Ausgabe 3 / 2009 Fachliche Mitteilungen für fliegende

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Ausgabe 3 / 2009 Fachliche Mitteilungen für fliegende
Flugsicherheit
Ausgabe 3 / 2009
Foto Max G. Feiner • Bildbearbeitung www.schaltwerk.eu
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Bundeswehr
Flugsicherheit
Ausgabe 3 / 2009
Heft 3 September 2009 - 46. Jahrgang
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Flugsicherheit
In this issue:
written by LtCol Paul Sutherland, German Armed Forces Flight Safety Directorate
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
Fly Safe
Major Jochen Drieß, JaboG 31 „Boelcke“ (Fighter Bomber Wing 31)
A highly experienced Tornado Weapons Instructor WSO reflects on ten flight safety lessons-learned that he wishes he could go
back and teach to young transition student pilots. He remembers the „indestructible“ feeling of young jet aviators, and how his
experience in a flight accident with deadly consequences forever changed his safety focus.
Titelfoto: Max G. Feiner
Bildbearbeitung www.schaltwerk.de
Heat
Dr. Andreas Werner, Oberfeldarzt (Chief Doctor)
The physiology of temperature regulation in the human body and its flight safety implications. How should personnel in flight
operations defend themselves against the dangers of heat stress? The influence of clothing, risk-screening and prevention are
considered.
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
Herausgeber:
Luftwaffenamt General Flugsicherheit in der Bundeswehr
The Gift of the Canadian „Sabre“, CL-13
OSFw d. R. (Chief Master Sergeant, retired) Karl Heinz Weiss, German Armed Forces Flight Safety Directorate
The story of the Canadian CL-13 Sabre (Canada‘s licensed version of the USAF F-86) in the Luftwaffe of the 1950s.
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203- 9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
[email protected]
[email protected]
Gestaltung:
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
dreimonatlich
Manuskripteinsendungen
sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt
die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers
dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden
sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind
daher möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Editorial 1
Fly safe
2
Hitze
6
Der geschenkte Säbel
12
Kontrastsehen - Augenärztliche Kompetenz gefragt
17
Learning the hard way ... So ist es mir ergangen
20
Bravo - gut gemacht!
25
Tipps für die Zwischenfalluntersucher
26
Nicht mehr mit mir!
29
Personalien
32
In this issue ...
33
Contrast-Vision: An Ophthalmologist‘s Assessment
Oberstarzt a. D. (Colonel, Doctor) Dr. Hans Brandl, Ophthalmologist and Flight Doctor, and Oberfeldarzt (Chief Doctor) Dr. Jörg
Frischmuth, Ophthalmologist and Flight Doctor, Flight Medicine Institute of the German Air Force, Fürstenfeldbrück
In civilian flying, a pilot‘s Contrast-Vision is not required to be examined for medical clearances. In German military flying, however,
Contrast-Vision evaluation is standard procedure. Are the military eyesight standards too strict? Or should civilian aviation authorities pay more attention to the issue of Contrast-Vision?
There I was ...
Dr. Christoph Wonhas, Flight Medicine Institute of the German Air Force
In May 2008 an Emergency Response Doctor arrives on the scene of a civilian ultralight aircraft accident in southern Germany. The
ultralight had flown into high-tension power lines and the two occupants are dead in the burning wreckage. This story details an
on-scene hazard that is not widely-known: ultralight aircraft are required to have self-protective recovery parachute sytems, so the
burning wreckage, though small and apparently easily contained, also includes explosive charges and pyro!
Tips for Incident Investigation
Oberstleutnant (Lt Col) Jörg Behnke, German Armed Forces Flight Safety Directorate
Peace and quiet can be deceptive. It might mean that all is running smoothly, but it also might mean that complacency (and inattention) is setting in! Does a peaceful and smooth safety record lead us to believe we are indestructible, invincible? Do familiar,
„routine“ safety incidents lead us to let down our guard?
I won‘t be trying that again!
Oberstleutnant (Lt Col) Peter Hatzfeld, German Army Aviation, Bückeburg
A rookie Huey co-pilot, in awe of his crusty old aircraft commander, learns a few CRM lessons as he watches the veteran try to
land in a soupy fog that is below mins!
Editorial
Ich gehe davon aus, dass Sie alle,
erst recht die Flieger, die Artikel jeder
„Flugsicherheit“ stehts gründlich lesen.
Sollte dies jedoch nicht der Fall sein,
so möchte ich Ihre Aufmerksamkeit
in dieser Ausgabe besonders auf den
Beitrag von Major Drieß mit dem Titel
„Fly Safe“ lenken. Der Artikel ist
meines Erachtens in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Nicht nur, dass Major Drieß ihn aus
eigenem Antrieb geschrieben hat,
nicht nur dass es sich um die Sichtweise eines Mannes aus den Reihen
der aktiven Flieger handelt. Vor allem
trifft er nach meiner Einschätzung den
Nagel auf den Kopf, obwohl er „eigentlich nichts Neues“ sagt. Ich schätze,
dennoch wird sich so mancher in dem
vorgehaltenen Spiegel wiederfinden.
Das sollte jeden neugierig machen!
Lassen Sie mich einige Punkte aufgreifen und ergänzen.
Wenn er unter 5. schreibt, dass der
Brauch, vor die Staffel zu treten, um
Happenings zu briefen, so gut wie
ausgestorben ist, dann steht dies zwar
im Widerspruch zu dem, was mir und
meinen Teams bei Inspizierungen als
Lagebild mitgegeben wird. Aber vielleicht wird ja das eine Mal wo es geschieht als so herausragend bewertet,
dass man schon glaubt, den Brauch
reetabliert zu haben.
Wenn er unter 6. anhand eines
wie ich finde prägnanten Beispiels verdeutlicht, wie es nicht ablaufen sollte,
dann stelle ich fest, dass genau diese
Art der Kommunikation mehrfach
in letzter Zeit eine Rolle im Unfallgeschehen gespielt hat und in Berichten
aufgegriffen wurde. Gerade unter
Belastung hilft nur eine klare, präzise
und schnörkellose Kommunikation,
die eingeübt ist. Diese Art des Informationsaustauschs ist kein überholtes
Markenzeichen des Militärs. Wir Flyer,
die es gerne etwas „ungezwungener“
lieben, müssen uns zurückbesinnen.
Zum Schluss schreibt Major Drieß unter 10. von „seinem Lieblingsthema“,
das auch mein Lieblingsthema ist (bei
mir unter dem Oberbegriff „Rolle des
VLF“). Aus meiner Sicht traten Defizite auf diesem Gebiet nie deutlicher
zu Tage als beim Flugunfall TORNADO
in der Schweiz. Es wurde klar, dass
dieses Thema mit Priorität aufzugreifen ist. Mehr als zwei Jahre nach dem
Unfall muss ich von einem Mann aus
den Reihen der Aktiven lesen, dass es
für ihn „ein völliges Rätsel“ ist, warum
bei seinem Piloten HANDELN auf der
Strecke bleibt.
Gerade von einer Inspizierung aus
Holloman zurück, ist der Eindruck,
dass man sich dort bewusst diesem
Thema widmet, noch wach. Also woran liegt es?
Der Autor des Artikels bietet eine
Palette von Gründen an, die alle nicht
von der Hand zu weisen sind. Interessant ist, dass Defizite bei der Rolle
als VLF bei Kampfflugzeugen in der
TORNADO-Community stärker beklagt werden als z. B. auf der F-4F.
Liegt es also auch an Waffensystemspezifischen Aspekten wie Arbeitsaufteilung aufgrund Cockpitdesign und
-ausstattung und damit an der Wertigkeit des TORNADO-WSO abgeleitet
aus der Einsatzrolle?
Ich habe das Thema schon mehrfach in TORNADO-Verbänden angesprochen und z. T. bittere Kritiken von
Seiten der WSO’s für das Aushöhlen
des Crewkonzepts eingesteckt. Sind
gerade junge Frontseater durch erfahrene Backseater verunsichert, nehmen diese ihnen allzu gern die Initiative ab (was aus meiner Sicht mit der
Übernahme von Radiocalls beginnt,
die nicht in den Backseat gehören).
Und ist es zudem nicht bequem, Arbeitspakete nach hinten zu verlagern
(und damit Initiative abzugeben)?
Nebenbei bemerkt, ich habe das
Thema Zuständigkeit für Radiocalls
u. a. einmal mit einem TORNADOKommodore WSO diskutiert und wir
waren uns einig. Später in der Luft
erkannte ich seine Stimme, als er Radiocalls absetzte, die definitiv nicht in
seine Zuständigkeit fielen.
Das alles spricht dafür, sich strikter
an das vorhandene Crewkonzept zu
halten, und wenn hier bewusst belassener Freiraum falsch genutzt wird,
dann gilt es präziser in der Festlegung
zu werden.
Bei aller Vielschichtigkeit des Themas bleibt festzuhalten: Geflogen wird
ein Lfz nur von dem Steuerführenden.
Bleiben wir bei TORNADO und F-4F,
dann ist dort in der Regel der Steuerführende der VLF. Die Initiative, die er
ergreift und behält, ist Grundlage für
eine sichere Flugdurchführung. Andere tragen bei und wie von einem aktiven WSO zu lesen, erwarten, dass
der VLF seiner Verantwortung auch
dem Crewpartner gegenüber, der sich
in seine Hände begibt, gerecht wird.
Das Anerkennen von unterschiedlich
gewichteter Verantwortung hat nichts
mit Aushöhlung des Crewkonzepts zu
tun.
Schmidt
Brigadegeneral
1
Flugsicherheit
Fly safe ...
von Major Jochen Drieß,
JaboG 31 „Boelcke“
Nachdem ich vor Kurzem
die Zeitschrift Flugsicherheit gelesen hatte, fühlte
ich mich motiviert, eine
LoNo zu schreiben. Ich
habe dazu keinen besonderen Anlass, es war eher
ein innerer Drang, der
sich allmählich in mir aufbaute. Meine Intention
ist es, das Fliegen sicherer
und effizienter zu machen. Mit Sicherheit sage
ich Ihnen in diesem Beitrag nichts Neues und Sie
werden vielleicht denken,
das hätten Sie alles schon
gehört, aber vielleicht ist
es doch interessant, dies
aus Sicht eines „aktiven“
Fliegers zu hören.
2
Ich bin seit 1996 WSO auf dem
Flugzeugmuster TORNADO. Mein Bewusstsein gegenüber Flugsicherheit
hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Ich denke, dass man im Alter von
Anfang/Mitte 20 so etwas wie Angst
gar nicht kennt. Man fühlt sich unverwundbar, das Unglück trifft immer
nur die anderen. Dass dies nicht so ist,
musste ich selbst erfahren, als ich an
einem Flugunfall mit tödlichem Ausgang beteiligt war.
Ich besitze die Waffenlehrerberechtigung und war über fünf Jahre
als ÜLB beim FlgAusbZ der Luftwaffe
tätig. Damals war ich selbst noch ein
sehr junger ÜLB. Mit meiner jetzigen
Erfahrung würde ich mir wünschen,
noch einmal dorthin zurück zu kehren,
um in der Fluggruppe A (Grundschulung / WST) zu lehren. Warum gerade
dort? Weil ich glaube, dass der Grundstein für Flugsicherheit spätestens dort
gelegt werden muss.
Bevor ich zu meinem eigentlichen
Anliegen komme, möchte ich noch etwas sagen, was mir einfach auf dem
Herzen liegt.
Es gab schon früher „gute“ und
„schlechte“ Flieger. Diese gibt es heu-
te immer noch. Aber früher hatte ein
„schlechter“ Pilot die Möglichkeit,
durch viele Flugstunden und gewonnene Routine seine Schwächen, jedenfalls innerhalb seiner Möglichkeiten, zu
minimieren. Vor allem konnte er durch
Routine Kapazitäten freisetzen, die er
an anderer Stelle gewinnbringend
einsetzen konnte. Allerdings möchte
ich ganz bestimmt nicht behaupten,
dass einem „guten“ Piloten, wie auch
immer man diesen genau definieren
mag, keine Fehler unterlaufen.
Obwohl ich langjährige Erfahrung
als Flieger habe, stelle ich fest, dass
meine Aufmerksamkeitsverteilung im
Flugzeug variiert, und zwar abhängig
von meiner Kontinuität. Wenn ich nur
wenig zum Fliegen komme, merke
ich, wie sich meine Aufmerksamkeit
kanalisiert. Wenn ich allerdings häufig fliege, kann ich eine Gesamtübersicht während des Fluges halten. Das
ist vielleicht zu vergleichen mit dem
Blick durch einen Strohhalm und dem
Blickfeld eines Vogels. Wenn ich durch
den Strohhalm schaue, sehe ich all
die Dinge nicht, die um mich herum
geschehen. Ich realisiere in so einem
Moment meine eingeschränkte Auf-
Bild: Herr Grenzmeier, IMZBw
merksamkeit, kann sie aber in diesem
Moment nicht abstellen. Danach ärgere ich mich über mich selbst und
frage mich, wie es dann erst einem
jungen, unerfahrenen Mann in so einer Situation geht? Wie kann es sein,
dass ein junger Mann zum TSO umgeschult wird, der noch nicht einmal sein
eigenes Flugzeugmuster beherrscht?
Wegfall von Flugstunden und zusätzlich Belastung durch Nebenaufgaben
sind Vorgaben, die ich nicht bewerten
kann, aber es tut weh, so etwas mit
ansehen zu müssen.
Nun aber zu meinem eigentlichen
Anliegen. Wie kann man das Fliegen
sicherer und effizienter machen? Wie
gesagt, erwarten Sie nichts Neues,
dies sind einfach nur Erfahrungswerte,
die ich im Laufe der Jahre gesammelt
habe. Ein erfolgreicher Flug beginnt
bereits am Boden. Deshalb befasse ich
mich bei den ersten drei Punkten mit
der Flugvorbereitung:
denn dafür ist keine Zeit. Den Flug
gedanklich kurz „durchzufliegen“
und Schlüsselstellen zu identifizieren,
das ist hier der Punkt. Schlüsselstellen
können Flugabschnitte sein, bei denen
die Arbeitsbelastung besonders hoch
ist, sicherheitsrelevante Aspekte bei
Luftkampfübungen oder einfach Momente im Flug, die unsere besondere
Aufmerksamkeit fordern. Wenn ich
mir bereits am Boden dieser Schlüsselstellen bewusst bin, werde ich in der
Luft davon nicht überrascht.
1. Was will ich in diesem Flug erreichen /
„Objectives“
Kürzlich erst wurde ich noch gefragt, warum wir Waffenlehrer einen
solchen Schwerpunkt auf „Objectives“
setzten. Ich teile nicht die Ansicht, „Objectives“ seien hauptsächlich dafür da,
dass ich nach dem Flug bewerten kann,
ob die Mission gut verlaufen ist oder
nicht. Die „Objectives“ reflektieren die
Schwerpunkte, die ich mir für diesen
Flug setze. Was will ich erreichen, was
will ich trainieren? Ich muss mir vor
dem Flug bewusst machen, was mein
Auftrag ist und wer in der Formation
mitfliegt. Danach entscheide ich mich,
wie ich die Schwerpunkte setze. Das
alles spiegelt sich in den „Objectives“
wieder. Diese Erkenntnis zieht sich
dann wie ein roter Faden durch Flugvorbereitung, „Briefing“, Flug und
„Debriefing“.
3.„Aircraft Commander Briefing“
Meist bezieht sich das „Aircraft Commanders Briefing“ nur auf das Abarbeiten möglicher Notsituationen. Dabei
könnte dies durchaus sinnvoll weiter
ausgebaut werden. Oft hört man dann
„Wie immer“ oder „Standard“.Es ist ja
gut, dass es Standards gibt, auf die
man sich stützen kann. Aber ich fordere die VLFs und natürlich auch die
WSOs dazu auf, sich mehr Gedanken
über das „Crewbriefing“zu machen.
Schon vor dem Flug kann ich genau
festlegen, wie ich die Arbeitsteilung
im Cockpit vornehmen möchte. Dabei beleuchte ich genau die Punkte,
die ich zuvor als Schlüsselstellen identifiziert habe. Wenn dies zuvor in der
Crew besprochen wurde, weiß ich
genau, was ich zu tun habe, aber ich
weiß auch ganz genau, was ich von
meinem Crewpartner erwarten kann.
Sollten hier Differenzen oder unterschiedliche Meinungen bestehen,
kann ich diese schon am Boden klären
und es entstehen in der Luft keine
Verwirrungen oder Missverständnisse.
Auch ermöglicht mir dies, meinen Crewpartner besser zu „monitoren“, da ich
jetzt rechtzeitig erkennen kann, wo er
vom eigentlich Plan abweicht. Dies
macht das Arbeiten im Cockpit effizienter.
2. „Chair Fly“
Damit ist an dieser Stelle nicht das
„Chair Flying“, wie wir Flieger dies aus
unserer Ausbildung kennen, gemeint,
4. „Never say never“
Man muss das Bewusstsein schaffen,
dass alles, was wir über Flugunfälle lesen, auch uns selbst passieren kann.
Ich musste diese Erfahrung schon
sehr früh machen, als ich einmal noch
während meiner Ausbildung vom TWR
bei einem Endanflug darauf aufmerksam gemacht wurde, dass das Fahrwerk noch nicht ausgefahren war.
Weder mein Fluglehrer noch ich waren
sich zu diesem Zeitpunkt dessen bewusst.
Nach dem Flug stellten wir diesen
Zwischenfall in der Staffel vor und mein
Fluglehrer schloss mit den Worten:
„There are the ones who have and the
ones who will“. Das ist ein Satz der
sich bei mir eingeprägt hat und ich
füge hinzu: „Never say never“.
5.Teile deine Erfahrungen und deine
Fehler mit deinen Kameraden
Dieser Brauch, nämlich vor die Staffel
zu treten und zu sagen: „Listen what
happened to me“, ist so gut wie ausgestorben. Meine persönliche Einschätzung dafür ist, dass die Crews
befürchten, Konsequenzen für ihr
Fehlverhalten zu erfahren.
