Aeneis - Nimaatre
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Aeneis - Nimaatre
ARMAVIRUMQUECANOTROIAEQUIP RIMUSABORISITALIAMFATOPROFUG USLAVINAEQUEVENITLITORAMULT UMILLEETTERRISIACTATUSETALTO AENEIS PUBLIUS VERGILIUS MARO VISPERUMSAEVAEMEMOREMIUNON ISOBIRAMMULTAQUOQUEETBELLO PASSUSDUMCONDERETURBEMINFE RRETQUEDEOSLATIOGENUSUNDEL ATINUMALBANIQUEPATRESATQUEL ATAEMOENIAROMAEMUSAMIHICAU SASMEMORAQUONNUMINELAESOQ UIDVEDOLENSREGINADEUMTOTVO LVERECASUSINIGNEMPIETATEVIRU MTOTADIRELABORESIMPULERITTA NTANTAENEANIMISCAELESTIBUSIR ASEURBSANTIQUAFUITTYRIITENUE RECOLONIKARTHAGOITALIAMCONT RATIBERINAQUELONGEOSTIADIVES OPUMSTUDIISQUEASPERRIMABELLI QUAMIUNOFERTURTERRISMAGISON Deutsche, kostenlose Übersetzung Frederic Laudenklos Vorwort Diese Übersetzung ist während meiner Vorbereitung auf das Staatsexamen entstanden. Es kann durchaus sein, dass sich hier und da kleinere Übersetzungsfehler eingeschlichen haben; dennoch soll die Übersetzung gerade für diejenigen, die sich näher mit dem Inhalt der Aeneis beschäftigen möchten, oder einen Übersetzungsvergleich anstreben, eine Hilfe sein. Auch für all diejenigen, die eine sinnvolle Übung darin erkennen, sich privat – außerhalb des Lateinunterrichts – an der Aeneis zu versuchen, ist die Übersetzung an manchen, allzu kniffligen Stellen sicherlich eine gute Hilfe, da sie relativ wörtlich ist. Frederic Laudenklos Inhaltsverzeichnis Buch 1 3 Buch 2 20 Buch 3 38 Buch 4 53 Buch 5 69 Buch 6 89 Buch 7 109 Buch 8 128 Buch 9 144 Buch 10 162 Buch 11 184 Buch 12 204 2 Buch I Ich singe von Waffen und dem Mann, der als erster von Trojas Küste des Schicksals wegen als Flüchtling nach Italien und an die lavinische Küste kam, ich will jenen preisen, der durch die Gewalt der Götter, wegen des Zorns der wilden Iuno weithin über Länder und über das hohe Meer getrieben wurde. Er erlitt viel im Krieg, bis er eine Stadt gründete und seine Götter nach Latium trug, woher das latinische Geschlecht kommt und die albanischen Väter, sowie die hohen Mauern Roms. Muse, berichte mir von den Gründen, durch welchen beleidigten, göttlichen Willen oder durch welchen Schmerz hat die Königin der Götter (10) den durch Pflichtgefühl ausgezeichneten Mann dazu veranlasst, so viel Unglück auf sich zu nehmen, so viele Mühen? Besteht etwa für die Himmelsbewohner so viel Gemütszorn? Es war einmal eine alte Stadt namens Karthago, tyrische Siedler besaßen sie, gegenüber von Italien und fern von der Tibermündung. Sie war reich an Streitkräften und äußerst wild im Hinblick auf ihren Kriegseifer. Iuno habe diese als einzige in allen Ländern, so berichtet man, mehr verehrt als das hintangestellte Samos. Hier waren ihre Waffen, hier ihr Streitwagen. Die Göttin strebte schon damals danach, wenn es die Göttersprüche zuließen, dass dieses Königreich über die Völker walten würde. Doch sie hatte (20) gehört, dass ein Geschlecht aus trojanischem Blut entstehe, welches einst die tyrischen Burgen stürzen würde. Von hier würde ein Volk kommen, weithin als König, stolz im Krieg, für den Untergang Libyens. So sponnen es die Parzen. Dies fürchtete die Tochter des Saturns, eingedenk des alten Krieges, den sie zuerst bei Troja für das ihr teure Argos geführt hatte. Noch immer nicht sind die Gründe ihres Zorns und die wilden Schmerzen aus ihrer Seele gewichen: Das Urteil des Paris und das Unrecht an ihrer verschmähten Schönheit wurden in ihrem erhabenen Geist aufbewahrt, sowie das verhasste Geschlecht und die Ehrungen des geraubten Ganymedes. Nachdem sie über diese Dinge in Zorn entbrannt war hielt sie die über das ganze Meer getriebenen Trojaner, (30) die Reste von den Danaern und dem unsanften Achilles, fern von Latium. Viele Jahre lang irrten sie, von Fata (Göttersprüchen, Anm.) getrieben, auf allen Meeren umher. So viel Mühe kostete es, das römische Geschlecht zu begründen! Kaum aus dem Blickfeld der sizilianischen Erde segelten sie glücklich auf das hohe Meer, und wühlten die schäumende Salzflut mit ihrem erzbeschlagenen Bug auf, als Iuno, ewiglich der Wunde in ihrer Brust dienend, dies für sich sagte: „Fange ich an mich als Besiegte aufzugeben und den König der Teucrer nicht von Italien abwenden zu können? Freilich, es wird mir durch die Fata verboten. Konnte etwa Pallas (40) die argivische Flotte anzünden und die Argiver selbst im Meer versenken wegen der Schuld und Raserei eines einzigen: Ajax, Sohn des Oileus? Sie selbst zerschmetterte die Flöße, indem sie das reißende Feuer Jupiters aus den Wolken schleuderte und sie wühlte die Meeresoberfläche 3 mit Winde auf, während sie jenen, der aus durchbohrter Brust Flammen ausblies, mit einem Strudel ergriff und auf einen scharfen Felsen stieß. Aber ich, die ich als Herrscherin der Götter einherschreite, sowohl als Jupiters Schwester als auch als dessen Gattin, führe mit einem einzigen Volk so viele Jahre lang Krieg! Und da soll (50) in Zukunft noch jemand den göttlichen Willen der Iuno anbeten oder demütig Ehrungen auf die Altäre legen?“ Derartiges überlegte für sich die Göttin mit entflammtem Herzen hin und her und kam in die Heimat der Gewitterwolken, eine Gegend reich an rasenden Südwinden, nach Aeolien. Hier unterdrückt König Aeolus in einer riesigen Höhle die widerspenstigen Winde und rauschenden Stürme unter seiner Herrschaft und zügelt sie durch Fesseln und Kerker. Jene sich empörende Stürme lärmten bei lautem Rauschen des Berges um ihre Verliese. Aeolus sitzt auf einer aufragenden Burg, während er das Zepter in der Hand hält und besänftigt die Gemüter, mäßigt den Zorn. Falls er das nicht täte, rissen die rasenden Stürme freilich Meere, Länder und den weiten Himmel mit sich fort und schleiften sie durch die Lüfte. (60) Aber der allmächtige Vater versteckte sie, dies fürchtend, in finsteren Höhlen und setzte darüber eine Steinmasse und hohe Berge, er gab ihnen einen König, der laut einem bestimmten Vertrag sowohl wissen sollte, sie zu unterdrücken, als auch ihre Zügel auf Befehl zu lockern. Diesen redete damals Iuno demütig mit diesen Äußerungen an: „Aeolus, dir freilich legte der Vater der Götter und König der Menschen auf, die Flut zu besänftigen und durch Wind emporzuheben. Ein mir feindliches Volk segelt über das tyrrhenische Meer, Ilion und die besiegten Penaten nach Italien tragend. Errege die Gewalt der Winde, überdecke die versenkten Schiffe (70) oder treibe sie in verschiedene Richtungen und zerstreue ihre Körper auf dem Meer. Mir gehören vierzehn Nymphen von herausragendem Körper, von denen Deiopea die schönste Gestalt hat: Ich will sie mit dir in einer festen Ehe verbinden und sie dir zu eigen geben, so dass sie mit dir für solche Verdienste all die Jahre verlebt, und sie soll dich durch eine schöne Nachkommenschaft zum Vater machen.