizfolge war so gewählt, dass auf zwei Standardreize zufällig
einer der Deviantreize folgte. Insgesamt wurden auf
diese Weise 1200 Standardreize und jeweils 150 Deviantreize dargeboten.
Das EEG wurde an 19 Kanälen gemäß dem 10-20System abgeleitet. Als Referenz wurde der Mittelwert
aus den beiden Kanälen an den Mastoiden gewählt. Nach
Bandpassfilterung (0,13 Hz – 20 Hz) und Artefaktverwerfung (>150µVolt) entstanden die AEP des Standardreizes und der 4 Deviantreize durch getrennte Mittelung.
Zur Extraktion der MMN-Komponenten wurden Differenzsignale aus den AEP der Deviantreize und des Standardreizes gebildet.
Für die Analyse der MMN wurden die Differenzsignale einer DWT unterzogen. Realisiert wird die DWT
mit der in Abb. 1 dargestellten Multiskalenanalyse (Mallat, 1989). In einer Kaskade wird das Eingangssignal
wiederholt tief- und hochpassgefiltert und anschließend
um Faktor 2 unterabgetastet, wodurch sich die Länge des
resultierenden Signals halbiert. So entstehen DWTKoeffizienten, die unterschiedliche Zeit- und Frequenzbereiche darstellen.
Da die je 8 Koeffizienten der Approximation A5 und
der Detailstufe D5 zusammen mehr als 95% der von uns
untersuchten Signale beinhalteten, wurden nur sie für die
MMN-Analyse betrachtet. Als Hochpassfilter wurde ein
Coifman-Wavelet der Ordnung 2 verwendet, als Tiefpassfilter die dazugehörende Skalierungsfunktion (Daubechies, 1992).
Methode
An der Untersuchung nahmen 10 Vorschulkinder mit
normaler Sprachentwicklung im Alter zwischen 5;7 und
6;9 Jahren teil.
Die applizierten Standardreize waren Töne der Länge
100 ms und der Tonhöhe 500 Hz. Die 4 verschiedenen
Deviantreize unterschieden sich vom Standardreiz entweder in ihrer Tonhöhe (Frequenzerhöhung um 10%),
ihrer Länge (25 statt 100 ms), ihrer Lautstärke (Pegelanhebung um 10 dB) und durch das Einfügen einer 16 ms
langen Lücke in die Mitte des Stimulus. Die Reize wurden im Freifeld bei einem Pegel von 67 dB(A) in drei
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Abb. 1 5-stufige Multiskalenanalyse. Durch sukzessives Tiefund Hochpassfiltern des Eingangssignals entstanden DWTKoeffizienten der Approximation A5 und der Detailstufen D1 –
D5.
Die MMN-Merkmale Latenz und Amplitude wurden
aus der Rekonstruktion der Koeffizienten 5 – 7 von A5
extrahiert, welche das Differenzsignal im relevanten
Zeitbereich nachbilden. In Abb. 2 sind rekonstruierte
Signale und Differenzsignale aller Kanäle eines Probanden dargestellt.
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Fig. 4 Grand-Average MMN-Komponenten (dicke Kurven) am
Kanal Fz und die kortikalen Antworten auf den Standardreiz S
sowie der 4 Deviantreize D, a) Tonhöhe, b) Länge, c) Intensität, d) Lücke.
Abb. 2 Differenzsignal (D-S) über den ganzen Kopf von Proband 1 und deren beschriebene DWT-Rekonstruktion (fette
Kurven).
Die Koeffizienten der Detailstufe D5 dienten der Analyse der Signal-Morphologien. Aufgrund der beobachteten verschiedenartigen Morphologien der P1Komponenten der einzelnen Probanden wurde die DWTRekonstruktion der AEP mit den Koeffizienten 2 – 5 von
D5 gebildet und ausgewertet, siehe Abb. 3. Zur Quantifizierung eines auftretenden Doppel-Peaks der P1Komponente wurde die Signalleistung SP der DWTRekonstruktion berechnet.
Tab. 1 zeigt MMN-Amplituden und MMN-Latenzen
gemittelt über alle Kanäle und Probanden für die 4 Deviantformen.