Es sind nicht nur die „dicken Dinger“ die einem passieren, sondern gerade jetzt, wo wir immer weniger zum
Fliegen kommen, schleichen sich auch
„kleine“ Fehler ein. Meist werden diese noch rechtzeitig bemerkt oder haben keine Konsequenzen zur Folge.
Ich fliege ein zweisitziges Flugzeug,
in dem eine gute „Crew Coordination“ unbedingt erforderlich ist, um das
Waffensystem möglichst effektiv zu
nutzen. Die nun folgenden Punkte haben hauptsächlich etwas mit Disziplin
zu tun.
6. Erst Aussprechen, wenn es auch ausgeführt und bestätigt wurde
Hierzu möchte ich ein Beispiel bringen: Ich achte bereits am Boden darauf, wie mein Pilot reagiert, wenn
ich ihm „Checks“ vorlese. Wenn ich
„Flaps“ ankündige, erhalte ich oft unmittelbar darauf die Antwort „Mid“,
obwohl ich beim Herausschauen (im
hinteren Cockpit des Tornados gibt
es keine Konfigurationsanzeige) sehe,
3
Flugsicherheit
Bild: Herr Grenzmeier, IMZBw
dass die Klappen noch nicht gefahren
sind bzw. sich noch in Bewegung finden und die eigentliche Mid-Position
noch nicht erreicht wurde. Wenn ich
die Antwort „Mid“ erhalte, dann gehe
ich davon aus, dass diese Position bereits erreicht wurde und der Pilot diese
Stellung auf der Konfigurationsanzeige überprüft hat.
Am Boden mag dies noch kein Faktor sein und die Klappen fahren auch
kurz danach in die angesprochene
Position, aber wie sieht es in einer
Stress-situation aus? Ich frage meinen „Crew-member“, er meldet mir
unmittelbar mit der Absicht, dies zu
tun, vergisst es aber dann, weil er abgelenkt ist. Ich habe aber im anderen
Cockpit nicht die Möglichkeit, dies zu
überprüfen und verlasse mich daher
auf die falsche Aussage.
Wenn man die richtige Vorgehensweise, nämlich erst dann etwas
aussprechen, wenn es auch wirklich
ausgeführt und bestätigt wurde, nicht
4
verinnerlicht, wird es schwer sein, sie
unter Belastung auch so anzuwenden.
7. Verbalisieren
Es gibt bestimmte „Checks“, bei
denen ich mich „zwinge“, sie zu verbalisieren. Ich denke, es macht einen
Unterschied, ob gewisse Punkte einfach nur mental abgearbeitet oder
tatsächlich ausgesprochen werden.
Inwieweit dies in einem einsitzigen
Flugzeug sinnvoll ist, kann ich nicht
beurteilen, aber in einem zweisitzigen
Flugzeug ist dies gleichzeitig eine
Rückmeldung an den Crewpartner,
dass diese „Checks“ ebenfalls überprüft und durchgeführt wurden.
So sage ich, unabhängig von den
schon bereits abgearbeiteten „Crewchecklist“- Punkten, vor dem Herausrollen aus dem „Shelter“: „Tore ganz
offen, Flügel hinten, nichts im Weg“.
Oder unmittelbar vor der Landung:
„Gear down, 3 green, Flaps Mid/
Down, Brakes, Low Light, SPILS, Clearance“. Wie oft ist es schon passiert,
obwohl vermeindlich alle Punkte in der
Checkliste abgearbeitet wurden, dass
beim Aussprechen dieses Satzes auf
einmal auffällt, dass die SPILS-Lampe
noch fehlt.
Ich sage jetzt nicht, dass jeder diese
Sätze aufsagen soll. Ich sage nur, dass
oft nur dann etwas auffällt, wenn es
auch tatsächlich ausgesprochen wird.
Während der WST-Ausbildung in
Holloman habe ich mir während des
„Touch and Go’s“ von meinem Flugschüler immer sagen lassen „Two
good Engines“. Das hat folgenden
Hintergrund: Dies war Bestandteil
meines „Crewcoordination Briefings“
(Punkt 3), da ich im hinteren Cockpit keine Triebswerkanzeigen habe.
Ich kann mich an einen Fall erinnern,
als der Flugschüler schon sagte „Two
good ...“, seinen Satz plötzlich abbrach und dagegen fortfuhr mit „Aborting“. Beim Aussprechen von „Two
good“ überprüfte er die Triebwerksdaten und stellte dabei fest, dass ein
Triebwerk in Leerlaufstellung blieb,
obwohl die Leistungshebel nach vorne
geführt wurden. Zugrunde lag ein
Fehler beim Hauptkrafstoffregler; das
Flugzeug konnte in diesem Fall jedoch
sicher zum Stillstand gebracht werden.
8. Nicht „quatschen“ / „Wording“
Wenn ich mir nach dem Flug das
eine oder andere Tape anschaue und
vor allem auch anhöre, stellen sich mir
die Nackenhaare auf. Da schließe ich
meine Tapes nicht aus. Damit meine
ich vor allem zwei Punkte.
Erstens: Ich bin kein Freund von
Geschichtenerzählen im Cockpit. Wir
haben vor und nach dem Flug ausreichend Zeit dazu, uns zu erzählen, was
am letzten Wochenende passiert ist.
Wenn ich im Cockpit etwas sage, soll
mein Pilot auch hinhören und wissen,
das es wichtig ist. Er soll nicht schon
die Ohren zu haben, weil ich ihn die
ganze Zeit mit unwichtigen Informationen überhäuft habe.
Zweitens: „Wording“. Ist es denn
z. B. so schwer „tally“ anstatt „visual“
zu sagen? Oder umgekehrt? Anscheinend schon. Das ist aber nur ein ganz
einfaches Beispiel. Wir müssen besser
darauf achten, wie wir uns im Cockpit
ausdrücken. Es gibt Standardausdrücke, die das Leben so viel einfacher
machen.
9. Abweichen vom „Habit Pattern“
Vorsicht!!! Aufgrund äußerer Umstände können wir schon einmal
gezwungen werden, von unserer
gewohnten Abfolge, unserem sogenannten „Habit Pattern“, abzuweichen. Da geht bei mir sofort die
Alarmlampe an. Wie schnell passiert
es dann, dass etwas vergessen wird.
Denn zum gegebenen Zeitpunkt wären die „Checks“ normalerweise schon
längst gemacht worden. Ich stelle mir
dann oft mein dunkles Visier halb ins
Gesicht, sodass ich ständig daran erinnert werde, bis alles wieder seinen
gewohnten Lauf geht.
Beispiel: Alle „Checks“ im „Shelter“ wurden schon erledigt und man
ist fertig zum Rollen. Plötzlich fällt
der Wartungscrew ein, dass noch ein
CSAS Bite gemacht werden muss.
Dazu wurden die Flügel wieder nach
vorne auf Stellung 25 Grad gebracht.
Der Bite fährt durch, keine Fehler, alles
in Ordnung. Jetzt endlich kann man
los, vergisst aber die Flügel wieder
nach hinten auf 45 Gradstellung zurück zu nehmen und bleibt dann mit
den Flügelspitzen am Tor hängen.
Hier hätten folgende zwei Mechanismen zur Gefahrenabwendung gegriffen:
- Verbalisieren (Tore ganz offen, Flügel hinten, nichts im Weg),
- Vorsicht bei Abweichung vom „Habit
Pattern“.
Schwierigkeiten, besonders in Stresssituationen, Folgendes umzusetzen:
- Fehler / Missstand erkennen!
- Abwägen der möglichen Optionen
zur Behebung, oder zumindest Verbesserung der Situation!
- Entscheidung für eine Option und
HANDELN!
- (Kontrolle)!
Ich weiß nicht woran es liegt, aber
ich muss feststellen, dass die Handlung viel zu häufig ausbleibt. Es ist mir
ein Rätsel, warum. Selbst wenn ich
meinen Piloten über den Missstand in
Kenntnis setze (ohne dabei „directive“
zu sein), bleibt die notwendige Handlung aus. Ich weiß also, dass der Fehler
erkannt wurde, aber es wird nichts geändert. Warum?
Grundsätzlich darf ich im Flugzeug
nie zufrieden sein. „Crosscheck“,
rausschauen, vorausdenken, immer
aktiv bleiben. Never be happy! Leider,
so scheint es mir, stellt sich diese „Zufriedenheit“ aber viel zu schnell ein
und es besteht kein Verlangen, Dinge
zu ändern.
Wie gesagt, dies alles sind keine
neuen Erkenntnisse, aber warum treten diese Probleme in jüngster Vergangenheit immer häufiger auf?
Hier ist meine ganz persönliche Einschätzung dazu, ohne diese im Detail
auszuführen:
- Ausbildung,
- zu wenig Flugstunden und mangelnde Kontinuität,
- zusätzliche Belastung durch immer
mehr Nebenaufgaben,
- die Komplexität der Flüge nimmt
zu, aber die Technologie der Flugzeuge ist nicht mitgewachsen und
- die angespannte Personalsituation.
10. Dreisprung (Viersprung)
Zum Schluss mein Lieblingsthema.
In der Vergangenheit habe ich festgestellt, dass dies immer mehr zum Problem wird. Gerade junge Leute haben
5
Flugsicherheit
Hitze
von Dr. Andreas Werner, Oberfeldarzt
Kasuistik: Ein Hauptmann der US Marines
wurde schuldig gesprochen, da er ein Pflichtversäumnis bei einem
Soldaten begangen
hatte, der unter seinem
Kommando stand. Er
wurde verurteilt, weil
der 21- jährige Soldat
nach einem Marsch über
12,8 km zusammenbrach
und verstarb. Er hatte in
North Carolina an einem
Nachtmarsch teilgenommen, die Temperatur
betrug 26,7° C, und er
trug seine gesamte Ausrüstung mit sich.
Am ersten Haltepunkt
erbrach sich der Soldat
und auf dem weiteren
Marsch äußerte er
wiederholt, dass er es
nicht schaffen würde,
dennoch wurde er immer wieder in die
Gruppe zurückbeordert.
6
Physiologie des Wärmehaushalts und der
Temperaturregulation des Menschen in extremen
Umwelten und operationelle Konsequenzen
für den militärischen Einsatz
Aus der Abteilung Flugphysiologie des Flugmedizinischen Institutes der
Luftwaffe (Leiter: OTA Dr. Brix) und dem Zentrum für Weltraummedizin Berlin,
Institut für Physiologie Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin
Franklin (Leiter: Prof. Dr. Gunga)
Bild: Frau Elbern, IMZBw
Nach dem Marsch wurde der junge
Soldat zunehmend teilnahmslos und
hatte eine verwaschene Sprache. Er
hatte sich keinem Arzt vorgestellt, seine
Leiche wurde zwei Stunden später gefunden. Der Grund für die Verurteilung
des Hauptmanns als Verantwortlicher
für den Soldaten war das zu schnelle
Tempo beim Marsch mit nur wenigen
Pausen. Mehrere Marschteilnehmer
berichteten über starke Hitze-belastungen. Bei drei untersuchten Soldaten wurde eine Körperkerntemperatur
von ≈ 39,4° C festgestellt. Die Staatsanwaltschaft konnte nachweisen,
dass die üblichen Vorgehensweisen
bei der Durchführung von Märschen
ungeachtet blieben, es wurden die
Regeln für erfahrene Soldaten bei den
ungeübten angewendet, und außerdem wurden die Fürsorgepflichten und
die Signale der Soldaten missachtet.
Einleitung: Hitzestress ist ein signifikanter Faktor für viele militärische Aktivitäten und führte sowohl in der Vergangenheit, aber auch heute noch zu
vielen Problemen. Die Gefahr der Verluste durch Hitze hat nicht nur in der
deutschen, sondern auch in vielen anderen Armeen einen hohen Stellenwert. Im 2. Weltkrieg hat dieses Problem
zu hohen Verlusten geführt. Aufgrund
zunehmender Einsätze in Regionen mit
extremen klimatischen Bedingungen ist
die Hitzebelastung ein wichtiger zu betrachtender Faktor bei der Durchhaltefähigkeit von Soldaten und des Personals von z. B. Hilfsorganisationen, die
mit derartigen extremen Belastungen
konfrontiert sind. Sowohl die Verhältnisse in wüstenähnlichen Regionen
(heiß und trocken) als auch die tropischen Klimate (warm und feucht) stellen eine große Herausforderung an den
Menschen dar, sodass eine adäquate
Vorbereitung gefördert werden muss.
Nicht nur in den Einsatzländen, sondern
auch in manchen Ausbildungsstätten
herrschen derartige Bedingungen und
nicht zuletzt aber auch in Deutschland
mit den zunehmenden Temperaturen
in den Sommermonaten.
Hitzebelastung hat ein breites Spektrum von Effekten. Der Hitzschlag ist
einer ernsthaften Verwundung gleichzusetzen. Er kann eine Person für
längere Zeit außer Gefecht setzen oder
sogar einen tödlichen Ausgang haben.
Im Gegensatz hierzu sind Hitzeerschöpfung und vergleichbare Symptome meist nur ein temporärer Zustand. Diese werden zumeist nicht
dokumentiert, weil die Symptome
(Kopfschmerz, Ermüdung etc.) mit anderen Befindlichkeitsstörungen in Verbindung gebracht werden.
Begriffserklärungen: Der Mensch
gehört zu den gleichwarmen Organismen, die nicht von der Umgebungstemperatur abhängig sind. Der
Mensch benötigt im Körperkern eine
relativ konstante Körpertemperatur
zwischen 36,4 und 37,4° C. Abweichungen dieser Temperatur können
nur in einem sehr geringen Schwankungsbereich toleriert werden. Unter
Ruhebedingungen bei moderater Außentemperatur überwiegen die Wärmeverluste durch Strahlung. In warmer
Umgebung oder bei starker Wärmebildung (körperliche Arbeit) muss der
Körper überschüssige Wärme an die
Umgebung abführen, hierbei ist der
Organismus auf die Verdunstung von
Schweiß angewiesen. Bekleidung stellt
aus Sicht der Temperaturregulation einen Widerstand für die Wärmeabgabe
dar.
Man unterscheidet die thermische
Neutralzone von der Indifferenztemperatur. In der erst genannten wird eine
ausgeglichene Wärmebilanz durch
Anpassung der Hautdurchblutung erzielt. Parameter wie Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit,
Strahlungstemperaturen und Bekleidung beeinflussen dieses „Mikroklima“. Die Indifferenztemperatur ist
ein Temperaturbereich, der als behaglich empfunden wird. Unter Grundumsatzbedingungen, also für den
gesunden, unbekleideten, liegenden und ruhenden Erwachsenen,
bei einer relativen Luftfeuchtigkeit
von 50 % und nahezu unbewegter
Luft (Windgeschwindigkeit 0,1 m/s)
entspricht das einer Lufttemperatur von ca. 27 - 31° C. Eine Körperkerntemperatur über 37,5° C (Gehirn
und Leber) wird als Hyperthermie (Fieber) bezeichnet. Die Verhältnisse von
Körperkern zu Körperschale sind nicht
konstant. Muss vermehrt Wärme abgeführt werden (schwere körperliche Arbeit), dehnt sich der Körperkern bis fast
unter die Haut aus. Muss hingegen die
Wärmeabgabe vermindert werden,
vergrößert sich der Anteil der Körperschale. Unter Ruhebedingungen hat
das Gehirn einen Anteil von 18 % an
der Gesamtwärmebildung des Organismus. Der Energieumsatz bei geistiger
Arbeit nimmt messbar zu, doch ist dieser Anteil im Wesentlichen auf einen
gleichzeitigen reflektorischen Anstieg
des Muskeltonus zurückzuführen.
Bei körperlicher Arbeit ändern sich
die Anteile der Organe an der Wärmebildung grundsätzlich. Bis zu 90 %
der gesamten Wärmebildung können auf die arbeitende Muskulatur
zurückgeführt werden, und die Gewebetemperatur in der Muskulatur
kann deutlich über der Körperkerntemperatur liegen. Da die Muskulatur
im Wesentlichen in den Extremitäten
liegt, hier nur geringes Unterhautfettgewebe vorhanden und das Gewebe
gut durchblutet ist, kann ein Teil der
anfallenden Wärmemenge gleich vor
Ort an die Umgebung abgegeben
werden. Die hohe Durchblutung des
arbeitenden Muskels dient nicht nur
dem An- und Abtransport von Stoffwechselprodukten, sondern auch dem
Transport von überschüssiger Wärme.
Passiv verliert der Organismus unmerklich Wasser über die Haut und
über die Schleimhäute der Atemwege.
Aktiv kann der Mensch über die
Schweißdrüsen Flüssigkeit ausscheiden. Durch die Verdunstung von
Schweiß wird dem Organismus eine
erhebliche Wärmemenge entzogen.
Der erwachsene Mensch kann pro
Quadratmeter Körperoberfläche maxi7
Flugsicherheit
mal 10 – 15 g/min Schweiß produzieren. Schwitzen ist der zentrale Wärmeabgabemechanismus bei schwerer
körperlicher Arbeit und/oder externer
Wärmebelastung (Sauna). Entscheidend für die Funktionsfähigkeit dieses
Mechanismus ist neben einer hinreichenden Hydratation des Organismus,
dass der von den Schweißdrüsen erzeugte Wasserdampfdruck über dem
in der Umgebung liegt. Je höher der
Wasserdampfdruck in der Umgebungsluft ist (schwüle Luft, Tropen),
umso schwieriger wird die Wärmeabgabe. Ist die relative Luftfeuchtigkeit
der Umgebungsluft jedoch gering
(trockenes Wüstenklima), kann der
Mensch kurzfristig auch extrem hohe
Lufttemperaturen und externe Wärmezufuhr tolerieren.