“ Aeolus erwiderte dies: „Dein Werk ist es, oh Königin, zu prüfen, was du wünschst. Mir ist es eine heilige Pflicht, gemäß deinen Befehlen zu streben. Du verschaffst mir hier was auch immer vom Königreich, du verschaffst mir das Zepter, machst mir Jupiter geneigt, du lässt mich bei den Göttermählern zu Tisch liegen, (80) machst mich zum Beherrscher von Gewitter und Sturm.“ Nachdem dies gesagt wurde, stieß er mit einer umgedrehten Lanze dem hohlen Berg in die Seite und die Winde stürzten, wie ein aufgestellter Heereszug, durch das geöffnete Tor und durchwehten die Länder in einem Wirbel. Sie stürzten auf das Meer, und gemeinsam wühlten es durch und durch von seinen tiefsten Stellen der Ostwind und der Südwind auf, sowie der Südwestwind, zahlreich an 4 Stürmen, und sie wälzten die riesigen Fluten gegen die Küsten. Es folgte das Geschrei der Männer und das Zischen der Taue. Die Wolken entrissen den Himmel und den Tag aus den Augen der Teucrer. Finstere Nacht lag auf dem Meer. (90) Es donnerten die Pole und die Luft zuckte vor zahlreichen Blitzen und alles bedrohte die Männer mit dem Tod. Augenblicklich wurden dem Aeneas vor Kälte die Glieder gelähmt: Er seufzte und während er seine beiden Hände zu den Gestirnen hob, sprach er mit folgenden Worten: „Oh welch dreimal, viermal Glückliche, denen es zuteil wurde, vor den Gesichtern der Väter und unter den hohen Mauern Trojas den Tod zu finden! Oh du äußerst tapferer des Danaervolkes, Sohn des Tydeus! Konnte ich etwa nicht auf den Feldern Ilions sterben und durch deine Rechte diese Seele aushauchen, wo der wütende Hector mit einem Pfeil des Aeciden, wo der gewaltige (100) Sarpedon liegt, wo der Fluss Simois so viele an sich gerissene Schilde der Männer, sowie Helme und tapfere Körper unter seinen Wogen wälzt?“ Als er solche Worte ausrief, schlug der Sturm mit einem zischenden Nordwind von vorn gegen das Segel, und hob die Flut bis zu den Sternen. Es brachen die Ruder. Dann wendete der Bug und gab die Schiffsflanke den Wellen preis; dann folgte ein mit der ganzen Wassermasse jäh abfallender Wasserberg. Die einen hingen in der höchsten Flut, den anderen offenbart eine sich spaltende Woge den Meeresboden inmitten der Flut; Die Strömung tobt am Küstensand. Der Südwind hatte drei Schiffe weggerissen und an verborgene Felsen gewirbelt – die Italer nennen die Felsen, die mitten in den Fluten stehen, ‚Altäre‘ – riesige (110) Riffe unmittelbar an der Meeresoberfläche. Drei Schiffe trieb der Ostwind vom hohen Meer an eine seichte Meeresstelle und auf eine Sandbank, schrecklich mit anzusehen, er stieß sie auf eine Untiefe und umgab sie mit einem Sandwall. Bei einem Schiff, das die Lykier und den treuen Orontes trug, schlug vor den Augen des Aeneas von oben her das Meer auf das Heck. Der Kapitän wurde vornüber herausgeschleudert und kopfüber in die Fluten gewälzt. Aber jenes Schiff wirbelte die Flut, indem sie es dreimal auf derselben Stelle ringsum trieb und ein reißender Wirbel verschlang es im Meer. Es kamen vereinzelte, in einem ungeheuren Strudel schwimmende Männer, Waffen der Männer, Tafeln und der trojanische Schatz zum Vorschein – über die Wogen zerstreut. (120) Schon besiegte das Unwetter das mächtige Schiff des Ilioneus, schon das des tapferen Achates und das, auf dem Abas fuhr, sowie das, auf dem der hochbetagte Aletes fuhr. Nachdem die Gefüge der Schiffsflanken locker geworden waren, nahmen alle Schiffe den feindlichen Regen auf, und sie zersprangen an ihren Fugen. Inzwischen wurde das Meer unter lautem Brausen aufgewirbelt und Neptunus fühlte das herausgelassene Unwetter und die Wassermassen aus den unteren Schichten, die nach oben gedrängt wurden; er war darüber sehr bestürzt. Und als er aufs hohe Meer blickte, streckte er seinen sanften Kopf über die höchste Meereswoge. Er sah auf dem ganzen Meer die zerstreute Flotte des Aeneas, Trojaner, unter einem Wolkenbruch durch Flutwellen 5 begraben (130) und nicht blieben dem Bruder Jupiter List und Zorn der Iuno verborgen. Er rief Ostund Westwind zu sich, anschließend sprach er solches: „Beherrschte euch etwa das so große Selbstvertrauen eurer Art? Schon bringt ihr Himmel und Erde ohne meinen göttlichen Willen in Unordnung, ihr Winde, und wagt es, so große Wassermassen aufzutürmen? Ich sollte euch… Doch es ist besser die Flutbewegungen zu ordnen. In Zukunft büßt ihr mir andersartige Strafen! Ergreift eilends die Flucht und sagt dies eurem König: „Nicht jenem wurde vom Schicksal die Herrschaft über das Meer sowie den wilden Dreizack gegeben, sondern mir! Jener besitzt die gewaltigen Felsen, (140) dein Haus, Eurus. Aeolus möge in seinem Palast großtun und regieren – nachdem der Kerker der Winde verschlossen wurde.“ So sprach er und nachdem er dies gesagt hatte, besänftigte er rasch die aufgewühlte Meeresoberfläche. Die Wolken, die er zusammengesucht hatte, schlug er in die Flucht und führte die Sonne zurück an ihren Platz. Gleichzeitig stießen Cymothoe und Triton angestrengt die Schiffe von einem schroffen Felsen herab. Neptunus selbst hob sie mit seinem Dreizack empor. Und er machte die gewaltigen Sandbänke zugänglich, zügelte das Meer, und durcheilte die größten Wogen mit seinen leichten Rädern. Und wie in einer großen Volksmenge, wenn oftmals Aufruhr ausbricht, das niedere Volk in seinen Gemütern tobt (150) und schon Fackeln und Steine fliegen – und die Raserei sich Waffen verschafft; Dann schweigen die Leute, wenn sie etwa einen durch Pflichtgefühl und Verdienste erhabenen Mann sehen und stehen mit spitzen Ohren da. Jener beherrscht durch seine Worte die Gemüter und streichelt die Seele – so schwand all das Getöse des Meeres, nachdem der Schöpfer Neptunus auf das Meer blickte und in den offenen Himmel gefahren war; er wendete die Pferde, ließ auf dem rasch hineilendem Wagen fliegend die Zügel schießen. Die erschöpften Männer des Aeneas strengten sich auf ihrer Fahrt an die nächstgelegene Küste zu erreichen und wendeten zu Libyens Gestade. Es gibt in weiter Abgeschiedenheit einen Ort: Eine Insel (160) bewirkt einen natürlichen Hafen durch die Vorlagerung ihrer Ufer, an welchen jede vom hohen Meer kommende Welle gebrochen wird und sich in entlegene Buchten schneidet. Von hier und von da ragten gewaltige Felsen und eine zweifache Felsklippe in den Himmel, unter deren weitem Scheitel das Wasser sicher schwieg; dann ein Schauplatz von einem schimmernden Wald eingefasst und es ragte ein finsterer Hain mit unheilvollem Schatten herein. Gegenüber befand sich eine Höhle in vorragenden Felswänden, im Inneren befanden sich sanften Gewässer und Sessel aus lebenden Steinen, die Wohnsitze der Nymphen. Hier hielt die ermüdeten Schiffe nicht ein einziges Tau, kein Anker befestigte sie mit gekrümmtem Biss. (170) Hierher kam Aeneas nur sieben Schiffen aus der Gesamtzahl, nachdem er sie zusammengesucht hatte. Und die