Der Einsatz einer Bullenbox in der Praxis

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Der Einsatz einer Bullenbox in der Praxis
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sich am Liegekomfort und am Vorhandensein oder auch Nichtvorhandensein von seitlich geschlossenen
Buchtenabtrennungen unterscheiden. Ein hoher Liegekomfort war
gegeben, wenn beim Liegen der Kälber im Stroh die Beine nicht mehr zu
sehen waren. Die Tiere lagen quasi
in einem Nest, das sie ringsherum
schützte. Ein mittlerer Liegekomfort
war gegeben, wenn die Beine teilweise, und ein niedriger, wenn die
Beine komplett zu sehen waren. In
Kombination mit den unterschiedlichen Varianten des Liegekomforts
waren die Buchten zum Teil mit seitlich geschlossenen Trennwänden
oder einfachen offenen Gittern ausgestattet.
Wir können erkennen, dass die
Kälber mit einem hohen Liegekomfort, das heißt sehr stark eingestreuten Buchten, und geschlossenen
Seitenabtrennungen selbst bei höheren Keimbelastungen mit weitem Abstand das geringste Risiko
für Atemwegserkrankungen besaßen. Dafür gibt es zwei Gründe.
Zum einen schränken die geschlossenen Seitenwände eine Keimübertragung zwischen den Kälbern ein,
zum anderen sorgte die hohe Einstreumenge dafür, dass die Kälber
ihr Mikroklima gerade bei den im
Untersuchungszeitraum vorhandenen niedrigen Temperaturen besser
halten konnten und somit ausreichend Energie für das Immunsystem übrig blieb. Wir können deutlich die Bedeutung eines ausreichenden Schutzes der Kälber erkennen, der in Form von Einstreu und
Schutz vor einem erhöhten Infektionsdruck vorhanden sein sollte. Kälber mit niedrigem Komfort und
seitlich offenen Buchtengittern hatten nicht nur bereits bei der geringsten Keimbelastung ein erhöhtes Risiko, an einer Pneumonie zu
erkranken, sondern der prozentuale Anteil dieses Risikos verdoppelte
sich, wenn die Keimbelastung in der
Stallluft von 27.000 auf 327.000 koloniebildende Einheiten anstieg
(siehe Grafik). Im Vergleich dazu
traten in der Gruppe mit hohem
Tierkomfort und geschlossenen Seitenwänden erste Atemwegserkrankungen erst bei einer bakteriellen
Belastung von 227.000 koloniebildenden Einheiten auf.
Was nicht untersucht
wurde, aber wichtig ist!
Ein wichtiger Punkt wird von den
Autoren der Studie angesprochen
und diskutiert. Es ist der Ernährungsstatus der Kälber, der allerdings aufgrund einer zu ungenau-
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en Datenlage auf den Betrieben
nicht miterfasst werden konnte. Mit
einem durchschnittlichen Alter von
36,7 Tagen, also etwas mehr als
fünf Wochen, besaßen die Kälber
ein Gewicht von 60,6 kg. Das entspricht einem täglichen Zuwachs in
dieser Periode von unter 500 g. Es
wird und muss davon ausgegangen
werden, dass diejenigen Kälber, die
weniger gut eingestreut und einer
stärkeren Windbelastung ausgesetzt waren, ein geschwächtes Immunsystem aufgrund eines zu vermutenden Energiemangels besaßen. Es wird auch hier deutlich, dass
der Ernährungsstatus ein bedeutendes Merkmal bei der Gesundheitsprophylaxe darstellt. Diese Aussage
deckt sich mit den Erfahrungen, die
in den vergangenen vier Jahren in
der Kälberaufzucht im Lehr- und
Versuchszentrum Futterkamp mit
der Ad-libitum-Tränke in den ersten
Lebenswochen gemacht wurden.
Der Gesundheitsstatus der ad libitum getränkten Kälber ist im Vergleich zu rationiert getränkten
Kontrolltieren auf einem deutlich
höheren Niveau.