8
Schutz des zum fliegerischen
Dienst zugehörigen Personals
vor Hitzestress:
Operationelle Bereiche: Fliegende
Besatzungen von hochtechnisierten
Flugzeugen brauchen einen effektiven
Schutz vor Hitze und Dehydratation,
um einerseits den physiologischen
Belastungen während des Fliegens
standzuhalten und andererseits das
Waffensystem unter den dynamischen
Möglichkeiten zu fliegen. Besonders
hervorzuheben sind jene Manöver, die
mit entsprechenden G-Belastungen
einhergehen, die an die menschliche
Belastbarkeitsgrenze reichen und die
durch Hitzebelastungen negativ beeinflusst werden, da sie die Schwelle
des Bewusstseinsverlusts herabsetzen.
Besonders Jet-Piloten sind nicht nur
durch die physische Belastung des
Fliegens beansprucht, sondern die
Schutzkleidung hat einen signifikant
negativen Einfluss vor allem bei heißen Wetterbedingungen. Zunehmend
werden auch andere fliegerische Bereiche mit unterschiedlichen Systemen
(Schutzanzüge, Helme, etc.) ausgerüstet, sodass auch hier entsprechende
Belastungen in Zukunft auf sie zukommen werden.
Faktoren, die eine Hitzebelastung
darstellen, sind das Anziehen der gesamten Bestandteile der fliegerischen
Ausrüstung, der Weg zum Flugzeug
in einer heißen Umgebung und das
Preflight-Procedere an der Maschine.
Diese können schon vor einem Start
signifikant die Körperkerntemperatur
erhöhen. Das bedeutet, dass die Crews
bereits vor dem eigentlichen Flugdienst
Bild: Frau Elbern, IMZBw
überwärmt in das Cockpit einsteigen
und somit vorbelastet den Flug starten. Das Cockpit ist ebenfalls erwärmt,
ggf. sogar stark erhitzt, sodass von Seiten des Arbeitsplatzes ebenfalls eine
Hitzebelastung ausgeht. Obwohl die
modernen Luftfahrzeuge eine Bodenklimatisierung zulassen, ist dieser Vorteil durch die Bekleidung nur sehr gering wirksam. Die Klimatisierung wird in
der Regel erst wirksam, wenn die Crews
bereits im fortgeschrittenen Flug oder
sogar erst zurück am Heimatflughafen
sind. Bei Szenarien, die eine schnelle
Abfolge von Starts und Landungen bedingen, ist den Crews meist keine vollständige Erholung der Körperkerntemperatur und vor allem keine Wasseraufnahme möglich, sodass Defizite resultieren. Dauert diese extreme Belastung
dann womöglich noch mehrere Tage, so
kann dies schließlich dazu führen, das Besatzungsmitglieder aufgrund von Hitzeerschöpfung dienstuntauglich werden
und ausfallen.
Das Personal wird durch eine hohe
umweltbedingte Hitzebelastung beeinträchtigt, wenn im Freien auf gepflasterten Flächen gearbeitet (Flugzeugabfertigung) wird, oder auf schlammigen Wegen oder Wüstensand mit
schwerer Ausrüstung marschiert wird.
Geschlossene Räume können ihrerseits zusätzlich eine starke Hitzebelastung bedeuten, wenn sie nicht gut
klimatisiert sind, vor allem schlecht
belüftete Fahrzeuge, geparkte Flugzeuge oder Schiffsabteile. Vor allem in
militärischen Einsätzen ist die Hitzebelastung unter solchen Bedingungen
eine Bedrohung, da lagebedingt lange
Einsatzzeiten existieren können. Zusätzlich ist die schwere, undurchlässige Schutzkleidung (ABC-Schutzkleidung) ein wichtiger Faktor bei
der Entstehung einer Hitzebelastung.
Diese äußeren Einflüsse werden außerdem durch die multiplen Variablen
des Individuums bei der individuellen
Hitzetoleranz ergänzt. Das Risiko einer
Hitzebelastung kann sehr stark variieren, abhängig von der jeweiligen mili-
tärischen Situation und dem Auftrag.
Bei Jet-Piloten ist es der Luftkampf,
während dem er durch Dehydratation und Hitze beeinträchtigt wird.
Low-level Missionen in allen Flugzeugtypen stellen wegen starker Hitze in
entsprechenden Umgebungen eine
hohe Belastung dar und beeinflussen
die Leistungsfähigkeit. Hubschrauberund Transporter-Crews, die die Maschinen für die jeweiligen Aufträge
vorbereiten, sind der zusätzlichen Belastung ausgesetzt, physische Arbeit
in der Hitze zu leisten. Nicht nur das
Arbeiten an den Maschinen, sondern
auch die Unterbringung in Zelten oder
Containern stellen eine weitere Hitzebelastung dar und beeinträchtigen die
Leistungsfähigkeit.
Einflüsse von Kleidung: Die mehrschichtige schützende Kleidung beinhaltet Baumwollunterwäsche, feuerfeste Unterbekleidung und Fliegerkombis, anti-G Bekleidung, Gurtzeug,
Fallschirm, Fliegerstiefel sowie Handschuhe, was den Hitzestress in vielen
Bedingungen verstärkt. Nicht nur bei
militärischen Einsätzen, sondern auch
bei Feuerwehrleuten ist die Schutzkleidung ein signifikanter Faktor, der den
Hitzestress deutlich erhöht und damit
schnell eine Grenze erreicht, die dem
Menschen Schaden zufügen kann. Insbesondere die chemisch-biologischen
Schutzanzüge (Overgarment) mit und
ohne Kopfschutz spielen hierbei eine
Rolle. Weitere hitzefördernde Kleidungsstücke sind Helme, Splitterschutzwesten und spezielle Einsatzkleidung.
Diese Kleidung ist normalerweise nicht
in der Lage, die entstehende Körperwärme abzuleiten, da der operationelle
Schutz der Person im Vordergrund
steht. Helme und Schutzmasken tragen zur Hitzebelastung bei, weil diese
Systeme die Wärme absorbieren und
zudem entstehender Schweiß nicht an
die Umgebung zur Kühlung des Kopfes
abgegeben werden kann. Reflektoren
oder eine weiße Farbe könnten dieses
Problem zum Teil vermindern, sind aber
aus militärischer Sicht nicht akzeptabel.
Screening von Risiken: Bestimmte physiologische und medizinische Voraussetzungen sind mit einem erhöhten
Risiko einer Hitzeerkrankung verbunden. Folgende Faktoren sind grundsätzlich relevant.
Personal, das neu in heiße Gebiete
eingetroffen ist, ist stark gefährdet,
eine Hitzeerkrankung zu erleiden. Zusätzliche Faktoren sind Reisemüdigkeit,
Jetlag, Defizite in der Nahrungs- und
Flüssigkeitsaufnahme oder ein Schlafdefizit. Kürzlich erfolgte Impfungen
oder durch virale Infekte während der
Anreise können weitere Risikofaktoren
darstellen. Personal, welches aus kälteren Regionen anreist, ist nicht an die
Gegebenheiten der heißen Regionengewöhnt. Hierbei ist darauf zu achten,
dass diese Personen nicht den schon
Akklimatisierten in ihrer Leistungsfähigkeit nacheifern. Zudem müssen sie
zunächst lernen, mit der Umgebung
und den klimatischen Verhältnissen
umzugehen. Die Hitzetoleranz ist
deutlich reduziert bei banalen Infekten
(Erkältungen) sowie Durchfällen und
Erbrechen oder falsche Nahrungsaufnahme. Großflächige Sonnenbrände
oder Hautausschläge reduzieren die
thermoregulatorische Kapazität durch
Verminderung der Hautdurchblutung
und der Schweißsekretion. Das gesamte Personal sollte darüber aufgeklärt sein, dass nur eine ausreichende
Ausheilung der Grunderkrankung eine
größtmögliche Wiederherstellung der
thermoregulatorischen Kapazität bewirkt.
Geringe Muskelmasse und mangelnde Fitness sind für Personen beider Geschlechter Risikofaktoren, die
eine Gefahr der Hitzeerkrankung darstellen. Hohes Alter ist ein zusätzlicher
Risikofaktor, weil mit zunehmendem
Alter die Fähigkeit zur Thermoregulation vermindert ist. Darüber hinaus führt
ein hoher body mass index (BMI) zu einer signifikanten Erhöhung des Risikos
an einer Hitzeerkrankung. Die Einnahme von Dauermedikamenten ist ein
weiteres Thema in der Hitzeadaptati9
Flugsicherheit
on, vor allem bei Medikamenten zur
Behandlung des Diabetes mellitus, der
Schilddrüse und von Nieren- und HerzKreislauf-Erkrankungen. Insbesondere
sind Dosisänderungen oder kurzfristige
Medikamentenumsetzungen zu berücksichtigen. Selbstmedikation sowie
Schmerzmedikamente sollten mit Vorsicht eingenommen werden, da sie den
Blutfluss negativ beeinflussen und damit
zur Entstehung eines Nierenversagen
beitragen können. Sedativa, Narkotika
und Alkohol können die natürlichen
thermoregulatorischen Mechanismen
ebenfalls negativ beeinflussen.
Prävention: Durch relativ einfache
präventive Maßnahmen können erhebliche positive Effekte bei der Abwendung der Hitzeerkrankung erreicht
werden. Dies wird zunehmend bei der
Kontingentplanung des jeweiligen Einsatzes berücksichtigt. Der medizinische
Dienst muss in der Lage sein, dem
Einsatzleiter detaillierte Informationen
zum jeweiligen Einsatzgebiet zu geben
sowie den damit verbundenen Hitzebelastungen. Es darf nicht nur die klinische
Seite betrachtet werden, sondern
Erkenntnisse der klimatischen Verhältnisse müssen bekannt sein, um den
präventiven Bereich vollständig abzudecken. Es sind folgende Determinanten zu betrachten: Arbeit, Kleidung,
Umwelt und Flüssigkeitsbilanz (Aufnahme und Abgabe) des Menschen.
Die jeweilige individuelle Toleranz und
der Leistungszustand jeder Person sind
ebenfalls zu berücksichtigen.
Präventive Strategien können nicht
alle Belastungen durch Hitze eliminieren, aber die negativen Einflüsse auf
den Menschen reduzieren. Techniken
der Primärprävention können sowohl
militärisch als auch zivil genutzt werden. Einbezogen werden müssen die
administrativen Planungen und Abläufe, die Gestaltung der Ausstattung
und Ausrüstung, der angemessene
Gebrauch der Ausrüstung sowie eine
kontinuierliche medizinische Kontrolle, damit gefährdete Personen identifiziert und aus dem Gefahrenbereich
10
frühzeitig herausgeführt werden können. In der Führungsebene müssen
Verhaltensweisen vermittelt werden,
die helfen, Personal über die Risiken
aufzuklären. Eine wichtige militärische
Kondition ist, dass die effektiven natürlichen thermoregulatorischen Mechanismen durch Ausrüstungsteile limitiert sind und damit die natürlichen
Abwehrmechanismen eingeschränkt
werden. Allgemeine zivile Strategien,
die eine Arbeitserleichterung in extremer Hitze durch Anzugserleichterung,
Arbeitszeitverkürzung etc. vorsehen,
können aus militärischer Sicht nicht
genutzt werden, da sie in die jeweilige
Operation und die Sicherheit eingreifen.
Geeignete Maßnahmen diesen Gegebenheiten dennoch gerecht zu werden,
sind Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitszufuhr, Pausen, Freizeit und Erholung (Rekreation) und Adaptationszeiten.
Die Arbeitsbedingungen in heißen
Umgebungen können entscheidend
verbessert werden, wenn die physische Voraussetzung des Personals
geschaffen wurde. Besonders die Fitness des Personals hat einen hohen
Stellenwert. Durch adäquates Training
kann die Herzkreislauffunktion und
die Schweißabgabe des Menschen
verbessert werden. Diese zwei Faktoren sind eine wesentliche Voraussetzung, um bei einer eventuellen Hitzebelastung längere Zeit einsatzfähig zu
bleiben. Dies gilt auch für Personal,
das in Schutzkleidung unter normalen
atmosphärischen Bedingungen Leistung zu erbringen hat. Hierbei ist
zu berücksichtigen, dass die Hitzetoleranz des Menschen große individuelle Unterschiede aufweist. Die Akklimatisation in den Einsatzgebieten
ist wichtig, ebenso die Lebensräume,
die persönliche Hygiene, und die Einnahme von Flüssigkeit und Elektrolyten, die gewährleistet und kontrolliert werden muss. Daraus folgt, dass
militärische Einheiten, die in heißen
Gebieten eingesetzt werden, darauf
zu achten haben, dass ihre physische
Fitness aufrecht erhalten bleibt. Personen, die nicht in der Lage sind, sich
vorher zu akklimatisieren, muss ausreichend Zeit gegeben werden, sich
an die klimatischen Bedingungen im
Einsatzgebiet zu adaptieren, bevor
sie eingesetzt werden können. Eine
vollständige Akklimatisation ist erst
nach etwa zehn Tagen zu erwarten.
Saunagänge sind eine Möglichkeit,
sich vorab auf Arbeit in großer Hitze
vorzubereiten. Dabei haben neuere
Studien gezeigt, dass sowohl Männer
als auch Frauen gleichermaßen auf die
Akklimatisation in der Hitze reagieren.
Volle geistige Fähigkeit und physische
Arbeitsleistung in der Hitze kann nur
gewährleistet werden, wenn eine adäquate Aufnahme von Flüssigkeit und
Elektrolyten bereitgestellt wird. Eine
Nahrungsaufnahme in der richtigen
Menge und vor allem in der richtigen
Zusammensetzung muss ebenfalls angeboten werden. Von den genannten
Produkten ist Wasser das Wichtigste,
welches stündlich aufgenommen werden sollte, denn schon ein geringes Defizit an Körperwasser führt zu Müdigkeit und Konzentrationsverlust und
ist neben den thermischen auch mit
anderen Erkrankungen und Verletzungen assoziiert. Dehydratation ist
verbunden mit einem stetigen Anstieg der Körperkerntemperatur und
der Herzfrequenzsteigerung, die im
schlimmsten Fall klinisch von der Ohnmacht bis hin zum Hitzschlag reichen
können. Während eines Einsatzes wird
eine Vielzahl von zusätzlichen Stressoren erzeugt, wie Termindruck, Müdigkeit, Infektionserkrankungen und
Angst, welche zusammen oder einzeln auftretend dazu führen können,
dass die Betroffenen weder Flüssigkeit
noch Nahrung aufnehmen. Zu den individuellen Zeichen der Dehydratation
kommen rapider Gewichtsverlust und
dunkler, konzentrierter Urin als warnendes Signal hinzu. Eine Besonderheit
beim militärischen Personal (vor allem
bei Frauen) ist die Hinauszögerung der
Aufnahme von Wasser, damit nicht zu
häufig ein Toilettengang erforderlich
wird. Diesem gefährlichen Handeln
kann nur entgegen gewirkt werden,
indem das Personal über die Wichtigkeit der ausreichenden Wasseraufnahme informiert wird und indem genügend Möglichkeiten zur Verrichtung
der Notdurft bereitgestellt werden.
Dem Einsatzleiter kommt ein besonderes Fürsorgeverhalten zu, da er auf
diese Aspekte achten muss.
Der Erfolg einer solchen Ausbildung
benötigt das universelle Wissen eines
jeden Einzelnen und die Kontrolle der
Hitzebelastung. Des Weiteren müssen
geeignete Möglichkeiten bestehen, um
die Hitzebelastung zu quantifizieren,
damit geeignete Gegenmaßnahmen
ergriffen werden können. Die Ausbildung muss ebenfalls alte Mythen korrigieren, die bei vielen noch vorhanden
sind:
- Wahre Männer trinken kein Wasser.
- Nicht trinken, außer man ist durstig.
- Durch ein nasses Tuch (Stirn, Nacken, Handgelenke) kann eine adäquate Kühlung des Körpers unter
Hitzebelastung erreicht werden.
- Training vermindert den Bedarf an
Wasseraufnahme.
- Fitnessgetränke sind besser als
reines Wasser.
- Frauen sind anfälliger auf Hitze als
Männer.
Die Erforschung derartiger Belastungen wird in mehreren Programmen
in den amerikanischen militärischen
Labors durchgeführt (US Army Research Institute of Environmental Medicine (USARIEM), Natick, Massachusetts, Naval Health Research Center,
San Diego, California). Im Institut für
Physiologie der Charité in Berlin werden Untersuchungen (Prof. Gunga)
zum Thema Menschen in extremen
Umwelten durchgeführt. In einer kooperativen Zusammenarbeit wird in
diesem Jahr eine Untersuchung im
Ausbildungszentrum der Bundeswehr,
in Holloman-AFB, NM, USA mit der
Bild: Herr Grenzmeier, IMZBw
Genehmigung des Generalarztes der
Luftwaffe durchgeführt.
Daher können den Crews sowie den
Einsetzern folgende Empfehlungen
gegeben werden:
- Die Cockpits der Maschinen sollten
durch mobile Sonnenschutzdächer
vor der einfallenden Sonne geschützt werden.
- Die Flugzeuge sollten klimatisiert
am Boden in der Parkposition abgestellt werden.
- Die Besatzungen sollten direkt zum
Flugzeug transportiert werden.
- Die Vorflugkontrolle sollte von
anderen
Besatzungsmitgliedern
durchgeführt werden, die nicht unmittelbar zum Flugdienst eingeteilt
sind.
- Die Besatzungen müssen dazu angehalten werden, ausreichend Flüssigkeit vor, während und nach dem
Flugdienst zu sich zu nehmen.
- Die Bodenzeiten, in denen die Besatzungsmittglieder auf den take off
warten, sollten so kurz wie möglich
gehalten werden.
- Die Klimatisierung während des
Fliegens sollte deutlich verbessert
werden, hier ist auch die Bekleidung zu nennen.
