Gesamtartikel - Treuhänder
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Gesamtartikel - Treuhänder
E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer E-Business und MWST Ein ABC für Praktiker Im Geschäftsleben ist nichts so gefährlich wie Ungewissheit in Steuerfragen. Dieser Satz wird Jeffrey Owens, Vorsteher der OECD-Steuerabteilung, zugeschrieben und steht für die Erfahrungen, welche Unternehmungen und Berater während der letzten Jahre gemacht haben. Die heutigen Bestimmungen [2] sind zwar einleuchtend, in der Praxis zeigen sich aber immer Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Umsetzung. Dies ist angesichts des enormen Risikos (Verlust der auf den Rechnungen ausgewiesenen Vorsteuern) verständlich. Insbesondere die Anforderungen an die Wahrung der Unveränderlichkeit (und deren Nachweis) bereiten Probleme. Wer heute schon scannt sollte daher zumindest: Die neuen elektronischen Vertriebsund Informationskanäle und die dadurch ermöglichten neuen Arten von Dienstleistungen haben sich erwartungsgemäss zu einem schönen Umfeld für steuerdogmatische Grundsatzüberlegungen entwickelt. Dementsprechend eindrücklich ist die Zahl der von uns Steuerberatern publizierten Artikel und der Grundsatzpapiere auf OECD-, EU-, und Schweizer-Ebene. Verständlicherweise etwas weniger dicht flossen bis anhin die verbindlichen Stellungnahmen seitens der Steuerverwaltungen und Gesetzgeber. Im vorliegenden Artikel versuchen wir, Praktikern ein (fast vollständiges) ABC der praxisrelevanten Fragen zu geben und zu zeigen, wie sich die EEconomy heute im MWST-Umfeld verhalten kann, soll oder muss. – Klare schriftliche Arbeitsanweisungen erlassen (und überwachen), um insbesondere während des Medienbruchs (Papier – Datenträger) Veränderungen am Inhalt der Dokumente zu verhindern. – Die technischen und organisatorischen (kleinst möglicher Kreis von Personen mit Editierrechten) Möglichkeiten des Schutzes von elektronisch gespeicherten Daten ausschöpfen und dokumentieren. – Rechnungen erst nach deren Verarbeitung (mit dem Buchungsstempel!) scannen [3]. – Und vielleicht halt doch die Papierrechnungen zur Sicherheit noch aufbewahren. kann entnommen werden, dass Rechnungen auch elektronisch oder in vergleichbarer Weise aufbewahrt werden können, sofern – sie jederzeit (während der Verjährungsfrist) lesbar (technische Mittel müssen betriebsbereit sein) gemacht werden können, – organisatorische und technische Massnahmen zur Wahrung von Sicherheit und Unveränderlichkeit der Datenträger während der gesamten Aufbewahrungsperiode getroffen wurden und – die Datenträger vor schädlichen Einwirkungen und Verlust geschützt sind. Business übers Internet Die Besteuerung (v. a. der Ort der Besteuerung) der typischen InternetLeistungen ist heute in der Schweiz geregelt [4]: Archivierung von mehrwertsteuerrelevanten Rechnungen «Darf ich meine Eingangsrechnungen einscannen und die Papierbelege fortwerfen?» Eine häufig gestellte Frage, deren Beantwortung trotz der weiten Verbreitung von Scanning-Archivierungen für Berater diffizil ist. In einem Gespräch hat uns ein Mitarbeiter der ESTV einmal schön und treffend gesagt: «Scanning ist nicht verboten». Aus den in der Schweiz relevanten Gesetzen, Verordnungen und Weisungen [1] Der Schweizer Treuhänder 12/01 Erik Steiger, dipl. Steuerexperte, Fürsprecher, Director Steuer- und Rechtsabteilung, PricewaterhouseCoopers AG, Basel – ISP/ASP – Leistungen: Die Verschaffung des Zuganges zum Internet ist eine Telekommunikationsdienstleistung und wird am Empfängerort besteuert. Ausländische ISP/ASP, welche nichtsteuerpflichtigen Schweizer Endkonsumenten Zugang zum Internet geben, können folglich in der Schweiz mehrwertsteuerpflichtig werden [5]. – Das Downloaden von Programmen, Grafiken, Bildern, etc. gilt als Über1281 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST lassen von Informationen und