Lesbische Existenz in Zeiten restaurativer Politik: die BRD der 50er

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Lesbische Existenz in Zeiten restaurativer Politik: die BRD der 50er
Freie Universität Berlin
Fachbereich Politische Wissenschaft
Diplomarbeit
eingereicht am 18.8.1995
Irene Beyer
Lesbische Existenz
in Zeiten restaurativer Politik:
die BRD der
50er und 60er Jahre
Mein besonderer Dank an die Frauen,
die sich zu einem Interview
mit mir bereit und in der Lage fanden.
Ohne ihren Mut und ihren Beitrag
wäre diese Arbeit zweifellos
nicht zustande gekommen.
Ich hoffe,
daß es sich für alle Beteiligten 'gelohnt' hat.
für Rückmeldungen und Kontakt:
[email protected]
Inhalt
A. Einleitung
1
Thema, Fragestellung (1); Forschungsinteresse und Wissenschaftsverständnis (2); Forschungsstand und Literaturlage (3); Notwendige
Anmerkungen zu zentralen Begriffen (4); Aufbau der Arbeit (6)
B. Theoretische Grundlagen
7
1. Restauration als Kategorie der Politik der BRD in den 50er und 60er Jahren
7
2. Zum Zusammenhang zwischen staatlichen Vorgaben, gesellschaftlichen
Bedingungen und individuellem Erleben
9
3. Heterosexismus. Oder: Zum Verhältnis von Frauen- und Lesbenunterdrückung
11
4. Zur Relevanz von Frauenbild und Familienpolitik für lesbische Existenz
13
C. Bedingungen lesbischer Existenz in den 50er und 60er Jahren
15
1. Die Rahmenbedingungen fraulicher Existenz in den 50er und 60er Jahren
Ein Überblick in Zahlen und Daten
15
2. Frauen- und Familienbilder der 50er und 60er Jahre
17
2.1. Das Frauenbild
17
2.2. Das Familienbild
22
3. Die Frauen- und Familienpolitik der 50er und 60er Jahre
24
Zum Begriff 'Frauen- und Familienpolitik' (25); Entwicklung und
Grundzüge der Frauen- und Familienpolitik der BRD (25)
3.1. Ihre Instrumente
27
Ideologie/Öffentlichkeitsarbeit (28) Wirtschaftliche und rechtliche
Maßnahmen (33)
4. Konsequenzen des Dargelegten für lesbische Existenz
Zusammenfassende Thesen (49)
37
D. Empirischer Teil
52
1. Explikation der besonderen Fragestellungen für und an die Interviews
52
2. Methodische Überlegungen
52
Konkretes Vorgehen, Anlage der Forschungssituation (53); Die wichtigsten
methodischen Erfahrungen (55)
3. Portraits und Einzelinterpretationen
Frau A
56
56
Kurzportrait (56); Interpretation (58)
Frau B
60
Kurzportrait (60); Interpretation (62)
Frau C
64
Kurzportrait (64); Interpretation (66)
Frau D
68
Kurzportrait (68); Interpretation (69)
Frau E
71
Kurzportrait (71); Interpretation (73)
Frau F
75
Kurzportrait (75); Interpretation (77)
Frau G
80
Kurzportrait (80); Interpretation (82)
4. Die übergreifende Interpretation
84
Zusammenfassung (94)
E. Fazit
97
Bibliographie
99
Anhang
I. Aushang für die Suche nach Interviewpartnerinnen
II. Anzeigen für die Suche nach Interviewpartnerinnen
III. Kurz-Info zum Projekt, verschickt an FrauenLesbeneinrichtungen mit
der Bitte um Weitergabe, Auslage, Verwendung
IV. Brief an kontaktierte potentielle Interviewpartnerinnen
V. Leitfaden für die Interviews
A. Einleitung
Den ursprünglichen Impuls zu dieser Arbeit bekam ich aus der Beschäftigung mit den Bedingungen lesbischer Existenz in der Weimarer Republik, und dann während des Nationalsozialismus. Für mich entwickelte sich aus der Betrachtung des vergleichsweise offenen lesbischen
Lebens vor allem im Berlin der Weimarer Republik, und seiner radikalen Zerstörung durch die
Nationalsozialisten1, die Frage, warum es Lesben nicht gelungen war, nach der Zerstörung des
nationalsozialistischen Staates an die Traditionen der Weimarer Zeit anzuknüpfen und auf
ihnen (wieder-)aufzubauen.
Die spontane Antwort, die ich mir auf diese Frage geben konnte, war: 'weil die politischen
Verhältnisse es nicht zuließen, es vielleicht aktiv be-/verhinderten.'
Thema, Fragestellung
Daraus entwickelte sich eine erste Fragestellung, nämlich: wie sahen diese politischen Verhältnisse tatsächlich aus und was waren ihre Determinanten? Wie gestaltete sich lesbische Existenz
in diesen Verhältnissen?
Da Lesbenunterdrückung nach meiner Überzeugung von Frauenunterdrückung 'im allgemeinen'
nicht zu trennen ist, wurde die Frage konkreter: Welche frauenpolitischen Maßnahmen2 - oder
auch Unterlassungen - verhinderten die Neubelebung öffentlichen und/oder sichtbaren und
selbstbewußten lesbischen Lebens, und warum?
Die Aufgabe, die ich mir in dieser Arbeit stelle, ist also die Bearbeitung der Frage, welcher Zusammenhang zwischen staatlich gesetzten Bedingungen und den Möglichkeiten und Realitäten
lesbischer Existenz besteht. Ich gehe der Frage nach, welchen Einfluß die Politik auf die Gestaltung lesbischer Existenz hatte bzw. haben konnte, und welche Auswirkungen und welche
Bedeutung dieser Einfluß auf einzelne lesbische Frauen hatte/haben konnte.
Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, daß lesbische Existenz als von der Norm abweichender
Lebensentwurf in der BRD der 50er und 60er Jahre nicht anerkannt war; dies ist, obgleich die
Zeit bislang nicht aufgearbeitet ist, sicherlich unbestreitbar und unbestritten. Die Bedingungen
lesbischer Existenz waren daher besonders eng mit den Grenzen verbunden, die Staat und Gesellschaft ihnen zu setzen versuchten3. Diese politisch gesetzten Grenzen und ihre
Aus-/Wirkungen möchte ich herausarbeiten.
Es geht dabei nicht darum, zu sagen, 'die Politik'4 sei der alleinige oder auch nur einflußreichste
Faktor im Konglomerat dessen, was lesbische Existenz formte und begrenzte. Es geht darum,
1 ich verweise hierzu exemplarisch auf Eldorado, 1992
2 wobei ich mit 'frauenpolitisch' nicht den immer wieder einengend verwendeten Begriff der 'Frauenspezifik'
meine, sondern alle Politik, die auf Frauen als soziales Geschlecht abzielt bzw. Auswirkungen auf sie hat.
3 Ich wurde gefragt, ob ich denke, daß diese Wirkung von Politik intendiert war; dieser Punkt ist nach meinen
Möglichkeiten nicht, und ich bezweifle, ob überhaupt, beantwortbar. M.E. ist er für meine Fragestellung aber
auch unrelevant. Zum Vergleich: Wer fragt, ob die Familienpolitiker der 50er und 60er Jahre, wenn sie ihre
Programme erdachten, wirklich explizit an die frauenunterdrückerische Wirkung ihrer Maßnahmen dachten,
oder ob sie nicht vielleicht selbst glaubten, was sie sagten, daß es nur zu ihrem - der Frauen - Besten sei? Und
wer würde ob der Unbeantwortbarkeit solcher Fragen ernsthaft in Zweifel ziehen, daß die Familienpolitik in
der BRD gegen die Frauenemanzipation gerichtet war und also frauenfeindlich? Es würde an Form und
Wirkung von implizit lesbenfeindlichen politischen Maßnahmen, die mein Thema sind, nichts ändern, diese
Frage beantworten zu können.
4 wenn ich in dieser Arbeit allgemein von 'Politik' spreche, so ist damit, vorbehaltlich näherer Kenn zeichnung,
immer staatliche Politik, d.h. Politik initiiert und/oder ausgeführt von staatlichen Organen, gemeint.
2
der Frage nachzugehen, welche Rolle sie spielte und wie sie diese gestaltete.
Ich habe hierfür einen Bereich der Politik herausgegriffen, der traditionell und speziell in den
50er und 60er Jahren für Frauen, und also auch für lesbische Frauen, sehr konsequenzenreich
war: die Familienpolitik. Damit will ich nicht sagen, daß Frauen ausschließlich von diesem Bereich der Politik betroffen sind/waren, und andere politische Ressorts, wie etwa die Außenpolitik, die Finanzpolitik für sie nicht oder nur am Rande von Relevanz seien. Aber Familienpolitik ist der Bereich staatlicher Politik, der speziell auf das Leben von Frauen abzielt, sie - unausgesprochen genug - zur zu kontrollierenden Zielgruppe hat. Inwieweit andere politische Ressorts einen kontrollierenden Einfluß auf lesbische Existenz auszuüben vermochten, steht noch
zur Analyse aus. Vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, in die Aufarbeitung der Rolle
der Familienpolitik einzusteigen.
Forschungsinteresse und Wissenschaftsverständnis
Eine grundsätzliche Kritik feministischer an 'herkömmlicher' Wissenschaft richtet sich gegen
deren Postulat der Wertfreiheit und Objektivität. Feministische Wissenschaft geht davon aus,
daß Forschungsinteresse und -motivation nie 'objektiv' und 'wertfrei' sind, sondern daß jedeR
ForscherIn mit ihrer Fragestellung auch individuelle Interessen verfolgt. Sie stellt daraus folgernd fest, daß scheinbar wertfreie und 'neutrale' Forschungsvorhaben und -ergebnisse hinter
diesem Postulat allzu oft ihren herrschaftsstabilisierenden Charakter verschleiern.
Diesem - impliziten - Zweck von zweck'freier' Wissenschaft entgegenstehend formuliere ich
mein Forschungsinteresse:
Neben der großen Wißbegierde, die ich der Geschichte und den Bedingungen lesbischer Existenz allgemein entgegenbringe, auch aufgrund meiner eigenen 'Betroffenheit' im Sinne feministischer Argumentation, hoffe ich mit dieser Arbeit einen Beitrag zur Verfügung zu stellen zur
Vergrößerung der Handlungsfähigkeit in Richtung der Überwindung patriarchaler Realität.
Lesbisch-feministische Forschung, die sich nicht mit gegenwärtigen, sondern vergangenen Bedingungen auseinandersetzt, kann dazu entscheidend beitragen. Denn um politisch-gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, muß ich um das Zustandekommen dieser Verhältnisse
wissen. Aus der Analyse lesbischer Vergangenheit lassen sich so Anhaltspunkte für die positive
Veränderung der Gegenwart gewinnen. Die 'Lesbian History Group' (1991, 3) formuliert: "Die
Kenntnis unserer Geschichte gibt uns einen Kontext, innerhalb dessen wir in der Welt unseren
Platz einnehmen können, und eine Grundlage für unsere Bemühungen, die Dinge zu verändern."
Darüberhinaus bin ich der Ansicht, daß die Erarbeitung lesbischer Vergangenheit ein wichtiger
Beitrag zum Widerstand gegen Enthistorisierung ist (vgl. Mies, 1982, 55), die für lesbische
Existenz von besonderer Bedeutung ist. Denn einer der Hauptmechanismen zur Unterdrückung
lesbischer Existenz ist ihre Auslöschung, aktuell wie historisch, durch Leugnen und
Ver-/Schweigen. Auch dazu die 'Lesbian History Group' (1991, 2f): "Jeder sozialen Gruppe
muß ihre eigene Geschichte zugänglich sein. Das Wissen über unsere Vergangenheit gibt uns
kulturelle Wurzeln und und ein Erbe von Vorbildern und Erfahrungen, von denen wir lernen
und denen wir nacheifern oder denen nicht zu folgen wir uns entscheiden können. Uns lesbischen Frauen ist grundsätzlich alles Wissen über unsere Vergangenheit vorenthalten worden.
Dies ist vorsätzlich geschehen, denn es hält uns unsichtbar, isoliert und machtlos. (...) Die
Unterdrückung der lesbischen Lebensform erstreckt sich über die Kontrolle zeitgenössischer
Vorstellungen und Informationen hinaus auch auf die Kontrolle historischen Wissens, ...."
Die feministische Wissenschaft und Forschung - insbesondere über lesbische Vergangenheit kennzeichnet der Umstand, daß sie, wie Regina Becker-Schmidt es formuliert, "... ihren Gegenstand substantiell noch gar nicht (hat)"(Becker-Schmidt, 1985, 97). Das heißt, daß die
3
feministische Betrachtung der Welt, der Geschichte, das zu Betrachtende eigentlich noch gar
nicht hat, bzw. auch noch nicht kennt. Bisherige Geschichte und Erkenntnis ist andozentristisch, sie muß deshalb nicht nur kritisch quergelesen und ergänzt, sondern als etwas betrachtet
werden, das zum Ausschluß und der Enthistorisierung von Frauen maßgeblich geführt hat.
Entsprechend ist sie nicht nur lücken- und fehlerhaft, sondern u.U. eigentlich unbrauchbar.
Feministische Forschung ist aber gleichzeitig zur (Er-)Findung ihres Gegenstandes auf eben
diese Geschichte angewiesen.
Es ergibt sich m.E. als Konsequenz, daß feministische Forschung eine besondere Prozeßhaftigkeit braucht, um ihr Ziel nicht zu verfehlen. Die einmal formulierte Fragestellung kann nicht
statisch verstanden werden, sondern dynamisch in dem Sinne, daß zu jedem Zeitpunkt des Forschungsprozesses die Offenheit zur Erweiterung und Ergänzung der Fragestellungen gegeben
sein sollte. Das bedeutet nicht Willkür, sondern den Versuch, zwischen Thema, Fragestellung
und erwartetem Ergebnis einen dialektischen Bezug herzustellen.
Forschungsstand und Literaturlage
Über lesbische Existenz in der BRD in den 50er und 60er Jahren gibt es keine ausführlichen
wissenschaftlichen Arbeiten. Gabriela Husman nennt in ihrem Aufsatz 'Lesben auf der Suche
nach ihrer Geschichte' (1994) als einzige Arbeit die von Kokula (1990) geführten und in 'Jahre
des Glücks, Jahre des Leids' veröffentlichten Interviews mit lesbischen Frauen, deren Mittelpunkt jedoch die Weimarer Zeit ist. Sie konstatiert: "Eine ausführliche Studie über diesen
Zeitabschnitt fehlt allerdings bislang noch. Die Aufarbeitung lesbischer Geschichte setzt erst
wieder mit dem Beginn der zweiten Frauen(- und Lesben)bewegung ein."7(Gruppe LesbenLeben, 1994, 88)
Vorhanden ist eine Arbeit über lesbische Figuren in belletristischen Werken seit 1945, die auch
die 50er und 60er behandelt (Marti, 1992). Schoppmann (1991) gibt in ihrer Dissertation
'Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität' einen Ausblick in die 50er
Jahre.
Aus anderen Ländern liegen vereinzelte Beiträge zu lesbischer Existenz in dieser Zeitspanne
vor1; sie auf die Situation in der BRD zu übertragen, halte ich im allgemeinen für nur sehr begrenzt möglich; sie zu verwenden in einer Arbeit, die die politischen Bedingungen ins Zentrum
stellt, ist nicht möglich.
Diese Tatsache ist für vorliegende Arbeit bestimmend.
Ebenso bestimmend ist die auffallende Ignoranz, die feministische und/oder Frauen-Forscherinnen über die 50er und 60er Jahre lesbischer Existenz entgegenbringen: Die Lektüre von Arbeiten über die politische, soziale, finanzielle, kulturelle und allgemeine Situation 'der Frauen'
hinterläßt ebenso wie Arbeiten über Frauenpolitiken entschieden den Eindruck, lesbische Frauen habe es nicht gegeben. Sie finden in den zahlreichen und umfassenden Arbeiten nicht ein
einziges Mal Eingang, nicht einmal Erwähnung.2 Auf diese Ignoranz und ihre Folgen für die
feministische Analyse wurde bereits verschiedentlich eingegangen, verwiesen sei hier auf Pagenstecher (1990) und Hark (1987).
Ebenfalls vom Forschungsstand bestimmt ist die Grenze der Subjekte der vorliegenden Arbeit.
Sie bewegt sich im Herrschaftsverhältnis Rassismus, ohne es aktiv einbeziehen zu können. Das
bedeutet konkret, daß über die Situation von Frauen anderer ethnischer Herkunft, geschweige
denn von Lesben, in den 50er und 60er Jahren (bislang?) sehr wenig geschrieben wurde bzw.
1 für die USA: Davis/ Lapovsky Kennedy, 1989; Lesbian History Group, 1991; Gagnon/Simon, 1970; für
Dänemark: Lützen, 1992;
2 alle Arbeiten hier anzuführen, ginge zu weit, aber beispielhaft seien erwähnt: Becker, 1987; Delille/Grohn,
1985a; DGB, 1993; Freier/Kuhn, 1984; Hart und Zart, 1990; Meyer/Schulze, 1984b; Perlonzeit, 1985; Polm,
1990.
4
bekannt ist. Es ist mir deshalb unmöglich, in dieser Arbeit die Differenzierungen zu erarbeiten,
die erforderlich wären, um alle in der BRD lebenden lesbischen Frauen auch nur ansatzweise
einzubeziehen. Es stellt sich sogar die Frage, ob nicht ein solcher Anspruch zwangsweise zum
Scheitern, weil zum Glätten von Unterschiedlichkeiten verurteilt wäre.
Mir bleibt, folgendes festzustellen und ins Gedächtnis zu rufen: Diese Arbeit handelt nur von
den Bedingungen, wie sie für lesbische Frauen geschaffen und umgesetzt wurden, die bezüglich
ihrer ethnischen Herkunft der Dominanzkultur1 angehörten. Wenn in dieser Arbeit von 'den
Lesben', 'den Frauen', 'der Bevölkerung', 'der Politik', 'den Bedingungen' die Rede ist, so bezieht sich das immer nur auf diese Teilmenge bzw. diesen Teilbereich.
Die Situation, in der immigrierte und Schwarze deutsche Lesben in der BRD der 50er und 60er
Jahre lebten, haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach von denen für weiße, deutsche Lesben
ebenso unterschieden wie die Ideologien und Normen, die für sie galten oder gelten sollten.
Denn es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß für die 50er und 60er Jahre nicht galt, was
Schultz (1990, 52) feststellt: "Auch heute ist das Frauenbild, dem die Schwarze Frau nachleben soll, ein völlig anderes als das der weißen Frau." Aus dem historisch bedingten unterschiedlichen Frauenbild ergibt sich eine andere Rolle und Stellung der Frau, sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch im hier besonders interessierenden Zusammenhang mit Familie (vgl.
ebda., 54).
Notwendige Anmerkungen zu zentralen Begriffen
'Lesbe', 'lesbische Frau'
"Put bluntly, we lack any general agreement about what constitutes a lesbian."2(Vicinus,
1992, 468)
Eine eindeutige Definition, etwa im Sinne von grenzziehend, ist auch mir nicht möglich, liegt
aber auch nicht in meinem Interesse. Ich schließe mich hier Marti an, die schreibt: "Eine eindeutige Definition des Begriffs lesbische Frau läge im patriarchalen Interesse des Ein- und
Ausgrenzens der Anderen, die von der Norm des weissen heterosexuellen Mittelschichts-Mannes abweichen."(Marti, 1992, 20)
Die Frage könnte gestellt werden, ob bzw. wie Forschung möglich ist über einen 'Gegenstand',
der sich nicht einmal definieren läßt bzw. nicht definiert wird. Sie verweist auf ein für Lesbenforschung geradezu konstitutives Element: Lesbenforschung steht vor der Schwierigkeit, sich
von der Definitionsmacht des sexualwissenschaftlichen Konzeptes von Homo- und Heterosexualität zu lösen (vgl. Göttert, 1991, 99), und darüberhinaus eigene, neue Konzepte und Begriffe zu entwickeln. Denn die sexualwissenschaftliche Definition beschränkt die lesbische Frau
auf ihren Geschlechtstrieb als Frau mit abnormaler Triebausrichtung auf das gleiche Geschlecht; feministische Ansätze sind sich im Gegensatz dazu zumindest darüber einig, daß im
Zusammenhang mit lesbischen und heterosexuellen Frauen nicht in Begriffen wie 'Trieb', sondern von 'Heterosexualität als Institution' gesprochen und gedacht werden muß (vgl. Lesbian
History Group, 1991, 14f).
Was eine Lesbe nun doch kennzeichnet, ohne sie zu definieren, könnte allgemein so gefaßt
werden: sie hat Kenntnis darüber, daß sie sich von anderen Frauen unterscheidet. Die Lesbian
History Group faßt das so: Dennoch haben solche Frauen [die 'lesbisch' als Selbstdefinition
nicht akzeptiert hätten; I.B.] oft auf ihre Weise anerkannt, daß sie sich wesentlich von anderen Frauen unterscheiden, und das ist vernünftigerweise das einzige, was zählt."(Lesbian History Group, 1991, 15) Inwieweit die Er-/Kenntnis der spezifischen Unterscheidung Voraussetzung einer lesbischen Identität ist, wäre interessant, bleibt an diese Stelle aber unbeantwor1 zum Begriff 'Dominanzkultur' vgl. Rommelspacher, 1991
2 "Schlicht gesagt, mangelt es uns an übereinstimmenden Aussagen darüber, was eine Lesbe ausmacht."
(Übersetzung I.B.)
5
tet.
Soweit es machbar war, damals verwendete Begrifflichkeiten nachzuvollziehen, kann ich feststellen, daß in den 50er und 60er Jahren 'Lesbe' noch durchgängig als Schmäh- und Schimpfwort gebraucht wurde. Als Selbstbezeichnung fanden eher 'Lesbierin', 'homose-xuell', 'zu Frauen hingezogen', 'Frauenfreundschaft' oder 'Freundin' Verwendung. Da die Selbstbezeichnung
von lesbischen Frauen in den 50er und 60er Jahren jedoch letztlich ungeklärt ist, blieb mir als
über diese Zeit Schreibende gewissermaßen die Freiheit und die Qual der Benennung.
Ich entschied mich für 'Lesbe' und 'lesbische Frau' als synonym zu verwendende Begriffe, zum
einen deshalb, weil sie - aktuell - die gängigen und akzeptierten sind; zum anderen weil 'Lesbe'
als stigmatisierender und diffamierender Begriff in der hier zur Debatte stehenden Zeit eine wenn auch negative - Bezeichnung darstellt.
'Lesbische Existenz'
Zunächst verwende ich 'lesbische Existenz' schlicht im Sinne lesbischen Daseins1. In dieser
Verwendung schließe ich mich Wollrad (1990, 100) an, die sagt: "Es gibt so viele lesbische
Existenzen, wie es Lesben gibt. Der hier verwendete singularische Gebrauch bezieht sich auf
nichts anderes als auf die Tatsache, daß es Lesben gibt. Die Vielfalt lesbischer Lebensweisen
ist damit nicht in Abrede gestellt." Im Gegenteil erscheint mir 'lesbische Existenz' mehr als etwa 'lesbisches Leben' geeignet, die Bandbreite lesbischer Daseinsweisen auszudrücken.
Darüberhinaus verwende ich 'lesbische Existenz', weil der Begriff ausdrückt, daß es über konkrete lesbische Lebensformen hinaus auch um die politisch und/oder gesellschaftlich geschaffene Möglichkeit - oder Unmöglichkeit - lesbischen Daseins geht.
'Die 50er und 60er Jahre'
Wenn von den 50er und 60er Jahren die Rede ist, so ist damit nicht unbedingt im numerischen
Sinne exakt die Spanne zwischen Januar 1950 und Dezember 1969 gemeint. Vielmehr kann
'50er und 60er Jahre' als Begriff betrachtet werden, der eine Ära bundesdeutscher Gesellschaft
beschreibt, nämlich die Zeit zwischen Staatsgründung und Konsolidierung und dem Einsetzen
der Studentenbewegung und der APO bzw. dem Durchwirktwerden der bundesdeutschen Gesellschaft mit ihren Ideen und Einflüssen.
Die Zeitspanne beginnt also bereits in den 40er Jahren, frühestens mit der Währungsreform in
den Westzonen2 (20.6.1948) und spätestens mit der Gründung der BRD. Das Ende wird eingeleitet durch die Übernahme der Regierung durch die Große Koalition im Dezember 1966, die
als Reaktion entstehende APO, die sich konstituierende Studentenbewegung und schließlich
der Frauenbewegung und homosexuellen Emanzipationsbewegung3.
Ich möchte 'die 50er und 60er Jahre' in diesem Sinne verstanden wissen; als ein Begriff, der
nicht eine kalendarische, sondern eine gesellschaftspolitische Zeitspanne benennt.
1 in diesem Sinne verwendet z.B. auch Göttert (1991, 94) und auch Rich in ihrem diskussionsanregenden Text
'Zwangsheterosexualität und lesbische Existenz'(dies., 1983). Ich möchte den Begriff allerdings nicht in seiner
durch Rich vorgenommenen Erweiterung zum 'lesbischen Kontinuum' (ebda., 158f) verstanden wissen.
2 die Währungsreform wird allgemein als bedeutsamer Schritt in Richtung Restauration und westdeutschem
Teilstaat betrachtet. Vgl. z.B. Pirker, 1977, 112ff; Kahn, 1986, 166f
3 als Beginn der Neuen Frauenbewegung kann die Gründung der ersten aus der Studentenbewegung heraus
gegründeten Frauengruppe, des 'Aktionsrates zur Befreiung der Frau' im Januar 1968 in Westberlin und die
Anklagerrede Rede von Helge Sanders auf der 26. Delegiertenkonferenz des SDS im Herbst 1968 in Frankfurt
gelten. Als Beginn der Homosexuellenbewegung in der BRD gilt die Vorführung der Films von Rosa von
Praunheim 'Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt' in Berlin 1971, in deren
Anschluß sich spontan Gruppen zusammenfanden.
6
Aufbau der Arbeit
Die Arbeit gliedert sich grob in einen theoretischen und einen empirischen Teil.
Ich wollte beide Teile der Arbeit gleich gewichten, also nicht eine Empiriearbeit mit nur theoretischer Einleitung schreiben. Ich mußte feststellen, daß diese Absicht räumlich als auch zeitlich den Rahmen einer Diplomarbeit zu sprengen drohte. Vor allem der große Raum, den ich
benötigte, um sieben befragte Frauen in gerade noch annehmbarer Kürze zu portraitieren und
interpretieren, machte dies zu einem zentralen Problem der Arbeit.
Im Abschnitt B befasse ich mich in knapper Form mit für die Arbeit grundlegenden Zusammenhängen und Problemen. Abschnitt C ist der Hauptteil des theoretischen Teils der Arbeit;
hier komme ich über eine Darstellung der grundlegenden Bedingungen allgemein-fraulicher
Existenz (C.1.) und den herrschenden Frauen- und Familienbildern (C.2.) dazu, den Anteil, den
Frauen- und Familienpolitik an diesen Bedingungen hatte und welche Instrumente sie dazu einsetzte, herauszuarbeiten (C.3.). Im letzten Kapitel dieses Abschnitts schließlich interpretiere ich
das zuvor Erarbeitete im Hinblick auf seine Bedeutung für und Wirkung auf lesbische Existenz.
Mit einer thesenhaften Zuspitzung dieser Interpretation endet der theoretische Teil.
Im Abschnitt D, dem empirischen Teil der Arbeit, steht die Formulierung der besonderen Fragestellung für und an die Interviews am Anfang (D.1.). Im Anschluß widme ich mich nach einer knappen Darstellung meiner methodischen Überlegungen und Vorgehensweise (D.2.) den
einzelnen von mir interviewten Frauen (D.3.). Ich fasse ihre jeweils wichtigsten Aussagen in einem Kurzportrait zusammen, an das sich eine individuelle Interpretation anschließt. Die darauf
folgende übergreifende Interpretation (D.4.) vergleicht diese und setzt sie in Zusammenhang
mit den im theoretischen Teil gewonnenen Thesen.
Abschnitt E schließt die Arbeit mit einem Fazit ab.
7
B. Theoretische Grundlagen
1. Restauration als Kategorie der Politik der BRD in den 50er und 60er Jahren
'Restauration' als politischer Begriff bezeichnet Bestrebungen, die auf die "Wiederherstellung
eines früheren politischen oder wirtschaftlich-sozialen Zustandes"(Meyers, 1986, 348) abzielen. Eine andere Definition besagt, daß es sich bei den angestrebten politischen oder sozialen
Zuständen um einerseits vorrevolutionäre, gleichzeitig historisch überlebte, reaktionäre handelt/handeln muß (Staat und Gesellschaft, 1989, 583).
Seine Herkunft als politische Vokabel sind die federführend von Metternich veranlaßten restaurativen Bestrebungen des 'alten Europa': "Nach dem Wiener Kongreß (1815) wurden damit
alle Bestrebungen bezeichnet, die sich auf die Wiederherstellung der Zustände vor der Französischen Revolution richteten."(Gesellschaft und Staat, 1989, 583)
In der kritischen Reflexion der Konstituierung und Konsolidierung der BRD ist der Begriff der
'Restauration' zu einem Schlagwort geworden. Er dient(e) der Charakterisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD und wurde 1950/51 von Walter Dirks in den 'Frankfurter
Heften' erstmals verwendet (vgl. Pirker, 1977, 23). Die "politisch-soziale und geistige Struktur
der Bundesrepublik Deutschland", für die er steht, läßt sich im Sinne dieser Verwendung folgendermaßen charakterisieren: "Wiederherstellung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
mit ihren alten Klassen- und Besitzverhältnissen, eingeleitet durch die zugunsten der Sachwertbesitzer durchgeführte Währungsreform (1948); Übernahme von früheren Trägern des
Verwaltungs- und Justizapparates; Fortsetzung obrigkeitsstaatlicher Traditionen in vielen
politisch-gesellschaftlichen Bereichen."(Gesellschaft und Staat, 1989, 583f)
Damit ist sowohl gesagt, in welchem Sinne ich 'Restauration' verwende, als auch welche Bereiche sie einschloß und warum sie für vorliegende Arbeit von Bedeutung ist.
Die umfassende Restauration des Staatsapparates, der Wirtschaft, des Militärs (ab 1955) und
der dazugehörigen reaktionären bürgerlichen Ideologien prägten den Charakter der ersten zwei
Jahrzehnte bundesdeutscher Politik und Gesellschaft.
In der unmittelbaren Nachriegszeit vertraten breite gesellschaftliche Kreise die Ansicht, der Kapitalismus als Wirtschaftssystem habe seine Untauglichkeit erwiesen und damit ausgedient.
Von weiten Teilen der neugegründeten CDU und dem 'Linkskatholizismus' (vgl. Pirker, 1977,
23f) oder christlichen Humanismus über die wiedergegründete SPD und den Gewerkschaften
bis hin zu kommunistischen Kräften schien es Übereinstimmungen zu geben in der Frage der
Sozialisierung von Produktionsmitteln und der Enteignung des Großkapitals.
Ohne auf die Entwicklung näher einzugehen, kann festgestellt werden, daß diese starken Tendenzen zurückgedrängt wurden zugunsten der (Wieder-)Herstellung eines Systems, das später
'soziale Marktwirtschaft' genannt wurde (vgl. Badstübner/Thomas, 1975, 274) und die Festschreibung der kapitalistischen Produktionsweise im alten Stil bedeutete, d.h. keine Sozialisierung und keine Demokratisierung der Wirtschaft. "In diesen restaurativen Kräften und Tendenzen werden die Hindernisse einer Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, einer Erweiterung der politischen zur sozialen Demokratie, gesehen."(Gesellschaft und Staat,
1989, 584)
Die Rückkehr zur traditionellen kapitalistischen Produktionsweise nach den ersten Nachkriegsjahren, in denen mehrheitlich Frauen die Überlebensarbeit außerhalb des Lohnarbeitssystems leisteten (vgl. Meyer/Schulze, 1984, 358ff), benötigte die Wiedererrichtung der traditionellen sozialen Ordnung, sowohl klassen-, als auch, und hier von besonderer Bedeutung, geschlechtsspezifisch. Die unmittelbare Nachkriegszeit war eine kurze Phase krasser Auflösungserscheinungen der traditionellen Geschlechterordnung inklusive der geschlechtsspezifischen
8
Arbeitsteilung. Sie wurden "... umso fester später in den Griff genommen"(Jurczyk, 1976, 76).
Das 'In-den-Griff-Nehmen' vollzog sich weniger direkt repressiv, als durch die Untermauerung
mit den alten bürgerlichen Ideologien von der Rolle, dem Wesen und der Stellung der Frau in
der Gesellschaft. "Diese Rückkehr zur kapitalistisch-industriellen Gesellschaftsstruktur und zu
den traditionellen geschlechtsspezifischen Werten spiegelt sich in den Quellen [aus den 50er
Jahren; I.B.] wider. Alternatives Denken fehlt. Vielmehr wird der Versuch der Anpassung der
Frau an die Zwänge des Wirtschaftssystems verbunden mit einer Wiederauflebung der alten
Ideologie von den besonderen Werten der Frau und Mutter."(Frauenalltag, 1980, 58)
In engem Zusammenhang mit 'Restauration' steht die Entwicklung des 'Kalten Kriegs' und der
Umgang mit der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit.
Badstübner/Thomas (1975, 252) formulieren: "Mit der Entfesselung des kalten Krieges und
den Vorbereitungen für den Marshallplan begann der Prozeß der Restauration in den Westzonen und der Spaltung Deutschlands in ein neues Stadium zu treten."
Über den Zeitpunkt des Beginns sowohl der Restauration in den Westzonen als auch des Kalten Krieges scheint in der Fachliteratur Uneinigkeit zu bestehen. Einigkeit besteht jedoch in der
Auffassung, daß beide Prozesse aufs Engste miteinander verflochten und voneinander abhängig
waren.
Die 'Truman-Doktrin', verkündet am 12. März 1947, wird als bedeutender Schritt in Richtung
'Teilung der Welt in zwei Lager' (vgl. Kahn, 1986, 86) betrachtet. Sie ist der Startschuß der
'containment policy', einer als 'Eindämmungspolitik' (die Wortwahl unterstellt Defensivität) getarnten aggressiven 'Politik der Stärke' der USA gegen die UdSSR bzw. 'den Kommunismus'.
Containment policy bedeutet im Nachkriegsdeutschland eine Absage bzw. Kampfansage an
jegliche sozialistische, wirtschaftsdemokratische und allgemein fortschrittliche Tendenzen. Der
Aufbau eines westdeutschen starken Staates für den Kampf gegen den Kommunismus stützt
sich auf die konservativen, restaurativen Kräfte in der späteren BRD. Dabei bildet sich, ähnlich
wie in den USA, analog zum außenpolitischen Feindbild ('die Russen kommen') der
innenpolitische Feind - jede auch nur liberale1 Bestrebung wird als kommunistisch diffamiert
(vgl. Kahn, 1986, 90f) und künftig zunehmend verfolgt. Diese Intoleranz nach innen und das
Feinbild nach außen sind, was oftmals als das 'politische Klima' des Kalten Krieges bezeichnet
wird, ein Begriff, der für die Starrheit und Rigidität der BRD-Gesellschaft der 50er und 60er
Jahre steht.
Über das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität in bezug auf den Nationalsozialismus
und die BRD ist viel geschrieben und gestritten worden. Auch Kuhn geht in ihrem Quellenwerk auf diese Frage soweit ein, festzustellen, daß neben "tiefgreifenden politischen Diskontinuitäten"(Kuhn, 1984, 17) gleichzeitig "Kontinuitäten im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Bereich"(ebda.) auszumachen seien. Zu diesen Kontinuitäten gehört - für diese Arbeit von
besonderer Bedeutung - zweifellos das Bild der Frau und die Rollen, die ihr weiterhin zugeschrieben wurden.
Alexander und Margarete Mitscherlich unternehmen in ihrem gemeinsamen Werk 'Die Unfähigkeit zu trauern' (1994)2 den Versuch einer 'Psychohistorie' (III) über den Nationalsozialismus, seine 'Verarbeitung' in und deren Folgen für die BRD-Gesellschaft. Die Intention der AutorInnen ist "... die Vergrößerung der Einsicht in jene Motive, welche die Direktiven für unsere
1 'liberal' steht hier nicht im Sinne von Wirtschaftsliberalismus, sondern im Sinne von 'sozialliberal'.
2 alle folgenden, nicht näher gekennzeichneten Zitate, sind diesem Buch entnommen.
9
Politik von langer Hand her bestimmen"(8). Sie stellen dabei die These auf, "... daß zwischen
dem in der Bundesrepublik herrschenden politischen und sozialen Immobilismus und
Provenzialismus einerseits und der hartnäckig aufrechterhaltenen Abwehr von Erinnerungen,
insbesondere der Sperrung gegen eine Gefühlsbeteiligung an den jetzt verleugneten Vorgängen der Vergangenheit andererseits ein determinierender Zusammenhang besteht"(9). D.h.
die Verleugnung der Geschehnisse im Dritten Reich und die Nichtanerkennung der Verantwortung dafür sind Grundlage für einer Politik, die Mitscherlichs nur deshalb 'illusionär' und
nicht revanchistisch nennen, weil "... unsere Politik ... nicht die Mittel (hat), das Weltgeschehen derartig zu beeinflussen, daß irgendwer mit uns auszöge, um mit Waffengewalt uns unsere verlorenen Ostgebiete >>heimzuholen<<"(14). Hinzu kommt das augenfällige Desinteresse
der Bevölkerung am politischen Geschehen, sie bezeichnen die Bevölkerung der BRD als eine
"apolitisch konservative Nation"(19), der - psychologisch gesprochen - der libidinöse Bezug
zur Demokratie fehlt (vgl. 19).
Der direkte Zusammenhang zwischen diesen Mechanismen und den restaurativen Bestrebungen erschließt sich auf der Ebene der staatlichen Politik in der Weise, daß festgestellt werden
kann, "... daß die offizielle Politik an Fiktionen und an ein Wunschdenken gefesselt blieb und
- zunächst auch für die eigene politische Sanierung - den tiefer gehenden Versuch, zu einem
Verständnis der erschreckenden Vorgänge zu gelangen, bis heute schuldig geblieben ist"(20).
Mitscherlichs stellen einen inneren Zusammenhang zwischen der Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit und der BRD-Gegenwart her, die sie als politisch-kulturelle Starre
kennzeichnen. Dabei beziehen sie sich in beiden Punkten sowohl auf die Bevölkerung und damit das Individuum, als auch auf die 'offizielle Politik'. Besonders bedeutsam für lesbische Existenz dürfte der Zusammenhang sein, den sie zwischen Verleugnung und Verdrängung als Konfliktlösungsstrategie auf der einen Seite, und Vorurteilen auf der anderen ausmachen: "Wo psychische Abwehrmechanismen wie etwa Verleugnung und Verdrängung bei der Lösung von
Konflikten, sei es im Individuum, sei es in einem Kollektiv, eine übergroße Rolle spielen, ist
regelmäßig zu beobachten, wie sich die Realitätswahrnehmung einschränkt und stereotype
Vorurteile sich ausbreiten; in zirkulärer Verstärkung schützen dann die Vorurteile wiederum
den ungestörten Ablauf des Verdrängungs- oder Verleugnungsvorganges."(24)
Die Enge und Starrheit der BRD in diesen Jahren gründet sich auf und lebt von diesen
Vorgängen. Die von Mitscherlichs geschilderten Mechanismen haben gemeinsam mit den Kontinuitäten, vor allem im sozialen und kulturellen Bereich, die Durchsetzung einer konservativen, restaurativen Politik wenn nicht überhaupt erst ermöglicht, so doch erleichtert und getragen.
2. Zum Zusammenhang zwischen staatlichen Vorgaben, gesellschaftlichen Bedingungen
und individuellem Erleben
Vorliegende Arbeit steht vor einer grundlegenden Schwierigkeit. Die Unterdrückung lesbischer
Existenz ist historisch mehrheitlich Unterdrückung durch Verschweigen, Leugnen und Tabuisieren. Die direkten Angriffe auf lesbische Existenz und/oder lesbische Frauen waren - abgesehen von individuellem Handeln - selten und nicht Mittelpunkt antilesbischer Bestrebungen (vgl.
Hänsch, 1989).
Für eine Arbeit, die den Zusammenhang zwischen staatlich-politischem Handeln und deren
Einfluß auf lesbische Existenz untersuchen will, stellt dies ein besonderes Problem dar, denn
unzweideutige kausale Zusammenhänge zwischen staatlichem Handeln und individuellen Konsequenzen werden sich aus diesem Grund nur schwer herstellen lassen.
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Es wird eine Form der Existenz - durch die Politik1 - unterdrückt, von der - in der Politik - nie
die Rede ist. Es gibt keine Zeugnisse darüber, daß lesbische Frauen bzw. lesbische Existenz
von staatlich-politischer Seite in der BRD der 50er und 60er Jahre jemals Erwähnung gefunden
hätten. Es gibt - bislang - keine schriftlichen Zeugnisse dafür, daß 'der Staat' 2 direkt gegen lesbische Frauen vorgegangen wäre, beispielweise in Form polizeilicher Maßnahmen.
Wie also funktioniert diese Unterdrückung? Worin besteht der Zusammenhang zwischen staatlichem Handeln und individuellen Konsequenzen, worüber stellt er sich her, und vor allem, wie
ist er nachweisbar?
Auf die Feststellung, daß 'der Staat' nicht als explizit antilesbischer Akteur in Erscheinung tritt,
muß - bei Aufrechterhaltung der These, daß er eine bedeutende Rolle bei dem Versuch der Unterdrückung lesbischer Existenz spielt - logisch folgen, daß sich diese Unterdrückung auf anderen Wegen als dem direkten vermittelt.
Es tritt als dritte Instanz 'die Gesellschaft' auf; staatliches Handeln hat offensichtlich im Falle
antilesbischer Politik meist nicht direkt das (betroffene) Individuum als Ziel; seine Politik ist
mittelbar, und als Mittlerin fungiert die Masse der BürgerInnen.
Die Politik gegen lesbische Existenz vermittelt sich also über drei Ebenen, 'den Staat', 'die Gesellschaft' und 'das Individuum'.
Dabei ist die Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum in bezug auf lesbische Existenz naheliegend: Durch und in der Sozialisation vermitteln nichtstaatliche Einrichtungen, ihre
Werte und Normen an die Individuen, primärer Ort dieses Vorgangs ist die Familie, primärer
Zeitraum das Heranwachsen des Individuums.
Erklärungsbedürftiger als diese Vermittlungsebene ist also die zwischen 'Staat' und 'Gesellschaft'.
Max Wingen, Berater von und Referent im Heckschen Familienministerium beschrieb sehr zutreffend die Rolle und Absicht von Politik - speziell von Familienpolitik, denn sie ist sein Gegenstand. Unter der Überschrift "Familienpolitik als Aspekt gesellschaftlicher Ordnungspolitik" setzt er den "Versuch einer ersten Definition": "Unter den von Menschen ausgehenden, bewußten Einflußnahmen auf das Sozialgeschehen nimmt die Politik einen hervorragenden Platz ein. Sie ist die machtmäßige Einwirkung auf das menschliche Zusammenleben gemäß bestimmten Ordnungsvorstellungen und unterscheidet sich damit von der Erziehung als
einer anderen Grundform der Einwirkung auf das Sozialgeschehen. [Hervorh. i.O. kursiv;
I.B.]"(Wingen, 1964, 53)
Dieses 'machtmäßige Einwirken' vollzieht sich zum einen über konkrete gesetzgeberische, d.h.
finanzielle oder rechtliche Maßnahmen. Jedoch gilt für die gesamte Familienpolitik, was Ruhl
für die Kinderreichtumspolitik schreibt: "Wenn es in der zweiten Hälfte der 50er Jahre gelang,
den Geburtenanstieg anzukurbeln, dann lag das in erster Linie nicht an den gesetzgeberischen Unterstützungsmaßnahmen ..., sondern an dem familienfreundlichen Klima der späten
Adenauer-Ära, das die Kirchen im Zusammenspiel mit den Familienorganisationen und konservativen Politikern unter geschickter Zuhilfenahme der Medien erzeugten."(Ruhl, 1988,
110)
Dieses von Ruhl 'Klima' genannte Phänomen ist der Schlüssel zur Funktionsweise der Vermittlung zwischen 'Staat' und Gesellschaft. Staatliche Maßnahmen, die sich gegen lesbische Existenz richten, können nur dann wirksam sein, wenn die Werte, die sie transportieren, von wesentlichen Teilen der Gesellschaft mitgetragen, mindestens jedoch akzeptiert werden. Staatliche
1 'Politik' steht hier im engen Sinne nur für Handlungen staatlicher Entscheidungsträger.
2 'der Staat' steht hier und im weiteren als Zusammenfassung aller staatlichen Entscheidungs- und Ausfüh rungsinstanzen.
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Politik kann sich also nur dann in die Gesellschaft vermitteln, wenn die durch sie transportierten Normen und Werte sich in einem Konsens mit dieser bewegen.
Staatliche Politik muß also an der Herstellung dieses Konsens primäres Interesse haben und
seine Maßnahmen so arrangieren, daß er potentiell hergestellt, gestützt und ausgebaut wird.
Über diese 'Zwischenstufe' erzielt (mittelbare) Politik seine Wirkung auf das Individuum. Der
Zusammenhang zwischen beidem ist entsprechend nicht im engen Sinne nachweisbar, sondern
ableitbar.
3. Heterosexismus. Oder: Zum Verhältnis von Frauen- und Lesbenunterdrückung
Dieses Kapitel widmet sich in knapper Form den Zusammenhängen zwischen 'allgemeiner'
Frauenunterdrückung und der Unterdrückung lesbischer Existenz.
Ausgangspunkt ist der Begriff 'Sexismus'. Der Begriff ist bekannt und bedarf keiner ausführlichen Bestimmung; er bezeichnet die systematische Unterdrückung von Frauen als und aufgrund
ihres sozialen Geschlechts.
'Heterosexismus' weist als Begriff darüber hinaus und darauf hin, woraus diese Unterdrückung
zu einem wesentlichen Teil besteht. Der Begriff bezeichnet "... die herrschende Form der
Frauenunterdrückung, die versucht, alle Frauen auf die Interessen von Männern auszurichten
und Frauen untereinander zu spalten."(Janz/Kronauer, 1990, 122) "Heterosexismus klärt die
Frage, worauf diese Unterdrückung eigentlich abzielt, nämlich darauf, Frauen mit ihrem
Denken, Fühlen und Handeln auf Männer auszurichten, um die Kontrolle über 'die ganze
Frau' zu erreichen: Ihren Körper, ihre Sexulität, ihre Gebärmöglichkeiten, ihr umfassendes
Arbeitsvermögen, ihr Wünschen und Wollen. (diess., 1989, 176)
Mir fiel auf, daß von amerikanischen Lesbenforscherinnen andere Begrifflichkeiten entwickelt
wurden, die bei Betrachtung der jeweiligen Definitionen m.E. den gleichen Sachverhalt und
Zusammenhang zum Ausdruck bringen; der Grund für diese Begriffsdiversifikation ist wahrscheinlich, daß, wie Janz und Kronauer anmerken, Heterosexismus "...von den meisten US-Amerikanerinnen" nicht im eben ausgeführten Sinn, sondern bedeutungsgleich mit 'Lesben- und
Schwulenfeindlichkeit' benutzt wird (vgl. Anmerkung 3 und 7 in Janz/Kronauer, 1990, 122)
und dadurch in der us-amerikanischen Diskussion nicht mehr eindeutig in der umfassenderen
Bedeutung gebraucht werden könnte.
Janice Raymond beispielsweise benutzt den Begriff 'Heterosexismus' lediglich, um den Zwang
zur Heterosexualität zu fassen, und entwirft den umfassenderen Begriff der 'Hetero-Realität',
um auszudrücken, "daß wir es mit einer hetero-bezogenen Gesellschaft zu tun haben, in der
fast alle persönlichen, sozialen, politischen, beruflichen und wirtschaftlichen Bezüge von
Frauen durch die Ideologie bestimmt sind, die Frau sei für den Mann da."(Raymond, 1987,
20)
Sarah Lucia Hoagland kreiert den Begriff 'Heterosexualismus', der m.E. bereits phonetisch eine
Abgrenzung von bzw. Weiterentwicklung des verfälschten 'Heterosexismus' als Entstehungsmotiv anklingen läßt. Sie definiert 'Heterosexualismus' zum einen, indem sie sagt, daß er über
"den Sexismus oder sogar die Homophobie oder den Heterosexismus" (Hoagland, 1991, 36)
hinausreicht. Sie sagt weiter, daß die "Konzentration auf den Heterosexismus ... die
Heterosexualität als Institution in Frage (stellt), ..."(ebda., 37) und geht dann mit 'Heterosexualismus' einen Schritt weiter: "Um den Heterosexualismus zu verstehen, müssen wir die
Beziehung zwischen Männern und Frauen analysieren, in der Mann und Frau Rollen
einnehmen. Heterosexualismus bedeutet, daß Männer dominieren und Frauen in vielen For-
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men ent-fähigen und ent-machten, ..., und daß Frauen (notwendigerweise) die Bindung an
Frauen abwerten. (...) Heterosexualismus ist eine Lebensforn, die in der Beziehung die Herrschaft einer Person und die Unterordnung der anderen zur Normalität erklärt. (...) Heterosexualismus ist eine bestimmte ökonomische, politische und emotionale Beziehung zwischen
Männern und Frauen: ...."(ebda.)
Beide Begriffe gehen nicht über 'Heterosexismus' im von mir gebrauchten Sinne hinaus, sondern erweisen sich als Synonyma.
In engem Zusammenhang steht auch der zuerst von Rich (1983) gebrauchte Begriff der
'Zwangsheterosexualität', der im von ihr ursprünglich entworfenen Sinn ebenfalls alle möglichen Formen der Machtausübung von Männern über Frauen umfaßte (vgl. Göttert, 1991, 97).
Daß ich - bei solcher Identität des Inhalts - statt Zwangsheterosexualität den wahrscheinlich
noch weniger geläufigen Begriff 'Heterosexismus' verwende, liegt daran, daß ersterer m.E. allzuleicht nur den Zwang zur Heterosexualität denken läßt und dadurch die
darüberhinausgehenden Implikationen verwischen. Zum anderen halte ich 'Heterosexismus' für
den passenderen Begriff, da er die enge Verbindung zwischen Frauenunterdrückung 'im allgemeinen' (Sexismus) und Lesbenunterdrückung 'im speziellen' auch bereits phonetisch zum Ausdruck bringt1.
Diese Verbindung ergibt sich aus der Betrachtung des 'Wie' und 'Warum' der Unterdrückung
lesbischer Existenz.2
Ein maßgeblicher Grund für die Unterdrückung lesbischer Existenz ist die wirtschaftliche Notwendigkeit unbezahlter weiblicher (Haus-)Arbeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Ohne
die häusliche Frauenarbeit wäre das gegenwärtige Lohnarbeitssystem nicht aufrechtzuerhalten.
Feldmann-Neubert konstatiert, daß (frauliche) Hausarbeit die direkte Voraussetzung der Lohnarbeit ist und stellt fest: "Der Typus der Hausfrau als völlig auf die Reproduktion des Lohnarbeiters konzentrierte Tätigkeit ist für das Lohnarbeits-system nicht nur zufällig funktional,
sondern geradezu konstitutiv."(Feldmann-Neubert, 1991, 27)
Lesbische Existenz beinhaltet die Verweigerung dieser unbezahlten heimischen
Reproduktionsarbeit der Frau am Mann. Sie stellt damit nicht nur die Realität dieser sexistischen Arbeitsteilung in Frage, sondern auch den ideologischen Überbau, mittels dem diese Arbeitsteilung legitimiert werden soll: die Verschiedenheit der Geschlechter und die daraus resultierende natürliche Aufgabenverteilung. Paczensky stellt zum Zusammenhang der daraus resultierten Frauenrolle(n) mit der Unterrückung lesbischer Existenz fest: "So ist das Modell der
Frauenrolle derart beschränkt angelegt, daß bereits Informationsmangel genügt, um
unerwünschtes Verhalten zu verhindern."(Paczensky, 1984, 21f)
Hier ist sowohl Ursache als auch Wirkung angesprochen. Lesbische Existenz fällt aus der Frauenrolle und bedroht sie somit (potentiell), und umgekehrt ist die Frauenrolle in ihrer Rigidität
1 Und damit auch ausdrückt, daß Heterosexismus kein nur Lesben betreffendes Unterdrückungsverhältnis ist,
sondern daß Lesben und heterosexuell lebende und/oder sich definierende/identifizierende Frauen - wenn auch
in unterschiedlicher Weise - davon 'betroffen' bzw. Zielgruppe sind. Die Bedeutung von Heterosexismus für
nichtlesbische Frauen ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit, weshalb ich auf diesen Punkt nicht weiter ein gehen werde.
2 Damit will ich nicht sagen, daß die Unterdückung lesbischer Existenz sich ausschließlich aus der Unter drückung von Frauen ableitet. Lesben sind nicht lediglich Frauen mit einer besonderen Eigenschaft. Jedoch
läßt sie sich m.E. vollständig aus der Betrachtung der heterosexistischen Grundstrukturen moderner Gesell schaften ableiten, ebenso wie die Verfolgung schwuler Männer. Ich behaupte nicht, daß Lesben und Schwule in
ihrer Unterdrückung keine Gemeinsamkeiten hätten, weil Schwule eben Männer und Lesben eben Frauen sind;
sondern daß beide - in unterschiedlicher Form - durch die und als Abweichende von den polaren Geschlechts charakteren unterdrückt werden, ebenso wie nichtlesbische Frauen und im Gegensatz zu nichtschwulen Män nern.
13
Mittel zur Unterdrückung lesbischer Existenz.
Lesbische Existenz bedroht das Wertesystem, das Männer in jeder Beziehung über Frauen
stellt und Frauen auf Männer 'verteilt'. Pagenstecher (1985, 122) formuliert: "Sie [die Lesben]
werden dafür diskriminiert, daß Männer in ihren Beziehungen keine Rolle spielen, daß sie
Frauen Männern vorziehen - also das Werteverhältnis auf den Kopf stellen - , daß sie den Alleingültigkeitsanspruch der Institution Ehe und damit auch der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung infrage stellen und daß sie die sexuelle Norm dieser Gesellschaft, nach der weibliche Sexualität nur in Verbindung mit Männern existiert, boykottieren."(Pagenstecher, 1985,
122)
Ehe und Familie dienen der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ebenso und gleichzeitig wie der Unterdrückung alternativer Lebensformen. Sie sind zentrale Institutionen heterosexistischer Herrschaft. Zusammengefaßt wird dies treffend durch Dröge (1983,
60): "Unser Wirtschaftssystem (...) ruht mit dem einen Pfeiler auf der von Frauen geleisteten
Hausarbeit. (...) Der Ort, wo das vor sich geht, heißt Familie: (...) Alle Versuche, die gegen
eine solche Struktur gerichtet sind, und als Personen, die da nicht reinpassen, unterliegen - je
nach Schwere der Abweichung und nach Liberalität des Staates - einer mehr oder weniger
starken Sanktionierung."
4. Zur Relevanz von Familienpolitik für lesbische Existenz
Die Unterdrückung lesbischer Existenz ist - wie bereits erwähnt - nur in Ausnahmefällen offen
repressiv; sie bedient sich hauptsächlich versteckter, d.h. indirekter Methoden. Ein maßgebliches Mittel dieser versteckten Repression sind die herrschenden Frauenbilder, d.h. die in einer
Gesellschaft existenten Bilder darüber, was eine Frau kennzeichnet, bzw. sie erst zu einer
macht. Dabei muß festgehalten werden, daß Frauenrollen nicht deskriptiven, sondern normativen bzw. normierenden Charakter haben.
Das vorangegangene Kapitel hat ergeben, daß Frauenunterdrückung und die Unterdrückung
lesbischer Existenz eng miteinander verbunden sind. Aus dieser Verbindung ergibt sich die Relevanz von Familienpolitik für lesbische Existenz.
Ziel von Familienpolitik ist es, Familie1 als "allgemeine und normale Lebensform durchzusetzen. Damit wird immer auch die Rolle von Frauen bestimmt und ihre Situation beeinflußt. Was
sich scheinheilig an "die" Familie wendet, ist meist eine Aufforderung an Frauen, für die Familie dazusein und zu arbeiten"(Frauenhandlexikon, 1983, 77) Konkret bedeutet das, daß
wenn von den Aufgaben 'der Familie' die Rede ist, die Aufgaben 'der Frau' gemeint sind. Und
daß Familienpolitik maßgeblich die Situation der Frauen in einer Gesellschaft beeinflußt/ zu beeinflussen sucht.