gelandeten Trojaner erreichten mit großer Sehnsucht nach Land den gewünschten Sand und legten ihre vor Salzwasser triefenden Glieder an den Strand. Zuerst schlug Achates mit einem Kieselstein Funken, fing das Feuer unten mit 6 Blättern auf und legte ringsum getrocknetes, brennbares Material und beschleunigte das Feuer im Zündstoff. Dann holten sie, erschöpft von den Ereignissen, das von den Wellen verdorbene Getreide und die Geräte des Ceres herbei. Nachdem die Feldfrüchte aufgenommen worden waren, bereiteten sie es vor, sie an den Flammen zu rösten und am Stein zu zermahlen. (180) Inzwischen fing Aeneas an die Felswand zu erklimmen und strebte nach der vollständigen Aussicht über das weite Meer, ob er Antheus, vom Wind verschlagen, sah, sowie die phrygischen Zweirruderer oder Capys, oder aber die in den aufragenden Schiffshecks befindlichen Waffen des Caicus. Kein Schiff war in Sichtweite, er sah drei an der Küste umherirrende Hirsche. Diesen folgte eine ganze Herde im Rücken und der weite Zug weidete über die ganzen Täler zerstreut. Hier machte er Halt, ergriff hastig mit seiner Hand den Bogen und die schnellen Pfeile, die der treue Achates als Waffen führte; zuerst streckte er die Herdenführer nieder, die hohen Köpfe, (190) die ein baumartiges Geweih trugen, dann die einfachen Mitglieder der Herde, dann vermengte er die ganze Herde, während er sie mit Pfeilen durch die belaubten Haine trieb. Er hörte nicht eher auf, bis er als Sieger sieben gewaltige Körper zu Boden strecken und die Anzahl mit den Schiffen gleichsetzen konnte. Von dort eilte er zum Hafen und die Beute wurde auf alle Kameraden verteilt. Den Wein, den der gute Acestes in Krügen gefüllt und an der trinacrischen Küste den aufbrechenden Helden geschenkt hatte, verteilte anschließend Aeneas und besänftigte die traurigen Gemüter mit folgenden Worten: „Oh Kameraden – wir sind schon vorher nicht unerfahren im Leid gewesen – oh, die ihr Schlimmeres erlebt habt, der Gott wird auch diesen Übeln ein Ende bereiten. (200) Ihr seid sowohl an die Wut der Scylla und weit an die klingenden Felsklippen herangetreten und ihr habt auch die Felsen des Zyklopen kennen gelernt: Ruft euren Mut zurück und schickt Trauer und Furcht fort. Vielleicht wird es helfen sich auch einmal an diese Dinge zu erinnern. Wir eilen durch verschiedene Schicksalsschläge, durch so viele kritische Momente nach Latium, wo die Göttersprüche uns ruhige Wohnsitze zeigen. An jenem Ort wird nach göttlichem Recht die Herrschaft Trojas wiederauferstehen. Haltet aus und bewahrt euch selbst für das Glück.“ Eine derartige Äußerung machte er – und der aufgrund von gewaltigen Sorgen traurige Held spielte mit seinem Gesichtsausdruck Hoffnung vor und unterdrückt den tiefen Schmerz in seinem Herzen. (210) Jene umgürteten sich mit der Beute, ihrem zukünftigen Mahl. Sie rissen das Fell von den Rippen und entblößten das Fleisch. Ein Teil schnitt die erlegten Tiere in Stücke und heftete sie noch zuckend an einen Jagdspieß. Andere stellen Kessel an die Küste und verschaffen sich Feuer. Dann riefen sie durch die Speise ihre Kräfte zurück und zerstreut über dem Gras füllten sie sich mit altem Wein und fettem Wildbret. Nachdem der Hunger durch die Speisen gestillt worden und die Tische entfernt worden waren, fragten sie in einem langen Gespräch nach den verlorenen Kameraden, zwischen Hoffnung und Furcht schwankend, sei es, dass sie glaubten, jene würden noch leben, sei es, dass sie 7 glaubten, jene hätten das Schlimmste erlebt und würden die Rufe nach ihnen nicht mehr vernehmen. (220) Vor allem der pflichtbewusste Aeneas seufzte für sich bald über den energischen Orontes, bald über das Schicksal des Amycus, über das grauenhafte Schicksal des Lycus, über den tapferen Gyas und über den tapferen Cloanthus. Und nun war Schluss mit den Klagen, als Jupiter vom höchsten Äther herunterblickte auf das segelbeflügelte Meer, auf die dar liegenden Länder, auf die Küsten und die weit verstreuten Völker – so machte er auf dem Gipfel des Himmels halt und richtete seine Augen auf das libysche Königreich. Und jenen, der in seiner Brust derartige Sorgen herumwälzte, sprach Venus, die mit Tränen ihre glänzenden Augen benetzte, recht traurig an: „“Oh, der du die Angelegenheiten der Menschen und Götter (230) durch deine ewig während Herrschaft lenkst und durch Blitze erschrecken lässt, was konnte mein Aeneas nur gegen dich ausrichten, was die Trojaner, denen nur wegen Italien der ganze Erdkreis verschlossen ist und die so viele Todesfälle erlitten haben? Du hast fest versprochen, dass von hier einmal die Römer abstammen, im Lauf der Jahre, von hier einmal Führer entstünden, vom erneuerten Blut der Teucrer stammend, die das Meer und die Länder durch ihre vollkommene Macht beherrschen würden – welche Ansicht, oh Schöpfer, hat dich jetzt davon abgebracht? Damit tröstete ich mich freilich über den Untergang Trojas und über die traurigen Ruinen hinweg, während ich das gegenteilige Fatum gegen jene Göttersprüche aufgewogen habe. (240) Nun verfolgt das gleiche, wankelmütige Schicksal die Männer, die durch so viele Schicksalsschläge getrieben wurden. Welches Ende bereitest du den Mühen, großer Götterkönig? Antenor konnte, nachdem er mitten unter den Achivern entschlichen war, in die illyrischen Buchten, und sicher in das innerste Königreich der Liburner eindringen, die Quelle des Flusses Timavus überwinden, wovon sich der Fluss mit neun Armen unter großem Getöse des Berges ergießt, ein hervorbrechendes Meer, und mit rauschender Flut die Felder überschwemmt. Hier hat jener dennoch die Stadt der Pataver und die Wohnsitze der Teucrer gegründet, er hat dem Volk einen Namen gegeben, er hing die Waffen aus Troja im Tempel auf. Nun ruht er in sanftem Frieden zur Ruhe gebettet. (250) Wir, deine Nachkommenschaft, denen du die Himmelsburg gewährst, werden, nachdem wir die Schiffe verloren haben (entsetzlich!), wegen dem Zorn einer einzigen verraten und weitab von den Gestaden Italiens getrennt. Ist dies die Ehrung für Pflichtgefühl? So setzt du uns wieder in die Herrschaft ein?