FAZIT
Ein Anstieg der Keimbelastung
erhöht das Risiko für Atemwegserkrankungen bei Kälbern
in der Tränkephase auf sehr unterschiedlichem Niveau in Abhängigkeit von den Haltungsbedingungen. Das Risiko, an einer Pneumonie zu erkranken,
wird durch die Menge der
Stroheinstreu, die den Kälbern
als Schutz bei sinkenden Temperaturen insbesondere bei einem
niedrigen
Ernährungsniveau
dient, entscheidend mitbestimmt. Das gleiche gilt für einen seitlichen Schutz durch geschlossene Wände, die Zugluft
verhindern und den Keimeintrag minimieren. Die Autoren
empfehlen zudem eine Mindestbuchtengröße pro Kalb von
3 m³. Zusammengefasst bedeutet dies, ein ausreichender
Schutz vor Zugluft, eine komfortabel mit Stroh eingestreute
Bucht und eine Ernährung, die
Energiereserven für ein intaktes
Immunsystem bereitstellt, sind
die besten Voraussetzungen für
gesunde Kälber, insbesondere
bei erhöhtem Infektionsdruck.
Dr. Hans-Jürgen Kunz
Landwirtschaftskammer
Tel.: 0 43 81-90 09-48
[email protected]
Sicherheit im Milchviehbetrieb
Der Einsatz einer Bullenbox
in der Praxis
In den ständig wachsenden Milchviehbetrieben ist immer öfter ein
Deckbulle im Einsatz. Das kann unter Umständen sehr gefährlich
sein. Wie man sich vor der Gefahr
eines Bullenangriffs wirksam
schützen kann, wird im folgenden
Beitrag erläutert.
Der Umgang mit Bullen war, ist
und bleibt gefährlich. Dabei weiß
man, dass der Einsatz von Deckbullen nicht nur gefährlich ist, sondern
unter Umständen auch wirtschaftlich große Schäden in den Milchviehherden verursachen kann.
Mit dem Einzug der künstlichen
Besamung in den 1970er Jahren wurde der Deckbulleneinsatz immer weiter zurückgedrängt. Zum einen konnte durch den Einsatz geprüfter Besamungsbullen der Zuchtfortschritt
beträchtlich gesteigert werden, zum
anderen konnte durch Aufgabe des
Natursprunges aber auch den Deckseuchen, die in früheren Jahren zum
Teil erhebliche wirtschaftliche Einbußen brachten, der Garaus gemacht
werden. Ein weiteres bekanntes Problem beim Deckbulleneinsatz ist, dass
oftmals das genaue Deckdatum nicht
bekannt ist, zum Beispiel wenn ein
frei laufender Bulle während der
Nacht eine Kuh gedeckt hat. Werden
solche Kühe nun nicht rechtzeitig trockengestellt, kann die betroffene Kuh
nur einen Bruchteil ihres Leistungspotenzials in der folgenden Laktation
abrufen. Der Rückgang der Deckbullenhaltung hatte aber auch zur Folge,
Deckbullen müssen enthornt sein,
und ab einem Alter von zwölf Monaten muss ein Nasenring eingezogen
werden.
dass die Arbeit in den Milchviehbetrieben erheblich sicherer wurde.
Man kann aufgrund der genannten
Gründe gut behaupten, dass der Einzug der künstlichen Besamung eine
ganze Reihe von Vorteilen für die
Milchviehhaltung brachte, trotzdem
ist in den letzten Jahren wieder ein
Trend in Richtung des Deckbulleneinsatzes zu sehen.
Deckbulleneinsatz
nimmt zu
Die Gründe sind vielfältig. Große
Milchviehherden sind nur unter hohem Zeitaufwand erfolgreich zu managen, und gerade in Familienbe-
Zur Bullenbox gehört unbedingt auch eine Fixiereinrichtung. Im Idealfall gibt
es zwei Selbstfangfressplätze, damit Bulle und Kuh vor dem Heraustreiben der
Kuh aus der Box nach dem Deckakt gleichzeitig fixiert werden können.
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Abbildung 1: Zweiraum-Deckbullenbox –
hier Planskizze Integration Neubau – Integration der Deckbullenbox in den Stall
Schlupf
Strohbucht
Abwurfschächte
Schieberentmistung
Futtertisch
Abbildung 2: Zweiraum-Deckbullenbox –
hier Planskizze Anbau
trieben stößt man immer öfter an
die eigenen Leistungsgrenzen. Für
die Brunstkontrolle bleibt zunehmend zu wenig Zeit übrig, die jedoch zur erfolgreichen Besamung
äußerst wichtig ist. Eine Milchviehhaltung kann aber nur dann wirtschaftlich funktionieren, wenn die
Zwischenkalbezeit von etwa 400
Tagen nicht zu weit überschritten
wird. Die Industrie hat dieses Problem erkannt und bietet in Form von
elektronischen Aktivitätsmessungen
mittlerweile praxistaugliche Lösungen zur Brunsterkennung an. Trotzdem steigt der Deckbulleneinsatz.