Familienpolitik hat die Aufgabe, Familie vor sie gefährdenden Einflussen zu schützen und ihren
Erhalt und ihre Funktionstüchtigkeit für den Staat zu stärken. "Von zwei Richtungen her bestimmt sich der Inhalt der Familienpolitik: Zum einen von der wirtschaftlichen Situation, und
das heißt in dieser Arbeit vor allem vom Stand und Bedarf an Frauenerwerbstätigkeit, und
zum anderen von der Bedeutung, die der Familie als "Keimzelle des Staates" zugemessen
wird. Die Bedeutung von Familie hängt zwar mit ersterem prinzipiell zusammen, ist jedoch
aus kurzzeitigen wirtschaftlichen Schwankungen nicht allein zu erklären."(Jurczyk, 1976, 1)
Worin diese Funktionen en detail bestehen, werde ich im Abschnitt C näher darlegen; an dieser
1 zur Definition von 'Familie' vgl. C.2.2. dieser Arbeit
14
Stelle genügt es, festzuhalten, daß die Möglichkeit zufriedenstellender (sowohl finanziell als
auch intellektuell) weiblicher Erwerbstätigkeit für lesbische Existenz von besonderer Bedeutung ist, und daß es zu einer der hervorragensten Aufgaben der Familienpolitik gehört, diese zu
behindern. Familienpolitik ist unter diesem Aspekt gegen lesbische Existenz gerichtet.
Zum anderen wird lesbische Existenz als Lebensmöglichkeit außerhalb von Familie zu jenen
Dingen zählt, die dadurch den Bestand derselben gefährden, und damit die Funktionen als
'Keimzelle des Staates', die ihr zugeschrieben werden. Lesbische Existenz wird damit potentiell
staatsfeindlich.
Inwieweit bundesdeutsche Familienpolitik potentiell und tatsächlich zur (unausgesprochenen)
Gegnerin lesbischer Existenz wurde, und welche Wirksamkeit sie dabei erreichte, werde ich im
folgenden zu zeigen versuchen.
15
C. Rahmenbedingungen lesbischer Existenz in den 50er und 60er Jahren
1. Rahmenbedingungen fraulicher Existenz. Ein Überblick in Zahlen und Daten.
Die Bevölkerung im Gebiet der späteren BRD einschließlich West-Berlins betrug 1946 43,9
Millionen. Eine Volkszählung im gleichen Jahr ergab einen Anteil (erwachsener) Frauen von
44%, und 23% Kinder. 1948 gab es in den Westzonen insgesamt noch immer 7,3 Millionen
mehr Frauen als Männer (Courage, 1982a, 50). Dieses quantitative Geschlechterverhältnis als
Folge des Krieges blieb als sog. 'Frauenüberschuß'1 die gesamten 50er Jahre hindurch, wenn
auch mit sinkender Tendenz, präsent.
1952 waren ein Viertel aller Familien in der BRD 'ohne Vater' (vgl. Courage, 1982b, 43), 1961
hatten "ein Drittel aller Mehrpersonenhaushalte eine Frau als Haushaltungsvorstand"(Die
Frau, 1967, 2). Im gleichen Jahr entfielen fast zwei Drittel aller Einpersonenhaushalte auf
Frauen, "von diesen fast 3 Millionen alleinlebenden Frauen waren mehr als 70 v.H. über 55
Jahre alt"(ebda.). Für 1967 stellte der als 'Frauenenquete' bezeichnete 'Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft' 11,3 Millionen alleinlebende Frauen fest, wobei 'alleinlebend' sich vielsagend auch auf all jene Frauen bezog, die mit
Kindern, Angehörigen oder 'sonstigen Personen' lebten (vgl. ebda., 43).
Die berufliche Situation. 1952 war jedeR dritte ArbeitnehmerIn eine Frau (Courage, 1982b,
43), diese Quote stieg während der 50er Jahre nur geringfügig (DGB, 1993, 21). Mitte der
50er Jahre war das männliche Arbeitskräftepotential in der BRD bereits weitgehend ausgeschöpft, gleichzeitig waren über eine halbe Million Frauen arbeitslos gemeldet (Bikini, 1981,
275). Die Arbeitskräfteknappheit bewirkte ab ca. dem gleichen Zeitpunkt ein massiveres Werben der Wirtschaft um die Lohnarbeitskraft der Frau, "Frauen wurden zu einem wichtigen
Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung"(DGB, 1993, 39). 1960 unterschritt die allgemeine
Arbeitslosenquote die 1%-Hürde (ebda., 21), allerdings waren bereits über 1,3 Millionen Frauen teilzeitbeschäftigt (Wiggerhaus, 1979, 85). Die Tendenz zur kurzzeitigen Teilzeitbeschäftigung setzte sich im Verlauf der 60er Jahre fort (Maier, 1993, 269). Von allen erwerbstätigen
Frauen waren 1961 62,5% 'alleinstehend' (DGB, 1993, 23), von allen verheirateten Frauen waren 1965 33% erwerbstätig (Langer, 1987, 116), der Mikrozensus von 1967 ergab eine weibliche Erwerbsquote2 von 35,9% (ebda., 130).
Die sog. 'Zölibatsklausel' erschwerte v.a. in den frühen 50er Jahren die Berufstätigkeit verheirateter Frauen, denn die am 10.5.1950 für den öffentlichen Dienst gültig werdende und von der
'freien' Wirtschaft vielfach nachgeahmte Regelung erlaubte die Entlassung von Frauen mit dem
Tag ihrer Eheschließung.3
Bildungs- und Ausbildungssituation. Aus-/Bildung war während der ganzen Periode denkbar
klassen- und geschlechtsspezifisch: Der Bildungsbericht der Bundesregierung von 1965 gab
1 'Frauenüberschuß' ist ein heterosexistischer Begriff, mit dem nach dem II. Weltkrieg ideologisch verzerrt
wurde, daß in Deutschland weit mehr Frauen als Männer lebten. Ihm liegt die Annahme zugrunde, die Frau sei
Komplementär des Mannes, daß folglich auf jede Frau ein Mann kommen müßte und alle, die dieses Pendant
nicht aufweisen könnten, 'überschüssig' seien. Vgl. auch Frauenalltag, 1980, 72
2 'weibliche Erwerbsquote' ist der Anteil der Frauen an der gesamten Erwerbstätigenzahl. Im Gegensatz dazu
steht der Anteil der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtheit der weiblichen Bevölkerung; diese Quote beträgt
1965 31,4%.
3 Hinweis zur Tradition dieser auch für Beamtinnen geltenden Klausel: die Demobilmachungsverord-nung
(1919), die Personalabbauverordnung (1923), die Doppelverdienerkampagne (nach 1926), der §63 des Nationalsozialistischen Beamtengesetzes.
16
den Anteil der Oberprimaner aus Arbeiterfamilien mit 6,4% an, davon (!) wiederum den Anteil
der Mädchen mit 1,7% (Plastrotmann, 1987, 60). Mädchenschulbildung war, mehr als Jungenbildung, im Einflußbereich der Kirchen angesiedelt; "1966 waren 32 Prozent aller Mädchenoberschulen gegenüber 21 Prozent aller Jungenschulen Hochburgen des Katholizismus."(ebda.). Die Präsenz von Frauen an Hochschulen war absolut minimal: Die 'Frauenenquete' von 1967 stellte fest, daß 2,2% des Lehrkörpers der Hochschulen Frauen waren, und 1,7%
der LehrstuhlinhaberInnen (Die Frau, 1967, 27)1. Im internationalen Vergleich bedeutete das:
"Noch zu Beginn der sechziger Jahre rangierte die Bundesrepublik von allen Ländern an
viertletzter Stelle in bezug auf die Häufigkeit von Dozentinnen; es folgten lediglich Ecuador,
Guatemala und Österreich." (Plastrotmann, 1987, 61)
Die beruflichen Bildungsmöglichkeiten von Frauen waren ebenso unzureichend: Plastrotmann
(1987, 57) stellt für die 60er Jahre fest, daß lediglich 36% aller Lehrlinge weiblich waren, und
Langer fügt hinzu: "Über die Hälfte aller weiblichen Erwerbstätigen übten ihre Tätigkeit
nicht auf Grund einer ursprünglich erworbenen Ausbildung, bzw. sogar ohne Ausbildung aus,
oder sie wurden im Betrieb nur 'angelernt'."(Langer, 1987, 130).
Aus der Aus-/Bildungssituation läßt sich auf die finanzielle Situation schließen. Frauen wurden
aus den besser bezahlten Berufen in die 'Hilfs'arbeitsplätze verdrängt, die - selbstverständlich auch schlechter bezahlt wurden. Doch nicht nur dieser Entwicklung war ihre eklatante
finanzielle Schlechterstellung zuzuschreiben: Wegen 'geringer Wirtschaftlichkeit der weiblichen
Arbeitskraft im Produktionsprozeß' sahen die Tarifverträge fast aller Branchen ab 1949 sog.
'Frauenabschlagsklauseln' vor. Damit wurden 10-15%ige Abschläge vom 'Männerlohn' für
Frauen auf den gleichen Arbeitsplätzen Realität (vgl. Courage, 1982b, 43). Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Tarifregelung zwar 1955 für verfassungswidrig, in ihrer Urteilsbegründung wiesen die Richter aber gleichzeitig den Weg, der die Lohndiskriminierung 'auf dem
Boden des Grundgesetzes' weiterhin ermöglichte: die sogenannten 'Leichtlohngruppen' (vgl.
DGB, 1993, 53f)2 ersetzten den Frauenabschlag.
Die 'Frauenenquete' mußte denn auch feststellen, daß die Spanne zwischen den Verdiensten der
Männer und Frauen im Jahr 1965 insgesamt für die Industrie bei 31% lag (Die Frau, 1967, 15).
Vor allem 'Alleinstehende', d.h. Frauen ohne 'Versorger', und Frauen, die eine Ehe verlassen
wollten, trafen diese Tatsachen besonders hart. Hinzu kam, daß nichtverheiratete Frauen steuer- und abgabenrechtlich höher belastet wurden: sie blieben auch über 50-jährig in Steuerklasse
1, sie zahlten, auch ohne Kinder, diesselben Krankenkassen- und Angestelltenversicherungssätze wie Ehemänner für die ganze Familie (vgl. Frauenalltag, 1980, 95). Das Ergebnis war, daß
viele nichtverheiratete Frauen, vor allem jene aus den unteren Schichten, lange ohne die 'Freuden des Wirtschaftswunders' weiterhin enorm sparsam sein mußten. Die 'Frauenenquete' konstatierte, "... daß 1960 zwei Drittel der alleinlebenden Frauen ihren Lebensunterhalt noch mit
einem monatlichen Einkommen von unter 300,-DM bestreiten mußten." (Die Frau, 1967, 9)
Zur politischen Re-/Präsenz: Auf Regierungsebene war die Frauenbeteiligung verschwindend:
der Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten lag 1955 bei 9,6% (Informationen, 1956/2,
16). Nach massiven Protesten von CDU-Frauen ernannte die Regierung 1957 die erste Staatssekretärin der BRD, sie sollte im Familienministerium das 'weibliche' und das 'evangelische'
1 Diesen Zahlen entsprachen die Ressentiments gegen Frauen als Studentinnen: "In einer von Anger durchgeführten Befragung lehnten 24% der Professoren das Frauenstudium und 36% eine weibliche Professur grundsätzlich ab. (...) Das Bild von der geistigen Inferiorität der Frau lebte fort!" (Plastrotmann, 1987, 57)
2 Die Vokabel bezieht sich auf leichte und schwere Arbeiten, leicht und schwer wiederum auf leichte und
schwere Lasten, die am Arbeitsplatz gehoben werden müssen. Frauen waren von 'Männerarbeitsplätzen', an denen solche Arbeiten verlangt werden, oftmals per Arbeitsschutzgesetz ausgeschlossen. (DGB, 1993, 53f)
17
Element zugleich vertreten. Gabriele Wülker war Soziologin und parteilos und wurde berufen,
"da in der Bundesverwaltung keine Frau in genügend hohem Rang aufzufinden war"(Joosten,
1990, 36). Die 1. Bundesministerin, Änne Brauksiepe (CDU/CSU), wurde 1968 ernannt,
ebenfalls ins Familienministerium.
Ihr aktives Wahlrecht nahmen die dazu berechtigten Frauen, vor allem die jüngeren unter ihnen, nur begrenzt wahr: Laut 'Frauenenquete' wählte zur Bundestagswahl 1965 von den 21-25Jährigen lediglich rund ein Viertel, insgesamt stimmten 84,6% der weiblichen (gegenüber
87,5% der männlichen) Wahlberechtigten ab (Die Frau, 1967, 36). Die meisten von ihnen
(52%), gaben ihre Stimme der CDU/CSU (36% der SPD, 9% der FDP). Diese Prozentsätze
spiegelten sich in den Mitgliederzahlen dieser Parteien nicht wieder: nach eigenen Angaben betrug der Frauenanteil in der CDU 13% (in der CSU 5%, in der SPD 17%, in der FDP je nach
Landesverband zwischen 6,7 und 25%. (vgl. ebda., 37)
Außerparlamentarisch verloren die Frauenausschüsse1, die sich unmittelbar nach Kriegsende
zahlreich gegründet hatten, schnell an Zahl und Bedeutung. Die enstandenen großen fortschrittlichen Frauenverbände sahen sich zunehmend direkter staatlicher Repression gegenüber:
Ab 1955 wurde der DFD, Demokratischer Frauenbund Deutschlands, "als kommunistische
Tarnorganisation wegen verfassungsfeindlicher Tätigkeit ... verboten"(Informationen,
1957/6, 4). Auch die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB), wurde 1955 in Rheinland-Pfalz mit der gleichen Begründung verboten. Dieses Verbot mußte nach langem Kampf
jedoch 1960 aufgehoben werden (vgl. Küster/Steinmann, 1988, 229).
Um die gesellschaftliche Stellung der Frau in der BRD der 50er und 60er Jahre abschließend zu
schildern, zitiere ich noch einmal die 'Frauenenquete':
" ... ist für die Stellung der Frauen in der Gesellschaft vor allem ihr Familienstand von Bedeutung. Das größte Ansehen genießt hiernach die Ehefrau. Von den alleinstehenden Frauen
wird die verwitwete und die geschiedene Frau anders bewertet, in der Regel höher, als die ledige, die niemals einen Ehepartner hatte. (...) Viele Frauen, vor allem die ledigen, fühlen sich
durch das von solchen Klischeevorstellungen veranlaßte Verhalten in gewissem Sinne 'am
Rande der Gesellschaft'. (...) Viele alleinstehende Frauen klagen auch darüber, daß ihnen gegenüber Ressentiments beständen. Vielfach werde die Alleinstehende als Konkurrentin betrachtet, nicht zuletzt seitens der verheirateten Frauen."(Die Frau, 1967, 44)
2. Frauen- und Familienbilder der 50er und 60er Jahre.
2.1. Das Frauenbild
Die Rolle der Frau, ihr Ist- und ihr Soll-Zustand, war in den 50er und 60er Jahren ein heftig
diskutiertes Thema. Unzählige Veröffentlichungen verschiedenster Genres, von der Familiensoziologie bis zu den Beiträgen in Frauenzeitschriften, belegen dies.2
Die Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegsjahre hatten an Frauen Anforderungen gestellt, die
dem ihrer Stellung entsprechenden Weiblichkeitsideal und ihrer zugeschriebenen Rolle als tapfer opfernde, aber schutzbedürftige Mütter diametral entgegenliefen3. "Diese Leistungen", die
1 zu den Frauenausschüssen vgl. Hervé, 1988, 191ff
2 vgl. z.B. die Dokumentensammlung von Ruhl 1988
3 Ich möchte nochmals die Eingeschränktheit meiner Ausführungen betonen. Das im folgenden von mir nach gezeichnete Frauenbild ist nur für weiße, westlich-europäische Frauen gültig. Diese Frauen bilden die Grundmasse der 'Allgemeinheit', so wie ich sie hier verwende.
18
den sogenannten Trümmerfrauen zum Wiederaufbau des Lebens in den Nachkriegsjahren abverlangt wurden, "standen in krassem Gegensatz zu den tradierten bürgerlichen
Vorstellungen der biologisch begründeten Andersartigkeit von Frauen: Schwäche, Passivität,
Emotionalität und damit Bestimmung zu nicht-öffentlichem Leben."(Stiehr, 1991, 120)
Die erste Hälfte der 50er Jahre kann und muß als Ära der - erfolgreichen - Restauration traditioneller, vormals bürgerlicher, patriarchaler Geschlechterrollen betrachtet werden. Das bürgerliche Frauenbild, wie es sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte 1, wurde nach der
Kriegszeit mit ihren Auflösungserscheinungen als das allgemeingültige durchgesetzt. Die Geschlechtsrollenidentitäten wurden wieder aufgebaut und gefestigt, dies geschah unter besonderer Hervorkehrung des 'Weiblichen'. Diese Betonung ist in allen Bereichen zu erkennen, von
der durch den sog. New Look quasi-obligatorisch gewordenen 'femininen Linie' (vgl. Delille/Grohn, 1985a, 107ff) bis zur gesellschaftlich breit geführten Debatte über die Rolle der Frau
im Zeitalter ihrer Emanzipation.
Die Argumentationen bewegten sich dabei hauptsächlich um zwei Kernbereiche:
Ein zentrales Moment zur Wieder-Herstellung des Frauenbildes spielte die zu Beginn der 50er
Jahre (wieder-)aufgenommene 'Theorie' von der Polarität der Geschlechter 2. Mann und Frau
galten demnach als naturhaft einander entgegengesetzte Pole eines Ganzen, die sich komplettieren, und also auch nur in dieser Ergänzung Sinn finden. Den Polen wurden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, wobei der männliche Pol die allgemein-menschlichen Werte verkörperte und innehatte, der frauliche Pol die besonderen, eben weiblichen. Zu diesen Werten gehörten
Weichheit und Emotionalität, Schwäche und Schutzbedürftigkeit, Natürlichkeit gepaart mit
Reinheit und Keuschheit und der Wille zum Opfer (vgl DGB, 1993, 138).
Diese Wesenheiten der Frau und ihre Polarität zum männlichen Element führten zum anderen
Zentrum der Argumentation, der Mütterlichkeit. Mütterlichkeit war die Zusammenfassung der
oben genannten weiblichen Wesenheit, sie war deshalb der Kern des Weiblichen überhaupt.
"Vor allem mütterliche Aspekte bilden das sogenannte 'frauliche Element'. Daraus ergibt
sich, daß die Selbstverständlichkeit der Mutterschaft auf die Selbstverständlichkeit des weiblichen Geschlechtsrollenstereotyps überhaupt hinweist." (Feldmann-Neubert, 1991, 130) Sie
wurde als naturgegeben betrachtet und als einer der wichtigsten Werte der Gesellschaft idealisiert; mit ihr gab die Frau ihren Beitrag zur sozialen Ordnung.3
Auf der Ebene des konkret anzustrebenden Frauenleitbildes bedeutete solche Weiblichkeit in
erster Linie, daß Mutterschaft als selbstverständlicher Kern der Frauenrolle nicht in Frage gestellt wurde/werden konnte. Aus der Mutterschaft als Zentrum weiblichen Daseins ergab sich
in der Geschlechterrollenlogik der 50er Jahre die Ehe als für Frauen einzig anzustrebende Beziehungsform, und fortschreitend auch einzig legitime Daseinsform. Die Frauenzeitschriften
waren überfüllt mit Ratschlägen, wie 'er' zu kriegen, zu sichern und zu halten sei (vgl. z.B.
Grum, 1985, 140). Daneben spielten nur mehr Ratschläge zur Haushaltsführung und Kinderpflege bzw. -erziehung eine ähnlich gewichtete Rolle. Über die im Weiblichkeitsbild festgehaltenen Eigenschaften 'der Frau' wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb dieser
Ehe festgelegt. Die Frau in ihrer Emotionalität und Fürsorgebereitschaft hatte als ihre Lebens1 vgl. hierzu Hausen, 1976
2 wiederaufgenommen deshalb, weil diese Theorie, die im bürgerlichen 19. Jahrhundert entwickelt wurde, bereits um die Jahrhundertwende bis in der Zeit des 1.Weltkrieges in breiten Kreisen der Gesellschaft eine tragende Rolle gespielt hatte.
3 zur Ideologisierung von Mütterlichkeit siehe z.B. den Textauszug: Josef Mörsdorf, Gestaltwandel des Frauen bildes und Frauenberufs in der Neuzeit, München 1958, S.228f, abgedruckt in: Frauenalltag, 1980, 86f
19
welt das Heim und die Familie, sie sollte der Gegenpol zur feindlichen Außenwelt sein, in die
Mann und Kinder täglich heimkehren dürfen. Ihre Aufgabe war es, dieses Heim zu schaffen
und zu pflegen.
Daß diese Arbeitsteilung als naturhaft angesehen wurde, ist abzulesen aus allgemein angenommenen Aussagen zur Erwerbstätigkeit der Frau: Zwar war ihr das Recht auf Lohnarbeit grundsätzlich zugestanden, aber die außerhäuslich Erwerbstätige galt als 'nicht normal', als Ausnahmezustand oder als Notlösung mit Interimscharakter. In solchem Ausnahmezustand, d.h. im
Falle der Unfähigkeit des Ehemannes zur Versorgung 'der Seinen', war ihre Berufstätigkeit legitim, ja sogar gefordert; die Frau in solcher Lage galt aber als bedauernswert und 'tapfer'.
Ohne Frage strebte sie die Auflösung dieser Zwangssituation an, d.h. die Rückkehr zur Rolle
der 'Nur-Hausfrau'. Gleiches galt für die Nicht-Verheiratete; sie suchte mit allen Mitteln diesen
Zustand aufzuheben, also zu heiraten, und dann ihre Berufstätigkeit aufgeben zu können. Unter
dieser Prämisse galt auch die Erwerbstätigkeit von 'Ledigen' als - vorerst - nicht verachtenswert.1
Daß weibliche Erwerbstätigkeit nur von vorübergehender Bedeutung sein durfte, hat seinen
Grund auch darin, daß sie 'das Weibliche' gefährdete. "Die Kluft zwischen Rollenbild und tatsächlicher Erfordernis bringt die Vorstellung hervor, der Frau gehe in der harten Berufswelt
ein Stück ihrer Weiblichkeit verloren."(Feldmann-Neubert, 1991, 119) Die Härte der Erwerbs-Außenwelt war eine grundsätzliche Bedrohung der weiblichen Wesenheit, vor allem ihres Zentrums, der Mütterlichkeit. Gemeint war hiermit nicht nur die aktuell bestehende Mutterschaft, sondern im weiteren Sinne die Mütterlichkeit als Wesenszug. Das ergibt sich aus der
Behauptung, wie sie z.B. im unteren Zitat zum Ausdruck kommt, daß nicht nur die berufstätige
Mutter abzulehnen sei, sondern prinzipiell auch die Berufstätige ohne Kinder, denn: "Sogar bei
den erwerbstätigen Frauen ohne Kind glaubte W. Ellbracht von einem Absterben der angelegten Mütterlichkeit sprechen zu können, 'wenn sie durch einen frauen- und mütterfeindlichen Beruf jahrelang brachgelegt wird, wenn der Frondienst täglicher Brotarbeit zu wenig
Raum für ihre Entfaltung gibt'." (aus: Otto Speck: Kinder erwerbstätiger Mütter, Stuttgart
1956; zit. nach: Delille/Grohn, 1985a, 26)
Es gab allerdings zwei 'Tricks', die den Frauen angeboten wurden, um sich die Weiblichkeit zu
erhalten: Erstens die Wahl eines femininen Berufs, z.B. im Pflege- oder Sozialbereich, da hier
die Mütterlichkeit zum Tragen kommen könne. Zweites Gebot war der Erhalt der Femininität
gerade im Berufsleben. "Frauen dürfen in (fast) allen Berufen tätig sein, nur eines dürfen sie
dabei nicht: das alte Weiblichkeitsstereotyp antasten und 'vermännlichen'. Denn damit wäre
die auf Dauer angestrebte Rückkehr der familiären Geborgenheit mit Hausfrau- und Mutterglück gefährdet und die als vorübergehend gedachte Berufstätigkeit der Frau geriete zum
Dauerzustand."(Feldmann-Neubert, 1991, 121f) Hierzu gaben wiederum die Frauenzeitschriften zahlreiche Verhaltenstips. Unter Titeln in der Art von 'Gleichberechtigt und doch Frau geblieben' (vgl. Feldmann-Neubert, 1991, 130ff) wurde - nebenbei - noch klargemacht, daß weibliche Erwerbstätigkeit in den 50er Jahren mit Emanzipation gleichgesetzt wurde. Im Rückschluß, und auch darüber gaben die Ratgeber Auskunft, bedeutete diese Gleichsetzung, daß die
Gleichberechtigung der Frauen an den Grenzen zum privaten Bereich endete, daß sie sich in
der Berufstätigkeit der Frau erschöpfte. " ..., daß mit dem Terminus 'Gleichberechtigung' vor
allem die prinzipielle Möglichkeit der beruflichen Betätigung von Frauen gemeint ist, (noch)
nicht jedoch die Infragestellung oder gar Auflösung alter Konventionen im Privatbereich"(Feldmann-Neubert, 1991, 154). Im Privaten sollte die Frau 'ganz Frau bleiben', d.h. die
1 Zur Funktion dieser Aufteilung in Ideal- und Normalzustand und Ausnahmezustand, um Frau en für den Arbeitsmarkt disponibel zu erhalten, also Frauen als industrielle Reservearmee zu erhalten, vgl. Jurczyk, 1978, 3f
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geschlechtliche Rollenaufteilung wurde nicht bedroht. Gefährdet dagegen war die Frau, die
sich auch im Privaten emanzipieren wollte, denn sie setzte ihr Glück aufs Spiel: entweder bekam sie keinen Ehemann, oder sie würde ihn nicht halten können (vgl. Feldmann-Neubert,
1991, 159).
Zwei Aspekte möchte ich ausdrücklich betonen. Erstens ist das hier gezeichnete Frauenbild
zwar streng gültig, aber - auch von heterosexuell lebenden Frauen - keineswegs durchgehend
tatsächlich auch gelebt worden, sei es aus Zwang (z.B. wirtschaftlicher Not) oder bewußter
Entscheidung. Aber: "Interessant und bezeichnend für das ideologische Klima in diesen Fragen war, daß sie [die Lesebuch- und Filmmütter] offenbar trotzdem eine positive Identifikationsbasis für die Frauen selbst darstellten."(Langer, 1987, 122).
Zweitens weise ich nachdrücklich darauf hin, daß Restauration und Festigung dieses Frauenbildes ohne die Mitwirkung und das - wie auch immer herbeigeführte - Einverständnis der Überzahl der Frauen nicht möglich gewesen wäre; 'sie' waren mehr oder minder aktiv Beteiligte an
dieser Entwicklung.1 "Die überwiegende Mehrzahl der Frauen blieb ihrem Selbstverständnis
nach dem tradierten Frauenbild verhaftet."(Schubert, 1985, 104f)
Ob sich dieses Frauenbild bis zur Neuen Frauenbewegung ungebrochen fortsetzen konnte, oder
ob sich im Laufe der zwei Jahrzehnte Änderungen abzeichneten, die mehr als nur graduell sind,
darüber sind die Autorinnen verschiedener hier relevanter Untersuchungen uneinig.
Feldmann-Neubert (1991) stellt in ihrer Analyse der Zeitschrift 'Brigitte' die These auf, daß
sich die Inhalte des Frauenbildes zwischen 1949 und 1970 qualitativ verändert hätten, ohne daß
allerdings dadurch automatisch von einer Verbesserung für Frauen gesprochen werden könnte
(ebda., 52). Zur Stützung ihrer These führt sie aus, daß in den 60er Jahren gültig wurde, was
sich bereits in der zweiten Hälfte der 50er angedeutet hatte, nämlich eine Verabschiedung vom
Ideal der Nur-Hausfrau hin zum Ideal der doppelorientierten Ehe-Frau und Mutter (ebda.,
157).
Andere Arbeiten, z.B. Kochs Aufsatz 'Zwischen Konservatismus und Moderne: Mädchenerziehung in den 60ern' (1987), stellen fest, daß "auch die 60er Jahre großenteils noch in diesem
uneingeschränkt konservativen Geiste gewirkt (waren). Nach wie vor betrachtete man als vornehmste Aufgabe der Frau die Versorgung von Mann, Kindern und Heim."(ebda., 53)
Die Ursache dieser scheinbaren Uneinigkeit ist m.E. in einer Unklarheit der verwendeten Begrifflichkeiten zu finden2. So vermischt Feldmann-Neubert (1991) in ihrer Arbeit die Begriffe
Frauenleitbild und Weiblichkeit, wenn sie schreibt: "Die Hauptfragestellung der vorliegenden
Arbeit lautet: Wie verändert sich das Frauenleitbild (d.h. die normative Bestimmung von
Weiblichkeit) im Laufe der letzten Jahrzehnte vor allem im Hinblick auf weibliche Berufstätigkeit?"(ebda., 75). M.E. muß prinzipiell unterschieden werden zwischen dem, was in einer
Gesellschaft als Frauenleitbilder angepriesen wird, und dem, was als 'Wesen des Weiblichen an
sich' gefaßt wird. Dabei bezeichnet 'Weiblichkeit' die Summe der Eigenschaften, Fähigkeiten
und 'Wesenheiten', die den Frauen aufgrund ihrer 'Biologie' zugeschrieben werden, das Frauenleitbild ist eine (oder u.U. mehrere alternative) Lebenssentwurf-Vorgabe, denen die
entsprechenden Frauen konkret nachleben (sollen). Während also 'das Weibliche' die 'naturgegebenen' Eigenschaften und Aufgaben umreißt, handelt das Frauenleitbild konkreter von den
1 vgl. z.B. die Leserinnenbriefe an Constanze zum Thema Berufstätigkeit von Frauen, abgedruckt in: Frauenalltag, 1980, S.66ff
2 Arbeiten, die aus anderen Gründen zu unterschiedlichen diesbezüglichen Einschätzungen kommen, sind mir
nicht bekannt geworden.
21
aktuell zu erfüllenden sozialen Aufgaben der solcherart gestalteten Person 'Frau'1. Ich gehe davon aus, daß zwischen dem Leitbild 'der Frau' und dem, was mit Weiblichkeit in Verbindung
gebracht wird, eine Diskrepanz zwar nicht bestehen muß, daß dies aber oftmals der Fall ist.
Weiter gehe ich davon aus, daß diese Diskrepanz für die 50er und 60er festgestellt werden
kann, und daß dies der Grund ist für die erwähnte Diskrepanz der Ergebnisse.
Auf der Ebene der Bestimmung des Weiblichen ist eine relevante Änderung oder gar Besserung - im Sinne des Gegenstandes dieser Arbeit - im Laufe der zwei Jahrzehnte nicht feststellbar. Das Frauenbild hatte diesbezüglich ungebrochen Gültigkeit. Nach wie vor wurde allgemein von der Polarität der Geschlechter ausgegangen, auf die weiblichen Eigenschaften, die die
männlichen ergänzen, wurde weiterhin verwiesen. "Frauen werden als schwächer, passiver,
emotionaler betrachtet, ..., während Männer stark sind, führen und die Frau ernähren. (...)
Dort, wo alte Stereotype de facto schon wanken, z.B. bei weiblicher Unabhängigkeit oder
weiblichem Erfolg im Beruf, wird vor Unweiblichkeit beim Durchbrechen der Stereotype gewarnt."(Feldmann-Neubert, 1991, 190)
Allerdings haben sich - obwohl am Stereotyp grundsätzlich nicht gerüttelt wurde - innerhalb
des beibehaltenen Weiblichkeitsstereotyps die Schwerpunkte verändert: der Mittelpunkt von
Weiblichkeit der 50er Jahre - Mutter und Mütterlichkeit - verschob sich in Richtung EheMann. Er stand nunmehr in seiner Reproduktions- und Zuneigungsbedürftigkeit endgültiger als
zuvor im Mittelpunkt des weiblichen Wirkungskreises, zu seinen Gunsten mußten die Kinder
zurücktreten. Feldmann-Neubert sieht diese Tendenz schon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre einsetzen, sie beschreibt bereits für die Zeit ab 1955, daß der Ehemann keinesfalls vernachlässigt werden durfte (dies., 1991, 152), und folgert: Es "... findet sich in Phase II [19551964; I.B.] eine Fixiertheit am und Ausgerichtetheit auf den Mann, wie sie nicht einmal in
Phase I zu beobachten ist. ..., tritt in Phase II der individuelle Mann als der einzige Bezugspunkt weiblichen Handelns in den Vordergrund."(ebda., 154) Kinderlosigkeit war dadurch
nicht mehr so stark geächtet wie zuvor (ebda., 180). Das Weiblichkeitsideal veränderte sich insofern, als an die Stelle der 'keuschen' Mutter der 50er Jahre die für den Ehe-Mann sexuell attraktive Frau trat. "Neben das Bild der Hausfrau und Mutter ist allerdings schon in den sechziger Jahren das der jungen attraktiven, zum Teil berufstätigen Frau getreten. Bei diesem
neuen Leitbild rangiert die Präsentation der sexuellen Attraktivität von Frauen eindeutig vor
der Darstellung ihrer beruflichen Fähigkeiten ...."(Cornelissen, 1993, 66)
Hier wird angedeutet, daß sich auch das Frauenleitbild änderte, daß das Ideal der Hausfrauenehe zumindest nicht mehr ungebrochen Gültigkeit hatte. Es muß jedoch auf der Ebene der
Leitbilder eine weitere Unterscheidung getroffen werden, zwischen den von den RepräsentantInnen des Staates und der Wirtschaft propagierten Leitbildern und jenen, die von der Breite
der Bevölkerung adaptiert waren. Denn " ... der Wandel im traditionellen Rollenbild der Frau
hat ja tatsächlich zunächst in den öffentlichen Institutionen stattgefunden"(Feldman-Neubert,
1991, 48). Die Vollbeschäftigung (vgl. C.1. dieser Arbeit) machte Frauen, und zunehmend
auch verheiratete, als Arbeitskräfte unentbehrlich und erzwang so von Wirtschaft und Politik
eine gewisse Abkehr vom Modell der Hausfrauenehe. In diesem Zusammenhang gewann das
sog. 'Drei-Phasen-Modell' an Bedeutung, das von Myrdal und Klein bereits 1956 erstmals vorgestellt worden war2. Es teilte die Biographie einer Frau in drei Phasen auf, die Phase vor Ehe
und Geburt des ersten Kindes, die Phase der Kindererziehung und die Phase nach Beendigung
1 Der Begriff 'Frauenbild' umfaßt nach dieser Definition beide Teile, die Leitbilder und die
Wesensbestimmungen.
2 veröffentlicht in : Myrdal/Klein 1962
22
dieser Aufgabe. In der ersten und letzten Phase kann und/oder soll die Frau erwerbstätig sein,
in der zweiten Phase ist sie Hausfrau und Mutter. Im gleichen Zeitraum wurde das Schlagwort
von der 'Doppelrolle' populär, das ausdrückt, daß Frauen nunmehr auf Aufgaben in Familie und
Beruf hin sozialisiert werden (sollten).
Damit ist eigentlich schon gesagt, daß diese Änderung gerade keine Abkehr von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bedeutete, sondern für die Frau nur eine Erweiterung ihres
Aufgabenbereichs. Sie war nach wie vor die qua Biologie Zuständige für Familie und Haushalt,
zusätzlich sollte sie aber für die Wirtschaft als abhängig Beschäftigte verfügbar sein. Der Vorteil dieser Änderung war, daß die Berufstätigkeit von Frauen ihre prinzipielle Anrüchigkeit verlor; sie konnte nunmehr unter Erfüllung bestimmter Bedingungen (Femininität, Erfüllung der
fraulichen Pflichten in Haushalt und Familie) anerkannt sein. Es wird gleichwohl klar, daß ein
Wandel des Weiblichkeitsstereotyps mit dieser Verschiebung der Rollen gerade nicht stattfand,
auch nicht erforderlich war, sondern im Gegenteil: "Es [das 3-Phasenmodell] tastet das traditionelle Weiblichkeitsstereotyp nicht an, sondern sichert es eher noch unter den veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen ab."(Feldmann-Neubert, 1991, 54)
Die Rezeption dieser neuen Rollenmodelle fand auf seiten der Bevölkerung allerdings zunächst
nicht oder nur sehr minimal statt. Das Frauenideal der Hausfrau und Mutter erfuhr in der bundesdeutschen Allgemeinheit keinen relevanten Einbruch seiner Wirksamkeit, es bieb insgesamt
trotz dieser Veränderung in den öffentlichen Institutionen ungeschwächt bestimmend. Dies
zeigt z.B. die Arbeit von Pfeil aus dem Jahr 1961, deren empirische Untersuchung zum Ergebnis kam, daß eine überwältigende Mehrzahl der befragten Frauen, Berufstätige und Hausfrauen, die weibliche Erwerbstätigkeit für nicht normal hielt. Dies bedeutet für die frühen 60er: "Die
oben geschilderten Tendenzen zur Zementierung des Leitbildes der Nur-Hausfrau und
Mutter ... fanden ... ihre Entsprechung in der sogenannten allgemeinen Meinung und im
Selbstbild der weitaus meisten Frauen zu Beginn der 60er Jahre."(Langer, 1987, 116). Und
Dunckelmann resümierte in seiner Arbeit von 1961, daß auch mit einem stark ausgeprägten
Fortwirken früherer Leit-bilder zu rechnen sei, die sich im wesentlichen aus der Sorge um die
Bewahrung der überkommenen Daseinsformen der Familie ableiten (vgl. Textauszug Dunckelmann: Die erwerbtätige Ehefrau im Spannungsfeld von Beruf und Konsum, Tübingen 1961, in:
Frauenalltag, 1980, 102).
Die Leitbilder der Ehe-, Hausfrau und Mutter mit den ihr typischen weiblichen Eigenschaften
blieben also gültig, obwohl die zunehmende Realität von Frauenerwerbstätigkeit und Doppelrolle ihnen eigentlich den Boden entziehen hätte können. Aber: "Auch wenn die Frauenarbeit
stetig anstieg, hielt sich eisern die Vorstellung vom häuslichen Gehege als dem Reich der
Frau."(Plastrotmann, 1987, 57)
2.2. Das Familienbild
Mit dem Frauenbild eng verwoben ist das Familienbild der Zeit, galt die Familie doch, nach
klassisch patriarchalem Verständnis, als 'ihr' Reich. Die Familie stand somit, mitbedingt durch
die bereits in den späten 40ern als Gefahr konstatierten, kriegsverursachten Auflösungserscheinungen traditioneller, familiärer Lebensformen, vor allem in den 50er Jahren ebenso im Mittelpunkt des Interesses wie die Rolle der Frau.
Familie in diesem Sinne war eine auf der Ehe zwischen Mann und Frau basierende Lebensgemeinschaft, die durch die in ihr lebenden Kinder zur Familie wurde. Sie war also eine Gruppe,
in der zwei eine heterosexuelle Beziehung führende Erwachsene mit ihren Kindern zusammenlebten. "Sie gilt als 'vollständig', wenn beide Elternteile vertreten sind; als 'unvollständig',
wenn entweder Vater oder Mutter aufgrund von nichtehelicher Geburt der Kinder, Trennung
23
oder Verwitwung fehlt."(Herzer, 1988, 90) Das paarweise Zusammenleben - heterosexuell ohne eheliche Legitimation, homosexuell ohne die Möglichkeit der Legitimation, galt ebensowenig als Familie wie die kinderlose Ehe.
Der derart eingeschränkt definierten Familie wurden in den 50er und 60er Jahren gewichtige
gesellschaftstragende Funktionen zugeschrieben. Sie galt als der zentrale Ort der seelischen,
materiellen, emotionalen und generativen Reproduktion, als unverzichtbare Vermittlerin der
kulturellen Werte der BRD-Gesellschaft. Sie war somit Trägerin dieser Gesellschaft und dieses
Staates. Darüberhinaus wurde sie als letzter Halt in einer chaotischen Zeit idealisiert. Der
Rückgriff auf Familienbilder des 19. Jahrhunderts machte die Familie zum ruhenden, sicheren
Ort, zum Inbegriff von positiver Tradition. "Bar jeglicher historischer und gesellschaftlicher
Realität, wird hierbei so getan, als hätte es damals die glückliche und konfliktfreie Familie
gegeben."(Dreher, 1984, 361) Sie wurde als Gestalt gewordener Ort der Eintracht, der Harmonie und des Zusammenhalts idealisiert, sie war die Innenwelt, der Gegenpol zur harten Realität
der Gegenwart. "Hier drückt sich die Sehnsucht nach Kontinuität, nach Tradition aus, Anknüpfung an die Jahre vor dem Krieg."(Feldmann-Neubert, 1991, 126)
Hier wird die enge Verbindung und Bedingtheit von Frauen- und Familienbildern offensichtlich. Denn diejenige, die diese Werte - in persona - vermittelte, sowie die Harmonie und Behaglichkeit des Heims nach dem allgemeinen, d.h. überwiegenden Willen nicht nur der Führungspersonen, sondern der Gesamtgesellschaft, herstellen und aufrechterhalten sollte, war die
Ehe-Frau und Mutter der Familie.
Das Familienleitbild, d.h. die mehrheitlich vertretenen Vorstellungen darüber, wie Familie ganz
konkret ausgestaltet sein sollte, setzte in den 50er Jahren 'Vollfamilie' und 'Haus-frauenehe'
voraus. In dieser Versorgungsehe lebten idealerweise drei bis vier, auf jeden Fall aber mehrere
Kinder. Die kinderlose oder 'kinderarme' Ehe wurde gesellschaftlich abgelehnt (vgl. Dreher,
1984, 71).
In den 50er Jahren war bezüglich der Verhältnisse innerhalb der Familie eine - scheinbare Veränderung auszumachen. Es gab den Trend zur 'Partnerschaftsehe', die Kameradschaft wurde das Leitbild zur modernen Ehe und Familie. Hierbei war die Frau nicht mehr nur Hüterin
des Privaten, Gestalterin des Gegenstücks zur technisierten Außenwelt, sondern gleichzeitig
auch 'seine' Partnerin, Ansprechpartnerin für seine Sorgen und Gedanken. Nach FeldmannNeubert (1991, 134) waren dies jedoch Werte, die mit zunehmendem Wohlstand wieder verblaßten.
In den 60er Jahren, nach Feldmann-Neubert einsetzend bereits in der zweiten Hälfte der 50er
Jahre (vgl. ebda, 163), mutierte das Leitbild dahingehend, daß die Ehe-Frau, um Verständnis
und Kenntnis für 'seine' Welt aufzubringen, nicht mehr ausschließlich Hausfrau, sondern 'in vernünftigem Rahmen' auch erwerbstätig sein durfte oder sogar sollte. Dies korrespondierte mit
der oben dargestellten einsetzenden Doppelorientierung der Frauen und der zunehmenden Fixierung der Frau auf den Ehe-Mann.2
Dahinter wurde allerdings, vor allem aus konservativer Sicht, auch eine Kehrseite vermutet,
nämlich die Gefahr der Auflösung der innerfamiliären Ordnung. Untersuchungen kamen jedoch
zu dem 'beruhigenden' Ergebnis, daß die innerfamiliäre, patriarchale Hierarchie durch das neue
Leitbild nicht gefährdet war. "Wesentlich war jedoch die Erkennt-nis, daß ... die Überlegenheit des Mannes in Ehe und Familie (und zwar sowohl von den Männern wie auch den Frau1 Ich greife auf diese unveröffentlichte Diplomarbeit zurück, da sie eine für mein Thema außer gewöhnlich
brauchbare Fragestellung sehr konsequent verfolgt, wie ich es in dieser Form sonst nicht vorgefunden habe.
2 Es korrespondiert darüberhinaus selbstverständlich und sicherlich nicht zufällig auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der BRD.
24
en) unverändert für richtig gehalten wurde."(aus dem 1. Familienbericht, zit. n. Dreher,
1984, 71) Entsprechend stellt Jurczyk fest, daß es sich um einen 'Pseudowandel' (dies., 1976,
84) handelte, der keine wirkliche Veränderung brachte: "Wie der Kapitalismus ... Kapitalismus bleibt - mit veränderten Verhaltensanforderungen für die Subjekte -, bleibt auch die Familie patriarchalische Familie, wenn auch mit tendenziell angelegter Partnerschaftsideolgie
(Herv.i.O.)."(ebda., 68f)
Für die hier erörterte Frage ist schließlich zentral, daß das Familienbild, wie ich es skizzierte,
im gesamten zur Debatte stehenden Zeitraum mit massivem Ausschließlichkeitsanspruch bestand. Dieses Leitbild war ein Muß, Ehe und Familie waren die einzig akzeptierte und akzeptable Lebensform. "Die 50er Jahre brachten ... eine neue Welle der Familienideologie, die Ehe
und Familie als alleingültige Lebensform forderte."(Meyer/Schulze, 1985, 92) Diese Aussage
behält für die 60er Jahre Gültigkeit, denn: "Auch wenn es Diskussionen gibt, neigt man in dieser Phase [1963-1968; I.B.] noch eher zur konservativen Lösung."(Feldmann-Neubert, 1991,
182)
3. Die Frauen- und Familienpolitik der 50er und 60er Jahre.
Ich habe Frauen- und Familienbilder der 50er und 60er Jahre in relativer Ausführlichkeit dargestellt, um nunmehr auf dieser Grundlage zu belegen, daß diese Bilder durch die Frauen- und
Familienpolitik der 50er und 60er Jahre maßgeblich mitbestimmt wurden; daß namentlich die
sog. Familienpolitik Träger und Vorreiter bei der Durchsetzung dieser Bilder als Normen war.
Ich untersuche als Frauen- und Familienpolitik in vorliegender Arbeit im engeren Sinne nur die
politischen Maßnahmen seitens des Staates und seiner direkt an ihn gekoppelten Institutionen,
d.h. hauptsächlich die vom 1953 eingerichteten Familienministerium durchgeführten bzw. angeregten1. Frauen- und Familienpolitik ist gleichwohl mehr und umfassender als die Vorgaben
und Maßnahmen der entsprechenden staatlichen Stellen. Jedwede Politik und Ideologie muß in
breiteren als nur in den direkt an den Staat gebundenen Kreisen Anerkennung und Zustimmung
finden, aufgenommen und eigenständig weiterverbreitet werden, um die Wirksamkeit zu haben,
wie sie für die Frauen- und Familienpolitik der 50er und 60er Jahre festgestellt werden kann
(vgl. B.2. dieser Arbeit).
Die Bedeutung nichtstaatlicher Einflußträger, wie Kirche, Medien, Gewerkschaften etc. für den
Erfolg dieser repressiven Politik ist m.E. enorm. Ich stelle daher an den Anfang dieses Kapitels
den Hinweis, daß die Frauen- und Familienpolitik, wie sie unter den Ministern Wuermeling und
Heck betrieben wurde, den Grad ihrer Wirksamkeit niemals hätte erreichen können, wenn sie
nicht in ihren Grundprinzipien - geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Mütterlichkeit als zentraler Wert des Wesens Frau, Ehe und Familie als einzig legitimer Mittelpunkt weiblicher Lebensgestaltung2, von all diesen gesellschaftlichen Gruppierungen mitgetragen worden wäre.
Darauf näher einzugehen, wäre mir ein besonderes Bedürfnis gewesen, aber die Darstellung
1 Seine Kompetenzen blieben zumindest in den ersten Jahren sehr beschränkt, so daß die meisten Maßnahmen
von anderen, hauptsächlich dem Finanz- und Innenministerium, umgesetzt wurden. Das Familienministerium
erwarb sich aufgrund seiner beschränkten Eigenmittel bei gleichzeitig wachsendem Einfluß auf viele andere
Ressorts auch den Beinamen 'Wachturmministerium' (vgl. Joosten, 1990, 30).
2 Zwangsheterosexualität wird in von mir in dieser Aufzählung als zentraler Wert deshalb nicht genannt, weil
sie, im Gegensatz zu den hier aufgezählten, nicht explizit eingefordert wurde. Vgl. auch B.3. und B.4. dieser
Arbeit.
25
der Positionen und der Rolle dieser - auch 'fortschrittlichen' - Kräfte in Politik und Gesellschaft
sprengte den Rahmen dieser Arbeit über die Maßen. Der Beitrag dieser Kräfte zu einer implizit
antilesbischen und explizit frauenfeindlichen Politik der 50er und 60er Jahre bedarf gesonderter
detaillierter Untersuchung.
Zum Begriff 'Frauen- und Familienpolitik' 1
Ein Ausgangspunkt meiner Arbeit ist, daß Familienpolitik, explizit in ihrer Ausprägung in der
BRD der 50er und 60er Jahre, entscheidend auf den sozialen Status und die Rollen der Frau
einwirkte.
Bürgerliche Familienpolitik ist immer auch Frauenpolitik, da die bürgerliche Ideologie die Frau
als den Mittelpunkt der Familie, als 'ihr Herz'2 betrachtet und dieser Logik folgend Frauen zum
Schwerpunkt von Familienpolitik werden (vgl. Delille/Grohn, 1985a, 12).
Die Familienpolitik der BRD in den 50er und 60er Jahren war darüberhinaus auch deshalb
Frauenpolitik, da die konstatierte Krise der Familie, die es durch die Familienpolitik zu bekämpfen galt, neben den gesellschaftlichen Bedingungen durch den Krieg und dem 'übersteigerten Konsumstreben' der Individuen maßgeblich der Gleichberechtigung der Frau zur Last
gelegt wurde (vgl. Dreher, 1984, 2f). Damit wurde Familienpolitik zur Frauenpolitik in dem
Sinne, daß mit ihrer Hilfe die Emanzipation der Frau abgefangen und kanalisiert, die Domestizierung der Frau stabilisiert und ausgebaut werden sollte. "Familienpolitik, eine Erscheinung
des 20. Jahrhunderts, wurde zu einem zentralen politischen Instrument, um die Beschränkung
der Frau auf die familiale 'Sphäre' als funktionalen Bestandteil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten." (Joosten, 1990, 7)3.
Entwicklung und Grundzüge der Frauen- und Familienpolitik der BRD
Das 1953 gegründete Familienministerium als maßgeblicher Träger von Frauen- und Familienpolitik entstand nicht aus dem politischen Nichts, sondern war die Umsetzung von Forderungen konservativer und klerikaler Kreise an die Regierung Adenauer (vgl. Jurczyk, 1976, 108).
Seitens solch einflußreicher Kreise bestand von Anfang an reges Interesse an verstärkten politischen Maßnahmen zur Restauration und Stärkung der Familie als Zelle des Gemeinwesens.
Die beiden großen christlichen Kirchen, vor allem die katholische, hatten am Aufbau der CDU
großen Anteil und entsprechend war ihr Einfluß auf die Regierungspolitik ab 1949. Allerdings
konnten sich christliche Prinzipien in der Politik der Bundesregierung nur dort durchsetzen, wo
sie nicht mit machtpolitischen, ökonomischen oder militärischen Interessen kollidierten (vgl.
Joosten, 1990, 33f). Dies war besonders in der Frauen- und Familienpolitik der Fall. "Das Gebiet, auf dem sich kirchliche Vorstellungen durchsetzen konnten, war die Familienpolitik, ein
Bereich, der ein zentrales Anliegen beider Konfessionen darstellte."(Joosten, 1990, 34) D.h.,
Frauen- und Familienpolitik war unter christdemokratischer Regie von Anfang an das politi1 Ich bin mir einer gewissen Problematik des Begriffs bewußt, da durch die in der Öffentlichkeit immer wieder
benutzte Formel - mindestens von konservativer Seite - der Eindruck einer na türlichen Einheit von 'Frau' und
'Familie' erweckt werden soll. Trotzdem scheint mir die Verwendung des Begriffs aus im folgenden genannten
Gründen und unter Beachtung der Problematik praktikabel und hilfreich.
2 "Die Mutter, das segenspendene Herz der Familie" ist ein Ausspruch Wuermelings anläßlich einer von ihm
gehaltenen Muttertagsrede. Nachzulesen in: Muttersein in dieser Zeit, in: Wuermeling, 1963, S.25
3 vgl. zum Zusammenhang von Frauenleitbild und Frauenrolle mit Familienpolitik neben Delille/ Grohn,
1985a auch Joosten, 1990, 7ff; Langer, 1985, 110ff.
Ich behaupte damit nicht, daß Familienpolitik ausschließlich zu diesem Zweck betrieben wurde und wird.
Eventuell vorhandene andere Motivationen zur Ausübung von Familienpolitik sind aber für den Gegenstand
meines Interesses nicht vorrangig relevant.
26
sche Ressort, das von den konservativen ideologischen Vorstellungen innerhalb der CDU über
Staat, Gesellschaft, Frau und Familie am entscheidensten geprägt werden konnte. Das stellen
auch Eilers und Schanzenbach fest, indem sie schreiben, "..., daß die Familienpolitik, oder
das, was innerhalb dieses politischen Feldes angestrebt werden soll, von den jeweiligen
politischen Wunschvorstellungen und Ideologien geprägt wird, und zwar sehr viel stärker als
andere politische Bereiche. Und von daher ist es nahezu überflüssig darauf hinzuweisen, daß
die Familienpolitik in der Bundesrepublik während ihrer zwanzigjährigen Nachkriegsgeschichte von den ideologischen Zielvorstellungen der CDU/CSU entscheidend bestimmt
war."(Eilers/Schanzenbach, 1977, 232)
Zwischen 1950 und 1954 gründeten sich in der BRD die vier großen Familienverbände, mit denen das Familienministerium in der Folgezeit eng zusammenarbeitete. Sie wurden einer der
maßgeblichen nichtregierungsabhängigen Träger und Mitgestalter der Frauen- und Familienpolitik der 50er und 60er Jahre (vgl. Ruhl, 1988, 108). Parallel dazu gründete Wuermeling,
noch nicht Minister, innerparlamentarisch die 'Kampfgruppe für die Familie', von der er sagte:
"Ich möchte hoffen und wünschen, daß die kleine 'Kampfgruppe für die Familie', die ich im
ersten Bundestag ins Leben gerufen habe, sich über alle Partei- und Standesgrenzen hinweg
auf den gesamten Bundestag ausweite, indem jedes Mitglied des Bundestages sich zutiefst der
einzigartigen sittlichen und volklichen Aufgabe und Bedeutung unserer Familien, unserer
Mütter und Väter bewußt wird und damit in eine gemeinsame große Kampffront für unsere
Familie eintritt." (Wuermeling, zit. nach Haensch, 1969, 74)
Das Motiv für die Gründung des Familienministeriums war also einerseits ein Eingehen der Regierungspartei auf die Wünsche klerikaler und konservativer Kreise (insofern parteipolitisches
Kalkül), andererseits auch die Einsicht in die Notwendigkeit des konzeptvollen Handelns aus
staatspolitischer Sicht (vgl. Jurczyk, 1976, 105ff). Die Frauen- und Familienpolitik der 50er
und 60er Jahre war in erster Linie nicht Sozial-, sondern Staatspolitik, die ordnungspolitische
und staatserhaltende Funktion der Familie, mit ihrem Kern der weiteren Domestizierung der
Frau, war das Zentrum des regierungspolitischen Interesses an der Familie1. Im Mittelpunkt
standen nicht die Bedürfnisse von Familien, sondern die Bedürfnisse und Erwartungen des
Staates an Familie. "Familienpolitik ... (erstrebt) intentional die Stützung der gesellschaftlichen Funktionen der Familie. Familienpolitik 'fördert' die Familien nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen ihrer politischen Bedeutung."(Haensch, 1969, 11) Diese Förderung hatte
zwei Richtungen: einerseits sollten andere Lebensformen als Familie in der oben definierten
Form erschwert und möglichst verunmöglicht, andererseits Anreize geschaffen werden, die
Gründung und Verbleib in solcher Familie erleichtern sollten (vgl. Kapitel C.3.1. dieser Arbeit).
Die politische Bedeutung der Familie als Keim- und Ordnungszelle des Staates, als primäre
Trägerin gesellschaftlicher Normen und Hierarchien war Ausgangspunkt der Wuer-melingschen Familienpolitik. "Diese Doppelaufgabe hieß einerseits, als 'Keimzellen der Völker' und
'natürlicher Lebensquell des Volkes' die biologische Reproduktion der Ge-sellschaft zu erfüllen, andererseits als 'erste Ordnungszelle' die 'Bewahrung und Bewäh-rung für die ganze sittliche Ordnung in Staat und Gesellschaft' zu garantieren." (Joosten, 1990, 29) Familie war al1 zur staatspolitischen Motivation der Familienpolitik vgl. besonders die bereits 1969 erschienene Arbeit von
Haensch. Er geht in seiner Arbeit auch ausführlich auf den ausgeprägten Klassencharakter der Familienpolitik
ein. Ich verweise zum Aspekt der systematischen Benachteiligung der unteren Schichten durch die Familienpolitik auf seine Ausführungen, besonders auf S.112ff .