“ Jener Schöpfer der Menschen und der Götter, spendete mit einem Lächeln im Gesicht, das Himmel und Stürme aufheitert, der Tochter Küsse und sagte anschließend folgendes: „Spar dir deine Furcht, Cytherea: die Fata deiner Leute bleiben dir unverändert; du wirst die Stadt Lavinium und Laviniums versprochene Stadtmauern erkennen und du wirst den erhabenen und (260) mutigen Aeneas zu den Gestirnen des Himmels tragen; und keine Meinung hat mich umgestimmt. Dieser wird für dich einen gewaltigen Krieg in Italien führen (ich werde nämlich ausführlicher sprechen, da diese Sorge an dir 8 nagt und vortragend werde ich dir die Geheimnisse des Schicksals offenbaren) und er wird wilde Völker zerschlagen, den Männern sowohl Sitten als auch Mauern aufstellen, so lange bis der dritte Sommer ihn in Latium regieren sehen wird und drei Winter für die unterworfenen Rutuler vergangen sein werden. Aber sein Junge Ascanius – dem jetzt den Beinamen Iulus gegeben wird (dieser lautete Ilius, als die Herrschaft Iliums noch Bestand hatte), wird dreißig lange Jahre im Lauf der Monate (270) mit seiner Herrschaft ausfüllen, die Königsherrschaft von dem Wohnsitz der Laviner verlegen und mit viel Mühe die Stadt Alba Longa befestigen. Hier wird dann ganze dreihundert Jahre unter der Führung Hectors Stammes regiert werden, solange bis die Königstochter und Priesterin durch eine Geburt Zwillinge beschert. Dann wird der glückliche Romulus unter dem gelbbraunen Schutz seiner Amme, der Wölfin, den Stamm fortführen, er wird die kriegerischen Stadtmauern gründen und die Einwohner ‚Römer‘ nach seinem Namen nennen. Diesen setze ich weder räumliche und zeitliche Grenzen. Ich schenkte ihnen eine Herrschaft ohne Grenze. Ja sogar die schroffe Iuno, (280) die nun das Meer, die Länder und den Himmel mit ihrer Furcht ermüdet, wird zu einer besseren Besinnung kommen und mit mir die Römer, die Herren der Dinge, das Toga tragende Volk verehren: So lautet mein Beschluss. Es wird im Ablauf der Jahre eine Zeit kommen, wenn das Haus der Assaracer Phtia und das berühmte Mycene in Knechtschaft unterdrücken wird und die besiegten Arger werden beherrscht werden. Es wird ein Trojaner geboren werden, von hübscher Herkunft: Caesar – eine Herrschaft die erst am Ozean endet, Ruhm, der erst bei den Sternen endet – Iulius, ein Name abgeleitet vom großen Iulus. Diesen wirst du einmal im Himmel, beladen mit den geraubten Rüstungen des Orients, (290) unbekümmert empfangen. Auch dieser wird in Gebete angerufen werden. Dann werden die rauhen Jahrhunderte durch beigelegte Kriege sanft werden. Die ehrwürdige Fides und die Vesta, sowie Quirinus gemeinsam mit seinem Bruder Remus werden Gesetze aufstellen. Die düsteren Tore des Krieges werden mit eisernen Klammern und eisernen Riegeln verschlossen werden. Die pflichtvergessene Raserei im Inneren, über tobenden Waffen sitzend und mit hundert ehernen Knoten auf dem Rücken gefesselt wird schauderhaft aus blutigem Maul brüllen.“ Dies sagte er und schickte Merkur vom Himmel, damit die Länder und die Burgen des neuen Karthago den Teucrern in Gastfreundschaft offen stünden, damit nicht Dido, die von dem Fatum nichts wusste, sie (300) von ihren Grenzen fernhielt. Jener flog weit mit seinem Ruderwerk aus Flügeln durch die Lüfte, und machte rasch Halt an der Küste Libyens. Und schon führt er die Befehle aus und die Punier legten ihre kriegerischen Herzen ab, wie es der Gott wünschte. Vor allem die Königin nahm ein ruhiges Gemüt gegenüber den Teucrern auf und eine wohlwollende Denkweise. Aber der pflichtbewusste Aeneas, der während der Nacht zahlreiche Gedanken hin und her wälzte, beschloss, sobald ihm das nährende Tageslicht gewährt wurde, aufzubrechen, die neuen Gegenden 9 zu erforschen und zu untersuchen, an welche Gestade er durch den Sturm gekommen war, welche Wesen sie besaßen (denn er sah sie unbewohnt), Menschen oder wilde Tiere und schließlich die ausgeführten Dinge den Kameraden zu berichten. (310) Er verbarg die Flotte in einer Wölbung aus Hainen, die unter einem hohlen Felsvorsprung ringsum von Bäumen und düsteren Schatten umschlossen war. Er selbst schritt einzig von Achates begleitet mit zwei Lanzen in der Hand, die eine breite Schneide hatten. Ihm zeigte sich seine göttliche Mutter mitten im gegenüberliegenden Wald, mit einem Gesicht und einem Äußeren einer jungen Frau und spartanische Waffen einer jungen Frau tragend, oder so, wie die Thrakerin Harpalyce die Pferde ermüdet und den geflügelten Hebrus bei seiner Flucht überholt. Denn die Jägerin hat über ihre Schultern nach Brauch einen handlichen Bogen gehängt, und sie ließ zu, dass ihr Haar durch die Winde verweht wurde, (320) mit nackten Knien und ihr fließendes Gewand war mit einem Knoten befestigt. Und als erste sagte sie: „He, ihr jungen Männer, zeigt mir, habt ihr eine meiner Schwestern hier zufällig umherirren sehen, umgürtet mit einem Kescher und einer Bedeckung eines gefleckten Luchses, oder wie sie unter Geschrei die Flucht eines schäumenden Ebers unterdrückte?“ So sprach Venus. Und der Sohn der Venus begann folgendermaßen zu antworten: „Ich habe keine deiner Schwestern gehört oder gesehen. Oh, wie soll ich dich denn nennen, junge Frau? Denn du hast kein menschliches Gesicht, und deine Stimme klingt nicht nach einem Menschen: Oh, du bist sicherlich eine Göttin, etwa die Schwester des Phoebus? Oder bist du eine, von dem Blut der Nymphen? (330) Sei glückbringend, du mögest unsere Mühen erleichtern, wer immer du auch bist, und lehre uns, unter welchem Himmel wir endlich und an welche Küste wir auf dem Erdkreis gespült werden. Wir irren umher, unkundig der Menschen und Gegenden, wir wurden vom Wind und von gewaltigen Strömungen hierher getrieben. Viele Opfertiere werden für dich vor den Altären durch meine Rechte fallen.“ Dann erwiderte Venus: „Ich halte mich gewiss nicht für eine derartige Ehrung würdig. Für junge Frauen aus Tyros ist es Brauch einen Kescher zu tragen und sich die Waden ins purpurne Jagdstiefel zu schnüren. Du siehst die punischen Königreiche: Das Land der Tyrier und die Stadt des Agenor. Aber auch das Gebiet der Libyer, ein Stamm der im Krieg unüberwindbar ist. (340) Dido regiert das Herrschaftsgebiet, die aus der tyrischen Stadt aufgebrochen ist, als sie vor ihren Brüdern floh. Lang ist die Liste des Unrechts, lang die, der Täuschungen; aber ich will zu den Höhepunkten der Dinge kommen: Der Mann dieser Frau war Sychaeus, der Phonizer, der an Ackerland am reichsten war und er wurde von der Unglücklichen sehr geliebt, dem ihr Vater sie unbefleckt gegeben und sie mit ihm in erster Ehe verbunden hatte. Aber die Herrschaft über Tyros hatte ihr Burder Pygmalion inne, der in 10 Sachen Verbrechen grausamer war als alle anderen. Unter diesen kam Wut auf. Jener hat pflichtvergessen (350) heimlich den unvorsichtigen Sychaeus vor den Altären, blind vor Liebe zu Gold, mit einem Schwert besiegt, unbekümmert über die Liebe dessen Schwester. Die Tat verbarg der schlechte Kerl lang und verspottete die traurige Liebende durch leere Hoffnung, während er ihr vieles vormachte. Doch ihr erschien sogar im Traum das Bild ihres unbestatteten Gatten, wie er sein bleiches Antlitz auf wundersamer Weise erhob, die grausamen Altäre und seine mit einem Schwert durchbohrte Brust entblößte und er enthüllte das ganze, finstere Verbrechen der Vaterstadt; dann riet er ihr eine rasche Flucht und die Heimat zu verlassen. Als Wegeshilfen erschloss er ihr alte, in der Erde verborgene Schätze, von unbekanntem Gewicht an Silber und an Gold. (360) Über diese Dinge bestürzt, bereitete Dido die Flucht vor und versammelte Kameraden um sich: Es trafen sich Leute, die entweder grausamen Hass gegen den Tyrannen hegten, oder heftige Furcht vor ihm hatten. Schiffe, die zufällig bereit lagen, rissen sie an sich und beluden sie mit Gold. Es wurde der Besitz des gierigen Pygmalion über das Meer getragen; eine Frau war die Anführerin der Tat. Sie gelangten in die Gegenden, wo du jetzt die gewaltigen Mauern und die sich erhebende Burg des neuen Karthagos erkennst. Sie kauften Boden, nach dem Namen des Kaufs Byrsa genannt, so viel, wie sie mit einer Stierhaut umgeben konnten. Aber wer seid ihr endlich, oder von welchen Gestaden seid ihr gekommen, (370) oder wohin führt eure Reise?