Regie: Krzystof Kieslowski
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Regie: Krzystof Kieslowski
CLUB PASSAGE PROGRAMMKINO Regie: Krzysztof Kieslowski Der am 27. Juni 1941 in Warschau geborene polnische Regisseur Krzysztof Kiesłowski erwarb 1962 den Abschluss einer berufsbildenden Schule für Theaterausstatter in Warschau und wollte ursprünglich Theaterregisseur werden. Er absolvierte 1969 die renommierte Polnische Filmund Theaterhochschule in Łodz, an welcher bis in die 70er Jahre hinein vor allem Dokumentarfilmer lehrten. Kiesłowski war ein Schüler des Meisterregisseurs Andrzej Wajda, des namhaften Filmhistorikers Jerzy Toeplitz, aber auch der Dokumentarfilmer Jerzy Bossak und Kazimierz Karabasz. Die Bildungseinrichtung bot – auch und gerade in Zeiten des Sozialismus – Raum für Offenheit und Experimentierfreude, wobei eine kritische Sicht auf aktuelle Probleme der Gesellschaft nicht nur geduldet wurde, sondern zum Selbstverständnis der Hochschule gehörte. Kiesłowski begann zunächst als Regisseur im Warschauer Studio für Dokumentarfilme zu arbeiten und inszenierte auch für das Fernsehen, wobei er sich schon bald mit kritischen Filmen über das polnische Alltagsleben einen Namen machte. Doch bald genügte dem Künstler das rein Dokumentarische nicht mehr: Um den Fragen der menschlichen Existenz auf den Grund zu gehen, inszenierte Kiesłowski, dessen erster Spielfilm („Der Maurer“) 1973 entstand, Geschichten, in denen sich Menschen – oft Einzelgänger – an den Verhältnissen aufreiben. Seine Filme, welche die großen existentiellen Probleme Liebe, Glück, Trauer und Tod thematisierten, stellten zwar Fragen, überließen es aber dem Zuschauer, die Antworten darauf zu finden. Was den Regisseur außer dem realistischen Filmstil auszeichnete, waren vor allem sein Sinn für Tragik, seine Ehrlichkeit – und seine Kompromisslosigkeit. Kiesłowskis zweiter Spielfilm („Der Filmamateur“) wurde 1979 gedreht. Mit fast dokumentarischer Akribie malte er ein pessimistisches und sozialkritisches Bild des polnischen Alltags am Ende der 70er Jahre. Held des Films ist ein Arbeiter, dessen unbeschwertes, von Arbeit und glücklichem Familienleben ausgefülltes Dasein eine unerwartete Wendung nimmt, als er eine Filmkamera geschenkt bekommt. Von nun an dokumentiert er das Leben um sich herum – mehr und mehr besessen von seiner Passion, die schließlich alle menschlichen Bindungen und Beziehungen zerstört. Zwischen 1978 und 1981 hatte Kiesłowski das Amt des Vizepräsidenten der „Vereinigung der polnischen Filmemacher“ inne, einer regimekritischen Körperschaft, die mit mäßigem Erfolg für ein Mindestmaß an künstlerischer Freiheit kämpfte. Kiesłowskis politisches Engagement und die unverändert kritische Haltung seiner Filme brachte dem Regisseur nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen den Grimm der politischen Entscheidungsträger ein, was nicht ohne Folgen für seine Arbeit blieb. Der polnische Rechtsanwalt Krzysztof Piesiewicz, der nach 1981 mehrere Solidarnosc-Aktivisten verteidigt hatte, brachte Kiesłowski auf die Idee der zehnteiligen Fernsehserie „DEKALOG“ (PL 1988/89) - die für den Künstler den internationalen Durchbruch bedeutete: In einer zeitgemäßen und teilweise sehr freien Interpretation hinterfragte der Regisseur die Bedeutung der (christlichen) Zehn Gebote für die Menschen von heute, indem er die Protagonisten der zehn Filme in psychische Extremsituationen führte, um ihr Verhalten zu zeigen. Die künstlerische Konsequenz und Geschlossenheit des Zyklus’ ließ diesen am Anfang der 90er Jahre zu einem der meistdiskutierten Filmwerke avancieren. Die Zehn Teile des „DEKALOG“, in denen es immer wieder um Liebe und Tod geht, vermitteln in ihrer Gesamtheit zugleich ein Stimmungsbild der polnischen Gesellschaft am Vorabend der politischen Wende in Osteuropa. In die Kinos kamen nur zwei (für die Leinwand erweiterte) Teile des international mit Preisen geehrten Zyklus’: „Ein kurzer Film über das Töten“ und „Ein kurzer Film über die Liebe“. Kiesłowski war ein internationaler Star; wo er hinkam, war er stets von Kameras und Fotografen umringt; dabei war das mondäne Leben zwischen Festivals und Empfängen überhaupt nicht seine Welt. Seine enorme Produktivität – er drehte 25 Dokumentarfilme und 23 Spielfilme - hatte jedoch auch ihren Preis: Als er nach dem Ende der Trilogie „Drei Farben“ ankündigte, nun keine Filme mehr machen zu wollen, war das wohl auch ein Ausdruck seiner physischen Erschöpfung. Der Regisseur, der als absoluter Perfektionist in seiner Arbeit nichts dem Zufall überließ und sich dabei selbst nicht schonte, starb am 13. März 1996 im Alter von 54 Jahren; sein letztes Projekt „Himmel, Hölle und Fegefeuer“ konnte er nicht mehr realisieren. „Drei Farben – Blau“ (F/PL 1993), der erste Teil der erfolgreichen Trilogie, in welcher Kiesłowski über die Grundprinzipien der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – denen er jeweils eine Farbe der Trikolore zuordnete - reflektiert, wurde 1993 in Venedig mit dem GOLDENEN LÖWEN ausgezeichnet. Julie (Juliette Binoche) verliert bei einem Autounfall Ehemann Patrice und ihr Kind. Statt sich der Trauer hin zu geben, versucht sie, eine neue Freiheit in ihr Leben zu bringen, indem sie alles Vergangene ihres Lebens beseitigt. Der Versuch misslingt, und erst als Olivier, ein Freund Patrices, eine Konzertpartitur des Toten vollenden will, lässt sich Julie aus ihrer Isolation heraus locken und stellt sich der Vergangenheit. Dekalog 1 (PL 1988/89) DAS ERSTE GEBOT: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Der Wissenschaftler Krzysztof lebt allein mit seinem elfjährigen Sohn; die Mutter befindet sich gerade im Ausland. Vater und Sohn treiben Sport, spielen Schach und arbeiten oft am Computer - zum Beispiel, um zu berechnen, ob die Eisschicht des nahe gelegenen Sees dick genug ist, um darauf Schlittschuh zu fahren. Das Vertrauen auf die vermeintlich Gott ähnliche Omnipotenz des Computers hat indessen tragische Folgen. Dekalog 2 (PL 1988/89) DAS ZWEITE GEBOT: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“ Dorota, eine junge Frau, sucht einen älteren, einsamen Doktor auf, der im selben Haus wohnt wie sie. Sie erzählt ihm von der schweren Krebserkrankung ihres Mannes, den sie sehr liebt, und vom Kind, das sie von ihrem Liebhaber erwartet. Stirbt ihr Mann, will sie das Kind behalten, weil dies ihre einzige Chance ist, überhaupt ein Kind zu bekommen. Überlebt er, will sie es abtreiben. Nun teilt ihr der Arzt mit, dass ihr Mann sterben werde und die Frau wird das Kind bekommen. Doch der Ehemann überlebt... In „Drei Farben – Weiß“ (F/PL/CH 1993), dem zweiten Teil der Trilogie über die Ideale der Französischen Revolution, geht es dem ungleichen Paar Dominique und Karol nur um eine „egalité“: Gleiches mit Gleichem zu vergelten. „Weil die Ehe niemals vollzogen wurde“, lässt sich die schöne Französin Dominique (Julie Delpy) von ihrem polnischen Gatten Karol scheiden. Er verliert alles, und weil er auch keinen Pass hat, wird er von einem Landsmann zurück nach Polen geschmuggelt und versteht dort die Gunst der Stunde zu nutzen: Als Immobilienspekulant, Bodyguard und Auftragskiller gelangt Karol zu Reichtum. Er lockt Dominique nach Warschau, um sich an ihr zu rächen... „Drei Farben – Weiß“ erhielt den SILBERNEN BÄREN für Regie bei der Berlinale 1994. Dekalog 3 (PL 1988/89) DAS DRITTE GEBOT: „Du sollst den Feiertag heiligen.“ Am Heiligen Abend muss ein Warschauer Taxifahrer seine Familie allein lassen, um einer ExFreundin bei der Suche nach ihrem verschwundenen Mann zu helfen. Sie fahren durch die verlassenen Straßen, besuchen Spitäler, die Polizei und ein Heim für Alkoholiker. Die Frau gesteht schließlich, dass sie gehofft hatte, ihn zurück zu gewinnen, doch der Taxifahrer kehrt am Morgen zu seiner Ehefrau zurück. Dekalog 4 (PL 1988/89) DAS VIERTE GEBOT: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohl ergehe und du lange lebest auf Erden.“ Während ihr Vater Michal zu Ostern verreist ist, findet die Schauspielschülerin Anka zufällig einen Brief ihrer verstorbenen Mutter, in dem steht, dass Michal nicht ihr leiblicher Vater ist. Anka wirft ihm bei der Rückkehr vor, diesen Brief vor ihr versteckt zu haben. Erst nach einem langen nächtlichen Gespräch wird klar, von wem der Brief geschrieben wurde und warum... „Drei Farben – Rot“ (F/PL/CH 1994), das bildgewaltige Finale der Kiesłowski -Trilogie beschäftigt sich mit dem Ideal der Brüderlichkeit, welches hier jedoch allenfalls als vage Hoffnung erscheint. Die Studentin Valentine (Irène Jacob) lernt einen alten Mann (Jean-Louis Trintignant) kennen, einen