27
so förderungswürdig in ihrer Bedeutung als Kampfmittel gegen gesellschaftsverändernde Tendenzen. Die patriarchale bürgerliche Familie galt ihm als Mittelpunkt des Staates und der Gesellschaft, was bedeutete, daß für ihren Erhalt gekämpft werden mußte, da, wäre eine Wandlung zugelassen worden, die Veränderung auch des Staates und der Gesellschaft
unvermeidbare Folge gewesen wäre. Deutlich wurde diese Aufgabe von Familie besonders im
Zusammenhang mit Wuermelings Antikommunismus; er verstand im Zeitalter des Kalten Krieges "Familienpolitik ... als wichtige Ergänzung militärischer Verteidigungspolitik"(Haensch,
1969, 75). Von Heck wurde diese Aufgabe als nicht minder bedeutsam begriffen: "Die kollektivistische Gefahr droht überall dort, wo die personalen Pflichten und Geborgenheiten ausgehöhlt werden - und dort zuerst, wo man mit der Familie nicht rechtes mehr im Sinn
hat."(Heck, zit. nach Haensch, 1969, 137)
Franz-Josef Wuermeling war als erster Familienminister die Personifizierung der konservativen
und streng-christlichen Prägung der Familienpolitik. Er gab als aktiver, papsttreuer Katholik,
Mitglied im 'Treuebund für den heiligen Vater', Fides Romana, und der 'Laienvereinigung katholischer Männer diesem Ressort die traditionelle christlich-bürgerliche Ideologie zur Grundlage.
Auf die Entwicklung unter Wuermelings Nachfolger Heck (12/1962-10/1968) gehe ich im folgenden nur insoweit ausdrücklich ein, als sie sich von der seines Vorgängers unterschied. Diese
Vorgehensweise rechtfertigt sich m.E. durch die Tatsache, daß die Politik unter Heck sich im
Wesen nicht veränderte, sondern sich lediglich die Schwerpunkte verschoben. "Unter Heck änderte sich wenig an der ideologischen Grundkonzeption der Familienpolitik. Sie ist weiter als
Staats- und Gesellschaftspolitik konzipiert."(Haensch, 1969, 122) Zwar sah sich Heck, vielmehr noch als Wuermeling, mit wirtschaftlichen Forderungen nach Einbeziehung auch
verheirateter Frauen ins Erwerbsleben konfrontiert. Maßnahmen zur Durchsetzung der Hausfrauenehe blieben bei ihm deshalb aus; nicht jedoch, wie noch zu zeigen ist, die Fortführung der
Propagierung des Haushalts, der Ehe und Familie als weibliche Lebenswelt. Schwerpunkt unter
beiden Ministern war die Festschreibung der Rolle und der Struktur der Familie, und damit
auch der Rolle der Frau, und die Durchsetzung dieser Festschreibungen als allgemein- und alleingültige Lebensform.
Wie, d.h. maßgeblich mittels welcher Instrumentarien, beide Minister dieses Ziel anstrebten, ist
im folgenden Thema.
3.1. Instrumente der Frauen- und Familienpolitik
Die Frauen- und Familienpolitik der BRD in den 50er Jahren war, wie schon erwähnt, finanziell
und bezüglich eigenständiger Kompetenzen eher knapp bedacht. Konkrete wirtschaftliche oder
rechtliche Maßnahmen, die das Ressort durchzusetzen vorhatte, mußten meist von anderen,
namentlich dem Justiz-, Innen-, Wirtschafts- oder Finanzministerium, abgesegnet werden. 1957
stellte sich eine für Bruno Heck's Politik bedeutsame Kompetenzvergrößerung durch die Erweiterung des Ministeriums um das Jugendressort ein. Die oben skizzierte Grundtendenz blieb
aber auch in den 60er Jahren erhalten.
Es stellt sich somit die Frage, ob nicht angesichts dieser Tatsachen dem Ministerium ohnehin
nur reine Alibifunktionen zukam und es dementsprechend keine eigentliche Relevanz für die
Entwicklung der Gesellschaft und des Staates BRD hatte. Und ob nicht die deshalb meine Fragestellung mit der Kompetenzlosigkeit des entsprechenden Hauses schon beantwortet ist.
Es ist dies nicht der Fall. Untersuchungen über die Bedeutung und Politik des Familienressorts
für die 50er und auch für die 60er Jahre ergaben, daß der Einfluß und die Bedeutung dieses
Ressorts gerade auf dem Gebiet der Ideologie lagen, respektive ihrer Verbreitung durch Öf-
28
fentlichkeitsarbeit und Propaganda1. Wuermeling unternahm während seiner Amtszeit die
größten Anstrengungen, um in unzähligen Vorträgen, Zeitschriftenartikeln u.a.m. seine Ansichten zu verbreiten. "Allein in den Jahren 1953 bis 1957 brachte er es - nach eigenen Angeben auf 450 Vorträge in der Öffentlichkeit." (Joosten, 1990, 37). Hierfür waren weder Gelder
noch Einverständnis anderer ministerieller Ressorts erforderlich, und dank der bereits angedeuteten Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen wie den Familienverbänden und den
christlichen Kirchen - die unter Heck weitergeführt wurde - überhaupt vergleichsweise wenig
staatliche Mittel.
Jurczyk unterscheidet in ihrer Untersuchung explizit zwischen drei Instrumenten der Familienpolitik: Ideologie, Recht und Wirtschaft, und untersucht diese auch getrennt voneinander (vgl.
Jurczyk, 1976, 13ff). Münch macht eine sehr ähnliche Unterscheidung, wenn sie von den familienpolitischen Instrumenten Geld, Recht und Kommunikation ausgeht (Münch, 1990, 146),
ebenso Joosten, die feststellt, daß "Minister Wuermeling seine Familienpolitik in eine
"ethisch-sittlich" Seite und die wirtschaftlich-materielle sowie rechtliche Seite der Familie
(unterteilte)" (Joosten, 1990, 37). Und sie stellt weiter fest, daß er selbst "ethische und sittliche" Fragen als primäres Problem familienpolitischer Arbeit einstufte und "wirtschaftliche und
rechtliche Fragen in seinen Überlegungen erst an zweiter Stelle (standen)."(ebda.) Auch
Haensch bestätigt diese von Wuermeling selbst gesetzte Betonung des Ideologischen in seiner
Arbeit, wenn er Wuermeling zitiert mit: "Über allen wirtschaftlichen Erwägungen und Maßnahmen steht das Sittengesetz als wichtigste Grundlage von Familie, Volk und Staat."(Wuermeling: Staatliche Familienpolitik, in: Bonner Hefte 8, 1953, S.6; zit. nach: Haensch, 1969,
79)
Ich schließe mich der analytischen Trennung der familienpolitischen Instrumente an und untersuche im folgenden die wirtschaftlichen und rechtlichen Maßnahmen getrennt von dem großen
ideologisch/propagandistischen Anteil.
Ideologie/Öffentlichkeitsarbeit
"Ideologie ist immer und ursprünglich per definitionem Instrument zur Durchsetzung gewisser Interessen."(Feldmann-Neubert, 1991, 47) Ideologie in diesem Sinn kann als Mittel zur
Durchsetzung eines politischen und/oder gesellschaftlichen Ziels aber nur dann wirksam sein,
wenn sie - möglichst energisch - verbreitet wird. In diesem Sinne ist auch Jurczyk zu verstehen,
wenn sie Ideologie als Mittel zur Durchsetzung von Familienpolitik analysiert und beschreibt
(vgl. Jurczyk, 1976, 13f und 90ff). Das familienpolitische Instrument, das hier behandelt wird,
müßte korrekterweise 'Ideologie, verbreitet mittels Kommunikation und/oder Öffentlichkeitsarbeit' genannt werden; der Lesbarkeit halber verwende ich im folgenden aber den Begriff Ideologie bzw. Öffentlichkeitsarbeit.
Wuermeling bekannte sich zur Öffentlichkeitsarbeit, der "ethisch-sittlichen Seite"(Joosten,
1991, 37) seiner Politik, als seinem zentralen familien- (und damit auch frauen-) politischen Instrumentarium.
Auf sein Frauen- und sein Familienbild möchte ich hier nur noch insoweit eingehen, als ich belege, wie weitestgehend beide mit den von mir aufgezeigten gesellschaftlich gültigen Bildern
(Kapitel C.2.1.) übereinstimmten, und ich mich deshalb andernfalls in Wiederholungen ergehen
müßte2.
1 vgl. zu dieser These Haensch, 1969; Jurczyk, 1976; Delille/Grohn, 1985a
2 Diese weitestgehende Deckungsgleichheit der Bilder darf nicht darüber hinweg täuschen, daß es sich hier
nicht um die gleichen Sache handelt: die gesellschaftlich gültigen Normen, wie ich sie für Frau und Familie in
C.2.1. darstellte, müssen nicht zwangsläufig mit den staatlich propagierten übereinstimmen. Daß in diesem
29
Als "kämpferischer Katholik"(Joosten, 1990, 34) vertrat der Minister ein Familienmodell, in
dessen Kern die ungleiche und hierarchische Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau
stand. Er begründete diese Ungleichheit mit der natürlichen und damit unveränderlichen Ungleichheit der Geschlechter, die sie zu verschiedenen Aufgaben bestimme. Familie bezeichnete
er als "eine vom Schöpfergott gewollte und mit höchster Weisheit gesetzte natürliche Ordnung"(Wuermeling 1963, 106f). Die Partnerschaftsideologie, und das ist eine Abweichung von
der sonstigen Übereinstimmung der Bilder (s.o.), findet bei Wuermeling keine Annahme (vgl.
Jurczyk, 1976, 96). Für Wuermeling galt jede Abweichung von der gottgegebenen Ordnung als
widernatürlich. "Andere Lebensformen fanden in Wuermelings Familienbild keine Beachtung,
es sei denn als negativ bewertete Abweichung von der Norm."(Joosten, 1990, 38)
An Frauenrollen gab es für Wuermeling entsprechend nur Ehefrau, Hausfrau und Mutter (vgl.
Joosten, 1990, 41). "'Frau sein' bedeutete für ihn das Wirken als 'verständnisvolle Lebensbegleiterin des Mannes und Vaters' (Wuermeling, 1959, 25) und als pflegende und aufopfernde
Erzieherin der Kinder."(Delille/Grohn, 1985a, 69)
Wichtiger in diesem Kapitel erscheint mir das Herausarbeiten der Ansatz- und Schwerpunkte
seiner Öffentlichkeitsarbeit, und welcher Mittel er sich zur Verbreitung seiner Ideologie bediente.
Aus seinem Frauenbild, Ehefrau und Mutter als Zentrum der Familie, ergab sich in der Logik,
daß Frauen der primäre Ansatzpunkt seiner Politik waren: "Da Frauen weiterhin vorrangig
für die Familie zuständig sind und ihre notbedingte Berufstätigkeit nichts an ihrer eigentlichen Bestimmung ändert, erscheint es nur logisch, zur Stabilisierung der Familie zuerst die
Frauen an ihre Familienpflichten zu erinnern."(Feldmann-Neubert, 1991, 118) Wuermelings
Familienpolitik war in diesem Sinne in erster Linie Frauenpolitik. "Ausschließlich die Frau
sollte in ihrer traditionellen Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter die Anforderungen an
die Familie erfüllen. Damit wurde sie direkt und indirekt zum Mittelpunkt von Familie und
Familienpolitik."(Joosten, 1990, 70)
Einer der Schwerpunkte seiner Öffentlichkeitsarbeit war entsprechend die Idealisierung und
Überhöhung der traditionellen und von ihm gewünschten Rollen der Frau. Als "Herz der Familie"(Wuermeling, 1954, 22) und "nie versiegende Quelle echten menschlichen Glückes und
innerer Zufriedenheit"(ders., 1959, 25) erfülle 'die Frau' vor allem ihre Mutteraufgaben mit
ganzer Hingabe. Diese selbstlose Aufopferung, "die Gabe und Aufgabe der Selbsthingabe und
Selbstverleugnung um höherer Ziele willen ist es auch, die die Mutter zur verständnisvollen
Lebensbegleiterin des Mannes ... werden läßt"(ebda.). Er forderte die Aufwertung des 'Mutterberufes' in der Gesellschaft, um den Frauen den Weg in das 'Nur-Hausfrauen'-Dasein zu erleichtern und bezeichnete es als ihr Glück, "ganz im Hause und für die Familie leben zu können"(Wuermeling, 1959, 27).
Verbunden mit der überhöhten Mutterrolle ist die Mehrkinderfamilie sein familienpolitisches
Ideal (vgl. Joosten, 1990, 70). Die Erhöhung der Kinderzahl pro Familie war ein Hauptziel seiner Politik, in der Öffentlichkeitsarbeit angestrebt durch die Behauptung, daß erst mehrere Kinder der Familie zu wahrem Glück verhülfen und ihre Stabilität garantierten. Ich schließe mich
Haensch an, der die tatsächliche Wirkung des 'Kinderreichtums', die Wuermeling als glücksbringend verschleierte, als "die Erreichung der wirtschaftlichen Abhängigkeit, sexuellen Unterdrückung und ... Verhinderung der Emanzipation der Frau"(Haensch, 1969, 89) erkennt.
Gegen Kinderlosigkeit und -armut erging der Minister sich in "immerwiederkehrende wütenFall staatliche und gesellschaftliche Ebene mehr oder minder identisch sind, bedeutet die Wirkung beider Ebenen in die gleiche Richtung und erhöht damit ihre Durchsetzungskraft.
30
den Attacken", in denen er sie als "Verantwortungslosigkeit, Materialismus, Egoismus und
Genußsucht"(Haensch, 1969, 94) identifizierte.
Die Überhöhung der Mutterrolle zur Berufung und die ideologische Verschleierung der Wirkung mehrerer Kinder in solcher Familie auf die Frau war die eine Seite seiner intensiven Propagandatätigkeit gegen die Gleichberechtigung. Dabei versuchte er die Mutter gegen die
Gleichberechtigung auszuspielen: "Da wird heute so viel von der Gleichberechtigung der Frau
geredet, aber so wenig von dem höchsten und schönsten Beruf der Frau und Mutter in der
Familie"(Wuermeling, 1959, 31) und die Frauen selbst zu Mitkämpferinnen zu animieren: "Ich
glaube kaum, daß irgendeine Frau und Mutter formale Gleichberechtigung, wie sie von einigen Seiten gefordert wird, überhaupt will. Eine Frau und Mutter empfindet schon die Zunahme ihres Einflusses in der Familie als eine steigende Belastung mit Aufgaben und Verantwortungen für die gesamte Familie." (Wuermeling, 1954, 21f)
Das abwertende Gegenstück dazu waren des Ministers Angriffe auf die Erwerbstätigkeit der
Frau im allgemeinen und der Mutter im besonderen. Er wertete Frauenlohnarbeit als Fabrikund Büroarbeit von geringem wirtschaftlichem Nutzen ab, um im gleichen Atemzug für die Familie und das Gemeinwohl von Staat und Gesellschaft einzufordern, "der Frau und Mutter den
Verzicht auf familienfremde Tätigkeit so weit wie möglich zu erleichtern"(Wuermeling, 1959,
30). Er akzeptierte weibliche Erwerbsarbeit allenfalls als "bedauerlichen Ausnahmezustand"(Maier, 1993, 273), und warnte die Frau, da sie in der Lohnarbeit tendenziell "ihre
Fraulichkeit zum Opfer bringe"(Wuermeling, zit. nach Joosten, 1991, 43). Er kritisierte die
berufstätige 'Frau und Mutter' scharf (vgl. Joosten, 1991, 45) und versuchte, erwerbstätigen
Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen, sie durch die 'Erkenntnis', daß sie ihre Natur und
"Berufung von unermesslicher Tragweite" (Wuermeling, 1962, 73) verletzten, zur Aufgabe
der außerhäuslichen Arbeit zu bewegen. "Seine Ablehnung der Müttererwerbsarbeit versuchte
er nicht durch rationale Argumente darzulegen, sondern in einer ideologischen Aufbereitung
des herkömmlichen Mutterbildes und einer wahrhaften Dämonisierung der erwerbstätigen
Mutter. Über die Erzeugung von Schuldgefühlen versuchte er, auf das Bewußtsein berufstätiger Frauen einzuwirken, worin ihn viele gesellschaftliche Institutionen massiv unterstützten."
(Delille/Grohn, 1985a, 70) Zur Unterstützung seiner ablehnenden Haltung gegenüber der
Frauenerwerbsarbeit zog er in Vergleichen immer wieder die DDR heran (vgl, z.B. Wuermeling, 1954, S.22f) und bezeichnete Frauenerwerbsarbeit als Spezifikum kommunistischer Länder (vgl. Haensch, 1969, 107). Es ist m.E. allerdings unklar, ob er die Frauenerwerbstätigkeit
als Mittel für die Verbreitung seines Antikommunismus oder den weitverbreiteten Antikommunismus als Mittel gegen die Frauenerwerbstätigkeit einsetzen wollte. Fraglos stand beides in
Wechselwirkung zueinander und "Wuermeling kann ... auf eine abschreckende Wirkung rechnen"(ders., 108).
Ein weiteres Thema seiner Öffentlichkeitsarbeit war die Erziehung zu Enthaltsamkeit und Konsumverzicht. Er vertrat eine dezidiert konsumfeindliche Haltung, argumentierte gegen den 'Materialismus unserer Zeit' und die 'Gier nach individuellem Genuß' (vgl. z.B. Wuermeling, 1962).
Den "vielfältigen Verlockungen"(Wuermeling, 1959, 26) zu widerstehen, erklärte er wiederum
zur Aufgabe der 'Frau und Mutter': "Mutter sein in dieser Zeit - was bedeutet das also? Es
heißt zunächst: Maß halten in einer maßlosen Zeit"(Wuermeling, 1959, 29). Zu diesen vielfältigen Verlockungen zählte er explizit und besonders auch die Frauenerwerbstätigkeit, der die
'Frau und Mutter' mit der "echten Gesinnung"(Wuermeling, 1959, 32) widerstehe (vgl. ebda.,
26). In der Umkehrung sanktionierte er so erwerbstätige Frauen, deren Wünsche sich nach seiner Auffassung per se nicht an der Familie orientierten, indem er sie "materialistisch und
31
egoistisch" (Delille/Grohn, 1985a, 69) nannte.
Darüberhinaus erscheint mir die von Haensch in seiner Arbeit vertetene Auffassung plausibel,
daß diese Genußfeindlichkeit Wuermelings maßgeblich auch Sexualfeindlichkeit war, die so,
ohne daß der Tabubereich Sexualität überhaupt Erwähnung zu finden brauchte, mitverbreitet
wurde (vgl. Haensch, 1969, 98ff).
Wuermeling zeichnete in seiner Öffentlichkeitsarbeit ein idealisiertes Bild von der 'heilen' Familie, in der - den Erhalt der natürlichen Autoritäten, d.h. der ehe-männlichen und väterlichen
Vormachtstellung vorausgesetzt (vgl. Wuermeling, 1954, 20f) - "individuelle, sich widersprechende Interessen nicht existierten"(Joosten, 1990, 45). Das Einfügen und Verbleiben in dieser
Ordnung sollte deshalb seinen Aussagen nach für die Frau auch nur Vorteile bringen (vgl.
Joosten, 1991, 45). Die komplementär betriebene Tabuisierung aller alternativen Lebensformen
(vgl. Delille/Grohn, 1985a, 130) sollte seinen Worten zusätzlich Geltung verleihen.
Das Schema seiner Propaganda war also, wie aus meiner Darstellung hervorgeht, durch alle
Einzelthemen, sei es nun die Hausfrauenrolle oder die Enthaltsamkeit, dasselbe: die seinen
Zwecken entsprechenden Vorstellungen idealisierte er, überhöhte sie und verhalf ihnen zu
weltanschaulich untermauerter gesellschaftlicher Aufwertung. Den Hauptbetroffenen, d.h. den
Frauen, versprach er positive Sanktionierung, 'Belohnung', sofern sie seinen Vorgaben entsprachen. Für alle diejenigen, die seinem absolut gesetzten Lebensentwurf nicht entsprachen, sei es
aus Notwendigkeit oder freier Entscheidung, hielt er das Pendant der negativen Sanktionierung
bereit, er versuchte die Abwertung aller möglichen anderen Entwürfe, drohte mit Verfall und
der Kennzeichnung als unsittlich und unsozial.
In der Praxis bestand Wuermelings ideologische Tätigkeit aber nicht nur aus seinem unermüdlichen Sendungsbewußtsein, sondern zu einem wesentlichen Teil in der engen Zusammenarbeit
mit den christlichen Kirchen und den Familienverbänden. Die Kirchen machten Frauenrolle und
Familie zu ihrem Hauptthema und vertraten sehr konservative Standpunkte, die im wesentlichen mit den Wuermelingschen übereinstimmten.(vgl. Joosten, 1990, 34) Die Kirchen konnten
ihren historisch und aktuell gerade auf Frauen großen Einfluß 'zum Wohle' beider geltend machen.
Die Zusammenarbeit mit den Familienverbänden erwies sich als ebenso fruchtbar. Die grundsätzliche Übereinstimmung war ebenfalls gegeben: "Schwerpunkt ihrer Arbeit war die ideologische Aufwertung der Funktion der Frau als Mutter in der Familie."(Delille/Grohn, 1985a,
79)
Wuermeling fand in den Kirchen und den Familienverbänden somit wichtige Bündnispartner für
seine Politik. "Auch in seinem Amt als Familienminister betonte Wuermeling die enge Bindung zwischen den Kirchen und dem Ministerium. Er bezeichnete sie als seine 'besten und
wichtigsten Mitstreiter' in der Familienpolitik"(Joosten, 1990, 35). Und: "Der Familienminister selbst verstand sich als Sprecher der Familienverbände im Parlament, in der Bundesregierung sowie bei er Gesetzgebung."(ebda., 31) Institutionalisiert wurde diese enge Zusammenarbeit im Oktober 1954 mit der Gründung des 'Familienbeirats'. Joosten faßt den Nutzen
dieses Beirats zusammen: "Er [Wuermeling] umgab sich so mit einer Familienlobby und
konnte umgekehrt seine eigene Öffentlichkeitsarbeit verstärken, indem die Mitglieder des Beirats und die von ihnen vertretenen Organisationen als Multiplikatoren regierungspolitischer
Konzepte in der Öffentlichkeit dienten."(dies., 1990, 32)
Einen zusätzlichen Multiplikator erschuf Wuermeling sich in sog. familienfördernden Einrichtungen, in denen er Kinder, Jugendliche und Frauen (und in geringerem Maß auch Männer) in
32
seinem Sinne beeinflussen und erziehen lassen konnte. Er lobte sich 1960 selbst damit, daß in
den letzten 5 Jahren 4300 Plätze in Familienferienstätten, 80 Mütterschulen(!), 163 Müttergenesungsheime und rund 120 Eltern- und Erziehungsberatungsstellen entstanden seien. (vgl.
Wuermeling, 1960b, 105)
Wuermelings ideologische Schwerpunkte, die Genußfeindlichkeit ebenso wie die Verdammung
der Frauenerwerbstätigkeit, verloren im Zuge des 'Wirtschaftswunders' und der Vollbeschäftigung ihre materielle Grundlage, sie wurden für die Wirtschaft tendenziell kontraproduktiv (vgl.
Maier, 1993, 258). Im Dezember 1962 wurde er als Familienminster abgelöst. Unter seinem
Nachfolger Bruno Heck, ebenfalls katholisch-konservativ, kam es jedoch keineswegs zu einer
Entideologisierung der Familienpolitik. Die Bestimmung aus christlich-konservativer Weltanschauung blieb erhalten (vgl. Wingen, 1964, 59f). Heck erkannte sogar noch klarer Funktion
der Familie als systemstabilisierende 'Ideologiefabrik' nach innen und außen: "Heck unterscheidet sich von Wuermeling in erster Linie dadurch, daß ihm die gesellschaftliche Funktion der
traditionellen Moral sowie die Bedeutung der Familie als Vermittler dieser Moral bewußter
ist als jenem und er daher auch konsequentere familienpolitische Schlußfolgerungen ziehen
kann." (Haensch, 1969, 139)
Die Ideologie-Arbeit blieb demgemäß bei Heck wichtiges Element der Familienpolitik (vgl.
Wingen, 1964, 57f). Es verschoben sich lediglich teilweise die Schwerpunkte.
Eine solche Änderung betrifft die Bekämpfung der Frauenerwerbstätigkeit: Heck bestand nicht
mehr auf der Verurteilung der erwerbstätigen Frau; "die Müttererwerbstätigkeit [wird] durch
die familienpolitische Ideologie weniger diskriminiert"(Jurczyk, 1976, 113). Die
Doppelrollenideologie respektive das Drei-Phasen-Modell fanden bei ihm insoweit Rezeption
(vgl. Jurczyk, 1976, 116), als er sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger mit Äußerungen gegen die Frauenerwerbsarbeit zurückhielt (vgl. Haensch, 1969, 131). Jedoch "an den familienideologisch begründeten Bedenken gegen die Erwerbstätigkeit der Frau, insbesondere der
Mutter, hat sich bei Heck nichts geändert."(ebda.) Die grundsätzliche Zuweisung von Familienversorgung und Haushalt an die Frau wurde von ihm nicht angetastet. Sehr deutlich zeigt
sich dies an der 1966 erstellten 'Frauenenquete', die "diese Ideologie, die spezifische Rolle der
Frau sei es, zu hegen und zu pflegen, durchzieht ... wie ein Störfaktor, dem es gelingt, Zusammenhänge zu vernebeln, Klarheit nicht aufkommen zu lassen"(Wiggershaus, 1979, 35). Entsprechend blieb auch die Argumentation bestehen, daß die Familie die "schönste und göttlichste Aufgabe"(Heck; zit. nach Hanesch, 1969, 140) sei, und Emanzipation der 'Frauen und Mütter' den Verfall derselben zu verantworten hätte (vgl. Haensch, 1969, 148).
Die von Wuermeling propagierte Konsumfeindlichkeit und Ideologie der Enthaltsamkeit verlor
stark an Bedeutung. "Heck richtet sich kaum noch gegen das Streben nach Konsum materieller Güter."(Haensch, 1969, 125). Damit und mit einer gewissen Lockerung des Tabus Sexualität (vgl. Jurczyk, 1976, 102) im Zusammenhang stehend griff er im Gegensatz zu Wuermeling
allerdings zu direkt sexualunterdrückerischen Maßnahmen (vgl. Haensch, 1969, 125).
Am Wuermelingschen Prinzip 'Zuckerbrot und Peitsche' änderte sich unter Heck nichts, nach
wie vor wurde der gesetzten Norm entsprechendes Verhalten positiv, davon abweichendes
Verhalten negativ bewertet und mit Vorteilsversprechen bzw. Drohungen unterstützt und mittels Moral gesellschaftliche Auf- bzw. Abwertung vermittelt und erzeugt.
Ebenso beibehalten wurde von ihm die Zusammenarbeit mit Kirchen und Familienverbänden,
hinzu kam bei Heck indes die vermehrte Heranziehung der Wissenschaft, namentlich der Soziologie, zur Festigung und Verbreitung seiner Ideologie. Zwar hatte auch Wuermeling schon
auf die Leistungen der Familiensoziologie bei der Bestätigung der abendländischen Auffassung
33
von Ehe und der Aufzeigung des Ordnungscharakters der Familie lobend verwiesen (vgl. Wuermeling, 1954, 20). Unter Heck wurde sie aber zur Erfüllung dieser Aufgabe vermehrt gefördert und gefordert (vgl. Dreher, 1984, 56).
Eine weitere Erweiterung erfuhr die Wuermelingsche Konzeption von Öffentlichkeitsarbeit
durch die unter Heck enorm ausgebaute Jugendarbeit. Sie wurde, vor allem durch die Pädagogik, zu einem wichtigen Mittel der ideologischen Beeinflussung und Festigung der Gesellschaft. Wingen, Berater und Referent im Heckschen Ministerium, verwies auf deren Bedeutung: "... wie sehr die Familienpolitik für ihren "Erfolg" angewiesen ist auf den Dienst dieser
pädagogischen Maßnahmen"(Wingen, 1964, 56). Vor allem hier setzte er weiter auf sexualfeindliche Indoktrination (vgl. Haensch, 1969, 125) Haensch faßt zusammen, daß Heck unter
Auswertung der Erkenntnisse der Familiensoziologie "... ein familienpolitisches Programm
entwickelt [hat], dessen Kernpunkt die Erziehung der Jugendlichen im Sinne der traditionellen Sexualmoral durch außerfamiliäre Instanzen darstellt sowie die Beeinflussung der Eltern
mit dem Ziel, die autoritäre Familienstruktur zu stärken und die nachlassenden sexualunterdrückende Repression der Eltern gegen die Kinder zu re-intensivieren."(Haensch, 1969, 139)
Wirtschaftliche und rechtliche Maßnahmen
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Frauen- und Familienpolitik der 50er und
60er Jahre sollten der Absicherung des Familienleitbildes dienen. Sie waren, wie bereits angesprochen, nicht das zentrale Moment dieser Politik, aber doch beachtenswert in ihren Forderungen und deren Erfüllung.
Wuermeling legte dem Bundestag mit Beginn seiner Amtszeit ein sog. 8-Punkte-Programm vor
und verlangte die Erfüllung dieser Forderungen durch Regierung und Parlament. Ich zitiere den
Forderungskatalog nach Joosten:
"1. Familiengerechter Wohnungsbau, besonders Familieneigenheimbau 2. Schaffung von Familienausgleichskassen, um Familien mit mehreren Kindern Familienzulagen zu zahlen, 3.
höhere Steuerfreibeträge je Kind in der Einkommens- und Lohnsteuer, 4. Fahrpreisvergünstigungen bei der Bundesbahn, 5. Kinderzuschläge für alle Rentenempfänger, 6. Gewährung
steuerlicher, beruflicher und sonstiger Vorteile bei hauswirtschaftlichen Berufen, um sie als
Hilfen für überlastete Mütter attraktiver zu machen, 7. ein Familienrecht, das die Funktionsfähigkeit der Familie durch eine ihre innere Ordnung sichernde Autorität gewährleiste, 8. ein
Scheidungsrecht, das die Auflösung einer Ehe auf das geringste Maß beschränke"(Joosten,
1990, 48). Gegen Ende seiner Amtszeit konnte Wuermeling feststellen, daß alle seine Forderungen erfüllt oder sogar übererfüllt worden waren (vgl. Haensch, 1969, 80)
Im folgenden gehe ich auf die nach Joosten wichtigsten Maßnahmen, namentlich der "Familienlastenausgleich in Form von Kindergeld und Kinderfreibeträgen, der familiengerechte
Wohnungsbau, die Ehegattenbesteuerung in der Einkommenssteuer, das Gleichberechtigungsgesetz und die Verschärfung des Ehescheidungsrechts"(Joosten, 1990, 10f), und ihren
Zweck näher ein.
Familienlastenausgleich: Er bestand aus Kindergeld und Steuerfreibeträgen. Kindergeld wurde
ab 1.1.19551 ab dem dritten Kind in Höhe von 25DM bezahlt, ab 1961 war der Anspruch unter
bestimmten Bedingungen bereits ab dem zweiten Kind gegeben. Kinderfreibeträge pro Kind
1 nach dem 'Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen'
vom 14. Oktober 1954
34
wurden zunächst in Höhe von 600DM gewährt, ab 1953 per Gesetz1 für das dritte und jedes
weitere Kind auf 840DM, dananch noch mehrmals angehoben (die Zahlen entnommen aus:
Joosten, 1990, 51f). Der Familienlastenausgleich war für Wuermeling geeignetes Mittel, zum
einen durch finanzielle Entlastungen die Müttererwerbstätigkeit zu vermindern und gleichzeitig
die Kinderzahl zu erhöhen; zum anderen hatte er auch ausgeprägten Klassencharakter, da explizit damit keine Besserstellung von Familien niedriger Einkommen, sondern ein Ausgleich
zwischen Kinderarmen und Kinderreichen innerhalb der Einkommenschicht erreicht und darüberhinaus kinderreiche Mittelstandsfamilien als Erfüller ihrer 'wichtigen kulturellen Aufgabe'
besonders gefördert werden sollten2.
Der Familienlastenausgleich war eine der wenigen familienpolitischen Maßnahmen, die die
nichtverheiratete Frau (oder auch den Mann) und die Kinderlosen nicht direkt sanktionierte,
sondern nur finanzielle Anreize zur Familiengründung und -erweiterung bieten sollte.
Familiengerechter Wohnungsbau: Die Novelle des 1.Wohnungsbaugesetzes von 19563 legte
den Vorrang der Familie, besonders der 'kinderreichen', bei der Vergabe von Wohnungsbauförderung fest, und darüberhinaus die vorrangige Förderung des Familieneigenheimes, die Wuermeling zu einer seiner Hauptforderungen erhob. Das Wohnungseigentum, mehr noch das Familieneigenheim, war seine Zielvorgabe, da Eigenheim und mindestens "Wohnungseigentum den
Zusammenhalt der Familie [fördert]"(Wuermeling, zit. Staatliche Familienpolitik?, in: Bonner Hefte, München/Stuttgart 1953, 1.Jg., H.8, S.1, zit. nach Joosten, 1990, 56).
Praktisch bedeutete dies die eklatante Benachteiligung in Raum- und Geldervergabe für alle,
die dem oben ausgeführten Familienbegriff nicht entsprachen: "Finanzielle Unterstützung beim
Hausbau wurde ausschließlich Verheirateten oder Heiratswilligen gewährt." (Delille/Grohn,
1985a, 144) Und: "An den durch öff. Mittel geförderten Wohnungen waren 1957 alle Alleinlebenden mit 7 v.H. beteiligt - 1960 hatten von den über 3 Mill. Einpersonenhaushalten die
Frauen den Hauptanteil"(Frau, 1967, 9), also die grobe Vernachlässigung des Bedarfs an
Wohnungen für Nicht-Familien, namentlich sog. 'alleinstehende' Frauen. Wuermeling resümiert
seine diesbezüglichen Erfolge, wenn er 1961 feststellt, daß "der Anteil der Kleinwohnungen
bis zu drei Räumen in acht Jahren von 59% auf 31% zurückging, während der Anteil der
Vier- und Mehrraumwohnungen von 41% auf 69% gestiegen ist"(zit. nach Haensch, 1969,
81)
Ehegattenbesteuerung: Sie war nach der Steuerreform von 1958 eindeutiges Mittel zur direkten Benachteiligung aller nichtehelichen Lebensformen und verdienender Ehefrauen.
Ausgangslage in der Gesetzgebung der BRD war die grundsätzlich gemeinsame Besteuerung
von Ehegatten. Dadurch wurde die Erwerbsarbeit beider EhepartnerInnen benachteiligt, die
Ehefrau als die i.a. 'Zuverdienende' zur Aufgabe der Lohnarbeit ermutigt; die Hausfrauenehe
war steuerlich bevorzugtes Lebensmodell4. Allerdings sah diese Regelung nach der Steuerreform von 1954 soviele Ausnahmen vor, daß praktisch nur noch 'mithelfende Familienangehörige' davon betroffen waren. Wuermeling hatte dies bereits vor Verabschiedung der Reform von
1954 kritisiert, er forderte die ausschließlich gemeinsame Besteuerung der Ehegatten, weil an1 'Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung' vom 27.6.1953
2 vgl. zum Klassencharakter der Kindergeldes vor allem Haensch, 1969
3 auch 'Wohnungsbau- und Familienheimgesetz' vom 27.6.1956
4 Wie mittels Ehegattenbesteuerung verschiedene Lebensformen bevorteilt und diskriminiert werden können,
findet sich grundlegend und verständlich erklärt bei Joosten, 1990, S.57ff
35
sonsten der Ehefrau ein Anreiz zur Berufstätigkeit geschaffen werde, die der Familie nicht förderlich sei. Die getrennte Besteuerung "wirke im Gegenteil dahin, die Frau ihrer Aufgabe als
Gattin und Mutter zu entziehen"(Joosten, 1990, 59). Nachdem das Bundesverfassungsgericht
1957 diese Regelung für verfassungswidrig erklärt hatte, wurde in der darauffolgenden Reform
von 1958 das Ehegattensplitting eingeführt. Dadurch wurde nunmehr die besserverdienende
gegenüber der weniger verdienenden Ehefrau, jede erwerbstätige Ehefrau gegenüber der Hausfrau steuerlich benachteiligt; hinzu kam die aktive Diskriminierung aller nichtverheirateten
Frauen (und Männer). Die Hausfrauenehe war in ihrer bevorzugten Stellung ausgebaut, als Novum wurden zusätzlich alle Nichtverehelichten durch finanzielle Mehrbelastung diskriminiert.
Gleichberechtigungsgesetz: Art.3 Abs.2 des Bonner Grundgesetzes erhob die Gleichberechtigung zur Verfassungsnorm und machte Korrekturen vor allem des BGB erforderlich. Da seine
Einarbeitung in die Gesetze durch die Legislative verzögert wurde, verstrich die in Art.117GG
festgelegte Übergangsfrist ohne diese Korrekturen und der Artikel wurde am 1.4.1953 unmittelbar geltendes Recht. Erst am 1.7.1958 trat das 'Gleichberechtigungsgesetz', das die Umsetzung der Verfassungsnorm auf gesetzlicher Ebene festlegte, in Kraft.
Wuermeling zeigte sich anläßlich der Bundestagsdebatten um die Gesetzentwürfe als engagierter Kämpfer gegen die gesetzliche Festlegung der Gleichstellung der Frau. Er versuchte,
die gesetzliche Gleichberechtigung der Frau zu demontieren, indem er dem Art. 3 Abs.2 den
Art. 6 Abs.1 GG entgegenstellte. Nicht nur die christlichen Parteien, auch der Justizminister
des 1. Kabinetts Dehler (FDP), dessen Entwurf die Grundlage des Gesetzes blieb, teilten seine
Auffassung, daß beide Artikel nur in Verbindung miteinander gesehen werden dürften und die
Gleichberechtigung entsprechend ihre Grenzen an der naturgegebenen Ordnung der Familie
fände. "Die rechtverstandene Familienautorität verstößt nicht gegen den Grundsatz der
Gleichberechtigung. (...) Daher darf auch der die Gleichberechtigung von Mann und Frau
statuierende Artikel 3 GG nur in Verbindung mit Artikel 6 GG, der den besonderen Schutz
des Staates für Ehe und Familie fordert, gesehen werden."(Wuermeling, 1963, 17)
Wuermeling forderte ein Familienrecht, das die Aufrechterhaltung der von ihm als naturgegeben betrachtete Ordnung der Familie gewährleistete.(vgl. Wuermeling, 1963, 17) Im 'Gleichberechtigungsgesetz' wurde seiner Auffassung großzügig Rechnung getragen; die Vormachtstellung des Ehe-Mannes blieb erhalten, die Zuweisung des häuslichen Bereiches an die Frau unberührt.
"Das
bürgerlich-patriarchalische
Familienideal
wurde
auch
im
Gleichberechtigungsgesetz von 1957 wieder verankert."(Joosten, 1990, 67)
Die sanktionierende Wirkung zeigte sich in den Details des solchermaßen strukturierten Familienrechts. Hier seien nur zwei genannt: Die Ehe-Frau war nach §1356 BGB nur dann zur
außerhäuslichen Erwerbsarbeit berechtigt, wenn sie sie mit ehelichen und familiären Pflichten
vereinbaren konnte. Und: Jede nichtverheiratete Mutter erhielt automatisch und unumgänglich
einen staatlichen Vormund über ihre Kinder.
Verschärfung des Scheidungsrechts: Sie war, obgleich erst Mitte 1961 verwirklicht, von Wuermeling seit Beginn seiner Amtszeit gefordert und vorangetrieben worden. Das erklärte Ziel
war, möglichst nahe an die Unauflöslichkeit der Ehe heranzukommen, in realita erreicht wurde
die massive Erschwernis des Ausstiegs der Frau aus der Ehe.
Das vormals gegebene Zerrüttungsprinzip wurde abgeschafft, die Ehescheidung war danach
nur noch durch Feststellung einer/s schuldigen EhepartnerIn und vorbehaltlich der Zustimmung
des 'unschuldigen' Eheteils möglich. Der/die 'Schuldige' verlor im Regelfall jeglichen Anspruch
auf Unterhalt und Sorgerecht für vorhandene Kinder (vgl. Joosten, 1990, 69). Praktisch bedeu-
36
tete das, im Zusammenhang mit der vorherrschenden Hausfrauenehe bzw. dem durchweg geringeren Gehalt erwerbstätiger Ehefrauen, daß ihre Abhängigkeit von Ehe und Ehe-Mann beträchtlich vergrößert, ihr Risiko im Falle, daß sie die Ehe beenden wollten, enorm gesteigert
wurde. Es handelte sich um eine Sanktion gegen diejenigen Frauen, die der geforderten Rolle aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr entsprechen wollten.
Über diese Maßnahmen hinaus bedürfen hier noch solche Maßnahmen der Einbeziehung, die
zwar nicht vom Familienministerium initiiert wurden, aber ganz in seinem Sinne wirkten.
Zunächst gehören hierzu Arbeitsschutzbestimmungen, die dazu benutzt wurden, Frauen aus
'Männerberufen' zu verdrängen und fernzuhalten (vgl. Ruhl, 1988, 235). Seit der Währungsreform und des Inkrafttretens des Grundgesetzes wurden Frauen aus bestimmten Berufsgruppen
abgedrängt in schlechter bezahlte, ungelernte und sozial niedriger geschätzte Arbeit mit geringeren Aufstiegschancen. "Es fand eine Verschiebung auf dem Arbeitsmarkt nach dem Geschlecht statt."(DGB, 1993, 137)
Bei der Vermittlung durch die Arbeitsämter wurden Frauen mindestens bis in die frühen 50er
Jahre hinein benachteiligt (vgl. Meyer/Schulze, 1985, 94). Es wurde im Laufe der 50er Jahre
für Frauen immer schwieriger, eine angemessene oder ausreichende Erwerbsarbeit zu finden
und zu halten.
Hinzu kam bis Mitte der 50er Jahre die (in C.1. beschriebene) Praxis, Frauen Abschläge vom
Männerlohn abzuziehen. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts1 vom 15.1.1955 erklärte dies einerseits als verfassungswidrig, um andererseits den verfassungskonformen Weg der Lohndiskriminierung selbst aufzuzeigen: die Einrichtung von 'Leichtlohngruppen' wurde in der Urteilsbegründung als Ersatz angeregt (vgl. Pinl, 1979, 87). Diese sicherten die fulminante Schlechterbezahlung von Frauenarbeit den Untersuchungszeitraum hindurch ab.
Schoppmann setzt auch die Aufrechterhaltung des §175 in seiner durch die nationalsozialistischen Gesetzgeber verschärften Form durch die BRD in den Kontext familienpolitischer Maßnahmen. Er ist nach ihrer Auffassung als eine der 'Schutzmaßnahmen' für die Familie zu betrachten, die, wenngleich er nicht auf Frauen angewendet wurde, auch für sie negative Auswirkungen hatte (vgl. Schoppmann, 1991, 256).
Zusammenfassend kann hiernach festgestellt werden, daß "die rechtlichen Regelungen jener
Jahre ... den Platz der Frau in der Familie [verorteten]"(DGB, 1993, 60).
Für die Amtszeit Hecks behielt der überwiegende Teil des bislang Gesagten Gültigkeit. Eine
von ihm vorgenommene Änderung ist die Abmilderung des Klassencharakters des Kindergeldes (vgl. Heck, 1969, 127). Eine weitere, nicht von ihm zu verantwortende Änderung stellte
sich bezüglich der Arbeitsplatzchancen von Frauen ein, da der Arbeitskraftmangel immer größere Bedeutung gewann und damit Frauen für die Wirtschaft zum vermehrt umworbenen Potential wurden. Die geschlechtshierarchische Verteilung von Berufen und Bezahlung wurde davon jedoch nur wenig berührt. Eine Konzession Hecks an diese Arbeitsmarktsituation war die
Einrichtung von Kindergärten, die gleichzeitig der von ihm hochgeschätzten Jugendpolitik zugute kamen.
Insgesamt blieben die von Wuermeling geschaffenen Grundstrukturen familienpolitisch rich1 Mechthild Kopel spricht von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Da über den In halt und die
Folgen des Urteils bei ihr und Pinl jedoch Übereinstimmung besteht, ist diese Dis krepanz hier nicht weiter
relevant. vgl. DGB, 1993, S 53f
37
tungsweisend (vgl. Joosten, 1993, 69).
4. Konsequenzen des Dargelegten für lesbische Existenz
Hier zeigt sich wieder die Grundschwierigkeit meiner Arbeit: Zu belegen, warum eine bestimmte Politik Auswirkungen auf eine Personengruppe hatte, obgleich genau diese Gruppe
seitens der Protagonist(inn)en jener Politik nie erwähnt wurden, scheint ein Paradoxum und
unmöglich. Indem ich jedoch bisher herausarbeitete, daß zwischen den Frauen- und Familienbildern und der Frauen- und Familienpolitik ein unmittelbarer Zusammenhang bestand, daß die
Politik sich der Bilder bediente, sie festigte, reproduzierte und mit ihnen arbeitete, kann ich
nunmehr auf dieser Grundlage die Konsequenzen dieser Politik für lesbische Existenz untersuchen und dabei davon ausgehen, daß ein Nachweis zwischen antilesbischer Wirkung und Frauen- und Familienpolitik als Initiatorin dieses Effekts nicht notwendig ist, um den Zusammenhang insgesamt überzeugend zu klären.
Die oben genannte Schwierigkeit betrifft maßgeblich die Wirkung jener Maßnahmen, die ich im
vorhergegangenen Kapitel unter Ideologie/Öffentlichkeitsarbeit dokumentierte. Für jene, die
ich als 'rechtliche und wirtschaftliche Maßnahmen' zusammenfaßte, besteht diese Schwierigkeit
in der Form nicht; ich stelle sie an den Anfang dieses Kapitels.
Als Konsequenz der Wohnraumpolitik unter Wuermeling wie unter Heck dürfte die Wohnsituation vieler lesbischer Frauen beengt und die Lebensmöglichkeiten einschränkend gewesen
sein, da Wohnraum für 'Alleinstehende' so gut wie nicht gefördert wurde1. Viele 'alleinstehende'
Frauen waren aus Mangel an finanziellen Mitteln und geeigneten Wohnungen gezwungen,
lange Zeit in Untermiete zu wohnen, was z.B. das Ausleben lesbischer Beziehungen sehr
erschwert, u.U. verhindert haben dürfte. In den 'Informationen für die Frau' ist in den 50er
Jahren immer wieder nachzulesen, daß sich an der Wohnungssituation der 'alleinstehenden
Frau' nichts änderte und daß die Behörden wenig Interesse an der Aufhebung dieses Zustandes
zeigten2. Eine im Auftrag der evangelischen Akademie erstellte Arbeit von 1954 konstatierte:
"Symbol für die gesellschaftliche Existenz der berufstätigen Frau ist das 'möblierte Zimmer';
(...) Wenn die Gesellschaft sich klarmacht, daß die berufstätigen Frauen einen eigenen Stand
bilden, der seinen Platz in unserer gesellschaftlichen Ordnung notwendigerweise ausfüllt,
müßte es auch als selbstverständlich angesehen werden, daß sie ihre Wohnung, ihre Geselligkeit, ihren Lebenskreis, ihr privates Leben hat, Dinge, die ihr theoretisch nicht bestritten,
praktisch aber immer wieder streitig gemacht werden."(Textauszug H.Greven (Hg.): Die Frau
im Beruf, in Zusammenarbeit mit L. Präger und E. Schwarzhaupt3, Hamburg 1954; zit. in
Frauenalltag, 1980, 59) Was hier vorsichtig formuliert wurde, ist, daß diesen Frauen kein Privatleben zugestanden wurde, daß ihnen nicht mit "der selbstverständlichen Achtung einer anderen Lebensform"(ebda.), sondern mit einer nicht zu verbergenden "Haltung des Mitleids"(ebda.) begegnet wurde. Anders formuliert bedeutete das umfassende soziale Kontrolle
1 vgl. 40f in dieser Arbeit, und Frauenalltag, 1980, 59f
2 z.B.: der Hauptvorstand des 'Verbandes der weiblichen Angestellten' klagte in einem Schrei ben an den
Bundesminister für Wohnungsbau vom 14.1.1956: "Immer wieder muß festgestellt werden, daß die Mittel des
sozialen Wohnungsbaus einer Gruppe von Arbeitnehmern kaum oder in einem nur geringen Prozentsatz
zugutekommen, die als Steurzahler durch Erfassung in der Steuergruppe I prozentual am höchsten belastet ist:
den unverheirateten weiblichen Arbeitnehmern."(Informationen, 1956/2, 8)
3 Frau Schwarzhaupt war im 2. Bundestag Abgeordnete für die CDU/CSU
38
über das 'häusliche' Leben lesbischer Frauen, wobei von der oben eingeforderten 'selbstverständlichen Achtung' für die lesbische Lebensform wohl erst recht nicht die Rede sein konnte.
Ein Hinweis auf Kontrolle durch die Zimmerwirtin findet sich in einem von Kokula geführten
Interview; dort berichtet die Interviewte Klara aus der ersten Hälfte der 50er: "Zwischendurch
waren wir [ihre Freundin und sie; I.B.] zusammen in Untermiete, .... Die Vermieterin war so
fürchterlich neugierig. Die ist immer, wenn wir weg waren, reingegangen."(Kokula, 1987,
110) Lesbische Frauen mußten außer der sozialen Kontrolle auch die Kündigung fürchten für
den Fall, daß die 'Neugierde' der Zimmergebenden erfolgreich sein sollte. Einen Hinweis darauf
gibt ein m.E. in eher wohlmeinender Absicht geschriebener Artikel in der Zeitschrift 'Liebe und
Ehe'1 von 1949. Dort war nachzulesen, daß "lesbischer Verkehr der Untermieterin ... in der
Regel kein Kündigungsgrund (ist), doch muß sie [die Untermieterin; I.B.] selbstverständlich
darauf achten, daß keine Äußerungen ihrer Betätigung aus ihrem Zimmer herausdringen.
Das Schlüsselloch zu verdecken ist sie dagegen nicht verpflichtet."(Booß, 1949, 19)
Durch die Novellierung der Steuergesetzgebung, speziell der Lohn- und Einkommenssteuer,
wurden Lesben als Unverheiratete finanziell mehr belastet. Zusammen mit den Frauenabschlagsklauseln bzw. ihren Nachfolgerinnen, den 'Leichtlohngruppen', bedeutete das für viele
Lesben, daß ihre finanzielle Lage durch den Untersuchungszeitraum hindurch prekär blieb; für
Lesben galt wie für andere 'alleinstehende' Frauen: "Von Wirtschaftswunder keine Spur"(Meyer/Schulze, 1985, 92) (vgl. auch C.1. dieser Arbeit).
Darüberhinaus muß bedacht werden, daß für lesbische Frauen "... der Beruf ... nicht nur für
den Broterwerb, sondern auch für die Identität und das Selbstwertgefühl eine große Rolle
(spielt)."(Kokula, 1987, 21) Da ihnen gesellschaftliche Anerkennung durch Heirat und Ehe
(oder durch ihre lesbische Lebensweise!) versagt waren, blieb als Quelle der Anerkennung
durch das Umfeld die beruflichen Leistungen. Lesben sahen sich dort mit den gleichen schlechten Bedingungen wie alle unverheirateten Frauen konfrontiert, nur unter anderen Voraussetzungen: "Homosexuelle Frauen stehen unter dem Zwang, sich selbst ein Leben lang reproduzieren zu müssen"(Fritz/Streit, 1979, 323). Dies wurde jedoch durch die in den frühen 50ern
mittels Verdrängung aus 'Männerberufen' erreichte Verschlechterung und Verunsicherung
weiblicher Lohnarbeit unterlaufen, da Frauen fortan wieder hauptsächlich in schlecht bezahlten
Arbeitsplätzen mit geringen Aufstiegschancen tätig waren und blieben. Durch die Wiedereinführung der Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen und ihre Benachteiligung durch die Arbeitsämter wurde diese Tendenz noch verstärkt. Einen qualifizierten und befriedigenden Beruf auszuüben, war lesbischen Frauen infolgedessen nur unter großen Anstrengungen und eher im
Ausnahmefall möglich. Zu diesen 'Ausnahmefällen' gehörten am ehesten noch jene - jungen Lesben, deren Eltern nicht der auch in den späten 60er noch weit verbreiteten Du-heiratest-jadoch-Haltung anhingen und eine Ausbildung ihrer Tochter als Fehlinvestition betrachteten.
Zwar setzte sich im Laufe der 60er die Haltung zunehmend durch, die eine gewisse Ausbildung
auch der Mädchen für wünschenswert erachtete; die 'Erfolge' solchen Einstellungswandels waren in den 60er Jahren aber kaum mehr erlebbar. Unverändert blieb, daß die meisten
erwerbstätigen (lesbischen) Frauen nur un- oder angelernte Arbeiten ausführten (vgl. C.1. dieser Arbeit).
Hinzu kommt, daß die Angriffe Wuermelings gegen die 'Frauen- und Mütter'erwerbstätigkeit
1 Bei der Zeitschrift 'Liebe und Ehe' handelte es sich um eine Art Sexualaufklärungzeitschrift für Erwachsene,
die mindestens von 1949 bis 1951 erschien.
39
zentrales Moment seiner Propaganda war. Er brandmarkte sie als 'unweiblich', der fraulichen
Berufung zuwider und damit widernatürlich. Lesben wurden also auch auf diesem Wege wieder zu un- bzw. widernatürlichen Geschöpfen stigmatisiert. Erwerbstätige Frauen wurden unter
Wuermeling höchstens geduldet, von der oben angesprochenen Anerkennung für berufliche
Leistungen kann insofern kaum die Rede sein. Besonders bedeutsam war diese Form der Bedrängung wahrscheinlich für solche Lesben, die nicht mehr 'ganz jung' waren, denn die Berufstätigkeit bis zur Eheschließung war unter Wuermeling die anerkannteste Form der weiblichen
Lohnarbeit. Umgekehrt heißt das, Frauen, die altersmäßig ihre Berufung als Hausfrau und
Mutter ausüben sollten, waren besonders im Blick- und Schußfeld dieser moralischen Verurteilung der Frauenerwerbsarbeit. Ein anderer Effekt war, daß Lesben (und andere Frauen) dazu
gedrängt wurden, einen sogenannt weiblichen Beruf zu ergreifen und sich damit in eine Sparte
des Arbeitsmarkts zu begeben, die schlecht bezahlte, wenig angesehene und unsichere Arbeitsplätze bereithielt.
Die Arbeitskräftemangel und die damit in Zusammenhang stehende Relativierung und Zurückhaltung in der Verurteilung der Frauenerwerbstätigkeit durch das Ministerium unter Heck dürfte - trotz der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der Widernatürlichkeit weiblicher Lohnarbeit für Lesben im Ergebnis eine Erleichtrung bedeutet haben. Arbeitsplätze waren leichter zu bekommen und das moralische Urteil wurde nicht mehr ständig wiederholt.
War die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund geschlechtsspezifischer Verdrängung
und Entlassung stark zurückgegegangen, so blieb doch für Lesben die Angst vor der Kündigung bei Bekanntwerden ihres Lesbischseins erhalten. "Bekanntgewordene Homosexualität
war in den 50er Jahren und 60er Jahren ein Entlassungsgrund, selbst ein Gang zum Arbeitsgericht half nichts."(Kokula, 1989, 109) Zwar dürfte sich diese Aussage Kokulas nur auf
schwule Männer beziehen, da sie diese Praxis mit dem §175 in Verbindung bringt. Trotzdem
dürfte diese Wirkung des Paragraphen zumindest teilweise auch Frauen getroffen haben, denn:
"Der §175 galt nur für Männer, seine stigmatisierende Wirkung strahlte auch auf Frauen
aus."(ebda.) In der Zeitschrift 'Liebe und Ehe' konnten Lesben 1949 lesen, daß "Zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ... lesbischer Verkehr der Arbeitnehmerin berechtigen (kann),
wenn dem Arbeitgeber infolge der lesbischen Betätigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnises nicht mehr zuzumuten ist, was jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen zutreffen
wird."(Booß, 1949, 19) Das zur Illustration angeführte Gerichtsurteil entstammte jedoch noch
einem Reichsgericht (nähere Angaben fehlen), so daß es für die Rechtssprechungspraxis der
BRD nicht herangezogen werden kann.
Die 'Wir Freundinnen'1 gibt jedoch Hinweise: Eine dort gedruckte Geschichte handelt von der
Entlassung einer 'tüchtigen' Mitarbeiterin. Die Gattin des entlassenden Chefs anwortet im Beisein (versteckt) lesbischer Frauen auf die Frage nach dem Grund: " ... leider war meinem
Mann zu Ohren gekommen, daß Frl. Moll eine 'lesbische Frau' ist"(Wir Freundinnen, 1952c,
4). Später führen zwei der dabeigewesenen lesbischen Frauen ein Gespräch über diese Gegebenheit: "Was sollte ich tun, Charlott? (...) Für Mona [i.e.die Gekündigte; I.B.] eintreten? Ich
hätte mir mein eigenes Grab gegraben. Ebenfalls meine sehr gute Stellung verlieren? Das
hieße drei Menschen in Not stürzen, ..."(ebda.) Sicherlich kann dieser Artikel nicht als Beleg
für erfolgte Kündigungen genommen werden, das hieße eine Geschichte zur Realität erklären.
