Poster Entlehnung Französisch - Institut für deutsche Sprache und

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Poster Entlehnung Französisch - Institut für deutsche Sprache und
Deutsch und Französisch im Sprachkontakt: Innere Entlehnung
1. Inneres Lehngut: Begriffsdefinition
(vgl. Hasenkamp 1998, Betz 1947)
- morphologische oder semantische Nachbildung fremder Vorbilder aus autochtonem
Sprachmaterial
„Alle Einflüsse einer Sprache auf eine andere, die sich nicht auf das Lautliche, das
Wortmaterial an sich, sondern auf Bildung und Bedeutung, auf Form und Inhalt des
Wortmaterials erstrecken, nenne ich Lehnprägung. Zur Lehnprägung rechnen Lehnsyntax,
Lehnbedeutung, Lehnbildung und Lehnwendung.“(Betz 1949:27)
1.1 Klassifizierung nach Betz
(vgl. Betz 1949:27)
- Oberbegriff Lehnprägung, weitere Unterteilung in 4 Hauptgruppen, die die verschiedenen
Formen der IE zusammenfassen
Lehnprägung:
a) Lehnbedeutung
b) Lehnwendung
c) Lehnsyntax
d) Lehnbildung
d.1) Lehnformung d.2) Lehnschöpfung
d.1.1) Lehnübersetzung d.1.2) Lehnübertragung
a) Lehnbedeutung
- Annahme einer oder mehrerer neuer Bedeutungen durch ein in der entlehnenden Sprache
schon enthaltenes Lemma (Hasenkamp 1998:86)
z.B. F>D coiffeur (Friseur)>Friseur (vgl. Webseiten freenet-Lexikon)
Erkl. Das im Deutschen bereits enthaltenen frisé (lockig) erhält eine neue
Bedeutung.
b) Lehnwendung
- Gruppe von Lehnwörtern, die fremdartige idiomatische Wendungen nachbilden
z.B. F>D faire la cour à quelqu´un>jmd. den Hof machen
(Duden:367f., Betz 1965:27)
c) Lehnsyntax, - morphologie
- Entlehnung syntaktischer Konstruktionen (vgl. Martins 1970:14), selten zu finden, schwer als
Entlehnung zu belegen
- im Deutschen z.B. Ausbau u. Voranstellung von erweiterten Attributgruppen vor das Subjekt;
doppelter Akkusativ
z.B. L>D Noch fühl ich mich denselben, der ich war. (Betz 1949)
Erkl. Schillers doppelter Akkusativ als Anlehnung an das Lateinische
Z.B. L>D Fischer, Seufzer (Wildgen 1987:15)
Erkl. Lehnmorphologie: Suffix -arius aus dem Mittellateinischen zu heute -er
d) Lehnbildung
- Neubildung eines Wortes auf dem Material der eigenen Sprache in Anlehnung an
sprachkontaktliche Vorbilder, vollständiger, teilweiser oder kein Bezug auf das fremde Vorbild;
danach 2 Untergruppen, d.1) und d.2)
d.1) Lehnformung
- das neue Wort lehnt sich an das fremdsprachliche Wort an
Unterteilung dieser Gruppe nach Betz in d.1.1 Lehnübersetzung und d.1.2 Lehnübertragung
d.2) Lehnschöpfung
- Neuschöpfung für dasselbe Konzept einer entlehnenden Sprache, für das in der
Replikasprache noch keine Entsprechnung existiert
- keine Gemeinsamkeiten auf der Morphemebene
Z.B. F>D milieu>Umwelt; automobile>Kraftwagen (Betz 1965:27)
d.1.1) Lehnübersetzung
- jedes einzelne Morphem wird übersetzt
z.B. F>D façon de parler>Redensart (Betz 1965:27)
z.B. D>F Volksetymologie>étymologie populaire (Hasenkamp 1998:84)
d.1.2) Lehnübertragung
- ein Teil des Wortes wird genau übersetzt, der andere Teil übertragen
z.B. D>F Ablaut>déflexion; Lautverschiebung>mutation des consonnes
(Hasenkamp1998:85)
2. Mögliche korpuslinguistische Fragestellungen
4. Erfahrungen mit digitalen Korpora zur Überprüfung von Belegen
2.1. Überprüfung vorhandener Belege
4.1 Auswahl geeigneter diachroner digitaler Korpora (Fragestellung 3.1)
(vgl. Lüdeling 2004)
