Neukirchen, Hlg. Blut - Haus der Bayerischen Geschichte

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Neukirchen, Hlg. Blut - Haus der Bayerischen Geschichte
Klöster in Bayern: Seite 1 von 5
Neukirchen, Hlg. Blut
BASISDATEN
Klostername
Neukirchen, Hlg. Blut
Ortsname
Neukirchen bei Hl. Blut
Regierungsbezirk
Oberpfalz
Landkreis
Cham
Orden
Franziskaner-Reformaten
Diözese
Regensburg
Patrozinium
St. Katharina Mart.
Gründungszeit
1656
Gründer
Bayerische Reformatenprovinz der Franziskaner
Bewohner
Hospiz, ab 1661 Konvent
Weiternutzung
Es erfolgte keine Aufhebung, das Kloster wurde 1802 als Zentralkloster eingerichtet. 1855
wurde das Kloster offiziell wiedererrichtet.
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GESCHICHTE
Neukirchen beim Hl. Blut, Franziskanerkloster – Brücke zwischen Bayern und Böhmen
Neukirchen am Hohenbogen liegt an einer alten Handelsstraße nach Böhmen und spielte von alters her eine
wichtige Rolle zur Sicherung der Grenzregion. Der Ort, der 1377 von Herzog Albrecht I. zum Markt erhoben wurde,
war daher mit Wehranlagen um die St. Nikolauskirche und das Pflegschloss gesichert. Außerhalb des Ortes
existierte an der Straße nach Eschlkam seit Anfang des 15. Jahrhunderts eine Hostienwallfahrt. Eine auf einem
Baumstumpf gefundene geweihte Oblate, die nach feierlicher Übertragung in die Nikolauskirche wunderbarerweise
wieder an diesen Ort zurückkehrte, gab den Anlass zum Bau einer Holzkapelle.
Während der stürmischen Zeiten der Hussitenkriege im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts fand hier der Legende
zufolge ein weiteres unerklärliches Ereignis statt: Ein Hussit soll in Neukirchen auf eine Marienfigur gestoßen sein,
die eine fromme Bäuerin aus dem böhmischen Dorf LouÄ•im vor der Zerstörung gerettet und in der Feldkapelle
aufgestellt hatte. Der Hussit warf der Erzählung nach die Figur in einen nahen Brunnen, sie kehrte jedoch wie durch
ein Wunder an ihren Platz zurück. Dieser Vorgang soll sich dreimal wiederholt haben. Daraufhin versuchte der
Hussit, die Figur mit dem Säbel zu zerschlagen. Als er jedoch ihr Haupt spaltete, floss plötzlich frisches Blut aus der
Wunde. Voller Entsetzen versuchte der Hussit zu fliehen, doch sein Pferd bewegte sich nicht mehr von der Stelle,
obwohl er ihm sogar die Hufeisen abnahm. Daraufhin bekehrte er sich zum katholischen Glauben und opferte sein
Schwert und die vier Hufeisen, die noch heute in der Kirche gezeigt werden. Auch der Brunnen, in dem der Hussit
das Gnadenbild zerstören wollte, ist in der Sakristei für die Gläubigen zugänglich. Diese Legende wurde in der
Folgezeit mündlich überliefert und nach der ersten schriftlichen Aufzeichnung im Jahr 1590 immer weiter
ausgeschmückt. Mit der wachsenden Bedeutung der Wallfahrt im 16. Jahrhundert kam für den Ortsnamen der
Zusatz „beim Heiligen Blut“ auf und ist seither gebräuchlich. Für die Berechnung des Jubiläums legte man später
das Jahr 1450 fest, in dem der Frevel an der Marienstatue stattgefunden haben soll.
Noch vor der Reformation ließ Herzog Ludwig X. 1520 die Wallfahrtskapelle durch einen steinernen Bau ersetzen.
Der Hochaltar wurde an der Stelle errichtet, wo die Hostie aufgefunden worden war. Herzog Maximilian I.
veranlasste 1610 den Neubau des Langhauses und den Ausbau zur Kirche. Als vier Jahre später der Turm der
Nikolauskirche am Neukircher Marktplatz einstürzte und dabei das Kirchengewölbe stark beschädigte, entschloss
man sich, die Pfarrrechte auf die Wallfahrtskirche zu übertragen.