Aber es ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß solche Kündigungen erfolgten, und ein noch kla1 mir sind fünf Exemplare dieser bislang einzig bekannten Lesbenzeitschrift aus den 50er und 60er Jah ren
zugänglich. Ob bzw. wie lange sie darüberhinaus noch erschien, ist nach wie vor ungeklärt; vgl. auch Vogel,
1983
40
rerer darauf, wie groß die Angst lesbischer Frauen davor war, und wie sie sich durch diese
Drohung zum Schweigen verurteilt sahen. In der gleichen Ausgabe berichtet eine Leserin - in
Form eines Leserinnenbriefs - vom Verlust ihres Arbeitsplatzes als Reporterin, nachdem "...
Briefe auf den Redaktionstisch (flogen), die das Heiligste preisgaben"(Wir Freundinnen,
1952c, 25).
Sigrid Schäfer konstatierte als Ergebnis ihrer bereits 19721 durchgeführten Untersuchung: "Immerhin hat auch schon jede siebte der befragten Lesbierinnen wegen ihrer sexuellen Orientierung einmal Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bekommen. Sie berichten über ausbleibende
Beförderung, Zwangsversetzung und sogar von Entlassung. Zweifellos besteht die Möglichkeit, daß manche Lesbierinnen dazu neigen, berufliche Probleme - welcher Art auch immer ausschließlich auf ihre sexuelle Devianz zurückzuführen, auch wenn in Wirklichkeit ganz andere Gründe dazu geführt haben. Andererseits wird natürlich auch kaum ein Arbeitgeber Versetzungen, Entlassungen oder nicht erfolgte Beförderungen damit begründen, daß die Betroffene lesbisch sei. Berufliche Sanktionen wegen ihrer sexuellen Orientierung sind für Lesbierinnen aber nach wie vor eine Bedrohung und für eine zählbare Minderheit eine bittere Erfahrung."(Schäfer, 1975, 311).
Das verschärfte Scheidungsrecht hatte auch für lesbische Frauen u.U. einschneidende Folgen,
da viele Lesben - gerade in den 50er und 60er Jahren mit ihrem massiven Heiratsdruck (s.u.) eine Ehe eingegangen sein werden.
Wollte eine lesbische Frau sich aus dieser lösen, lief sie Gefahr, ob ihres Lesbischseins schuldig
geschieden zu werden, und damit ihr Unterhaltsrecht und im äußersten Falle sogar das Sorgerecht für etwaige Kinder zu verlieren. Inwieweit Lesbischsein oder 'lesbische Betätigung' als
Schuldspruchsgrund Verwendung fand, konnte ich nicht abschließend klären; einige Anhaltspunkte darauf, daß lesbische Frauen zumindest mitunter schuldig geschieden wurden, fand ich
jedoch. Einen im bereits erwähnten Artikel von Booß in 'Liebe und Ehe': "Die Frage, ob lesbische Betätigung der Ehefrau ein Scheidungsgrund (Herv.i.O.) ist, kann nicht mit ja oder
nein beantwortet werden. Sicher ist nur, daß sie kein Scheidungsgrund ist, wenn der Mann ihr
ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt oder sie verziehen hat, wobei insbesondere der
trotz Kenntnis vollzogene eheliche Verkehr als Verzeihung gilt. Wegen lesbischer Betätigung
der Frau kann der Mann nur auf Scheidung klagen, wenn die Frau durch ihre Betätigung die
Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann. Das kann bei homosexueller
Veranlagung der Frau der Fall sein, wird bei bisexueller Veranlagung aber häufig nicht zutreffen."(Booß, 1949, 19) Nun stammt dieser Artikel von 1949, die scheinbar auf Erfahrung
beruhenden Urteile der Verfasserin können also noch nicht die Situation in der BRD, schon gar
nicht die nach der Verschärfung von 1961 widerspiegeln. Dazu eher geeignet ist der andere
von mir gefundene Hinweis: die Scheidungsrechtsbroschüre einer Frauenjuragruppe aus dem
Jahr 1977 beginnt mit einem Rückblick auf das dann alte Scheidungsrecht (zum 1.7.77 trat ein
neues in Kraft; vgl. Eherecht, 1976, 8). Unter der Überschrift 'Scheidungsgründe, die von Frau
und Mann benutzt werden' steht dort u.a.: "...; gleichgeschlechtlicher Verkehr(!)"(Scheidungsratgeber, 1977, 6). Über die 'Wirksamkeit' der angegebenen 'Schuldgründe' schreiben sie bedauerlicherweise nichts, aber die Erwähnung macht es wahrscheinlich,
daß ihrer Erfahrung nach ein Schuldspruch aufgrund solcher Vorwürfe erwartet werden konnte
1 Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß die gemachten bzw. berichteten Erfahrungen alle inner halb der letzten
zwei oder fünf Jahre gemacht wurden; ich kann deshalb, was Schäfer durch die Befragung von ca. 150 Lesben
in der BRD herausfand, in diesem Punkt auf jeden Fall auf die 60er Jahre rückbeziehen.
41
bzw. mußte.1
Hinzu kam, daß die Scheidung nach Schuldprinzip die Suche des Gerichts nach der oder dem
Schuldigen zwingend machte und auf diese Weise damit zu rechnen war, daß ohne Rücksichten
intime Details aus dem Privatleben der Beteiligten offenbart würden. Es ist vorstellbar, daß
dies für lesbische Frauen Folgen über die Familie hinaus - z.B. für den u.U. erst noch zu suchenden Arbeitsplatz - haben konnte. Als sicher kann gelten, daß die Angst lesbischer Frauen
vor solchen Konsequenzen einer Ehescheidung durch die Eherechtsverschärfung gewachsen
ist.
Der §175 schließlich hatte für Lesben nur als Bedrohung Bedeutung, mit rechtlichen Konsequenzen belegte er faktisch nur schwule Männer. Die Bedrohung bestand einerseits darin, daß
die Möglichkeit bestand und immer wieder ins Gespräch kam, den Paragraphen auf lesbische
Frauen auszudehnen. Belegbar ist eine diesbezügliche Öffentlichkeitsaktion einmal Anfang der
50er Jahre; ein bundesdeutscher Richter, 'Amtsgerichtsrat' Richard Gatzweiler verfaßte eine
Broschüre des 'Volkswartbundes'2, die Ende 1951 massenhaft kostenlos verschickt wurde und
in der "... - ganz wie in den Tagen des schlimmsten Nazi-Terrors - in geradezu zynisch gemeiner Weise die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber aufgefordert werden, mit den denkbar härtesten Strafen gegen alle Homosexuellen vorzugehen und sie schonungslos auszumerzen!"(aus
dem Aufruf Johannes Dörrast, für den 'Kampffonds-Gatzweiler' zu spenden; abgedruckt in:
Wir Freundinnen, 152a, 25). Die Redakteurin der 'Wir Freundinnen' Mary Ronald fügte hinzu,
daß "Herr Gatzweiler die 'Aufnahme eines Strafparapgraphen' für uns 'lesbische Frauen'
(fordert)"(ebda., 24) und daß "Herrn Gatzweilers Broschüre endet mit dem Satz: 'Auch die
lesbische Liebe ist strafwürdig; deren Straflosigkeit ist inkonsequent'."(ebda., 25) Die nächste
Bedrohung der Ausdehnung auf Lesben stand 1956 an, als das Bundesverfassungsgericht auf
Antrag zu entscheiden hatte, ob der §175 gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße oder nicht.
Zwar war der Antrag seitens verurteilter schwuler Männer ergangen mit dem Ziel, die
Unrechtmäßigkeit des §175 in seiner gültigen Form feststellen zu lassen; die Intention des Antragstellers hat aber keinen Einfluß die Urteilsfindung. Hätte das Gericht tatsächlich einen Verstoß des Gleichheitsgrundsatzes erkannt, wäre logischerweise auch eine Angleichung in die andere Richtung - Gleichheit durch Strafbedrohung auch der lesbischen 'Betätigung' - denkbar
gewesen.
Das Gericht bestritt den Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Urteilsbegründung liest
sich als Festschreibung der polaren Geschlechtscharaktere: "Mann und Frau können als verschiedene Geschlechtswesen auch die gleichgeschlechtliche Unzucht nur in den ihrem Geschlecht möglichen und eigenen Formen ausüben. (...) Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf
eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. (...) Die Verschiedenheiten
des Geschlechtslebens machen sich bei der Gleichgeschlechtlichkeit womöglich noch stärker
geltend als bei heterosexuellen Beziehungen, da der auf Mutterschaft angelegte Organismus
der Frau unwillkürlich den Weg weist, auch dann in einem übertragenen sozialen Sinne frau1 Den einzigen Hinweis darauf, wie in Fällen des Schuldspruchs wegen 'lesbischer Betätigung' mit dem
Sorgerecht verfahren wurde, fand ich im Protokoll der 'Müttergruppe' vom Lesbenpfingsttreffen 1975; dort
steht unter Punkt 7: "Die rechtliche Seite: Lesbische Mütter erhalten kein Sorgerecht für ihre Kinder bzw. es
kann ihnen entzogen werden."(LAZ, 1975, 73) Inwieweit dies für die 50er und vor allem 60er, nach der
Novelle des Scheidungsrechts, Praxis war, darüber kann ich jedoch keine Aussagen treffen. Die Angst vor
solcher Konsequenz dürfte aber für lesbische Frauen in jedem Fall bereits eine erhebliche Bedrohung
dargestellt haben.
2 Die Broschüre hieß: 'Das dritte Geschlecht', hg. vom Volkswartbund, Köln Klettenburg, 1951. Mir war es
nicht möglich, ein Originalexemplar einzusehen, lediglich einen Abdruck in Auszügen.
42
lich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch nicht Mutter ist, während eine entsprechende
Kompensation beim Manne fehlt. So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten
sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen (Giese; ähnlich Grassberger und Scheuner). (...) Die Gefahr
solcher Fehlprägungen [durch homosexuelle Verführung in der der Pubertät; I.B.] ist aber
bei Mädchen weit geringer als bei männlichen Jugendlichen. Diese allgemeine Erfahrung
wird von den Sachverständigen darauf zurückgeführt, daß das Mädchen weit mehr als der
Knabe durch ein natürliches Gefühl für sexuelle Ordnung bewahrt werde, zum Teil darauf,
daß die Mädchen altersmäßig früher auf heterosexuelle Beziehungen fixiert seien (Scheuner,
Wiethold-Hallermann). (...) Zieht man dazu die größere geschlechtliche Aggressivität des
Mannes in Betracht, so macht schon das evident, daß die Gefahr der Verbreitung der Homosexualität beim Manne weit größer ist als bei der Frau."(In: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, Band 6, 1957, S.389-443; zit. nach Kokula, 1990a, 144ff)
Zum anderen bestand die Bedrohung durch den Paragraphen darin, daß " ... seine stigmatisierende Wirkung auch auf Frauen aus(strahlte)"(Kokula, 1989, 109). Indem in der öffentlichen
Diskussion stets von 'der Homosexualität' die Rede war, ist stark anzunehmen, daß sich bei den
diese Diskussion aufnehmenden Menschen keine eigenständiges Bild von Lesben entwickelte,
daß sie sie unter 'Homosexuelle' subsumierten und deshalb die Stigmata von Schwulen - wenn
danach gefragt - auf Lesben übertrugen.
Der Artikel 6 GG kann in bezug auf seine Konsequenzen als Schnittstelle zwischen Recht und
öffentlichkeitswirksamer Propaganda betrachtet werden. Hatte er an sich keine direkten rechtlichen Auswirkungen auf lesbische Existenz, so wurde er durch die aggressive Auslegung, die
er seitens der bundesrepublikanischen Frauen- und Familienpolitik erfuhr, umso bedeutsamer
für sie: indem der 'Schutz der Familie' in Wuermelingscher und Heckscher Interpretation bedeutete, alle alternativen Lebensformen als familienschädlich zu bekämpfen, wurde der Artikel
6 zum wichtigen ideologischen Mittel gegen alternative und also auch lesbische Lebensweisen.
Hierbei wurden lesbische Beziehungen nicht erwähnt, jedenfalls ist es mir nicht bekannt geworden. Doch ähnlich der Funktionsweise des von Haensch beschriebenen Mechanismus, daß mittels der propagierten Konsum- und Genußfeindlichkkeit auch die Sexualfeindlichkeit transportiert wurde, die selbst, um das Tabu nicht zu brechen, nicht genannt wurde (vgl. Haensch, 1969,
98f), kann die familienpolitische Propaganda auch als antilesbisch bezeichnet werden, obgleich
Wörter wie 'lesbisch' (oder Synonyme)- die auch tabuisiert waren - nie fielen.
Die propagandistischen Angriffspunkte der Wuermelingschen als auch der Heckschen Politik
richteten sich nicht explizit gegen lesbische Existenz oder lesbische Frauen, jedoch wohl auf
einzelne Aspekte, die für lesbische Existenz von Bedeutung waren.
Zunächst ist hier die ideologische Überhöhung von Mutterschaft und Mütterlichkeit zu nennen,
deren Kehrseite die moralische Verurteilung aller Frauen war, die dieses Ideal nicht erfüllten.
'Frauen und Mütter' als von Wuermeling und Heck ständig gebrauchte Formel stand für diese
Ideologie der Gleichsetzung von Frauen und Müttern 1. Mutterschaft wurde als der Beitrag der
Frau zum Sozialgefüge gekennzeichnet, das hieß im Umkehrschluß: jede Betätigung, die real
oder vermeintlich von der Mutterschaft abweicht oder abhält, ist unsozial. Lesben wurden dadurch zu unsozialen Menschen, denn im Bild, das über sie existierte, hatten Lesben keine Kin1 sprich alle Frauen sind Mütter. Als Anmerkung dazu ein Zitat von Burghardt, 1978, 12: "Sprache ist trotz
Grammatik- und Stilregeln manipulierbar. Sie kann Trägerin von Ideologien sein, eines, wenn nicht das
Instrument der Propaganda; .... "
43
der. Beleg findet dieses Vorurteil von der Kinderlosigkeit lesbischer Frauen in der überraschten
Feststellung, die in einem Spiegel-Artikel von 1966 getroffen wurde; dort ist in einem Beitrag,
zu den Untersuchungsergebnissen Magee's1 über Homosexuelle nachzulesen: "Dem Buch-Autor Magee entdeckten sich bei seinen Recherchen auch solche Mitmenschen als Homosexuelle, von denen er es niemals erwartet hatte. Einige waren verheiratet, einige Lesbierinnen hatten sogar Kinder."(Spiegel, 1966, 167)
Davon unberührt ist es mehr als wahrscheinlich, daß auch und gerade in den 50er und 60er
Jahren viele Lesben Kinder gehabt und auch mit ihnen gelebt haben, die meisten von ihnen aus
einer vorangegangenen heterosexuellen Verbindung. In einer Ausgabe der 'Courage' ist für die
70er Jahre davon die Rede, daß "jede dritte Lesbe ... ein Kind (hat)"(Courage, 1978b, 33).
Diese Zahl kann sicherlich nicht blind für die 50er und 60er Jahre übernommen werden, aber
sie läßt doch darauf schließen, daß ein bis zwei Jahrzehnte vor dieser Aussage eine nicht unbedeutende Zahl lesbischer Frauen Kinder hatte. Kinder konnten durch das Bild von der lesbischen Frau als kinderlos für lesbische Frauen einen Schutz vor Enttarnung und Diskriminierung
darstellen, da sie von der 'Allgemeinheit' aller Wahrscheinlichkeit nach als lebender Beweis der
Heterosexualität ihrer Mutter gewertet wurden.
Lesben galten also gemäß der Mütterideologie als unsozial, da sie ihre Aufgabe nicht erfüllten.
Daß diese Ideologie gesellschaftlich rezipiert wurde, erschließt sich aus einem Zitat von Jan
van Ussel, der über Kinderlose schreibt: "...(man) steht in dem Verdacht, unfruchtbar zu sein,
und wer sich öffentlich dazu bekennt, keine Kinder haben zu wollen, wird als asoziales Wesen, als egoistisch angesehen."(ders.: Sexualunterdrückung, Hamburg 1977², S.215; zit. nach
Delille/Grohn, 1985a, 118)
In diesem Nichterfüllen liegt schon der nächste Diskriminierungsfaktor, denn Lesben widersprachen per se auch dem Bild der 'keuschen Mutter' und der sowohl von Wuermeling als auch
und verstärkt von Heck propagierten Sexualfeindlichkeit. "Eine Trennung von Sexualität,
Fortpflanzung und Ehe schien undenkbar"(Delille/Grohn, 1985c, 54), schreiben Delille und
Grohn; Lesben hingegen mußten als Verkörperung dieser Undenkbarkeit gelten, da lesbische
Sexualtät per se sowohl von Ehe als und vor allem auch von Fortpflanzung getrennt war. Polm
sagt dazu: "Die Äußerung sexueller Bedürfnisse wurde den Frauen nicht zugestanden.
(Aus-)Leben von Sexualität wurde auf die Ehe beschränkt. Bei Verletzung dieser Moralvorstellungen mußten Frauen mit dem Ausschluß aus ihrem sozialen Umfeld, zumindest mit alltäglicher Diskriminierung rechnen."(Polm, 1990, 165)
Durch den in den 60ern vollzogenen Wechsel im weiblichen Lebensmittelpunkt, von den Kindern hin zum Ehemann, könnte diesebezüglich eine Änderung eingetreten sein, eine Verbesserung i.S.v. Milderung der Abnormität jedoch nicht. Denn Lesben widersprachen weiterhin dem
eingeforderten Bild der vormals keuschen, nunmehr zum ehe-männlichen Sexualobjekt transformierten Frau (vgl. Cornelissen, 1993, 66). Lesben galten nach wie vor als ausgeprägt unsittlich und wurden unter Mithilfe der Frauen- und Mütter-Ideologie der Familienminister moralisch verurteilt.
Schließlich transportiert die Gleichsetzung von Frau und Mutter noch einen weiteren entscheidenden Faktor: Lesben wurde über diese Gleichsetzung die Zugehörigkeit zum Geschlecht
Frau überhaupt abgesprochen. Diese Ausgrenzung dürfte auch praktisch und im Alltäglichen
spürbar gewesen sein. Pagenstecher berichtet diesbezüglich: "Ich fühlte mich ausgestoßen aus
meinem eigenen Geschlecht."(Pagenstecher, 1983, 72). Diese Ausgrenzung mußte nicht im1 die er veröffentlichte und deren deutschsprachige Ausgabe neu auf dem bundesdeutschen Büchermarkt war;
siehe Magee, 1966
44
mer aktiv oder aggressiv sein: Fritz und Streit (1979, 325) nennen diesbezüglich das ständige
Konfrontiertsein mit 'Frauengesprächen' über Kinder, Freunde und Ehemänner, z.B. am typischen Frauenarbeitsplatz Büro, das einerseits sozialen Kontrollcharakter hatte, da jede zum
Mitreden aufgefordert war, und andererseits lesbischen Frauen alltäglich vorführte, daß sie
nicht 'dazu' gehörten. Ich möchte anmerken, daß besonders diese Ausgrenzung einen gesamtgesellschaftlichen Charakter hatte, denn die Mütterideologie, die Gleichsetzung von und durch
'Frau und Mutter' zog sich durch alle gesellschaftlichen Spektren und machte auch vor den
'fortschrittlichen Kräften' keineswegs halt. Beispielhaft sei hier die gewerkschaftliche
Frauenarbeit genannt, deren Weiblichkeitsideal von Bachler (in: DGB, 1993, S.131-177) analysiert wurde, die dazu schreibt: "Die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter wurde auch von den
Kolleginnen als gleichsam naturhaft im Mittelpunkt des weiblichen Lebens verstanden. Biologie und soziale Aufgaben waren in diesem Verständnis 'der Frau' untrennbar verbunden."(DGB, 1993, 150)
Die Ideologie von 'Frau und Mutter' arbeitete in puncto Auschluß aus dem Geschlecht Frau mit
der 'Theorie' von der Polarität der Geschlechter, der Naturgegebenheit dieses Gegensatzes und
der daraus resultierenden Rollenverteilung zusammen.
Vermittels dieser 'Theorie' wurden Frau und Mann als zwei aufeinander fixierte und zueinander
hierarchisch geordnete Teile konstruiert, was bedeutete, daß eine Frau per se einen Mann liebte
und/oder mit ihm lebte, und weiter überhaupt durch diese Verbindung überhaupt erst zur Frau
wurde. "..., daß Erwachsenwerden für alle Frauen gleichbedeutend ist mit Heiraten und Kinderbekommen (vgl. Sigusch und Schmidt, 1973). Heterosexuell zu sein heißt für Frauen mehr
als die Festlegung auf ein bestimmtes Sexualverhalten: Über die Beziehung zum Mann gewinnen sie erst eine gesellschaftlich anerkannte 'Identität' als Frau."(Fritz/Streit, 1979, 321f)
Lesbischen Frauen wurde auch auf diesem Weg die Identität Frau ab- oder nicht zuerkannt.
Gleichzeitig sollte mithilfe der gleichen ideologischen Konstruktion eine Definition außerhalb
des Dualismus Mann-Frau verhindert werden. Indem diesem Entweder-Oder strikter Exklusivcharakter zukam, wurde alles, was nicht in die Norm von Frau (oder Mann) paßte, als unnormal abgelehnt und diffamiert. Dazu nochmal Pagenstecher: "...erlebte ich in der Frühphase
der BRD, daß Frauen sich von vermeintlich oder offenkundig lesbischen Frauen lästernd,
verächtlich oder mitleidig abgrenzten und diese Frauen als eine Art Zwitterwesen aus ihrer
Lebenswelt ausgrenzten"(Pagenstecher, 1983, 71). In der Politik Wuermelings fand sich dieser
Ausschluß wieder, denn sein Frauenbild nahm Frauen nur als Ehefrauen und Mütter wahr, alle
anderen möglichen Rollen kamen bei ihm ausschließlich als Negativschablone ins Gespräch, gegen die er moralisch urteilend zu Felde zog. Im Ergebnis bedeutete dies, daß Lesben einerseits
widernatürlich und unnormal, gleichzeitig aber unsichtbar waren.
Die Unnormalität lesbischer Frauen wurde zusätzlich durch Attribute wie pervers, krank, über
häßlich und charakterlos bis hin zu 'Mannweib' und 'Sexmonster' ausgestaltet. Eine Bestätigung
der Existenz solcher Zuschreibungen gibt Judith Offenbach, indem sie über sich schreibt: "Ich
bin lesbisch, Jahrgang 1943. In den fünfziger Jahren hielt ich meine Liebe zu Frauen für sündig und pervers, in den sechziger Jahren für eine (hoffentlich heilbare!) Krankheit, ...".(Offenbach, 1983, 211) Und sie zitiert Luise Rinser, die Anfang der 70er Jahre (also sehr nahe an
meinem Untersuchungszeitraum) notierte: "Ich habe schon oft Leute (Bekannte und Fremde,
zum Beispiel Taxifahrer, die für mich ... die 'Stimme des Volkes' darstellen) gefragt, was sie
von Homosexuellen hielten. Ich bekam fast immer die Antwort: 'Diese Schweine', bestenfalls:
'Diese armen Luder', und einige Male (Deutschland 1971): 'Der Hitler hatte schon recht, sie
zu vergasen'." (Rinser, Luise, 1972: Grenzübergänge, Tagebuchnotizen, Frankfurt/M., 322;
45
zit. nach Offenbach, 1983, 211)1
Meine Annahme, daß auch das 'Mannweib'2 noch im diffamierenden Vokabular zu finden war,
erfährt eine gewisse Stützung durch den Bericht einer Lesbe aus den Niederlanden (50er
Jahre), die ihn als für sie verwendet erwähnt (vgl. Sterkenburg, 1988, 12)
Der Ursprung dieser Zuschreibungen ist die Abweichung vom herrschenden Frauenbild und der
Unsittlichkeit einer 'Zwischenstufe' zwischen den Polen Mann - Frau. Lesben wurden die un'weiblichen' Pendants zu den jeweiligen weiblichen Eigenschaften wie etwa Wärme, Fürsorglichkeit, Einfühlsamkeit, Emotionalität, u.a.m. und männliche Eigenschaften, wie beispielsweise
Härte und Körperlichkeit, die an ihnen zu abstoßenden Eigenschaften wurden, zugeschrieben.
Das Ziel Wuermelings und auch Hecks, die Familie in ihrer traditionellen Struktur als Lebensform zu monopolisieren und gleichzeitig zu idealisieren, hatte für lesbische Existenz direkte
Folgen.
Die Gleichsetzung eines glücklichen Frauenlebens mit Heirat und Familienleben schloß die Umkehrassoziation von Unglück bei Ehe- und Familienlosigkeit mit ein. Indem durch die Familienpolitik die Familie als Hort des Glücks, der Harmonie und des menschlichen Lebens überhaupt
propagiert wurde, mußten andere Formen des (Zusammen-) Lebens als glücklos, schlechter
Ersatz und im äußersten Falle unlebbar erscheinen. Hier traf die familienpolitische Propaganda
erneut auf ein verbreitetes Vorurteil über die Glücklosigkeit lesbischer Verbindungen. Die wenigen Darstellungen von Frauenliebe, die es allgemein zugänglich gab3, endeten tragisch und
unglücklich, ohne richtig begonnen zu haben, oftmals mit dem Tod einer oder beider Beteiligten. Lesbischer Liebe haftete über die Glücklosigkeit hinaus die 'Unlebbarkeit' an.
Andererseits bewirkte die Monopolisierung, daß "andere Formen des Zusammenlebens als in
der Kleinfamilie ... nahezu ausgeschlossen"(Delille/Grohn, 1985a, 40) und die als 'Alleinstehende' bezeichneten Frauen ohne Ehemann " ... fortschreitend sozial ausgegrenzt"(DGB,
1993, 140) wurden. Nichtverheiratete Frauen wurden zu Versagerinnen oder- seitens der Gutwilligen - zu bedauernswerten Geschöpfen, zu denen, die 'keinen abgekriegt haben', und sahen
sich mit gesellschaftlicher Geringschätzung konfrontiert. Lesben, sofern sie sich nicht offensiv
bekannten, zählten auch zu dieser Gruppe der 'Alleinstehenden', und wurden als solche diskriminiert. Fritz und Streit schrieben dazu in den 70er Jahren, was für die 50er und 60er sicherlich
auch Gültigkeit hatte: "Indem sie gezwungen sind, ihr Anderssein zu verbergen, geben sich
homosexuelle Frauen als etwas aus und werden als etwas wahrgenommen, was sie nicht sind als alleinstehende, d.h. unverheiratete, aber heterosexuelle Frauen. Damit entgehen sie zwar
der sozialen Diskriminierung, die sie als Homosexuelle zurecht fürchten. Im Grunde tauschen
sie aber nur diese spezifische Unterdrückung gegen eine andere Unterdrückung ein, die zwar
weniger hart ist, die aber auch nicht zu einem viel größeren Selbstbewußtsein verhilft; denn
der Status des Unverheiratetseins ist bei Frauen immer noch ein Status des Sitzengebliebenseins."(Fritz/Streit, 1979, 326) Die 'Frauenenquete' gab dazu Aufschluß, sie berichtete von der
gesellschaftlichen Geringschätzung und dem ausschließenden Verhalten gegenüber 'Alleinstehenden' (Die Frau, 1967, 44; vgl. das Zitat auf S. 20 dieser Arbeit) In Anbetracht der Urheber1 Ich muß davon ausgehen, daß in dem Zitat von Rinser implizit nur von homosexuellen Män nern die Rede ist.
Indem Offenbach jedoch dieses Zitat in Zusammenhang mit ihrer damaligen Sicht auf sich selbst setzt, sagt sie,
daß sie diese Zuschreibungen an Schwule auf sich als Lesbe übertrug.
2 zur Historie des Begriffs 'Mannweib' vgl. Schwarz, 1982
3 sehr bekanntgeworden sind in den 50er und 60er Jahren drei Filme: 'Mädchen in Uniform', 1958 mit Romy
Schneider und Lilli Palmer neuverfilmt, die US-Produktion 'Infam' (1961) mit Shirley MacLaine und Audrey
Hepburn und, ebenfalls aus den USA, 'Das Doppelleben der Schwester George' (1969). Vgl. Hetze, 1986, S.25ff
46
schaft dieser Enquete1 sprechen die dort gegebenen 'Hinweise' eine deutliche Sprache über
Ausgrenzung und Diskriminierung der sog. 'Alleinstehenden'.
Über das Verhalten, das diese Geringschätzung transportierte, geben von Meyer und Schulze
befragte 'Alleinstehende' Auskunft. Sie berichteten von verschiedensten alltäglichen Diskriminierungen, vom 'schief angesehen werden' über das nicht eingeladen werden seitens befreundeter(!) Ehepaare bis zum verschiedentlich für Frau(en) ohne Männerbegleitung erteilten Lokalverbot noch bis in die 60er Jahre (vgl. Meyer/Schulze, 1984a und 1985). Meyer/Schulze fassen
in Auswertung der Gespräche zusammen, daß 'Alleinstehende' "allerdings auch massive Einschränkungen ihrer Lebensfreude hinnehmen (mußten)"(diesn., 1984a, 370).
Die Propagierung der Ehe als alleingültige Lebensform brachte den 'Alleinstehenden' und vielen, gerade jungen Lesben (und/oder solchen, die sich nicht offensiv 'bekannten') darüberhinaus
einen u.U. wesentlichen Druck zur Eheschließung. Die direkt Agierenden bei diesem Druck
dürften mehrheitlich dem persönlichen Umfeld der Betreffenden angehört haben. Die von Meyer und Schulze befragten berichteten aber auch, daß sie sich verschiedentlich mittels eines Eheoder Verlobungsrings 'tarnten' (ebda.).
In der Weimarer Republik und noch mehr im Nationalsozialismus war die sog. Josephs- oder
Kameradschaftsehe2 ein relativ verbreitetes 'Mittel' unter Lesben und Schwulen gegen diese
Form der Ausgrenzung und des Drucks gewesen. In wieweit sie auch in der BRD weiter praktiziert wurde, dazu gibt die Anzeigenseite in der ersten Ausgabe der Lesbenzeitung 'Wir Freundinnen' Anhaltspunkte: von insgesamt acht Annoncen wurden vier von Männern aufgegeben,
die eine 'Freundin'3 für evtl spätere Kameradschaftsehe suchten. Inwieweit diese Form des
Schutzes auch von Frauen aktiv gewünscht wurde, oder ob Kameradschaftsehen in der Hauptsache zum Schutz der vom §175 bedrohten schwulen Männer gewünscht und eingegangen
wurden, muß dahingestellt bleiben. Klar ist m.E. jedoch, daß sie in relevantem Ausmaß geschlossen wurden, denn ohne begründete Hoffnung auf Erfolg wäre diese relativ große Menge
an Gesuchen widersinnig; ebenso klar, daß Lesben in solchen Verbindungen Schutz vor alltäglicher Sanktionierung fanden, sei dies nun Mit-Intention gewesen oder nicht.
Über Zuschreibungen und Heiratsdruck hinaus ergaben sich auch klare Einschränkungen der
Möglichkeiten lesbischer Lebensäußerungen: Daß Frauen ohne Männerbegleitung mitunter der
Zutritt zu oder die Bedienung in Lokalen verwehrt wurde, habe ich bereits erwähnt; ich möchte
es an dieser Stelle noch einmal explizit ansprechen, da es bedeutete, daß lesbische Frauen weder alleine noch mit Freundinnen oder Geliebten ungehindert bzw. problemlos einen 'netten
Abend' außerhalb der 'eigenen vier Wände'4 verbringen konnten. Dies wird auch von anderer
Seite bestätigt: Eine Gewerkschafterin berichtet aus den 50er Jahren: "Oder wir sind nach unseren Sitzungen Eis essen gegangen oder in Lokale und ein Bier trinken. Das war auch zum
Teil ein bißchen ungewöhnlich, daß Frauen alleine ein Bier trinken gegangen sind."(in:
DGB, 1993, 155) Meyer und Schulze berichten auch, daß es für Frauen verpönt war, miteinander zu tanzen (Meyer/Schulze, 1985a, 125)5. 'Verpönt' und 'unüblich' sind Begriffe, die nicht
1 siehe S.38 dieser Arbeit
2 bezeichnet die Scheinehe zwischen einem Schwulen und einer Lesbe zum Schutz vor Krimi nalisierung des
Mannes und der Verfolgung beider.
3 'Freundin' bzw. 'Freund' war bereits in den 20er Jahren vielfach verwendete Selbstbezeichnung für Lesben
bzw. Schwule gewesen. Offensichtlich waren sie auch in der BRD der 50er Jahre noch gebräuchlich.
4 sofern vorhanden; vgl hierzu die Ausführungen über die Folgen der Wohnungspolitik für lesbische Existenz
in diesem Kapitel.
5 Sie sagen auch, daß dies in der unmittelbaren Nachkriegszeit durchaus Sitte gewesen war; ein weiterer
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verboten bedeuten, aber darauf schließen lassen, daß ein Zuwiderhandeln gegen das Gebot
sanktioniert wurde. An oberer Stelle der möglichen Sanktionen dürften die üblichen Sanktionen gegen Frauen ohne männlichen 'Schutz' gestanden haben; 'Tuscheleien' und verbale Angriffe, sexuelle Anmache von Männern und eine Herabsetzung der betreffenden Frauen, die sich
benahmen, wie es sich für 'anständige Frauen' nicht gehörte.
Dabei wurden zwei Ziele erreicht: zum einen wurde (nicht nur) lesbischen Frauen die Bewegungsfreiheit und die Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben geschmälert. Zum anderen wurde eine weitere Unsichtbarmachung lesbischer Existenz und die Unterstreichung des
heterosexuellen Paares als einzige Existenzmöglichkeit erreicht.
Dem gegenüber stand eine tendenziell klandestine lesbischer Subkultur, abgeschottet und
schwer zugänglich. Diese Subkultur bestand zum einen aus lesbischen der schwullesbischen
Lokalen, die oft nur für Eingeweihte erkennbar waren und durch Klingel, Türsteher(in?) und
Guckloch wenig einladend wirken mußten. "Diese Welt lebte im Dunklen. Meine Vorstellungen von hellen, offenen Gartenlokalen waren absurd."(Zeitzeugin Hil-degard in Kokula,
1989, 116) Zum anderen spricht Kokula von lesbischen Cliquen, von denen sie vermutet, daß
sie vor allem aus älteren Frauen bestanden, die Kontakte aus der Weimarer Zeit aufrechterhalten oder wiederaufgebaut hatten und schließt daraus: "Besonders schwer hatten es jüngere
Frauen, die gar nicht oder nur mühsam den Zugang zu dieser abgeschotteten Subkultur fanden."(Kokula, 1989, 115)
Gemeinsames Engagement von Lesben mit dem Ziel ihrer Entdiskriminierung hat es nach meinen Kenntnisstand in den 50er und 60er Jahren nicht gegeben. Ausnahme bildet die Anfang der
50er Jahre erschienene Zeitschrift 'Wir Freundinnen', in der ein Aufruf, sich dem Kampf gegen
Gatzweilers Hetzblätter (s.o.) anzuschließen, abgedruckt wurde. Die Passivität lesbischer Frauen, wie sie in einem Leserinnenbrief an die 'Wir Freundinnen' beklagt wurde1, hat ihren Teil zur
Unsichtbarmachung und Isolierung lesbischer Frauen voneinander und von der Gesellschaft
beigetragen.
Anonymität und Klandestinität der Subkultur entsprachen dem Zwang zur Tarnung lesbischer
Frauen als Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Und verstärkten
damit die Isolation vor allem jener Frauen, die den Zugang nicht fanden.
Kokula schreibt 1983 über die 'lesbische Clique', sie habe wichtige Funktionen bei der Handhabung des lesbenfeindlichen Umfeldes: "Die Clique hilft, das nie gänzlich zu beseitigende Problem der Konfrontation mit der Umwelt abzupuffern, gelegentlich zu erleichtern, und sie hilft,
eine Gegenwelt aufzubauen."(Kokula, 1983, 53f) Und Meyer und Schulze sagen über 'alleinstehende' (implizit heterosexuelle) Frauen: "Einen entscheidenden persönlichen Rückhalt fanden viele Frauen in ihren Lebenszusammenhängen. Die meisten wohnten in Haushalten mit
Schwestern, Müttern, Großmüttern oder Kindern, mit entfernt verwandten Frauen oder
Freundinnen."(Meyer/Schulze, 1984b, 167f) Viele lesbische Frauen werden - anders als die
Befragten von Meyer und Schulze - diesen wichtigen Rückhalt nicht gefunden haben, weder im
familiären und sonstigen Umfeld (s.o.), noch in der Subkultur, die insgesamt nur für sehr wenige zugänglich gewesen sein dürfte.
Hinweis auf die Wiederaufhebung weiblicher 'Freiheiten' (vgl. ebda.)
1 Ich zitiere: "Ich habe leider die Erfahrung gemacht, daß viele gleichgesinnte Frauen den Problemen, um die
es geht, gleichgültig gegenüber stehen. Sie verharren in absoluter Passivi tät, als ob sie alles - zum Beispiel
der Kampf um den mittelalterlichen Paragraphen - nichts anginge. Aber es geht uns an! Auch wir sind
gezwungen, Theater zu spielen, ein Doppelleben zu führen und müssen vor der Entdeckung unserer Neigung
bangen, weil man uns ebenso als >>Ausgestoßene<< behandeln würde, wie unsere männlichen
Schicksalsgefährten."(S.B., in: 'Wir Freundinnen, 1951a, 24)
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Die bisher ausgeführten möglichen und/oder tatsächlichen Konsequenzen der Frauen- und Familienpolitik und des von ihr gestützten Frauen- und Familienbildes auf Lesben bezogen sich
fast ausschließlich auf äußere Umstände und Faktoren. Von großer Bedeutung müssen aber
gerade auch die 'inneren' Konsequenzen für Lesben gewesen sein, d.h. jene, die sich daraus für
die Wahrnehmung ihrer eigenen Person und ihrer Umwelt, für ihr eigenes Verhalten und ihre
Ansichten ergaben.
Hierzu gehört zentral, daß lesbische Frauen aufgrund des bislang Erörterten aller Wahrscheinlichkeit nach enorme Angst vor Ausschluß, Verachtung und direkt sanktionierenden Maßnahmen bei Bekanntwerden ihres Lesbischseins hatten und daß diese Angst zur Tarnung ihres
'wahren Selbst' vor anderen führte. Gleichzeitig bewirkte diese Tarnung ein weiteres Unsichtbarmachen lesbischer Existenz und trug so zur Aufrechterhaltung der Tabuisierung bei.
Weiter gehören in diesen Zusammenhang die Auswirkungen des Dargelegten auf das Selbstbild, Selbstwertgefühl und die Identitätsfindung lesbischer Frauen.
Davon ausgehend, daß lesbische Frauen den gleichen ideologischen und Sozialisationsapparat
durchlaufen wie andere, haben sie die Werturteile über Abweichung im allgemeinen und lesbische Existenz im besonderen übernommen und reproduziert. Dröge sagt zusammenfassend,
daß alle 'Minoritätengruppen' die Vorurteile gegenüber ihrer eigenen Gruppe verinnerlicht haben (vgl. Dröge, 1977, 18) Und: "Die Übernahme dieser [sexualfeindlichen restriktiven] Normen ändert weniger das reale Verhalten - zumindest nicht in dem Maße, wie es die Norm vorschreibt - als die Einstellung gegenüber dem Verhalten. Weil jede Moral, die die Eltern ihren
Kindern, die Kirche ihren Gläubigen und der Staat seinen Bürgern vermittelt, von sich in Anspruch nimmt, daß jeder sie erfüllen kann - sofern er/sie sich nur genug anstrengt, kann die
'Schuld', der Norm nicht gerecht geworden zu sein, nur bei sich selbst gesucht werden. Die
Folgen sind Schuldgefühle und Selbstverurteilung, die verhindern helfen, daß die Norm hinterfragt wird." (Dröge, 1976, 24)
Außerdem davon ausgehend, daß - wie erörtert - die Öffentlichkeitsarbeit, deren Zielobjekt ja
das Individuum ist, hauptsächliches Instrument der Familienpolitik war und ein zentrales Mittel
in dieser Propaganda wiederum die Stärkung der (konventionellen) Moral, bleibt festzustellen,
daß die Wichtigkeit dieser 'inneren' Konsequenzen wenn nicht ebenso dominierend, so doch jedenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
Verstärkt wurde dies noch durch die Zusammenarbeit des Familienministeriums mit den Familienverbänden und vor allem mit den Kirchen, die als vor- und überstaatliche Kraft großen Einfluß auf und großes Vertrauen in der Bevölkerung der BRD der 50er und 60er Jahre besaßen1.
Der vorstaatliche Charakter und die Moral als klassisches Instrument der Kirche dürften
darüberhinaus zu einer Entpolitisierung - im Sinne von Entfernung der produzierten lesbenfeindlichen Situation von seinem gesellschaftlichen und staatlichen Ursprung und dem In-Verbindung-Bringen mit übermenschlichen und unveränderlichen Gegebenheiten - beigetragen haben.
Eine weitere Verstärkung des normativen Charakters der Werturteile dürfte die Hecksche Politik mit der starken Einbeziehung einerseits der Wissenschaft und andererseits der Jugendpolitik erreicht haben. Die Wissenschaft bestätigte vor allem in den Bereichen Soziologie und
der neu erstarkten Sexologie immer wieder die Norm der Ehefrau und Mutter und die Krankhaftigkeit der lesbischen Abweichung von diesem Ideal2. Die Jugendpolitik zielte auf eine ideo1 vgl. Pirker, 1977, 53ff
2 Ab Mitte der 60er Jahre ist ein vehementer Zuwachs diesbezüglicher Veröffentlichungen zu verzeichnen. Als
Beispiel sei die neu eingerichtete Reihe Sexologie im rororo-Taschenbuchverlag erwähnt.
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logische Festigung der Individuen bereits im Jugendalter, die als Erwachsene wiederum selbst
für die Einhaltung und Verbreitung der Normen und Werturteile 'sorgen' würden.
Im Ergebnis dürften diese Konstellationen erreicht haben, daß viele lesbische Frauen mit
Schuld- und Schamgefühlen, mit negativen Selbstbildern, mit dem Wunsch nach Heilung von
ihrer Krankheit und ihrem Defizit und mit einem entsprechend geringem Selbstbewußtsein und
-wertgefühl gelebt haben1.
Zusammenfassende Thesen
Es ergeben sich in Zusammenfassung und Zuspitzung als Ergebnis der theoretischen Erarbeitung folgende Thesen:
Da die ideologischen Aktivitäten der Schwerpunkt der Frauen- und Familienpolitik waren, ist
davon auszugehen, daß sie auch bezüglich der Konsequenzen dieser Politik für lesbische Existenz die maßgebliche Rolle spielten. Bedeutsam daran ist, daß ideologische Aktivität im Gegensatz zu wirtschaftlich-rechtlichen Maßnahmen weit weniger faßbar ist.
Als zentral in der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums kristallisierte sich zum einen 'Moral'2
und zum anderen 'Norm' heraus. Moral wurde von der Frauen- und Familienpolitik als zentraler
sozialstrukturierender Wert in der Gesellschaft gestärkt, vorangetrieben und staatspolitisch benützt.
Hinzu trat als Mittel der Frauen- und Familienpolitik eine enge, im Sinne von wenig bis möglichst keinen Spielraum zulassende, Norm(ierung) geschlechtsspezifischer Rollenbilder. Mittels
solcher restriktiven Norm wurde bestimmt, was als normal galt, und mittels der Moral alles
Unnormale verurteilt.
Normalität und Sittlichkeit wurden zu zentralen Leitwerten für Frauenleben in der BRD. Moral
und Norm wurden in der Frauen- und Familienpolitik zu einem heterosexistischen und also lesbenfeindlichen Gespann.
Ein nicht unerheblicher Teil des unterdrückerischen Potentials der Frauen- und Familienpolitik
bestand entsprechend in dem Versuch, ein Verlassen dieser Normen zu verunmöglichen und
den Aufbau anderer, abweichender Werte zu verhindern. Ein Ziel dieser Politik war demgemäß
die Prävention lesbischer Existenz.
'Der Staat' trat dabei selten als sichtbarer und sanktionierender Akteur auf. Norm und Moral
als politische Mittel ermöglichten relativ große Zurückhaltung staatlicher Institutionen im unmittelbaren Handeln. Staatliche Familienpolitik arbeitete mittelbar, anleitend, erziehend und
diejenigen unterstützend, die als 'Verbündete' in seinem Sinne wirkten und arbeiteten. Es wird
offensichtlich, daß diese Politik nur dort erfolgreich sein konnte, wo sie auf entsprechende Einstellungsmuster in breiten Teilen öffentlicher Institutionen und der Bevölkerung trafen. Bezüglich des Frauen- und Familienbildes und der -politik waren diese Entsprechungen groß. Moralischer Druck und Normierung als wesentliches Instrument der Frauen- und Familienpolitik traf
auf die moralische Verurteilung, die moralischen Werturteile der 'Gesellschaft' gegen lesbische
Frauen, die sich wiederum aus dem restriktiven Frauenbild ableiteten.
Sichtbare AkteurInnen waren als explizite 'Verbündete' v.a. die Familienverbände und die Kirchen. Von Bedeutung für die konkrete Diskriminierung lesbischer Existenz waren vor allem
1 Zur Funktionsweise von Vorurteilen und Stigmatisierungen verweise ich exemplarisch und wegen der
relativen Nähe zu meinem Untersuchungszeitraum auf Schäfer, 1975 und Fritz/Streit 1979.
2 ich spreche hier und im folgenden von 'Moral' immer im Sinne von traditionellen Moralvorstellungen
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aber auch die Individuen der Gesellschaft, das soziale Umfeld, die Familie und die FreundInnen
lesbischer Frauen. Sie waren einerseits die primären Objekte familienpolitischer Öffentlichkeitsarbeit, die z.B. in der Jugenderziehung nicht Erkenntnis über und Beteiligung an politischen
Prozessen, sondern ein Weltbild auf der Basis undurchdachter moralischer Urteile förderte; und
dadurch wurden sie andererseits in Übernahme, Verbreitung und Weitergabe der geförderten
Norm- und Moralvorstellungen - zugespitzt formuliert - die heterosexistische 'Exekutive' staatlicher Frauen- und Familienpolitik.
Frauen- und familienpolitische Aktivität stützte sich also auf gesellschaftlich vorhandene Moralvorstellungen und Werturteile, baute sie auf und aus. Solche indirekte Politik der Einflußnahme war nur durch diese erfolgreiche 'Zusammenarbeit' möglich und effektiv. Sie hätte nicht
funktioniert, wäre sie nicht auf der gesellschaftlichen und individuellen Ebene auf Zustimmung
getroffen. Die 'Verbündeten' waren maßgebliche MitträgerInnen der Unterdrückung.
Rechtliche und wirtschaftliche Maßnahmen erschwerten lesbische Existenz. Über materielle
Schlechterstellung von 'Alleinstehenden' - höhere Steuern, weniger Lohn, ungenügender
Wohnraum - wurde versucht, Frauenexistenz ohne Abhängigkeit von Männern zu verunmöglichen. Sexistische Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik forcierte die verbreitete 'Du heiratestja-doch-Haltung'. Speziell die Wohnraumpolitik erzielte, die Möglichkeiten lesbischen Lebens,
speziell lesbischen Beziehungslebens einzuschränken. Über rechtliche Diskriminierung von
Frauen allgemein wurde der Aufbau eines unabhängigen Frauenlebens - siehe Scheidungsrecht
- erschwert. Durch unsichere und schlechtangesehene weibliche Lohnarbeit wurde sowohl
Selbstvertrauen als auch materielle Existenz lesbischer Frauen untergraben; sie war damit auch
ein Beitrag zur Prävention lesbischer Existenz.
Die ergriffenen rechtlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen hatten aber keinen zentralen Stellenwert; sie hatten die Norm stützenden, die Rollenbilder stabilisierenden Charakter und waren
eine daher Ergänzung der familienpolitischen Propagandatätigkeit.
Im Ergebnis dieser Politik waren die 'inneren' Konsequenzen für lesbische Existenz von großer
Bedeutung. Die lesbische Frau als Individuum der Gesellschaft und Objekt der propagandistischen Tätigkeit hatte die gleichen Normierungen und Moralvorstellungen verinnerlicht und war
davon nicht schon deswegen befreit, weil sie 'Betroffene', 'Leidtragende' war.
Auch und gerade für lesbische Frauen galt, daß ein nicht unerheblicher Teil des unterdrückerischen Potentials der Frauen- und Familienpolitik und -bilder darin bestand, ein Verlassen der
Normen zu verunmöglichen und den Aufbau eigener, positiver Werte zu verhindern. Eine an
positiven Werten orientierte lesbische Identität sollte durch die moralische Verurteilung des
Normenbruchs verhindert werden.
Die Folge war die Internalisierung ihrer Unterdrückung, die antilesbische 'Schere im Kopf', die
Verinnerlichung eines staatlich und gesellschaftlich forcierten und begründeten negativen
(Selbst-)Bildes; die Identität und Persönlichkeit der lesbischen Frau wurde statt der gesellschaftlichen und politischen Ebene Austragungsort des Konflikts.
Als Folge 'tarnten' sich viele lesbische Frauen, und wurden dadurch in gewisser Weise Mitverantwortliche ihrer Situation. Politische Organisierung von Lesben fand nicht - oder nur sehr begrenzt - statt, der Zugang zu einer klandestinen lesbischen Subkultur war nur wenigen möglich.
Ein Erfolg der Ausrichtung des Schwerpunktes frauen- und familienpolitischer Aktivität auf die
Öffentlichkeitsarbeit und die Stabilisierung restriktiver moralischer Normierungen und Werte
51
war, daß das Erkennen der eigenen Situation als durch Unterdrückung gekennzeichnet für lesbische Frauen erschwert wurde. Ursprung und Ausübende wurden verschwommen oder unsichtbar, da die direkt agierenden und sanktionierenden Instanzen hauptsächlich das persönliche und vermeintlich wohlgesonnene Umfeld sowie die eigene Person waren. Zusätzlich verschleiert wurden sie dadurch, daß 'es', der Grund der Sanktionierung oder Negativbewertung,
nie genannt wurde.
Die Unterdrückung lesbischer Existenz wurde dadurch sehr subtil und schwer angreifbar.
Inwieweit die hier theoretisch erarbeiteten Mechanismen das Leben von Frauen berührten und
beeinträchtigten, die real lesbisch lebten (oder leben wollten), darüber sprechen die Interviewten und die Auswertungen.
52
D. Empirischer Teil
1. Explikation der spezifischen Fragestellungen für und an die Interviews
Der theoretische Teil behandelte die in den 50er und 60er Jahren herrschenden Bilder von
'Frau' und 'Familie', und die Rolle der Frauen- und Familienpolitik bei der Durchsetzung und
Aufrechterhaltung dieser normgewordenen Bilder. Ich versuchte, diese Frauen- und Familienpolitik und -bilder auf ihre Bedeutung, ihre Auswirkungen für lesbische Existenz hin zu analysieren, mit dem Ziel, einen Zusammenhang zwischen beidem herzustellen.
Der zweite Teil der Arbeit besteht aus der Auswertung von sieben von mir durchgeführten
qualitativen Interviews, mithilfe derer ich diese Hypothesen über die politisch determinierten
Bedingungen in ihrer konkreten Bedeutung für einzelne lesbische Frauen hin untersuchen wollte. Erkenntnisziel ist also die Verarbeitung und der Umgang des 'betroffenen'1 Subjekts mit diesen politisch gesetzten Bedingungen, das Erfragen von Konsequenzen dieser Vorgaben auf die
Einzelnen. Ziel der Interviews war auch, zu erfahren, ob und wie einzelne Lesben die
dargelegten Bedingungen in ihrem Alltag wahrnahmen, ob sie den Zusammenhang zwischen ihrer Lebenssituation und dieser Politik herstellten, welche Einschätzungen sie von ihr hatten.
Die in der theoretischen Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen erarbeiteten Thesen sind
Grundlage der spezifischen Fragestellungen an die Interviews, sie bauten sowohl den Leitfaden
als auch die Auswertungskategorien auf.
Die Arbeitsthese dieser Arbeit ist, daß lesbische Existenz als diskriminierte Lebensform besonders eng verbunden ist mit den Vorgaben durch staatliche (und gesellschaftliche) Politik, Normen, Werte und Sanktionierungen. Lesbische Existenz wurde durch die politischen Maßnahmen der Frauen- und Familienpolitik behindert mit dem Ziel ihrer Verhinderung2. Das hat zumindest mittelbare Auswirkungen, Einfluß auf die Einzelbiographie und muß also zu einer Art
von Verarbeitung durch die Einzelne führen3. Die Art der Verarbeitung wiederum läßt u.U.
Rückschlüsse auf die Wirkungsweisen der politischen Handlungen zu.
2. Methodische Überlegungen
Ich gehe davon aus, daß die methodischen Prozesse und Überlegungen elementarer Bestandteil
der Forschung sind, und daß daher 'Ergebnisse' ohne den Weg ihres Zustandekommens an
Aussagekraft und Wert verlieren. Deshalb möchte meinen Forschungsprozeß wenigstens grob
nachvollziehbar machen, um meine Arbeit überprüfbar und meine Erfahrungen zugänglich zu
machen.
Ich habe als Methode das qualitative Interview gewählt. Ziel der Interviews sind also nicht
standardisierbare, repräsentative Aussagen über 'das lesbische Leben im allgemeinen' (zumal es
dieses gar nicht gibt), sondern die Verarbeitung und folgende Analyse von im weiteren Sinne
lebensgeschichtlichem Material auf vorab theoretisch erarbeitete Thesen hin.
1 Zum Begriff 'Betroffenheit' vgl. Mies, 1984a, 56f
2 Zur Unnachweisbarkeit der unmittelbaren Intendiertheit dieses Ziels vgl. die Einleitung und B.2. dieser Ar beit.
3 Unmittelbare Auswirkungen werden sich aus den Interviews kaum direkt ergeben, sondern großenteils nur
durch die Interpretation. Das Problem der Vermittlung der verschiedenen Ebenen tritt hier wieder zutage.
53
Besondere Beachtung bei der Arbeit mit wissenschaftlichen Interviews verdient das Verhältnis
zwischen Interviewerin und Interviewter, da es u.U. die Forschungsergebnisse beeinflußt1.
(Fast?) ausnahmslos ist es hierarchisch zugunsten der Interviewerin: sie hat immer einen Wissensvorsprung um das Projekt, in vielen Fällen ein Vorsprung an sozialer Macht, meist größere
Versiertheit mit und Erfahrung in der Materie, sowohl inhaltlich als auch die Form, die Methode betreffend, und schließlich hat sie die Macht über die Ergebnisse und die Verwendung ihrer
Forschung.
Dieses Machtgefälle aufzulösen ist eine der zentralen Forderungen feministischer Forschung2,
diskussionsanregend formuliert von Mies in ihren methodischen Postulaten (vgl. Mies, 1984b).
Notwendig dazu ist, daß die Interviewerin ihre eigene Betroffenheit vom und/oder Involviertheit ins Thema gegenüber den Interviewpartnerinnen äußert, ihre Intentionen genau darlegt; sie
expliziert das von ihr verfolgte Interesse. Daß sie Bereitschaft zu tendenzieller Reziprozität
zeigt. Daß sie Vetorechte für die Interviewten garantiert und Rückkoppplungsmöglichkeiten
bereitet.
Ich bin jedoch entgegen Mies' ursprünglicher These der Ansicht, daß sich durch solche Ansätze
das Machtgefälle noch nicht aufheben, sondern nur verringern läßt. Die Auflösung solchen
Machtgefälles muß dort an Grenzen stoßen, wo soziale Macht eine Rolle spielt, sei es durch
Klassen- oder ethnische Unterschiede. Andere mögliche Grenzen sind die u.U. fehlende Bereitschaft der Forscherin, ihre Ansprüche umzusetzen, oder auch eventuelle Unwilligkeit auf seiten
der Beforschten, die Position des 'Objekts' zu verlassen, denn auch für sie bedeutet es einen
Mehraufwand an Zeit und Auseinandersetzung und darüberhinaus die prinzipielle
Übereinstimmung mit dem Forschungsziel Emanzipation. Schließlich kommen oftmals die
'Sachzwänge' realer Forschungssituationen, wie Zeit- und Geldnot, hinzu.