“ Der mit solchen Worten fragenden Frau antwortete Aeneas mit einem Seufzen, als er aus tiefer Brust folgende Äußerung hervorbringt: „Oh Göttin, wenn ich zurückdenkend von unserer ersten Herkunft ab sprechen will und Zeit ist, von den Jahrbüchern unserer Mühen zu hören, würde vorher der Abendstern, nachdem der Olymp verschlossen wurde, den Tag zur Ruhe betten. Uns, die wir vom alten Troja, falls der Namen Trojas euch zufällig zu Ohren gekommen ist, über verschiedene Meere gefahren sind, hat ein Unwetter gemäß seines Schicksals an Libyens Küste heran getrieben. Ich bin der pflichtbewusste Aeneas, der ich aus Feindes Hand die geraubten Penaten in meiner Flotte mit mir führe, ich bin durch meinen Ruf durch alle Äther bekannt. Ich suche mein (380) italisches Vaterland und ich bin der Nachkomme des höchsten Jupiters. Ich bin mit zwanzig Schiffen auf das Meer Phrygiens gefahren, während mir meine Göttermutter den Weg zeigte; ich bin den vorgegebenen Göttersprüchen gefolgt. Es sind nur mit Mühe sieben übrig, von Wellen und vom Ostwind heftig mitgenommen. Ich selbst durchwandere unwissend und bedürftig die Wüsten Libyens – aus Europa und Asien ausgestoßen.“ Und Venus ertrug es nicht, dass er noch mehr klagte und unterbrach ihn mitten in seinem Schmerz: „Wer auch immer du bist, ich glaube nicht, dass du, als jemand, der den Göttern verhasst ist, den Lebensatem nutzt, der du zur Stadt Tyros gekommen bist. Breche nur auf, und gelange von hier an die Schwelle der Königin, (390) denn ich melde dir, dass deine Kameraden zurückgekehrt sind, deine Flotte zurückgebracht und in Sicherheit gen Norden 11 getrieben wurde, wenn mich meine Eltern nicht umsonst die Kunst der Vogelschau gelehrt haben. Erblicke die zwölf fröhlichen Schwäne in einem Zug, die Jupiters Vogel, der durch die Himmelsgegenden geglitten ist und sie vom offenen Himmel her aufscheuchte. Nun fassen sie entweder den Boden in langer Reihe oder sie scheinen auf den schon lange ergriffenen Boden herunterzublicken. Wie jene zurückgekehrt mit rauschenden Flügeln spielen und im Schwarm die Pole umgürteten und gesungen haben, so liefen nicht anders deine Schiffe und die Mannschaft deiner Leute (400) entweder in einen Hafen ein, oder fahren mit vollen Segeln der Mündung entgegen. Breche nur auf, und wohin dich die Straße führt, dahin lenke deinen Schritt.“ So sprach sie, und während sie sich abwendete, erstrahlte ihr rötlicher Nacken, und der göttliche Duft ihrer ambrosischen Haare wehte aus ihrem Scheitel, ihr Kleid ergoss sich tief bis zu ihren Füßen und durch ihren Gang war sie als wahrhaftige Göttin zu erkennen. Jener folgte seiner flüchtenden Mutter, sobald er sie erkannt hatte, mit folgenden Worten: „Wieso spielst auch du, Grausame, durch so viele Trugbilder mit deinem Sohn? Warum ist es nicht gestattet deine Rechte mit meiner Rechten zu verbinden, oder wahre Dinge zu hören und zu sagen?“ (410) Mit derartigen Fragen klagte er sie an und lenkte den Schritt zu den Stadtmauern Karthagos. Aber Venus umgab die dahin Schreitenden mit einem dunklen Nebel; die Göttin umgoss sie ringsum mit einer dicken Umhüllung aus Wolken, damit sie niemand erkennen, damit sie niemand berühren oder aufzuhalten versuchen, oder sie nach den Gründen ihres Kommens fragen konnte. Sie selbst entschwand nach Paphos durch die Lüfte und besuchte ihre glücklichen Wohnsitze, wo für jene ein Tempel steht, und hundert Altäre mit sabäischem Weihrauch glühen und nach frischen Blumengewinden duften. Inzwischen durcheilten sie den Weg, wie der Pfad ihn wies. Und schon stiegen sie auf einen Hügel, der am höchsten über die Stadt (420) ragte und von oben den Blick auf die gegenüberliegenden Burgen freigab. Aeneas bewunderte den Riesenbau, einst Hütten, er bewunderte die Tore, den Lärm und das Straßenpflaster. Mit glühendem Eifer stehen die Tyrier bereit: Ein Teil zieht die Mauern hoch, lässt die Burg ausbauen und wälzt mit den bloßen Händen die Steine hinauf, ein anderer Teil wählte sich einen Platz für sein Haus und umschloss ihn mit einer Furche. Sie wählen Recht, Ämter und den heiligen Senat aus. Hier gruben welche einen Hafen aus, dort legten andere die hohen Fundamente eines Theaters an, sie hauten gewaltige Säulen aus Felsen, die aufragende Zierde der zukünftigen Bühnen: (430) Ganz wie die Arbeit Anfang Sommer die Bienen unter der Sonne über die blühenden Felder treibt, wenn sie die ausgewachsene Brut ihres Stammes hinausführen oder wenn sie sich mit flüssigem Honig vollstopfen und die Waben mit süßem Nektar ausfüllen, oder wenn sie die Last der ankommenden Bienen aufnehmen, oder wenn die Drohnen, nachdem sie einen Zug 12 gebildet haben, das träge Vieh von den Bienenkörben abhalten: Die Arbeit braust, und der duftende Honig riecht nach Thymian. „Oh ihr Glücklichen, deren Mauern sich schon erheben!“ , sagte Aeneas und bewunderte die Dächer der Stadt. Er begab sich (440) mitten hinein, umgeben von Nebel – sonderbar das zu sagen – mischte sich unter die Männer und wurde von niemandem erkannt. Mitten in der Stadt befand sich ein Hain, äußerst reich an Schatten, wo zum ersten mal die von Wellen und einem Wirbelsturm hin und her geworfenen Punier ein Bildnis ausgruben, dass ihnen die Götterkönigin Iuno zeigte – einen Kopf eines energischen Pferdes. Denn so würde es sein: Ein im Krieg herausragendes Volk, das leicht über die Jahrhunderte sein Leben meisterte. Hier gründete die Sidonierin Dido der Iuno einen gewaltigen Tempel, reich an Gaben und an göttlichem Willen der Göttin, dem sich die ehernen Schwellen in Abstufungen erhoben, er hatte erzumschlungene Balken und die Türflügel knarrten in ihren erzbeschlagenen Eingängen. (450) In diesem Hain besänftige zum ersten Mal die sich zeigende neue Sachlage die Furcht, hier wagte Aeneas zum ersten Mal auf Rettung zu hoffen und in den üblen Umständen zuversichtlicher zu sein. Denn während er unterhalb des gewaltigen Tempels die Details musterte, als er auf die Königin wartete, während er bewunderte, welches Glück der Stadt beschieden ist, und die Tätigkeiten der Künstler untereinander, sowie die Mühe der Arbeiten, sah er in Reihenfolge die trojanischen Kämpfe, Kriege, die durch ihren Ruhm bereits auf dem ganzen Erdkreis verbreitet waren, er sah die Atriden und Priamus, sowie den Achilles, der gegen beide kämpfte. Er machte Halt und sprach weinend: „Welcher Ort, (460) welche Region auf der Erde war schon nicht voll von unseren Mühen, Achates? Siehe, Priamus! Auch hier hat er seine Belohnungen für seinen Ruhm, es gibt auch hier Tränen über die Vorkommnisse und die menschlichen Angelegenheiten berühren auch hier den Geist. Zerstreue die Furcht; dieser Ruhm möge dir etwas Hoffnung bringen.