Die (Re-)Konstruktion einer privaten Kunstsammlung steht im
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Die (Re-)Konstruktion einer privaten Kunstsammlung steht im
Sammlung Stegemann, kunstraum, Munich, 2007 Thomas Kratz (curated by Daniela Stöppel) Darauf kommt es also an: das, was ist, sein zu lassen. Aber Seinlassen heißt nicht: das, was man schon weiß, nur wiederholen. Nicht in der Form eines Wiederholungserlebnisses, sondern durch die Begegnung selber bestimmt, läßt man das, was war, sein für den, der man ist. Hans-Georg Gadamer (Die Aktualität des Schönen) Die (Re-)Konstruktion einer privaten Kunstsammlung steht im Mittelpunkt der Ausstellung von Thomas Kratz im kunstraum muenchen. Die Auswahl verschiedener Kunstwerke, die einen ersten Teil der Sammlung konstituieren, ist auf einen möglichen Sammler zugeschnitten. Recherchen in Katalogen und Interviews zum Zeitraum zwischen 1986 und 2001 liefern Kratz die Kriterien für die Zusammenstellung der Werke, hinter denen er seine eigenen Interessen zurückstellt. Er verlegt somit die Entscheidungsinstanz auf einen Bereich außerhalb seines eigenen Handelns und agiert als Werkzeug, das sich vorübergehend in den Dienst eines anderen Individuums stellt. Die Vorarbeiten haben sich in der Erstellung einer Künstlerliste von ca. 25 Namen niedergeschlagen, aus der nun sieben Positionen für die erste Fassung der Sammlung im kunstraum muenchen zu sehen sind. Ein biografischer Recherche-Ansatz ist zentral für die Arbeit von Thomas Kratz: Persönliche Wahrnehmung, Selektion, Erinnerung an Kunst ist immer an das Individuum gebunden. Indem Thomas Kratz auf diese individuelle Wahrnehmung von Kunst fokussiert und dafür die hoch persönliche und emotionalisierte Form der privaten Kunstsammlung als Ausstellungsformat wählt, stellt er die private Perspektive auf Kunst heraus und rekontextualisiert Kunst im Rahmen des Biografischen und Privaten.Die Logik der privaten Sammlung Das persönliche Ordnungssystem der Privatsammlung spiegelt einen besonderen Umgang mit Kunst wieder, der sich in wesentlichen Gesichtspunkten von der öffentlichen Museumssammlung unterscheidet. Der Sammler fasziniert nicht nur aufgrund seiner Obsessionen und Leidenschaften, sondern auch durch sein finanzielle Potenz, seine Kennerschaft, sein persönliches ökonomisches Risiko und nicht zuletzt durch die Gefahr, seiner Sammelleidenschaft zu erliegen oder an seiner eigenen Vision zu scheitern. Eine bedingungslose Subjektivität scheint den Privatsammler auszuzeichnen. Der Sammler lässt sich seinem Objekt der Begierde gegenüber von persönlichen, mitunter irrationalen Vorlieben und einem individuellen Kunstverständnis leiten, während der Museumskurator "objektiven" kunsthistorischen Kriterien folgt. Die Subjektivität des Sammlers erscheint demgegenüber als Freiheit und Privileg und auch der Kunstsammlung als privatem Ort haftet die Aura des Besonderen, Außergewöhnlichen und Exklusiven an. Der Umgang mit Kunstwerken in privaten Kunstsammlungen ist von der persönlichen Auffassung des Sammlers abhängig: Der Sammler hat Verfügungsgewalt über seinen Kunstbesitz, er kann mit wertvollen Gemälden und Skulpturen nach eigenem Ermessen umgehen. Die physische Entität des Kunstwerks kann er bewahren und absichern oder aber er integriert Kunstwerke als Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs in sein Leben und setzt sich über die allgemeine kulturelle Konvention, dass Kunst in ihrer Materialität geschützt und aufbewahrt werden muss (Boris Groys), hinweg. Selbst die Zerstörung von Kunstwerken ist in seiner Handlungsmacht mit einbegriffen. Sammeln bedeutet damit auch: Verfügung, Gewalt, Aneignung, Macht, Besitz. Walter Benjamin schrieb über die Gefahr des Sammelns: "Es ist die tiefste Bezauberung des Sammlers, das Einzelne in einen Bannkreis einzuschließen, indem es, während ein letzter Schauer (der Schauer des Erworbenwerdens) darüber hinläuft, erstarrt. Alles Erinnerte, Gedachte, Bewusste wird Sockel, Rahmen, Postament, Verschluss seines Besitzers."Medialität und Medientransfer Der von Benjamin beschriebenen Gefahr der Festschreibung und Fixierung von Kunstwerken durch die "Einverleibung" in eine Sammlung entgeht Thomas Kratz, indem er die Ausstellung als eine Art "snap shot" konzipiert - die als momentaner "Stand einer Sammlung" nur für kurze Zeit abgespeichert wird. Es ist die Sammlung als ein Zusammentreffen von Ideen, die ihn interessiert und der er sich über die Figur des Sammlers annähert. Die Ausstellung ist in Form von Projektionen zusammengestellt, die temporär in den kunstraum per Live-Streaming übertragen werden. Die Bilder stammen teilweise von Originalen, teilweise von Nachbauten, die Thomas Kratz anlässlich der Ausstellung an unterschiedlichen Orten in München aufgebaut hat. Nach der Ausstellung zerstreuen sich die Werke wieder in alle Himmelsrichtungen, die nachgebauten Kunstobjekte werden zerstört. Dieses Vorgehen arbeitet der musealen Erstarrung entgegen und beugt der Gefahr vor, dass die Sammlung in ihrem steten "Kampf gegen die Zerstreuung" der Sammelobjekte in der Welt (Walter Benjamin), in ihrem Kampf gegen die Entropie, erstarrt. Dadurch, das Kratz die Rekonstruktionsidee des gesamten Projekts offen sichtbar zeigt, bleibt die Sammlung als gedankliches Konstrukt erkennbar. Die von Kratz angefertigten Nachbauten sind keine perfekten Kopien, sondern kursorische Re-enactments, die ihre Hilfsfunktion offen zeigen. Sie stehen im Dienst der Sammlung und der Idee der Sammlung. Ort, Ortlosigkeit, Rekontextualisierung Kunstwerke haben in der Regel einen Ort - ein Museum, eine Sammlung, ein Atelier -, an dem sie sich befinden und wo sie betrachtet werden können. Diese Materialität des Kunstwerks ist zugleich Fluch und Segen. Segen deshalb, weil seine physische Präsenz für das Kunstwerk einen auratischen Dimensionsgewinn bedeutet. Fluch deshalb, weil das Kunstwerk handelbar wird, der ideelle Wert hinter dem materiellen leicht zurücktritt und mit der Ortsgebundenheit von Kunst eine räumlich bedingte Limitierung des Zugangs unweigerlich verbunden ist. Die Verfügbarkeit von Kunstwerken ist heute durch Reproduktionen und digitale Bildarchive nahezu grenzenlos - das Original mit seiner besonderen Aura des Präsenten wird dadurch aber nicht etwa unwichtig und entwertet, sondern im Gegenteil: das Original erfährt gerade in seiner Einzigartigkeit eine Aufwertung. Große Sonderausstellungen zeigen dies genauso wie viele museale Inszenierungen, die weniger auf Kontext, denn auf auratische Präsentation setzen. Den Konflikt zwischen Aura des Originals und Auraverlust der Fotografie hat Walter Benjamin in