ist am Ort des Empfängers steuerbar. Der Schweizer Anbieter muss somit seine Leistungen an im Ausland domizilierte Kunden nicht versteuern (siehe aber «Nachweisprobleme»). Umgekehrt muss der Schweizer, welcher von einem ausländischen Anbieter kostenpflichtig solche Informationen bezieht (downloadet), diese im Sinne von Art. 10 Bst. a MWSTG als Bezug von Dienstleistungen von Unternehmen mit Sitz im Ausland versteuern. CH-Politik Bekanntlich laufen auf OECD- und auf EU-Ebene (vgl. nachstehend) bereits seit Jahren Diskussionen über die Besteuerung von E-Business. Auch hierzulande werden die Entwicklungen auf allen Ebenen verfolgt. Bereits im Juli 1998 legte das Bundesamt für Aussenwirtschaft einen Entwurf des Aktionsplans zur Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs vor, der auch Grundsätze bezüglich der steuerlichen Behandlung von E-Business festsetzt. Heute existieren diverse Diskussionsforen, wie beispielsweise die WOPEC (Working Party Taxation of E-Commerce, bestehend aus Vertretern der ESTV und der Industrie). Digitale Signaturen nungen nur noch per E-mail empfängt, riskiert bei der nächsten ESTV-Revision den Vorsteuerabzug auf diesen Belegen zu verlieren. Da zu diesem Thema bereits ausführlich publiziert wurde [7], beschränken wir uns auf eine Kurzzusammenfassung für Firmen, welche jetzt an die Einführung einer E-Invoicing-Applikation denken: – In Zukunft wird es möglich sein, Rechnungen nur noch elektronisch zu versenden und zu empfangen. – Der zu verwendende Daten-Standard wird wahrscheinlich nicht gesetzlich vorgeschrieben. – Zur Erreichung der verlangten Authentizität und Integrität der versandten Rechnungen wird es notwendig sein, diese qualifiziert digital zu signieren und entsprechend mit der Signatur abzulegen. – Eine Klärung ist mit den Ausführungsbestimmungen zur Art. 45 MWSTGV zu erwarten [8]. Globale virtuelle Präsenz = Globale Steuerpflicht? Die Web-Präsenz ist per Definition eine globale und das daraus resultierende Business hat Potential zum globalen Business. Vor allem (aber nicht ausschliesslich, vgl. «Telekommunikation») wenn der letzte Akt eines Internetgeschäftes aus einer Warenverschiebung besteht, wird schnell einmal eine MWST-Pflicht im Ausland be- Digitale Signaturen werden auch für MWST-Zwecke wichtig sein (vgl. dazu «Elektronische Rechnungsstellung»). In diesem Zusammenhang sind auch die Entwicklungen des sich zur Zeit im Entwurfstadium befindenden Bundesgesetzes über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur (ZertES) zu beachten [6]. Elektronische Rechnungsstellung Dürfen Rechnungen mit einem einfachen E-mail versandt werden? Auch diese Frage wird häufig gestellt. Die Antwort ist eindeutig: Nein. Wer Rech1282 Alexandra Grünauer, Steuerberaterin, Senior Consultant Steuer- und Rechtsabteilung, PricewaterhouseCoopers, Basel gründet. Dies führt in der Regel zu substanziellen Compliance-Aufwendungen und kann ein kleines Internetgeschäft stark gefährden. Wir zeigen in der Folge einige typische Situationen, bei denen eine MWST-Pflicht in zumindest einem zusätzlichen Land entstehen kann [9]. – Eine Schweizer Telecom Unternehmung oder ein Schweizer ISP erbringt Leistungen an nicht steuerpflichtige Endkonsumenten in der EU: Die Schweizer Unternehmung muss sich in der EU mehrwertsteuerlich registrieren. – Eine Schweizer Firma setzt über Internet Konsumgüter an nicht steuerpflichtige EU-Konsumenten ab. Die Lieferung erfolgt aus einem Eigenlager bei ihrem Logistikpartner in Deutschland: Der Ort dieser Lieferungen ist Deutschland, auch wenn dort kein eigenes Personal beschäftigt wird. Die Schweizer Firma wird daher in Deutschland steuerpflichtig und muss die Verkäufe mit deutscher USt belasten. Übersteigen die so abgewickelten Lieferungen an Konsumenten in einem anderen EU-Land eine Limite von EUR 35 000 [10] bis EUR 100 000 [11], muss zusätzlich eine Registrierung