“ So sprach er und weidete sein Gemüt an den gewaltigen Gemälden, während er viel seufzte und sein Gesicht mit einem großen Tränenfluss benetzte. Denn er sah, wie die kämpfenden Griechen um Pergamon an dieser Stelle flohen, wie sie die trojanische Jungmannschaft unter Druck setzte, hier die Phryger, denen der kammtragende Achilles auf dem Wagen hart zusetzte. Nicht weit von hier (470) erkannte er unter Tränen die Zelte des Rhesus mit ihren schneeweißen Leinen, die zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden waren und die der blutrünstige Tydides in einem Blutbad verwüstete, er wendete die hitzigen Pferde zu den Lager bevor sie das Futter Trojas kosten und aus dem Xanthus trinken konnten. An einer anderen Stelle sah er den flüchtenden Troilus, nachdem er seine Waffen verloren hatte, den unglücklichen Jungen und dem Achilles ungleich im Kampf, von Pferden wurde er mitgerissen, er haftete auf dem Rücken liegend in einem leeren Streitwagen, während er dennoch die Zügel hielt. Ihm wurden sein Nacken und seine Haare über die Erde geschliffen und mit seinem umgedrehten Speer wurde in den Staub gezeichnet. Inzwischen gingen trojanische Frauen, mit gelösten (480) Haaren zum Tempel der zürnenden Pallas und brachten demütig ein Obergewand dar, nachdem die traurigen ihre Brüste mit 13 den Handflächen geschlagen hatten. Die Göttin hielt abgewandt die Augen gen Boden gerichtet. Dreimal hatte Achilles Hector um die trjoanischen Mauern geschleift und versuchte dann dessen toten Körper für Gold zu verkaufen. Dann stieß Aeneas aber einen gewaltigen Seufzer aus seiner tiefen Brust hervor, als er die geraubten Rüstungen, den Streitwagen, den Körper seines Freundes selbst sah und Priamus, der die unbewaffneten Hände ausstreckte. Er erkannte auch sich selbst vermengt unter den führenden Achivern, die östliche Schlachtreihe und die Waffen des schwarzen Memnon. (490) Es führte die Heereszüge der Amazonen mit ihren halbmondförmigen Schilden, die tobende Penthesilea und glänzte inmitten der Soldatinnen, während sie den goldenen Gürtel unter ihrer entblößten Brust trug, die Kriegerin, und sie wagte es als junge Frau sich mit Männern zu messen. Während diese Dinge dem Dadaner Aeneas bewundernswert schienen, während er staunte und einzig in der Betrachtung versunken war, schritt die Königin, an Aussehen äußerst schön, zum Tempel, dicht umdrängt von einer Schar junger Leute. Wie an den Küsten des Eurotas oder über den Bergrücken des Cynthus Diana die Reigen ausbildete, wie tausend Bergnymphen, die ihr folgten, (500) von hier und von da zusammengeballt wurden; Jene trug einen Kescher auf ihrer Schulter, und während sie einherschritt, überragte sie alle Göttinnen (Freuden durchbebten die stille Brust der Latona): Genauso war Dido, als solche begab sich die Glückliche mitten in die Schar, eifrig bedacht auf das Werk der zukünftigen Herrschaft. Dann bei dem Portal der Göttin, mitten unter dem Deckengewölbe des Tempels, umgeben von Waffen ließ sie sich auf einen hohen Thron stützend nieder. Sie gab den Männern Recht und Gesetz, sie machte die Mühe der anstehenden Arbeiten durch gerechte Verteilung für alle gleich, oder leitete sie von einem Los ab, als plötzlich Aeneas sah, dass (510) Antheus, Sergestus und der tapfere Cloanthus sich dem großen Zusammenlauf näherten, sowie andere der Teucrer, die der schwarze Wirbelsturm auf dem Meer zerstreut und an komplett andere Küsten weggerissen hatte. Er selbst staunte und zugleich war Achates durch Freude und Furcht niedergeschlagen; begierig brannten sie darauf sich die Hände zu reichen. Doch die unklare Sachlage beunruhigte die Gemüter. Sie verbargen sich und beobachteten von einer hohlen Wolke umgeben, welches Schicksal der Männer beschieden war, an welcher Küste sie die Flotte verlassen hatten und wieso sie gekommen waren. Denn von allen Schiffen auserlesen gingen sie und baten um Gunst und eilten aufgrund des Lärms zum Tempel. (520) Nachdem sie eingetreten waren und ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, öffentlich zu sprechen, fing Ilioneus, der Ranghöchste, mit ruhigem Gemüt an: „Oh Königin, der dir Jupiter die Möglichkeit gegeben hat, eine neue Stadt zu gründen und durch Gerechtigkeit überhebliche Völker zu zügeln, wir unglückliche Trojaner, die wir von Stürmen über alle Meere getragen wurden, bitten dich, halte unsägliche Feuer von unseren Schiffen fern, verschone das pflichtbewusste Volk und erblicke näher unsere Lage. Weder sind wir gekommen, um 14 mit dem Schwert eure libyschen Penaten zu zerstören, noch die geraubte Beute gen Küste zu wenden. Weder schwebt den Besiegten diese Gewalt vor, noch eine so große Überheblichkeit. (530) Es gibt einen Ort, den die Griechen bei seinem Beinamen Hesperien nennen, ein altes Land, mächtig im Hinblick auf seine Waffen und auf die Fruchtbarkeit seines Erdbodens. Diese bestellten die Oenotrer. Nun, so geht das Gerücht, hätten die Nachfahren den Volksstamm Italien genannt, ausgehend vom Namen des Führers. Und so verlief unsere Fahrt: Als sich plötzlich der Orion, reich an Regenflut, erhob und uns auf unsichtbare Untiefen trug und uns vollkommend mit dreisten Südwinden und einer uns überragenden Salzflut über dem ganzen Meer und über unwegsame Felsen zerstreute, sind wir wenige hierher an eure Gestade geschwommen. Was ist dies für eine Gattung von Menschen? Oder welches so barbarische Vaterland (540) erlaubt diesen Brauch? Die Gastfreundschaft des Strandes wurde uns verweigert. Sie griffen uns an und verboten uns auf dem äußersten Land zu stehen. Wenn ihr die Menschenart und menschliche Waffen verachtet, dann macht euch gefasst darauf, dass sich die Götter an Recht und Unrecht erinnern. Uns war Aeneas ein König und weder war ein anderer gerechter im Hinblick auf die Pflichterfüllung, noch im Krieg und im Hinblick auf Waffenführung größer als er. Wenn die Fata diesen Mann beschützen, wenn er sich an der Himmelsluft labt und weiterhin nicht im grauenhaften Schattenreich weilt, gibt es für uns keine Furcht. Und es soll dich nicht reuen um Gefälligkeit als erste wettgeeifert zu haben. Es gibt auch Städte (550) und Waffen in den sizilianischen Gebieten und den berühmten Acestes, von trojanischem Blut abstammend. Es möge erlaubt sein, die heftig erschütterte Flotte den Winden zu entziehen, und in den Wäldern Balken anzupassen und Ruder glatt zu streifen, damit wir, nachdem wir Kameraden und König wieder aufgenommen haben, glücklich nach Italien und Latium eilen können, wenn es uns vergönnt ist, nach Italien zu ziehen. Wenn aber unser Glück verbraucht ist, und dich, bester Vater der Teucrer, das libysche Meer festhält und keine Hoffnung mehr auf Iulus bleibt, dann lasst uns wenigstens zum Meer Siziliens, zu den von uns vorbereiteten Wohnsitzen, von denen wir hier her gefahren sind und zu dem König Acestes eilen.