seinem bekannten Kunstwerk-Aufsatz thematisiert. Davon beeinflusst ist auch Malraux' Idee des "muséé imaginaire", die er ab 1935 entwickelte. Sie zielte auf die Überwindung der materiellen Präsenz des Kunstwerks und - erstaunlicherweise - zugleich dessen Rekontextualisierung durch die fotografische Reproduktion ab. Sein "Musée imaginaire de la Sculpture Mondiale" versammelt in einem Fotoband die Abbildungen aller wichtigen Skulpturen der Weltkunst. Alle Bilder wurden formal egalisiert und zu einem großen Kompendium über die Weltskulptur zusammenstellt. Malraux' Anliegen war dabei, die Entkontextualisierung der Kunst durch das Museum, das ja eben auch nicht mit orginalen Entstehungszusammenhang gleichzusetzen ist, zu überwinden. Er sah die fotografische Reproduktion als mediales Vehikel für eine vergleichende Lektüre, für Bedeutungsgenerierung, die sich im Auge des Betrachters konstituiert. Sein Anliegen war, in seinem "musée imaginaire" Partizipation für jeden einzelnen zu ermöglichen, jeden an der Idee von Kunst teilnehmen zu lassen. Die virtuelle Präsenz im musée imaginaire führt in seinen Augen zu einer radikalen Befreiung der Kunst, da sie von ihrer materiellen Anwesenheit entbunden wird. Erst durch die Negation des Ortes, des Materials und der Substanz kann in seinen Augen die Kunst ihren reinen Ideengehalt freisetzen. Thomas Kratz verwendet fotografische Vorlagen für seine Reinszenierungen, nach denen er die ausgewählten Installationen bildhaft komponiert und zusammenstellt. Die Reproduktionen entnimmt er Katalogen, die wie alle übrigen Reproduktionen ortsungebunden sind und frei fluktuieren können. Durch die Inszenierung der Kunstwerke an unterschiedlichen öffentlichen und privaten Orten in München wird die Ortlosigkeit des reproduzierten Kunstwerks aufgehoben, es erscheint rekontextualisiert, in soziale, institutionelle und private Prozesse eingebunden. Durch die Live-Übertragung bleiben die Bilder jedoch theoretisch von jedem Ort der Welt abrufbar. Ortsbezug und Ortlosigkeit fallen durch die Echtzeit-Projektionen in eins. Im Ausstellungsraum wiederum kommen die Bilder für die Dauer der Ausstellung zusammen, und kreieren einen Ort, der sich einerseits durch die beschriebene materielle Absenz von originalen Kunstwerken definiert, jedoch gleichzeitig durch die virtuelle Präsenz der Echtzeit-Übertragung einen eigenen auratischen Raum erzeugt. Kratz thematisiert also das Verhältnis von Aura und Auraverlust, Ort und Ortlosigkeit, ohne aber dies als strengen Gegensatz zu konstruieren.Eine Auswahl: Anselmo, Croissant, Finlay, Mantegna, Pascali, Pistoletto, Rieger. Die Auswahl der Kunstwerke basiert nicht auf Thomas Kratz eigenen Interessen, sondern gibt die Perspektive eines anderen auf Kunst wieder. Die Arte Povera ist dabei von zentraler Bedeutung, ebenso wie verschiedene Münchner Positionen. Teil der Ausstellung ist unter anderem ein Re-enactment der „Lumpen-Venus“ des ArtePovera-Künstlers Michelangelo Pistoletto (*1933, Biella/Italien) aus dem Jahr 1967. Die Skulptur wurde durch Thomas Kratz unter Einbeziehung eines historischen Venus-Abgusses der Villa Stuck vor einem Berg aus Altkleidern neu inszeniert. Das Original von Pistoletto war 1991 im Kunstverein München in einer wichtigen Arte-Povera-Ausstellung zu sehen, und ist nun Teil der fiktiven