Dev.-Typ
FD
DD
ID
GD
Amp. [µV]
Lat. [ms]
-6.5±2.9
272±33
-4.8±3.0
238±27
-5.6±3.7
285±31
-6.0±2.7
285±28
Tab. 1 Gemittelte MMN-Amplituden und –Latenzen der Deviantformen FD (Tonhöhe), DD (Länge), ID (Intensität), GD
(Lücke).
Zur Klassifikation der P1-Morphologie wurde SP =
27•10-4 V2 als Schwellwert verwendet. Dieser Wert
wurde aufgrund visueller Inspektion der AEP festgelegt.
Demnach war bei 31 von insgesamt 50 AEP eine Doppel-Peak-Struktur ausgebildet, die sich auf 7 von den 10
Probanden verteilten. In Tab. 2 sind die Werte von SP,
gemittelt über alle Kanäle und Probanden, dargestellt.
Stimulus
SP [10-4 V2]
Abb. 3 AEP von zwei Probanden. a) Die DWT-Rekonstruktion
(dicke Kurve) bildet den P1-Doppel-Peak ab. b) Einfacher P1Peak führt zu schwacher DWT-Rekonstruktion.
Ergebnisse
Ein einseitiger t-Test über alle Probanden lieferte
signifikante MMN-Komponenten für alle 4 Deviantformen (t = 3.1 bis t = 5.0; **P<0.01). Die Ausprägung der
MMN variierte zwischen den Probanden und den Deviantformen. Dabei war kein Trend, der durch die Bevorzugung bestimmter Reize hervorgerufen wäre, feststellbar. Abb. 4 zeigt die 4 MMN-Antworten am Kanal Fz
gemittelt über alle Probanden.
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Stan.
30±15
Frequ.
38±18
Länge
32±24
Inten.
60±17
Lücke
33±17
Tab. 2 Gemitteltes SP als Indikator für die Doppel-PeakStruktur der P1.
Diskussion
Bei allen Probanden war eine MMN für alle 4 Deviantreize nachweisbar. Die bisher an Erwachsenen vorgestellte Methode ist daher auf die Anwendung bei Kindern
übertragbar.
Durch die DWT wurde eine vereinfachte Quantifizierung der MMN-Merkmale und eine vereinfachte Analyse
der Signal-Morphologie der auftretenden Potentialkomponenten erreicht.
Die Bedeutung der hier bei normal entwickelten Kindern unterschiedlichen Amplituden der MMN ist noch
unklar. Möglicherweise sind diese Unterschiede bedeutsam und korrelieren mit unterschiedlich ausgeprägten
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Leistungen der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung.
Die gefundenen Doppel-Peak-Strukturen der P1Komponente könnten eine heranreifende N1Komponente andeuten und so die Entwicklung des auditiven Kortizes im Vorschulalter widerspiegeln (Ponton et
al., 2000).
Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden im Weiteren mit psychometrisch erfassten auditiven Diskriminationsleistungen bei diesen und anderen Kindern mit
Sprachentwicklungsstörungen verglichen.
Literatur
Baldewig T, Richardson A, Watkins S, Foale C. Gruzelier J. (1999) Impaired auditory frequency discrimination in dyslexia detected with mismatch evoked potentials. Ann Neurol 45, 495-503.
Näätänen R, Pakarinen S, Rinne T, Takegata R. (2004)
The mismatch negativity (MMN): towards the optimal paradigm. Clinical Neurophysiology, 115, 140144.
Sinkkonen J, Tervaniemi M (2000) Towards Optimal
Recording and Analysis of the Mismatch Negativity.
Audiol Neurootol, 5, 235-246.
Mallat S G (1989) A Theory for multiresolution signal
decomposition: The wavelet representation. IEEE
Trans Pattern Anal. Machine Intell., 11, 674-692.
Daubechies I (1992) Ten Lectures on wavelets. Philadelphia, Pennsylvania: Cbms-Nsf Regional Conference
Series in Applied Mathematics.
Ponton C W, Eggermont J, Kwong B, Don M (2000)
Maturation of human central auditory system activity:
Evidence from multi-channel evoked potentials. Clinical Neurophysiology, 111, 220-236.
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