in den jeweiligen Konsumenten-Ländern erfolgen [12] (und die entsprechende MWST abgeführt werden). – Ein internationaler Konzern hat für seine E-Procurement-Lösung in der Schweiz steuergünstig eine Central Procurement Company (CPC) eingerichtet: Kauft diese Unternehmung in der EU bei Grosshändlern Ware ein, welche sie in der EU an Konzerngesellschaften weiterverkauft, wird die CPC zumindest in einem EU-Staat steuerpflichtig (im Idealfall bei Anwendung der EUVereinfachungsregelungen für Dreiecksgeschäfte gem Art. 28c (E) der 6. EU Richtlinie). Die CPC wird zusätzlich in jedem Staat steuerpflichtig, wo sie im selben Geschäft Waren ein- und verkauft (Warenverschiebung im Inland). Diese Komplikationen sind ein wichtiger Grund, weshalb viele CPC nur als Vermittler und nicht in einer buy/sell Stellung handeln. Dadurch lassen sich (im B2B-Umfeld) EU-Registrierungen in der Regel vermeiden. Der Schweizer Treuhänder 12/01 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden Bereits im Jahr 1992 hat die EU eine Verordnung [13] über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung erlassen. Nunmehr ist ein Vorschlag über die Änderung dieser Verordnung [14] ergangen. Dies ist für Schweizer Unternehmen insbesondere dann von Bedeutung, wenn durch die neuen E-BusinessVertriebskanäle in einem oder gar in mehreren EU-Ländern eine Steuerpflicht entsteht (siehe «Globale Virtuelle Präsenz = Globale Steuerpflicht?»). Die Behörden sind befugt, alle Informationen zu innergemeinschaftlichen Warenlieferungen oder Dienstleistungen, die unter einer EU- Der Schweizer Treuhänder 12/01 Umsatzsteueridentifikationsnummer erklärt wurden, einzuholen. Insbesondere kann überprüft werden, ob die korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerbe versteuert wurden. Die Überprüfung ist für bestimmte einzelne Geschäftsfälle bis auf Rechnungsebene zulässig. Die Praxis zeigt, dass diese Richtlinie bereits als Legitimation für «grenzüberschreitende» Revisionen der Mehrwertsteuerbehörden gedient hat. Dabei wurden Konzerne, die in mehreren Staaten Gesellschaften besitzen, von einem international bestückten Team von Revisoren geprüft. Im deutschen Steuergesetz 2002 soll in der Abgabenordnung festgeschrieben werden, dass ausländische Beamte an deutschen Prüfungen teilnehmen, aber keine Prüfungshandlungen vornehmen dürfen. Gemäss dem oben genannten Vorschlag zur Änderung der Verordnung 218/92 soll insbesondere auch nicht in der EU ansässigen Erbringern von bestimmten elektronischen Dienstleistungen (vgl. «Wettbewerbsvorteile für Schweizer Unternehmungen») ermöglicht werden, die Gültigkeit der vom Leistungsempfänger verwendeten IDNummer (elektronisch) bestätigt zu erhalten. Leistungsort Der Ort von elektronisch erbrachten Dienstleistungen [15] ist in Art. 14 MWSTG geregelt. Fällt die erbrachte Dienstleistung in den Katalog von Art. 14 Abs. 3, wird sie am Empfängerort besteuert. Ist der Empfänger im Ausland ansässig, fällt keine Schweizer 1283 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST Mehrwertsteuer an (siehe aber «Nachweisprobleme»). Das Schweizer Unternehmen darf sich damit noch nicht zufrieden geben, sondern muss prüfen, ob es aufgrund dieser Dienstleistungen im Empfängerstaat mehrwertsteuerpflichtig wird. Dies ist heute in der Praxis insbesondere dann möglich, wenn der Schweizer Anbieter Privatpersonen bedient und Telekomdienstleistungen oder Vermittlungsleistungen erbringt. Zukünftig ist eine Registrierungspflicht auch bei anderen Dienstleistungen (z.B. Downloads) vorgesehen (vgl. «Zum Schluss: Neues aus der EU»). M-Commerce Die Idee des Vertriebs von Dienstleistungen über mobile Handheld-Geräte ist in der Tat bestechend. Die sich stellenden MWST-Fragen sind grundsätzlich dieselben wie beim Handel über gen (im EU-Land des Leistungserbringers und in der Schweiz als Empfängerland) führen. Die Lösung muss hier