- Die Besatzungsmitglieder sollten
gehört und ihre Aussagen berücksichtigt werden, wenn sie äußern,
dass ein weiterer Einsatz physisch
nicht mehr möglich ist und andere
Crews einspringen müssen.
11
Flugsicherheit
Der geschenkte Säbel
wehr wurden 225 Exemplare der Version CL-13B
Sabre Mk.6 beschafft. 75
Die F-86 Sabre
Exemplare der Version
- zu Deutsch Säbel CL-13A Sabre Mk.5
gehörte zusammen mit
den F-84F Thunderstreak - auch Mark V genannt gab es von Kanada als
Jagdbombern, den
Zugabe für die AusbilRF-84F Thunderflash
dung, was sich aber im
Aufklärern und den
T-33A T-Bird Jet-Trainern Nachhinein als recht
teuer erwies.
zur Erstausstattung der
Bundesluftwaffe. Die
Die Canadair CL-13 Sabre war der
kanadische
Lizenzbau des amerikader Luftwaffe geliefernischen Jagdflugzeuges North Ameriten Flugzeuge entcan F-86. Deren Entwicklung begann
bereits 1944, als von der US Army Air
stammten der kanaForce (USAAF, Vorläufer der US Air
dischen Lizenzfertigung Force/USAF) zwei Prototypen der NAund trugen die Bezeich- 134 in Auftrag gegeben wurden, die
als Vorläufer der NA-140 gelten kann.
nung Canadair CL-13
Am 18. Mai bestellte die USAAF drei
Sabre. Für die BundesExemplare der NA-140 unter der Bevon OSFw d. R. Karl Heinz Weiss,
GenFlSichhBw
12
zeichnung XP-86. Nachdem die Auswertung deutscher Entwicklungsunterlagen* abgeschlossen war, wurde
die Konstruktion radikal geändert und
das Flugzeug mit Pfeilflügeln ausgestattet, wie sie unter anderem bei der
Me 262 verwendet wurden. Der Prototyp flog am 1. Oktober 1947. Im
Sturzflug durchbrach die Maschine am
25. April 1948 die Schallmauer. Als im
gleichen Jahr aus der USAAF die USAF
wurde, wurde aus der P-86 die F-86,
die 1949 in Dienst gestellt wurde.
Die North American F-86 Sabre
war ein einstrahliger konventioneller
Tiefdecker, mit um 35° nach hinten
gepfeilten Tragflügeln, zentralem
Lufteinlauf in der Nase und darüber
befindlichem Cockpit mit sehr guter
Rundumsicht. Von diesem Flugzeugtyp
gab es keine Trainerversion. Sie war
der einzige Jäger der westlichen Welt,
der es im Koreakrieg mit den Jägern
sowjetischer Bauart (MiG-15) aufnehmen konnte. Die Leistungsdaten waren zwar schlechter, aber dafür waren
die Flugeigenschaften besser. In der
Folge des Koreakrieges wurde die
F-86 zum Standardjäger der westlichen Welt. Eigentlich als Tagjäger
konzipiert, hatte sie auch eine eingeschränkte Jagdbomberfähigkeit.
Die der Luftwaffe geschenkten Flugzeuge waren eine Weiterentwicklung
der Canadair Sabre Mk 2, die der F-86E
der USAF entsprach. Während die
Amerikaner das J47-27 Triebwerk von
General Electric verwendeten, bauten die Kanadier das Avro Orenda 10
Triebwerk in ihren Lizenzbau ein, die
dann als Canadair CL-13A Sabre Mk.5
auch als Mark 5 genannt bezeichnet
wurde. In die Weiterentwicklung der
Mk.5, von der für die Luftwaffe 225
Maschinen beschafft wurden und die
die Bezeichnung Canadair CL-13B
Sabre Mk.6 trug, wurde das leistungsstärkere Orenda 14 eingebaut. Die
Orenda-Triebwerke zählten seinerzeit
zu den leistungsstärksten Jetantrieben
der Welt und im Gegensatz zum J47
waren sie weitgehend rauchfrei.
Der Mark V hatte Grenzschichtzäune auf den Tragflächen, besaß
keine Vorflügel und hatte nur eine
VHF-Funkausstattung. Schon recht
früh erkannte die Royal Canadian Air
Force (RCAF), dass mit diesem Flugzeug nicht der große Wurf gelungen
war. Deshalb wurden sie schon nach
370 gebauten Exemplaren und einer
Nutzungsdauer von nur drei Jahren
gegen die mit dem besten Triebwerk
der damaligen Zeit, dem Orenda 14,
ausgerüsteten Mark 6 ausgetauscht.
Mit der Sabre Mk.5 der Luftwaffe
waren die kanadischen Verbände der
Air Division in Europa ausgerüstet. Die
vier Jagdgeschwader dieser Division
waren mit jeweils drei Staffeln in Marville und Grostenquin im Nordosten
Frankreichs sowie in Zweibrücken und
Söllingen im Südwesten Deutschlands
stationiert. Das Einsatzgebiet dieser
Geschwader war Mitteleuropa, vor
allem aber das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Zulauf
der Sabre MK.6 wurden die auszumusternden Mark V zu Scottisch Aviation
Ltd nach Prestwick/Schottland (heute
Glasgow Prestwick Airport) überführt
und dort abgestellt. Durch diese Firma
erfolgte auch die industrieseitige Betreuung der kanadischen Flugzeuge in
Europa.
Die für die Luftwaffe vorgesehenen
Flugzeuge wurden bei Scottisch Aviation Ltd in Renfrew/Schottland (heute
Glasgow International Airport) überholt und danach von Piloten der RCAF
nach Deutschland überführt. Allerdings nicht alle 75 Maschinen. Drei
Flugzeuge wurden bei der Fa. Redifon
in London zu Flugsimulatoren umgebaut. Die beiden ersten Mark V für
die Luftwaffe wurden am 10.05.1957
13
Flugsicherheit
nach Faßberg zur Technischen Schule
der Luftwaffe (TSLw) 3 überführt, wo
sie fortan zur Ausbildung der Mechaniker dienten. Die ersten vier Mark V
für die Ausbildung der Flugzeugführer trafen am 9. September 1957 in
Oldenburg ein. Bereits zwei Wochen
später waren 25 Maschinen bei der
Waffenschule der Luftwaffe (WaSLw)
10**. Allerdings standen zu diesem
Zeitpunkt mehr Flugzeuge als fliegerisches und technisches Personal zur
Verfügung.
Die CL-13A der Luftwaffe verfügten
nur über eine aus sechs Maschinengewehren Kal .50 (12,7 mm) Colt-Browning MG-3 bestehende Bewaffnung.
Für den optimalen Einsatz der MG
besaß die Mark V eine Feuerleitanlage. Dazu war das Radarortungsgerät
AN/APG-30 mit einem Zielgerät für die
Bordwaffen verbunden. Damit gekoppelt waren ein in der Unterlippe des
zentralen Lufteinlaufes eingebautes
MG-Bildgerät und eine Visierkamera,
die sich am Zielgerät im Cockpit befand. Da mit der Mark V nur das Handling der Maschine und die taktischen
Verfahren geschult wurde, wurden
die Bordwaffen nie im Ausbildungsbetrieb eingesetzt. Schwerpunkt bei
der Luftkampfschulung war der Einsatz der Bildgeräte, gekoppelt mit der
Feuerleitanlage dem sogenannten
„Cine-tracking“. Der Gebrauch der
Bordwaffen wurde den Flugzeugführern im dritten Ausbildungsabschnitt
durch die mit CL-13B ausgerüstete
3. Staffel der Waffenschule 10 vermittelt. Dazu wurden die Lehrgänge regelmäßig zur Schießplatzstaffel auf den
Flugplatz Westerland/Sylt verlegt, der
14
zu der Zeit noch der britischen Royal
Air Force (RAF) gehörte.
Zur Vorbereitung auf den Einsatz des Sabre bei der Waffenschule
(WaSLw) 10 und auch der technischen
Schulen fand bei No. 3 Wing der RCAF
eine Vorabausbildung des Kernpersonals statt. Bereits ab November 1956
erhielten neun Techniker bei der No. 5
Technical Training Unit nach Zweibrücken ihre Ausbildung. Diese schulten dort ab Februar 1957 eine 36-köpfige Gruppe nach dem OJT-Verfahren
(On the Job Training), auf Deutsch:
Ausbildung am Arbeitsplatz (AAP).
Ab Januar 1957 begann in Kanada die Refresher-Ausbildung für 220
deutsche Flugzeugführer, die bereits
bei der alten Reichsluftwaffe als Flugzeugführer eingesetzt waren. In Moose
Jaw und Portage la Prairie erfolgte die
Prop-Schulung auf Haward Mk.2 und
4 sowie eine Einweisung auf die Lockheed T-33 T-Bird. Nach erfolgreich
abgeschlossener Ausbildung kehrten
die ersten Piloten Ende Juli 1957 nach
Deutschland zurück.
Gemäß einer Vereinbarung mit der
kanadischen Regierung erfolgte eine
intensive Unterstützung durch kanadisches Personal. Die offizielle Beratergruppe, das RCAF Advisory Team,
begann seine Arbeit im April 1958.
Für die Ausbildung in Oldenburg
standen so neben den deutschen
auch 16 Flugzeugführer der RCAF als
Fluglehrer zur Verfügung. Nach der
Theorie von ca. 20 bis 25 Stunden im
Linktrainer und im Simulator folgte
die Taxi-Einweisung. Da es keine Trainerversion der Sabre gab, stand der
Fluglehrer mit einem Gurt gesichert
mit einem Fuß auf der Tragfläche, mit
dem anderen im Kickstep. Hatte der
Flugschüler das Taxen gelernt folgte
sein erster Flug mit der CL-13A, wobei der Fluglehrer ihn in einer zweiten
Sabre als Chase-Pilot begleitete. Bei
den ersten Flügen wurden in 10.000
Fuß aus dem typischen Jet-PitchPattern Stalls und Landeanflüge geübt,
wobei die Weser als Runway diente.
Während des ganzen Lehrgangs wurden Practice Forced Landings geübt,
simuliert als Triebwerksausfall, eingeleitet mit einer geringen Triebwerksleistung und gesetzten Speedbrakes.
Zuerst war noch der Fluglehrer dabei.
Nach einigen Flügen kam dann der
erste Soloflug.
Nachdem der Flugschüler mit dem
Handling der Sabre vertraut war,
folgten Formationsflüge in mittleren
Höhen, die dann zum eigentlichen
Jagdtraining mit dem Einsatz der Zielkamera führte. Im Schwarm wurde
zu Beginn der taktischen Ausbildung
die Gefechtsformation geübt. Dieser
folgten dann simulierte Angriffe mit
der Zielkamera auf andere Flugzeuge.
Nach einer Erfahrung von etwa 40
Stunden auf dem MK.5 folgte die
Ausbildung durch radargeführte Abfangeinsätze auf Fremdflugzeuge.
Nachtflüge und Navigationsflüge, die
nach Belgien und den kanadischen
Plätzen in Europa führten, gehörten
ebenso zur Ausbildung. Beendet wurde die Ausbildung der jungen Jagdflugzeugführer bei der dritten Staffel
der WaSLw 10, bei denen sie auf die
Sabre Mk.6 eingewiesen wurden und
durch den Einsatz der Bordwaffen
beim Schießen auf Luftziele. Dazu
wurde aus der WaSLw 10 heraus die
Schießplatzstaffel Sylt gebildet, die mit
12 Mk.6 ausgestattet war.
Die ersten beiden für die WaSLw
10 vorgesehenen Sabre Mk.6 wurden
am 7. September 1958 von Oberpfaffenhofen nach Oldenburg überführt.
Im April 1959 betrug der Flugzeugbestand der WaSLw 10 insgesamt 63
Sabre Mk.5, 29 Sabre Mk.6, 8 T-33A
und 4 Piaggio P-149 D.
Nachdem die dritte Staffel der
WaSLw 10 und die drei Tagjagdgeschwader mit werkneuen Sabre Mk.6
ausgerüstet waren, nahm mit der Umrüstung der ersten und zweiten Staffel
der Bestand der Sabre Mk.5 bei der
WaSLw 10 ab. So umfasste der Flugzeugbestand der Schule Ende Juli 1961
24 Sabre Mk.5, 58 Sabre Mk.6, 7 T-33A
und 4 Piaggio P-149 D. Der Bestand
von 66 Maschinen wurde bereits kurz
nach der Auslieferung ab 1959 Schritt
für Schritt reduziert. Nicht mehr benötigte Flugzeuge wurden u. a. zur Erprobung an die Erprobungsstelle (ErpSt)
61 in Manching und ErpSt 91 in Meppen (Beschußversuche) geliefert, an
die ABC/Se-Schule in Sonthofen (Ausbildung ABC-Dekontamination), an
Autoflug (Erforschung Schleudersitz),
an die Technische Hochschule Darmstadt, an diverse Feuerwehren und
Bundeswehrstandorte für TechnikerLehrgänge - und auch an Schrotthändler. So wurden zwei Sabre Mk.5
durch die ErpSt 61 für eine Demonstration der schwedischen SafelandFanganlage auf dem Flugplatz Ahlhorn verwendet. Dabei wurden beide
Flugzeuge dermaßen beschädigt, dass
sie nur noch als Ersatzteilspender zur
Verfügung standen. Ein Flugzeug wurde zu Beginn der 1960er Jahre vor das
Materialamt der Luftwaffe – nun als
„Planstellenjäger“ bezeichnet – bis in
die 1970er Jahre hinein ausgestellt,
bevor es dann bei der FlBschft BMVg
für Übungen der Feuerwehr benutzt
wurde. Die meisten nicht mehr benötigten Flugzeuge wurden aber nach
Oberpfaffenhofen überführt und da
sich die Kanadier die Ersatzteile für die
„geschenkten Maschinen“ sehr teuer
bezahlen ließen dort zur Ersatzteilgewinnung für die verbleibenden Maschinen ausgeschlachtet. Der Einsatz
der Sabre Mk.5 endete, mit Ausnahme der Ausbildungsflugzeuge bei der
TSLw 3, im März 1962 mit der Abgabe
der Flugzeuge an das Luftwaffenversorgungsregiment 6 (LwVersRgt 6) in
Oldenburg und an die Dornier-Werke
GmbH in Oberpfaffenhofen, wo sie
nun allem Brauchbarem beraubt –
über die bundeseigene Verwertungsgesellschaft VEBEG als Edelschrott veräußert wurden.
Spektakulär war die Verschrottungsaktion einer Mark V auf dem Heeresflugplatz Celle-Wietzenbruch. Das Flugzeug kam 1959 bei der Landung in
Oldenburg von der Landebahn ab.
Dabei kollabierte das Bugfahrwerk. Da
eine Reparatur die sich durchaus gelohnt hätte nicht gewollt war, wurde
das Flugzeug am 12.05.1959 ausgemustert. Zuerst war es als Lehrflugzeug bei der TSLw 3 vorgesehen, dann
jedoch kam die Anweisung zur Verschrottung beim Luftwaffenparkregiment 2. Im Zerlegebetrieb des LwPRgt 2
in Wunstorf sollte das Luftfahrzeug verschrottet werden. Dazu kam es aber
nicht. Das ausgeweidete Flugzeug kam
nach Celle, wo es als „Gate guardian“
am Kasernentor aufgestellt werden
sollte, was aber nicht genehmigt wurde. Daher blib die Maschine bis 1976
ungenutzt. Beim Tag der offenen Tür im
Mai 1976 wurde die Mk.5 als Außenlast einer CH-54 „Sky Crane“ der US
Army dem staunenden Publikum gezeigt und dann aus einer Höhe von
etwa 50 m abgeworfen.
Ende Oktober 1961 endete nach
drei Jahren die kanadische Unterstützung der WaSLw 10. Zu diesem Zeitpunkt wurden von den kanadischen
Fluglehrern fast 7.600 der mehr als
35.000 Flugstunden der Schule erflogen, 201 Flugzeugführer auf der
Sabre geschult und 41 Fluglehrer ausgebildet. Die vielen in dieser Zeit geknüpften guten Kontakte zu den ka-
nadischen Verbänden im Südwesten
der Republik und im Nordosten Frankreichs, wurden auch weiterhin bis zum
Abzug der kanadischen Luftwaffenverbände aus Europa gepflegt.
In der Zeit der Nutzung der Mark V
kam es zu vier Flugzeugabstürzen, bei
denen zwei Flugschüler und ein Landarbeiter getötet wurden. Die Masse
der Vorkommnisse hatte technische
Ursachen, hauptsächlich Triebwerkstörungen. Neben einer Baumberührung
und Berührungen in der Luft ging bis
auf eine Kollision alles glimpflich aus,
weil die Flugzeuge trotz starker Beschädigungen noch gelandet werden
konnten. Bis zu zehn Mk.5 dürften
ausgemustert worden sein, weil das
Flugwerk nach Überschreiten des Lastvielfachen (Over-g) so stark verzogen
war, dass die Maschinen nicht mehr
zu verwenden waren.
Glück hatte ein Flugschüler, der
sich bei gutem Wetter im Instrumentenanflug auf Oldenburg befand. In
16.000 ft Höhe kam es zu einer Kollision mit einer Sabre Mk.6 des damals auf dem Fliegerhorst Ahlhorn
stationierten JG 71, dessen Flugzeugführer bei dem Unfall getötet wurde.
Der Pilot der Mk.5 wurde nach dem
Zusammenstoß aus dem Flugzeug geschleudert und konnte mit dem Fall15
schirm landen, ohne den Schleudersitz
ausgelöst zu haben.
Gemessen an der Flugstundenzahl
erscheint die Unfallrate relativ hoch.
Gemessen an dem Ausbildungsbetrieb
unter den damaligen Verhältnissen
und im Vergleich zu denen beim Betrieb der Mk.5 bei der RCAF war sie
allerdings gering.
Die Sabre Mk.5 stand bei ihren
Flugzeugführern hoch im Ansehen.