Viele Betriebe nutzen den Deckbullen dabei nur als Ausputzer. Das
heißt, dass der Deckbulle nur dann
zum Einsatz kommt, wenn nach
mehreren
gescheiterten
Besamungsversuchen sich noch immer
nicht die gewünschte Trächtigkeit
bedeutet, dass sich der Tierhalter, seine Familienangehörigen oder Mitarbeiter zum Teil mehrere Stunden
täglich in das Reich des Deckbullen
begeben müssen. Deckbullen, die
beim Betreten der Herde erste Anzeichen eines Imponiergehabes zeigen,
sind praktisch unberechenbar und
können jederzeit angreifen. Das geschieht leider allzu oft und endet in
zum Teil sehr tragischen Unfällen.
Die Lösung für Unternehmer, die
sich nun für einen Deckbulleneinsatz
entscheiden, egal ob nun als Ausputzer oder frei laufender Deckbulle in
der Herde, kann allein aus Sicherheitsgründen immer nur eine Bullenbox sein. Obwohl der Einsatz von
Deckbullen in den letzten Jahren rapide angestiegen ist, wird diesem
Thema besonders beim Neubau von
Kuhställen viel zu wenig Beachtung
geschenkt. Es gibt praktisch kaum
Der Anbau einer Deckbullenbox wird bei dieser Planskizze vorgesehen.
Dafür wird der Güllabwurfschacht am Futtertisch um etwa 3,50 m bis
4 m nach außen versetzt.
Schieberentmistung
Futtertisch
Zwischen den Metallstangen hindurch gelangt der Landwirt in die Bullenbox.
Er treibt den Bullen in den überdachten Bereich und sperrt ihn dort ein. Mit der
Vorlage von etwas Lockfutter im überdachten Bereich lässt sich der Bulle leichter dorthin leiten.
eingestellt hat. Hier kann ein Natursprung wahre Wunder wirken und
hat schon so manche züchterisch
So kann im Bedarfsfall die Deckbullenbox sehr einfach auch im Nachhinein hervorragende Kuh vor dem frühzeitigen Gang zum Schlachter bewahrt.
erstellt werden.
Es gibt aber auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Betrieben, die
trotz aller Nachteile ganzjährig nur
mit frei laufenden Deckbullen arbeiten. Deckbullen sind exzellente
Brunsterkenner, und die Kosten pro
Trächtigkeit sind im Vergleich zur
Schlupf
künstlichen Besamung äußerst gering. Dies kann sich jedoch auch als
Strohbucht
Bumerang erweisen, wenn zum Beispiel ein kompletter Jahrgang weiblicher Tiere die vielleicht nicht auf den
ersten Blick erkennbaren KlauenSchieberentmistung
mängel des Vaters erbt. Nun müssen
Milchkühe zweimal täglich gemolken und im Sommer gegebenenfalls
zweimal täglich von der Weide zum
Futtertisch
Melkstand getrieben werden. Das
Abbildung 3: Zweiraum-Deckbullenbox –
hier Planskizze Anbau
neue Ställe, bei denen eine Bullenbox direkt in das Stallsystem mit integriert ist. Das muss sich ändern!
Erst im Nachhinein merken viele Betriebsleiter plötzlich, dass ein Deckbulle gebraucht wird, und Planungen für den Anbau einer Bullenbox
stellen in vielen Fällen eine Kompromisslösung dar.
Die Integrierung einer Deckbullenbox im Milchviehstall kann den Milchviehhalter wirksam bei der Brunstbeobachtung unterstützen, jedoch
nicht gänzlich ersetzen. So ergeben
sich sowohl zeitliche als auch wirtschaftliche Vorteile, denn jede, egal
ob nun vom Personal oder vom Deckbullen erkannte Brunst bedeutet bares Geld für den Milchviehhalter! Vor
allem brünstige, gegebenenfalls aber
auch stillbrünstige Kühe suchen die
Nähe zum Deckbullen und weichen
ihm während der Brunst nicht von
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Jetzt wird die Eingangstür zum Freilaufbereich geöffnet und die Der Bulle kann nun den Deckakt vollziehen. Danach kann er praktisch von außen von der
brünstige Kuh hineingetrieben. Der Landwirt tritt danach von der Kuh getrennt und wieder im überdachten Bereich eingesperrt werden. Nachdem die Kuh
Seite her in die Box und öffnet das Tor des eingesperrten Bullen.
die Box wieder verlassen hat, kann auch der Bulle freigelassen werden.
der Seite. Der Unternehmer kann
nun je nach Zuchtpotenzial oder Laktationsstadium der Kuh entscheiden,
ob er die Kuh künstlich besamen oder
durch Natursprung des Bullen belegen lässt.