bottom-up über eine detaillierte Darstellung auf Rechnungsebene gesucht werden. Nachweisprobleme Eigentlich banaler Alltag und trotzdem nicht richtig befriedigend gelöst: Eine Schweizer Firma erbringt elektronische Dienstleistungen an ausländische Endkonsumenten. Die Bezahlung erfolgt über die Bekanntgabe der Kreditkartennummer. Ausser der E-mailAdresse hat die Schweizer Firma keine Informationen über ihre Kunden. Papierrechnungen werden nicht versandt. In der Schweiz gelten die meisten elektronisch erbrachten Dienstleistungen als am Empfängerort erbracht [17]. Der Schweizer Steuerpflichtige muss «Die Web-Präsenz ist per Definition eine globale und das daraus resultierende Business hat Potential zum globalen Business.» Internet (Bestimmung der Art und des Ortes der Dienstleistung, bzw. dessen Nachweis) [16]. Wenn über M-Commerce direkt Dienstleistungen (wie heute etwa Ringtones) verkauft werden, stellt sich in der Praxis ein zusätzliches Problem. Da sich aufgrund der Geringfügigkeit der belasteten Beträge eine separate Rechnungsstellung nicht lohnt, kriegt der Kunde die Dienstleistung in der Regel von seinem Telecom-Anbieter in Rechnung gestellt. Bei der traditionell stark auf die formelle Rechnung abstützenden MWST kann dies unter Umständen unangenehme Konsequenzen haben: Der Telecomanbieter wird zum Leistungserbringer und die Leistung als solche wird zur Telecom-Dienstleistung. In internationalen Verhältnissen (z.B. wenn sich der Ringtone Anbieter und dessen Server im Ausland befinden) kann das zu einer Verfälschung der MWST-Belastung und sogar zu Doppelbelastun1284 jedoch anhand von Rechnungskopien, Zahlungsbelegen, schriftlichen Vollmachten, etc., nachweisen, dass der Empfänger der Dienstleistung im Ausland ansässig ist. Wenn er dies nicht kann, ist eine Nachbesteuerung seines gesamten Auslandumsatzes möglich. Die Gutschriftanzeige einer Kreditkartenorganisation stellt lediglich einen Zahlungsnachweis dar. Sie genügt den Anforderungen an den Nachweis für ins Ausland erbrachte Dienstleistungen nur in Verbindung mit einer auf den Kunden mit Wohn- oder Geschäftssitz im Ausland lautenden Rechnung. Per E-mail oder Fax geschickte Rechnungen sind keine ausreichenden Beweise [18]. Die Anforderungen der ESTV sind klar. Deren Einhaltung kann aber im Einzelfall einen untragbaren zusätzlichen Aufwand verursachen. Wer verschickt schon eine Papierrechnung für teures Geld nach Australien, wenn er das Leistungsent- gelt von einigen Franken bereits in der Tasche hat. In der Praxis muss vor allem im Massengeschäft der gangbare Weg gesucht werden, wobei unseres Erachtens v.a. auf die folgenden Punkte zu achten ist: – Vor der Bestellung muss der Kunde zwingend seinen Namen und die genaue Adresse angeben. Wenn möglich sollten diese Angaben mit automatischen Plausibilitätstests überprüft werden. – Es sollten ‹elektronische› Rechnungen (mit allen notwendigen Angaben, vgl. Art. 37 MWSTG) erstellt, per Email an den Kunden geschickt und so gespeichert werden, dass eine nachträgliche Abänderung ausgeschlossen ist (organisatorische und technische Massnahmen, allenfalls ausdrucken). – Jede einzelne Transaktion muss mit sämtlichen Angaben (Zeit, Käufer, Adresse, verkaufte Dienstleistung) während der Verjährungsfrist gespeichert werden. Um Datenverlusten vorzubeugen, sollten diese Angaben regelmässig auf Papier ausgedruckt werden. Die Kreditkartengutschriften müssen leicht den einzelnen Transaktionen zugeordnet werden können. Werden diese Massnahmen seriös durchgeführt, dokumentiert und überprüft, schafft man sich ein gutes Argumentarium für die nächste ESTV-Revision. Es ist zu bedenken, dass alleine mit dem von der ESTV verlangten Versand einer Papierrechnung der Nachweis eines ausländischen Empfängers eigentlich auch nicht erbracht werden kann (z.B. bei Angabe einer fiktiven Adresse). OECD Auf Ebene der OECD beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe (TAG) [19] mit Konsumsteuern im E-Commerce. Die Arbeitsgruppe entstand aus den Vorgaben der OECD Ottawa MinisterKonferenz 1998, und besteht aus Behörden-Mitgliedern und Vertretern von Unternehmen. Unter den zwölf beteiligten Unternehmen ist die Schweiz mit der UBS AG und der Swisscom AG gut vertreten. Im FeDer Schweizer Treuhänder 12/01 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST bruar 2001 veröffentlichte die Arbeitsgruppe ihren letzten Bericht über die mehrwertsteuerlichen Aspekte [20] des E-Commerce [21]. Pakete von geringem Wert Bei Lieferungen an Konsumenten ist eine Befreiung von der Mehrwertsteuer eine tatsächliche Preisreduktion, mit der sich der Lieferant einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann. Daher ist der Bestimmung [22], dass die Einfuhr von Paketen in die Schweiz bis zu einem Steuerbetrag von fünf Franken befreit ist, Beachtung zu schenken. Waren bis zu einem Wert von CHF 66 können somit mehrwertsteuerfrei aus dem Ausland an Schweizer Endkonsumenten geliefert werden. In der Praxis sind es weniger die Ersparnis von CHF 5, sondern die administrative Vereinfachung (der Endkonsument muss den Steuerbetrag nicht an den Postboten oder auf der Post bezahlen), welche Firmen zur Ausnutzung der Small Value Packages Möglichkeiten animiert. Das ganze funktioniert natürlich auch umgekehrt: Aus der Schweiz an in EU-Mitgliedstaaten ansässige Endkonsumenten geschickte Pakete fallen bei Unterschreitung der Betragsgrenze (in der Regel EUR 22) durch die Maschen der lokalen Zollbehörden. Aufgrund der höheren Der Schweizer Treuhänder 12/01 MWST-Sätze (bis zu 25%) ist der Preisvorteil sogar etwas grösser als in der Schweiz. Qualifikation von elektronisch erbrachten Dienstleistungen Für die Beurteilung, welches Land die MWST erhebt und welcher Satz anwendbar ist, muss die elektronisch erbrachte Dienstleistung mehrwertsteuerlich qualifiziert werden [23]. Oft ist vor allem die Zuordnung zu den in Art. 14 MWSTG aufgezählten Kategorien schwierig. Dabei kommt es auf den genauen Sachverhalt an. Ist z.B. ein Fernkurs über das Internet interaktiv, d.h. haben Lehrer und Lernende online Kontakt, liegt eine unterrichtende Tätigkeit gem. Art. 14 Abs. 2 vor (mehrwertsteuerausgenommen und am Leistungsort steuerbar). Läuft der Fernkurs autodidaktisch ab, liegt eine Überlassung von Informationen gem. Art. 14 Abs. 3 vor (zum Normalsatz am Empfängerort steuerbar) [24]. Heute nehmen nicht alle Länder diese feinen Unterscheidungen gleich vor, was zu Doppel- oder Nullbesteuerungen führen kann. Auch die Satzbestimmung ist im E-Commerce interessant: So wird beispielsweise eine Zeitung oder ein Buch (als Hardcopy mit 2.4% MWST belastet) durch einen Internet-Down- load zu einer normalen Dienstleistung (mit 7.6% MWST belastet). Relevanz von Websites Wir stellen immer wieder fest, dass Websites den mehrwertsteuerlichen Anforderungen nicht genügen und Angriffspotential für Steuerverwaltungen schaffen. Dieser Umstand ist in der Tatsache begründet, dass die Verantwortung für den Internetauftritt in der Regel bei der Marketing-Abteilung und nicht bei der Steuerabteilung liegt. Wenn man bedenkt, dass es inzwischen in einigen Ländern (z.B. UK) bereits systematisch vorgehende Web-Steuerinspektoren gibt, ist es u.E. zwingend, Websites auch steuerlich zu überprüfen. Häufige Fehler sind etwa: – Die MWST wird dem privaten Endkonsument nicht oder nicht richtig in den Produktpreis gerechnet (Verstoss gegen Konsumentenschutzgesetze oder UWG). – Es ist unklar, wer Verkäufer der Ware ist und von wo diese geliefert wird (was die Phantasie der Steuerverwaltungen verständlicherweise anregt...). – Es ist unklar, was der Betreiber der Website macht: Ist er Verkäufer, Vermittler oder bietet er bloss eine Werbeplattform (einen Marktplatz) an? 1285 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST Die Entgelte für diese beispielhaft aufgezählten Leistungen werden sowohl bei der Bestimmung des Ortes der Leistung (und damit der Besteuerung) wie unter Umständen auch bezüglich anwendbarem Steuersatz unterschiedlich behandelt. – Bei der Erbringung von Dienstleistungen sind diese nicht genau umschrieben. Dies führt zu Diskussionen mit der Steuerverwaltung, weil die Einordnung in den Leistungskatalog von Art. 14 MWSTG unklar ist. Server als Betriebsstätte Ob ein Server eine Betriebsstätte darstellt, wurde bisher v.a. bezüglich den direkten Steuern diskutiert [25]. Heute steht auf OECD-Ebene für die direkten Steuern fest, dass ein Server unter Umständen auch ohne am Standort angestelltes Personal eine Betriebsstätte darstellen kann. In Anbetracht dieser Tatsache und mit dem Wissen, dass die MWST dem Betriebsstättenbegriff der direkten Steuern grundsätzlich folgt [26], muss damit gerechnet werden, dass die ESTV in Zukunft auch einen Server als mehrwertsteuerliche Betriebsstätte ansehen könnte. Damit würde ein Schweizer Server einer ausländischen Unternehmung u.U. deren MWST-Pflicht in der Schweiz auslösen [27], was primär einmal mit zusätzlichen administrativen Aufwänden verbunden wäre. Bei der Erbringung von Dienstleistungen an Schweizer Kunden würde sogar eine Besteuerung (aber auch die Berechtigung zum Vorsteuerabzug) resultieren. Da im Ausland ähnliche Überlegungen gemacht werden, wird schnell klar, dass diese klassische direktsteuerliche Frage wohl für die MWST mindestens so relevant ist. Hier müssen die Entwicklungen im Ausland genau verfolgt werden, insbesondere weil für die MWST kein DBASchutz besteht. Telekommunikationsdienstleistungen Telekommunikationsdienstleistungen sind im E-Business von zentraler Bedeutung. Inzwischen sind die Regeln geklärt. Es gilt das Empfängerortsprinzip mit der Besonderheit, dass sich der 1286 Telecom-Anbieter im Empfängerland oder in der EU registrieren muss, wenn er dort ansässige private Endkonsumenten bedient [28]. In der Praxis muss vor allem die Abgrenzung der Telekommunikationsdienstleistung (technische Datenübertragung, Bereitstellen von Übertragungskapazitäten und die Verschaffung von Netzzugang) von den übrigen Dienstleistungen (übertragener Inhalt) [29] sauber gemacht und dokumentiert werden. erkannt. Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie bezüglich Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen [33] sollen diese Dienstleistungen dort besteuert werden, wo sich der EU-Privatkunde befindet. Die Schweizer Unternehmer werden somit aus diesen Dienstleistungen an EU-Privatkunden zukünftig in der EU registrierungspflichtig. Hier muss der Praktiker die weitere Entwicklung dieses in der EU stark umstrittenen Vorschlages verfolgen. Vermietung von Speicherplatz Zur Vermietung von Speicherplatz hat die ESTV bereits Stellung genommen [30]. Die Vermietung gilt als Abtretung eines Nutzungsrechts und wird nach Art. 14 Abs. 3 Bst. a MWSTG am Empfängerort besteuert. Vermietet somit ein Schweizer Unternehmer an ein ausländisches Unternehmen Speicherplatz auf einem Server, der sich in der Schweiz befindet, ist keine Schweizer Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen. Es gibt Diskussionen, ob die in der Tat auf den ersten Blick etwas überraschende Einordnung dieser Dienstleistung unter den Bst. a von Art. 14 Abs. 3 richtig sei [31]. Wir denken, dass die Praxis mit dem resultierenden Effekt (Besteuerung am Ort des Empfängers) gut leben kann. Aber aufgepasst: Die Vermietung eines in der Schweiz stehenden Servers als solches würde als Lieferung [32] betrachtet und wäre in jedem Fall in der Schweiz steuerbar (vgl. auch «Server als Betriebsstätte»). Wettbewerbsvorteile für Schweizer Unternehmungen Derzeit können Schweizer Unternehmungen die meisten elektronisch erbrachten Dienstleistungen (z.B. Downloads) steuerfrei an EU-Privatkunden