Grundsätzlich problematisch bleibt es, daß die Interviewerin und/oder Forscherin die (fast) alleinige Macht darüber hat, wie sie die Rollen im Forschungsprozeß ausgestaltet, d.h. es ist ihre
Entscheidung, den Interviewten mehr oder weniger Einblicke, Rechte und Möglichkeiten zu
gestatten. Die Macht wird aus der Forschungssituation also nicht verschwinden, es besteht lediglich die Möglichkeit, durch Reflexion und den Versuch des konstruktiven Umgangs den
Forschungsprozeß nicht unnötig zu behindern.
Konkretes Vorgehen, Anlage der Forschungssituation
Die Interviews bewegen sich zwischen narrativer und problemzentrierter Methode. Es kam mir
einerseits darauf an, nicht durch zu starke Vorstrukturierung des Gesprächs die Erwähnung mir
u.U. bislang unbekannt gebliebener Aspekte zu verunmöglichen; die Interviewte sollte mitbestimmen können, was sie im Zusammenhang wichtig findet und was nicht. Dieses Vorhaben
führt zur narrativen Methode (vgl. Mayring, 1990, 51f). Andererseits wollte ich aber
bestimmte Ansichten und Erfahrungen erfragen, um die theoretisch gebildeten Thesen des
ersten Teils aufnehmen zu können. Dieses Vorhaben führt vom narrativen zum problemzentrierten Interview (vgl. Witzel, 1982, 67ff). Die Interviewmethode war also halbstrukturiert, weder ganz offen, wie beim narrativen Vorgehen, noch ziemlich stark vorstrukturiert wie
beim problemzentrierten.
Die Interviewpartnerinnen suchte ich einerseits über mehr oder weniger persönliche Kontakte,
andererseits über Aushänge in Einrichtungen der FrauenLesbenbewegung3. Dadurch ist eine
1 vgl. zu diesem Einfluß z.B. Reinharz, 1992, 26f und 138ff
2 zu meinem Wissenschaftsverständnis vgl. die Ausführungen in der Einleitung zu dieser Arbeit.
3 Der Aushang findet sich im Anhang
54
unvermeidliche Vorauswahl getroffen worden, die sich auch bestätigte: Bis auf eine fühlen sich
alle Gesprächspartnerinnen der FrauenLesbenBewegung nahestehend und/oder zugehörig1.
Die Beschwerlichkeit der Suche - nach 13 Monaten Suche hatten gerade zwei
Interviewpartnerinnen sicher zugesagt - zwang mich zur Ausweitung meines ursprünglichen
Vorhabens: der empirische Teil dieser Arbeit sollte sich ursprünglich nur auf Westberlin
beziehen; ich versprach mir davon neben der größeren Zugänglichkeit für mich v.a. mehr Greifbarkeit der Ergebnisse durch ihren lokalen Charakter. Die erweiterte Fassung schließt nunmehr
westdeutsche Großstädte ab ca. einer halben Million EinwohnerInnen ein2. Durch die Beschränkung auf Großstädte läßt sich ein Minimum an vergleichbaren Lebensbedingungen annehmen, da das Stadt-Landgefälle so keine Rolle spielt.
Kriterien der Auswahl war also (1) das damalige (u.U. zeitweilige) Wohnen in einer dieser
Städte; (2) die Frauen waren bzw. lebten damals lesbisch. Ich legte keine Definition dessen vor,
was als lesbisch 'gilt' und was nicht; entscheidend war, daß die Frauen sich von meinen Aushängen oder Anzeigen, die explizit nur lesbische Frauen als Interviewpartnerinnen suchten, angesprochen fühlten3. Dabei war es für mich unerheblich, ob sie sich selbst mit der Vokabel 'lesbisch' bezeichneten oder ob sie ein anderes Wort benutzten. Ich behandelte Begriffe wie 'frauenliebend', 'homosexuell', 'schwul' als Synonyma.
Der Leitfaden ist entsprechend der Methodenwahl relativ genau, aber nicht bindend. Ich habe
meine Fragen in fünf Bereiche unterteilt, sie teils ausformuliert, teils nur Stichpunkte aufgenommen4. Angelehnt an Fuchs' Funktionsbeschreibung eines Leitfadens (Fuchs, 1984, 179ff)
sollte er neben der Offenheit des Gesprächs "ein Minimum an Vergleichbarkeit
sichern"(ebda., 179). Das wollte ich v.a. durch die ausformulierten Fragen erreichen. Ansonsten war der Umgang mit dem Leitfaden so, daß ich mir die Entscheidung freihielt, im Interview
ein Thema mit Hilfe einer Frage aus dem Leitfaden anzusprechen oder aber zu entscheiden,
daß sich bereits genügend Informationen aus dem Gesagten ergeben und ein explizites Nachfragen unnötig wäre. (vgl. dazu ebda., 180) Der Leitfaden war für die Interviewte sichtbar in
meiner Hand, ich erklärte zu Beginn der Gespräche seine Funktion für mich und das Gespräch.
Er wurde nach den ersten beiden Interviews noch geringfügig, jedoch nicht inhaltlich bedeutend, geändert5. Grundsätzlich wollte ich mir diese Möglichkeit auch für den weiteren Verlauf
offenhalten, um so mit fortschreitender (Er-)Kenntnis die bereits gewonnenen schon in den
Forschungsprozeß einbauen zu können und damit "Forschung als kontinuierlichen, Erhebung,
Datenanalyse und Theoriebildung verknüpfenden Arbeitsprozeß"(ebda.) auch tatsächlich zu
begreifen und praktisch umzusetzen.
Die ersten Kontakte kamen alle, bis auf ein Interview, das sich sehr spontan ergab, telefonisch
zustande. Ich stellte das Projekt und meine Vorstellungen vom Ablauf vor, und schlug den potentiellen Partnerinnen vor, ein von mir erarbeitetes Informationspapier zum Projekt zu schi-
1 Außerhalb dieses Kreises dürfte die Suche nach Interviewpartnerinnen zu lesbischen Themen auf noch größe re Schwierigkeiten stoßen. Erfahrungen anderer Projekte zur Lesben(geschichts)forschung bestätigen dies.
2 die Liste der betreffenden Städte entnahm ich dem dtv-Brockhaus, Ausgabe von 1986, Bd.2, S.127)
3 vgl. zu diesem Vorgehen Marti, 1992, 20
4 der Leitfaden ist im Anhang der Arbeit angeheftet
5 einen sog. Pretest durchzuführen, war mir angesichts der Schwierigkeiten bei der Suche nach Interviewpartn erinnen nicht möglich. So habe ich den Leitfaden nach den ersten beiden Interview zwar nochmals gründlich
reflektiert, aber diese Gespräche gehen trotzdem in die Auswertung ein. Angesichts der Tatsache, daß grund sätzliche Änderungen nicht nötig waren, scheint mir dies vertretbar.
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cken1. Es würde ihnen ein genaueres Bild von mir und meinen Vorstellungen vermitteln, sie
hätten in Ruhe Bedenkzeit und wir könnten dann ein weiteres Mal telefonieren. Dann erst verabredeten wir gegebenenfalls einen Termin2. Die Gespräche fanden hauptsächlich in den Wohnungen der Interviewten statt; Frau B kam zu mir nach Hause, weil bei ihr keine Ruhe für eine
derartiges Gespräch gewesen wäre, und Frau D, mit der das Gespräch sehr spontan arrangiert
wurde, sprach ich im privaten Nebenzimmer eines Frauenbuchladens.
Die Interviews wurden wortwörtlich transskribiert; methodisch wählte ich wieder eine Mischform, diesmal aus literarischer Umschrift und Übertragung in normales Schriftdeutsch (vgl.
hierzu Mayring, 1990, 63ff); weder wollte ich die Unterschwelligkeiten des gesprochenen
Wortes zugunsten der Schriftsprache verloren gehen lassen, noch kam es mir andererseits auf
die genaue Wiedergabe beispielsweise dialektaler Färbungen an3.
Das Auswertungsverfahren hat drei Schritte: auf ein erstes Lesen der Abschriften hin erstelle
ich ein Kurzportrait der einzelnen Interviewten. Es ist eine Zusammenfassung des Gesagten zu
den fünf Themen des Leitfadens4. Vor allem im Portrait lehne ich mich sprachlich an den Stil
der Interviewpartnerin an, einerseits indem ich viel direkt zitiere, andererseits durch die Übernahme zentraler Vokabeln auch in meinen Fließtext. Der zweite Schritt der Auswertung ist die
jeweilige Interpretation der Interviews. In dieser Einzelfallanalyse konzentriere ich mich auf die
zentralen Themen der Interviewten, ich interpretiere die herausgefilterten Kernaussagen auf
ihre Bedeutung für meine Fragestellung hin. Hier setze ich Wörter, deren Urheberin sonst unklar sein könnte, in einfache Anführungsstriche. Der dritte Schritt ist die übergreifende Interpretation; hier setze ich die einzelnen Aussagen in Verbindung zueinander und in Zusammenhang mit den im Theorieteil erarbeiteten Thesen.
Die wichtigsten methodische Erfahrungen
Jede Befragte hat neben dem Lesbischsein auch noch andere 'ungerade' Stellen in ihrer Biographie, die signifikante Merkmale mit Bedeutung für ihr Sein und Werden sind.
Die Interviewten haben ihre eigenen, oft impliziten Hypothesen bzgl. der Ergebnisse und richten ihre Antworten daraufhin aus. Diese unausgesprochenen Hypothesen zu erkennen ist
schwierig und gleichzeitig wichtig, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Solange das Projekt noch auf Westberlin beschränkt war, führte ich mit den Frauen ein Vorgespräch. Im Nachhinein, auch gerade durch die folgenden Erfahrungen ohne Vorgespräch, erwies sich dieses Vorgehen nur als eingeschränkt konstruktiv. Der von mir erwartete Nutzen,
namentlich die Möglichkeit des Kennenlernens sowohl meiner Idee als meiner Person, also
Vertrauensaufbau, ließ sich in sehr ähnlicher Weise auch telefonisch und brieflich herstellen.
Die Vorgespräche bargen dagegen den Nachteil, daß die Interviewpartnerinnen hier bereits
einen Überblick über ihr Leben gaben, viele Bereiche ansprachen und ein Anknüpfen daran im
'eigentlichen' Gespräch ihnen schwerfiel5.
1 siehe Anhang
2 Vor Ausweitung des Projekts auf Westdeutschland machte ich mit den Interviewpartnerinnen ein Vorges präch; siehe dazu unter 'Die wichtigsten methodischen Erfahrungen'
3 Zur Methode 'Literarische Umschrift' möchte ich hinzufügen, daß sie mir zur authentischen Wieder gabe des
gesprochenen Wortes nur eingeschränkt geeignet erscheint; das gesprochene Wort erscheint bei dieser Form
der Verschriftlichung eher verzerrt, mitunter drollig, so daß ich mich frage, ob hier nicht Akribie vor Authen zität gesetzt wird.
4 die fünf Themen sind: Biographisches, Alltag, Selbstdefinition/-bewußtsein, Diskriminierungen, Politische
Einschätzungen.
5 Es gab einen Effekt von 'das habe ich ja schon gesagt': Vieles war im Vorgespräch bereits angerissen, und ich
56
Fast alle Frauen betrachteten die 50er und 60er Jahre als ein negatives Kapitel ihrer Geschichte. Ihr Blick auf diesen Lebensabschnitt ist auch durch die heutige Nähe zu feministischem Denken beeinflußt (vgl. hierzu Hagemann, 1990, 41 und Fuchs, 1984, 63ff). Die Erfahrung zeigt,
daß die Erfragung von vergangenen Handlungs- und Einstellungsmustern, die mit der heutigen
Sicht- und Lebensweise wenig übereinstimmen bzw. kollidieren, besonders schwierig ist. Es
scheint, daß Erzähl- und Erinnerungsfreudigkeit zueinander proportional sind. Alle Frauen
neigten dazu, immer wieder auf spätere Jahre, etwa ab Mitte der 70er Jahre, abzuschweifen,
hatten genauere und lebhaftere Erinnerungen an diese Zeit, da sich ihre Lebenssituation und
-einstellung ihrer heutigen Sicht annäherten.
3. Portraits und Einzelinterpretationen
Frau A
Kurzportrait
Frau A lebt heute offen als Lesbe, sie ist gegenwärtig politisch sehr interessiert, wenn auch
nicht aktiv, sie fühlt sich der Lesbenbewegung zugehörig.
Sie wurde 1931 in Berlin geboren und hat auch die 50er und 60er Jahre hier gelebt.
Ihr Elternhaus beschreibt A als sehr tolerant. Ihre Eltern waren beide ArbeiterInnen. Von drei
(Halb-)Geschwistern überlebten zwei den Zweiten Weltkrieg nicht, ein noch lebender Bruder
"wollte sich so 'n bißchen über mein Lebenswandel mokieren und, ... da hab ick keen Kontakt
mehr mit" (3).
A beendete 1945 die Volksschule und begann ungelernte Lohnarbeit, erst am Arbeitsplatz des
Vaters, später in der Fabrik, "durch ne Freundin bin ich dann mal so in die Datenverarbeitung reingerutscht, ja und dann hab ick det gemacht" (3). Ihren Ausbildungswunsch
Landwirtschaftsschule verbot der Vater, ("da hätt ick weg gemußt, nach Westdeutschland, det
wollt er nich;"(4)), den von ihrem Vater arrangierten Ausbildungsplatz zur Fleischerin (er ist
Fleischer) mußte sie durch einen 'glücklichen' Zufall nicht antreten: "Und da hat aber eben
meine Mutter sich gottseidank ne Hand gebrochen, und da mußt ich dann zu Hause machen,
und dadurch, ... bin ick einfach nich hingegangen, ..." (4); ein späterer Versuch zur Ausbildung als Glaserin oder Elektrikerin scheiterte an der Unwilligkeit der für sie zuständigen Sachbearbeiterin im Arbeitsamt, "weil sie gesagt hat, na, ich kann ja in Haushalt gehen"(5).
Mit 14 verliebte sie sich erstmals in ein Mädchen, die Mutter klärte sie über die Existenz lesbischer Liebe auf, sie erfuhr von ihren Eltern, nach anfänglichem Entsetzen vor allem beim Vater, Akzeptanz und Unterstützung für ihre Liebe und Lebensweise.
A ging relativ oft in lesbische Lokale bzw. Clubs, sie fühlte sich in der Subkultur sehr wohl.
Darüberhinaus hatte sie auch einen Bekanntenkreis, der gemischt war, also sowohl aus Schwulen und Lesben als auch aus Ehepaaren bestand, indem ihr Lesbischsein kein Problem war, "irgendwie ... selbstverständlich, verstehste"(21). Eine frühe Liebesbeziehung allerdings scheiterte 'mehr oder weniger' (18) am Druck der Mutter dieser Freundin. Etwa 1964 lernte sie eine
Frau kennen, mit der sie dann eine über 20 Jahre dauernde Beziehung führte und deren Sohn
sie gemeinsam großzogen.
A hat nie eine Beziehung mit einem Mann geführt; nur einmal hat sie mit einem geschlafen,
"weil mir dann mal die Überlegung kam, hör mal, ick bin so für Frauen, und ick weeß ja gar
nich eigentlich, wie det andere is, und man sollte ja mal, man kann sich ja nich für was entgewann in beiden Fällen den Eindruck, daß deshalb im Interview auf manche Dinge nicht mehr eingegangen
wurde.
57
scheiden, wenn man das andere nich kennt. Ja, und dann wollt ick n Kind haben." (19).
1966 heiratete sie einen schwulen Bekannten, um ihn vor Kriminalisierung durch den §175 zu
schützen. "Nee, det war der alleinige Ehegrund" (21).
Sie identifizierte sich nicht als lesbisch, sondern mit dem Wort 'schwul', ("... naja, ick meine,
insofern kannte sich ja damals eh keine aus, da waren wir ja sowieso alle schwul, wa;" (24)),
obwohl sie es wegen der damit assoziierten Diskriminierungen haßte. Sie hat weder Stolz noch
Scham für ihre Lebensweise empfunden, noch wollte sie lieber normal sein, sondern: "Und, du
wirst lachen, ich hab det einfach so, ich hab mir da gar keine Gedanken drüber gemacht;
meine Mutter hat mir ja erzählt, det gibt et und ich hab mich auch verliebt in ne Frau und ich
war für Frauen, und ich hab mir da gar keene Gedanken drüber gemacht."(24)
Mit 16 oder 17 Jahren entschied sie sich, als "Deutscher Kerl"(5), also mit kurzem Haar und
Männerkleidung, zu gehen, auch hierin wurde sie von ihrer Mutter, die ihr einen Anzug besorgte, unterstützt. Ihr sonstiges Umfeld, NachbarInnen, StraßenfreundInnen, v.a. die Jungs
auf der Straße, reagierte anfänglich mit großen Anfeindungen, "nachher nicht mehr"(30). Sie
definierte sich eindeutig als Frau (30), bezeichnet ihr Auftreten in Männerkleidung als Provokation, die sie auch damals schon bewußt wollte.
Anfeindungen, die ihr beispielsweise auf der Straße entgegenschlugen, oder Bemerkungen und
Gerede von KollegInnen haben sie schon getroffen, "bloß ick hab mir det nie anmerken lassen"(6), sie hat sich oft dagegen gewehrt: "... und wenn se denn erst so sticheln und machen
und tun und du ... knallst ihnen det vorn Kopp, dann sind se erstmal sprachlos, schon über
die Unverfrorenheit, dat de det nu ooch noch sagst, und, dann bin ich eigentlich immer ganz
gut gefahren dabei."(7) Körperlich angegriffen wurde sie bei solchen Gelegenheiten nie, an
verbale Tätlichkeiten wie "na, bei Adolf, da hätten se dich vergast, oder so, oder .. da haben
se alle Schwulen vergast, oder ..."(32) kann A sich erinnern.
A wurde Anfang der 50er Jahre in einem Frauenlokal bei einer Razzia verhaftet. Weil sie die
zwangsgynäkologische Untersuchung, die daraufhin durchgeführt werden sollte, verweigerte,
wurde sie (als Minderjährige!) fünf Wochen in einem Gefängniskrankenhaus festgehalten.
Als Urteil in einem Jugendverfahren gegen sie (die Anklage war Diebstahl) erhielt sie eine Auflage: "Ick meine, ick hatte damals, vom Gericht aus hatte ick auch ne Auflage; und zwar mußte meine Mutter mit mir gehen zu so nem Psycho..., also da habn se dann, ick sollte in ne gemischte, irgendne Jugendgruppe gehen, wo Jungs auch sind, ne, ja, vielleicht würd ick denn,
weeß ick ja nich, normal werden."(13)
Angst vor Entdeckung, wie viele ihrer Freundinnen sie stark hatten (13), oder vor
Verhältnissen wie im Dritten Reich, hatte sie nicht; als ausschlaggebend dafür beschreibt sie die
elterliche Toleranz, Akzeptanz und Unterstützung. "... und wie gesagt, guck mal, ick hatte n
großes Glück mit meinen Eltern, naja, wenn det nicht gewesen wäre, dann wär ick vielleicht
auch rumgelaufen wie ne graue Maus, weeßte, mich verkrochen, und ..."(13)
A war in der ersten Hälfte der 50er für etwa 3 Jahre in der SPD, ohne dort besonders aktiv zu
werden. Später war sie nirgendwo mehr engagiert, aber interessiert. An lesbische Organisierungsversuche kann sie sich nicht erinnern, sie sagt, "die Jungen warn noch nicht reif genug,
und die Alten, weeßte, die warn noch zu verschüchtert."(36)
Sie hat politische Diskussionen oder Ereignisse, wie etwa die Debatte um den §175 oder
"überhaupt so, weißte, was so Frauen anbetrifft"(37), verfolgt, sich und ihre Biographie in Beziehung gesetzt zu den politischen Entscheidungen hat sie nicht. "..., die Idee kam mir gar
nich, verstehste. Und ... heute würd ick's, heute hätt ich ick's gemacht, wa."(38)
A war sich darüber im Klaren, daß sie wegen ihrer lesbischen Lebensweise an den Rand der
Gesellschaft gedrängt werden sollte, "und dat ick anecke, wußt ick auch"(39).
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Sie war froh, daß sie nicht im NS schon erwachsen war, und sieht eine klare Verbesserung
vom Dritten Reich zur BRD. Die Verhaftung und sonstigen staatlich versursachten
Beeinträchtungen sah sie damals nicht im Zusammenhang mit der Politik der BRD: "Naja,
aber, du wirst lachen, ick hab det gar nich so, so .., det hab ick gar nich so als.. ick hab det ja
so empfunden, ick hab det provoziert, .."(40). Die Gesamtsituation während der 50er und 60er
Jahre bezeichnet sie als extrem, als "Spießrutenlauf"(5), die Leute als sehr "untolerant"(43).
Eine diesbezügliche Veränderung sieht sie erst in den 70er Jahren, für die Zeit davor äußert sie:
"Ick würde sagen, da hat sich eigentlich gar nichts getan, also, ganz genau genommen."(43)
Interpretation
Eine zentrale Aussage von Frau A ist die Begründung, die sie für ihre Identität und ihre Stärke
gibt: "Ja, bloß, wie gesagt, zuhause hatt ich Hinterhalt, und die anderen, die konnten mir in
de Tasche rutschen, ja."(5) Die Eltern waren ausschlaggebend für ihr Selbstbewußtsein. Dieses
Selbstbewußtsein erlaubte ihr ihr offenes Auftreten als Lesbe. Die Offenheit ihres Lesbischseins
stellte sich über ihr Äußeres her, in Männerkleidung und kurzem Haar, eine Herausforderung
durch Ablehnung eines weiblichen Äußeren. Außerdem unterstellt Frau A, daß sie dadurch von
allen Leuten als Lesbe identifiziert wurde, d.h. daß alle den Zusammenhang zwischen ihrem
Äußeren und ihrer lesbischen Identität herstellen konnten oder sogar mußten, daß der Allgemeinheit keine andere Interpretation ihres Auftretens möglich war. Damit sagt sie implizit, und
an einer Stelle sagt sie es auch explizit, das (fast) alle anderen ihr bekannten Lesben nicht-offen
bzw. eben sehr versteckt, mit großer Angst vor der Identifizierung als Lesbe durch die und in
der 'Öffentlichkeit' lebten (13). D.h. sie hat das lesbische Leben als geheim und versteckt erlebt,
sie stellt nur ihre Person aus diesem Zusammenhang heraus, begründet eben durch ihre ungewöhnlich liberalen und guten Eltern (ebenda). Ihr offensives Auftreten, ihr sich nicht Versteckenwollen, das sagt sie ebenso, war auch für sie mitunter schwer, sie hat "manchmal schon ein
bißchen dran geknabbert"(6).
Der Bericht von Frau A ist aber gerade bezüglich ihres Selbstbildes sehr widersprüchlich. Zwischen dem von ihr gegebenen Gesamtbild ihrer damaligen Existenz und den von ihr erlebten
und berichteten einzelnen Episoden besteht ein auffälliger Kontrast. Frau A berichtet aus ihrem
Leben in den 50er und 60er Jahren in dem Grundtenor, daß ihr nie etwas wirklich gravierend
Negatives widerfuhr, charakterisiert ihre damalige Situation auf direkte Nachfragen als ohne
größere Probleme. Gleichzeitig gibt sie aber während des Interviews immer wieder Beispiele
für ganz massive Einschränkungen, wie z.B. die erlebten fünf Wochen Haft als Folge einer
Razzia im Frauenlokal. Sie bagatellisiert diese Haft dann einerseits dadurch, daß sie sagt, daß
solche Razzien auch in normalen Lokalen vorkamen. Obwohl sie sagt, daß bei diesen Razzien
hauptsächlich oder sogar ausschließlich die auffälligen, d.h. die männlich erscheinenden Frauen
verhaftet wurden, hat sie das damals nicht als Diskriminierung lesbischer Frauen erkannt. Als
Begründung gibt sie an, daß sie dachte, durch ihr Verhalten ja zu provozieren, also derartige
Situationen sich selbst zuzuschreiben hätte. Und andererseits sei es ihr ja im Gefängnis nicht
schlecht ergangen, sondern sie habe dort "herrlich und in Freuden" (40) gelebt, weil sie von
den vielen Frauen so verwöhnt worden sei.
Ein weiteres Beispiel für einen Eingriff in ihr Leben durch staatliche Institutionen ist die oben
bereits erwähnte gerichtliche Auflage, sich zu einem Psychologen und in eine gemischte Jugendgruppe zu begeben. Dies ist ein direkter Angriff auf ihr Anderssein, auf ihre Liebe zu
Frauen, sie sagt auch selbst, das Ziel dieser Auflage sei gewesen, sie wieder normal zu machen.
Sie hat aber damals dieses Vorgehen nicht als offensichtlich gegen sie gerichtet erkennen kön-
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nen, sonst hätte sie nicht, wie sie berichtet, den verordneten Psychologen nach der Ursache ihres Lesbischseins gefragt und seinen Erklärungen - genetischer Defekt und durch die Wünsche
der Mutter verursacht - Glauben geschenkt.
Es läßt sich sagen, daß Frau A trotz ihres Selbstbewußtseins nicht in der Lage war, diese Ereignisse anders zu erklären als durch sie selbst verschuldet. Sie ist - wie etwa im Falle der
Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, deren offensichtlichen Grund (Diskriminierung des
Frauenpaares, das mit der Mutter der einen und dem Sohn der anderen wohnen wollte) sie aber
nicht mit politischen Verhältnissen in Verbindung brachte, sondern mit persönlicher Härte eines
einzelnen Vermieters - gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Ursachen anders als individueller Natur sein könnten. Heute, sagt sie, würde sie das nicht mehr tun, heute würde sie
das in Zusammenhang setzen zu staatlicher Politik.
Frau A sagt, sie habe die Diskussionen um den §175 verfolgt, ebenso die Diskussionen um die
Rolle der Frau in der Gesellschaft der BRD. Groß darüber gesprochen wurde in ihrem Kreis
nicht. Sie charakterisiert die Situation als gekennzeichnet durch die Unreife der jungen und die
Verängstigtheit der älteren Lesben, durch die in der lesbischen Subkultur nicht politisch diskutiert wurde, kein politisches Bewußtsein bestanden habe. Frau A bezeichnet sich zwar als prinzipiell am politischen Geschehen interessiert, aber sie hatte, trotzdem sie durch ihren Beitritt in
die SPD offensichtlich politisches Engagement im Sinn hatte, nicht die Form von politischem
Bewußtsein1, das sie in die Lage versetzt hätte, ein Verhältnis zwischen ihrem individuellen Leben und der Politik des Staates, in dem sie lebte, herzustellen. Durch das Fehlen eines
Verhältnisses Ich - Politik konnten sie betreffende Ereignisse von ihr nicht anders als als Einzelschicksal, als individuell verursachte Probleme wahrgenommen werden.
Frau A trat als 'Kesser Vater', oder 'Deutscher Kerl', wie sie es auch nennt, mit einer für die
Zeit ungewöhnlichen Offensivität auf. Als Begründung für diese Entscheidung gibt sie an, daß
sie einerseits provozieren wollte; diese Provokation speiste sich aus der Abweichung von der
Norm für Weiblichkeit und frauliches Aussehen und Betragen; andererseits aber auch durch die
Unmißverständlichkeit ihrer Erscheinung, die, wie sie sagt, nicht anders als als Lesbe gedeutet
werden konnte. Sie war sich darüber im klaren, daß sie aneckte, und auch, daß diese Gesellschaft sie 'nicht haben' wollte. So gibt sie denn als ihre andere Motivation an, daß sie die Leute
"eigentlich zur Toleranz erziehen wollte"(39).
Inwieweit die Intoleranz sie beeinträchtigte, beantwortet sie nicht direkt, allerdings vergleicht
sie an einer Stelle im Gespräch, an der sie über ihre Auswanderungspläne berichtet, die
Situation in der BRD mit der in Kanada und sagt, daß es dort ganz anders war als hier, da
"kann man gut leben, weil sich keiner um'n andern kümmert, verstehste, nich so wie hier"
(22).
Besonders auffällig scheint mir, daß Frau A auf die Frage nach erlebten Diskriminierungen weder von ihrer Verhaftung noch von dieser gerichtlichen Auflage erzählt, sondern zuerst nur von
Erlebnissen aus dem privaten Bereich, z.B. eben von der Mutter einer ihrer ersten Freundinnen,
die ihnen so viel Druck machte, daß sie deshalb für ein Jahr wegzogen: "Und die hat uns da
det Leben so zur Hölle gemacht, dann sind wir da abgehauen, haben wir uns versetzen lassen
nach S."(15); oder eben davon, daß sie nach anfänglichen Schwierigkeiten in ihrem Kreis voll
1 Da ich hier und im folgenden von 'politischem Bewußtsein' spreche, erläutere ich hier in aller Kürze mein
Verständnis von diesem Begriff: Ausgehend von einer allgemeinen Definition von Bewußtsein als der
"Beziehung des Ich auf einen inneren oder äußeren Gegenstand"(dtv-Brockhaus, Ausgabe 1986, Bd.2, S.248)
verstehe ich politisches Bewußtsein als den vom Individuum oder einer Gruppe hergestellten Zusammenhang
zwischen der eigenen Situation und dem politischen Geschehen, als die Beziehung des Ich auf den Gegenstand
Politik. Politisches Bewußtsein in diesem Sinne geht über 'politisches Interesse' hinaus, das die bloße
Zuwendung zu, nicht aber die Verknüpfung der eigenen Person mit politischen Dingen erfordert.
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akzeptiert wurde, auch wenn sie in der Verwandtschaft ihrer Freundin immer als 'der Schwager' vorgestellt wurde. Ob sie das nicht sehr gestört hätte, immer als Mann vorgestellt zu werden? "Ach weeßte, ich hab mir dann dran gewöhnt. Erst hab ich n paar mal dagegen protestiert, aber dann hab ick gedacht, die könn' mir, wenn se meinen, wa."
D.h daß sie die Frage nach Beeinträchtigungen ihres Lebens zuvörderst auf der privaten Ebene,
im Sinne von nichtinstitutionalisiertem Raum, ansiedelte und beantwortete. An zweiter Stelle
ihrer Erinnerungen bzgl. Diskriminierungen erzählt sie von Ereignissen im öffentlichen, aber
nichtstaatlichen Raum, wie etwa daß ihr auf der Straße nachgeschrien wurde (25) oder daß ihr
Kollegen sagten, sie bräuchte bloß mal n richtigen Mann (25). Sie räumt diesen Ereignissen in
ihrer Erzählung keinen großen Raum ein, andererseits beschreibt sie aber die Zeit bezüglich
lesbischen Lebens als "sowieso sehr ....extrem, für alle Leute warste ja exotisch oder wat, verstehste"(5) und ihr sich Bewegen als zumindest zeitweisen "Spießrutenlauf" (ebda).
Frau B
Kurzportrait
Frau B lebt heute in heterosexueller Ehe, sie definiert sich für damals und auch aktuell als 'frauenliebend', bezeichnet sich als politisch interessiert, aber nirgendwo engagiert. Sie charakterisiert ihre derzeitige Lebenssituation als "Aufarbeitungsprozeß"(1).
B ist 1944 geboren und hat ständig in Berlin gelebt. Sie kommt aus einer bürgerlichen Familie
mit drei Töchtern, ihre Mutter war, wegen der Kinder, Nur-Hausfrau, der Vater in guter Stellung in der Wirtschaft. Ihr Elternhaus beschreibt sie als von der Religiösität der Mutter und der
in Erschöpfung begründeten Großzügigkeit beider Eltern geprägt (6), die sie als Strukturlosigkeit empfand; darin wurde "die Religion für mich der feste Punkt"(8).
B machte aus eigener Entscheidung nur die Mittlere Reife, wurde zunächst Sprechstundenhilfe,
dann ausgebildete Krankengymnastin, später schwenkte sie zur Sozialarbeit um.
Mit 14 Jahren begann B ihre erste Beziehung mit einer Schulfreundin, die 6 Jahre dauerte. Die
Beziehung war von Anfang an "ein super Versteckspiel, also ein Weltmeister im Verstecken"(11), ein Gespräch mit der nahestehenden Mutter kam nicht in Frage: "Nein! Das war
also ... war völlig tabu."(11) Ohne es genauer zu definieren, war sie sich damals darüber im
Klaren, daß das, was sie tut, "nicht okay"(19) und dabei vom "Gefühl her ganz richtig"(19) ist.
Als ihre Liebe nach mehreren Jahren "offenbar"(14) wurde, fand ein Familiengespräch statt;
der Vater reagierte "sehr lieb"(14) mit dem Versuch, sie davon abzubringen, die Frauen ihrer
Familie erlebte sie sehr bald als druckausübend und "auf jeden Fall, das weiß ich, kam eigentlich so .. massive Ausgrenzung"(11). Im Bekanntenkreis hielt sie ihr Lesbischsein auch später
geheim. Ihre Liebesbeziehungen waren jeweils sehr intensiv, sie hatte immer weniger sonstige
engere Kontakte, wurde "ne richtige Eisente, da kam überhaupt keiner mehr an mich ran. Ich
muß also dann irgendwann zugemacht haben."(23) Engere Verbindung mit anderen lesbischen
Frauen hatte sie nie, Frauenlokale oder Clubs hat sie nur sehr selten aufgesucht, fand "diese
Sub-Dinger ... eigentlich schrecklich" (19).
In ihrer ersten Beziehung bemerkte B deutlich den Druck von außen: "Also aus allen Bereichen ..habn se geschossen, denk ich"(22), und die Veränderung, die er bewirkte: "Und..und
durch den zunehmenden Druck von außen, ..., so, wurden wir natürlich auch immer versteckter."(16) Aber auch sie setzte diese Beziehung immer wieder unter Druck, ließ
"Störmanöver"(22) los, "um ..meine Normalität zu beweisen."(22). "Ich hab da Männerbeziehungen reingeholt, in die Beziehung, .... Um für mich zu klären, wat wo gehör ich hin,
61
ne."(18)
B erlebte sich als anders und deshalb ausgegrenzt (19), ihre Frauenliebe verstand sie als "sündig"(30), in den späten 60ern dann dezidiert: "Wenn du gott lieben willst, ja, dann geht det
nur so. Dann mußt du also diesen Bereich, der jetzt wodurch auch immer, wodurch jetzt auch
immer hab ich damals gesagt so für mich geworden is, dann mußte den einfach...ja, abschneiden oder weeß ick, so spricht die Bibel."(30) Eine positive Bestimmung für ihr Sein hatte sie damals nicht, die Frage, wie sie denn eigentlich ist, hat sie "so .. nich geklärt"(18). "Körperhaft hab ich das ausgelebt, wat körperhaft da war, und was mir mein Körper sagte, und
nach außen hin hab ich, denk ich, ..nach außen, .. hab ick irgend ne Rolle gespielt"(19).
"Und bin von den Rollen, die man von mir erwartet hat, ... in allen möglichen Bereichen hab
ich dann immer so, ich nich zu dem bekannt, was eigentlich innerlich in mir drin war, aus irgendner Angst, denk ich, so, nich anerkannt zu sein."(20) Sie wünschte sich zeitweise, ein
Mann zu sein, "weil Frau keine Frau lieben darf, aber Mann darf ja Frauen lieben"(37).
Mitentscheidend für ihr Selbstverständnis und -bild war für Frau B die Tatsache und ihr schon
sehr frühes Wissen darum, daß ihr Vater vor seiner Ehe eine langjährige schwule Beziehung
geführt hatte, und daß sein ehemaliger Freund für diese Beziehung im KZ umgebracht wurde.
Sie hat von Anfang an einen Bezug zu sich hergestellt: "das machte natürlich auch was mit
mir"(9), und wuchs also auf in dem Wissen: "Tja, normal sein rettet Leben, damit bin ick,
denk ich, groß..., ja?!"(50).
Schon sehr früh hatte B immer wieder mitbekommen, daß Frauen bzw. Mädchen sanktioniert
wurden, "denen man nachsagte, daß sie eben ne Beziehung zueinander hätten"(10) oder weil
sie "burschikos"(10) waren, sowohl in der Kirche (10), die wichtig für sie war, als auch zuhause (10f und 51).
In der Arztpraxis, in der sie arbeitete, "war det nich toleriert"(22), sanktioniert wurde sie dort
aber nach Bekanntwerden auch nicht, "dazu denk ich mochten sie mich auch zu gerne"(22).
Insgesamt erinnert sie sich weniger an offene Diskriminierungen als daran, daß "es nie ausgesprochen (war), ja, ... man hat zwar reagiert, aber nich gesagt, det wat du machst is, dann
hätten wir uns ja mal reiben können"(23). "... und ansonsten so ... mehr ick hatte dieses indirekte, mich auf den normalen Weg führen, das is ja dann auch ein Zeichen, daß man auf dem
falschen is, ja."(45) Sie erinnert sich zwar auch an "Gejohle"(45), viel deutlicher erinnert sie
aber die Selbstzensur, die "eigenen Schranken"(45), und daß sie sich schon so gegeben hat,
daß "also es hat nichts darauf hindeuten lassen, daß wir irgendwo, denk ick, ja!"(46).
Politische Ereignisse und Diskussionen nahm B bewußt erst ab etwa 1967/68 wahr, als sie in
der APO aktiv wurde. In der APO, denkt sie bzgl ihrer Beziehung, "es war ne tolerierte Geschichte unter uns in der Studienzeit"(26); andererseits "habn da natürlich dann auch uns
sehr schnell abgesetzt, weil da unsre Beziehung halt wieder anders war als die andern"(25).
Die Auseinandersetzung um den §175 in den 50er Jahren hatte sie insofern mitbekommen, als
in ihrer Familie "so Witze gemacht wurden, weeß ick, der hat am 17.5. Geburtstag oder irgendwie so ne komischen Andeutungen immer, so ja"(51). Bezug zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen stellte sie vor dieser Zeit nicht her: "Aber ich hatte von daher, weil ich
so viel organisieren mußte, mit dem Versteckspiel, auch nich Zeit, nach außen zu gucken,
ja"(53). Über die politische und gesellschaftliche Diskriminierung von Lesben in der BRD hatte
B während der ganzen Zeitspanne kein Bewußtsein, aus heutiger Sicht sagt sie jedoch, "daß
aber bei diesem Versteckspiel schon die Antwort darauf liegt, was außen war, sonst hätt ich s
ja nich zu machen brauchen. Und ob sich jetzt was verändert hat, .. ick würde sagen, det kam
später, .... Ich glaub '75, da so in dem Bereich. Da tat sich was, ja?!"(53f)
In den Auseinandersetzungen in der APO wurden für B große Fragen aufgeworfen, "weil ich
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immer sehr religiös war"(1), sie schloß sich - zusammen mit ihrer Freundin - Ende der 60er
Jahre den Zeugen Jehovas an, weil sie dort "für uns stimmige Antworten, ja, biblisch, .."(28)
fanden. "Und hab dann also dieses...irgendwo versucht, ob nun Auge ausreißen oder Hand
abschneiden oder wie auch immer, also das damit zu vergleichen, dann mußt du diese Form
der körperlichen Beziehung..raus. Beenden."(30) Das tat sie einige Jahre später, indem sie nach Abmahnung, Ausschluß und Wiederaufnahme von den Zeugen Jehovas - schließlich heiratete.
Interpretation
Ein Kern von B's Bericht ist der Druck, dem sie wegen ihrer Frauenliebe ausgesetzt war.
Dabei handelte es sich einerseits um Druck 'von außen', entstanden also durch Sanktionen oder
(Be-)Drohungen seitens anderer, Einzelpersonen oder Institutionen, maßgeblich durch die Kirche und die Familie.
In der Kirchengemeinschaft, der sie angehörte und die sehr wichtig für sie war, hatte sie schon
sehr früh, bevor bei ihr 'irgendwas losging', einen 'Fall' mitbekommen: zwei Frauen, denen eine
lesbische Beziehung unterstellt wurde, wurden vom Abendmahl ausgeschlossen. (10)
In der Familie waren es die Mutter und vornehmlich eine Schwester, von denen Frau B sich
unter Druck gesetzt fühlte; die Mutter hat ihr "früh schon gesagt, als sie so merkte, daß ich
mich eigentlich ausschließlich für Frauen interessiere, ob wir, ob se nich mit mir mal zum
Hausarzt, unsrer Hausärztin gehen soll, und was gegen, also mit Hormonen gegen diese Erkrankung, so ungefähr, also kriegte ich so den Stempel"(17). Seitens der Schwester kam es
ausgesprochen: "Du bist ja gar keine richtige Frau"(45).
Auffallend ist, daß B die Reaktionen in ihrer Familie zwar einerseits als druckausübend, auch
ausgrenzend bezeichnete, aber andererseits mehrmals betonte, daß es ja, auch gerade von seiten der Mutter, "ganz lieb"(17) gemeint war.
Erklärlich wird dieser scheinbar eindeutige Widerspruch, wenn der zweite Druckfaktor in die
Betrachtung mit hineingenommen wird, der Druck 'von innen', der von B als durch ihre eigenen
Gedanken und Gefühle entstanden wahrgenommen wurde. Daß diese ihren Ursprung nicht 'innen', sondern ebenfalls 'außen', in herrschenden Normen und Werten haben, konnte durch die
Internalisierung dieser Werte nicht mehr erkannt werden.
Seine hauptsächlichen Komponenten waren wieder zwei: die Unmöglichkeit, eine positive
Selbstdefinition für sich zu finden hielt Frau B auf dem Stand einer Abnormität gefangen, deren
Ursprung sie sich nicht erklären konnte. Sie litt unter dem Andersein, gerade auch weil sie
nicht wußte, wie sie denn nun eigentlich ist, sondern nur immer wieder vor Augen geführt bekam, wie sie nicht ist und wo sie deshalb nicht dazugehört. Obschon sie zuhause erfuhr, daß
Frauen sich auch anders als über Haushalt definieren können (40), wurde ihr dort auf der anderen Seite sehr deutlich vermittelt, "daß Frau und Mann zusammengehören, das is was andres,
ja, .... Und mein Selbstwertfühl dadurch natürlich ganz schön gelitten hat."(40) Dieser Mangel an Selbstwertgefühl wurde noch dadurch verstärkt, daß B keine anderen 'frauenliebenden'
Frauen kannte, die ihr die Möglichkeit der positiven Verstärkung und/oder Identifikation hätten geben können. Da sie sich also nirgendwo zugehörig fühlen konnte, wurde es ihr umso
wichtiger, von irgendwoher Anerkennung zu bekommen.
Zu diesem Leiden aufgrund des Andersseins trat bedrohlich das Wissen um den ermordeten
Freund des Vaters, zu dessen Schicksal sie sich in Beziehung setzte.
Als Ergebnis ergab sich für B, daß diese Normalität, die sie, ohne zu wissen warum, nicht hatte, Leben rettet. Sie wollte sich entsprechend allzugerne die "Diagnose der Normalität
stellen"(41) und die Rollen spielen, die dazu nötig waren.
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Belastend hinzu kam für Frau B ihr starker Gottesglaube, der sie dazu brachte, ihre Frauenliebe
nicht anders als als "Makel"(41) betrachten zu können, von dem sie sich befreien müßte und
der sie in ständiges Hadern warf zwischen ihrer Frauenliebe und dem Wissen, daß Gott sie unmißverständlich mißbilligte und verurteilte (30). Es wurde ihr mit steigendem Alter immer klarer, daß sie sich entscheiden müßte zwischen ihrer Religion und ihrer Frauenliebe, "ente oder
trente"(32), "det geht wirklich nich zusammen"(32).
Druck aus zwei Richtungen, 'außen' und 'innen', wirkten bei Frau B zusammen mit mehreren
Ergebnissen:
Obwohl Frau B ihre Liebe zu Frauen eigentlich ja als 'ganz richtig' empfunden hat, war sie
nicht in der Lage, sich gegen den Stempel der Abnormität zu verteidigen: Sie nahm die Sanktionen gegen sich nicht als unberechtigte Angriffe auf ihr Sein war, die sie abwehren müßte,
sondern als berechtigte und gutgemeinte Versuche, ihr zu helfen, sie zurechtzuweisen.
Folge dieses Mangels an Selbstbewußtseins und Verteidigungsbereitschaft war, daß sie ihre
Frauenliebe sehr versteckt lebte, in der Angst vor Entdeckung und Miß-/Verachtung, und sich
deshalb nicht nur so unauffällig wie nur möglich benahm, sondern auch zunehmend verschlossen wurde und abweisend auf ihr Umfeld wirkte.
Dabei ist m.E. klar, daß die zwei Richtungen des Drucks, die sie wahrnahm, im Grunde, wie
oben bereits angedeutet, eines Ursprungs waren; am Beispiel des ermordeten Vater-Freundes
wird dies besonders deutlich, denn, was da auf B wirkte, war kein wirklich 'innerer' Druck in
dem Sinne, daß sie selbst ihn produziert hätte. Er war Ergebnis offener Verfolgung von
Schwulen im Nationalsozialismus, und eines Nachfolgestaates (und -gesellschaft) BRD, die
durch Stillschweigen und mangelnde Entschädigung, durch Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Rechtssprechung in Bezug auf den §175, durch weitere Stigmatisierung (statt
Aufklärung über die Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit dieser Gesellschaft) die Angst und die
konkrete Verfolgung von Schwulen in die BRD 'hinüberrettete'1.
Daß B sich mit der Ermordung dieses Schwulen in Zusammenhang brachte, ist schon deshalb
naheliegend, weil einerseits die offizielle Sprachgebung immer von 'Homosexuellen' sprach,
was sich auf Menschen beiderlei Geschlechts beziehen kann, und andererseits explizit von
Frauen nie die Rede war, was die Subsumierung unter den 'allgemeinen' Begriff förderte. Darüberhinaus spricht Frau B die Gemeinsamkeit zwischen ihr und ihm selbst an: der Mangel an
Normalität.
An Diskriminierungen im öffentlichen Bereich, sowohl im Sinne von 'auf der Straße' als auch
im behördlichen Raum, kann B sich, bis auf eine Ausnahme während eines Urlaubs mit ihrer
Freundin, nicht erinnern. Das liegt daran, daß sie, wie sie selbst sagt, sich so unauffällig verhielt, daß niemand auf die Idee kommen sollte und kam, daß sie lesbisch war; mit Ämtern u.ä.
staatlichen Institutionen, die sanktionierende Macht gehabt hätten, kam sie in ihrer Stellung als
Auszubildende und dann Studentin nicht in Berührung. Andererseits spielt als Ursache sicherlich auch das Lebensalter von B eine Rolle; sie war auch Ende der 60er Jahre noch so jung,
nämlich Mitte zwanzig, daß sie noch nicht für den Ledigenstatus, also den Status 'ohne Mann',
sanktioniert oder diskriminiert wurde; sie war noch nicht 'aus dem Rennen'.
Darüberhinaus hat Frau B wenig Erinnerung daran, daß ihr politische oder gesellschaftliche Ereignisse damals bedeutsam vorgekommen wären oder sie sie überhaupt zur Kenntnis genommen hätte. Das bezieht sie sowohl auf Einschätzungen der allgemeinen politischen Situation als
auch auf ihre spezielle Situation als frauenliebende Frau, die sich verstecken mußte, und etwaige Zusammenhänge mit der Gesellschaft und dem Staat BRD. Sie begründet das selbst, indem
1 zur ausgebliebenen Entschädigung von verfolgten Homosexuellen und der Kontinuität ihrer Stigmatisierung
vgl. Romey, 1986
64
sie sagt, daß sie in einer "Käseglockensituation"(54) gewesen sei, sich so "abschirmen und abschotten"(54) mußte, und dafür soviel Energie verbrauchte, daß für den Blick 'nach draußen'
keine übrigblieb. Ein anderer naheliegender Grund für dieses Desinteresse an politischgesellschaftlichem Geschehen ist sicherlich darin zu finden, daß Frau B die 50er Jahre hindurch
ja noch eher ein Kind war, die 'relevante Zeitspanne' beginnt bei ihr nach ihren Angaben 1959
(aus dem Postscript des Vorgesprächs). Politische Diskussionen in den 50ern hat sie also u.U.
schon deshalb nicht verfolgt, weil sie noch zu jung war. Erst Mitte der 60er, sie ist dann
Anfang 20, bildete sie im Zusammenhang mit ihrem Einstieg in die APO politisches Interesse
und auch Engagement aus. Allerdings gewann sie dadurch nicht politisches Bewußtsein in der
Form, daß sie ihr widerfahrene Sanktionen als Diskriminierungen, im Sinne eines Zusammenhangs mit gesellschaftlichen und/oder staatlichen Bedingungen, eingeordnet hätte, statt
weiterhin als gutgemeinte Reaktionen auf ihr sündiges Verhalten. Heute tut sie das wohl, wenn
sie sagt, daß die Tatsache, daß sie so mit Verstecken zu tun hatte, daß für den Blick nach
außen keine Kraft mehr blieb, über dieses Außen ja schon sehr aussagekräftig war; hätte sie
nicht in einem sie verachtenden System gelebt, hätte sie die 'Käseglocke' zu ihrem Schutz nicht
gebraucht.
Frau C
Kurzportrait
Frau C lebt heute offen als Lesbe, sie beschreibt sich als politisch aktiv, konkret durch die Mitarbeit in einem Frauenzentrum.
Sie ist 1937 geboren und lebte immer in Nürnberg. Sie charakterisiert ihre Herkunftsfamilie als
"Beamtenfamilie"(1), der Vater war ab 1938 beim Militär (1), die Mutter seit der Eheschließung Nur-Hausfrau (3).
C war der 'Wunschsohn' ihres Vaters, "dementsprechend wurde ich behandelt. Also von klein
auf war ich der Peter"(1). Sie wurde von ihm als Junge erzogen, die Mutter stellte dazu keinen
echten Gegenpol dar: "Und meine Mutter, die hat das so, also für die war das gar nicht wichtig."(2). Sie mußte also zunächst nicht gemäß der herkömmlichen Vorstellungen von Mädchen
bzw. Frau leben, sie hat sich "auf die Seite der Jungs geschlagen"(1); es war "allmählich bei
mir auch so, daß ich auch lieber einer gewesen wäre"(3).
Ihr wurde ein sehr traditionelles Frauenbild vermittelt, dem nicht nur die Mutter, sondern auch
ihre ältere Schwester nachlebte: "Also wir hatten eigentlich wenig gemeinsam. Die is auch
mehr mit Tanten oder irgendwelchen Leuten ins Café gegangen, hat sich nicht schmutzig gemacht. (...) Also die war mehr oben in der Wohnung bei der Mutter, und ich mehr draußen."(3)
Frau C beendet die Volksschule, "war damals nicht so sehr dran zu denken, eine höhere Schule zu besuchen. Also in dem Stand, in dem meine Eltern waren, sagen wir kleinbürgerlich
oder so mittelständisch, war das eigentlich weniger üblich."(6) Sie wollte ursprünglich die
Oberschule besuchen, hat aber aus "Angst vor ner Blamage"(7) die dazu nötige
Aufnahmeprüfung gar nicht erst gemacht. Nach der Schule wünschten die Eltern, besonders
der Vater, "daß ich ins Büro gehe und am besten Beamtin werde"(9). Ihr Traumberuf war
Grafikerin, jedoch "in den Köpfen der Eltern, gabs nicht viel. Also entweder wars handwerklich, für die Jungs, also für Mädchen Verkäuferin, Friseuse, die so, oder dann fürs Büro."(8)
Dazu kam das Arbeitsamt, das ihr anläßlich der Berufsberatung klarmachte, daß "die Aussichten sehr gering (sind), und dann außerdem machen das Männer."(9) Nach einigem Hin und
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Her absolvierte sie die Handelsschule und ging dann 'ins Büro'.
Mit 14 oder 15 bändelte sie erstmals mit Mädchen an. Vorerst wurde das als normal betrachtet,
als Entwicklungsstufe vor der Hinwendung zum anderen Geschlecht. "Und da hast du dir deswegen auch gar net so viel Gedanken drüber gmacht"(42), obwohl 'sie sich schon damals bewußt war, daß sie nur auf Mädchen steht' (Protokoll1, 1). Mit 17 hatte sie dann ihre erste 'richtige' Freundin, was sie vor ihren Eltern verheimlichte und von ihnen auch nie darauf
angesprochen wurde. In dieser Beziehung kam einmal kurz der Wunsch auf, mit der Freundin
auch zusammenzuziehen. Ansonsten hatte sie 'in der Zeit nie daran gezweifelt, daß sie heiraten
würde und Kinder haben' (Protokoll, 2), denn das 'war normal, niemand hat das in Frage gestellt' (Protokoll, 4).
Nach einigen leidenschaftlichen Schwärmereien verlobte sie sich 1958 und heiratete bald, allerdings auch auf Drängen der Mutter: "Sie hat sich nicht vorgstellt, daß ich ewige Braut
bin"(12). Über ihren Ehemann gehörte C dann einer christlichen Glaubensgemeinschaft an,
"die sehr absolut ist"(12) und "da is ja, jetz muß ich schon sagen, ein wenig Gehirnwäsche
gmacht worden, ne, da hats gheißen, also die Frau muß Lammscharakter annehmen"(13). Die
Ehe führte sie 4 Jahre, 1962 bekam sie eine Tochter.
Nach der Scheidung begann sie eine langjährige Beziehung mit einer Frau aus dieser Gemeinde. Andere lesbische Frauen kannte sie nicht (25), in Clubs oder Frauenlokalen war sie nie und
auch sonst hatte sie keine Vertrauten oder FreundInnen (ebda.).
Frau C hätte sich damals nie als lesbisch bezeichnet oder sich mit Lesben identifiziert, "mindestens amal hätt ich sie verachtet, so m Gfühl nach, also es wär mir ganz komisch, ..oder es war
auch beängstigend für mich. Aber ich hätt mich auch da net identifizieren können."(25) Sie
fühlte sich "absolut männlich"(24), "und zwar aus dem Grund, weil ich mir nicht vorstellen
konnte damals, ne Frau zu sein und lesbisch"(24). Sie fühlte sich als Mann im Frauenkörper.
Während ihrer Ehezeit "war ne ganze Zeit, in der ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen
konnte, daß ich jemals mit Frauen eine Beziehung hatte"(13). Sie glaubte der Ansicht, "daß
man so in der Backfischzeit ... halt mit Mädchen ein wenig rumkaspert und auch schmust und
.. eben Beziehungen oder was .. hat, und sich das dann gibt, wenn man eben reif genug
ist"(14). Und daß mit der Eheschließung "alles vorbei"(14) sei, denn "jetzt, wo ich verheiratet
war, wollt ich ja kein Junge mehr sein. ... Und wennst ne Frau bist, dann lebst mit nem Mann
zusammen und hast keinerlei Gedanken oder Wünsche sexueller Art an ne Frau."(14) Vor der
Ehe hatte sie sich zunehmend, ähnlich wie danach, Frauen gegenüber 'eher wie ein Mann' (Protokoll, 2) verhalten und gefühlt. Das Schicksalhafte wurde als Erklärung dieses Seins mit der
Zeit immer präsenter (Protokoll, 3), sie konnte es nicht als etwas Aktives, Gewähltes betrachten, "weils ja in die Kindheit zurück..gegangen is"(42).
Frau C hat ihre Frauenbeziehungen und ihr Fühlen damals "immer verheimlicht"(27), vor ihren
Eltern und selbst vor ihrer Tochter, die sie gemeinsam mit der Freundin großzog. "Das haben
wir auch ..der Öffentlichkeit gegenüber verheimlicht."(24) C hat sich entsprechend in der Öffentlichkeit immer "sehr unauffällig"(43) verhalten und auch gekleidet. Sie trug immer Röcke,
kleidete sich "sportlich"(44), ihr ganzes Verhalten und Auftreten blieb immer 'im Rahmen'
(Protokoll, 4).
An Diskriminierungen am Arbeitsplatz, im Wohnhaus oder öffentlichen Orten kann sie sich
nicht erinnern. Von ihren Eltern wurde sie nie direkt angesprochen, nur in Andeutungen, und
nicht direkt sanktioniert. Vor der Ehe nicht, weil "noch alles offen war, und wo auch meine
1Beim Interview mit Frau C versagte teilweise das Aufnahmegerät; über etwa 30 Minuten des Inter views, in
denen sie hauptsächlich biographische Einzelheiten erzählt, gibt es deshalb kein Transskript, sondern ein von
mir unmittelbar nach dem Termin angefertigtes Protokoll.
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Eltern gsehn haben, daß ich so gelegentlich Freunde .. hab"(11), und nach der Ehe auch
nicht. C kann sich jedoch gut erinnern, daß ihre Mutter "über irgendeine, wo sie den Verdacht
ghabt hat, ..gsagt hat die lesbischen Drecksäue"(37). Eingemischt hatte sich lediglich die Kirche, als sie die große Nähe zwischen ihr und ihrer Freundin wahrnahm, denn "die wollten mich
wieder verheiraten"(22).