a) Motivation
- Erweiterung und Optimierung traditioneller Methoden der Etymologie durch den Einsatz
von EDV
- freier Zugang zu belegrelevanten Sprachdaten, Transparenz etymologischer
Argumentationen
- Steigerung der Genauigkeit bei statistischer Lehnzeitraumbestimmung
- Etablierung von Forschungsstandards
a) TITUS:
b) MHDBDB:
Texte vorwiegend aus Frühzuständen der indoeuropäischer Sprachen
Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank, morphologischkonzeptuell annotiert und lemmatisiert
4.2 Eingabe ins Korpus
- die folgenden Lemmata wurden nacheinander in das Korpus eingegeben:
b) Methode
- vorhandene Ergebnisse von IE-Untersuchungen in Wortlisten zusammenfassen, um sie
dann in geeigneten Korpora zu suchen
a) MHD: ros
b) MHD: knappe
c) MHD: walopieren
2.2 Auffindung noch nicht belegter Innerer Entlehnungen
4.3 Suchergebnisse für unsere Beispiele (vgl. Moursli 2001, Betz 1965)
a) Motivation
- neue Ergebnisse als Beiträge zur Sprachkontaktforschung und Etymologie
- kritische Bewertung des Systems der Sprachstammbäume
- Entwicklung neuer, durchsuchbarer digitaler Korpora für unterschiedliche linguistische
Fragestellungen
- Optimierung von linguistischen Modellen bezüglich AE und IE
b) Methode
- diachrone Textsammlungen für einzelne Sprachkontaktsituationen
- Annotation digitaler Korpora auf IE und Komposita (zur Zeit kaum möglich)
- Berücksichtigung der spezifischen morphologischen Struktur von IE in der Annotation, im
Deutschen z.B. ungewöhnliche Kopfpositionen (Linksstellung, Doppelköpfigkeit)
2.3 Untersuchung des semantischen Wandels von IE
a) Motivation
- Evidenzen für unterschiedliche, v.a. diachrone sprachwissenschaftliche Untersuchungen
schaffen, die sich auf den semantischen Wandel in unterschiedlichen
Sprachkontaktsituationen, Zeiträumen und Kontexten beziehen
z.B. IE F>D avant garde>Vorhut (Moursli 2001:44)
Erkl. Die zunächst strikt militärische Bedeutung wechselt später zu metaphorischem
Gebrauch im Sinn von Innovation.
a) MHD: ros
- in den Texten aus dem Entlehnungsbereich Lemma 4200x gefunden
- im Kontrollbereich taucht das Lemma mit 977x deutlich seltener auf
b) MHD: knappe
- die Entlehnungen aus dem Französischen wurden im MHD meist graphematisch markiert:
chnappe, cnappe, knappe (i. S. v. Junge)
- dies wurde am Beispiel aus dem Text „Frauendienst“ belegt: „Daz sage mir wol gezogen
knabe.“ (Stanza 392) vs. „Sus reit der knappe von mir dran“ (Stanza 101)
- so kann das Zielkonzept durch die Schreibweisen identifiziert werden.
- Vorkommen im Entlehnungsbereich 996x, im Kontrollbereich 229x
c) MHD: walopieren
- Vorkommen des Lemmas im Entlehnungsbereich 14x, im Kontrollbereich 0x
5. Fazit aus der konkreten Arbeit mit Korpora
-
b) Methode
- Kontextüberprüfung in verschiedenen Zeiträumen anhand eines vollständigen diachronen
Korpus des Deutschen
3. Spracheinflüsse auf das Deutsche im historischen Überblick
-
(vgl. Moursli 2001:39-46, Duden 2001)
Zeit
6. – 9. Jh.
12. – 14. Jh.
15. – 16. Jh.
16. – 17. Jh
(700 – 2000
Erstbelege)
17. Jh.-18.
Jh.
19. – 20. Jh.
nach 1945
historischer Hintergrund
Zeit der Christianisierung
höfische Zeit, Rittertum,
altprovenzialischer
Minnesang
Handel
Zeitalter des Humanismus
30-jähriger Krieg; A-la-modeZeit
Sprache
Latein
Französisch: oft über Flandern v.a.