Vielleicht auch, weil ihre Nutzung im
Vergleich zu den anderen in dieser Zeit
verwendeten Flugzeugtypen der Bundeswehr relativ problemlos war.
* Der Pfeilflügler North American F-86
Sabre war das Ergebnis der Auswertung deutscher Konstruktionsunterlagen, die für das Jagdflugzeug in der damaligen Zeit wegweisend waren.
Fliegen mit hoher Geschwindigkeit
erfordert wegen der großen Geschwindigkeitsspannen „Tragflügel
mit Mittel zur Veränderung der Profileigenschaften“, wie der Titel von
Ludwig Bölkows erster Patentschrift
lautete. Weitere Patente, die Bölkow
noch 1939 anmeldete, enthielten
Lösungen zu diesem Problemkreis,
darunter die eines „Tragflügels mit
Kippnase und Auftriebsklappe“. Sie
beschreibt jene Konfiguration, die
heute noch bei den meisten Verkehrsflugzeugen zur Anwendung
kommt.
In den Jahren 1939/40 gab es nur
wenig Erfahrung über Flügelprofile
für hohe Unterschallgeschwindigkeiten. Daher schlug Bölkow für das
zweistrahlige Jagdflugzeug Messerschmitt Me 262 eine von ihm aus
schlanken Ellipsen weiterentwickelte
Profilform vor. Diese Profile erwiesen sich bei Windkanalversuchen in
der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) Göttingen allen anderen
Profilen überlegen. Sie bewährten
sich nicht nur an der Me 262, sondern nach dem zweiten Weltkrieg
auch an dem Jagdflugzeug North
16
American F-86 und später an dem
leichten Jagdbomber FIAT G.91. Er
gehörte damit zum Wegbereiter
moderner
Tragflächenauslegung
bei Strahlflugzeugen.
Ludwig Bölkow wurde am 30. Juni
1912 in Schwerin geboren und
starb am 25. Juli 2003 in Grünwald
bei München. Er studierte zwischen
1934 und 1938 an der Technischen
Hochschule Charlottenburg (jetzt
Technische Universität Berlin) Maschinenbau. Ab 1939 arbeitete er
im Projektbüro der Messerschmitt
AG in Augsburg an der Entwicklung
des ersten düsengetriebenen Jagdflugzeuges der Welt, der Me 262.
1965 gründete Ludwig Bölkow
die Bölkow GmbH, die 1968 mit
der Messerschmitt AG und 1969
mit dem Hamburger Flugzeugbau
zur Messerschmitt-Bölkow-Blohm
(MBB) GmbH fusionierte. Aus der
Geschäftsführung dieser Firma
schied er 1977 aus. MBB ging Anfang der 1990er Jahre in der Daimler Aerospace AG (DASA) auf. Diese
wiederum wurde Teil des Luft- und
Rüstungskonzerns EADS.
**Die Waffenschule (WaSLw) 10 wurde zur ersten Ausbildungseinrichtung für die Jagdflieger der neuen
Luftwaffe. Am 1. Januar 1957
wurde sie in Nörvenich in Dienst
gestellt, verlegte aber bereits am
1. Oktober 1957 auf den besser
ausgebauten und von der Royal Air
Force übernommenen Fliegerhorst
nach Oldenburg. Die Ausbildung
erfolgte auf der Canadair CL-13A
Sabre Mk.5 und einigen CL-13B
Sabre Mk.6. Erster Kommandeur
der WaSLw 10 war Oberstleutnant
Wehnelt, der bereits im Sommer
1957 mit zwei weiteren Piloten
nach Zweibrücken zur 3rd Fighter
Wing der Royal Canadian Air Force
(RCAF) kommandiert wurde, wo
sie nach einem Refresher Training
auf der T-33A bei den Alliierten auf
der Sabre ausgebildet wurden. Die
Ausbildung bei den Kanadiern beinhaltete neben der Theorie und dem
Flugsimulator 40 Flugstunden auf
der CL-13.
Die Hauptaufgabe der WaSLw
10 bestand in der taktischen Ausbildung von Flugzeugführern zu
Jagdfliegern. Daneben hatte sie die
Jagdgeschwader 71, 72 und 73 bei
der Aufstellung personell und materiell zu unterstützen.
Die Ausbildung der Jagdflugzeugführer auf der Sabre erfolgte in
Oldenburg, nachdem sie die fliegerische Auswahlschulung auf der
Piper L-18C in Ütersen, die Weiterschulung auf dem Yellow Monster
T-6 (später auch Fouga-Magister) in
Landsberg und danach
die Ausbildung auf der T-33A in
Fürstenfeldbruck mit Erwerb des
Militärflugzeugführerscheins absolviert hatten.
Da die WaSLw 10 mit der zukünftigen
Flugzeugführerausbildung
auf das Waffensystem Lockheed
F-104 Starfighter beauftragt wurde, endete im Juni 1963 die SabreAusbildung in Oldenburg. Mit Abgabe der Sabre Mk.6 an die JG 72
und 73 und das Luftwaffenversorgungsregiment 6 und dem Umzug
der WaSLw 10 nach Jever ging ein
erfolgreicher Abschnitt der Jagdfliegerei zu Ende.
Quell- und Literaturhinweise:
- F-40 Flugzeuge der Bundeswehr
- Kropf, Klaus, Jet-Geschwader im
Aufbruch
- Umfangreiche Internet-Recherche
Bilder links und rechts: Herr Grenzmeier, IMZBw
Flugsicherheit
Kontrastsehen –
Augenärztliche
Kompetenz gefragt
von Oberstarzt a. D. Dr. Hans Brandl, Augenarzt und Flugmediziner, FFB und
Oberfeldarzt Dr. Jörg Frischmuth, Augenarzt und Flugmediziner, Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, FFB
In der zivilen Fliegerei
wird das Kontrastsehen
nach JAR-FCL nicht standardmäßig als Untersuchungskriterium gefordert. Anders in der
Bundeswehr: Hier ist die
Untersuchung des Kontrastsehens Standard.
Untersuchen wir am
Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe
die Bundeswehrpiloten
etwa zu streng?
Oder sollte der
Bestimmung der
Kontrastempfindlichkeit
in der zivilen Fliegerei
eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt
werden?
Wir erinnern uns:
Die Kontrastempfindlichkeit (= relative Empfindlichkeitsschwelle) gibt den
geringsten noch wahrnehmbaren Leuchtdichteunterschied an (L/L). Leuchtdichte und Adaptationszustand des Auges beeinflussen diesen Unterschied.
Beispiele:
Kontrastverhältnisse:
1:23 bedeutet:
Der relative Leuchtdichteunterschied zwischen Umfeld und Prüfzeichen
beträgt ca. 95,6 %.
Das Prüfzeichen wird 23-mal (!) schwärzer dargestellt als das Umfeld.
Mit diesem „Ergebnis“ ist man weder führerscheintauglich für Klasse B
(früher: 3-er FS) (siehe Empfehlung Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) noch flugtauglich.
1:5 bedeutet:
Der relative Leuchtdichteunterschied zwischen Umfeld und Prüfzeichen
beträgt ca. 80 %.
Das Prüfzeichen wird 5-mal (!) schwärzer dargestellt als das Umfeld.
Das entspricht dem „Grenzwert“ (DOG) für die FS-Klasse B.
1:2,7 bedeutet:
Der relative Leuchtdichteunterschied zwischen Umfeld und Prüfzeichen
beträgt ca. 63 %.
Das Prüfzeichen wird 2,7-mal (!) schwärzer dargestellt als das Umfeld.
Das entspricht dem „Grenzwert“ (DOG) für die FS-Klasse C (früher: 2-er FS).
Der Vollständigkeit halber seien noch der Weber-Kontrast und der Michelson-Kontrast (auch: Modulation) erwähnt. Für eine intensive Beschäftigung
mit dieser wichtigen Thematik sei auf die weiterführende Literatur verwiesen.
17
Flugsicherheit
Kommentar:
Das Maß, ab wann jemand einen
hohen Refraktionsfehler hat, ist nicht
definiert. Aus den Tauglichkeitsrichtlinien könnte man den Wert > -6 dpt
für Klasse-I-Piloten und > -8 dpt für
Klasse-II-Piloten als höhere Refraktionsfehler interpretieren.
Wenn man weiß, dass reduzierte Tränenflüssigkeit und reduzierter Sauerstoffpartialdruck (abhängig vom Umgebungsluftdruck) ein Problem für
Kontaktlinsenträger darstellen können,
erstaunt das „Muss“ (dt. Übersetzung
des engl. „shall“) schon etwas. Zudem
beträgt die relative Luftfeuchtigkeit im
Verkehrsflugzeug ca. 7 – 10%, und die
Klimaanlage ist auch nicht gerade
förderlich für eine mehrstündige Kontaktlinsenakzeptanz im Cockpit oder
in der Kabine.
Richtig wäre es, es dem Augenarzt
und dem Betroffenen selbst zu überlassen, mit welchen gut verträglichen
optischen Hilfsmitteln die Tauglichkeitskriterien optimal erfüllt werden.
Man denke nur daran, welche Probleme bei diesem „Muss“ bei einem
Piloten auftreten können, z. B. auf
einem Langstreckenflug von über vier
Stunden Flugdauer.
Aus Experimentaluntersuchungen
in der Höhensimulationskammer wissen wir um die mögliche Reduktion
des Kontrastsehens in derartigen
Fällen.
Noch eine Anmerkung zu den
hochbrechenden Gläsern bei höherem
Refraktionsdefizit:
18
Abbesche Zahl
Die Abbesche Zahl (oder AbbeZahl) gibt in der Optik die optische
Dispersion eines transparenten Mediums im Verhältnis zur Brechzahl an.
Sie ist eine dimensionslose Größe und
besitzt somit keine Einheit.
Hochbrechende Gläser haben eine
niedrige Abbe-Zahl. Das bedeutet:
Die optische Dispersion ist erhöht;
dies kann zu einer Reduzierung der
optischen Abbildungsgüte (u. a. Kontrastreduktion) führen.
Fazit: Nach Möglichkeit soll die Abbesche Zahl nicht unter den Wert 35
sinken.
Weiter lesen wir in den derzeit
gültigen Tauglichkeitsrichtlinien zum
Thema Kontrastsehen:
JAR-FCL 3: Anhang 13 (8):
…..
- Nach refraktiv-chirurgischem Eingriff ...:
(d) Es besteht keine erhöhte Blendempfindlichkeit.
(e) Das Kontrastsehen ist unter
mesop(t)ischen Bedingungen nicht
herabgesetzt.
Hinweis: „Konkrete“ Angaben zu
Kontraststufen fehlen.
Weiteres Defizit:
Kein vergleichbarer (wie im refr.chir. Abschnitt) dezidierter Hinweis
in den JAR Tauglichkeitsrichtlinien
auf Prüfung des Kontrastsehens, z. B.
nach:
- Katarakt-Op (Operation des grauen
Stares), Netzhaut-Op, …
Gerade die mögliche Entstehung
einer Nachstarmembran (nach Katarakt-Op), die gegebenenfalls die
Blendempfindlichkeit erhöhen und
das Kontrastsehen vermindern kann,
sollte für den untersuchenden Augenarzt Anlass sein, auf seinem „Augenärztlichen Untersuchungsbericht“ eine
Zeitspanne zur Wiedervorstellung
(RXO) einzutragen.
Es gibt lediglich einen kleinen Hinweis im Manual (ohne gesetzlichen
Hintergrund), dass auch nach Katarakt-Op das Kontrastsehen reduziert
sein könnte.
Frage:
Wird die Prüfung von Blendempfindlichkeit/Kontrastsehen bei der Erstuntersuchung für Klasse I/II dezidiert
gefordert?
Antwort: Nein
Bild: Herr Grenzmeier, IMZBw
Kontrastsehen und aktuelle Vorschriftenlage in der zivilen Fliegerei:
- Bewerber mit hohen Refraktionsfehlern müssen dieses Defizit
durch Kontaktlinsen oder Brillen
mit hochbrechenden Brillengläsern
korrigieren (siehe JAR-FCL 3.220 (b)
(1) (iii)); ein Kontaktlinsen-Muss
ist verbindlich bei Anisometrie >
3 dpt (JAR 3.220 (b) (4) (ii)) vorgeschrieben.
Mindestumfang der Augenärztlichen Untersuchung (I) lt. JAR-FCL 3
(deutsch):
Bei Erstuntersuchung ist eine augenärztliche Untersuchung durchzuführen, die mindestens die folgenden Untersuchungen umfassen muss (siehe
Anhang 12 (1)(a) zu den Abschnitten
B und C):
- Anamnese
- Bestimmung des bestkorrigierten
und falls erforderlich unkorrigierten
Nah-, Fern- und, wenn nötig, lntermediärvisus
- Objektive Refraktion. Hyperope
Bewerber, die das 25. Lebensjahr
noch nicht vollendet haben, in Zykloplegie
- Augenbeweglichkeit und Binocularsehen
- Bestimmung des Farberkennungsvermögens
- Bestimmung der Gesichtsfelder
- Tonometrie bei Bewerbern, die das
40. Lebensjahr vollendet haben
oder wenn eine Indikation besteht
- Untersuchung des äußeren Auges
und seiner Anhangsorgane, brechende Medien (Spaltlampe) und
Funduskopie.
Die Untersuchung der Kontrastempfindlichkeit gibt dem Augenarzt
zudem wichtige Hinweise auf eventuelle Pathologien:
- Hornhaut- und Linsentrübungen,
Retinopathien,
Optikusneuropathien, Amblyopie, etc.
Visus-Prüfungen und andere Funktionsprüfungen allein sind hier nicht
immer zielführend.
Persönliche Empfehlung (keine
Vorschrift):
Wird ein Erstbewerber (Klasse I/II)
dem Augenarzt vorgestellt, sollten
Blendempfindlichkeit/Kontrastsehen
geprüft und in der Rubrik „Bemerkungen“ diese Ergebnisse fixiert werden.
Aber auch Medikamente (Nebenwirkungen) können das Kontrastsehvermögen beeinflussen:
So lautet eine (persönliche) Empfehlung für ein bekanntes Potenzmittel:
- 4 h kein Flugdienst nach Einnahme
von 50 mg Sildenafil
- 6 h kein Flugdienst nach Einnahme
von 100 mg Sildenafil
Leider wird der Bestimmung der
Kontrastempfindlichkeit in der zivilen
Fliegerei nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Gerade die
Bestimmung der Kontrastempfindlichkeit lässt eine Abschätzung der Fähigkeit zu, Formen und Gegenstände bei
reduziertem Kontrast zu erkennen,
etwa bei Dunst, Dämmerung, Rauchgasen, etc.
Das tangiert in erheblichem Ausmaß die Flugsicherheit!
Kontrastbeeinflussende Faktoren im
Flugzeug:
- Cockpitscheibe (besteht aus mehreren Schichten und ist ca. 2,8 cm bis
ca. 3 cm stark)
- Lichtabsorption (Lichtverlust ca.
35 %, auch bei Nacht!)
- Mehrfachreflexionen
- Oberflächenaufrauung (Streulicht)
- Verschmutzung (Streulicht)
- Spannungsoptische Phänome (u. a.
bedingt durch hohe TemperaturUnterschiede: im Cockpit ca. plus
20°C, Außentemperatur in 10.000
m Höhe ca. minus 55°C)
Folge:
Kontrastminderung ca. 12 % am
Arbeitsplatz Cockpit.
Kontrastsehen und aktuelle Vorschriftenlage in der militärischen
Fliegerei (Zentrale Dienstvorschrift
ZDv 46/6):
In der ZDv 46/6 sind/ist die Prüfverhältnisse/Prüffrequenz klar und nachvollziehbar geregelt.
Hier einen großen gemeinsamen
Nenner zu finden ist auch unvergleichbar leichter als rund 40 Europäische
Staaten unter einen Hut zu bringen.
Kompromisse lassen in der zivilen Fliegerei meist nur den kleinsten gemeinsamer Nenner zu; dies ist jedoch nicht
immer der Flugsicherheit dienlich.
So fordert die Bundeswehr für
Fliegendes Personal jeglicher Waffengattung mit dem Wehrfliegerverwendungsfähigkeit-Grad I, II und III (ständige LFZ-Besatzungsangehörige) ein
Kontrastsehvermögen von mindestens 1:2.
Dies bedeutet, dass die Bundeswehr
der Flugsicherheit einen sehr hohen
Stellenwert beimisst.
Diese hohe Anforderung muss auch
vor dem Hintergrund gesehen werden, dass unter widrigsten Umweltbedingungen das visuelle Erfassen von
Strukturen überlebensnotwendig sein
kann. Die Prüfung des Kontrastsehens
ist somit u. a. Gegenstand der Prüfung
beim „Routine-TÜV“ (Untersuchung
auf „Wehrfliegerverwendungsfähigkeit“).
Zusammenfassung:
Kontrastwerte
(Leuchtdichteverhältnis der Sehzeichen zum Umfeld)
Empfehlung für die zivile Luftfahrt:
- 1:23 erkannt/nicht erkannt = untauglich für alle Klassen
- 1:5 erkannt
= tauglich für Klasse II* (mit Aufklärung!)
= tauglich für Klasse I* (mit Auflage:
„OML“)
*Überprüfung nach 24 Monaten
- 1:2,7 erkannt
= tauglich für Klasse II
= tauglich für Klasse I*
*Überprüfung nach 24 Monaten
- 1:2 und besser erkannt
= tauglich für alle Klassen
Bei Unauffälligkeit: Kontrolle nach
je 60 Monaten.
19
Flugsicherheit
Learning the hard way:
So ist es mir ergangen
von Dr. Christoph Wonhas,
Flugmedizinischen Institut der Lw
Die Luftbildaufnahmen für diesen Beitrag sind von der
Polizeihubschrauberstaffel Bayern erstellt und mit freundlicher
Genehmigung für den Druck freigegeben worden.