Frau C bezeichnet sich als damals absolut unpolitisch, politische Geschehnisse waren für sie
ohne Bedeutung, sie war ohne Interesse und sogar ohne Kenntnis darüber: "Also mein Leben
hat eben so bestanden, früher eben so n bißchen rumgetütelt, ne, ... und ab Verheiratung
dann nur noch Ehe- und Familienleben, Eheleben weniger, aber Familienleben, und nach der
Trennung is es gleichgeblieben, das war bloß Familienleben, war auch net anders, bloß halt
ohne männlichen Partner. Aber da war dann auch Kind, Kind erziehen, Haushalt versorgen,
und am Wochenende aufs Land rausfahren, wandern, später dann Garten. Und sonst hatte
ich nix.."(25)
Interpretation
Ein Kern in Frau C's Geschichte ist, daß sie sich in ihren Frauenbeziehungen immer sehr männlich fühlte. Dieses Gefühl entstand, weil sie die Liebe einer Frau zu einer Frau nicht denken
konnte, keine Vorstellung über die Möglichkeit hatte, sich als Frau einer Frau zu nähern, lesbisch zu sein. "Also wennst du ..Frauen liebst und Frauen dir gfallen und du mit ihnen ..zusammensein möchtest, dann mußt du halt männlich sein."(24)
Auffallend ist, daß C trotz - oder wegen? - dieses Männlichfühlens bereits mit Anfang 20 heiratete, und diese Ehe als zeitweise recht harmonisch beschreibt; und daß sie auch davor, bis auf
einen relativ kurzen Moment, nicht daran gezweifelt hatte, daß sie heiraten würde.
Frau C gibt keine Erläuterung oder Interpretation zu dieser vermeintlichen Unvereinbarkeit;
m.E. klärt sie sich über den Gedanken, daß das Männlichfühlen und die Ehe die beiden ihr nur
möglichen Seiten der 'Medaille Normalität' waren:
Durch die Eigendefinition als Mann im Frauenkörper wurde es ihr möglich, Frauenbeziehungen
zu führen, diese wurden dadurch in besonderer Weise normal: es handelte sich um Beziehungen zwischen einer Frau und einem Mann, der lediglich im falschen Körper steckte. Erklärt hat
C sich diese Entwicklung als Laune der Natur und als durch ihre Erziehung - da sie ein Junge
sein sollte - verursacht oder zumindest begünstigt.
Vor ihrer Ehe war ihr die Erklärung für ihr Hingezogensein zu Frauen/Mädchen von der Außenwelt geliefert worden und machte weitere Reflexionen unnötig: als Backfisch sei dies nichts
Unnormales, nichts Bedenkliches und auch nichts Ernstzunehmendes. Die 'richtige' Liebe, zwischen Frau und Mann, komme mit dem Erwachsenwerden.
Daß sie die Ehe nie infrage stellte, wird so nachvollziehbar, denn die folgte eben 'normalerweise' auf die Phase der Liebeleien mit Freundinnen.
Also war die Eheschließung trotz Freundinnen kein Widerspruch. Und sie würde automatisch
diese Phase der Frauenliebe beenden. In der Ehe, die ja die Hinwendung zum Mann bedeutet,
würde sie eine normale Frau sein. Verblüffend ist m.E., daß C so fest an diese Entwicklung der
Dinge glaubte, daß sie sich zeitweise nicht einmal mehr vorstellen konnte, in der Vergangenheit
Frauenbeziehungen gehabt zu haben; es weist auf die große normative Kraft dieser Erklärung
hin.
Es gibt in der Erzählung von C noch weitere Aspekte, die den Schluß zulassen, daß das Streben nach Normalität, wortgetreu im Sinne von der-Norm-entsprechend, und auch nach Unkompliziertheit, zentral handlungsanleitend für sie war:
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Frau C hat, obgleich sie sich sehr männlich fühlte, ihrer äußerlichen Weiblichkeit voll Rechnung getragen und sich so gegeben und gekleidet, daß sie unauffällig weiblich war. Ihr Auftreten war also für ihre Umwelt, auch die nähere, normal im Sinne von nicht aus der Frauen-Rolle
fallend.
Daß sie Frauenbeziehungen führte, hat sie konsequent, auch vor Eltern und Tochter, verheimlicht. Obwohl sie mit ihrer Freundin faktisch lange Zeit zusammenwohnte, hat diese ihre eigene
Wohnung behalten (23). Ihren Eltern gegenüber hat sie die Beziehung mehr oder weniger direkt geleugnet, und sich auf Fragen nach einer Wiederverheiratung rausgeredet, sie wolle sich
nicht wieder auf einen neuen Mann einstellen, auch keine zwei verschiedenen Kinder haben.
Und als geschiedene Frau, deren Ehemann sich in verantwortungsloser Art und Weise abgesetzt hatte, stand ihr diese Form der Vorsicht und Enttäuschung zu; sie war u.U. bedauerlich,
aber nicht unanständig oder unnormal.
C ist nie mit ihrer Freundin zusammen in der Öffentlichkeit aufgetreten; sie hat beispielsweise
Lokalbesuche, die ohne Mann schwierig oder unangenehm hätten werden können, gar nicht
erst versucht. Sie hat also Bereiche, in denen möglicherweise eine Unnormalität ihres Seins
oder ihrer Lebensweise zutage getreten wäre, möglichst gemieden.
Frau C kann sich nicht daran erinnern, unterdrückt oder sanktioniert worden zu sein. Für den
Bereich der staatlichen Öffentlichkeit schon deshalb nicht, weil sie mit Ämtern oder sonstigen
Institutionen nicht in Berührung kam. Sie denkt beim Stichwort Diskriminierung primär auch
nur an nichtstaatliche Bereiche, an die Herkunftsfamilie, das Wohnhaus, Bekannte. Und auch in
diesem Bereich ist ihre Wahrnehmung zutreffend, wenn Sanktion oder Unterdrückung nur als
erkennbare und direkte Handlung begriffen wird.
Frau C hat - teils bewußt, teils ergab es sich aus ihrer Biographie - dazu beigetragen, daß sie
nicht direkt angreifbar war: zwar hatte sie Liebeleien mit Frauen und auch eine 'richtige' Beziehung, aber in dieser Zeit auch immer wieder Freunde, v.a. bereits ab 17 den einen, den sie später auch heiratete. Sie konnte also Männer aufweisen, ihre Frauenliebe mußte dadurch nicht
mehr ernstgenommen werden, konnte als Allüre eines Teenagers definiert werden, die sich verwächst. Geheiratet hat sie mit 22, mit 21 verlobt, also sehr jung, zu früh, um sie als 'altes Mädchen' oder 'alte Jungfer' stigmatisieren zu können. Nach der Ehe hatte sie eine Tochter, die als
sichtbares Zeichen ihrer Heterosexualität gewertet werden konnte und wurde, wodurch, wenn
jemand auf die Idee gekommen wäre, daß sie Beziehungen mit Frauen lebt, das nicht lesbisch
genannt und nicht so tragisch genommen worden wäre bzw. mußte: "Also dann hast du ja
schon amal mit Männern, ne, dann kanns ja net so schlimm sein."(45). Die Diagnose hieß
dann 'enttäuscht' (45) und das war zugestanden. "Also das wird dann schon so gedreht und
von daher lebst dann auch ziemlich ruhig."(45)
Andererseits wurde auf Frau C durchaus Druck ausgeübt, namentlich von der Kirche, der sie
auch noch nach der Ehe angehörte, und durch die Mutter; aber es war ein Druck ohne Nennung des Anlasses - nie wurde die Vokabel lesbisch1 genannt und mit ihr in Zusammenhang gebracht. Das machte ihn einerseits schwerer erkennbar und andererseits ignorierbarer.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Frau C einerseits von ihrem Umfeld immer wieder
harmlose Erklärungen angeboten wurden, und sie sehr bereit war, diese zu akzeptieren und
nicht zu widersprechen. (24, 27) Andererseits hat sie durch ihr Auftreten selbst solche Erklärungen angeboten, und ihr Umfeld hat sie gefällig angenommen (11); eine produktive
Wechselwirkung im gegenseitigen stillschweigenden Einverständnis - mit dem Erfolg, daß Frau
C, wie sie sagt, nie sehr unter ihrer Lebenssituation gelitten hat (44).
Zentral für Frau C's Geschichte ist auch, daß sie, wie sie sagt, überhaupt nicht politisch war.
1 oder schwul oder frauenliebend oder andere Synonyma
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Sie hat nicht in gesellschaftlichen oder politischen Kategorien gedacht (25), stattdessen scheint
in ihrer Erzählung immer wieder durch, daß Moral, und ein unreflektiertes Wissen über 'das,
was üblich ist', für ihr Leben strukturierend und handlungsanleitend waren. Einige Beispiele:
Als Begründung für das Nur-Hausfrau-Sein ihrer Mutter sagt sie, daß das damals in ihren Kreisen 'Usus' war (3), ebenso begründet sie ihr eigenes Streben nach dem Hausfrau-Sein damit,
daß sie es für gut und richtig hielt (16). Daß sie keine höhere Schule besuchte, erklärt sie damit, daß es in ihren Kreisen 'weniger üblich' war (6). Daß sie nicht alleine oder mit ihrer Freundin in Lokale ging, begründet sie damit, daß ihr Gefühl dafür, was anständig ist, sie gar nicht
auf die Idee kommen ließ (29). Daß sie ihre Freundin auf der Straße nie anders berührte als
durch Einhaken, begründet sie damit, daß das Küssen oder so einfach unschicklich war, auch
zwischen Mann und Frau (43).
Frau C hatte also Kenntnis davon, daß ihr gewisse Dinge aufgrund ihres Geschlechts (28), andere aufgrund des ihr fehlenden Mannes (28), unmöglich oder nicht gestattet waren. Sie hatte
aber keine Erklärung dafür, nahm es als gegeben hin, ohne die Frage nach den Hinter-Gründen
zu stellen. Sie wußte also über die Dinge, die unmoralisch sind, Bescheid und hütete sich vor
Überschreitungen des Schicklichen. In der Tatsache, daß Frau C sich damals nie mit Lesben
identifiziert hätte, Kontakte gemieden hätte und "mindestens amal hätt ich sie verachtet"(25),
wird das ganz deutlich: durch die Abgrenzung schützte sie sich vor der Stigmatisierung und
der Abweichung. Sie wußte also um gesellschaftliche Homophobie und trug sie mit. Frau C
hatte zwar kein politisches Bewußtsein, auch nicht über Hetero-Sexismus, stattdessen ein unreflektiertes 'Wissen', dessen Quelle die Moral war.
Frau D
Der Auswertung des Gesprächs mit Frau D muß ich voranstellen, daß es unter anderen
Bedingungen stattfand als alle anderen: erstens kam es ziemlich spontan zustande, so daß Frau
D keine Gelegenheit hatte, sich in Ruhe mit meinem Projekt und meinen Fragen an sie vertraut
zu machen. Zweitens war Frau D zum Zeitpunkt des Interviews in sehr schlechter körperlichseelischer Verfassung. Sie war durch jahrelanges antilesbisches Mobbing auf ihrem Arbeitsplatz krank und zermürbt und hatte noch für den gleichen Nachmittag ihre 'Abschiedsfeier' in
diesem Betrieb vor sich: "Fünf Jahre, ja, also man kann das sagen, Mobbing war das, was die
da mit mir gmacht haben, und .. deswegen bin ich ja auch krank worden, ich bin ja jetzt berentet deswegen, hab Abschiedsfete heut .." (3)
Zeit und Kapazität für das Interview waren aus diesen Gründen begrenzt, ich mußte spontan
entscheiden, welche Fragen mir die wichtigsten waren; ich habe dann auf ausführliche biographische Fragen weitgehend verzichtet und mich auf die Fragenbereiche Selbstdefinition/-bewußtsein, Diskriminierungen und politische Einschätzungen konzentriert. Das Interview, und
entsprechend seine Auswertung, ist deshalb nur eingeschränkt verwendbar, im Rahmen des
Möglichen möchte ich es trotzdem aufnehmen und auswerten.
Kurzportrait
Frau D lebt lesbisch, heute wegen entschieden homophober Diskriminierungen wieder ein wenig versteckter. Politisch nennt sie sich "mehr Grün" (7), war vor einigen Jahren im Tierschutz
aktiv (10), sie steht - zumindest in persönlichem - Kontakt mit Lesben aus der Frauenbewegung. Sie ist jetzt Mitte fünfzig, lebte ab 1964 in Nürnberg.
D hat den "normalen Volksschulabschluß"(7) gemacht, Berufsausbildung machte sie "keine
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besondere, nee, also .. mei Mutter hat gedacht ich heirat bald und da muß man kei .."(7) "und
..dann bin i ein Jahr auf so ne Art, ... dort hab ich halt Buchhaltung glernt, Steno, Schreibmaschine, ... und jetz war ich eben halt Stenotypistin"(7).
Frau D heiratete 1963, davor hatte sie keine Beziehungen mit Frauen. Über Homosexualität
oder Lesbischsein dachte sie damals nicht nach; "Mir ist nur aufgfallen, daß ich schon als junges Mädchen, andre haben schon mit jungen Männern gflirtet und mich hat das relativ kalt
glassen, ... Naja, ich bin halt ein Spätzünder."(4)
Geheiratet hat D, "also ich muß ehrlich sagen, das ist nicht richtig, aber eigentlich geheiratet, weil man eben heiraten muß.."(5), und um "eben den vorgezeichneten Weg Ehe, Kinder ..
also Kinder hab ich keine ...zu gehen."(8). 1964 kam Frau D nach N., und antwortete - "unter
postlagernd, daß mein Mann ja nix entdeckt"(5) - auf eine Annonce 'Sie sucht Sie'. "Und da
hab i eben ne Frau kennenglernt, des war praktisch mei erste Freundin, aber sie war damals
au noch verheiratet, wir wußten eigentlich gar net so, was wir miteinander anfangen sollten.."(5) Durch diese Freundin lernte sie jedoch ein Homosexuellenlokal kennen, daß sie dann
noch während ihrer Ehezeit heimlich besuchte. " ..war froh, daß ich unter .."Gleichgesinnten"
war. ..., ich mußte eben alles mit mir allein abmachen, konnte weder mit meiner Mutter natürlich, noch mit meiner Schwester, noch mit sonst irgendwem ....und da hat mir dieses
Lokal ..irgendwie gutgetan..;"(1)
"Ich hab dann, da praktisch meine große Liebe kennengelernt, ne Frau, eben schon in diesem
Lokal. Und hab mich dann von meinem Mann getrennt"(1)
Vor und während ihrer Ehe hat Frau D sich nicht als Lesbe gesehen: "..naja, wie soll ich dir
das sagen, eigentlich hab i über Lesbischsein oder überhaupt Homosexualität gar net so viel
gewußt. ... ja und ..irgendwie..hab i dann schon eigentlich gmerkt eigentlich..daß ich mit
Frauen besser zurecht komme. Aber .. so richtig klar..darüber was ich jetzt da war, war ich
eigentlich nicht."(4) Bereits vor der Eheschließung war ihr "innerlich schon klar, daß mich eigentlich doch ..Frauen interessieren, aber... soweit, daß ich mich trenn, oder damals, wie ich
geheiratet hab, war ich eben noch net soweit, sonst hätt i ja gar net gheiratet."(6)
Frau D verhielt sich damals in der Öffentlichkeit immer unauffällig: "daß wir uns geküsst habn
oder Händchen gehalten haben oder so, überhaupt net"(9). Zu Beginn ihres lesbischen Lebens
spürte D "schon ein bissel au ein geheimer Stolz, also ... daß i anders bin als die andern, also
aus der Masse herausrage. ... Andererseits hab i natürlich dann schon schnell gmerkt, eben
dieses, daß das ja ... verachtet wird von ..andern;"(7) Sie wußte aber auch vorher schon von
dieser Verachtung, ihre Mutter hatte früher schon Bemerkungen über eine Tante gemacht, die
"auch Frauenbekanntschaften gehabt"(7) haben soll, so daß sie in ihrer Herkunftsfamilie schon
mitbekommen hatte, "daß es halt negativ ist, ja, ein negatives Bild"(7).
Die Kollegen haben ihre Beziehung irgendwann mitbekommen, "und habn dann immer schon
so spitze Bemerkungen gmacht und so, naja, warme Schwestern und so"(2); an andere Sanktionen oder Diskriminierungen, namentlich von staatlichen Stellen kann sie sich nicht erinnern:
"Des kann i dir alles nicht sagen, i war ja davon überhaupt net betroffen"(10).
Politisch aktiv war Frau D damals nie: "Nein, nein, nichts, ich war ein total passiver
Mensch."(9) Politische Geschehnisse hat sie weder in Bezug zu sich gesetzt noch
wahrgenommen. "Also es hat mich überhaupt net interessiert, Politik"(9), sie hatte kein Bewußtsein über politische Verhältnisse. "Ich hab halt bloß den Strauß gern reden ghört, weil
ich fand seine Rhetorik eigentlich schon interessant, aber sonst weiter .. nicht"(9f).
Interpretation
Auffallend an dem Bericht von Frau D ist, daß sie als Ehegrund nicht nur angibt, daß sie gesell-
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schaftlich eingefordert wurde (5), sondern auch, daß sie sich nicht vorstellen konnte, selbständig zu sein, einen 'richtigen' Beruf zu ergreifen und für sich selbst zu sorgen (5). Die Angst vor
dieser Selbständigkeit hielt sie sogar dann noch eine Weile in der Ehe, als "ihr schon alles klar
war"(5) und sie sich trennen wollte. Das mag einerseits ganz praktisch daran gelegen haben,
daß sie ja keinen Lehrberuf hatte, und deshalb eine gewisse Existenzangst ja naheliegend und
durchaus realistisch war. Es erscheint mir andererseits naheliegender, anzunehmen, daß der
ausschlaggebendere Grund für diese Angst war, daß sie es sich eben nicht vorstellen konnte.
D.h. die ihr vermittelte Vorstellung von Leben, die ja Frauen-Leben war, war so sehr auf
Abhängigkeit von einem Ehe-Mann aufgebaut, daß die Vorstellung von Eigenständigkeit und
Selbständigkeit ihr Angst einflößte. Diese Begründung erscheint mir auch deshalb schlüssiger,
weil Frau D bei Eheschließung Anfang zwanzig war, und selbst bei ihrer Scheidung noch nicht
dreißig Jahre alt, und das Nachholen einer Berufsausbildung - bei Selbstbewußtsein und ohne
innere Hemmungen - zwar wahrscheinlich nicht problemlos, aber zumindest jedenfalls denkbar
gewesen wäre. Dafür spricht weiterhin, daß sie sagt, daß der Druck und die Angst vor dieser
Selbständigkeit maßgeblich nicht der war, der ihr von außen gemacht wurde, sondern "ich
glaub eher den ich mir selber gmacht hab"(8).
Der andere Ehegrund war der gesellschaftliche Zwang, den sie spürte und dem sie auch nachkommen wollte, auch dann noch, als sie eigentlich schon wußte, daß sie "Frauen interessieren"(6). Sie sagt explizit, daß sie schon versucht hat, der Norm zu entsprechen, 'schön angepaßt', 'brav' und 'nicht rebellisch' zu sein (8).
Aufschlußreich erscheint mir, daß Frau D, als sie im Jugendalter feststellte, daß sie anders war
als ihre Freundinnen, daß sie das alles kaltließ, sich als 'Spätzünder' definierte. Diese Vokabel
lieferte eine 'harmlose' Erklärung für Mädchen und junge Frauen, die sich (noch) nicht für
Männer interessierten: zwar wurden sie einerseits negativ als in der Entwicklung zurückgeblieben, als unreif gekennzeichnet, aber andererseits bedeutete diese Kennzeichnung, daß 'es sich
legt', daß es nur eine Frage der Zeit sei, bis sie dieses Defizit aufgeholt hätten und dann normal
entwickelt seien, d.h. Interesse an Männern haben würden. Auf die Idee, daß sie vielleicht lesbisch sein oder werden könnte, kam Frau D offensichtlich nicht, auch später nicht, als "immer
irgendso ebend schon n bissel ein Kribbeln in mir (war), ... wenn ich so zwei Frauen zusammen gsehn hab"(4). Grund dafür war, sagt D selbst, daß sie über Lesbischsein oder überhaupt
Homosexualität gar nicht so viel wußte (4). Irgendwann las sie dann mal über einen Sänger,
"der au schwul war"(6), und dadurch kam sie überhaupt erst auf Homosexualität und darauf,
daß sie sich eigentlich doch für Frauen interessiert (6).
D.h. sie konnte sich erst dann als 'an Frauen interessiert' bezeichnen, als ihr von außen eine Erklärung dafür geliefert wurde. Zuvor hatte sie die einzige Erklärung angenommen, die ihr für
ihr Sein angeboten wurde, und das war eben der 'Spätzünder', das Defizit.
Trotzdem blieb sie vorerst auf dem 'vorgezeichneten Weg', in ihrer Ehe setzte sich das beschriebene Muster fort: Sie merkte freilich, "daß es net geht"(5), und zwar aus sexuellen Gründen, "es hat mir einfach keinen Spaß gmacht und nix"(5). Von ihrem Mann 'erfährt' sie dazu,
daß sie frigide sei, und nimmt diese Erklärung an (5). Gleichzeitig geht sie damals in ein Sublokal, und das Zusammensein mit 'Gleichgesinnten' tut ihr gut (1); eine gewisse, implizite Form
der Identifizierung mit den dort anwesenden Lesben fand demnach statt, nur scheinbar konnte
ihr Bewußtsein die verschiedenen Teile nicht in Zusammenhang bringen. Erst als sie ihre erste
Freundin kennenlernte und Sex mit ihr hatte, löste sich der Glaube an die eigene Frigidität auf;
"dann war mir sowieso vollkommen klar, was is"(5).
Frau D konnte also nicht leben, und sich auch nicht sehen als etwas, was ihr nicht bekannt war;
solange sie keine Erklärung für die Dinge hatte, existierten sie für sie auch nicht wirklich, sie
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hielt sich solange an ihr präsente Erklärungen für die von ihr wahrgenommenen
Ungewöhnlichkeiten, bis ihr zutreffendere zugetragen wurden.
Ein Widerspruch in Frau D's Erzählung ist, daß sie von Stolz für ihr Lesbischsein spricht, den
sie anfänglich empfunden habe (7), und sich trotzdem in der Öffentlichkeit immer unauffällig
verhalten hat; es dürfte sich bei diesem Stolz demzufolge wahrscheinlich einerseits um einen
wirklich geheimen gehandelt haben, denn nach außen gezeigt hat sie ihn ja nicht; und zum anderen um eine Trotzreaktion gegen eine Situation des Ausgeschlossenwerdens und der
Verachtung, um die sie wußte, die sie schon durch die Abscheu ihrer Mutter gegen jenen
schwulen Sänger kannte (6). Trotzdem spricht dieser geheime Stolz für ein gewisse Selbstbewußtsein über ihr lesbisches Leben, wofür auch spricht, daß Frau D berichtet, sie habe anfänglich keine Angst gehabt (9).
Interessant erscheint mir schließlich noch, daß Frau D auf alle Fragen, die Einschätzungen der
politischen und gesellschaftlichen Situation zum Ziel haben, sagt, sie könne mir keine Antwort
geben. Auch über die Diskriminierung von Lesben, und von Frauen allgemein könne sie nichts
sagen, weil sie total unpolitisch war. Das nicht vorhandene politische Interesse und Engagement hinderte sie demnach offensichtlich daran, überhaupt eine Vorstellung von der Gesellschaft zu entwickeln, in der sie lebte. Sie hat sich, so sagt sie selbst, derart auf den privaten
Raum beschränkt, daß sie sich in kein Verhältnis zu der Gesellschaft brachte, in der sie lebte.
Frau E
Kurzportrait
Frau E lebt heute offen lesbisch, sie ist politisch interessiert und in einer Lesbengruppe engagiert.
Sie ist 1940 geboren, und hat immer in oder in der Nähe von Nürnberg gewohnt.
In ihrer Kindheit "is alles ziemlich schrecklich"(1). Sie ist die ungewollte, weil uneheliche
Tochter, bis zu ihrer Geburt war ihre Mutter "immer so als Hausmädchen in Stellung"(1), danach "ist sie dann in die Fabrik arbeiten gegangen"(1) und "hat mich dann unter relativ
schweren Bedingungen aufgezogen"(1). Für Frau E waren die Großeltern "zuständig"(1). Ihre
Großmutter beschreibt sie als sehr streng und christlich-fromm: "ihre wichtigsten Attribute
warn Bibel und Kochlöffel ... so. Bibel, um mir stundenlang draus vorzulesen, ..., und Kochlöffel, um mich damit zu verprügeln, ..., um mich eben zu nem anständigen Menschen zu erziehen, wenn ich dann schon ohne Vater aufwachs, so .. mußte da eben besonders drauf achten"(1f). Sie erinnert sich an eine "drohende, drückende, graue Familie, die mir also jede
Menge Schuldgefühle ständig gmacht hat"(2).
Als sie zehn Jahre alt war, heiratete ihre Mutter. "Und zuerst hab ich mich gfreut, einfach wegen dem Status, also daß ich jetzt.. endlich was hab, was alle Kinder, also ich fühlte mich total aufgewertet"(4). "Endlich ne richtige Familie"(4) zu haben.
Frau E wurde in Kindheit und Jugend von männlichen Verwandten und 'Freunden der Familie'
mehrfach vergewaltigt und sexuell mißbraucht; zuerst wahrscheinlich von ihrem Großvater (1),
zuletzt "sehr demütigend"(5) von ihrem Stiefvater.
Ihre Kindheit beschreibt Frau E resümierend als "ein ständiger Kampf eigentlich"(3). "Also
ich war ständig beschäftigt mit Überleben"(3).
Der Stiefvater hinderte Frau E am Besuch weiterführender Schulen, sie absolvierte
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"lediglich"(2) die Volksschule, "ich wollt weiter in die Schule gehen, ne, ich wollte also viel
mehr lernen, am liebsten studieren und so"(8). Auf Betreiben der Mutter, "und da hat sie sich
dann eingsetzt für mich"(8), durfte sie wenigstens eine Lehre machen und mußte nicht, wie
vom Stiefvater vorgesehen, sofort in die Fabrik. Auf Anraten ihrer Lehrerin ging sie 'ins Büro',
machte eine Ausbildung zur Industriekauffrau (9).
Mit zwölf Jahren war Frau E "mal in ein gleichaltriges Mädchen verliebt"(6). Das war "net so
bewußt"(6), aufgefallen ist ihr nur gegen Ende der Schulzeit, daß die anderen Mädchen "schon
so angfangt haben so mit Freund, ..., und da hab ich dann immer mich als sehr andersartig
empfunden"(6). E litt damals "auch schon n Stück drunter"(7), "jedenfalls war das halt so,
daß ich dann sehr früh auch ...mich bemüht hab ganz normal zu sein, ne, oder zumindest zu
erscheinen, also des war also ein unwahrscheinliches Bestreben da"(7). Sie traf zu diesem
Zweck ein Arrangement mit dem Bruder einer Schulfreundin, "der auch nich so n Interesse an
Mädchen hatte. Und dann hab ich mit dem ausgmacht, wir tun so, also als wär .. er mein
Freund und ich seine Freundin, und dann lassen uns die andern in Ruh."(8)
Mit fünfzehn oder sechszehn "hab ich mich also das erste Mal so, ich möcht also muß ich sagen bewußt, in ein Mädchen verliebt. (...) Und da hat mich das aber ganz fürchterlich erschreckt."(11) Sie hat ihr Verliebtsein geheimgehalten "und hab dann also ständig gelitten"(12). Zur gleichen Zeit "hab ich dann eben auch den jungen Mann dann kennenglernt, mit
dem war eigentlich auch nix Bedeutendes, außer daß er mir nachglaufen is"(13) und daß sie
mit ihm Angeben und ihr Normalsein beweisen konnte (13). "Und das war, das hat sich also
immer mehr durchgesetzt, ne, ich wollte also immer mehr normal sein, und hab also jeden
Erfolgspunkt auf dieser Liste quotiert, ne."(13) Die nächsten Hürden, sie sie in diese Richtung
nimmt, sind Geschlechtsverkehr mit einem Mann, "also ich.., war irgendwo auch immer froh
und stolz, daß ich jetzt doch ganz normal bin, ne"(14), und dann: "ein Ehemann muß her,
ne"(14). Zwar wollte sie auch ein Kind, "aber daß ich dann n Mann dazu hab und alles so
drumrum stimmt, das war wieder wichtig wegen der Anerkennung."(15). Mit zwanzig oder
einundzwanzig heiratete Frau E, sie "war überhaupt nich verliebt"(15), und bekam sehr schnell
ein Kind; durch den Beruf ihres Ehemannes hatte sie längere Wohnaufenthalte in anderen Ländern, in Arbeitscamps, die sie sehr genoß; sie blieb 17 Jahre verheiratet, teils wegen dieses Anreizes, "also da hab ich dann auch die Trennung teilweise .. von einem Auslandsvertrag zum
nächsten verschoben (lacht)"(17), teils aus Verantwortungsgefühl für die Tochter (16).
Während ihrer ganzen Ehezeit verliebte sich Frau E immer wieder in Frauen, "heimlich, sehr
bewußt"(17), eine große Liebe hatte sie kurz nach Eheschließung während eines eineinhalbjährigen Auslandsaufenthaltes: "wo mir das so wirklich klar und bewußt geworden is"(18); "es
blieb unausgesprochen und wir haben also nicht ..richtig miteinander geschlafen, ne"(20),
"und wir haben schon viel geschmust"(20).
Vor ihrer Ehe, als sich Frau E das erste Mal bewußt in ein Mädchen verliebte, kam ihr Erschrecken, "weil es mir also völlig abnormal vorkam, ne, so. Kann nich sein, darf nich sein, gibts
eigentlich gar nich. Und die nächste Reaktion dann: irgendwie können meine Gefühle nich
stimmen."(11) "Ich habs dann zwar sehr lang eingekapselt, aber es war trotzdem irgendwo ..
immer noch da, ne, es is nich ganz totgegangen"(12). "Und hab mir dann eingeredet, ich bin
halt, warum das alles erst später angfangen hat, bin eben ne Spätentwicklerin, das Wort hab
ich irgendwo aufgschnappt und das war die Rettung."(13)
Als sie sich dann in ihrer Ehe wieder verliebte, hatte sie nur so eine Ahnung, "daß es das schon
gibt, ja, also daß ich nicht die Einzige auf der Welt bin, die so empfindet"(18). Aber "das ..
wirklich ganz wenige, was ich so überhaupt erfahren hatte, das war ja alles nur negativ besetzt, ne"(33). Frau E trennte dann, nach der ersten großen Liebe, zwischen ihrem realen, hete-
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rosexuellen Ehe-Leben und ihrer lesbische Liebe lebenden Phantasie (23); "ich hab dann, das
konnt ich irgendwo auch ganz gut trennen, also das sind meine Gefühle und das is so, aber
ich tue nichts Unrechtes, ne, also ich ... Ich mach alles so, wie sichs ghört sozusagen"(21).
Und sie hat "gedacht, solange ichs nicht verrat, kanns mir niemand wegnehmen, so"(23).
Frau E fühlte sich von ihrem Ehemann "ein bißchen"(22) diskriminiert, als sie ihm einmal von
ihrer Frauenliebe erzählte "und er hat das dann so abgetan, und hat also gsagt, ach, solche
Gefühle hat jeder mal .. und .. das vergeht wieder und... außerdem bist du nicht der Typ dazu
und.. brauchst dir keine Gedanken machen"(21). Sonst kann sie sich diesbezüglich nur erinnern, "daß die Leute, oder vor allem die Frauen ausm Camp schon über uns geredet haben.
(...) ..aber ... hat mir eigentlich nicht so viel ausgmacht"(21).
Sie hatte "Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung, die war auch immer stark da"(27) und
"auch Angst davor, daß jemand abfällig redet drüber und .. mir dann das Schöne irgendwo
kaputt machen könnte"(23).
Frau E war damals nicht politisch interessiert, sie verfolgte politische Geschehnisse nicht, sie
hatte keine Verbindung zwischen ihrem Leben und 'der Politik'. "Also ich muß zu meiner
Schande gestehen, ich hab mich überhaupt nicht drum gekümmert. Also ich war ... also vielleicht war da auch wirklich noch die das ..die Schere im Kopf, daß das Männersache is oder
was weiß ich, also ..es hat mich net interessiert".(35)
Die Situation, in der sie lebte, empfand Frau E als "nich unbedingt tolerant, aber .. eher so .. n
bißchen ..Aufbruch stimmt auch nicht ganz, ..aber viel Zukunftshoffnung war eigentlich stimmungsmäßig immer da, also jetzt gehts uns gut, und immer noch besser, also schon diese
Wirtschaftswundergschichten, also die warn schon ganz stark da"(38). An anderer Stelle sagt
sie zu ihrer und der Situation für lesbische Frauen: "Mensch, werd ich schon ein bißchen wehmütig, wenn ich mir das alles überleg, wie das alles laufen hätt können, wenn die Zeiten anders gwesen wärn und die Möglichkeiten"(7).
Interpretation
Entscheidend für die Geschichte von Frau E ist der Wunsch und das intensive Streben nach
Normalität; es ist die Handlungsanleitung für sie.
Dabei mißt sich diese Normalität sehr klar und deutlich an den Anforderungen, die die Frauenrolle der Zeit stellt. Dazu gehört ganz zentral die Eheschließung, und im weiteren Sinne der intime Kontakt, der 'Verkehr' mit Männern.
Schon sehr früh zeichnete sich für Frau E ab, daß sie wenigstens den Schein wahren muß: mit
12 Jahren (!) traf sie eine kameradschaftsehenähnliche Verabredung, mit der expliziten Begründung, daß sie dann in Ruhe gelassen würde. Damit sagt sie implizit, daß sie vorher nicht in
Ruhe gelassen wurde, und sich deshalb diesen Schutz aufbaute. Sie berichtet allerdings nicht
davon, durch wen oder wodurch sie gegängelt wurde, ich vermute stark, daß sie den Ursprung,
da er sich nicht direkt zeigte, nicht benennen konnte. Mit 16 Jahren, während sie 'glühend' und
'total' in ein Mädchen verliebt war, duldete sie einen Verehrer, weil sie mit ihm angeben konnte, weil sie mittels ihm ihre Normalität, ihr Über-Erfüllen der Norm zur Schau trug. Sie sagt
selbst, daß ab dem Zeitpunkt, da sie sich in dieses Mädchen verliebte, und sie sich dessen auch
bewußt ist, ihr Streben nach Normal-Sein, also ihr Streben nach 'Erfolgspunkten' auf der Liste
'Anforderungen der Frauenrolle' sehr stark wurde (13).
Zunächst gehörte dazu für Frau E, nicht nur den normalen Kontakt zu Männern zu pflegen,
sondern auch ihre unnormale Liebe zu Frauen/Mädchen zu leugnen und zu verdrängen. Mittel
dazu war für sie, neben der "Einkapselung" (12) des Wissens, die 'Spätentwicklerin'; sie leugnete ihr Verliebtsein in ein Mädchen und erklärte gleichzeitig ihr Nichtverliebtsein in 'junge
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Männer' mit diesem Begriff, der ein Mädchen bezeichnete, das im Unterschied zu anderen
gleichaltrigen in ihrer Entwicklung, explizit auch bezüglich 'Interesse am anderen Geschlecht'
hinterherhinkte, aber früher oder später, und daß war das für E sehr Beruhigende an dieser
Erklärung, aufholen und so sein würde wie alle anderen. "Und hab mir dann immer mehr eingeredet, und alles andre is eh Quatsch, das warn halt so Hirngespinste, und du bist eigentlich
ganz normal" (13). Eine andere, eventuell positive Bestimmung ihrer Selbstwahrnehmung
hatte sie nicht, und wurde ihr nicht angeboten.
Frau E gibt im Gespräch mehrere Hinweise auf Gründe für ihr Hinarbeiten auf das NormalSein:
Eine Ursache dafür, daß das normal sein, im Sinne von sein wie die Norm, ihr so wichtig wurde, sieht Frau E in ihrer Biographie; durch das Aufwachsen als 'Bastard', als uneheliches, nichtlegitimes Kind, in dem sie für ihr Aus-der-Normalität-Fallen sanktioniert wurde (1f), hatte sie
ein besonderes Bewußtsein für die Bedeutung von Ausschluß und in der Umkehrung einen
starken Drang nach Dazugehören und Anerkennung. Auch wurde ihr Schuld für ihr Anderssein
vermittelt, und sie berichtet auch von Schuldgefühlen, die sie für ihre Liebe zu Frauen hatte.
Ein wichtiger Punkt in ihrer Erzählung ist infolge dann auch ihr Streben nach dem 'kleinen
Glück', d.h. sie sagt von sich, daß sie damals einen gewissen Hang zu "oberflächlichen Genüssen"(35) hatte, nicht unbedingt (nur) materiell, aber sie wollte sich nur "mit schönen und bunten und freudigen Sachen und schönen Träumen befassen"(35).
Daraus ergibt sich ein zentraler Konflikt: ihre Liebe zu Frauen und ihr Streben nach dem Glück
schienen unvereinbar zu sein. Die Frauenliebe stellte sich ihr als kaum lebbar dar, und falls
doch, so nur vorübergehend und dramatisch endend: denn das Wenige, daß sie dann, schon
verheiratet, über Lesben wußte, "war also nur negativ besetzt"(33), im besonderen auch mit
der Tendenz, daß es auszuleben für die Beteiligten eben immer tragisch endete. Woher sie dieses Wissen hatte, erinnert Frau E nicht mehr, sie vermutet aber, daß in den vielen Zeitschriften,
die ihr Stiefvater abonnierte, "irgendwelche Kitschgeschichten"(32) gestanden haben.
In ihrem Denken ergab sich daraus eine direkte Kopplung von Normalität und Glück, und umgekehrt von Unnormalität und Unglück.
Frau E hat sich, und das ist zentral in ihrer Erzählung, zur Lösung dieses Konflikts in ihrer
Phantasie eine Art zweite Welt gebaut. Nach ihrer ersten große Liebe hat sie sich immer wieder in Frauen verliebt, jedoch nie wieder einen Versuch unternommen, diese Liebe mit der betreffenden Frau auch zu leben; sie hat sich dazu in ihre Phantasiewelt zurückgezogen, von der
niemand etwas wußte und in der sie ihre Frauenbeziehungen >lebte<, sehr 'glücklich und erfüllend'.
In der >realen<, der Außenwelt, war sie weiterhin die verheiratete Frau und junge Mutter, die
alles so machte, wie es sich gehörte, und immer eine beste Freundin hatte (5). Und in ihrer
Phantasie malte sie sich ihr Leben mit diesen 'besten Freundinnen' aus; diese Traumwelt hatte
für Frau E mehrere Vorteile: dort war alles lebbar, ohne tragisch enden zu müssen, und niemand konnte dieses Schöne trüben, niemand konnte es ihr wegnehmen oder kaputtmachen.
Und sie konnte auf diese Weise sozusagen alles haben: Die gesellschaftliche Anerkennung und
die Sicherheit, die ihr die Ehe und ihr Mutterstatus bot, und die Liebe zu und Sex mit Frauen,
ohne Probleme oder Düsterkeit darin. Und ohne die Bedrohung, die der Verlust des Status
Ehefrau mit sich gebracht hätte. Sie berichtet selbst davon, daß die Ehe für sie auch ein
Schutzraum war (22), denn indem sie diesen Rahmen wahrte und alles so machte, "wie sichs
ghört sozusagen"(21), für andere und auch für sich selbst, war sie nicht abnorm, und sie mußte
keine Schuldgefühle haben.
Sie hoffte also durch die Erfüllung der Norm sich vor dem zu schützen, wovor sie "ganz fürch-
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terliche Angst hatte, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Nirgends mehr Freunde,
Freundinnen zu kriegen, halt so, die .. die, schau mal die, also eben völlig verachtet zu werden"(22).
Frau E's Ängste beziehen sich auf den gesellschaftlichen, eher schon den privaten Rahmen. Die
Sanktionierungen, die sie befürchtete, sind die von Einzelpersonen ihres Umfeldes. Darüber,
daß die Dinge des politischen Lebens Einfluß auf ihre Situation haben könnten, hat sie nie
nachgedacht, weil sie sich, wie sie sagt, um Politik überhaupt nicht gekümmert hat.(35) Sie
hatte nicht das Bewußtsein, um solche Zusammenhänge herzustellen. Das festzuhalten ist Frau
E wichtig, am Schluß ihres Berichts sagt sie nochmal, daß es zentral für die Zeit gewesen sei,
daß sie "schon noch überwiegend unbewußt"(40) gewesen sei.
Das gilt für ihre Frauenliebe ebenso wie für ihre Wirklichkeit als Ehefrau und Mutter: zwar
nahm sie es manchmal als ungerecht war, daß ihr Ehemann "dann abends aufm Sofa lag und
dann manchmal noch gmault hat"(36). Sie hat sich aber schon deswegen nicht dagegen gewehrt, weil sie davon ausging, daß "er ja nun körperlich schwerer arbeiten muß und ich ja
nur im Büro sitz"(36).
Sie wollte mit Politik nichts zu tun haben, hatte aber ein "Weltbild"(37), das von natürlicher
körperlicher Überlegenheit der Männer ausging, die sie zu den schwereren und besser bezahlten Fähigkeiten befähigte. Von daher "is er ja auch müder"(36) und insofern war die Ungerechtigkeit ihrer abendlichen haushälterischen Mehrarbeit mindestens kein gesellschaftlich oder
staatlich geförderter Zustand, wenn er überhaupt unter diesem Aspekt noch als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden konnte.
Es ist m.E. naheliegend, daß die viel versteckter liegenden gesellschaftlichen und staatlichen
Ursachen ihrer Konflikte und Ängste bezüglich ihrer Frauenliebe ihr dann verborgen bleiben
mußten. Aus diesem Grund konnte Frau E keine Angst vor Sanktionierung aus dieser Richtung
haben.
Frau F
Kurzportrait
Frau F lebt heute "so richtig dreist"(40) offen lesbisch, sie ist politisch interessiert und aktiv in
einer Lesbengruppe.
Sie wurde 1939 in Königsberg geboren und lebte dann in verschiedenen westdeutschen
(Groß-)Städten, ab 1964 in Hamburg.
F war das einzige Kind, sie beschreibt ihre Herkunftsfamilie als kleinbürgerlich, "überhaupt
nicht"(3) religiös, aber sehr konservativ. Zu ihrer Erziehung sagt sie: "Ich habe mich eigentlich nie so, wie sie es gewollt hätten, und wie s in der Zeit auch üblich war, als Frau, als
Mädchen sozialisieren lassen. ... also so manches typische Mädchenhafte, das haben sie nicht
geschafft, sie habens gewollt, aber sie habens nicht hingekriegt"(4).
Frau F hat "Abi gemacht, und zwar dachte ich, also wenn ich aus dieser Familie raus will ...,
muß ich irgendwie versuchen, das Abi zu schaffen"(5). Das begonnene Lehramtsstudium hat
sie "unterbrechen müssen, weil das ein ewiger Kampf auch ums Geld war"(5f). Erst Ende der
60er nimmt sie es wieder auf und bringt es zu Ende.
"Ja und mit 15 hatte ich eigentlich meine erste Beziehung zu einer Mitschülerin .... Also meine Mutter bekam das dann irgendwann mit und setzte da ... die Fürsorgerin auf mich an"(1).
Von ihrer Mutter kam "lauter unangenehmes Gerede immer"(9), sie "sagte, also was ich da
mit U. mach, das wäre polizeilich verboten"(8). "Und schließlich hat meine Mutter so viel
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Druck ausgeübt, daß ich diese Freundschaft dann aufgab"(2). In den folgenden Jahren "wars
auch so, daß ich mich ewig immer wieder von zu intensiven Mädchenfreundschaften trennen
mußte"(2). Mit achtzehn Jahren lernte F eine Frau kennen, mit der sie nach dem Abitur 3 Jahre
in Frankreich lebte und "ne ganz feste, langanhaltende Beziehung"(2) führte; sie hatte keine
sonstigen lesbischen Kontakte - wußte nichts von der Existenz lesbischer oder gemischter
homosexueller Clubs (12) - oder andere Vertraute. "Also ich ließ eigentlich keine anderen
Freundschaften zu, um das nicht sagen zu müssen"(15).
Im Alter von 24 Jahren trat Frau E zusammen mit ihrer Freundin einer "christlichfundamentalistischen"(2) Gemeinde bei, "weil mir irgendwo der Halt fehlte"(2) und "dieses
Gefühl ..., meine Güte, ich bin ja, ich liebe Frauen und wohin damit"(18). Ihre Liebesbeziehung führten sie dann "unkörperlich, sagen wir mal. (...) Wir haben das irgendwie weggedrückt. (...) Wir dachten, das wär unzulässig."(18f) 1968 verließ sie diese Gemeinde, "weil ich
mich da auch wieder in eine Frau verliebt hab und die mir aber, die mich aber mit einem
Mann verheiraten wollten, bin ich da also auch weggegangen"(6).
Frau F hat nie geheiratet und hatte auch nie eine Beziehung mit einem Mann, "weil ich das,
also für mich fühlte sich das so an, also wenn ich meinen Körper da preisgeben würde, wie
eine Kapitulation, wie eine Aufgabe meiner selbst"(3).
Sie hätte sich, in der frühzeitigen Gewißheit, sich nur in Mädchen bzw. Frauen zu verlieben,
nicht mit 'lesbisch' in Verbindung gebracht (10f); sie definierte sich eher "als homosexuelle
Frau, wobei mir das Wort homosexuell auch unangenehm war, im christlichen Raum. Da war
das tabu"(13). Ihr Lesbischsein sah Frau F "immer wieder als etwas an, was ich nicht verhindern konnte"(25); sie fühlte sich dafür schuldig und "hab so stark und so massiv gespürt, daß
ich so bin und hab mir ja doch, weil ich merkte, daß ich in der falschen Welt damit lebe gewünscht, daß es heilbar is"(22), denn sie wollte "irgendwo zugehörig sein können"(22); im
Laufe der Jahre enstand ein wachsender Zwiespalt zwischen "einerseits okay, wie ich es gerne
hätte, .. das scheint Schuld zu sein und andererseits Aufbegehren gegen diesen, dieses PapiMutti-Kind-Leben"(19)
In ihrer ersten Liebe machte Frau F sich anfangs keine Gedanken (7) und hatte auch nicht das
Gefühl, etwas Verbotenes zu tun; "ich kam erst drauf durch den Druck, den meine Mutter
machte, .... Und durch die Tuschelei in der Schule"(8). Und "allmählich also ... merkte ich
auch, wie ..ehemalige Freundinnen dann heirateten und gewann zunehmend den Eindruck,
daß ich nicht ganz normal bin"(2). Sie war "ziemlich verzweifelt darüber, und ich wußte vor
allem nicht, wohin damit, ne"(4).
Zum Thema Diskriminierung sagt sie, "ich hab ja immer so in Schüben Ärger damit gehabt"(22). Der erste Schub waren das Gerede und die Aktivitäten ihrer Herkunftsfamilie; "das
hat mich, also ich muß sagen, ich hab nach .. also äußerlich immer so ganz ..auf cool gemacht, aber das hat mich jedes Mal erschüttert"(4). Der zweite Schub war in der Kirche, wo
sie ihr Lesbischsein - was sie als "Demutsgang"(5) kennzeichnet - immer wieder beichtete,
woraufhin "mir eingeredet wurde, daß ich geheilt werden kann und dieses ganze Dilemma"(2f) und es "immer mal, hin und wieder mal ne Donnerpredigt darüber"(13) gab. Sie
trennte sich auch in dieser Zeit "immer wieder"(24) von Frauenfreundschaften, "wenn es schon
ein bißchen drüber hinausgegangen war oder so"(24). Ein dritter Punkt war die
Studentenbewegung, mit der Frau F bei Wiederaufnahme ihres Studiums in Berührung kam:
"und versuchte da immer zu ergründen, welchen Platz haben hier eigentlich Lesben, also Homosexuelle. Haben sie ihn überhaupt, ne? Ich konnte es nirgends erkennen und dachte, wenn
ich mich hier enttarne, was wird dann aus mir? Und, ..werden sie dann, ja, militant gegen
mich sein?"(32)
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Tätlich angegriffen wurde Frau F für ihr Homosexuell-Sein nie, "also nicht direkt angegriffen,
aber verbal schon"(32). Sie hat sich "doch so weit das damals ging so gekleidet, daß es ..ja,
eher maskulin etwas"(26), solche Angriffe hat sie immer auf ihr Homosexuell-Sein bezogen:
"Also das war mir eigentlich allgegenwärtig, wenn Leute irgendwas gegen mich hatten, was
Mode, oder was sonstwas betraf; mein Aussehen oder meine Aufzug, ich bezog das immer
darauf"(29). Teilweise galten diese verbalen Angriffe auch ihrem Frau-ohne-Mann-Status;
"Das empfand ich eigentlich immer sehr erheblich"(29). Insgesamt spürte sie
Diskriminierungen eher so im "alltäglichen Kram"(29) als durch öffentliche Institutionen, mit
denen sie auch nur wenig Berührung hatte (29).
Frau F beschreibt sich als damals politisch interessiert, anteilnehmend am Tagesgeschehen,
"nur nicht aktiv, nein, ich sah da keine Möglichkeit für Aktivität, weil die Gemeinde soviele
Energien auch schluckte"(35). Eine Verbindung zwischen ihrer Lebenssituation, die sie als
"durch-sich-duckmäusern"(33) beschreibt, und dem politischen Geschehen in der BRD hat sie
nicht gesehen. "Nee, das, darüber fehlte mir da noch das Bewußtsein, eigentlich. Das kriegte
ich nicht so zusammen, nee."(36) Sie war sich darüber im klaren, daß Frauen in der BRD benachteiligt wurden, über Diskriminierung von Lesben hatte sie kein Bewußtsein. "Das konnte
ich ja nicht haben, weil da also von diesem christlichen Kreisen her sowieso etwas
Unzulässiges war, ein Fehlverhalten."(45) F war in Opposition zu den Werten dieser Gesellschaft (39), hätte das aber nur benennen können als "dieses Unbehagen, gegen dieses..ja.. zur
falschen Zeit am falschen Ort zu sein"(39).
Die politische und gesellschaftliche Situation in der BRD beschreibt Frau F allgemein als sehr
starr und konservativ (46). Auf die Frage, ob sich die Situation lesbischer Frauen zwischen
dem NS und der Situation der 50er und 60er Jahre entscheidend verändert hätte, sagt sie aus
heutiger Sicht: "Ich glaube also vom Ansehen oder Nicht-Ansehen her überhaupt nicht, nur
von der offenkundigen konkreten Verfolgung her wahrscheinlich hat sich s unterschieden.
Aber..ich glaube sonst weiter nicht. Nee."(48)
Interpretation
Wesentliches Moment in Frau F's Geschichte ist, daß sie "krampfhaft Zugehörigkeit gesucht"(39) hat. Mit dieser krampfhaften Suche ging logischer- und tatsächlicherweise einher,
daß sich Frau F in der Welt und Gesellschaft, in der sie lebte, nicht zugehörig fühlte und unter
dieser Nicht-Zugehörigkeit litt. "Zur falschen Zeit am falschen Ort"(39) faßt sie zusammen,
wie sie sich sah und fühlte. Dieses Gefühl und die Suche nach Halt waren Gründe für ihren
Eintritt in christlich-fundamentalistische Kreise.
Sie sah also, und spürte deutlich ihren Ausschluß aus der Gesellschaft, und war sich dabei auch
im klaren über seine Gründe: sie wurde gemaßregelt, weil sie Frauen liebte, nicht heiratete und
damit der Norm nicht entsprach. Diese Un-Normalität sah sie deutlich, empfand sich immer als
"irgendwo eh nicht der Norm entsprechend"(29).
F steckte aber in dem Dilemma, daß sie sich von dieser Normalität, der Ursache ihres Ausschlusses, nicht abgrenzen konnte, da sie nicht in der Lage war, eine Unterscheidung zwischen
'eigenen' und 'fremden' Werten vorzunehmen, sie waren "irgendwann deckungsgleich"(24). Sie
übernahm die ihr vorgegebenen Wertungen von 'verboten' (Mutter) bis 'tabu' und 'sündig' (Kirche), und entwickelte keinen eigenen, die sie hätte dagegen setzen können. Sie war dazu auch
deshalb nicht in der Lage, weil sie vollständig isoliert von anderen lesbischen Frauen lebte und
entsprechend keine Möglichkeit hatte, sich durch Austausch oder Vor-Bilder welche zu erarbeiten oder zu übernehmen. Sie konnte nur den einen Wertmaßstab an sich anlegen, und sich
im Abgleich damit als unnormal und abweichend beurteilen.
78
Das heißt, daß Frau F nicht zu einer wirklich positiv bestimmten Identität fand. Zwar brachte
sie sich mit 'homosexuell' in Verbindung, das Wort samt Definition hatte sie aber lediglich auf
die Vorwürfe ihrer Mutter hin dem Lexikon entnommen. Und obwohl sie sich so nannte, war
ihr diese Verbindung unangenehm und immer wieder schockierend (10). Es blieb ein "wahnsinns Konflikt innerlich, daß..ja..mit mir noch nicht zurechtkomme an der Stelle. Aber ich
konnts auch gar nicht anders"(10).
Sie sah ihr Lesbischsein nicht als wünschenswert an, sondern als etwas, was nicht zu verhindern war, was immer "wieder zuschlug"(24). Sie wäre sehr gerne davon weggekommen, ihr
Nicht-in-die-Norm-passen war für sie nicht eine Frage des Wollens (30), sondern des Nicht-anders-Könnens. Ihr Verhältnis dazu war äußerst zwiegespalten: einerseits unternahm Frau F,
auch gerade weil sie 'ohne ihr Zutun' nicht in die Norm paßte, immer wieder Versuche, so zu
leben, wie sie ist, weil sie sich innerlich ganz sicher war, daß die Liebe zu Frauen zu ihr gehört.
Außerdem wurde sie bei dem Versuch, sich anzupassen und 'brav' zu sein, entgegen den Versprechungen der Kirche sehr unglücklich. Man hatte ihr Glück und Zufriedenheit als Lohn für
die Anpassung und das Streben nach Normalität versprochen, und Frau F hatte durch "kontemplatives Leben"(5), also noch weitergehende Isolation, jahrelang versucht, es zu erreichen.
Sie nahm insofern die Kopplung von Anpassung bzw. Normalität und Glück an, und entsprechend umgekehrt auch die von Frauenliebe und Unglück bzw. Verderben.
Frau F war zeitweise relativ offensiv mit ihrer Frauenliebe, wollte sie 'einbringen' (26) und sich
wehren. Und versuchte andererseits immer wieder, davon wegzukommen, hoffte, daß es "irgendwie sich verwächst"(22). Dieser Zwiespalt, der im Kern darin bestand, daß sie einerseits
versuchte, ihre Liebe zu Frauen zu leben, sie aber andererseits als negativ, als Fehler und als
ihre Schuld (18) beurteilte, war zentral in ihrer Selbstwahrnehmung.
Er war es aber auch in ihrer Wahrnehmung von Diskriminierungen und deren Ursachen. F
konnte aus diesem Zwiespalt heraus Diskriminierungen als solche nicht erkennen; sie nahm
zwar das Sanktionierende von Handlungen und des Drucks gegen sich wahr, betrachtete es
aber nicht als ungerechtfertigt, da es gegen ihren Fehler gerichtet war. Sie lag "mit meinen
Wünschen, meinen Bedürfnissen völlig daneben"(38), darum paßte sie nicht in diese Gesellschaft (38). Und sie meint heute, "das haben wir glaub ich fast alle in den Jahren getan"(38).
Frau F war in ihrer Jugend direkt konfrontiert mit staatlichem Eingreifen ob ihrer Liebe zu einem Mädchen. Die Fürsorgerin als Vertreterin des Staates und mit dem Auftrag, sie davon abzubringen, war allerdings nicht ungeladen, sondern auf Anforderung ihrer Mutter erschienen.
Für Frau F war dies der entscheidendere Teil, sie fühlte sich von ihrer Mutter verraten (10). Sie
hatte keinen Blick dafür, daß sie in einer Gesellschaft lebte, in der es ihrer Mutter möglich war,
staatliche Unterstützung gegen ihre Liebe zu einem Mädchen zu bekommen. Im Mittelpunkt
ihrer Wahrnehmung und ihrer Bestürzung stand das Erkennen der 'Doppelmoral' ihrer Mutter,
die ständig mit ihrem Ehemann stritt und unglücklich war und doch alle Hebel in Bewegung
setzte, damit ihre Tochter auch so würde und aufhörten müßte, Frauen zu lieben.