erbringen. Aus Schweizer Sicht gelten diese Dienstleistungen bei entsprechendem Nachweis als im Ausland erbracht. Aus Sicht der EU sind die Dienstleistungen am Sitz des leistenden Unternehmens zu versteuern. Es findet somit eine legale Nichtbesteuerung statt. Diesen Wettbewerbsvorteil für NichtEU Unternehmen hat auch die EU Zum Schluss: Neues aus der EU Der Schweizer Praktiker sollte zur Zeit primär die Entwicklung der beiden folgenden Richtlinienvorschläge verfolgen: Beim E-Commerce-Richtlinienvorschlag [34] geht es insbesondere darum, dass sich nicht in der EU ansässige Firmen, welche online bestimmte Dienstleistungen an private EU-Konsumenten erbringen, in der EU mehrwertsteuerlich registrieren lassen müssen (vgl. «Wettbewerbsvorteile für Schweizer Unternehmungen»). Der Richtlinienvorschlag für die elektronische Rechnungsstellung und Archivierung [35] «E-Invoicing-Richtlinienvorschlag» legt die Voraussetzungen für das Versenden mehrwertsteuerlich relevanter Dokumente (Rechnungen) und für deren Speicherung fest. Bemerkenswert ist, dass kein technischer Standard (wie beispielsweise EDIFACT) vorgeschrieben wird und sowohl der Versand als auch die Aufbewahrung mit einer fortgeschrittenen digitalen Signatur abgesichert werden muss. Die Mitgliedsstaaten dürfen für Nicht-EU Firmen zusätzliche Vorschriften erlassen. Des weiteren werden die Mindesterfordernisse an eine Rechnung für alle Mitgliedsstaaten verbindlich festgelegt. Auch soll die Selbstfakturierung bzw. die Auslagerung der Fakturierung an einen Dritten zugelassen werden. Der Steuerpflichtige soll zwar für die Ausstellung der Rechnung verantwortlich sein, sie aber nicht mehr selbst ausstellen müssen. Für die grenzübergreifende Selbstfakturierung (in der EU) dürfen keine Der Schweizer Treuhänder 12/01 E-BUSINESS Erik Steiger, Alexandra Grünauer, E-Business und MWST strengeren Kriterien eingeführt werden. Wann die Richtlinienvorschläge als Richtlinien verabschiedet werden, steht derzeit (anfangs November 2001) noch nicht fest. Somit sind auch verbindliche Daten für die Umsetzung der Richtlinien zur Zeit noch nicht bestimmt. Anmerkungen 1 Allen voran Art. 90 Abs. 2 Bst. h MWSTG, Art. 43–45 MWSTGV, Verordnung über die Aufzeichnung von aufzubewahrenden Unterlagen vom 2. Juni 1976 (SR 221.432, http://www.admin.ch/ch/d/sr/221_431/index.h tml), Z 943ff. und Z 812ff. Wegleitung 2001 zur Mehrwertsteuer. 2 Eine Aufstellung der nicht-steuerrechtlichen Bestimmungen findet sich im ST 6-7/01 auf den Seiten 587ff.: Dr. iur. Christoph Meyer, «Rechtliche Probleme der elektronischen Datenaufbewahrung». 3 Z 321 der «Richtlinien für die Erstellung von Arbeitsanweisungen zur Aufzeichnung und Aufbewahrung von Unterlagen auf Bildträgern (Mikrofilm)», Konferenz staatlicher Steuerbeamter in Zusammenarbeit mit der Eidg. Steuerverwaltung. 4 Eine kurze Zusammenstellung findet man in der Branchenbroschüre Nr. 13, Telekommunikation, unter Ziff. 5.6. 5 Art. 25 Abs. 1 Bst. c MWSTG i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Bst. e MWSTG. 6 http://www.ofj.admin.ch/themen/e-commerce/ bg-zertes-d.pdf 7 Zum Beispiel: Philip Robinson/Bertil Weigend in ST 4/01«Im E-Commerce steuerlich nichts Neues?» oder Andreas Meyer/Regula Boller im ST 11/99 «Electronic Data Interchange in neuen MWST-Gesetz». 8 Die Ausführungsbestimmungen zu Art. 45 MWSTGV sollen dem Vernehmen nach auf den 1. Januar 2002 in Kraft gesetzt werden; aufgrund einer möglichen vorgängigen Konsultation der Wirtschaft ist eine Verschiebung jedoch nicht auszuschliessen. 9 Diese Auflistung ist als nicht abschliessend zu verstehen. 10 Beispielsweise in Belgien, Dänemark und Schweden. 11 Beispielsweise in Österreich, Frankreich und Holland. 12 Es liegen sogenannte «Distance Sales» vor, vgl. Art. 8 (3) (a) und (b) der 6. EU MWST Richtlinie. 13 Vgl. Verordnung Nr. 218/92 des Rates vom 27. Januar 1992. 