Flugzeugabsturz am
3. Mai 2008
Der Autor schildert als
Notarzt im Rettungshubschrauber SAR 56 aus
Landsberg die Vorgänge
bei einem
Flugzeugabsturz.
Die aufgezeigten (auch
eigene) Fehler sollen
helfen, dass andere
bei einem Flugunfall
nicht die gleichen Fehler
machen und sich dabei
in Lebensgefahr
bringen.
Am Samstagnachmittag wurde
über die Leitstelle in Münster (RCC)
der Hubschrauber in Landsberg zu
einem Flugzeugabsturz südlich von
Augsburg alarmiert. Bereits im Anflug
an die Unfallstelle war zu sehen, dass
hier unmittelbar unterhalb einer Hochspannungsleitung ein brennendes
Flugzeugwrack mitten in einem Rapsfeld lag.
20
Die Feuerwehr war bereits anwesend. Nach der Landung erkundigte
sich der Notarzt bei der Feuerwehr, ob
Informationen über die Besatzung des
abgestürzten Flugzeugs vorlägen. Dies
wurde verneint. Daraufhin überprüfte
er selbst als Erster und Einziger das
brennende Flugzeugwrack im Rapsfeld, um sich ein Bild über das Unfallgeschehen zu machen. Die beiden
Insassen waren bei dem Unfall ums
Leben gekommen.
Erst auf Anforderung des Notarztes
unternahm dann die Feuerwehr einen
Löschversuch aus unmittelbarer Nähe.
Ein Radfahrer hielt sich ebenfalls
beim Rapsfeld neben dem brennenden Flugzeugwrack auf; er hatte
den Unfallhergang beobachtet und
gemeldet.
Weder die Feuerwehr noch die Polizei hatten Absperrungen vorgenommen.
Der gesamte Verlauf der Rettungsaktion wurde aus dem Polizeihubschrauber, der über der Unfallstelle
schwebte, fotografiert. Die Bilder
wurden zu Ausbildungszwecken dem
Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe zur Verfügung gestellt. Nach
Auskunft der Polizei sind raketengetriebene Selbstrettungssysteme für
Ultralight-Flugzeuge vorgeschrieben.
Ihre Performance wird mit 1,5 Sekunden von 0 auf 10.000 ft angegeben.
So wurde von der Polizei berichtet,
dass nach einem Flugzeugabsturz ein
Feuerwehrmann von einem solchen
Selbstrettungssystem mit Raketentreibsatz getötet worden sei.
Diese Rettungssysteme werden auch
in kleinen Privatflugzeugen eingebaut.
Sie sind von außen nicht zu erkennen.
Ob der Treibsatz von der Besatzung
während des Unfallherganges noch
gezündet bzw. geschärft/aktiviert
wurde, ist dann ebenfalls unklar.
Nach Herstellerangabe entwickelt
der Treibsatz im Brandfall Rauch mit
Salzsäure. Entsprechender Selbstschutz
des Rettungspersonals ist zwingend
erforderlich. Deshalb ist die unmittelbare Nähe von Rettungsdienstpersonal, Feuerwehr, Polizei und Zeugen am
Unfallort eines abgestürzten Flugzeugs
unter Umständen lebensgefährlich.
Diese Schilderungen des Vorgangs
und die schrittweise Fotodokumentation sollen dazu dienen, alle, die sich
möglicherweise mit einem Flugunfall
eines Privatflugzeuges beschäftigen
müssen, vor den möglichen Gefahren
zu warnen. Ein Löschversuch der Feuerwehr muss aus Selbstschutzgründen
mit der nötigen Entfernung, Vorsicht
und unter Tragen von schwerem
Atemschutzgerät erfolgen.
21
Flugsicherheit
Nach Rücksprache mit dem DAeC
sind generell alle Ultraleichtflugzeuge
mit Gesamtrettungssystemen auszurüsten. Erkennbar sind diese am Kennzeichen D-MXXX. Ausgenommen
davon sind nur Gyrocopter (Tragschrauber). Aber auch einmotorige
Flugzeuge der „E“-Klasse können mit
einem Gesamtrettungssystem ausgestattet sein, wie zum Beispiel die Cirrus SR 20/22 (serienmäßig). Nachrüstsätze werden auch für Cessna 172
und 182 angeboten. Es ist nicht klar
auf den ersten Blick zu erkennenbar,
ob ein Rettungssystem eingebaut ist
oder nicht. Deutsche Bauvorschriften
fordern lediglich die Kennzeichnung
der Ausschussöffnung. Gemäß amerikanischem Standard ASTM F2316 sind
Flugzeuge auch im Einstiegsbereich
zu kennzeichnen, um bei Flugunfällen
Bergungs- und Rettungskräfte vor der
Gefahr nicht ausgelöster ballistischer
Systeme zu warnen. Eine diesbezügliche Angleichung der deutschen Vorschriften wird angestrebt.
Die Auslösung erfolgt in der Regel
über einen Bowdenzug im Cockpit,
der einen pyrotechnischen Treibsatz
zündet. Diese „Rakete“ durchbricht
eine dafür präparierte Stelle des
Rumpfes und zieht den Fallschirm aus
dem Container oder Softpack.
Die Gefahr an der Unfallstelle besteht in erster Linie durch eine ungewollte Auslösung des Systems bei Rettungsarbeiten durch:
- unabsichtliches Ziehen des ungesicherten Auslösegriffs oder
Überdehnung des Auslösezuges
(Hängenbleiben von Körperteilen /
Kleidungsstücken am Griff oder
Zug bei der Bergung von Personen)
oder durch Auseinanderziehen gebrochener Zelleteile und
- Zünden des Treibsatzes durch Hitzeeinwirkung.
Das Kappen des Bowdenzuges
verhindert in der Regel ein unbeabsichtigtes Aktivieren des Rettungssystems. Es ist aber Vorsicht geboten,
wenn der Zug gedehnt ist und eine
22
Eingebautes Gesamtrettungsgerät
Bild von Herrn Herbert Lehner, DAeC
Spannung des Schlagbolzens gegeben sein könnte! Von der markierten
Ausschussöffnung gilt es sich fern zu
halten. Aber auch von Tragegurten
und Stahlseilen geht eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus, da diese
durch das auslösende System aus der
Zelle gezogen und gestrafft werden.
Insbesondere bei Tiefdeckern, bei denen die Tragegurte / -seile in der Regel
unterhalb des Kabinenrandes verlegt
sind, kann eine sich in die Kabine beugende Person ernsthaft verletzt oder
getötet werden.
Das Minimum an Eigensicherung vor
der Rettung ist das Sichern des Auslösegriffes!
Nicht aktiviertes Rettungssystem nach einem
Flugunfall
Bild von Herrn Herbert Lehner, DAeC
entlang der Leinen frei bewegen kann.
Der Slider befindet sich beim gepackten
Schirm am oberen Ende der Fangleinen.
Da der Slider einen wesentlich geringeren Durchmesser als die Basis der
Schirmkappe besitzt, begrenzt er den
anfänglichen Öffnungsdurchmesser des
Schirmes sowie die Füllrate. Sobald der
dynamische Druck auf ein sicheres Niveau abgenommen hat, bewegt sich
der Slider auf den Fangleinen hinunter
und erlaubt dabei dem Schirm, sich
voll zu füllen. Durch Veränderung der
Slider-Geometrie können spezielle Füllbedingungen erzielt werden. Ein größerer Durchmesser bewirkt eine Erhöhung
des Luftstromes und damit eine Erhöhung der anfänglichen Füllrate. Durch
Verringern der Stofffläche des Sliders
wird dessen Widerstand verringert,
was eine „Entraffung“ bei einem höheren dynamischen Druck bewirkt und
damit die völlige Füllung der Kappe beschleunigt. BRS hat als erster Hersteller
diese Technologie eingeführt und für
Fallschirmrettungssysteme patentiert
(U.S Patent #4,863,119).
Im folgenden
Beitrag stellen wir das
Gesamtrettungssystem
für Ultraleichtflugzeuge
der Firma BRS Inc. vor.
(Vielen Dank
an Herrn Miklis
von der Firma
Ballistic Recovery
Systems)
BRS Inc. hat in 30 Jahren Firmengeschichte ca. 29.000 Rettungssysteme hergestellt; bis zu diesem Zeitpunkt verdanken 236 Menschen ihr
Leben einem dieser Rettungssysteme
(http://www.brs-vertrieb.de).
Grundlagen des BRS-Systems
Fallschirm
Zur Flugzeugrettung werden runde,
nicht-lenkbare Fallschirme benutzt. Ihr
Zweck ist es, ein Flugzeug auf eine Sinkgeschwindigkeit zu verlangsamen, die
zu einem sicheren Aufsetzen erforderlich ist. Es ist die Einfachheit, die ihre
Zuverlässigkeit bestimmt.
Die Grundstruktur eines runden Fallschirmes besteht aus der Schirmkappe
(Canopy) und den Fangleinen (Suspension Lines). Die Kappe hat eine Scheitelöffnung (Vent), um Luft entweichen zu
lassen. Dies reduziert Schwingungen
und gewährleistet ein stabiles Sinken.
Die präzise Geometrie der Kappenform und der Verstärkungsstruktur
sowie die Auswahl des verwendeten
Materiales sind darauf ausgerichtet, ein
Optimum an Öffnungscharakteristik,
Festigkeit, Stabilität und Sinkrate zu
erzielen.
Das typische Lastprofil beginnt mit
der Last, die entsteht, wenn der Fallschirm aus seinem Container bis zur
vollen Streckung herausgezogen wird.
Diese wird normalerweise vom Pilot/
Passagier nicht gespürt. Höhere Lasten
entstehen, wenn die Luft beginnt, die
Kappe zu füllen. Die Belastung ist abhängig von der Fluggeschwindigkeit
bei der Öffnung, der Anhängelast
sowie der atmosphärischen Bedingungen.
Slider
Nachdem der Fallschirm vollkommen ausgezogen und dem Luftstrom
ausgesetzt ist, beginnt er sich zu füllen
und Widerstand zu erzeugen, der das
Flugzeug abbremst. Die Füllrate der
BRS-Schirme wird mittels eines eigenen
ringförmigen Sliders kontrolliert. Die
Fallschirmleinen sind durch die Ösen
dieses Sliders geführt, sodass sich dieser
Rakete
Alle aktuellen BRS-Raketen-Motoren
sind mit einem festen Treibstoff geladen, der die erforderliche Energie zur
Verfügung stellt für einen schnellen
Ausschuss, das Durchschlagen von Abdeckungen / Verkleidungen und das
Herausziehen des Fallschirmes aus dem
Container. Der Treibstoff besteht aus einer heterogenen Mischung aus Ammonium-Perchlorate (AP) und AluminiumPulver (AI), wie sie in modernen festen
Treibstoffen allgemein gebräuchlich ist.
Ein synthetischer Gummibinder hält die
Bestandteile in Form. Die Auslösung erfolgt mechanisch, nicht elektrisch. Die
Zündeinheit besteht aus der Spannvorrichtung, einem Schlagbolzen, einer
Stahlfeder, einem Kolben, an dem das
Aktivierungs-Kabel befestigt wird und
zwei Zündhütchen. Jedes Zündhütchen
hat einen eigenen Schlagbolzen sowie
Zündstoff, der den Beschleuniger im
Ende der Zündeinheit anzündet.
23
Flugsicherheit
Durch das Ziehen des Auslösezuges
wird der Schlagbolzen gespannt und der
Kolben aus der Zündeinheit gezogen.
Nach etwa 13 mm Weg des Kolbens
fallen die Kügelchen heraus und geben
den gespannten Schlagbolzen frei. Die
Zwischenschlagbolzen lösen die Zündhütchen aus, die wiederum den Beschleuniger entzünden.
In der Ausgangslage ist der Schlagbolzen entspannt.
Festbrennstoff-Motoren entwickeln
eine Flamme, die für die Flugzeugzelle
unproblematisch ist. Bei der äußerst hohen Startgeschwindigkeit ist die Flamme
weg, bevor sie Probleme verursachen
kann. Die Raketenabgase bestehen
hauptsächlich aus Wasserdampf und
nicht brennbaren Gasen, die sich derartig
schnell entspannen, dass sie alles wegblasen, bevor es warm genug ist, um sich
zu entzünden.
Aktivierungseinheit
Der Raketen-Motor wird aktiviert,
indem man den roten Auslösegriff
zieht, der fest in Reichweite des Piloten
installiert ist. Dieser Griff ist über einen
Bowdenzug mit der Zündeinheit der Rakete verbunden und normalerweise das
einzige für den Piloten im Flug erreichbare Teil des Systems.
Für die Auslösung des Systems
sind zwei verschiedene Aktionen des
Piloten erforderlich. Erstens die Entsicherung des Auslösegriffes durch
Ziehen des Sicherungsstiftes während
der Startkontrolle und zweitens das
Herausziehen des Auslösegriffes um
mehrere Zentimeter aus dem Halter.
Die ersten „losen“ Zentimeter des
Auslösezuges verhindern eine unbeabsichtigte Auslösung durch Biegung
des Zuges oder „Hängenbleiben“ am
Griff. Die verbleibende Bewegung (ungefähr ½ Zoll) aktiviert die Rakete. Die
erforderliche Zugkraft schwankt von
30 bis 70 Pfund, bedingt durch Reibung unterschiedlicher Verlegung und
unterschiedliche Zuglängen.
Gurte und Tragegeschirr
Für die Verbindung zwischen dem
Flugzeug und dem Fallschirm werden
Gurte bzw. Gurt-Sets verwendet, die in
der Regel an mehreren Punkten direkt
mit dem Luftfahrzeug verbunden sind.
24
Kennzeichnung des Luftfahrzeuges
Mit einem BRS-Rettungsgerät bekommen Sie einen kompletten Kennzeichnungssatz geliefert.
Das Typenschild mit allen systemrelevanten Angaben ist sichtbar im Cockpit
anzubringen.
Zur zusätzlichen Warnung vor versehentlicher Benutzung wird ein Label
über dem Auslösegriff angebracht.
Der Sicherungsstift des Auslösegriffes
ist serienmäßig mit einer roten Warnflagge versehen.
Die Austrittsfläche der Rakete und
des Schirmes ist in ihren Ausmaßen und
mit einem Label zu kennzeichnen.
Empfehlenswert für die Warnung
von Passagieren und Rettungskräften ist
die Verwendung eines Labels an den Einstiegsbereichen des Luftfahrzeuges.
Bravo – gut gemacht!
Im Rahmen der 180-Tage-Inspektion am Waffensystem CH-53G mit
SDE-Verkabelung in der 2./TSLw 3 in
Fassberg hatte Hauptfeldwebel Dieter
Salwik gem. GAF T.O. 1H-53G-65 die
Verkabelung des Instrumentenbretts
zu überprüfen. Dazu wurde von ihm
der vordere Elo-Raum geöffnet.
Obwohl die Überprüfung der benachbarten liegenden linken und rechten Elo-Räume gemäß Inspektionsplan
nicht vorgesehen waren, überprüfte
HFw Salwik eigenverantwortlich die
Verkabelung an diesen Stellen.
An einer nur schwer einsehbaren
und zugänglichen Stelle im rechten
Elo-Raum entdeckte er eine Scheuerstelle an einem Kabelbaum. Dieser
wurde ungünstig an einem Verstärkungsblech vorbeigeführt. Eine Überprüfung im linken Elo-Raum der gleichen Maschine ergab ebenfalls eine
Scheuerstelle an dem baugleichen
Verstärkungsblech.
HFw Salwik überprüfte daraufhin
zwei weitere CH-53 ohne durchge-
führte SDE-Verkabelung. Hier war die
Verkabelung einwandfrei ausgeführt.
Da im Verband keine weiteren CH-53
mit durchgeführter SDE-Verkabelung
vorhanden waren, nahm er Kontakt
mit der LfzTAbt 152 in Rheine auf. Hier
konnte die mangelhafte Verkabelung
an einer weiteren Maschinen bestätigt
werden.
Der gewissenhaft und weitreichend
durchgeführten
Inspektion
durch
HFw Salwik ist es zu verdanken, dass
eine Schwachstelle mit unkalkulierbarem Fehlerpotential entschärft werden konnte.
25
Flugsicherheit
Tipps für die
Zwischenfalluntersuchung
... oder: Wie untersuche ich den familiären Zwischenfall?
von Oberstleutnant Jörg Behnke,
GenFlSichhBw
Stellen Sie sich vor:
Ihr fünfjähriger Sohn
hat einen Freund eingeladen und die beiden
verbringen gemeinsam
einen ausgefüllten Spielnachmittag. Die Kinder
sind im Haus, also kann
eigentlich nichts schief
gehen. Sie selber sind
mit sich, ihrem Jungen
und dem friedlichen
Zusammenspielen
beider Kinder äußerst
zufrieden.
Den Vater des Jungen, der ihn nach
Stunden abholen kommt, laden Sie
noch zu einem kleinen „Schnack“ unter Freunden ein, und alles hat einen
ziemlich entspannten und friedlichen
Anschein. Von den beiden Jungen haben Sie schon lange nichts mehr gehört, sie scheinen ja gut miteinander
zu spielen, so die Vermutung. „Denen
scheint’s ja richtig gut zu gehen ... und
schön, dass die beiden uns die Ruhe
gönnen“, geht Ihnen noch fast beiläu26
fig durch den Kopf. Plötzlich aber wird
diese heile Welt vom Geräusch einer
klappernden, leicht quietschenden Tür
in der oberen Etage gestört. Nur Sie
wissen, dass dieses Quietschen von
der Tür des Zimmers verursacht wird,
welches das große Aquarium beherbergt ...