Kunstsammlung im kunstraum muenchen. Durch die LiveÜbertragung der Ausstellungssituation in der Villa Stuck in den kunstraum muenchen werden der lokale Bezug der Venus zur Villa Stuck und deren räumliche und institutionelle Gegebenheiten in die Sammlung miteinbezogen. Im Garten des Institut für Kunstgeschichte München hat Kratz weiter eine Installation des Künstlers Ian Hamilton Finlay (*1925, Nassau/Bahamas, +2006 Edinburgh/Schottland) nachgebaut. Finlays Original „Sacred Grove“von 1982 befindet sich im Skulpturengarten des Kröller-Müller Rijksmuseums in Otterlo, Holland und besteht aus verschiedenen Sockeln mit Säulenbasen, aus denen Bäume hervorwachsen - der Baumstamm transformiert sich in einen lebenden Säulenschaft, der eine organische Verbindung mit den klassisch-antiken Sockeln eingeht. Durch die Live-Übertragung in den kunstraum muenchen wird die Installation Finlays zum Bildzitat umgedeutet und zugleich die räumlichen und institutionellen Gegebenheiten des Institutsgarten mit einbezogen. Eine Bürsten-Arbeit von Pino Pascali aus dem Jahr 1968 ist im kunstraum muenchen sowohl als Live-Projektion als auch als Re-enactment präsent. Die Bürsten haben über den Lauf der Jahre Ihre originale Farbigkeit verloren, die in der Wiederinszenierung nachempfunden wurde. Text: Daniela Stöppel Gefördert durch die Landeshauptstadt München Kulturreferat, LfA Förderbank Bayern und das British Council. Mit freundlicher Unterstützung des LRZ München, des Siemens Arts Program, der Villa Stuck, des Instituts für Kunstgeschichte München, der Galerie Biedermann, Alfred Wigel, Erich Gantzert-Castrillo und Markus Dicklhuber. Thomas Kratz (geb. 1972) ist Meisterschüler von Prof. Günther Förg und hat 2005 am Royal College of Art London mit einem Master of Painting abgeschlossen. Er lebt in London und zeigt im kunstraum seine erste Einzelausstellung. Werke in der Ausstellung "Thomas Kratz" Giovanni Anselmo "Struttura che mangia" (Struktur, die isst), 1968 Re-enactment, 2007 (Standort: privat) Michael Croissant (von links nach rechts) Figur, 1992, Bronze geschweißt, WVZ 1183 Figur, 1999, Bronze geschweißt, WVZ 1526 Hand, 1965, Bronze, WVZ 114 Figur, 1999, Bronze geschweißt Stele, 1999, Bronze geschweißt, WVZ 1433 Figur, 1996, Bronze geschweißt, WVZ 1258 Figur, 1997, Bronze geschweißt, WVZ 1337 Figur, 1996, Bronze geschweißt, farbig gefasst, WVZ 1246 Figur, 1997, Bronze geschweißt, WVZ 1315 (Standort: Galerie Biedermann, München) Ian Hamilton Finlay "Sacred Grove" (Heiliger Hain), 1987 Re-enactment, 2007 (Standort: Institut für Kunstgeschichte, München) Andrea Mantegna Wand-Fresko im Palazzo Ducale, Mantua, um 1470 Dia-Projektion (Standort: kunstraum muenchen) Pino Pascali "Baco da Seta" (Seidenraupe), 1968 (Standort: privat) Pino Pascali "Baco da Seta" (Seidenraupe), 1968 Re-enactment, 2007 (Standort: kunstraum muenchen) Michelangelo Pistoletto "Venere degli stracci" (Lumpen-Venus), 1967 Re-enactment, 2007 (Standort: Museum Villa Stuck) Helmut Rieger "Frau, Katze, Vogel", 1987, Mischtechnik auf Papier (Standort: privat) Edition anlässlich der Ausstellung im kunstraum muenchen: Thomas Kratz "Paolo Rosa", S/W-Fotoabzug, 30 x 40 cm, gerahmt Auflage: 62 + 10, Preis: 225,22 March - 13 May 2007 Thursday - Sunday, 3 - 7 pm kunstraum muenchen Zieblandstraße 8 80799 Munich +49 89 54379900