Doppelmoral und Heuchelei begegneten Frau F auch später immer wieder, sie hebt sie hervor
als kennzeichnend für ihre Situation als homosexuelle Frau (25). Das heißt, die Unterdrückung
blieb überwiegend unterschwellig, nicht offen. Aus diesen moraliischen Begriffen im Zentrum
ihrer Erzählung von Druck und Sanktion kann ich schließen, daß Frau F maßgeblich mit moralischen Mitteln traktiert wurde. Vor allem auch durch die Kirche begegnete ihr dieser moralische Druck ganz massiv, dort gab es immer wieder mal 'Donnerpredigten' über das Übel und
die Sünde der Homosexualität.
Durch Moral als Instrument der Unterdrückung schließt sich der Kreis hin zu Frau F's
Unfähigkeit, ihre eigenen Werturteile von den fremdbestimmten zu trennen. Frau F war da-
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durch nicht nur Druck und Sanktion 'von außen' ausgesetzt, sondern auch dem 'eigenen', der
durch die verinnerlichten Werte ausgebildeteten 'Schere im Kopf'. Sie litt unter dieser Kombination, das zentrale Ergebnis blieb immer wieder der soziale Ausschluß und daß sie sich selbst
die Schuld dafür gab. An einem Punkt war sie dadurch so weit, daß sie sogar heiraten wollte,
sie dachte "ich kann nicht mehr", und "dann paß ich endlich rein in dieses System"(22).
Andererseits war Frau F auch als Erwachsene durchaus mit weniger subtilen Handlungen konfrontiert. Aus einer Schwesternschaft, der sie sich als Helferin angeschlossen hatte, flog sie
"mit Schimpf und Schande"(25), erklärtermaßen weil sie sich in eine Frau verliebt hatte. Sie erinnert sich auch an die Be-Drohung durch Sprüche ihres Vaters über mehrere Schwule, die in
der Nachbarschaft "kackfrech" lebten, "als wäre keine Säuberung gewesen"(47), und zu denen
sie eine Verbindung mit sich sah. Mit öffentlichen Stellen, wie Wohnungs- oder Arbeitsamt,
hatte sie später keinen Kontakt mehr, und war durch den Lehrerinnenberuf als anerkannter und
klassischer Frauenberuf vor Sanktionierungen von dieser Seite relativ unbehelligt.
Insgesamt sieht Frau F ihre unerfreuliche Lage als homosexuelle Frau jedoch mehr durch die
Unterschwelligkeit gekennzeichnet. Sie wünschte sich zeitweise eine verschärftere, weil dadurch offenere Unterdrückung, gegen die sie sich wenigstens hätte wehren können. Denn sie
unternahm immer wieder Versuche, sich zu wehren, wußte aber nicht so recht, wogegen, war
"ohnmächtig hilflos"(38) und blieb ohne Erfolg. Hier kommt zur Unterschwelligkeit der Unterdrückung wieder ihr zwiespältiges Selbstbild: sie konnte auch deshalb keine Ziele für ihren
Widerstand ausmachen, die nicht in ihr selbst gelegen hätten, weil sie sich selbst die Schuld an
ihrer mißlichen Lage gab, sie als ihr eigenes Manko betrachtete. Das ließ sie zwar wütend werden auf eine Welt, zu der sie nicht gehörte und in der sie nicht vorkam, aber sie konnte diese
Wut nicht zielgerichtet nach außen lenken.
Hierin ist schon der andere entscheidende Grund angesprochen, warum Frau F in ihrem Willen,
sich zu wehren, erfolglos blieb; sie nahm ihre Lage als homosexuelle Frau nicht als gesellschaftlich und/oder staatlich bedingt und gewollt wahr. Sie sah die Sanktion, konnte sie aber
nicht als Diskriminierung im Sinne solcher Bedingtheit ausmachen, da ihr, wie sie selbst sagt,
dazu das politische Bewußtsein fehlte. Sie hatte zwar ein Bild der Gesellschaft, aber es war
nicht in politischen Begriffen geprägt. Deutlich wird dies, wenn sie sagt, sie habe wohl Kenntnis darüber gehabt, daß Frauen in der BRD benachteiligt waren - durch weniger Lohn,
minderwertigere Arbeitsplätze u.a.m.. Und aber von diesem Wissen nicht darauf schloß, daß
das Gesellschaftssystem und/oder der Staat BRD damit in Zusammenhang stehen bzw. daran
beteiligt sein könnten. Die kirchlichen Einflüsse behinderten zusätzlich an der Ausbildung politischen Denkens, indem dort verkündet wurde, Gleichberechtigung sei für gottesgläubige Frauen ohnehin irrelevant, da sie sich, wie die Bibel es fordert, den Männern gehorsam unterordnen
(37).
Über die Diskriminierung von Lesben durch die BRD hatte sie hingegen auch nicht diese Art
von Kenntnis; sie konnte sie nicht entwickeln, solange sie den Fehler, die Ursachen für ihre
schlechte Situation, in ihrem Lesbischsein als ihrem Manko und nicht in der ihr Lesbischsein
unterdrückenden Welt um sie herum sah. Daß sie diese Thesen, Schuld und eigenes Manko,
"im Endeffekt immer wieder schluckte, ... hat mich dann gehindert, daß, überhaupt darüber
nachzudenken, glaub ich"(45).
80
Frau G
Kurzportrait
Frau G lebt heute offen als Lesbe, sie ist frauen- und lesbenpolitisch aktiv.
Sie wurde 1930 auf einem landwirtschaftlichen Gut in der Nähe von Köln geboren, lebte
kriegsbedingt ab ihrem 11. Lebensjahr bei Verwandten in Norddeutschland, als Erwachsene
hauptsächlich in Hamburg und dann München.
Ihr Elternhaus charakterisiert sie als "bildungsbürgerliche Familie"(1) und "sehr freizügig
evangelisch"(2). "Ich hatte ein sehr freies Leben als Kind"(4), zur Mädchenrolle sagt G, daß
"wir eben Landkinder waren und, sagen wir mal, von meiner Mutter nicht dazu angehalten
wurden, jetzt sagn wir so richtig kleine Mädchen zu sein"(4).
Frau G besuchte die höhere Schule, "das war eigentlich in meiner Familie und ich sag jetzt
mal "für unsere Kreise" selbstverständlich"(13). Aus dem von ihr geplanten Abitur wurde
durch Wohnortswechsel und andere Wirrungen zunächst nichts, "ich ... war darüber sehr betrübt"(7). Sie begann eine kaufmännische Lehre, wechselte dann auf eine Sprachenschule nach
Hamburg, denn "dann hab ich gedacht, mensch Sprachen lernen und ins Ausland"(6). G kam
1954 zurück, und nach einigen Jahren Berufstätigkeit hatte sie "ein großes Bedürfnis, mich
noch zu vertiefen"(9), machte das Begabtenabitur und begann ein Studium (9). Von ihrer Familie wurde sie darin einerseits sehr bestärkt, auch finanziell, "die andere Seite war.., daß meine Mutter mir ... hin und wieder so Dinge gesacht hat wie: für eine Frau bist du sehr kritisch.
Ja, die Männer haben das nicht so gerne. Und das hieß, daß ich mir sozusagen meine Heiratschancen .., also durch meine kritische Art sehr verbaue"(12).
Frau G hatte ab etwa ihrem 10. Lebensjahr "sagen wir mal, schwärmerische Gefühle für Frauen gehabt, nie für Männer"(15), ab etwa 15 Jahren hatte sie vereinzelt mit Mädchen bzw. jungen Frauen durchschmuste Nächte (15), das waren "Bilder ohne Worte"(15), bei denen ein
"mulmiges Gefühl zurückblieb"(19) von "das ist zuviel an Intimität mit einer Frau. Aber
nicht, weil es verboten ist, sondern, das kannste gar nicht verkraften."(21) Sie sprach darüber
nicht, und in ihrem Kreis, explizit "meine Tante, bei der ich ja lebte, hat das gar nicht so deutlich mitgekriegt"(27). Mit 17 war ihr klar, "daß ich in diese Richtung tendierte, hatte aber
keinen Namen dafür und fühlte mich auch, wollte mich auch da nicht festgelegt fühlen"(14);
und "ich fühlte mich damit sehr belastet, ja"(35). Sie hat es dann ihrer 'Vorbildschwester'
"quasi gestanden"(15), die ihr besorgt riet, "eine Psychotherapie zu machen"(34). Frau G betrachtet die Zeit bis 1955, als sie ihre erste Beziehung einging (42), im ganzen als "ungelebtes
Lesbischsein"(46).
Frau G hat es mit einem Mann "zu keiner Beziehung gebracht"(25); sie hat nie geheiratet, obgleich sie es "liebend gerne"(14) wollte und es "ganz selbstverständlich (war) zu heiraten,
weil das war einfach so, ne Frau heiratete"(15); "ich fühlte mich nur nicht dazu in der Lage,
ja"(14). Diese Heiratsambition blieb parallel zu ihrer Liebe zu Frauen (15) bestehen, sie hat sie
während der ganzen Zeit nie aufgegeben (16). In Clubs ging sie nie, "ich wußte doch gar nicht,
daß es das gibt. Und wenn ich es gewußt hätte, wäre ich gestorben vor Angst, da hinzugehen."(55) Denn: "Ich wollte ja da heiraten und da so sein."(56)
Anfangs hatte Frau G "für das, was wir getan, erlebt, empfunden haben, keine Bilder, und
keine Worte und kein..(...) wir wußten nicht, was das eigentlich ist, außer das da ne unheimliche Anziehung und Leidenschaft und ..auch Wollust war. (...) Aber, ..ja, es gab keinen, es gab
keine .. Vorerfahrung .... Weder für die Gefühle, noch .. ob das verboten, erlaubt ist, also ja,
das Gefühl, daß es nicht das Übliche war, war sicher da. Ob das Gefühl (..) daß das jetzt total verboten und unmöglich war, weiß ich gar nicht."(19f)
81
Sie hatte auch später "keinen Begriff von.. lesbisch oder von Frauenliebe oder so was oder
homosexuell und.."(23), noch als sie mit 25 ihre erste Beziehung einging, "hab ich ja gedacht
ich bin die, sozusagen wir sind die einzigen auf der Welt"(42). Sie hatte ein Gefühl von Unnormalität, "es ließ sich nicht verhindern das zu haben, ich konnte es nicht nicht haben, weil
ich auf der anderen Seite nicht funktioniert hab"(25), weil "es mit den Jungen nix wurde"(25).
"Und ich hab sehr darunter gelitten..."(25), auch später noch fühlte sie sich deshalb als
"Versager, ich bin n Krüppel oder so was, ja"(33). Sie dachte angesichts dieses 'Versagens',
"ich bin neurotisch"(51) und "die Therapie kann das heilen ...so, ich hab Angst vor Männern
und ich muß meine Ängste Männern gegenüber.."(51); und sie hätte "wirklich viel dafür
gegeben, daß, 'normal' zu sein"(45).
Äußerlich war Frau G "sagn wir ma, ich war ne schicke Frau oder so"(48), sie versuchte immer, ihr Lesbischsein zu verstecken und geheim zu halten, "ja, total, total, total"(49). "Aus
lauter Angst, ... verachtet zu werden."(50)
G findet Diskriminierung für ihre Erfahrungen "ein viel zu großes Wort"(46) oder "für die damalige Zeit falsch"(46). Sie teilt ihre Biographie diesbezüglich in die Zeit vor und ab ihrer ersten Beziehung ein: "Die Krux mit der Diskriminierung, die fing wirklich erst an mit der ersten
Beziehung, so."(44) Für die Zeit vorher ist ihr hauptsächlich der massive "grausame"(33) Heiratszwang präsent, der in der Gesellschaft und auch innerhalb ihrer Familie herrschte und ein
beispielhaftes Resultat dessen war, daß ihr Vater sie mit 27 Jahren "mit einem Mann, ... mit
dem hat er mich quasi verlobt, ja"(14). Sie erinnert sich darüberhinaus an Gerede über andere
'der Homosexualität Verdächtige' in ihrer Familie, "aber in ganz, weißt du, negativen und
merkwürdigen Metaphern"(27), die sie nichtsdestotrotz alarmiert haben: "Mensch, paß auf, so
und wie ists mit dir und so"(27). Konkret erinnert sie sich an ein Gespräch zwischen ihrer Tante und einem verwandten Arzt, der nach Männerbeziehungen befragt sagte, "ja, das sind willensschwache Menschen, ja. (lacht) der Arzt-Idiot."(29); und an die Reaktion einer Frau auf
G's Liebesgeständnis: "ich soll doch mal zur Frauenärztin gehen und gucken, ob die mir nicht
mit Hormonen..."(45). Mit ihrer ersten Beziehung bekam dann auch die Mutter ihre
Frauenliebe mit, und fiel als Reaktion vor ihr auf die Knie: "du das Kind der Liebe, nicht zur
Liebe fähig"(44). Von Problemen in der Öffentlichkeit und/oder mit staatlichen Stellen berichtet sie nichts (54). Nur daß sie bezüglich ihres Arbeitsplatzes Angst vor Diskriminierung hatte,
"daß mir, wenn das bekannt würde, gekündigt würde. War ich felsenfest davon
überzeugt."(52) Und von indirekter Diskriminierung "durch den Heterozentrismus. Und der
hat sich auf mich lähmend ausgewirkt."(54)
Alle diese Erfahrungen "hab ich aber nicht unter Diskriminierung, auch wenns das Wort noch
nicht gab, aber die hab ich nicht unter Unterdrückung oder sonstwas .. subsumiert. Sondern
die hab ich mir sozusagen angekreidet."(45)
Frau G war politisch interessiert, obgleich ihre "zentrale Politisierung" erst mit der
Studentenbewegung begann (37). 1955 trat sie in die SPD ein, "ich bin da aber nie aktiv geworden"(36), engagierte sich gegen die Remilitarisierung (36), von der sie sich direkt betroffen
fühlte; nicht so von den Diskussionen um die Gleichberechtigung der Frau oder die Reform des
§175: "ich glaube, das hat für mich überhaupt keine Rolle gespielt"(39), was sie damit begründet, daß sie "damals noch überhaupt noch nicht politisch frauenbewußt war"(39) und
Diskussionen um den §175, trotz regelmäßiger Zeitungslektüre, nichts bemerkt zu haben (42).
Die Situation in der Universität nahm sie als "unmöglich, autoritär und..."(57) wahr,
begeisterte sich für die aufkommende Studentenbewegung; für deren Frauenfeindlichkeit, Hetero- und Männerzentriertheit war sie "damals völlig blind"(42), die Situation außerhalb der
Universitäten denkt Frau G nicht so starr gesehen zu haben, "weil du dir ja schließlich vorstel-
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len mußt, daß ich noch dieses Dritte Reich miterlebt hab,"(58) und da empfand sie die BRD
als "große Befreiung. Daß auf einmal Diskussionen möglich waren"(58).
Ob sich für Lesben vom NS zur BRD etwas maßgeblich verbesserte, darüber hatte sie damals
keine Meinung, die Frage wäre für sie "total irrelevant"(55) gewesen; "also heute würd ich
sagen, totale Kontinuität."(55). Zur Frage nach Veränderungen innerhalb der 50er und 60er
Jahre meint G, das könne sie "überhaupt nicht beurteilen, weil ich damals so eine Schrankfrau war"(55).
Interpretation
Auffällig in der Geschichte von Frau G ist ihr langes Festhalten an Heiratswunsch bzw. -überzeugung. Sie berichtet, daß sie mit dieser 'Lebenslüge', wie sie es rückblickend nennt (16), endgültig erst etwa 1970 aufräumte, also auch dann daran festhielt, als sie schon stabile
Frauenbeziehungen führte. Sie lebte in großer Widersprüchlichkeit (15), da sie einerseits nicht
wirklich und gleichzeitig andererseits liebend gern heiraten wollte, ihr lesbisches Wünschen und
Leben lief sehr lange parallel neben dem Festhalten an der Heiratsambition.
Zentral für ihre ganze Geschichte ist der Heiratszwang, auf den Frau G immer wieder zu sprechen kommt. Sie bezeichnet ihn als sowohl in der Gesellschaft als auch explizit in ihrer Familie
ganz massiv. Eine Episode mit ihrer Mutter machte ihr unmißverständlich klar, daß ihre baldige
Promotion nicht annähernd äquivalent zu einer Eheschließung war, daß sie in den Augen ihrer
Mutter nicht annähernd an die Aufwertung und den Status heranreichte, den eine Eheschließung ihr verschafft hätte. Frau G wurde hierdurch ebenso wie beispielsweise durch die versuchte Zwangsverlobung durch ihren Vater verdeutlicht, daß es in einer Gesellschaft, die so
'heiratsbesessen war', für sie keine mögliche Alternative zur Heirat gab, falls sie der Verachtung entgehen wollte.
Die Verachtung stellte zentrales Mittel dieses Zwangs dar; ihr drohte der Entzug bzw. das
Nichtgewähren von Achtung und Anerkennung und das gesellschaftliche Abseits, sie wurde ob
ihrer Nichtverehelichung als Taugenichts dargestellt (32). Der ihr nicht gezollte Respekt und
soziale Status war wichtiger Grund für ihren Heiratswunsch, unter der Verachtung hat sie so
gelitten, daß sie irgendwann sogar an eine Scheinehe dachte, um ihr zu entgehen.
Ein anderes Mittel war das beharrliche Drängen ihrer Eltern, daß sie 'sehr schmerzlich' empfand
und ihnen gegenüber einmal damit beschrieb, "daß ich mir so vorkäme, als ob ich ne Beinprothese hätte oder n Holzbein und sie zu mir immer sagen würden, so jetzt renn doch mal"(31).
Frau G berichtet, daß nicht nur sie, sondern auch ihre Mutter unter diesem Zwang litt, da von
ihren 4 Töchtern nur eine 'zur Zeit' heiratete und sie den ständigen Nachfragen ihres Umfeldes
ausgesetzt war. Die Mutter wehrte diesen Druck jedoch nicht ab, sondern gab ihn weiter an G
und übernahm so die Rolle der Vermittlerin gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Rolle
einer ausübenden normativen Kraft.
Der Heiratszwang war für Frau G zentrales Mittel der negativen Sanktionierung, wobei der
Angriffspunkt nicht direkt ihre Frauenliebe, sondern indirekt die Tatsache ihres Frau-ohneMann-Seins war. Hauptsächliches Instrument war die Drohung mit Verachtung, also ein moralisches Instrument, die hauptsächlichen Ausführenden waren das Umfeld, konkreter die Familie von Frau G.
Unter diesem Druck erhielt sie ihre Heiratsambition aufrecht, d.h. sie machte Glauben, daß immer noch 'Hoffnung bestehe' auf die Erfüllung der Frauenrolle.
Daß Frau G keine positive Definition ihres Seins entwickelte, steht m.E. hierzu in wechselseitigem Verhältnis. Die Sanktion richtete sich gegen ihr Versagen im Hinblick auf die Ehe, und sie
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selbst identifizierte sich ausschließlich über den Abgleich mit dieser an sie gestellten Forderung
der Frauenrolle. Das Ergebnis war, daß sie sich als unnormal und neurotisch definierte, als
Versager, behaftet mit einem 'tiefen Unvermögen'.
Sie kam über dieses Abgleichen mit der vorgegebenen Schablone nicht hinaus, m.E. auch deshalb, weil sich ihr keine andere Bezugsmöglichkeit bot: bis in ihre erste Beziehung hinein dachte sie, die Einzige auf der Welt zu sein, ihr fehlten Bilder und vor allem auch Worte, um ihr
Sein positiv zu fassen. "Ich meine, das Wort lesbisch gabs ja noch nicht"(17), und Homosexualität, so berichtet sie, war kein offenes Thema, nirgends, war tabuisiert (28). Hinzu kam, daß
auch ihre Freundin an der Heiratsoption festhielt, Frau G also hier in gewisser Hinsicht Unterstützung fand, und daß beide ihre Beziehung ohne Worte lebten: sie haben sich - mindestens
verbal - nicht als Liebespaar zueinander bekannt. Und daß Frau G nie Kontakt zu anderen lesbischen Frauen oder zur Subkultur hatte, so daß auch hierüber keine
Identifikationsmöglichkeiten gegeben waren. Allerdings hätte Frau G diesen Kontakt auch
streng gemieden, aus Angst, wie sie sagt.
Das kann bedeuten, daß das Fehlen einer positiv gefüllten Identität für sie auch eine po sitive
Funktion hatte: sie ersparte sich durch ihr Verbleiben in der Defizitdefintion die Zuordnung zu
einer verachteten Gruppe. Durch die Erklärung dieses Defizits als neurotisch und unvermögend
konnte sie sich die Hoffnung erhalten, geheilt und normal - i.S.v. der Norm entsprechend - zu
werden; konnte sich die Möglichkeit bewahren, aus der Verachtung als Frau ohne Mann herauszukommen, statt als Lesbe noch weiter hinein zu geraten. Entsprechend wollte sie sich nicht
festlegen (14) und wagte es nicht, sich in 'diese Kiste' Homosexualität zu begeben (27).
Bemerkenswert ist, daß Frau G berichtet, ihr zentrales Problem habe - zumindest bis zu ihrer
ersten Beziehung - nicht darin bestanden, daß sie Frauen liebte, sondern darin, daß sie auf der
anderen Seite nicht funktionierte. Ihr 'tiefes Unvermögen' Männern gegenüber sei es gewesen,
wodurch sie sich als Krüppel fühlte, auch gerade im Vergleich mit den sie umgebenden Frauen
(31). Ihre Frauenliebe hingegen habe zwar 'mulmige' Gefühle ausgelöst, deren Ursprung jedoch
nicht das Verbotene und die Angst vor der Verachtung dafür gewesen sei, sondern ein Gefühl
des 'Zuviels an Verschmelzung und Nähe'.
Ich sehe hier einen Widerspruch zu der Beschreibung des 'Geständnisses' ihrer Schwester gegenüber: G berichtet, daß dieses Gestehen ihrer Frauenliebe für sie eine "Riesengeschichte"(35) war, und daß Mutter oder Tante dafür nicht vorstellbar gewesen wären, weil sie "natürlich"(35) Angst vor der Ablehnung hatte, der sie sich dadurch aussetzen würde. Diese
Angst konnte nicht ihrem mangelnden Interesse an Männern gelten, da dies nicht Inhalt des
'Geständnisses' war. Frau G wußte demnach, möglicherweise nicht in Form eines abrufbaren,
bewußten Wissens, von der Verachtung, dem Verbot und dem Tabu für ihre Frauenliebe, die
von ihr beschriebene 'Mulmigkeit' war folglich vermutlich nicht ausschließlich einem 'Gefühl
der Überintimität' geschuldet, sondern mindestens auch dem Wissen um das Verbot und der
Angst vor den >Folgen< Ablehnung und Verachtung.
Frau G konnte Angriffe auf sich als lesbisch lebende Frau nicht als solche erkennen.
Ein Grund dafür war ihr Verharren in einem nur über die Abweichung bestimmten Selbstbild.
In Ermangelung einer durch aktiva ("Ich bin ...") statt nur durch passiva ("Ich bin nicht ...") bestimmten Identität konnte sie ihr widerfahrene Sanktionen nicht als auf diese Identität gerichtet
sehen. Ein weiterer Grund war u.U., daß sie keinen Konfrontationen ausgesetzt war, sei es Anpöbelei auf der Straße oder seitens öffentlicher Stellen. Sie sagt selbst, daß Mißachtung oder
Sanktion sich ihr hier nur dann hätten zeigen können, wenn sie sich gezeigt hätte. Da sie aber
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'als Lesbe nicht hervortrat' (53), weder indem sie mit ihrem Äußeren aus der Rolle fiel, noch indem sie so weit mit öffentlichen Stellen in Berührung geriet, daß ihre Lebensweise ohne ihr
Wollen bloßgelegt worden wäre, hatte sie keine derartigen >Begegnungen<, die ihr ein Erkennen eventuell erleichtert hätten.
Frau G sah auch nicht, daß das Anraten einer Hormonbehandlung oder einer Psychotherapie,
also sich direkt gegen ihr Lesbischsein richtende Handlungen, diskriminierend sind, sondern
fühlte sich im Gegenteil dadurch verständnisvoll und liebevoll behandelt, weil versucht wurde,
ihr zu helfen. Sie blieb im Defizit verhangen, von dem sie gerne losgekommen wäre, und gab
sich gleichzeitig die Schuld an diesem Defizit, es war ihr Versagen. "Ja, also, wenn überhaupt,
..also ja, wenn überhaupt ..was nicht in Ordnung war, dann wars bei mir nicht in Ordnung."(26)
Hierin deutet sich ein weiterer Grund für ihr Nichterkennen von Angriffen gegen sie an:
Frau G beschreibt sich zwar als politisch interessiert, auch engagiert, sagt aber auch, daß sie
denkt kein Bewußtsein über die Benachteiligung von Frauen in der BRD gehabt zu haben
(39f). Männer- und Heterozentriertheit, die sie heute sieht, nahm sie nicht wahr, 'Frauenrechterei' wäre ihr vielleicht als 'Luxus' vorgekommen; dadurch und durch ihre Nicht-identifizierung
mit 'lesbisch' konnte sie sich gar nicht fragen, ob diese Gesellschaft oder dieser Staat sie in ihrer
Lebensweise unterdrückten, "weil die Gesellschaft sich mir gar nicht gezeigt hat, als, was
weiß ich, lesbenfeindlich oder -freundlich"(56).
D.4. Die übergreifende Interpretation
Im folgenden arbeite ich wesentliche Ergebnisse aus einem Vergleich der Interviews heraus1,
und diskutiere sie im Hinblick auf meinen Thesen aus dem theoretischen Teil dieser Arbeit2.
Abschnitt C ergab, daß Norm und Moral bzw. moralische Verurteilung in der Öffentlichkeitsarbeit des Familienministeriums zentralen Stellenwert hatten.
Ein Vergleich der Einzelauswertungen zeigt, daß beide Begriffe, und ihr Zusammenwirken, in
den Lebensrealitäten der von mir befragten Frauen fast durchweg eine herausragende Rolle
spielten.
Alle sieben Interviewten bekamen, wenn auch in unterschiedlicher Art und Intensität, den
Druck zur Norm von außen zu spüren. Bei Frau A kam dieser Druck von staatlichen Stellen,
zum einen durch das Arbeitsamt, wo eine Sachbearbeiterin ihr andere als eine haushälterische
Ausbildung verweigerte, und zum anderen durch eine Jugendgerichtsauflage, sich in psychologische Behandlung und eine gemischte Jugendgruppe zu begeben, um 'normal zu werden'.
Ähnlich einzuordnen ist die Jugendfürsorgerin, die Frau F - allerdings auf Betreiben der Mutter
- durch Gespräche >kurieren< sollte. Darüberhinaus war bei Frau F zunächst eben die Mutter
druckausübend, später dann aber vor allem die Kirche, die 'Donnerpredigten' über
Homosexualität hielt und ihr 'Demutsgänge' ob ihrer Abnormität abverlangte. Hier war der
Druck zur Norm offen gekoppelt mit moralischer Verurteilung des Lesbischseins von Frau F.
1 Ich zitiere die interviewten Frauen in diesem Interpretationsschritt nunmehr indirekt. Alle im folgenden erwähnten Aussagen der Interviewpartnerinnen finden sich bereits in den vorstehenden Einzelauswertungen und
werden deshalb nicht nochmal nachgewiesen. Sie stehen als Zeichen der indirekten Rede in einfachen Anfüh rungsstrichen.
2 Die Interviews haben m.E. weit mehr Material zur Auswertung ergeben, als ich hier leisten kann. Ich
konzentriere mich auf die für meinen Thematik zentralen Aspekte.
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Anders bei Frau C, die zwar ebenfalls von ihrer Kirchengemeinde zur Heirat gedrängt wurde,
allerdings ohne daß dabei auf ihre lesbische Lebensrealität offen Bezug genommen worden
wäre. Frau C war vor ihrer Eheschließung von ihrer Mutter zu dieser gedrängt worden, die
Angst 'vor einer ewigen Braut' äußerte. Dieser Druck seitens der Eltern und Verwandten zur
Ehe ist besonders deutlich und schwerwiegend auch bei Frau B, die von ihrer Mutter und
Schwester ständig zu 'irgendwelchen Männern hingeschoben' wurde, und bei Frau G, die im
Interview immer wieder auf den massiven Heiratszwang zu sprechen kommt, der jedoch nicht
nur von ihren Eltern, sondern 'von allen Seiten' ausgeübt wurde.
Es wird deutlich, daß auf die von mir befragten Frauen enormer Druck zur Normalität ausgeübt wurde. Dieser Druck richtete sich dabei einerseits auf die Erfüllung der Norm von Weiblichkeit, andererseits aber im besonderen der fraulichen Normalität von >Beziehung mit einem
Mann< und Ehe. Es ist offensichtlich, daß der Druck, der von außen auf sie ausgeübt wurde,
sich weniger gegen ihre Frauenliebe richtete als gegen ihr Nichterfüllen der weiblichen Norm.
Die meisten interviewten Frauen fühlten sich von außen mehr gegängelt für das, was sie nicht
taten, als für das, was sie taten.
Insgesamt ergibt sich aus den Interviews der Zwang zur Frauen-Norm, vor allem als Zwang
oder Druck zur Eheschließung, für die von mir befragten lesbischen Frauen sehr deutlich. Es
zeigt sich, daß die durch die Familienpolitik vertretene Ausschließlichkeit der Ehe als Lebensform für die von mir befragten Frauen große Bedeutung hatte, da sie alle von 'außen' in diese
Richtung gedrängt wurden.
Frau E stellt, was diesen äußeren Druck betrifft, eine gewisse Ausnahme dar; sie berichtet von
keinem in dieser Art von außen auf sie ausgeübten Druck. Umso bedeutender war für sie der
innere Druck, d.h. die Wertungen, die sie selbst traf, was sie selbst anstrebte und woran sie sich
orientierte. Normalität bzw. Normalsein war für Frau E schon sehr früh die Handlungsanleitung schlechthin, sie litt unter dem Gefühl der eigenen Andersartigkeit und begann entsprechend
bald, auf einer inneren Liste 'Normalitätspunkte' zu sammeln, die wesentlich daraus bestanden,
'normale' Beziehungen zu Männern zu haben und sich 'wie eine normale Frau' zu verhalten, d.h.
alles so zu machen, 'wie es sich gehört'.
Alle sieben Interviewten orientierten sich an der Norm zur Weiblichkeit und Frauenrolle.
Bei Frau A war diese Orientierung negativer Art, sie wollte dagegen provozieren, indem sie als
'Kesser Vater' auftrat. Bei allen anderen war diese Orientierung gekoppelt mit dem Wunsch
nach Normerfüllung und Normalität. Das bedeutet, daß sie sich darüber im klaren waren, daß
sie als frauenliebende Frauen abweichend waren von dem, was >Frau< ist bzw. sein sollte. Und
daß sie alle, außer Frau A, diese Abweichung als Defizit wahrnahmen, und wünschten, >vollwertig< zu werden. Sie wünschten, der geforderten Norm zu entsprechen und arbeiteten teilweise, wie Frau E, sehr bewußt auf dieses Ziel hin.
Als Grund dafür nannten sie zum einen den Wunsch nach Glück - explizit taten das Frau E und
Frau F; das hing damit zusammen, daß sie überzeugt waren, daß ein Leben in
Frauenbeziehungen kein Glück erreichen kann, daß lesbische Existenz immer und per se unglücklich ist bzw. macht.
Wuermeling hatte in seiner Ideologie ein >glückliches Frauenleben< unauflöslich an die Erfüllung >ihrer< Berufung als Ehefrau und Mutter gekoppelt, und auf der Kehrseite allen, die davon abwichen, Unglück und Unzufriedenheit prophezeit. Die Vorstellung, daß Frauenbeziehungen immer unglücklich und tragisch enden, also nicht lebbar sind, spiegelt diese Kopplung,
und also die Wirksamkeit dieser Propaganda, wider.
Bei Frau C hingegen war das Streben nach der Norm weniger ein bewußtes; sie spricht davon,
daß Heiraten für ein Mädchen so selbstverständlich war, daß sie trotz Liebe zu einer Frau gar
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nicht auf die Idee kam, dies nicht zu tun. Ähnlich Frau D, die heiratete, weil 'man eben heiraten
mußte'.
Die Frauen(norm)biographie erschien ihnen nicht als Wahl, die sie treffen oder ablehnen konten, sondern als unumstößliche Gegebenheit. Die Tabuisierung aller alternativen Lebensformen, die durch die Familienpolitik erstrebt wurde, war also soweit erfolgreich gewesen, daß diese Frauen davon ausgingen, daß alle Frauen heirateten; und daß deshalb auch sie selbstverständlich heiraten würden.
Die Einengung der Frauenrolle auf Ehe und Mutterschaft, wie sie durch die Familienpolitik angestrebt wurde, hatte bei der Mehrzahl der von mir interviewten Frauen große gedankliche
Wirksamkeit erreicht: für mehr als die Hälfte von ihnen (Frau C, Frau D, Frau E, Frau F) war
ein lesbisches Leben (trotz eigener dazu widersprüchlicher Erfahrungen) nicht bzw. nur als
schlechtes vorstellbar.
Es ist auffällig, daß Frau A in allen bislang diskutierten Punkten eine Ausnahmeposition einnahm. Sie selbst beschreibt sich auch als Ausnahme in ihrer damaligen Wahrnehmung, und begründet ihre Ausnahmeposition mit der Unterstützung, die sie durch ihre Eltern erhalten habe.
Diese Erklärung scheint insofern stichhaltig zu sein, als sie unter den sieben Befragten tatsächlich die Einzige war, die bei ihren Eltern nicht nur Akzeptanz, sondern darüberhinaus tatsächlich aktive Unterstützung fand. Sie selbst sagt, daß sie aus dieser Unterstützung so viel Selbstbewußtsein zog, daß sie 'dem Rest der Welt' stark gegenübertreten konnte in dem Gefühl, daß
es für sie keine Katastrophe wäre, wenn sie dort auf Ablehnung träfe.
Zum Vergleich läßt sich die bereits in Abschnitt C referierte These von Meyer und Schulze
heranziehen, die die große Bedeutung der Unterstützung durch die Familie für 'Alleinstehende'
hervorheben (vgl. 57 dieser Arbeit). Ich formulierte dort die Annahme, daß die meisten lesbischen Frauen diesen wichtigen Halt durch die bzw. in der Familie genau nicht gehabt haben
werden. Diese Annahme wird von einem Vergleich der Interviews gestützt: von sieben Interviewpartnerinnen hatte ihn nur Frau A, und sie ist diejenige, die in vielen Bereichen, vor allem
in Sachen Selbstbewußtsein und Selbstbild, eine Ausnahme ist.
Das bekräftigt die Annahme, daß die familiäre Unterstützung grundlegend war bzw. sein konnte. Die elterliche Unterstützung, die Frau A erhielt, war möglicherweise tatsächlich der Schlüssel zu ihrer Ausnahmeposition, immerhin berichtet sie als einzige davon, ihr Lesbischsein als
'normal' empfunden zu haben, sich nicht geschämt oder schuldig gefühlt und auch nicht versteckt zu haben.
Ich habe in Abschnitt C das Zusammenwirken von Norm und Moral bzw. moralischer Verurteilung betont. Familienpolitik erklärte in ihrer ideologischen Arbeit zunächst alle von der
Norm abweichenden Frauenrollen, also alle, die nicht Ehefrau und Mutter waren, als unnormal.
Gleichzeitig kennzeichnete sie alles Unnormale als unmoralisch.
In den meisten Interviews findet sich dieses Kombination von Norm und Moral wieder.
Teilweise wurden die von mir befragten Frauen neben dem Normierungsdruck auch der ausdrücklichen moralischen Verurteilung von außen ausgesetzt. Besonders deutlich war dies bei
Frau F, die in ihrer Kirche regelmäßig zu 'Demutsgängen' ob ihres Lesbischseins genötigt wurde.
Die weitaus wichtigere Rolle spielte für die Interviewpartnerinnen aber die moralische Verurteilung als verinnerlichtes Druckmittel. Die meisten Befragten übernahmen die Wertungen gegenüber ihrer 'Unnormalität' und empfanden Schuld und Scham dafür. Alle außer Frau A sprechen davon, sich für ihr Lesbischsein schuldig gefühlt zu haben. Sie be-/verurteilten ihre Frau-
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enliebe als 'Makel' und als 'sündig' (Frau B), als 'Schuld' und 'unzulässig' (Frau F) bzw. sich
selbst als 'Versager' (Frau G).
Schuld, Sünde und Versagen sind moralische Wertbegriffe, die meisten der
Interviewpartnerinnen haben sich damit selbst verurteilt und/oder abgewertet.
Frau F formuliert, was auch für andere zutraf; sie sagt, sie habe zwischen ihren eigenen Werturteilen und den ihr vorgegebenen nicht (mehr) unterscheiden können. Mit anderen Worten
heißt das, die Werturteile, die sie selbst traf, waren übernommen, waren die verinnerlichten der
sie umgebenden Gesellschaft.
Der Vergleich der Interviews zeigt also, daß die Verinnerlichung moralischer Verurteilung, wie
sie gesellschaftlich und politisch vorgegeben wurde, bei allen Interviewten außer Frau A wesentlich war. Die eigene Ausrichtung an der Frauennorm und die Verurteilung der eigenen Abweichung davon zeigten sich als für die Situation der befragten lesbischen Frauen zentral.
Darüberhinaus übernahmen einige aber auch die spezifischen Moralurteile gegen lesbische
Frauen so weitgehend, daß sie selbst für (andere) Lesben Verachtung empfanden und sich abgestoßen fühlten. Frau C berichtet davon ausdrücklich, und auch Frau G sagt, sie wäre niemals
in 'solche' Lokale gegangen, denn sie wollte ja nicht 'so' sein.
Die Übernahme dieser Werte und Wertungen war, so zeigen die Interviews, für die Identität im Sinne von Selbstbild und Selbstdefinition - der befragten Lesben folgenschwer .
Der Vergleich der Interviews ergibt, daß Identität in diesem Sinne in allen Interviews ein wichtiges Thema ist, die Frage ihrer damaligen Selbstdefinition spielte für die Interviewten eine
große Rolle, auf die sie ausführlich eingehen. Dabei stellt sich eines der für mich erstaunlichsten Ergebnisse heraus: Nur eine von sieben damals lesbischen Frauen hatte eine positiv besetzte
und die Mehrzahl der Frauen hatte keine positiv bestimmte lesbische Identität 1:
Frau B hatte keine positive Definition ihres Seins, sie verstand sich als 'nicht normal', ähnlich
wie Frau E. Frau E hatte sich zunächst als 'Spätentwicklerin' definiert, eine Erklärung, die auch
Frau D für sich adaptiert hatte. Frau D brachte sich später vage mit Homosexualität in Verbindung und sagte von sich, daß sie 'sich für Frauen interessiere'. Frau G begriff sich primär als
Versagerin und Defizitwesen, die zwar Frauen liebt, was es aber gleichzeitig eigentlich nicht
gibt/geben kann. Frau C sagt ausdrücklich, daß sie sich mit Lesben nicht hätte identifizieren
können, sie fühlte sich als 'Laune der Natur', als 'Mann im Frauenkörper'. Frau F definierte sich
als 'homosexuell', was sie aber mit Schuld in Verbindung setzte. Lediglich Frau A definierte
sich als 'schwul' (obwohl sie das Wort wegen des negativen Beigeschmacks ablehnte), betrachtete ihre Liebe zu Frauen als 'normal' und machte sich weiter keine Gedanken darüber.
Alle außer Frau A hatten ihre Selbstdefinition anhand negativer Wertungen - Schuld, 'Laune
der Natur', 'Versager' - erstellt, und außer Frau A und Frau F hatten sie ihre Selbstdefinition
sogar ausschließlich negativ bestimmt. D.h. über den Abgleich mit der >Schablone< Frauenbild
erstellten sie ihr Selbstbild nicht in Form von >ich bin lesbisch/schwul/frauenliebend<, sondern
in Form von >ich bin nicht normal/kann keinen Mann lieben/bin keine richtige Frau<.
Der Zusammenhang zwischen der moralischen Selbstverurteilung und dem Mangel einer an positiven Werten orientierten Identität wird hierdurch augenfällig. Die moralische Verurteilung
durch das Umfeld und die Übernahme bzw. Verinnerlichung dieser Werte durch die lesbischen
Frauen stehen in direktem Verhältnis zum Selbstbild der Interviewten und ihrem Un-/Vermö1 mit 'positiv bestimmter Identität' bezeichne ich, was ich in der Interpretation von Frau G als 'durch aktiva
bestimmt' (vgl. 101) beschrieben habe. Im Unterschied dazu steht 'positiv besetzte Identität', es bezeichnet, wie
die (eigene) Identität bewertet wird. Das Gleiche gilt umgekehrt auch für 'negativ bestimmt' und 'negativ be setzt'.
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gen, ein positives Selbstbild zu entwickeln. Frau A als diejenige, die sich als 'normal' und
'schwul' betrachtete, erhielt von ihren Eltern Unterstützung für ihr So-Sein, die anderen Interviewten erhielten solche Unterstützung nicht, bekamen von ihrem Umfeld Schuld und Abnormalität vermittelt und entwickelten eine auf diesen Werturteilen basierende Identität.
In Abschnitt C habe ich die These aufgestellt, daß ein erheblicher Teil des unterdrückerischen
Portentials der Frauen- und Familienpolitik daraus bestand, Lesben den Aufbau eigener Werte
und dadurch eine an positiven Werten orientierte lesbische Identität zu be-/verhindern.
Die Interviews zeigen, daß es es den meisten von mir befragten lesbischen Frauen tat sächlich
nicht gelungen ist, sich gegen die moralische Verurteilung zu wehren und eigene Werte zu entwickeln.
Die Verinnerlichung der moralischen Verurteilung hat aber, so ergeben die Interviews, noch
eine andere bedeutende Konsequenz: sie zog die Verinnerlichung der Unterdrückung nach
sich.
Diese Verinnerlichung hatte bei den Interviewpartnerinnen zwei verschiedene Formen:
Drei Frauen unterdrückten ihre entdeckte Liebe zu Frauen im wörtlichen Sinne, und heirateten
mit Anfang Zwanzig (Frau C, Frau D und Frau E). Eine Vierte, Frau B, heiratete Mitte der
70er, als (vorläufiger) Abschluß eines Prozesses des 'Abschneidens' ihrer 'Frauenliebe'. Dadurch entgingen sie Sanktionierungen von außen, von denen Frau E und Frau B ausdrücklich
sagen, daß sie sie fürchteten (Frau B: 'Normal sein rettet Leben'; Frau E: 'Angst, daß andere
das Schöne kaputtmachen'). Frau C handelte nicht aus Angst vor äußerer Sanktion, sondern
weil ihr Norm und Werte so selbstverständlich waren, daß sie ihre Frauenliebe als etwas Vorübergehendes betrachtete, das sie mit ihrer Eheschließung beenden, das 'automatisch' von ihr
abfallen würde, wenn sie durch die Heirat 'zur Frau' würde.
Die andere Art der verinnerlichten Unterdrückung war, zwar Beziehungen mit Frauen zu leben
oder zu suchen, sich aber dabei möglichst vollständig zu verstecken und als 'normal' zu tarnen.
Das bedeutet, daß die Frauen sich so verhielten, daß niemand auf die Idee kommen konnte, sie
seien lesbisch oder führten eine Frauenbeziehung.
Frau B sagt ausdrücklich, daß ihre 'eigenen Schranken' dafür sorgten, daß sie sich benahm, daß
nichts darauf hindeuten ließ, daß sie lesbisch sei. Das Gleiche tat Frau C, die das Bild so weitgehend wahrte, daß die mit ihr lebende Freundin aus Gründen der Tarnung eine eigene Wohnung behielt und beide sich in der Öffentlichkeit nicht zusammen zeigten. Ebenso Frau D, die
von sich sagt, daß sie sich in der Öffentlichkeit immer unauffällig verhielt; und Frau G, die davon spricht, daß sie immer versuchte, ihr Lesbischsein geheim zu halten. Frau F war
diesbezüglich zwiegespalten: Phasen, in denen sie sich nicht mehr traute, eine Beziehung zu
führen, wechselten bei ihr ab mit dem Versuch, ihre Frauenliebe - auch in den kirchlichen Zusammenhängen - 'einzubringen'.
Der Vergleich ergibt also, daß von sieben Frauen fünf (und eine sechste zeitweise) alles unternahmen (bzw. unterließen), um nicht aufzufallen, und sich dabei/dafür deutlich selbst beschnitten. Sie kamen auf diese Weise einer möglichen Sanktionierung von außen zuvor, nahmen sie
dabei aber gleichzeitig vorweg bzw. nahmen äußeren Sanktionierungsinstanzen >die Arbeit
ab<.
Deutliche Ausnahme ist wieder Frau A, die provozieren wollte, indem sie durch ihr Auftreten
alle >wissen< ließ, daß sie lesbisch war. Frau A war gleichzeitig aber auch diejenige, bei der
staatliche Instanzen am direktesten und unmittelbarsten einzuschreiten versuchten (das Gerichtsurteil, die Razzia).
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Aus diesen Betrachtungen ergibt sich die Vermutung, daß diese Zusammenhänge nicht zufällig,
sondern systematisch waren: In jenen Fällen bzw. bei der Frau, bei der Selbstbeschneidung
und/oder -sanktionierung nicht funktionierte, traten andere, äußere Instanzen auch tatsächlich
und vehement auf. Neben Frau A ist das auch bei Frau F zu beobachten: Als sie sich weigerte,
ihre Jugendliebe aufzugeben und/oder als schlecht zu betrachten traten ihre Mutter und andere
aus dem sozialen Umfeld, in Folge dann auch der Staat in Person der Fürsorgerin auf, um sie
dazu zu bringen.
In Abschnitt C formulierte ich die These, daß der Staat als sanktionierende Instanz selten auftrat, daß er vielmehr mittelbar, diejenigen erziehend und unterstützend, die als 'Verbündete' in
seinem Sinne arbeiteten.
Aus den Interviews ergibt sich nun, daß für die von mir interviewten Frauen diese These zutrifft. Und gleichzeitig kann ich sie präzisieren: die Zurückhaltung im unmittelbaren Handeln
basierte direkt auf der Funktionstüchtigkeit der mittelbaren Methoden: solange die lesbischen
Frauen sich selbst gängelten, oder ihr Umfeld bzw. sonstige 'Verbündete' dabei erfolgreich waren, trat keine andere Instanz auf; >versagten< diese, trat der Staat auch als unmittelbarer Akteur auf.
Um in einem Bild zu sprechen: es scheint, daß das Prinzip der Unterdrückung lesbischer Existenz, soweit es die von mir befragten Frauen betrifft, >Stufen< hatte: Hatten die lesbischen
Frauen ihre Unterdrückung soweit verinnerlicht, daß sie nicht (mehr) lesbisch lebten oder aber
es so sehr verheimlichten, daß nichts >nach außen durchsickerte<, wurden sie für ihr Lesbischsein von außen nicht sanktioniert oder diskriminiert - es blieb nur die Benachteiligung und Diskriminierung als >Alleinstehende<. Gingen sie jedoch mit ihrem Lesbischsein nach außen, traten Familie, Kirche und andere 'Verbündete' aus dem sozialen Umfeld auf und sanktionierten
sie; war das nicht ausreichend, weil die lesbische Frau darauf nicht >angemessen< reagierte,
oder eil wie bei Frau A die Eltern diese Aufgabe nicht erfüllten und sie stattdessen unterstützten, dann trat der Staat direkt als Diskriminierungsinstanz auf. Bei Frau A, und auch bei Frau
F, war das der Fall.
In Abschnitt C schloß ich aus dem Dargelegten, daß sich viele lesbische Frauen durch ihr Verhalten - Verstecken und Tarnen, Verleugnen der lesbischen Liebe - zu Mitverantwortlichen an
der eigenen Unterdrückung machten.
Der Vergleich der Interviews bestätigt diese Annahme: obige Ausführungen ergeben, daß für
die Mehrzahl der lesbischen Frauen nicht nur das soziale Umfeld und im weiteren Sinne >die
Gesellschaft< als Unterdrückungsinstanz wirksam waren, sondern daß sie selbst - durch Verleugnen und Loswerden-Wollen - aktiv und entscheidend zu ihrer eigenen Unterdrückung beitrugen.
Es ist aber augenscheinlich, daß die von mir befragten Frauen diesen Beitrag zur eigenen Unterdückung nicht >aus freier Entscheidung< leisteten: Sie kamen möglicher Sanktionierung von
außen durch die >Schere im Kopf< zuvor, und hatten dabei aber mehrheitlich ein konkretes
Ziel bzw. Motiv: Der Verachtung und dem Ausschluß aus dem sozialen Umfeld zu entgehen.
Diese Angst vor der Ächtung und dem Ausgestoßen-Werden sprechen alle interviewten Frauen
an; auch Frau A bezieht sich darauf, wenn sie sagt, daß Anfeindungen beispielsweise der KollegInnen sie schon trafen, aber daß sie sich das nie anmerken ließ und es stattdessen vorzog, 'es
ihnen an den Kopf zu knallen'. Vier der Interviewpartnerinnen (Frau B, Frau E, Frau F und
Frau G) nennen diese Angst ausdrücklich als Grund für ihr Verstecken. Frau A ist die Einzige,
die daneben noch einen anderen Grund für das versteckte Leben lesbischer Frauen angibt: Die
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Verschüchterung durch den Nationalsozialismus vor allem unter älteren Lesben, die Angst vor
offener Repression, die diese nach wie vor hatten und die sie nachhaltig versteckt leben ließ.
Die Angst vor Verachtung und Ausschluß als hauptsächliches Motiv der Tarnung weist schon
darauf hin, daß die befragten Frauen als äußere Instanzen wenig die staatlichen Organe fürchteten, und vielmehr die Familienangehörigen, KollegInnen und andere aus dem persönlichen
Umfeld.
Und ein Vergleich der Interviews zeigt, daß bei der Mehrzahl der Interviewten auch nur diese
als äußere Instanzen auftraten; Bei Frau G sind es ausschließlich die Familienangehörigen, bei
Frau B, Frau C und Frau F waren daneben auch die Kirche bzw. die Religiösität von großer
Bedeutung.
Es zeigt sich aber auch, daß auch wenn andere, auch staatliche Instanzen, in Aktion traten, dies
von den interviewten lesbischen Frauen nicht als wesentlich wahrgenommen wurden. Sowohl
bei Frau A als auch bei Frau F ist das ganz eindeutig so. Frau A berichtet auf meine Frage nach
Diskriminierungen zunächst gar nicht von ihrer Verhaftung, ebensowenig von der Jugendgerichtsauflage; von diesen Vorfällen berichtet sie erst in anderem Zusammenhang. Auf die Frage
nach Diskriminierung spricht sie zunächst nur von ihrem Bekanntenkreis, maßgeblich ihrenn
Eltern und den Menschen in ihrem Haus. Frau F berichtet von der Fürsorgerin, die sie 'bekehren' sollte, aber das Entscheidende an diesem Erlebnis, wovon sie ausführlicher spricht, ist der
'Verrat' der Mutter, die diese Fürsorgerin auf sie 'ansetzte'.
Die entscheidenden Instanzen bei den Interviewten sind also die Eltern.
Das liegt einerseits sicherlich daran, daß alle Interviewpartnerinnen in den 50er und 60er Jahren noch ziemlich bis sehr jung waren (die Älteste war bei Gründung der BRD 19, die Jüngste
5 Jahre alt) und die Eltern daher noch vergleichsweise größeren Einfluß auf und größere Bedeutung für die persönliche Entwicklung hatten als dies bei Älteren u.U. der Fall war.
Zum anderen ist ein Grund dafür das Prinzip der 'Stufen', wie ich es oben entwickelte: die Eltern als (potentielle) Vertraute und Nahestehende waren die nächste Instanz nach dem eigenen
Ich.
Es bestätigt sich so meine These aus Abschnitt C, daß die Familie (und das weitere soziale
Umfeld) sich in Übernahme, Verbreitung und Weitergabe der eingeforderten Norm- und Moralvorstellungen zur >heterosexistischen Exekutive< machte; nur falls sie dies nicht tat, trat die
<nächsthöhere< Instanz auf. Die Gängelung der lesbischen Frauen durch die Herkunftsfamilie
ermöglichte staatlichen Instanzen die geübte Zurückhaltung. Gleiches taten die Kirchen, die
immerhin bei drei von sieben Frauen großen Einfluß gewannen; die Familienverbände, die ich
in Abschnitt als 'Verbündete' der Frauen- und Familienpolitik herausarbeitete, hatten dagegen
für die von mir befragten Frauen keinerlei Bedeutung, keine berichtete mit von Kontakt mit
diesen Verbänden.
Die Tatsache, daß die Herkunftsfamilie für die meisten der von mir befragten Frauen eine maßregelnde und unter Druck setzende Rolle einnahm, bedeutete insbesondere auch, daß den lesbischen Frauen ihre Familie als Rückzugs- und Erholungsraum von einer ihnen gegenüber feindlichen Welt nicht zur Verfügung stand. Ich ging bereits darauf ein, daß nur einer von sieben Interviewpartnerinnen (Frau A) von dieser Seite Halt und Unterstützung bekam; für alle anderen
reihte sich die Familie in den Kreis der (potentiellen) Sanktionierungsinstanzen ein. Die lesbischen Frauen wußten als Folge davon nicht, wohin sie sich wenden sollten mit dem sie belastenden 'Anders- und/oder Abnormalsein'. Frau F sagt im Interview, sie habe sich ohne Halt gefühlt, und wußte nicht, 'wohin damit'. Mehrheitlich fühlten sie sich genötigt, ihr Lesbischsein
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auch vor ihren Eltern zu verheimlichen (Frau B, Frau C, Frau E und Frau G).
Die von mir befragten lesbischen Frauen hatten überwiegend keine oder nur die jeweilige Geliebte als Vertraute, sie waren überwiegend von anderen lesbischen Frauen, aber auch von
sonstigen Freundinnen, völlig isoliert. Ausnahme davon ist Frau D, die während ihrer Ehe
heimlich Besuche in Frauenbars machte, allerdings dort ohne Kontakt blieb, und wieder Frau
A, die auch, zumindest anfangs, regelmäßig in der Subkultur verkehrte und also mit anderen
Lesben häufigen Kontakt und die Möglichkeit zum Austausch hatte. Eine gewisse Ausnahme
anderer Art ist Frau E; sie hatte - durch das enge 'Campleben' - einen Bekannten- und Freundinnenkreis, verheimlichte aber vor diesem, wie auch vor allen anderen Menschen, einschließlich der Frauen, die sie liebte, ihr 'anderes, inneres Leben' konsequent. Also auch sie war ohne
Vertraute.
Bewirkt wurde diese Isolation einerseits durch den oben geschilderten fehlenden Rückhalt, andererseits durch die Verinnerlichung der Unterdückung im Zusammenhang mit der nur negativ
besetzten und/oder bestimmten Identität.
Denn weil sie für ihr Lesbischsein Schuld und Scham empfanden, isolierten die meisten der befragten Frauen sich selbst, sie zogen sich in sich zurück, damit >es< nicht 'rauskam'. Bevor andere sie ausschließen konnten, zogen sie sich selbst zurück, schlossen sich selbst von sozialen
Kontakten ab. Frau B schildert diesen Mechanismus sehr klar, wenn sie berichtet, daß sie mit
der Zeit 'eine richtige Eisente' wurde, verschlossen und unzugänglich. Und Frau F sagt, sie
habe eigentlich nie FreundInnen oder auch nur nähere Bekannte gehabt, um 'es' nicht sagen zu
müssen.
Verstärkt wurde diese Isolation der von mir befragten lesbischen Frauen noch dadurch, daß außer Frau A keine in der lesbischen Subkultur verkehrte (Frau D machte dort sporadische Besuche). Die anderen fünf hatten keinerlei Verbindung.
Meine Annahme aus Abschnitt C über die Klandestinität und dadurch bewirkte Unzugänglichkeit der lesbischen Subkultur ist also für die Mehrzahl meiner Interviewpartnerinnen zutreffend
gewesen. Denn die Mehrheit der befragten Frauen wußte entweder überhaupt nicht, daß (Frau
G und Frau E) oder aber nicht, wo (Frau D und Frau F) es 'so etwas' gab.
Daß die lesbische Subkultur ihnen verschlossen blieb, hatte neben der Klandestinität aber bei
einigen der Interviewten auch noch einen anderen Grund: Da sie sich nicht mit 'lesbisch'1 identifizieren konnten bzw. wollten, mieden sie Orte, die von 'solchen' Frauen besucht wurden, denn
das hätte Gleichsetzung/Identifizierung mit ihnen bedeutet. Hier kam die Verachtung für (andere) Lesben, die Frau C und Frau G im Interview ansprechen, zum Tragen und förderte ihre eigene Isolation.
Aus den bisherigen Vergleichen ist abzulesen, daß alle von mir interviewten Frauen für ihr Lesbischsein in irgendeiner Weise negativ sanktioniert wurden.