Da eine Bullenbox wegen der Gülleabwurfschächte bei planbefestigten Laufgängen oder Güllerührschächten bei Spaltenböden mit Unterkellerlagerung nicht mehr so einfach in oder an einen bestehenden
Stall zu integrieren ist, scheuen sich
viele Betriebsleiter vor dem nachträglichen Bau einer Bullenbox. Diese
Entscheidung hatte bereits in der
Vergangenheit leider in vielen Fällen
fatale Folgen.
Beispiel
aus der Praxis
Es gibt aber auch Beispiele aus der
Praxis, wo man die Vorteile eines
Deckbullen gezielt nutzt, sich jedoch
auch der vom Deckbullen ausgehenden Gefahren wohlbewusst ist. So
auf dem Antonius-Hof im hessischen
Haimbach nahe Fulda. Dort wird eine
110-köpfige Milchviehherde plus
Nachzucht gehalten. Der Hof gehört
zum Antoniusheim, einem von Bürgern getragenen heilpädagogischen
Zentrum. 60 Menschen mit einer Behinderung wird dort die Möglichkeit
geboten, einen Arbeitsplatz in der
Landwirtschaft zu erhalten, der ihre
individuellen Fähigkeiten berücksichtigt. In dem Arbeitsbereich Viehhaltung arbeiten 20 Mitarbeiter mit einer Behinderung und zwei Landwirte
mit einer pädagogischen Zusatzausbildung, die für die Betreuung, Anleitung und Ausbildung der Mitarbeiter
verantwortlich sind.
Da mehr als 20 Personen in der
Milchviehhaltung tätig sind, wurde
nach einer Lösung der problematischen Deckbullenhaltung gesucht.
Herdenmanager Marco Kimpel berichtet: „In unserer Herde wird der
überwiegende Teil der Kühe mittels
der künstlichen Besamung gezielt angepaart. Die restlichen Kühe, insbe-
sondere diejenigen, die nach mehrmaligem Besamen noch nicht trächtig geworden sind, bringen wir zum
Deckbullen. Einen Deckbullen in unserer Herde frei laufen zu lassen, wäre jedoch unverantwortlich. Es ist unmöglich, immer alle Personen genau
im Blick zu haben. Daher hatten wir
uns bereits im Jahr 1994 entschieden,
eine Deckbullenbox an den bestehenden Kuhstall anzubauen.“ Die
Bullenbox hat eine Grundfläche von
32 m² (8 m lang und 4 m breit) und
ist in der Mitte geteilt. Eine Hälfte besteht aus einer überdachten und mit
Stroh eingestreuten Box, die andere
Hälfte dient als Freilauf für den Deckbullen. Die Box hat durch die Teilung
jedoch einen entscheidenden Vorteil.
Vor dem Eintreiben der Kuh in die
Bullenbox wird der Bulle im überdachten Bereich eingesperrt. Danach
wird die brünstige Kuh in den Freilaufbereich gebracht. Nach dem
Deckakt wird der Bulle entweder im
Fangfressgitter eingefangen oder
wieder in den überdachten Bereich
getrieben. Nun kann die Kuh wieder
ohne Gefahr aus der Bullenbox in
den Stall gebracht werden.
Der Freilaufbereich ist mit 2 m hohen und 6 cm dicken Eisenstangen
umwehrt, dabei wurden die Eisenstangen im Abstand von jeweils 34 cm
aufgestellt – Platz genug, um im Gefahrfall die Box sicher zu verlassen.
Marco Kimpel möchte allein aus Sicht
der Arbeitssicherheit nicht mehr auf
die Unterbringung des Deckbullen in
der Bullenbox verzichten. Er gibt aber
auch zu bedenken, dass die Anbaulösung nicht die Ideallösung darstellt.
Er rät daher allen Milchviehhaltern,
sich bereits vor dem Bau eines Milchviehstalles Gedanken über den möglichen Standplatz einer Bullenbox zu
machen, damit sie später bei Bedarf
am bestmöglichen Standpunkt im
oder am Stall errichtet werden kann.
Benedikt Rodens
SVLFG
Tel.: 0 67 89-97 06 22
[email protected]
Mit einem Pedometer kann durch die Aktivitätsmessung eine Brunst auf elek- Auch im überdachten Bereich ist eine Fluchtmöglichkeit gewährleistet.
tronischem Wege ohne Brunstbeobachtung erkannt werden.
Fotos: Jürgen Lamm