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Nach dem Sieg der Katholiken in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag im Jahr 1620, den man der Hilfe der
Muttergottes zuschrieb, förderten die bayerischen Herzöge und Kurfürsten die Mariengnadenstätten besonders
intensiv. Neukirchen wurde weithin bekannt und zog auch viele Gläubige aus Böhmen an. Der bedeutende
franziskanische Schriftsteller Pater Fortunat Hueber räumte Neukirchen in seinem Werk „Zeitiger Granatapfel...“
(erschienen 1671), in dem er die bayerisch-böhmischen Marienwallfahrten seiner Zeit beschrieb, mit einem
enthusiastischen barocken Preislied die größte Bedeutung ein.
Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts halfen Franziskanerpatres aus Cham regelmäßig aus, um die große Zahl der
Wallfahrer zu betreuen. Um die Seelsorge zu gewährleisten, richtete man 1656 vor Ort ein Hospiz für die Brüder ein,
die anfangs im Pfarrhof und bei einem Privatmann untergebracht waren. Von 1658 bis 1661 erfolgte der Bau des
Klosters samt Kirche, die durch den Ordensbaumeister Fr. Hugolin Partenhauser an die Ostseite der bestehenden
Wallfahrtskirche angefügt wurde. Auf diese Weise entstand der einzigartige Doppelaltar, der die beiden
Gotteshäuser verbindet. Der mächtige, siebenstöckige Glockenturm mit Zwiebelhaube war bis Ende des 17.
Jahrhunderts fertiggestellt (1732 nach Sturmschaden gekappt). Nach Einrichtung der Wasserversorgung durch eine
Brunnstube konnten die Franziskaner auch ein Brauhaus betreiben. Einer der Brüder übernahm stets das Amt des
Pfarrpredigers. Die Franziskaner betreuten viele umliegende Pfarreien und leisteten Aushilfen bis nach Klattau in
Böhmen. Im weiten Umkreis wurden durch ihre Mitwirkung auch Kreuzwege errichtet. Die Franziskaner waren bald
bei der Bevölkerung und den Wallfahrern überaus beliebt. Die Fußprozessionen kamen aus einem Umkreis von 100
Kilometern nach Neukirchen; es sollen jährlich bis zu 45000 Wallfahrer gewesen sein. An frommen Gaben brachten
sie Votivbilder, Schmuck, Amulette aus Wachs, Eisen oder Silber, nachgebildete menschliche Gliedmaße und Tiere.
Nach großen Schäden im Spanischen Erbfolgekrieg (1700–1714) erfolgte die Wiederherstellung und gleichzeitige
Vergrößerung der Gnadenstätte, um die zahlreichen Besucher aufnehmen zu können. Von 1719 bis 1721 war man
mit dem Neubau des erweiterten Chors, der Seitenkapellen und deren Wölbung, Wandgliederungen, einer neuen
bildlichen Ausstattung, in der man die Verehrung der Muttergottes und die Wurzeln der Wallfahrt thematisierte,
sowie der Aufstellung von Beicht- und Betstühlen, geschmückt mit kunstvollen Schnitzereien, beschäftigt. Damals
erhielt die Wallfahrtskirche ihre heutige Form als Saal mit halbrund geschlossenen Kapellenanbauten vor dem Chor,
der nach Osten rundbogig in die gleichfluchtende Saalkirche des Klosters übergeht. Auch die Klosteranlage wurde
renoviert und durch einen Nordflügel erweitert, in dem ein Hörsaal und die durch mehrere Schenkungen
angewachsene Bibliothek Platz fanden. Von 1723 bis 1744 wurde auch das Studienhaus des Franziskanerordens in
Neukirchen betrieben, dessen Seminare auch weltliche Studenten aus der Region offenstanden.