Oft sind es die ersten Gedanken,
die uns sofort Schreckenszenarien
konstruieren lassen, die uns aufgrund
unserer abstrakten Denkweise über
Kausalitäten zwischen Wirkungen und
Ursachen spekulieren lassen. Noch
verdrängen Sie den Gedanken, noch
kämpfen Sie gegen Ihren Argwohn
an und versuchen Ihre Gedankenwelt
von diesen Vorahnungen zu befreien,
wohlwissend, dass es oftmals genau
diese ersten Indikatoren sind, die helfen
können, die berühmte Ereigniskette
schon frühzeitig zu unterbrechen.
Vorrausgesetzt, wir sind innerlich bereit, diese rechtzeitig als solche zu
erkennen. Doch oftmals, wie auch
hier in diesem Fall, verstecken wir uns
hinter unserer eigenen Selbstsicherheit und unserer vermeintlichen Unverwundbarkeit. Natürlich entdecken
die Jungs das große Aquarium, und
natürlich wird in einer Mischung von
Jacques Cousteau und Kapitän Nemo
diese unbekannte Welt ergründet. Erst
später werden Sie neben dem Aquarium ein Wasserschlachtfeld vorfinden,
werden Sie entdecken, dass das Wasser des Aquariums völlig mit Fischfut-
ter verunreinigt ist und mehr an eine
Klärgrube als an ein Tummelplatz für
exotische Fische erinnert. Auch entdecken Sie, dass das Goldfischglas
neben dem großen Aquarium leer ist,
in der sich bis vor kurzem noch zwei
Goldfische tummelten, und jetzt nur
noch die Pflanzen an der Oberfläche
schwimmen. Und letztendlich werden
Ihnen zwei Jungen gegenüberstehen,
die mit sich zwar nicht 100%ig (der
Trübheitsgrad des Wassers wird auch
von den Jungen als verbesserungswürdig eingeschätzt), aber dennoch ganz
zufrieden sind. Schließlich hat man die
Goldfische aus der Enge der Kugel befreit und diese in das mit ausreichend
viel Futter versehene „riesengroße“
neue Aquarium umquartiert. Die Aktion
hat sich gelohnt, und man ist vom Erfolg überzeugt. Stolz breitet sich aus.
Was hat das Ganze jetzt mit Zwischen- oder gar Unfällen und deren
Entstehungsgeschichte zu tun? Lassen
Sie uns unsere Wahrnehmungen ordnen.
Erstens:
Die Ruhe. Sie ist trügerisch. Ruhe
wird im herkömmlichen Sinne als
entspannend, relaxend, als Abschalten vom Alltag oder, wie hier in unserem Beispiel als Zeichen eines harmonischen Spielen von zwei Jungs
im Rüpelalter gedeutet. Aber, nicht
von ungefähr, heißt es auch „Ruhe
ist trügerisch“. Ruhe ist nur bedingt
als Indikator für einen ausgewogenen
Zustand qualifiziert. Ruhe wahrzunehmen kann auch ein Indikator für
Stillstand, für das „Sich-zufrieden-geben-mit-dem-Gegenwärtigen“ sein,
welches uns in unserer Fähigkeit, den
Alltag aufmerksam und offen zu erleben, einschränkt. Ruhe lullt uns ein.
Wenn wir das zulassen, beraubt uns
das Gefühl der Ruhe unserer Fähigkeit
Unregelmäßigkeiten zu bemerken.
Wir sind nicht mehr wach. Ruhe ist ein
Zustand in den man sich selber begibt.
Man initiiert ihn selbst. Wie oft geht
uns die Forderung „Lass mich bloß
damit in Ruhe“ über die Lippen. Aber
im eigentlichen Sinn ist dies nichts anderes als das klare Bekenntnis, dass
man nicht aufgeweckt werden will.
Verweigerung ist in. Querdenker gelten als schwierig, nervend, weil sie unsere selbst geschaffene und gepflegte
Harmonie durcheinanderwirbeln wollen.
Zweitens:
Das Verstecken hinter dem „Dasist-doch-schon-immer-gut-gegangen“. Es ging vorher immer alles glatt,
wenn die beiden Jungs miteinander
gespielt haben. Tiefer betrachtet hegen wir damit nichts als die Hoffnung,
dass sich die Umstände von allein im
Gleichgewicht halten. Wir glauben an
unsere Unverwundbarkeit. Damit verschieben wir aber, wenn auch in der
Situation unbewusst, die Toleranzgrenzen, obwohl wir die Hoheit über
diese groteskerweise immer noch
beanspruchen. Mit dieser „Lass-siedoch-machen-es-wird-schon-nichtspassieren“-Mentalität, mit dieser
Mischung aus Vertrauen und Hoffnung, legitimieren wir nicht nur das
Ausloten der linken und der rechten
Grenze neben der Normlinie, sondern
verschieben diese auch ins Ungewisse.
Wir bemerken nicht, wie weit wir uns
dabei schon von der Norm entfernen bzw. schon entfernt haben. Wir
müssten uns eigentlich von ersten In-
dikatoren alarmieren lassen, ignorieren sie aber. Wir wissen doch ganz genau, warum die Tür knarrt, reagieren
aber nicht. Wir wussten, dass Formation Flying nicht seine Stärke war, sind
aber dennoch nicht eingeschritten,
haben vielleicht die notwendige Hilfe
verweigert. Diese ersten vorsichtigen
Anzeichen von Normabweichungen
sind jedoch oftmals so wichtig, weil
sie in diesem Stadium noch leicht korrigierbar sind. Dies setzt aber Initiative
voraus. Wir müssten ja aufstehen, die
Treppe hochgehen und nachsehen,
warum die Tür knarrt. Es gibt auch
in der jüngeren Vergangenheit der
Luftwaffe eine Reihe von Beispielen,
bei denen Kameraden im Laufe der
Untersuchung von Flugunfällen Vorahnungen äußerten, die sie schon
seit längerer Zeit gehabt hatten. Man
ahnte, dass irgendwann etwas passieren musste. Natürlich ist der Umgang
mit Vorahnungen und Befürchtungen
gefährlich. Fingerspitzengefühl ist hier
erforderlich. Doch wenn das Fundament, auf dem die Befürchtung ruht,
tragfähig ist, wenn die Tür hörbar
knarrt, dann gehört die Vorahnung zu
diesen ersten Indikatoren, die Aktion
erfordern. Vorahnungen sind somit
lebensnotwendig, ja lebensrettend,
da sie uns motivieren, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Wir werden von
unseren Befürchtungen gezwungen,
zu reagieren. Wie wir reagieren, ist
dabei die Frage. Defensiv - verdrängen, verschweigen, wegsehen oder
offensiv - die Treppe hochlaufen und
nachsehen. Die Bandbreite der Reaktionen ist groß.
Die Unfalluntersuchung eines B-52Absturzes in Fairchild am 24. Juni
1994 ordnete einige Ursachen der Organisation/ Leadership zu. Major General Smith fasste es damals mit den
Worten „Failed leadership can have
tragic consequences“ zusammen. Es
wurde ziemlich deutlich hinterfragt,
wie es dazu kommen konnte, dass
ein einzelner Pilot es schaffte, für sein
gesamtes Umfeld unantastbar zu wer-
den. Obwohl eine Reihe von Fakten
und Indizien ausreichend Warnsignale
teilweise weit im Vorfeld des Unfalls
abgegeben hatten, wurde keiner von
diesen erhört. Keiner reagierte. Das
gesamte Umfeld verfiel in eine Art Lethargie. Hier war nicht nur der Leader
als solcher die Ursache, hier war es das
System der Leadership, die Organisation. Organisation versteht sich dabei
nicht als etwas Abstraktes, weit weg
vom Individuum Operierendes. Im Gegenteil, sie umfasst alle Ebenen, die
mit der Planung und Durchführung des
Flugbetriebes befasst sind. Auf einen
Nenner gebracht: Wir sind die Organisation und qualifizieren somit auch
zum Back-up für den Leader. Was der
Vorgesetzte nicht erkennt, muss eine
intern funktionierende Organisation
erkennen und hörbar machen. Organisation hat somit auch in ihrer Funktionalität etwas Alarmierendes, denn
wenn der Missstand hörbar wird, muss
der Vorgesetzte reagieren. Beide Väter
hatten das Knarren der Tür laut und
deutlich vernommen. Hätte dies nur
einer dem andern gegenüber geäußert, wäre eine Reaktion zwangsläufig
gewesen.
Drittens:
Man will seinen Jungen ja nicht
bloßstellen. „Mein Junge macht so was
nicht“. Auf so was würde der nie kommen, sagen wir, obwohl wir natürlich
wissen, dass der Entdeckerdrang in jedem von uns steckt. Nicht nur im Kindesalter, wo man den Drang nach der
Erweiterung des kindlichen Horizontes
noch toleriert, ist Norm unpopulär geworden. Normen muss man heutzutage viel öfter verteidigen, sie werden
hinterfragt und in Zweifel gezogen.
Normen bestimmen nicht mehr das
Leben, sie fordern heraus. Es ist sicher
ein Problem unserer Gesellschaft im
21. Jahrhundert, dass Normen ihren
Status als Richtlinien scheinbar verloren haben. Vielerorts steht die Norm
für Provokation und wird zum Streitobjekt degradiert. Wir wollen neue
27
Flugsicherheit
Grenzen für uns entdecken und erobern. Oftmals fordert uns der Alltag,
insbesondere der fliegerische Alltag,
gerade dazu heraus, uns in Grenzbereiche hinein zu manövrieren, Grenzen auszumessen und verleitet dieses
an die „Grenzen-gehen-müssen“ automatisch auch zur Bereitschaft, die
Norm zu verletzen?
Viertens:
Die Frage nach dem „Warum“, dem
Motiv. Die sind doch alt genug, um
zu wissen, was sie dürfen oder nicht!
Dieser oft gehörte Satz steht für Vertrauen. Vertrauen in den Menschen
neben mir, in sein Wissen um Konsequenzen. Natürlich setzen wir dabei
auch auf eine gewisse Rationalität
seines Handelns. Wir setzen auf seine
Befähigung, das Risiko abzuschätzen
und darauf basierend Entscheidungen
zu treffen. Wir trainieren und werden
darauf trainiert, auf Anhieb gute, richtige Entscheidungen zu treffen. Dabei
geht es oftmals um Zeit. Es gilt, sich
schnell und möglichst ohne Verzug auf
neue Bedingungen einzustellen. Eine
Notsituation im Cockpit muss schnell
erkannt werden, im Ergreifen der richtigen Handlungen müssen Zusammenhänge berücksichtigt werden. Häufig
steuert und unterstützt uns dabei auch
der Common sense, unser gesunder
Menschenverstand, der letztlich nur
den Zusammenhang zwischen unserer inneren Logik und unserem Wissens- und Erfahrungsschatz darstellt.
Dieser ist aber gerade individuell sehr
unterschiedlich ausgeprägt. Das Risiko, die Goldfische beim Fangen und
Umquartieren zu verletzen, wurde von
beiden Jungs geringer eingeschätzt als
die Gefahr, die für die Fische von der
engen Glaskugel ausgeht. Sie wollten
den Fischen nicht ans Leben. Beide
haben sich nur von ihrer Sicht, von ihrer eigenen Erfahrung, lenken lassen.
Enge ist bedrückender als trübes Wasser. Damit hätten wir Großen rechnen
müssen. Wir sind diejenigen, die das
Urteilsvermögen der Jungen hätten
28
einschätzen müssen. „Die sind doch
alt genug“ reicht nicht aus. Der Grat
zwischen dem „Ja ich bin überzeugt
die können das!“ und dem sinnvollen
Setzen notwendiger Grenzen ist sehr
schmal. Sinnvolle Grenzen sind mit
Vertrauen untermauert. Klingt gut,
ist aber zu einfach, denn letztendlich
basiert der Risikoabwägungsprozess
immer noch auf dem Menschen. Und
es ist der Mensch mit all seiner Emotionalität, der die Störgröße darstellt.
Der Unterschied bei dem geschildertem familiären und einem
„richtigen“ Zwischenfall liegt in der
Konsequenz. Verdrecktes Aquarium
oder Flugzeugwrack. Grenzen in der
Fliegerei seien mit Blut geschrieben,
hieß es früher. Sicher wahr zu seiner
Zeit, doch Grenzen mit Blut auszuloten, ist heutzutage bestimmt kein
probates Mittel mehr. Grenzen sind
daher etwas Synthetisches geworden.
Sie sind mathematisch ermittelt. Auf
eine praktische Erprobung wird verzichtet.
Der große Unterschied der beiden
Fälle liegt aber auch in der Betrachtung oder in der Aufarbeitung des Geschehens.
Versetzen wir uns in die Position der
Kinder. Diese haben in ihrer Unerfahrenheit, ihrer Naivität, aber auch in ihrem Drang Neues zu entdecken, Fehler gemacht. Diese sind für uns Väter
offensichtlich und können sehr leicht
als dumm eingestuft werden. Hinterfragt man das Geschehene, kommt
man zu dem Schluss, dass die Jungen
aufgrund von Unerfahrenheit und im
guten Glauben, den Goldfischen neue
und attraktivere Lebensbedingungen
zu verschaffen, falsch handelten. Anders formuliert führten der geringe
Erfahrungsstand und die (noch) mangelnde Ausbildung zu dem für die Fische fast fatalen Ergebnis. Betrachten
wir die Geschehnisse aber hinsichtlich
der Verantwortung der Väter (für mich
persönlich also der selbstkritische Approach), so ergibt sich, dass wir sowohl den Erfahrungsstand unserer
Söhne falsch einschätzten wie auch
unsere eigene Aufsichtspflicht grob
vernachlässigten.
Wie war das doch gleich? „Failed
leadership can have tragic consequences“ - eben auch im familiären
Rahmen.
Nicht mehr mit mir!
©Zeichnung von SFw Ingo-Paul Dierkes
von Oberstleutnant Peter Hatzfeld,
GenHFlgTrp BerWE, Bückeburg
Als ganz junger Hubschrauberführer der
Luftwaffe, mit vielleicht
300 Stunden Bell UH-1D
auf dem Buckel, befand
ich mich seit ein paar
Wochen in der 2. Staffel
HTG 64 in Ahlhorn
(EDNA). Begierig auf
Flugstunden freute ich
mich auf einen Einsatz
aus leider traurigem Anlass. Für eine Trauerfeier
sollten früh am Morgen
aus Hamburg ein Trom-
peter und ein Trommler
abgeholt werden. Das
Antreten in einer Flugzeughalle in Ahlhorn
war am frühen Vormittag geplant. Die Mission
musste also auf jeden
Fall erfolgreich verlaufen. Die Besatzung bestand aus einem Combat
Ready Piloten und mir.
Es war wohl unser erster gemeinsamer Flug.
Wir kannten uns sonst
kaum.
Bei Tagesanbruch und deutlich vor
der üblichen Flugplatzöffnungszeit
flogen wir bei noch gutem VFR-Wetter nach Hamburg. Für mich war die
Landung auf einem zivilen Verkehrsflugplatz dieser Größe zu der Zeit
noch eine neue Erfahrung. Ich war
beeindruckt, wie souverän mein VLF
unseren Hubschrauber in der Morning
Rush Hour zwischen den Airlinern zur
Landung einfädelte. Die beiden Passagiere waren pünktlich erschienen und
wir planten mit einer IFR-Departure
den Rückweg nach EDNA anzutreten.
Im Laufe der Morgenstunden sollte das
Wetter dort eintrüben. Ausreichend
gutes Wetter für eine IFR-Landung war
aber vorhergesagt. Das leicht nebelige
Wetter zum Zeitpunkt der Rückkehr
war nur im kleinen Umkreis von EDNA
vorhergesagt. Startup für den Rückflug wurde uns umgehend erteilt. Der
29
Flugsicherheit
Rotor drehte sich und wir erbaten die
IFR-Clearance. Diese kam prompt und
man teilte uns mit, dass wir „Number
7 in Departuresequence“ wären. Das
bedeutete eine lange Wartezeit. In
Hamburg und Umgebung hatten wir
im wesentlichen CAVOK. Mein VLF
antwortete: „GAF 245 cancelling IFR.
Request take off present position to
depart VFR to the southwest.“ Diesem
Wunsch wurde umgehend entsprochen und wir starteten mit der Morgensonne im Rücken in den blauen
Himmel. Mein VLF wollte dann unterwegs von VFR zu IFR wechseln. Wir
stiegen auf über 1.000 Fuß. Wenige
Meilen außerhalb der Kontrollzone
wechselten wir zu Hamburg-Radar
und erbaten einen „IFR Pick Up“, um
wie ursprünglich geplant nach IFR in
EDNA zu landen. Wir bekamen die
Clearance dafür erteilt. Mein VLF hatte
Erfahrung und Raffinesse. Das imponierte mir.
Immer noch hatten wir zwischen
den vereinzelten Schönwetterwolken
Bodensicht und 10+ Visibility. Dieses
blieb auch so bis inklusive Wildeshausen, einer kleinen Stadt an der Kontrollzonengrenze von EDNA. Bekannt
war dieses Städtchen auch wegen der
dort liegenden Fallschirmjägerkaserne
mit einem Hubschrauberlandeplatz.
Für den Fall der Fälle hätte man dort
ungeplant landen können, einen KvD
aktivieren und unsere Fluggäste rechtzeitig zur Trauerfeierlichkeit transportieren können. Dieses besprachen wir
im Cockpit kurz, weil bei der Nachfrage nach den Wetterbedingungen am
Flugplatz Ahlhorn das aktuelle Wetter
nur noch 300 Meter RVR und 150 Fuß
Vertikalsicht betrug. Wie ein Quecksilbertropfen auf dem Boden lag eine
graue Nebelsuppe mit wenigen Meilen
Durchmesser über unserem Heimatflughafen. Für den Fall eines Fehlanfluges hatten wir genügend „Fuel on
Board“, um den Ausweichflugplatz
in Rheine-Hopsten zu erreichen. Es
stellte sich nur die Frage, was unsere
Fluggäste um ca. 8.00 Uhr in Rheine
30
sollten, wenn sie um 9.00 Uhr in Ahlhorn gebraucht werden und die Fahrt
mit einem noch zu organisierendem
Kfz bestimmt über eine Stunde dauern
würde? Warten auf Wetterbesserung
machte wenig Sinn, weil dann wohl
die Trauerfeier ohne unsere Fluggäste
hätte stattfinden müssen. Ich erwartete nicht, dass man bei dem Nebel
wirklich landen könnte. Das Wetter
war schließlich „below Minimum“.