Bei Frau D war die sanktionierende Instanz ausschließlich sie selbst, am anderen Ende der
>Skala der Möglichkeiten< innerer und äußerer Sanktionierung stand Frau A, die nach einer
Razzia in einem Frauenclub fünf Wochen in Beugehaft verbrachte. Aber bei aller Unterschiedlichkeit in Ursprung und Vehemenz bleibt, daß alle Interviewpartnerinnen von >Problemen<
berichten, die sie mit ihrem bzw. durch ihr Lesbischsein hatten.
Es ist daher ein zentrales und für mich unerwartetes Ergebnis der Interviews, daß trotz dem
keine der Interviewten sich als Lesbe diskriminiert sah.
Eine Ursache davon ist wiederum die nur negativ bestimmte Identität der meisten Interviewten
(s.o.). Denn, wie das Frauenhandlexikon (1983, 54) feststellt, ist für die Diskriminierung ent1 oder Synonymen
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scheidend, "daß die Betroffenen selbst die Diskriminierung als Zurücksetzung empfinden,
also nicht die Wertmaßstäbe für ihre Diskriminierung verinnerlicht, als 'Tugend' angenommen haben".
Das aber war bei der Mehrheit meiner Interviewpartnerinnen, wie ich weiter oben ausführte,
der Fall: Sie hatten die Wertmaßstäbe, die zu ihrer Diskriminierung zugrunde lagen, verinnerlicht und übernommen, sie betrachteten sie als die ihrigen bzw. entwickelten keine eigenen davon unterschiedenen. Da sie ihr Lesbischsein selbst als schuldhaft und/oder als Makel ansahen,
konnten sie Maßnahmen, die sich dagegen bzw. gegen sie als lesbische Frauen richteten, nicht
als Diskriminierungen wahrnehmen. Frau F stellt diesen Zusammenhang ausdrücklich her; sie
sagt, sie habe gegen sie gerichtete Handlungen nicht als Diskriminierungen erkennen können,
da sie sie als etwas wahrnahm, daß sich gegen einen Fehler von ihr - ihr Lesbischsein - richtete.
Deshalb waren solche Sanktionen in ihren Augen nicht ungerechtfertigt, und also nicht
diskriminierend. Frau G spricht davon, daß sie entsprechende Erfahrungen nicht unter Diskriminierung 'subsumierte', sondern im Gegenteil sich selbst 'ankreidete', also die Schuld daran
gab.
Die lesbischen Frauen, die ihr Lesbischsein als Makel und/oder als Schuld betrachteten, sahen
aufgrund dieser Wertung diskriminierende Handlungen als gerechtfertigte Eingriffe an. Da sie
'unnormal' waren, waren Versuche, diese Unnormalität zu unterbinden, >normal<. Schuld und
Scham hinderten sie daran, Handlungen gegen ihr Lesbischsein als diskriminierend zu erkennen.
Ein anderer Hinderungsgrund war die fehlende Anerkennung der eigenen spezifischen Abweichung. Indem die meisten der von mir interviewten Frauen nur allgemein ihre Abweichung,
nicht aber spezifisch ihr Lesbischsein anerkannten, sich eben nicht positiv, sondern nur negativ
bestimmten (s.o.), konnten sie auch Handlungen, die sich gegen dieses Lesbischsein richteten,
nicht als solche wahrnehmen. Denn ohne Anerkennung des Ziels von Angriffen konnten logischermaßen auch die Angriffe nicht als solche anerkannt werden. Das Verharren in einer nur
negativ bestimmten Identität hinderte sie am Erkennen von Handlungen gegen ihr Lesbischsein
als diskriminierend.
Es ist festzustellen, daß alle von mir befragten Frauen sich selbst als Ursache, Auslöser, 'Provokateurinnen' ihrer Schwierigkeiten sahen.
Das galt auch für Frau A, für die die oben ausgeführten Gründe ja in dieser Form nicht zutra fen, denn sie fühlte sich ja weder schuldig für ihr Lesbischsein noch bestimmte sie sich nur negativ; trotzdem hat sie die gegen sie als Lesbe gerichteten Maßnahmen nicht als Diskriminierungen erkannt. Offensichtlich ist das bei dem, was sie über ihre Verhaftung bei der Razzia in
einem Frauenlokal berichtet. Sie sah, daß sie als sog. männlich aussehende Frau verhaftet wurde, und andere, 'eher feminin wirkende' Frauen nicht. Es war also eigentlich klar und unübersehbar, wogegen sich die Polizeiaktion richtete. Und trotzdem nahm sie diese Verhaftung als
von ihr individuell verschuldet wahr. Sie sah als Ursache nicht, daß lesbische Frauen diskriminiert wurden, lesbische Existenz nicht existieren sollte und deshalb sie als offensichtlich die
Frauennorm Brechende sanktioniert wurde. Sondern sie ging davon aus, diese Verhaftung
durch ihr provokatives Auftreten selbst verschuldet zu haben. Wäre sie nicht als 'Kesser Vater'
aufgetreten, wäre ihr das nicht passiert.
Die Struktur ist also sehr ähnlich: nicht äußere Bedingungen, sondern individuelles Sein bzw.
Handeln werden als Ursache und Grund einer Handlung gegen sie wahrgenommen.
Das führt mich zu einer weiteren Ursache des Nichterkennens der äußeren Ursachen der eigenen Situation:
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Keine der sieben Interviewpartnerinnen kam auf die Idee, die eigene Situation mit der sie umgebenden Gesellschaft und/oder der Politik in Verbindung zu bringen.
Einige bringen das im Gespräch selbst mit ihrem (fehlenden) politischen Bewußtsein und/oder
Engagement in Verbindung. So sagt Frau F, daß sie zwar die Diskriminierung bzw. die Sanktion sah, daß sie aber nicht wahrnahm, daß diese Sanktionen gesellschaftlich und/oder politisch
bedingt oder gewollt waren. Die Ursache dafür sei gewesen, daß ihr dazu das politische Bewußtsein fehlte. Auch Frau D stellt diesen Zusammenhang zwischen dem Nichterkennen der
eigenen Unterdrückung und dem ihr fehlenden politischen Interesse und Bewußtsein her, wenn
sie auf meine Fragen nach Diskriminierung von Lesben antwortet, dazu könne sie nichts sagen,
weil sie 'total unpolitisch' war. Frau E sagt sehr ähnliches; Politik habe sie nicht interessiert, sie
habe im Gegenteil damit nichts zu tun haben wollen und entsprechend auch nicht darüber nachgedacht, ob ihre Situation etwas mit Politik zu tun haben könnte.
Keine der von mir befragten lesbischen Frauen hatte dieses politische Bewußtsein. Und entsprechend stellte keine den Zusammenhang zwischen ihren individuellen Bedingungen und gesellschaftlichen und/oder politischen Vorgaben her.
Frau G war eine gewisse Ausnahme, denn in bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche hatte
sie politisches Bewußtsein, stellte Zusammenhänge zwischen sich und politischem Geschehen
her. Aber, so sagt sie, nicht bzgl. der Benachteiligung von Frauen in der BRD; und sie stellt
fest, daß sich ihr dadurch - und durch ihre Nichtidentifizierung mit >lesbisch< und ihrem Verstecken - 'diese Gesellschaft gar nicht als lesbenfeindlich oder -freundlich zeigen konnte'.
Zwei Ursachen für diese Blindheit gegenüber politischen Zusammenhängen erschließen sich
aus den Interviews:
Zum einen, daß die als individuell und schlecht empfundene Lebenssituation mit ihren Anforderungen nach Tarnung und Schutz vor Entdeckung so viele Energien verbrauchte, daß für den
Blick nach außen keine übrigblieb. Dadurch mußte die Situation weiterhin als individuell erscheinen, wodurch wiederum weitere Energie in das Schutzschild investiert wurde. Frau B
stellt diesen Zusammenhang her, sie nennt das Schutzschild 'Käseglocke'.
Zum anderen, daß durch die Übernahme der Frauennorm, die >Frau< ja im privaten Raum ansiedelte, die Beschäftigung mit politischen Dingen blockiert wurde. Frau E spricht das an, sie
sagt, daß sie sich möglicherweise deshalb nicht mit Politik befasste und befassen wollte, weil
sie 'die Schere im Kopf hatte, daß Politik Männersache ist'. Zwar ist Frau E die einzige, die diese Möglichkeit erwähnt, die völlige politische Passivität und Abstinenz wird jedoch auch von
anderen betont (Frau C und Frau D). Es ist demnach denkbar, daß sie durch die Übernahme
dieses Aspekts der Frauennorm mehrere der Interviewten den Blick auf die Ursprünge ihrer Situation verstellten. Träfe dies zu, so wäre es Frauen- und Familienpolitik mit der Normierung
gleichzeitig gelungen, die Herkunft des Normierungsdrucks vor den Normierrten zu verschleiern: Die Norm schreibt vor, daß Frauen sich nicht um Politik kümmern; indem sie dem Bild
folgten, erkannten sie nicht, daß Politik Einfluß auf ihr Leben hat.
Die interviewten Frauen verstanden ihre Situation nicht als von Diskriminierung gezeichnet,
weil zu dieser Erkenntnis politisches Bewußtsein notwendig gewesen wäre. Keine von ihnen
hat sich jedoch die Frage gestellt, ob Gesellschaft und/oder Staat Frauen diskriminieren, oder
ob Lesben diskriminiert werden. Sie haben folglich auch keine Kenntnis davon gehabt.
In Abschnitt C stellte ich fest, daß wirtschaftliche und rechtliche Maßnahmen eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben dürften, da der Schwerpunkt familienpolitischer Aktivität auf
der Öffentlichkeitsarbeit lag. Aus den Interviews kann hierfür weder Bestätigung noch Berichtigung gezogen werden; denn da, wie oben ausgeführt, die Interviewpartnerinnen ihre Situation
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nicht in Bezug zu politischen Entscheidungen und Vorgängen setzten, hätten sie solche Maßnahmen, sofern sie gegen sie wirksam wurden, nicht wahrnehmen können.
Dies belegt sich aus den Interviews insofern, als ein Vergleich zeigt, daß doch vorhandene
Auswirkungen wirtschaftlicher und rechtlicher Maßnahmen von den betroffenen Frauen nicht
als solche registriert wurden. Das ist dadurch ganz deutlich, daß keine der Interviewten auf die
Frage nach Sanktionierungen mit diesbezüglichen Berichten reagiert, auch jene nicht, die in anderem Zusammenhang von solchen Sanktionen berichten. Unverkennbar ist das bei Frau A, die
von den Problemen bei der gemeinsamen Wohnungssuche mit ihrer Freundin erzählt; sie
bestätigt mir auch auf Nachfrage, daß sie damals gar nicht auf die Idee gekommen wäre, diese
Schwierigkeiten mit staatlicher Wohnungsbau- und -vergabepolitik in Verbindung zu bringen.
Wirtschaftliche und rechtliche Benachteiligungen spielten in den Berichten der Frauen insgesamt keine oder eine sehr untergeordnete Rolle.
Einerseits, weil staatliche initiierte, unterstützte oder geduldete Benachteiligung nicht erkannt
wurde.
Auf der anderen Seite zeigt der Vergleich, daß alle befragten Frauen wirtschaftlich einigermaßen gut abgesichert waren. Zwar haben von den sieben Befragten zwei keine Ausbildung machen können (Frau A und Frau D), aber zwei machten die 'bessere' (nach damals gängiger Beurteilung, wie Frau E berichtet) der üblichen Frauenlehrberufe 'im Büro' (Frau C und Frau E)
und drei konnten, wenn auch keine auf dem direkten Weg, sogar ein Studium absolvieren. Frau
C machte als Einzige eine Phase ungesicherter Existenz mit auszehrender und ungesicherter
Arbeit durch, nachdem sie als Hausfrau einige Zeit nicht berufstätig gewesen war. Frau D und
E waren ebenfalls zeitweise nicht erwerbstätig und übernahmen die Rolle der 'Nur-Hausfrau'.
Vor allem bei Frau D und E zeigt sich, daß die Probleme des Wiederseinstiegs ins Berufsleben
aber weniger durch ergriffenen wirtschaftliche Maßnahmen als durch die ideologisch
aufgebauten Ängste und fehlendes Selbstbewußtsein bei den Frauen selbst verursacht waren.
Die Interviews bestätigt insoweit die These, daß wirtschaftliche Maßnahmen keinen wesentlichen Einfluß hatten, zumal in den 60er Jahren mit ihrer (für Arbeitnehmenrinnen) günstigen
Arbeitsmarktsituation.
Die These, daß durch die hauptsächlich mittelbare Politik und die Ausrichtung des Schwerpunktes der Aktivitäten auf die Öffentlichkeitsarbeit die erfolgte Unterdrückung lesbischer
Existenz sehr subtil dadurch nur schwer angreifbar wurde, findet in den Interviews vehemente
Unterstützung.
Die Effektivität des ausgeübten Drucks scheint sich, so ist aus dem Vergleich der Interviews
abzulesen, gerade darüber hergestellt zu haben, daß er nicht direkt, im Sinne von Greifbarkeit
seiner Ursprünge, war. Besonders deutlich wird dies einerseits durch die Ausnahmeposition
von Frau A, die dem subtilen Druck des persönlichen Umfeldes nicht bzw. nur wenig ausgesetzt war und die offen als Lesbe lebte.
Andererseits bestätigt Frau F explizit die Effizienz der Unsichtbarkeit; sie berichtet, daß sie
sich damals manchmal eine härtere Unterdrückung wünschte, gegen die sie wenigstens hätte
kämpfen können. Diese Aussage heißt m.E. nicht, daß sie sich wirklich härtere Konfrontation mit allen Konsequenzen - gewünscht hätte, sondern ist Ausdruck dessen, daß sie sich unterdrückt fühlte, ohne diese Unterdrückung be-/greifen und sich dagegen wehren zu können.
Zusammenfassung
Es hat sich gezeigt, daß die Politik bei den von mir befragten Frauen wenig zu klassischen
politischen Mitteln wie Polizei, Justiz und finanzielle Sanktion griff. Insoweit besteht Überein-
95
stimmung zwischen meinen theoretisch erarbeiteten Thesen - die die tendenzielle Nachrangigkeit direkter nach mittelbarer Politik in diesem Ressort feststellte - und den Ergebnissen der Interviews. Es hat sich darüberhinaus aber auch gezeigt, daß die staatlichen Organe durchaus
willens und in der Lage und waren, zu direkten Mitteln zu greifen, wenn die anderen, quasivorstaatlichen, subtileren Methoden >versagten<. (Offene) Repression war aber offensichtlich
nicht das, worauf Politik abzielte.
Dieses Ergebnis ist m.E. nicht überraschend. Überraschend ist eher, daß es doch offene Unterdrückung gab, denn Berichte von Razzien oder von der Verhängung heterosexualisierender
Gerichtsauflagen in Diebstahlsverfahren waren mir vorher nicht bekannt.
Die Interviews bestätigten meine These, daß Norm und Moral bzw. moralische Verurteilung
für die Unterdrückung lesbischer Existenz eine herausragende Rolle spielten. Die Befragten
wurden fast alle - verschiedenen Formen von - äußerem Druck ausgesetzt, der aus Norm und
Moral zusammengesetzt war.
Aus den Interviews ließ ich allerdings nichts ablesen, was den proportionalen Einfluß, den
Politik hier tatsächlich ausübte, betrifft. Da dieser Druck nicht >meßbar< wurde, und die von
mir befragten Frauen durchweg keinen Zusammenhang zwischen ihnen widerfahrenen Sanktionen und gesellschaftlicher und/oder staatlicher Intention herstellten, konnten sie darüber nichts
sagen.
Der Einfluß der Familienverbände in der Frauen- und Familienpolitik, wie ich ihn in Abschnitt
C darstellte, findet sich in den Interviews nicht wieder. Hingegen wird der Einfluß der Kirchen
deutlich widergespiegelt: Drei von sieben Interviewten hatten engsten Kontakt zu christlichen
Kirchen, und bei zweien von ihnen wurden diese zu einer zentralen Unterdrückungsinstanz.
Die Kirchen als 'Verbündete' der Frauen- und Familienpolitik traten bei diesen
Interviewpartnerinnen ganz klar zutage.
Abschnitt C betonte die Bedeutung des sozialen, maßgeblich familiären Umfeldes von lesbischen Frauen als 'heterosexistische Exekutive'. Die Interviews ergaben, daß die Eltern und
nächsten Verwandten in der Bedeutung, die sie für die Lesben hatten, gar nicht überschätzt
werden können. Alle Interviewpartnerinnen erwähnten auf die Frage nach >Problemen< zuerst
ihre Eltern. Es bestätigte sich also auch die These, daß die mittelbare Frauen- und Familienpolitik nur dadurch so wirkungsvoll werden konnte, daß ihre Grundwerte von der Mehrheit der
Bevölkerung mitgetragen und -verbreitet wurden.
Die von mir befragten Frauen berichteten kaum, die meisten gar nicht, von gegen sie ergriffenen rechtlichen oder wirtschaftlichen Maßnahmen. Inwieweit das jedoch meine These stützt,
daß diese Maßnahmen eher sekundäre Bedeutung hatte, muß m.E. offen bleiben, denn: Erstens
waren die von mir befragten Frauen in der glücklichen Lage, nicht in Abhängigkeit von staatlichen Stellen wie Vormundschafts- oder Sozialamt zu geraten. Und zweitens hätten sie mir von
etwaigen doch erlebten Sanktionen gar nicht berichtet, da diese in ihrem Bewußtsein ja nicht
mit ihrem Lesbischsein in Verbindung standen. Dazu hätten sie ja eine Verbindung zwischen
ihrer als negativ erlebten Situation und Politik und/oder Gesellschaft herstellen müssen.
Klar ist jedoch, daß wirtschaftliche und rechtliche Maßnahmen in der Wahrnehmung der Befragten eine völlig untergeordnete Rolle spielten.
Die inneren Konsequenzen einer auf Norm(ierung) und moralischer Verurteilung basierenden
96
Unterdrückung lesbischer Existenz erwiesen sich für die Interviewpartnerinnen - mit einer Ausnahme - als überragend. Sie stellten sich als das Kernstück ihrer Situation heraus. Die Internalisierung der Normen und Moralurteile ging einher mit der Unfähigkeit, eine positiv bestimmte
und besetzte Identität zu entwickeln; und im weiteren mit der Internalisierung der Unterdrückung, der Verlagerung des Konflikts zwischen den dadurch gestellten Anforderungen und
ihren eigentlichen Wünschen nach innen. Die meisten der Frauen versteckten sich bzw. ihr Lesbischsein, zentrales Motiv dieser Tarnung war die Angst vor Verachtung und Ausschluß, die
als Folge einer Entdeckung gefürchtet wurden.
Bis auf eine hatten alle befragten Frauen es nicht geschafft, sich gedanklich und emotional von
der geforderten Frauennorm und mit ihr verbundenen Urteilen über die >Abnormalen< zu lösen.
Dadurch wurde ihnen die Erkenntnis, daß die eigene Lage von Unterdrückung gekennzeichnet
ist, und daß diese Unterdrückung nicht individuelles Einzelschicksal ist, sehr erschwert. Auch
diese Annahme des Theorieteils wurde also in den Interviews bestätigt, denn alle Interviewpartnerinnen gaben sich selbst die Schuld an >Problemen<, die sie hatten, und nahmen sich als
Einzelschicksal wahr. Keine stellte einen Zusammenhang zwischen ihrer schlechten Situation
und gesellschaftlichen und/oder politischen Verhältnissen her, diese Ursprünge ihrer Situation
blieben ihnen unklar. Das hing auch damit zusammen, daß keine politisches Bewußtsein in einer Form hatte, die sie ihre individuellen Lebensumstände in Bezug zur sie umgebenden Gesellschaft hätte setzen lassen.
97
E. Fazit
Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, den Möglichkeiten und Bedingungen lesbischer Existenz in
den 50er und 60er Jahren - als einer Ära restaurativer Politik - nachzugehen.
Dabei ging es mir insbesondere auch um die Determinanten dieser Bedingungen, d.h. wodurch
sie bestimmt bzw. begrenzt wurden.
Meine Arbeitsthese war, daß die Familienpolitik in den 50er und 60er Jahren eine solche
Determinante war.
Im theoretischen Teil ging ich dementsprechend der Frage nach, worauf diese Frauen- und
Familienpolitik basierte, welcher Mittel sie sich bediente, um schließlich zu folgern, was sie
damit - in bezug auf lesbische Existenz - erreicht haben konnte.
Es stellte sich heraus, daß die Restauration und Verwendung traditionell patriarchaler Auffassungen über das Wesen und die Aufgaben 'der Frau' das bedeutendste Werkzeug der Familienpolitik war, und daß diese Normierung des Frauenbildes in der BRD der 50er und 60er Jahre
Exklusivcharakter er- und behielt.
Ich schloß daraus, daß diese Normierung, die mittels moralischer Verurteilung und unter Mithilfe großer Teile der Bevölkerung forciert wurde, für lesbische Existenz entscheidend gewesen sein muß, widerspricht sie doch solchem Frauenbild und sabotiert seinen Ausschließlichkeitsanspruch. In dem wenigen schriftlichen Material, das ich mir zugänglich machen konnte,
war von offener Repression seitens staatlicher Institutionen gegen Lesben nie die Rede. Dies,
und Kenntnis über die Formen lesbischer Unterdrückung im allgemeinen, gaben starken Anlaß
zur Vermutung, daß die Familienpolitik kaum - oder u.U. gar nicht - zu solchen Mitteln gegriffen haben wird, um lesbische Existenz zu unterbinden.
Das waren die Ausgangspunkte meiner Interviews. Die Fragestellung an die Interviews war
insbesondere danach, wie diese politischen Bedingungen von lesbischen Frauen wahrgenommen und verarbeitet wurden.
Ich konzentrierte mich folglich in den Interviews einerseits darauf, zu erfragen, wie meine
Interviewpartnerinnen mit den Frauenbildern, mit denen sie konfrontiert waren, umgingen, in
welches Verhältnis sie sich dazu setzten und welche Konsequenzen das hatte.
Im weiteren erfragte ich, ob sie mit, und wenn ja, welchen, diskriminierenden bzw. repressiven
Handlungen wegen ihres Lesbischseins konfrontiert wurden, und wie sie das verarbeiteten.
Schließlich legte ich Wert darauf, eine grobe Vorstellung ihrer damaligen Lebensrealität zu
bekommen, sie sollte ihre individuellen Bedingungen und ihre Situation veranschaulichen.
Die Interviews brachten einige zentrale Ergebnisse: Die überwiegende Mehrheit meiner Interviewpartnerinnen konnte sich von der Norm des Frauenbildes nicht lösen, die propagierten
Werte behielten für sie Gültigkeit, obgleich sie dagegen lebten bzw. leben wollten. Der Konflikt, der sich daraus zwangsläufig ergab, führte die meisten von ihnen dazu, sie sich selbst
enorm unter Druck zu setzen, sich schuldig und makelhaft zu fühlen.
Dieser durch Verinnerlichung des Wertesystems entstandene Druck bestand zu wesentlichen
Teilen aus der Verurteilung dessen, was sie taten: Frauen lieben und/oder lieben wollen.
Gleichzeitig und dadurch verursacht konnten die meisten von ihnen keine positive Bestimmung
ihres Seins ausbilden: sie verharrten in einer Selbstdefinition als Abweichende, anerkannten ihre
Frauenliebe nicht als Wert.
Dazu kam für alle Interviewten Druck von außen, hauptsächlich ausgeübt von den Eltern und
98
anderen nahestehenden Personen. Er bezog sich hauptsächlich auf das, was sie nicht taten: den
Anforderungen der normierten weiblichen Rolle gerecht zu werden.
Die interviewten Lesben hatten den Konflikt zwischen einer Gesellschaft und Politik, die Frauen nur als heterosexuell lebende Ehe Frauen und Mütter zulassen wollte, und ihren dazu widersprüchlichen Lebenswünschen, (fast) vollständig 'nach innen' verlagert. Sie machten nicht Politik oder ihr Umfeld dafür verantwortlich, sondern sich selbst als Schuldige daran. Durch angepaßtes und unauffälliges Verhalten versuchten sie mehrheitlich, Sanktionen 'von außen' zuvorzukommen.
Da sie die Ursprünge ihrer mehrheitlich als schlecht empfundenen Lebenssituation nicht
erkannten/erkennen konnten, gab es für sie keinen Ansatzpunkt, etwas daran zu verändern. Die
völlige Isolation von anderen Lesben, in der die meisten von ihnen sich befanden, stärkte diesen
hilflosen Zustand noch.
In dem Bewußtsein, 'falsch' zu sein, versteckten und 'tarnten' sie sich, aus Angst vor der Verachtung, die ihnen bzw. ihrem Makel bei 'Entdeckung' entgegengebracht werden würde.
Die Restauration und Durchsetzung des Frauenbildes als exklusiv - Ziel und Erfolg familienpolitischer Anstrengungen -, war also für die befragten Frauen hochwirksames Mittel ihrer
Unterdrückung.
Daneben gab es aber auch einschneidende direkte Aktionen staatlicher Macht.
Dieses Auftreten des Staates als unmittelbare Sanktionierungsinstanz - und vor allem seine
Zeitpunkte - geben m.E einen Anhaltspunkt auf die Intentionalität antilesbischer Politik: falls
die mittelbaren Methoden der Unterdrückung lesbischer Existenz 'versagten', traten auch direktere Methoden an ihre Stelle. Das ist ein Hinweis darauf, daß dabei ein politisches Interesse
verfolgt wurde.
Davon ausgehend könnte darüber spekuliert werden, wie 'lesbische Existenz in Zeiten restaurativer Politik' aussehen könnte, in denen solche Politik nicht hauptsächlich durch die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung etabliert werden kann.
Oder ist es nicht geradezu konstitutiv für restaurative und konservative Politik, die 'Köpfe der
Menschen erobern' zu wollen?
Ulrike Hänsch formuliert für die Gegenwart, was prinzipiell - d. h. unter Beachtung der unterschiedlichen Bedingungen - auch (und gerade?) für die 50er und 60er Jahre Gültigkeit gehabt
zu haben scheint.
Ich schließe daher meine Arbeit mit ihrer Erkenntnis und Aufforderung:
"Das, was uns dann trotzdem hindert, unsere Freiheit auszudehnen, ist oft das angstvolle
Schielen nach der Mißbilligung der Umstehenden. Doch auf eine offizielle Erlaubnis, auf eine
allgemeine wohlwollende Zustimmung werden wir vermutlich noch länger warten müssen. Es
ist jetzt und immer wieder neu an uns, die Spielräume, die wir haben, wahrzunehmen und dann
auch gefälligst auszunutzen."(Hänsch, 1989, 17)
99
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______________________________
Herangezogene Belletristik:
Eberhardt, Katharina, 1993: Katzenküsse, Bergisch-Gladbach
Lasserre, Sonja,1983: L. Liebe. Eine Abrechnung, W-Berlin
Lorde, Audre, 1993: Zami. Ein Leben unter Frauen, Frankf./M.
Moosdorf, Johanna, 1988: Freundinnen, Frankf./M.
Park, Jaquelyn Holt, 1994: Die Eroberung der Nacht. Von der Liebe, wenn sie am
schwierigsten ist, Frankf./M.
Offenbach, Judith, 1981: Sonja. Eine Melancholie für Fortgeschrittene, Frankf./M.
Wolff, Charlotte, 1990: Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit, Frankf./M
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Anhang I
Lesben suchen ihre
Geschichte!
Hast Du/ haben Sie die 50er und 60er lesbisch
gelebt/erlebt?
Mit oder ohne Beziehung(-en)?
Offen oder versteckt?
....?
In einer BRD-Großstadt (ca. ab 1/2 Mio. Einw.) oder
W.-Berlin?
Ich bin lesbische (Politologie-) Studentin und will
mit meiner Diplomarbeit die Bedingungen lesbischen
Lebens in dieser Zeit "zum Thema machen",
und suche deshalb Lesben, um mit Hilfe von Euren
Berichten/ Erzählungen über Euren Alltag und Eure
Erfahrungen dieser Zeit "auf die Spur zu kommen".
Die Gespräche dafür dauern ca. 2-2,5 Stunden.
Wenn Du/ Sie Interesse hast/ haben,
oder einfach neugierig bist/ sind,
oder aber Informationen/ Tips für mich hast/ haben,
dann rufe mich/ rufen Sie mich bitte an!
Ich rufe zurück!
__________________________________________________________________
Anhang II
Lesben suchen ihre Geschichte!Hast Du/haben Sie die 50er und 60er lesbisch gelebt/ erlebt?In
einer BRD-Großstadt (ab ca 1/2 Mio. Einw.) o. W.-Berlin?
Ich, lesbische Studentin, will mit meiner Diplomarbeit lesbisches Leben in dieser Zeit "zum
Thema machen" und suche deshalb Lesben, die mir mit ihren Erzählungen/ Berichten helfen,
ihm "auf die Spur zu kommen". Die Gespräche dafür dauern ca. 2h , alles Nähere (ohne Verpflichtung!) bei Irene unter 030/ 6241934 o. 7852777. Ich rufe zurück!
Lesben suchen ihre Geschichtein der BRD der 50er und 60er! Suche Lesben, die in dieser Zeit in einer Großstadt (ab ca 1/2
Mio. Einw.) lebten, die sich vorstellen können, mir von ihrem Leben, ihrem Alltag und ihren
Erfahrungen in dieser Zeit zu berichten!
Ich, lesbische Studentin, will so mit meiner Diplomarbeit das lesbische Leben in dieser Zeit
"zum Thema machen". Die Gespräche dafür dauern ca 2h, alles Nähere (ohne Verpflichtung!):
Irene unter 030/6241934 o. 7852777. Ich rufe zurück!
Anhang III
Kurz-Info zum Projekt: Lebensbedingungen lesbischer Frauen
in den 50er und 60er Jahren in der BRD und Westberlin
Worum geht es?
Es geht um ein Projekt, das sich den politischen Vorraussetzungen nähern will, unter denen Lesben in
den 50er und 60er Jahren in der BRD und Westberlin lebten, und den verschiedenen Möglichkeiten
des Umgangs mit diesen Voraussetzungen.
Meine Motivation zu diesem Projekt ist die Einschätzung, daß die Unterdrückung von Lesben in dieser
Gesellschaft zu einem großen Teil durch Unsichtbarmachung funktioniert, durch die ebenso schlichte
wie hartnäckige Leugnung der Tatsache, daß es frauenliebende Frauen gibt und gab.
Dieser Auslöschung will ich mich widersetzen.
Der Rahmen, in dem dieses Projekt stattfindet, ist die Universität, ich nutze meine Diplomarbeit zur
Verwirklichung dieser Idee.
Ich, das ist eine 26-jährige Lesbe, Studentin der Politikwissenschaft, mit feministischen Ambitionen
und großem Interesse an der kollektiven lesbischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Was ist die Idee?
Damit Du/ Sie eine Vorstellung von dem Ganzen bekommst/ bekommen, werde ich in ein paar Sätzen
die Idee vorstellen:
Es geht mir im Prinzip darum, zu erfahren, wie die Lebensbedingungen von lesbischen Frauen in den
50er und 60er Jahren waren, und warum sie so waren.
Das 'Warum' dieser Bedingungen sind meiner Meinung nach die Auswirkungen von 12 Jahren
Nationalsozialismus einerseits, und der bald einsetzende 'Kalte Krieg' andererseits; beides zusammen
hat eine Situation erzeugt, in der lesbische Frauen als von der >Norm< abweichende extrem
diskriminiert wurden. Mittel zu dieser Unterdrückung war, neben anderem, das Frauenbild, die
Frauenrolle, die gesellschaftlich vermittelt und gefordert wurde. Zu seiner Durchsetzung bedienten
sich Staat und Gesellschaft u.a. der Frauen- und der Familienpolitik. Hier liegt der Schwerpunkt
meines ersten, theoretischen Teils, in dem ich versuche, meine Thesen argumentativ und mit Hilfe von
Zeitdokumenten zu belegen.
Ich bin mir aber darüber im Klaren, daß ich durch diese theoretischen Überlegungen noch lange nicht
weiß, wie nun lesbisches Leben in dieser Zeit tatsächlich und ganz praktisch aussah, und möchte
deshalb diesen eher abstrakten Teil durch einen zweiten ergänzen:
Um mir (und anderen) ein wirkliches Bild vom frauenliebenden Leben dieser Zeit machen zu können,
führe ich Gespräche mit damals lesbisch lebenden Frauen, in denen ich sie bitte, mir von ihren
Erfahrungen, ihrem Alltag und ihren Gedanken aus und über diese Zeit zu berichten. Denn schließlich
ist diese Zeit und die Frauen, die sie erlebten, ja noch sehr nah und greifbar!
Diese >Interviews< sollen den vorher erstellten theoretischen Rahmen sozusagen >mit Leben füllen<.
Um das Projekt ein wenig überschaubar zu halten, beschränke ich es auf Westberlin und westdeutsche
Großstädte ab ca. einer halben Million EinwohnerInnen, als da wären: Hamburg, München, Köln,
Essen, Frankfurt /M., Dortmund, Düsseldorf, Stuttgart, Bremen, Duisburg, Hannover und schließlich
noch Nürnberg.
Falls Du/ Sie also in den 50er und/ oder den 60er Jahren in einer dieser Städte gelebt hast/ haben, und
eventuell Interesse hättest/ hätten, so ein Gespräch mit mir zu führen, möchte ich jetzt den Ablauf
dieser Gespräche grob beschreiben, damit Du Dir/ Sie sich ein Bild über Ablauf und Ausmaß machen
kannst/ können:
Das Allerwichtigste:
Selbstverständlich behandele ich alles, was mir in diesen >Interviews< erzählt wird, streng vertraulich
und anonym! Weder Name noch sonstige biographische Daten, nach denen Du/ Sie zu identifizieren
sein könntest/ könnten, werden irgendwo schriftlich erscheinen!
Zum Ablauf des >Interviews<:
Vor Beginn des >eigentlichen< Interviews erzähle ich ein wenig ausführlicher über meine Absichten
und Vorstellungen, und worauf es mir besonders ankommt. Dadurch können wir uns ein bißchen ein
Bild voneinander machen, bevor es >richtig los geht<. Für Dich/ Sie heißt das auch, daß es
ausdrücklich möglich ist, sich zu diesem Zeitpunkt gegen das Interview mit mir zu entscheiden!
Durch die Tatsache, daß ich meist anreisen muß, ist mir ein extra Termin für dieses 'Vor'gespräch
leider (außer in Berlin) nicht möglich.
2
Das Interview dauert dann meist 2 bis 2 1/ Stunden, wobei dieser Zeitrahmen selbstverständlich nach
oben von meiner Seite nicht begrenzt ist.
Normalerweise, d.h., wenn Du/ Sie nichts dagegen hast/ haben, nehme ich es auf Kassette auf.
Dadurch muß ich nicht mitschreiben, und kann mich viel mehr auf das Gespräch konzentrieren. Die
Tonbandaufnahme schreibe ich anschließend ab, um das Erzählte vollständig schriftlich vor mir zu
haben.
Diese Abschrift bleibt ausschließlich bei mir! In die Diplomarbeit eingehen werden nur kürzere Zitate;
das ist das, was dann auch von anderen gelesen werden wird.
Eine Kopie dieser Abschrift schicke ich Dir/ Ihnen gerne zu; dadurch gibt es für Dich/ Sie auch
nochmal eine Kontrollmöglichkeit über das Gesagte, sowohl zur Korrektur als auch zur Zensur!
Und:
Selbstredend bedeutet ein Anruf bei mir keine endgültige Zusage, sondern erstmal nicht mehr als eine
>Interessensbekundung<. Falls Du es Dir/ Sie es sich anders überlegst/ überlegen, das ist
selbstverständlich jederzeit möglich!
Falls so ein Gespräch für Dich/ Sie selbst nicht in Frage kommt, wäre es schön, wenn Du/ Sie
trotzdem in Deinem/ Ihrem Freundinnenkreis >rumfragen< könntest/ könnten, oder diesen Infobrief
weitergeben an andere, die sich das eventuell vorstellen können.
Ich hoffe auf Dein/ Ihr Interesse,
Deine/ Ihre Neugierde,
mit herzlichen Grüßen,
Irene Beyer
Meine Telefonnummer:
030/ 624 19 34 oder 785 27 77
und ab Februar 1995:
030/ 694 54 06
Ich rufe zurück!
Anhang IV
Liebe ...............................
dieses Schreiben soll Dir (hoffentlich!) eine Vorstellung davon geben, was bei einem
Gespräch/ Interview mit mir auf Dich zukommt/ -käme.
Das Allerwichtigste gleich zu Anfang:
Selbstverständlich wird alles, was Du mir erzählst, streng vertraulich von mir behandelt werden; weder Dein Name noch sonstige biographische Daten, nach denen Du zu identifizieren
sein könntest, werden irgendwo schriftlich erscheinen!
Wie wird das 'Interview' ablaufen?
Vorab würde ich Dir gerne ein paar kurze Fragen zu Deiner jetzigen Situation stellen, wie etwa Dein Alter, Dein 'Werdegang', Deine jetzige Lebenssituation, Deine eventuellen jetzigen
politischen Bezüge.
Meine Vorstellung ist, daß ich Dir anfangs eher allgemeine Fragen stelle, auf die Du so ausführlich, wie Du eben willst, antworten kannst. Schließlich müssen wir uns ja auch erst an die
Situation und aneinander gewöhnen! Im weiteren Verlauf des Gesprächs würde ich dann eher
spezifische Fragen und Nachfragen zu Bereichen stellen, die wir bis dahin noch nicht
angesprochen haben.
Falls ich Dich etwas fragen sollte, wozu Du nichts sagen willst, bitte ich Dich, mir das
möglichst zu sagen, damit keine Unklarheiten oder 'komischen' Spannungen entstehen!
Ich würde, wenn Du nichts dagegen hast, das Interview auf Kassette aufnehmen. Dadurch
kann ich mich während unseres Gesprächs auf Dich und Deine Erzählung konzentrieren, statt
unentwegt mitschreiben zu müssen; die ganze Gesprächssituation ist dadurch
erfahrungsgemäß 'entspannter', das kleine Aufnahmegerät fängt nur wenig Aufmerksamkeit
ein.
Außerdem ist eine Kassettenaufnahme einfach genauer als mein (ohnehin schlechtes) Gedächtnis, und das, was Du erzählst, bleibt so viel vollständiger erhalten.
Diese Tonbandaufnahmen würde ich später abschreiben, um unser Gespräch schriftlich vor
mir zu haben.
Was diese Abschrift betrifft: sie wird zu keinem Zeitpunkt irgendwo vorgelegt werden, sie
bleibt ausschließlich bei mir! In die Diplomarbeit eingehen werden nur kürzere Zitate; das ist
das, was dann auch von anderen gelesen werden wird.
Wenn Du Interesse daran hast, würde ich Dir eine Abschrift Deines Interviews zuschicken;
dadurch könntest Du selbst nochmal lesen, was Du gesagt hast, könntest auch quasi
'korrekturlesen', d.h. mir Änderung oder Streichung etwaiger Fehler oder sonstiger Teile, die
Du nicht drinhaben willst, mitteilen.
Was ist die Idee?
Damit Du auch eine Vorstellung davon hast, was ich mit dem Ganzen will, werde ich Dir jetzt
in ein paar Sätzen die Idee zur Gesamtarbeit vorstellen:
Es geht mir im Prinzip darum, zu erfahren, wie die Lebensbedingungen von lesbisch lebenden
Frauen in den 50er und 60er Jahren waren, und warum sie so waren.
Das 'Warum' dieser Bedingungen sind meiner Meinung nach einerseits die Auswirkungen von
12 Jahren Nationalsozialismus und andererseits der bald einsetzende 'Kalte Krieg'; beides
zusammen hat eine Situation erzeugt, in der lesbische Frauen als von der gesteckten Norm
Abweichende extrem diskriminiert wurden. Besondere Beachtung schenke ich in meiner
Arbeit der Rolle, die das propagierte Frauenbild und die damalige 'Familienpolitik' in diesem
Zusammenhang spielen.
So viel zu meinen theoretisch-politischen Annahmen. Die Ausführungen dazu werden den
ersten Teil meiner Diplomarbeit ausmachen.
Ich weiß aber, daß ich durch diese theoretischen Überlegungen noch lange nicht weiß, wie
nun lesbisches Leben in dieser Zeit tatsächlich und ganz praktisch aussah; die Theorie gibt
eben immer nur ein sehr unvollständiges Bild von der Praxis!
Um mir (und anderen) also ein wirkliches Bild vom frauenliebenden Leben dieser Zeit machen zu können, möchte ich dieses 'Interview' mit Dir (und weiteren 'Zeitzeuginnen') machen.
Die 'Ergebnisse' dieser Interviews werden im zweiten Teil meiner Diplomarbeit den vorher
erstellten theoretischen Rahmen ergänzen.
Was ist meine Motivation?
Warum ich dieses Projekt verwirklichen möchte:
Die Unterdückung von lesbischem Leben in dieser Gesellschaft funktioniert zu einem großen
Teil durch das Mittel der Unsichtbarmachung, durch die ebenso schlichte wie hartnäckige
Ignorierung der Tatsache, daß es lesbische/ frauenliebende Frauen gibt und gab.
Sich dieser Auslöschung zu widersetzen, ist meine Motivation; ich möchte damit einen Beitrag leisten zur lesbischen Emanzipation; die Geschichte frauenliebender Frauen aus der
jüngsten Vergangenheit für sie selbst, jüngere heutige und zukünftige Lesben aufschreiben
und erhalten. Das Wissen um die eigene Geschichte ist ja wichtige Grundlage eines starken
Selbstbewußtseins!
Und schließlich:ich bin auch sehr neugierig, es ist ja auch 'meine' Geschichte!
Was sind meine Fragen an Dich?
Ich hoffe, Du hast jetzt schon eine grobe Vorstellung davon, worum es mir geht und was ich
von Dir wissen will.
Um Dich aber möglichst wenig im Unklaren zu lassen, und weil Du vielleicht ja vor dem
'Interview' schon ein wenig in Deinem Gedächtnis 'wühlen' willst, habe ich eine Art grobe
Liste erstellt und die Bereiche, zu denen ich Dich befragen möchte, in vier Gruppen unterteilt;
zu jedem Stichpunkt habe ich einige weitere als Gedankenanregung angefügt.
1. Alltag
· Wie sah Dein Alltag aus, wie hast Du ihn gestaltet, bewältigt, erlebt?
· Beruf bzw. Erwerbstätigkeit. - Was hast Du gearbeitet? Unter welchen Bedingungen?
· Wohnen. - Wie hast Du gewohnt? Wenn nicht allein, mit wem?
· Freizeit, Aktivitäten. - Warst Du im Sub bzw. in Clubs? Was hast Du sonst gemacht?
· Beziehung(en), FreundInnen. - Hast Du eine (oder mehrere) Liebesbeziehungen geführt?
Wie? Hattest Du eine 'Clique'?
·
Verwandtschaft. - Wie war das Verhältnis? Warum?
2. Selbstdefinition, Selbstbewußtsein
· Wie war Dein Selbstbewußtsein, woraus hat es sich 'genährt'?
· Hast Du Dich selbst definiert? -als lesbisch, frauenliebend, homosexuell, schwul, oder
anders? Wie bist Du mit dieser Definition umgegangen, privat/ öffentlich?
· Hast Du offen oder versteckt gelebt? Oder beides, je nachdem?
· Hast Du Deine lesbische Lebensweise als gewählt oder als 'Schicksal' betrachtet? Was hast
Du für Deine lesbische Identität empfunden? Stolz, Scham, ...?
3. Diskriminierung
· Hast Du Deine Situation als durch Diskriminierung gekennzeichnet erlebt?
· Wie äußerte sich diese Diskriminierung? Was hast Du damit gemacht?
· Hattest Du Angst? Wenn ja, in welchen Situationen, wovor?
· Was hast Du damals von anderen diesbezüglich mitbekommen, gelesen, gehört?
4. Politische Einschätzungen
· Wie hast Du die politisch-gesellschaftliche Situation empfunden? Warst Du damals
politisch interessiert/engagiert?
· Warst Du in einer Gruppe, Partei, Gewerkschaft, Kirche aktiv oder den von ihr vertretenen
Positionen nahestehend? Wie verhielst Du Dich in dieser Gruppe bzgl. Deiner lesbischen
Lebensweise/ Deiner Identität, wie verhielt die Gruppe sich?
· Hast Du Deine eigene Situation mit 'der großen Politik' in Verbindung gebracht? Wenn ja,
wie? Hast Du Verbindungen gesehen zwischen politischen Entscheidungen und Deiner
Situation?
· Kannst Du Dich an bestimmte politische Ereignisse erinnern, die auf Dein Leben
(unmittelbare) Auswirkungen gehabt haben?
· Wie hast Du das Verhältnis 'Ich - die Gesellschaft' eingeschätzt? Hast Du Dich eher am
Rand oder in der Mitte der Gesellschaft gesehen? Warum?
· Hast Du Dich mit Deiner Lebensweise als 'in Opposition' zur Gesellschaft stehend
begriffen? Wenn nein, wie denn?
Diese Auflistung soll nur eine vorläufige Orientierung sein, damit Du eine Vorstellung davon
bekommst, was mich besonders interessiert. Sie ist weder endgültig, noch soll sie eine strenge
'Richtschnur' für Dich sein!
Für mich ist es besonders von Bedeutung, daß Du beim Erinnern und Erzählen bitte immer
versuchst, den Zeitpunkt mitzuerinnern, an dem das passierte, was Du erzählen willst.
Und noch was Wichtiges zum Schluß: Das Interview dauert erfahrungsgemäß zwischen zwei
und zweieinhalb Stunden, ist aber von meiner Seite selbstredend zeitlich nicht begrenzt!
Ganz zum Schluß meine Adresse und Telefonnummer:
Irene Beyer c/o Birk
Gneisenaustr. 58
10961 Berlin
Tel.: 030/ 694 54 06
Anhang V
Leitfaden
1. Biographisches
zum aktuellen Leben:
aktuelle 'Lebensverhältnisse' (Arbeit, Beziehung, Wohnen)
politisch aktiv/interessiert/orientiert (Frauen/Lesbenbewegung)
zur Herkunft:
wann (Jahr,Monat) geboren, wo
Herkunftsfamilie (arm/reich, bürgerlich/proletarisch, konservativ/fortschrittlich); Staatsangehörigkeit
Erziehung (streng, religiös, traditionell, fortschrittlich, zur Selbständigkeit, welches Frauenbild
vermittelt)
Schulbildung, Ausbildung; Gründe
entscheidende Erfahrungen aus Kindheit und Jugend
2. Alltag
Beruf bzw. Erwerbstätigkeit:
was gearbeitet, 'Traumberuf'?
Arbeitsbedingungen? Bezahlung? (ausreichend?, wie im Verhältnis)
Schwierigkeiten?, welche, wodurch, wann
Veränderungen der Arbeitssituation?, wodurch, wann
Würdest Du sagen, daß durch das propagierte Frauenideal der Hausfrau und Mutter Deine
Bemühungen um Ausbildung und Arbeitsplatz erschwert wurden; hast du je Schwierigkeiten
gehabt, weil du als Frau im 'gebärfähigen Alter' doch heiraten und nicht arbeiten solltest?
Wohnen.
wo (Bezirk, reiche oder arme Gegend)
mit wem? Wie? (klein/beengt) Warum (freiwillig?)
Veränderungen?, wodurch, wann
Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche? Wodurch?
Freizeit, Aktivitäten.
Clubbesuche: heimlich/offen, häufig/selten, mit wem?
War der Umgang dort eher vertraulich oder anonym?, warum, Veränderungen, wann, wodurch
politisch-gesellschaftliches Engagement?, wann, wielange
sonstige Aktivitäten?, mit wem
Veränderungen?, wodurch, wann
Beziehung(en).
Wann hattest Du Deine erste Frauenbeziehung?, Umstände
Hast Du eine/mehrere Liebesbeziehung(en) geführt?, wenn nein, sozialer Zwang?
Wie geführt? (eng oder eher lose), wielange?
Hattest Du je Beziehungen zu Männern?, wann, warum ? Wie? ('Josefsehe', 'Kameradschaftsehe'?)
Haben Deine Liebesbeziehungen unter den äußeren Umständen gelitten? Ist eine am
gesellschaftlichen Druck gescheitert? Umstände?
FreundInnen.
Wie war der FreundInnenkreis (groß/klein, mehrere voneinander getrennte, hetero/lesbischwul,
geschlechts-gemischt)? Hattest Du eine Art lesbische 'Clique'? Veränderungen?, wodurch, wann
Verwandtschaft.
Wie war Dein Verhältnis zu Deinen Verwandten?, warum, Veränderungen?, wann, wodurch?
Wußte deine Verwandtschaft, daß du lesbisch bist?, woher?, seit wann?
Wie sind sie damit umgegangen?: Psychiater, enterben, rausschmeißen, Akzeptanz, Freude?
Wie war das für dich?
3. Selbstdefinition, Selbstbewußtsein
Selbstdefinition.
Hast Du Dich definiert? Wie? (frauenliebend, schwul, lesbisch, homosexuell, anders), ab wann?,
Veränderungen?, wodurch
Wie bist Du mit dieser Selbstdefinition umgegangen? privat/öffentlich, offensiv/defensiv
Beispiel?, Veränderungen?, wodurch, wann
Das Frauenbild sah Passivität, Schwäche, Abhängigkeit u.v.a.m. vor. Kannst Du Dich
erinnern, ob Dir klar war, daß und wieweit Du durch Dein Lesbischsein von diesem Ideal
entfernt warst?, Was hast Du damit gemacht?: Auflehnung, Provokation gegen die Norm oder
Versuch, nicht aus der (Frauen-)Rolle zu fallen, >trotzdem< so zu sein, oder...
Hast Du eher offen oder versteckt lesbisch gelebt, oder beides, je nachdem?
Hast Du Deine lesbische Lebensweise als gewählt oder als 'Schicksal' betrachtet?
Hast Du Dir Dein Anderssein erklärt? Wie? ('Drittes Geschlecht'; anomal; krank; normal, nur eben
anders; bewußt verweigernd;
Was hast Du für Deine lesbische Identität empfunden? (Scham, Stolz, Schuld, krank...)
Selbstbewußtsein.
Würdest Du sagen, daß Du damals in vielen Situationen unsicher warst, oder hattest Du eher ein gutes
Selbstbewußtsein?
Welche Rolle spielte Dein/e Beruf/Arbeit für dein Selbstwertgefühl? Was spielte sonst eine Rolle
(Unterstützung/Akzeptanz/Ablehnung
durch
Verwandtschaft,
Bestätigung/Ignoranz
durch
FreundInnen)?
Hast Du je gedacht, daß Du lieber 'normal' wärest? Warum? Wann?
Bist Du als KV oder Femme aufgetreten? Gab es hier einen Unterschied zwischen öffentlich/privat?,
Veränderungen, wann, warum; KV als Oppositionshaltung?
4. Diskriminierungen
Arbeitsplatz.
Kannst Du Dich an Diskriminierungen am Arbeitsplatz erinnern?
Gab es Sticheleien, verbale oder gar tätliche Angriffe, Benachteiligungen, soziale Ächtung?
Worauf hast Du sie bezogen? (auf Dein Frausein, Mannlossein, Lesbesein)
Wie bist Du damit umgegangen? Hast Du geduldet oder Dich gewehrt?
Staatliche Institutionen.
Gab es jemals Diskriminierungen
Scheidungsgericht)
seitens
Ämtern,
Zuhause.
Wußten deine NachbarInnen, daß du lesbisch bist?, woher?
Wie reagierten sie auf dich? Wie war das für dich?
Bekannte.
Gerichten,
etc.?
(z.B.
Arbeitsamt,
Wußten viele/ alle/ keine Bekannten, daß Du lesbisch bist? Warum? Reaktionen? Ablehnung?
Wie waren die Reaktionen auf Dein Dasein ohne Mann?
'Allgemeines'.
Bist du jemals sonst für dein Lesbischsein verbal oder tätlich angegriffen worden?
Durch den Kalten Krieg wurde damals schnell alles, was nicht der geforderten Norm
entsprach, als kommunistisch bezeichnet; kannst Du Dich erinnern, je aufgrund Deiner
Lebensweise in diese 'Ecke' gesteckt worden zu sein, als Kommunistin oder
Kommunistenhelferin bezeichnet/ beschimpft worden zu sein?
Kennst Du den Satz: solche wie Du wären früher vergast/ ins Arbeitslager gesteckt worden;
hast Du Erfahrung mit solchen verbalen Tätlichkeiten?
Berichten von damals ist zu entnehmen, daß Frauen ohne Männerbegleitung oftmals sogar
der Zugang oder die Bedienung in Lokalen verwehrt wurde; hast du auch solche Erfahrungen
gemacht?
Hast Du Benachteiligungen, Hohn, Ächtung, 'Sticheleien' mit Deiner Lebensweise, Deinem Frausein
oder mit sonst einem Teil Deiner Identität in Verbindung gebracht? Wurde es von anderen, z.B.
Freundinnen, in Verbindung gebracht?
Hattest du je/oft Angst aufgrund Deines Lesbischseins?
In welchen Situationen, wovor konkret?
Hast du in dieser Zeit jemals daran gedacht, zu heiraten?, warum, wann, wie
(Kameradschaftsehe)
5. Politische Einschätzungen
Warst Du damals politisch interessiert/engagiert?
Warst Du in einer Gruppe, Partei, Gewerkschaft, Kirche aktiv oder den von ihr vertretenen Positionen
nahestehend?
Wie hast Du Dich in dieser Gruppe bzgl. Deiner Lebensweise verhalten, wie verhielt die
Gruppe sich?
Wie hast du die gesamtpolitisch-gesellschaftliche Situation empfunden? Als eher starr und konservativ
oder als tolerant? Hat sich das verändert, wann, wodurch?
Hast du deine eigene Situation damals mit der 'großen Politik' in Verbindung gebracht?, wie
(z.B. Arbeits-, Wohnungssituation, Diskriminierungen)
Hattest Du damals den Eindruck, daß in der BRD Lesben diskriminiert werden? Von staatlicher Seite?
Hattest Du den Eindruck, daß Frauen vom Staat diskriminiert werden?
Hattest Du den Eindruck, daß Dir Dein Leben von 'den Regierenden' (unnötig) erschwert wird?
Kannst Du Dich an politische Ereignisse erinnern, die auf Dein Leben unmittelbare
Auswirkungen gehabt haben oder die Du für bedeutsam für Dich gehalten hast? (z.B.
Diskussion um den §175 (1957), Wiederbewaffnung, Gleichberechtigungsgesetz)
Wie hast Du das Verhältnis 'Ich - die Gesellschaft' eingeschätzt? Hast Du Dich eher am Rand
oder in der Mitte der Gesellschaft gesehen? Warum?
Hast Du Dich mit Deiner Lebensweise als 'in Opposition' zu Politik und Gesellschaft stehend
begriffen? Wenn nein, wie denn?
Würdest Du sagen, daß es in dieser Zeit eine >community< gab? Wie sah sie aus? War sie politisch
aktiv? Wie war sie definiert? Worüber?
Kannst Du Dich an Organisierung/sversuche, Zusammenschlüsse politischer Art von Lesben
erinnern? An öffentliche Äußerungen von Lesben zu ihrer Situation oder zur politischen
Situation allgemein?
In der Literatur über Frauen in den 50er und 60er Jahren steht, daß für sog. 'alleinstehende'
Frauen das Wirtschaftswunder erst sehr viel später kam, wenn überhaupt; manche Frauen
konnten ihre finanzielle Lage erst in den 70er Jahren als gesichert bezeichnen. Wie schätzt
Du das ein, wie war das bei Dir und Deinen Freundinnen?
Wußtest du damals, daß während des NS Lesben auch ins KZ kamen, welche Bedeutung hatte
diese Tatsache für dich?
Wußtest du damals, daß während des NS viele Schwule im KZ umgebracht wurden, welche
Bedeutung hatte diese Tatsache für dich?
Wußtest du von 'Fällen' aus deinem Umkreis?
Hattest Du in den 50er/60er Jahren den Eindruck, daß sich die Situation für lesbische Frauen
von der im Dritten Reich wesentlich unterschieden hat, oder eher, daß sich nicht viel
verändert hatte.?
Wie siehst Du das heute?
Würdest Du rückblickend sagen, daß sich im Laufe der 50er und 60er Jahre an den
Bedingungen für lesbisch lebende Frauen etwas Grundsätzliches geändert hat?; inwiefern,
wann, welche/n Gründ/e würdest Du dafür sehen?
6. Abschließendes
Gibt es etwas, das Du noch erzählen möchtest, das bisher noch nicht zur Sprache kam?
Wie würdest Du dein 'Lebensgefühl' von damals beschreiben? Als zufrieden/unzufrieden? Glücklich/
unglücklich? ...
Was war Deine Motivation zu diesem Interview, Dich bei mir zu melden?

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