Für das 300-jährige Wallfahrtsjubiläum ließ man 1750 von Augsburger Hofkünstlern einen neuen, reich mit
Goldschmiedearbeiten verzierten, sechssäuligen Hochaltaraufbau schaffen. In seinem Zentrum ist ein
Rokokoschrein für das Gnadenbild mit dem gespaltenen Haupt platziert. Die Muttergottesstatue böhmischer
Herkunft aus der Zeit um 1400 erhielt ein Festgewand aus reich besticktem Samt, das der Legende zufolge aus dem
Brautkleid einer böhmischen Prinzessin gefertigt war. Es ist überliefert, dass in der Festwoche 420 Gottesdienste
gefeiert und insgesamt 70000 Hostien bei der Kommunion ausgeteilt wurden. Die große Blüte der Wallfahrt bewirkte
auch einen immensen wirtschaftlichen Aufschwung für das Kloster und den Ort. Mit der Herstellung von
Hinterglasbildern, Rosenkränzen, Schnitzereien und religiösen Gegenständen waren zahlreiche Künstler und
Heimarbeiter beschäftigt. Auch der Bedarf an Gasthäusern und Unterkünften war groß.
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Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Franziskanerkloster im Zuge der Säkularisation nicht aufgehoben, sondern
1802 als Zentralkloster eingerichtet und 1855 wieder als regulärer Konvent der bayerischen Franziskanerprovinz
zugelassen. Es ist das einzige Kloster dieses Ordens im Bistum Regensburg, das dauerhaft von Bestand war. Die
Bibliothek des Franziskanerklosters blieb durch glückliche Umstände seit Gründung des Konvents 1656 erhalten
und umfasst heute etwa 8000 Werke, davon rund 170 Drucke aus dem 16. Jahrhundert.
Von 1992 bis 1996 erfolgte eine umfangreiche Renovierung des Klosters. Für den leerstehenden Nordflügel fand
man eine neue Nutzung als „Grenzüberschreitendes Wallfahrts- und Begegnungszentrum“, in dem auch größere
Gruppen, zum Beispiel die seit der Grenzöffnung wieder stattfindende Chodenwallfahrt, Platz finden. Der
jahrhundertealte Klostergarten wurde nach historischem Vorbild neu angelegt und der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Die Schätze aus dem Archiv der Wallfahrtskirche fanden im ehemaligen Neukirchener Pflegschloss eine
neue Heimstatt. Hier wurde 1992 ein Museum eingerichtet, das die Besucher über alle Aspekte der örtlichen
Wallfahrt informiert.
Christine Riedl-Valder
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LITERATUR
Bauernfeind, Günther: Wenn du nach Neukirchen kommst, lass für mich auch eine Perle fallen! Die Wallfahrt
Neukirchen beim Heiligen Blut, in: Bayerischer Wald (hg. von Hubert Ettl), Viechtach 2011, S. 42–47
Baumann, Mathilde: Neukirchen b. Hl. Blut – Markt und Wallfahrt am Hohenbogen (hg. von der Marktgemeinde
Neukirchen b. Hl. Blut), Grafenau 1978
Baumann, Ludwig: Neukirchen b. Hl. Blut – Geschichte in Bildern, Straubing 2012 (mit ausführlichem
Literaturverzeichnis)
Baumann, Ludwig: Bibliothek des Franziskanerklosters Neukirchen b. Hl. Blut, Neukirchen 1997
Dambeck, Franz / Krottenthaler, Josef/Ulrich Murr: Neukirchen beim Hl. Blut: Pfarr-, Wallfahrts- und Klosterkirche
(Schnell, Kleine Kunstführer Nr. 798), Regensburg 2013
Hartinger, Walter: Neukirchen beim Hl. Blut, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bayern I, Altbayern und
Schwaben, hg. von Hans-Michael Körner/Alois Schmid, unter Mitarbeit von Martin Ott, Stuttgart 2006, S. 560f.
Keck, Sigismund P.: Franziskanerkloster Neukirchen hl. Blut, in: Bavaria Franciscana Antiqua (Ehemalige
Franziskanerklöster im heutigen Bayern). Kurze historische Beschreibungen mit Bildern (hg. von der Bayerischen
Franziskanerprovinz), Bd. 2, München 1954, S. 372–406