Was heißt hier unsinkbar?

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Was heißt hier unsinkbar?
Technik-Themen
Was heißt hier unsinkbar?
Als Verkaufsargument ist die Unsinkbarkeit eines Bootes unschlagbar. Doch
was verbirgt sich tatsächlich hinter diesem dehnbaren Begriff?
Das ist doch klar, werden Sie sagen, ein unsinkbares
Boot kann nicht untergehen. Doch diese Definition ist
durchaus dehnbar, wie man der entsprechenden
Fachliteratur entnehmen kann. Dort streiten sich die
Gelehrten, ob ein Boot schon unsinkbar ist, wenn es
nach einem Wassereinbruch nur an der Oberfläche
bleibt, oder ob das Boot in einer stabilen
Schwimmlage bleiben muss, so dass die Besatzung
ohne akute Lebensgefahr an Bord bleiben kann.
Dieses Boot ist trotz
Eindeutige Regelungen fanden wir in den
Wassereinbruch nicht gesunken.
Von echter "Unsinkbarkeit" kann französischen Bootsbau-Bestimmungen. In unserem
Nachbarland beschäftigt man sich schon seit Jahren
jedoch keine Rede sein.
mit dem Thema Unsinkbarkeit. Demnach gilt ein Boot
als unsinkbar, wenn es vollständig geflutet in der normalen Schwimmlage (waagerecht) bleibt
und zusätzlich die maximal für dies Boot zulässige Personenzahl tragen kann. Darüber hinaus
darf das Boot nicht kentern, auch wenn sich alle Personen auf einer Bootsseite befinden.
Nimmt man die französischen Bestimmungen zum Maßstab, gibt es nur wenige Boote, die
zweifellos als unsinkbar gelten können. Zu den bekannten Werften die solche Boote bauen
gehören Boston Whaler, Kelt, Terhi und ACM.
Unsinkbar, aber wie?
Je nach Werft, setzt man heute verschiedene Techniken ein, um ein Boot unsinkbar zu
machen. Die gängigste Art ist das Hochdruck-Ausschäumen von Rumpf-Hohlräumen. Bei
Boston Whaler und Terhi besteht der Rumpf beispielweise aus zwei Schalen, der Außen- und
der Innen-Schale, deren Zwischenraum mit Schaum gefüllt wird. Neben dem Auftrieb hat
diese Technik den Vorteil, dass man eine hohe Rumpf-Steifigkeit erreicht.
Um die genannten Unsinkbarkeits-Kriterien zu erfüllen, ist allerdings Voraussetzung, dass der
Schaum nicht nur im Rumpfboden, sondern zusätzlich auch in den Rumpfseiten eingebracht
wird, um die nötige Seitenstabilität zu erreichen. Dies ist auch der Grund, warum andere
Bootsfabrikate wie beispielsweise die italienischen Rio-Boote trotz Ausschäumung nach
französischer Norm nicht als unsinkbar gelten. Bei diesen Booten wird der Bootsboden
ausgeschäumt. Im Ernstfall würde eine Rio zwar nicht untergehen, eine stabile Schwimmlage
ist jedoch nicht in jedem Fall gewährleistet.
Einen anderen Weg beschreitet die französische ACM-Werft. Hier wird der Rumpf nicht
ausgeschäumt, sondern besteht aus einem kunststoffummantelten Balsaholz-Kern. Auch diese
Konstruktion soll das Boot unsinkbar machen und für gute Stabilität sorgen. Weiterhin bringt
der leichte Balsaholzkern laut Werftaussage eine gute Wärme- und Schallisolation, die
speziell bei bewohnbaren Kajütbooten von Vorteil ist. In der Herstellung ist dieses Verfahren
aufwendig und deshalb im Vergleich zum herkömmlichen Kunststoff-Bootsbau mit
glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) recht teuer.
Neben den beiden beschriebenen Verfahren gibt es noch weitere Möglichkeiten, ein Boot
unsinkbar zu machen. Da sie in der Sportboot-Praxis eher selten zum Einsatz kommen, seien
sie hier nur der Vollständigkeit halber genannt:
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Unterteilung des Bootes
verschiedene wasserdicht verschließbare Sektionen (Schotts).
Anordnung von Luftkästen.
per Pressluft aufblasbare Schlauchkörper.
Anbringung fester Schaumstoff- oder Styropor-Blöcke.
Nachträglich unsinkbar?
Oft fragen uns Leser, ob und wie man ein Boot nachträglich unsinkbar machen kann.
Theoretisch ist dies, zumindest für kleinere Boote bis etwa 5 m Länge, durchaus möglich. In
der Praxis steht der dazu notwendige Aufwand jedoch in keinem vertretbaren Verhältnis zum
Nutzen. Weil man einen konventionell gefertigten Rumpf nicht nachträglich ausschäumen
kann, kommen nur andere Hohlräume wie beispielsweise Schwalbennester oder Backskisten
in Betracht. Um genügend Auftrieb zu erzeugen, müsste man jedoch schon bei einem
Kleinboot von etwa 4 m Länge alle verfügbaren Stauräume inklusive des Bugstauraumes
ausschäumen, um das Boot im Schadensfall an der Wasseroberfläche zu halten. Damit ist die
nötige Seitenstabilität aber immer noch nicht erreicht. Weiterhin findet man kaum geeignete
Schäume. Herkömmlicher Bauschaum ist für diese Zwecke ungeeignet, weil er mit der Zeit
Wasser zieht und deshalb genau das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich erreichen
will. Nicht ohne Grund hält Boston Whaler das Rezept seines wasserabweisenden
Spezialschaumes streng geheim.
Lohnt der Aufpreis?
Vergleicht man die Preise unsinkbarer Boote mit denen ihrer konventionell gefertigten
Kollegen, findet man deutliche Preisunterschiede. Bei gleicher Größe und Ausrüstung muss
man für ein unsinkbares Boot, je nach Werft, fast den doppelten Preis bezahlen. Ob dieser
Aufpreis lohnt, richtet sich danach, was Ihnen Ihre Sicherheit wert ist.
Realistisch betrachtet, sollte man die Entscheidung unter anderem auch vom bevorzugten
Fahrtgebiet abhängig machen. Wer überwiegend auf Binnenrevieren unterwegs ist, hat
sicherlich auch ohne ein unsinkbares Boot bessere Rettungschancen als jemand, der
überwiegend Küstengewässer befährt. Auch in dieser Frage lohnt ein Blick auf die strengen
französischen Bestimmungen. Während für herkömmliche Boote ab CE-Kategorie C
(küstennahe Gewässer) Rettungsinseln vorgeschrieben sind, dürfen Eigner unsinkbarer Boote
auch ohne Rettungsinsel die Küstengewässer befahren.
Torsten Moench