Der VLF entschied sich zu einem Anflug.
Es gab ein ILS für die RWY 27 mit
einem Minimum von 200 Fuß GND.
Die Minimumhöhe für ein CopterGCA war 100 Fuß GND bei einer Flugsicht von wenigstens 400 Metern. Wir
erbaten ein Copter-GCA. In der IFRAusbildung hatte ich viele Approaches
geflogen, aber noch nie bei so richtig
schlechtem Wetter. Es war eine Herausforderung für mich. Wie „fühlen“ sich Sichten am Minimum und
darunter tatsächlich an? Meine IFRAusbildung war gut. Wenige Wochen
vorher hatte ich meinen Checkride bestanden, obwohl der letzte ILS-Anflug
in IMC mit abgedecktem künstlichem
Horizont (Partial-Panel) geflogen werden musste. So what? Ich war cool. Ich
war begierig auf neue Herausforderungen und hatte Vertrauen in meinen
VLF. Ich war mir sicher, ihm bei diesem
Anflug eine gute Hilfe sein zu können.
Er entschied, dass ich mich um den
Flugfunk kümmern sollte. Er wies mich
an, bei Erreichen des Minimums Ausschau nach der Anflugbefeuerung zu
halten und ihm ggf. meine Beobachtungen zu melden. Ungefähr mit dem
Erreichen des Gleitpfads gingen wir in
fully IMC. Souverän klebte mein VLF
„on course und on glide“. Tatsächlich
konnte ich noch vor dem Erreichen
von 100-Fuß-GND ein paar Lampen
der Anflugblitzbefeuerung erkennen
und meldete dieses an den VLF. Wir
erreichten das Minimum und hatten nach unten Bodensicht. Der VLF
nahm die Fahrt heraus, reduzierte die
Sinkgeschwindigkeit und schon stan-
den wir am Anfang der Runway 27 in
EDNA. Ich meldete an GCA „Runway in
sight“. Um uns herum Nebel mit wenigen Metern Sicht. Es waren bestimmt
über 200 Meter. Zum Hovern war das
gut genug. Nur der Beton der Runway
vor uns und die Wiesen rechts und
links waren zu sehen. Wir wechselten
zur TWR-Frequenz und bekamen die
Standardanweisung via Taxiway Sierra
2 zur Ramp zu hovern.
Insider wissen, dass das in EDNA
ein langer Weg ist. Die Runway ist für
einen Militärflugplatz ungewöhnlich
lang. Der VLF behielt die Controls,
sagte nichts und hoverte unseren
Hubschrauber die Runway entlang.
Wir erreichten einen nach links abgehenden Taxiway. Dieser war zur
ausschließlichen Nutzung für die von
dort operierenden A-10 Kampfflugzeuge der USAF bestimmt und war
für Hubschrauber gesperrt. Für mich
unerwartet drehte der VLF den Hubschrauber nach links und wir enterten
diesen Taxiway. Ich war so überrascht,
dass ich das Schildchen im Gras beinahe übersehen hätte, auf dem S19(?)
stand. Dieses Schild verschwand zügig
hinter uns. Der Tower war noch nicht
zu sehen. Die Meldung: „Runway vacated!“ hatte ich zurückgehalten und
mir überlegt, ob ich mich im Nebel
verirrt hätte. Auch vom Gefühl her
dürften wir noch gar nicht den S2,
der fast am Ende der Runway liegt,
erreicht haben. Mir war klar, dass wir
uns am eigenen Flugplatz auf dem
falschen Weg befanden. Dann materialisierten sich auf der rechten Seite
die GCA-Antennenanlage im Nebel.
Dem VLF gab ich den Hinweis, dass die
GCA-Antennen noch nie rechts des S2
zu sehen gewesen seien. Da bemerkte er unseren Fehler. Sofort führte er
einen 180-Grad Pedalturn aus und
wir hoverten auf die Runway zurück.
Ich hatte das Gefühl, dass mein VLF
in Überdrehzahl fuhr und hätte lieber
selbst den Hubschrauber geflogen.
Nach längerem Hovern erreichten wir
schließlich den Taxiway S2. Der VLF
hoverte den Hubschrauber zum Abstellplatz. Wir stellten das Triebwerk
ab. Die Passagiere stiegen aus und wir
gingen zu unserer Staffel. Mission accomplished!
Auf dem schmalen Flur kamen mir
Piloten entgegen, die gerade vom täglichen Briefing aus dem Fliegerhorstkino kamen und einer Tasse Kaffee entgegeneilten. Ich hörte wie einer dem
Nebenmann die Frage stellte, ob die
Maschine aus Hamburg bei dem Nebel
eine Chance haben könnte, jetzt hier
zu landen und ob die Trauerfeier jetzt
ohne die Intonation des Liedes vom
Kameraden auskommen müsse.
Ich war immer noch tief beeindruckt von der großen fliegerischen
Klasse meines VLF. Fast ganz alleine
und ohne viel Zutun von mir hat er
dafür gesorgt, dass unsere Mission
erfolgreich war. Er kannte den Weg,
den Verkehrsflugplatz Hamburg, den
eigenen Flugplatz. Wie befohlen, waren der Trompeter und der Trommler
zur Stelle. Ich als Copilot hatte eine
Demonstration bekommen, was alles
möglich ist.
Trotzdem nagte in mir ein ungutes
Gefühl. Nach dem Erreichen der Runway hatte mein VLF offensichtlich einen Fehler gemacht. Warum? War er
wirklich im Zustand der Überforderung? Oder hat er sich so gefreut, dass
der Approach im Nebel erfolgreich
war, dass er in einen Zustand der totalen Entspannung und Unaufmerksamkeit wechselte? Ich hatte auf einmal
das Gefühl, dass dieser eigentlich legale Anflug von meinen VLF bei einem
Wetter „below Minimum“ auf jeden
Fall als „final Landing“ geplant war.
Dieses hätte auch schief gehen können. Ein Fehler wie beim Hovern hätte
auch schon eine Minute früher beim
Abfangmanöver passieren können.
Ich hätte mehr zur Mission beitragen können, aber ich wurde nicht viel
gefragt. Nach dem erfolgreichen Anflug, welcher den VLF offensichtlich
stark in Anspruch genommen hatte,
hätte ich den Hubschrauber wenigstens zur Ramp hovern können. Ich
fühlte mich unterfordert. Ich wusste
theoretisch und praktisch um die
Problematik des Wechsels der Aufmerksamkeit beim IFR-Anflug in IMC
von „im Cockpit“ nach draußen. Das
Fliegen des Approaches bis zum Minimum hätte ich mir auch zugetraut. Der
VLF hätte dabei seine Aufmerksamkeit „nach Draußen“ richten sollen,
um die Situation beim Erreichen des
©Zeichnung von SFw Ingo-Paul Dierkes
31
Flugsicherheit
Minimums besser beurteilen zu können. Wesentlich entspannter wäre
ihm dann das Abfangmanöver von der
Hand gegangen.
Ich erlebte in meinen fliegerischen
Anfangsjahren mit älteren Kameraden
noch einige Beispiele fliegerischer Verfahren, die nicht im Buch standen. Wir
haben spezielle Lösungen für besondere Situationen gemeinsam erarbeitet und ausgeführt. Wie sonst kann
man bei Nacht und einer Nullgradgrenze von etwas unter 2.000 Fuß in
1.000 Fuß MSL, die halbe Strecke „In
and Out“ von Munster nach Hannover fliegen?* Man sagt es rechtzeitig
den Radarcontrollern! Die wissen worum es geht und können helfen. Sonst
wären damals die finnischen Generäle nicht rechtzeitig zur Offizierschule des Heeres gekommen. Wie sonst
kann man nach einem „Face-to-FaceBriefing“ mit den Radarcontrollern
am Heeresflugplatz Mendig bei Nacht
über dem Landeplatz am Bw-Zentralkrankenhaus Koblenz in vielleicht 200
Fuß in den Wolken verschwinden,
über dem Flugplatz in 3.000 Fuß Sternensicht erlangen, um dann bei wolkenlosem Himmel nach Ahlhorn weiterzufliegen?* Der Unterschied war,
dass die komplette Besatzung nicht
nur bei der Durchführung, sondern
auch bei der Problemlösung und am
Entscheidungsprozess beteiligt war.
Voraussetzung ist natürlich eine gute
Kommunikation innerhalb der Besatzung und Koordination durch den
VLF. Gute Kommunikation beinhaltet
auch die Möglichkeit für das jüngste
und am wenigsten erfahrene Crewmitglied einen Vorschlag einbringen
zu können, ohne dafür nur ein müdes
Lächeln zu bekommen. Jahre später
bin ich mal in Leipheim nach einem
Copter-GCA gelandet, wo die Wettervorhersage am Limit war (400 Metern
Sicht und 100 Fuß Vertikalsicht). Beim
Schweben zum Abstellplatz hatte ich
aber das Gefühl, dass die Sicht nicht
wirklich so weit reichte. Mein Kommandant und ich hatten uns die Auf32
gaben geteilt und es war für uns beide
kein großer Stress. Allerdings haben
wir uns mit dem GCA-Controller und
einer Do-28 Crew bei einem Kaffee
zum Debriefing getroffen, weil die
Do-28 zur gleichen Zeit mehrere Male
durchstarten musste.
Ich habe nach dem ersten beschriebenen Flug beschlossen, mich zukünftig nicht mehr „ohne mein Wissen
umbringen zu lassen“. Ich wollte immer wissen, was gemacht werden soll
und wer welche Aufgabe übernehmen
muss. Man muss miteinander über alle
Aspekte des Fluges sprechen, wenn
man ein Maximum an Leistung für die
Auftragserfüllung erreichen will, um
dabei das Potential aller Besatzungsmitglieder ausnutzen zu können.
* Die in dem Beitrag beschriebenen
Beispiele aus der Vergangenheit dienen dem Darstellen angewandter
CRM-Maßnahmen. Sie entsprachen
nicht den gültigen Vorschriften, zeigen aber wirkungsvoll die optimale
Nutzung aller Ressourcen aller Beteiligten inklusive einem maximalen
Informationsaustausch.
Wir verabschieden ...
Mit Wirkung zum 01.06.2009 ist Oberstabsfeldwebel Heinz Rohling zum
JG 74 nach Neuburg versetzt. Hier hat er mit Freude die Aufgaben des Flugsicherheitsmeisters übernommen und kann seine Erfahrungen aus dem Hause
GenFlSichhBw in seiner Arbeit einbringen. Seine Bundeswehrzeit begann im
April 1982 mit der Grundausbildung in Budel/NL, während seiner Zeit beim
JG 71 „R“ folgte bis 1996 die Ausbildung zum 1. LfzHydrMech und zum LfzMechMeister, wobei er sich mit zusätzlichen Lehrgängen wie Fachkraft für
Arbeitssicherheit, Zerstörungsfreie Rissprüfung, Zentralisierte Technik und
als ABDR-Meister qualifizierte. Von 1996 bis 1999 war er als Hallenmeister
und Fachkraft für Arbeitssicherheit zum TaktAusbKdo nach Italien versetzt.
Mit seiner Rückkehr nach Deutschland zum JG 74 in Neuburg begann seine
Ausbildung zum Lfz-Nachprüfer F-4F Flugwerk in Fassberg mit der Lizenzprüfung in Wittmund. In
der Zeit von Januar 2004 bis September 2005 durchlief er die Umschulung auf Eurofighter in Kaufbeuren, es folgte ein Englischlehrgang in Heide. Als lizenzierter Nachprüfer EF und F-4F war er seit
dem 01.07.2006 in der Inst/Elo Stff JG 74 tätig. Zum 01.05.07 folgte für zwei Jahre sein Einsatz im
Luftwaffenamt bei GenFlSichhBw. Vielen Dank für die hier geleistete Arbeit als Vorschriftenverwalter, im neuen Arbeitsbereich als FSM des Geschwaders wünschen wir viel Freude und Erfolg.
und begrüßen ...
Stabsfeldwebel Andreas Schade hat das Aufgabenfeld als Vorschriftenverwalter von Oberstabsfeldwebel Rohling übernommen. Er ist seit dem
01.04.1980 bei der Bundeswehr, sein Verband war bis zur Versetzung zum
Luftwaffenamt das JG 71 „Richthofen“. Nach seiner Grundausbildung hat
er die Ausbildung zum 1. LfzNavigations und Instrumentenmechaniker F-4F
absolviert, es folgte der Feldwebellehrgang und die Ausbildung zum LfzNavigations und Instrumentenmechanikermeister F-4F und RF-4E, zum 1.
LfzBildgeräteEloMech und 1.LfzRechenNavAnlEloMech. Nach dem Einsatz als
Teileinheitsführer der TE LfzNavigations- /Instrumentenmechanik F-4 wurde
er nach der Umstrukturierung der Elo/Wa-Stff dann Teileinheitsführer der TE
„LfzNavigation/Instrumente mit feinmechanischer Werkstatt und Lötlabor“.
Neben diesen Aufgaben war er als Stellvertretender Staffelfeldwebel der Elektronik- und Waffenstaffel und als LfzAvionikFeldwebel F-4, Fachrichtung Navigation/Instrumente tätig. Nun ist er im
Dezernat a bei GenFlSichhBw für die Vorschriftenverwaltung zuständig. Wir wünschen in der neuen,
vielseitigen und reiseintensiven Tätigkeit viel Spaß und einen angenehmen Start.
Flugsicherheit
Ausgabe 3 / 2009
Heft 3 September 2009 - 46. Jahrgang
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Flugsicherheit
In this issue:
written by LtCol Paul Sutherland, German Armed Forces Flight Safety Directorate
Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände
Fly Safe
Major Jochen Drieß, JaboG 31 „Boelcke“ (Fighter Bomber Wing 31)
A highly experienced Tornado Weapons Instructor WSO reflects on ten flight safety lessons-learned that he wishes he could go
back and teach to young transition student pilots. He remembers the „indestructible“ feeling of young jet aviators, and how his
experience in a flight accident with deadly consequences forever changed his safety focus.
Titelfoto: Max G. Feiner
Bildbearbeitung www.schaltwerk.de
Heat
Dr. Andreas Werner, Oberfeldarzt (Chief Doctor)
The physiology of temperature regulation in the human body and its flight safety implications. How should personnel in flight
operations defend themselves against the dangers of heat stress? The influence of clothing, risk-screening and prevention are
considered.
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
Herausgeber:
Luftwaffenamt General Flugsicherheit in der Bundeswehr
The Gift of the Canadian „Sabre“, CL-13
OSFw d. R. (Chief Master Sergeant, retired) Karl Heinz Weiss, German Armed Forces Flight Safety Directorate
The story of the Canadian CL-13 Sabre (Canada‘s licensed version of the USAF F-86) in the Luftwaffe of the 1950s.
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 02203- 9083124
Luftwaffenkaserne 501/07
Postfach 906110
51127 Köln
[email protected]
[email protected]
Gestaltung:
Hauptmann Klemens Löb
GenFlSichhBw
Erscheinen:
dreimonatlich
Manuskripteinsendungen
sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt
die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers
dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden
sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind
daher möglich und erwünscht.
Druck:
Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR
10117 Berlin
Editorial 1
Fly safe
2
Hitze
6
Der geschenkte Säbel
12
Kontrastsehen - Augenärztliche Kompetenz gefragt
17
Learning the hard way ... So ist es mir ergangen
20
Bravo - gut gemacht!
25
Tipps für die Zwischenfalluntersucher
26
Nicht mehr mit mir!
29
Personalien
32
In this issue ...
33
Contrast-Vision: An Ophthalmologist‘s Assessment
Oberstarzt a. D. (Colonel, Doctor) Dr. Hans Brandl, Ophthalmologist and Flight Doctor, and Oberfeldarzt (Chief Doctor) Dr. Jörg
Frischmuth, Ophthalmologist and Flight Doctor, Flight Medicine Institute of the German Air Force, Fürstenfeldbrück
In civilian flying, a pilot‘s Contrast-Vision is not required to be examined for medical clearances. In German military flying, however,
Contrast-Vision evaluation is standard procedure. Are the military eyesight standards too strict? Or should civilian aviation authorities pay more attention to the issue of Contrast-Vision?
There I was ...
Dr. Christoph Wonhas, Flight Medicine Institute of the German Air Force
In May 2008 an Emergency Response Doctor arrives on the scene of a civilian ultralight aircraft accident in southern Germany. The
ultralight had flown into high-tension power lines and the two occupants are dead in the burning wreckage. This story details an
on-scene hazard that is not widely-known: ultralight aircraft are required to have self-protective recovery parachute sytems, so the
burning wreckage, though small and apparently easily contained, also includes explosive charges and pyro!
Tips for Incident Investigation
Oberstleutnant (Lt Col) Jörg Behnke, German Armed Forces Flight Safety Directorate
Peace and quiet can be deceptive. It might mean that all is running smoothly, but it also might mean that complacency (and inattention) is setting in! Does a peaceful and smooth safety record lead us to believe we are indestructible, invincible? Do familiar,
„routine“ safety incidents lead us to let down our guard?
I won‘t be trying that again!
Oberstleutnant (Lt Col) Peter Hatzfeld, German Army Aviation, Bückeburg
A rookie Huey co-pilot, in awe of his crusty old aircraft commander, learns a few CRM lessons as he watches the veteran try to
land in a soupy fog that is below mins!
Flugsicherheit
Ausgabe 3 / 2009
Foto Max G. Feiner • Bildbearbeitung www.schaltwerk.eu
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Bundeswehr