griesgrämigen Richter, der heimlich Telefongespräche belauscht. Zwischen der anfangs entrüsteten Valentine und dem zynischen Alten entspinnt sich eine Freundschaft, die beide zum Nachdenken anregt. Gleichzeitig geht die Beziehung des Jura-Studenten Auguste in die Brüche. Auf einer Schiffspassage begegnen sich die beiden jungen Menschen. Innerhalb der Trilogie ist „Drei Farben – Rot“ der hoffnungsvollste Film: Am Ende erlaubt sich der Regisseur die Freiheit, die Protagonisten aller drei Filme auf wundersame Weise vor dem Tode zu retten... „Ein kurzer Film über das Töten“ (PL 1987) und „Ein kurzer Film über die Liebe“ (PL 1988) laufen im CLUB PASSAGE als Kinoversionen in Spielfilmlänge zusätzlich und in Ergänzung zu „DEKALOG 1 – 10“. Dekalog 5 (PL 1988/89) DAS FÜNFTE GEBOT: „Du sollst nicht töten.“ Der Jurastudent Piotr zweifelt am Sinn der Bestrafung von Verbrechen durch den Staat. Als ein junger Mann brutal einen Taxifahrer umbringt, muss ihn Piotr in seinem ersten Fall als Pflichtverteidiger vertreten. Er begegnet dem Delinquenten als Mensch und erfährt von einer Schuld, die den jungen Mann seit Jahren quält. Am Ende kommt es zur urteilsgemäßen Tötung des Mörders durch den Staat. In dem wohl aufwühlendsten Teil des „Dekalogs“ stellt Kiesłowski mit vielen Facetten die grundsätzliche Frage nach dem Töten, welches immer gegen die Menschenwürde verstößt – ob als „privater“ Mord oder als staatlich sanktionierte Hinrichtung. Dekalog 6 (PL 1988/89) DAS SECHSTE GEBOT: „Du sollst nicht ehebrechen.“ Tomek, ein junger Postangestellter, verbringt seine Abende damit, mit einem Teleskop in die gegenüber liegende Wohnung zu schauen, in der die attraktive Magda oft Männerbesuch hat. Seine heimliche, unschuldige Faszination für die Nachbarin verleitet ihn zu erstaunlichen Taten, bis Magda auf ihn aufmerksam wird. Die attraktive Frau, die nur Sex, aber keine Liebe kennt, treibt ihn durch ihre zynische Zurückweisung seiner idealisierten Vorstellungen von Liebe in den Selbstmord. Der Film endet – anders als in der längeren Kinofassung – damit, dass Tomek sie nach seiner Genesung zurück weist. Dekalog 7 (PL 1988/89) DAS SIEBTE GEBOT: „Du sollst nicht stehlen.“ Die fünfjährige Ania, die liebevoll umsorgt bei ihrer Großmutter Ewa lebt - welche sie für ihre Mutter hält -, wird eines Tages von ihrer leiblichen Mutter Majka entführt. Diese war als Schülerin von ihrem Lehrer schwanger geworden und um die Affäre zu vertuschen, nahm man ihr auf Betreiben der Direktorin das Kind weg. Majka hält die Trennung von ihrer Tochter nicht mehr aus und kennt nun keine Gnade, auch wenn dies fatale Folgen für das Verhältnis zu ihrer Mutter haben wird. Dekalog 8 (PL 1988/89) DAS ACHTE GEBOT: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Die Ethik-Professorin Zofia ist eine erfolgreiche sechzigjährige Autorin, die ihren Studenten stets konkrete Beispiele menschlichen Verhaltens liefert. Zofia wird mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert, als eines Tages eine nach Amerika ausgewanderte Jüdin – die Übersetzerin ihrer Bücher – danach fragt, wie das Verhalten jener polnischen Familie zu bewerten ist, die sie als kleines Kind zunächst christlich taufen lassen wollte, letztlich jedoch unter Berufung auf das achte Gebot die Hilfe verweigerte. Dekalog 9 (PL 1988/89) DAS NEUNTE GEBOT: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.“ Dem glücklich verheirateten Chirurgen Roman wird eines Tages Impotenz diagnostiziert. Er befürchtet eine Gefährdung seiner Ehe mit Hanka, doch diese beteuert ihm ihre Liebe. Von Angst, Selbstzweifeln und Eifersucht geplagt, spioniert Roman Hanka nach und entdeckt bald, dass sie wirklich eine Affäre mit einem Studenten hat. Falsche Schlüsse führen zu einem Selbstmordversuch. Dekalog 10 (PL 1988/89) DAS ZEHNTE GEBOT: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.“ Die Erbschaft des Vaters, eine kostbare Briefmarkensammlung, weckt bei den Brüdern Artur und Jerzy Besitzgier sowie den Wunsch, sie zu komplettieren. Um an die fehlende Marke zu kommen, spendet Jerzy sogar eine Niere, doch die Sammlung wird trotz aller Sicherheitsmaßnahmen gestohlen. Hatten die beiden Habsüchtigen schon zuvor nur den eigenen Vorteil im Auge, so steigern sie sich nun in gegenseitige Verdächtigungen und Schuldzuweisungen. B.R.