14 Vgl. Vorschlag 2000/0147, 2000/0148 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 218/92. 15 Weitergehende Ausführungen sind im Artikel von Prof. Xavier Oberson in dieser Ausgabe S. 1275 zu finden. 16 Zusammenfassung mit Fundstellen siehe Xavier Oberson, «La loi fédérale sur la TVA appliquée au commerce électronique», Ziff. 2 und 3, in dieser Ausgabe S. 1275. 17 Vgl. Branchenbroschüre 13, Telekommunikation, Ziff. 5.6.3. 1288 18 Vgl. Branchenbroschüre 13, Telekommunikation, Ziff. 2.2. 19 Vgl. Consumption Tax Technical Advisory Group (TAG), http://www.oecd.org//daf/fa/ e_com/tag.htm 20 Vgl. http://www.oecd.org//daf/fa/e_com/ec_6_ WP9_REPORT_Eng.pdf 21 Zusammenfassung: Robinson/Weigend, «Im E-Commerce steuerlich nichts Neues?» ST 04/01, Seite 380. 22 Vgl. Wegleitung zur Mehrwertsteuer 2001, Z 710. 23 Weitergehende Ausführungen sind im Artikel von Prof. Xavier Oberson in diesem ST zu finden. 24 Vgl. die Zusammenfassung von Xavier Oberson «Le commerce électronique et la TVA» ST 09/99. 25 Vgl beispielsweise Marti/Wechner-Roth, «ECommerce – Anwendung der bestehenden Betriebsstätten-Definition der OECD in ST 04/00, Robinson/Weigend «Im E-Commerce steuerlich nichts Neues?» in ST 04/01, Meyer/Robinson «Der Betriebstättenbegriff im E-Business gemäss OECD» in ST 12/99, Dürr/Rumo «Betriebstätten im Internet» in ST 04/99. 26 Wegleitung 2001 zur MWST, Z 8. 27 Vgl. auch Ziff. 4.1.2 der Branchenbroschüre 30 (Telekom) unter der MWSTV, wo die ESTV «nach aktuellem Kenntnisstand in der Praxis» davon ausgeht, dass z.B. Vermittlungsanlagen für die Erbringung von Telekommu- 28 29 30 31 32 33 34 35 nikationsdienstleistungen als Betriebsstätten gelten. Art. 25 Abs. 1 Bst. c i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Bst. e MWSTG. Art. 1 MWSTGV; Heinz Keller, «Die neue Verordnung zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer» in ST 6–7/00, Xavier Oberson, «La loi fédéral sur la TVA appliquée au commerce électronique» in dieser Ausgabe S. 1275. Vgl. Branchenbroschüre Nr. 13 Telekommunikation, S. 19, Ziff. 5.6.4. Xavier Oberson, «La loi fédéral sur la TVA appliquée au commerce électronique» in dieser Ausgabe S. 1275. Art. 6 Abs. 2 Bst. b MWSTG. Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/288/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen, 500PC349. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen, 7.6.2000, http://europa.eu.int/eurlex/de/com/dat/2000/de_500PC0349_02.html Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie, 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung, 17.11.2000, http://europa.eu.int/eur-lex/ de/com/dat/2000/de_500PC0650.html RESUME E-business et TVA En affaires, rien n’est plus dangereux que l’incertitude en matière de fiscalité. Jeffrey Owens, Chef de la Division des affaires fiscales de l’OCDE, a ainsi décrit l’expérience qu’ont régulièrement faite de nombreux dirigeants et conseillers ces dernières années. Les auteurs dressent une liste (presque complète) des questions pratiques relatives à l’e-business et à la TVA, tout en indiquant comment la nouvelle économie peut, doit on devrait évoluer dans le domaine de la TVA. Ils proposent des solutions aux points suivants: – l’archivage de factures soumises à la TVA; – le business sur Internet; – les signatures digitales; – la facturation électronique; – l’appréciation d’une obligation fiscale globale; En outre, les auteurs donnent des indications sur: – l’échange d’informations entre les autorités fiscales; – le lieu de la prestation; – le M (Mobile) – Commerce; – le problème de la preuve; – les efforts de l’OCDE et de l’UE; – la qualification de prestations électroniques; – l’importance des sites Web; – le serveur en tant qu’établissement stable; – les prestations de télécommunications; – la location de capacités de mémoire; – les avantages concurrenciels pour les entreprises suisses. ES/AG/AFB L’Expert-comptable suisse 12/01