Substantive, seltener Verben
z.B. AF>MNL>D faillir>vælen, velen>fehlen
Einwanderung der
Hugenotten, Französischer
Hof unter Ludwig XIV,
Bildung, Kunst/Wissenschaft
industrielle Revolution,
Arbeiterbewegung,
technischer Fortschritt,
1. und 2. Weltkrieg
Nachkriegszeit
Französisch:
z.B. IE F>D avant-garde>Vorhut; homme
d’affaire>Geschäftsmann;
parapluie>Regenschirm; bel esprit> Schöngeist
Englisch, Fremdwörter mit lateinischen und
griechischen Wortstämmen
(Internationalismen), Französisch:
z.B. AE F>D Parterre>Etage
Englisch (Amerikanisch)
Latein, Griechisch, Italienisch
Italienisch, Französisch:
z.B. IE F>D grand-mère>Großmutter
3.1 Gründe für deutsch-französische Transferenz
- Vorbild des Französischen für Philosophie, Lebens- und Kochkunst, Mode
- Vorbild des Deutschen für Militärwesen, Wissenschaft und Technik
IE oft nicht erkennbar, z.T. parallele Entwicklung identischer Strukturen, Beispielfindung für
IE schwierig (außer bei Neueinführung eines Terminus - z.B. bei technischen Erfindungen,
Entwicklung sprachwissenschaftlicher Terminologie als Ableitung aus dem Deutschen)
Abgrenzung von IE aus dem Lateinischen von IE aus dem Französischen, Einfluss des
Mittelniederländischen
wenige diachrone Korpora vorhanden, deshalb für zeitlich zurück liegende Epochen des
deutsch-französischen Sprachkontakts Evidenz für IE oft nicht gegeben
ungenügende Digitalisierung/Annotation der wenigen existierenden Korpora auf IE
unsere Suchergebnisse bestätigen die Beispiele von Betz, Moursli und vermitteln eine
Vorstellung von den potentiellen Möglichkeiten korpusgestützter Belegarbeit und der
diachronen Linguistik, Vergleiche der Vorkommenszahlen von Zielwörtern sagen nicht aus,
ob es sich um IE handelt, dies ließ sich für uns im Moment nur über die Arbeit mit
Wörterbüchern (französische, deutsche, historische, etymologische) überprüfen, wobei
diese Quellen nicht als absolut sicher einzustufen sind.
Basis für aussagefähige Untersuchungen der IE in der Perspektive:
-
-
intensive Beschäftigung mit Sprachkontakt, Überprüfung von Sprachstammbäumen
Untersuchung von Zielwörtern in Texten vor dem Entlehnungszeitraum, d.h.
Digitalisierung/Annotation diachroner Textdokumente, bzw. Annotation vorhandener
Korpora, z.B. mit TASX u. Exmaralda, zur Zeit Aufbau des viel versprechenden Korpus
DeutschDiachronDigital
Vereinheitlichung der Klassifizierungsmodelle von IE
Quellenangaben
Literatur:
Diccionario Visual (1996) Español, Inglés, Francés, Alemán. Oxford University Press.
Madrid.
Dictionnaire (2004) Économique, commercial & financier. Pocket, Paris.
Dictionnaire Français-Allemand (1975) Collection Mars Larousse, Paris.
Duden (2001) Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache. Dudenverlag,
Mannheim.
Hasenkamp, W. (1998) Deutsche Entlehnungen im Französischen. Kovač, Hamburg.
Bäcker, N. (1975) Probleme des inneren Lehnguts dargestellt an den Anglizismen der
französischen Sportsprache. Narr, Tübingen.
Betz, W. (1949/1965) Deutsch und Lateinisch. Die Lehnbildung der althochdeutschen
Benediktinerregel. Bouvier, Bonn.
Schuhmann, K. (1965) Zur Typologie und Gliederung der Lehnprägung. IN:
ZslavPhil 32, 61-90
Moursli, R. (2001) Deutsch im Sprachkontakt mit Französisch. Die blaue Eule, Essen.
Clyne, M. (1975) Forschungsbericht-Sprachkontakt. Scriptor, Kronberg.
Martins, E. (1970) Studien zu Fragen der linguistischen Interferenz. Wiskell,
Stockholm.
Thierfelder, F. (1956) Die deutsche Sprache im Ausland. Bd. 1. Decker's, Hamburg.
Weinreich, U. (1977) Sprachen in Kontakt. Beck, München.
© 2005 Buettenbender, L., Solod, A., Grantyn, I.
Kopora:
Gippert, J. & Korn, A. (1987) TITUS. Institut für vergleichende Sprachwissenschaft, Uni
Frankfurt. www.titus.uni-frankfurt.de
Springeth, M. (1992) MHDBDB. Christian-Albrecht-Universität Kiel, Bowling Green State
University, Paris-Lodron-Universität Salzburg. www.mhdbdb.sbg.ac.at,
Lüdeling, A. DeutschDiachronDigital (?) Laufendes Projekt. Humboldt-Universität zu
Berlin. www.linguistik.hu-berlin.designato.de/ddd/
Internetseiten/Internetlexika:
Internetseiten Freenet
http://lexikon.freenet.de/Lehnwort
Internetseiten Metando
www.metando.de/lexikon_Lehnwort.html
Internetseiten Europaeum
http://www.examen-europaeum.com/EEE/EEE2003/08FremdundLehnwoerter.htm
Lüdeling, A. et al.(2004) Eine vergleichende Analyse von historischen und diachronen
digitalen Korpora. Berlin.
http://www.informatik.hu-berlin.de/wbi/publications/index.html