“ Solches sagte Ilioneus. Alle (560) Dardaniden murmelten gleichzeitig Beifall. Dann erklärte Dido kurz, mit gesenktem Blick, feierlich: „Löst die Furcht aus eurem Herzen, Teucrer, entfernt die Sorgen. Eine beschwerliche Sachlage und die Neuheit meiner Herrschaft zwingen mich, derartiges zu unternehmen und mit einer breiten Polizei die Grenzen zu schützen. Wer würde nicht das Geschlecht des Aeneaden kennen, wer nicht die trojanische Stadt, die Tugenden, die Männer, oder die Feuer des so großen Krieges? Wir Punier führen nicht so abgestumpfte Gemüter und nicht so sehr abgewandt von der tyrischen Stadt verbindet der Sonnengott seine Pferde. Sei es, dass ihr das große Hesperien und die saturnischen Felder, (570) sei es, dass ihr den König der erycischen Gebiete, Acestes, wünscht, unter meiner Hilfe werde ich euch als sichere Leute entlassen, durch meine Streitmächte werde ich euch helfen. Ihr wollt euch auch in diesem Königreich auf gleicher Ebene mit mir niederlassen – die Stadt, die ich 15 errichte, ist eure! Zieht eure Schiffe an Land! Von mir wird kein Unterschied zwischen Trojer und Tyrier gemacht werden. Und wenn doch nur euer König selbst, Aeneas, getrieben vom gleichen Südwind, hier wäre! Ich will freilich zuverlässige Leute an die Küsten schicken, und werde befehlen, die äußersten Gebiete Libyens zu mustern, ob er in irgendwelchen Wäldern oder Städte umherirrt.“ Durch diese Worte ermutigt brannten sowohl der tapfere Achates (580) als auch der Vater Aeneas schon lange darauf, aus der Wolke auszubrechen. Als erster treibt Achates Aeneas an: „Sohn der Göttin, welche Meinung erhebt sich nun in deinem Gemüt? Du siehst, wie alles in Sicherheit ist: Die Flotte und die Kameraden wurden empfangen. Ein einziger Mann fehlt, den wir selbst mitten in der Flut untergehen sahen, die übrigen Dinge stimmen mit den Worten deiner Mutter überein.“ Kaum hatte er das gesagt, als plötzlich die sie umgebende Wolke aufriss und sich in klare Luft klärte. Übrig blieb Aeneas und strahlte im hellen Licht, im Hinblick auf sein Gesicht und auf seine Schultern war er einem Gott gleich. Denn die Mutter selbst hatte dem Sohn glänzendes (590) Haar und das rosige Licht der Jugend, sowie seinen Augen glückliche Anmut verliehen, indem sie ihn angehaucht hatte. So geben Künstlerhände dem Elfenbein Würde oder wenn Silber oder parischer Marmor von Elektrum umgeben werden. Dann sprach er so die Königin an und sagte plötzlich allen unvermutet: „Ich, den ihr sucht, bin zugegen, der Trojaner Aeneas, den libyschen Wellen entrissen. Oh du einzige, welche die entsetzlichen Mühen der Trojaner beklagt hat, die du uns, die Reste der Danaer, die wir schon durch alle Schicksalsschläge des Landes und des Meeres erschöpft sind und die wir an allem Mangel leiden, (600) in die Stadt, in deinen Palast aufnimmst – Dido, dir gebührend zu danken vermögen wir nicht, auch nicht was noch irgendwo vom Dardanervolk übrig ist, das über dem großen Erdkreis zerstreut ist. Die Götter mögen dir würdige Belohnungen bringen, wenn irgendwelche göttliche Willen pflichtbewusste Menschen beachten, wenn es irgendwo irgendeine Gerechtigkeit gibt und ein Bewusstsein für das Gute. Welche so glückliche Zeitalter haben dich hervorgebracht? Welche so großen Eltern haben eine solche Tochter gezeugt? Solange die Flüsse in die Meere fließen werden, solange in den Gebirgen die Schatten die Wölbungen mustern werden und der Pol sich an den Gestirnen weiden wird, wird stets deine Ehre, dein Name und dein Lob bestehen bleiben, (610) welche Ländereien mich auch immer rufen.“ So sprach er und reichte seine Rechte dem Freund Ilioneus, die Linke Serestus, danach den anderen: dem tapferen Gyas und dem tapferen Cloanthus. Die Sidonierin Dido staunte anfangs über den Anblick, dann über den so großen Schicksalsschlag des Mannes, und sprach laut folgendes: „Welches Geschick verfolgt dich, Sohn einer Göttin, durch so viele Gefahren? Welche Gewalt lässt dich an so unwirtlichen Küsten landen? Bist du etwa jener Aeneas, den die gütige Venus dem Dardaner Anchises an den Wogen des phrygischen Simois geboren hat? Und ich erinnere mich freilich an den 16 Griechen Teucer, (620) der aus seiner Heimat vertrieben wurde und nach Sidon kam, wo er ein neues Königreich suchte, mit Unterstützung des Belus. Dann verwüstete mein Vater Belus das fruchtbare Zypern und hielt es als Sieger unter seiner Herrschaft. Schon seit dieser Zeit sind mir das Unglück der Stadt Troja, sowie dein Name und die pelasgischen Könige bekannt. Er selbst brachte den trojanischen Feinden außerordentliches Lob dar, und er wollte, dass er vom alten Stamm der Trojaner abstammte. Wohlan, oh ihr jungen Männer, tretet in unseren Palast ein. Auch ich wurde von Fortuna durch viele ähnliche Mühen geworfen und sie wollte, dass ich mich endlich auf diesem Land niederlasse. (630) Mir ist das Übel nicht unbekannt und ich lerne jetzt den Unglücklichen beizustehen.“ Dies sprach sie. Sie führte Aeneas in ihren Königspalast, gleichzeitig verkündete sie göttliche Ehrungen in den Tempeln. Aber sie schickte auch für die Kameraden zwanzig Stiere an die Küste, struppige Felle von einhundert großen Schweinen, einhundert fette Lämmer mit ihren Mutterschafen, als Geschenke und Freude des Tages. Aber der funkelnde Palast wurde im Inneren mit königlicher Pracht ausgestattet und inmitten des Palastes bereitete man ein Gastmahl vor: Nach den Regeln der Kunst mit stolzer Purpurfarbe gefertigte Decken, (640) gewaltiges Silbergeschirr auf den Tischen und mit Gold ziseliert sind die tapferen Taten der Väter: Eine äußerst lange Bilderreihe der Ereignisse, die von so vielen Helden ab dem Beginn des Volksstammes ausgeführt wurden. Aeneas (weil nämlich die väterliche Liebe es nicht duldete, dass sein Gemüt zur Ruhe kam) schickte den schnellen Achates zu den Schiffen, um seinem Sohn Ascanius die vorgefallenen Dinge zu berichten und ihn selbst zur Stadt zu führen. Jede Sorge des Vaters gehörte dem teuren Ascanius. Darüber hinaus befahl er Geschenke zu holen, die er den trojanischen Ruinen entrissen hatte: einen Mantel, der vor Bildnissen und Gold starrte und einen Schleier der mit safranfarbenen Schotendorn umsäumt war, (650) den Schmuck der Argiverin Helena, den jene aus Mykene herausgetragen hatte, als sie nach Pergamon und in eine unrechtmäßige Ehe strebte, eine bewundernswerte Gabe ihrer Mutter Ledea; außerdem ein Zepter, das einst Ilione getragen hatte, die älteste Tochter des Priamus, ferner eine mit Perlen verzierte Halskette, die sie an ihrem Hals getragen hatte, und schließlich die Doppelkrone mit Edelsteinen und Gold. Folglich marschierte Achates zu den Schiffen, um diese Dinge rasch in die Tat umzusetzen. Doch Venus überlegte sich in ihrer Brust neue Kunstgriffe und neue Pläne, nämlich dass Cupido, nachdem er seine Gestalt und sein Gesicht verändert hatte, als der süße Ascanius kommen und mit seinen Gaben die liebeskranke Königin in Liebe (660) entflammen, mit seinen Küssen das Feuer in ihr entfachen sollte. Venus fürchtete nämlich das zweifelhafte Königshaus und die doppelzüngigen Tyrier. Es quält sie die trotzige Iuno und in der Nacht kehrte die Sorge zurück. Also sprach sie den geflügelten Amor mit diesen Worten an: „Mein Sohn, meine Kräfte, meine große Macht, mein 17 einziger Sohn, der du die Waffen des höchsten Vaters Iupiter, die Typhon zum Verhängnis wurden, verachtest: Ich flüchte mich zu dir und fordere demütig deine göttliche Wirkkraft an. Dass dein Bruder Aeneas auf dem Meer um alle Küsten durch den Hass der ungerechten Iuno verschlagen wird ist dir bekannt, und du hast oft unseren Schmerz geteilt. (670) Über diesen herrscht nun die Phönizerin Dido und hält ihn mit schmeichelnden Worten auf. Ich aber habe Bedenken, wohin sich die Gastfreundschaft der Iuno wendet. Iuno wird in einem so entscheidenden Augenblick nicht auf sich warten lassen. Deshalb sinne ich darauf, die Königin zuvor mit einer List zu fesseln und sie mit einer Liebesglut zu umgeben, nicht dass sie ihre Meinung durch göttliche Wirkkraft ändert, sondern dass sie mit mir von der großen Liebe zu Aeneas beherrscht wird. Vernimm nun meine Überlegung, auf welche Weise du dies machen kannst: Der königliche Junge bereitet sich auf den Ruf seines teuren Vaters vor zur sidonischen Stadt zu gehen – das ist meine größte Sorge – und er bringt als Gaben mit, was von Troja aus dem Meer und aus den Flammen übrig blieb: (680) Diesen will ich im Schlaf betäubt auf der hohen Insel Cythera oder auf dem Berg Idalium bei meinem geweihten Wohnsitz verwahren, damit er nicht etwa von der List Wind bekommt, oder ihr auf halben Wege begegnen kann. Täusche du sein Aussehen eine Nacht und nicht länger durch eine List vor und trage als Junge die bekannten Gesichtszüge des Jungen Ascanius, damit du, wenn dich die äußerst fröhliche Dido auf ihren Schoß zwischen den königlichen Speisen und dem Wein nehmen und dich umarmen und dir süße Küsse aufdrücken wird, ihr das verborgene Liebesfeuer einhauchen und sie mit Liebesgift täuschen kannst.“ Amor gehorchte den Worten seiner lieben Mutter, (690) legte seine Flügel ab und schritt freudig in der Gangart des Iulus einher. Aber Venus spülte dem Ascanius sanfte Ruhe durch die Glieder und die Göttin nahm den warmgehaltenen Ascanius in ihrem Schoß mit in die hohen Haine Idaliens, wo der sanfte Majoran ihn mit seinen Blüten anwehte und mit seinem süßen Schatten umgab. Und schon ging Cupido während er dem Gesagten gehorchte und gab den Tyriern die königlichen Geschenke, glücklich über seinen Führer Achates. Als er kam, hatte sich die Königin auf erhabenen Decken in der Mitte eines goldenen Sofas niedergelassen. Schon hatten sich der Vater Aeneas und die trojanische Jungmannschaft (700) getroffen und man legte sich auf einer ausgebreiteten Purpurdecke nieder. Diener gaben für die Hände Wasser, holten aus Körbchen Brot hervor und brachten Handtücher mit kurzem Flor. Im Inneren waren fünfzig Dienerinnen, die sich um die lange Abfolge der Speisen kümmerten, sowie darum, die heimischen Herde heiß zu halten. Es gab einhundert andere Dienerinnen und ebenso viele Diener gleichen Alters, die die Tische mit Speisen beschwerten und Becher aufstellten. Nicht weniger kamen auch die Tyrier zahlreich über die glücklichen Schwellen zusammen und legten sich auf Befehl auf buntbemalte Polster. Sie bewundern die Gaben des Aeneas, sie bewundern Iulus und die Gesichtszüge des (710) leidenschaftlichen 18 Gottes, die geheuchelten Worte, das lange Obergewand und den mit safranfarbenen Schotendorn bemalten Schleier. Vor allem die unglückliche Phönizierin, dem zukünftigen Unheil ergeben, konnte ihr Herz nicht sättigen, entbrannte beim Anblick und war sowohl durch den Jungen als auch durch die Gaben berührt. Jener, sobald er in Aeneas Umarmung und an seinem Hals hing und die große Liebe seines falschen Vaters ausfüllte, eilte er zur Königin. Jene hing mit ihren Augen und mit ihrem ganzen Herzen an ihm. Ab und an wärmte sie ihn auf ihrem Schoß – die unwissende Dido – welch großer Gott sich auf der Unglücklichen niederließ! Und jener, der an seine (720) Mutter Venus dachte, fing allmählich an, ihren toten Mann Sychaeus aus dem Herzen zu tilgen und versuchte mit lebendiger Liebe Vorkehrungen gegen ihre schon lange erstarrten Gefühle und ihr Herz zu treffen, das nicht mehr gewohnt war zu lieben. Nachdem die erste Ruhe bei den Speisen eingekehrt war, die Tische entfernt wurden, wurden große Mischkrüge aufgestellt und der Wein umkränzt. Es entstand Lärm im Palast; die Leute ließen ihre Stimme durch die weiten Vorhallen erschallen; An dem goldenen Getäfel der Zimmerdecken hingen brennende Leuchter herunter und die Kerzen besiegten mit ihren Flammen die Nacht. Hier forderte die Königin eine durch Edelsteine und Gold schwere Opferschale und füllte sie mit unvermischtem Wein, wie es Belus und all (730) seine Nachfolger gewohnt waren. Dann herrschte Stille im Palast. „Jupiter, denn sie sagen, du gäbest den Gastfreunden Rechte, mögest du wollen, dass dieser Tag für die Tyrier und die, die von Troja aufgebrochen sind, ein glücklicher Tag wird und dass wir an unsere Nachkommen denken. Es möge Bacchus hier sein, der Spender von Frohsinn und die gute Iuno. Auch ihr, oh Tyrier, feiert gewogen die Zusammenkunft.“ Das sagte Dido und goss ein Trankopfer auf den Tisch und nachdem sie das getan hatte, berührte sie es als Erste nur mit ihrem Mund, dann gab sie es dem Bitias während sie ihn schalt; jener trank die schäumende Schale unverdrossen aus, trank in vollen Zügen und (740) nach ihm andere vornehme Männer. Iopas spielte mit langem, wallendem Haar auf einer vergoldeten Zither, den der äußerst erhabene Atlas gelehrt hatte. Er sang über den wandernden Mond und über die Mühen der Sonne, woher das Menschengeschlecht und das Vieh kam, woher der Regen und die Feuer kamen, er sang von Arcturus, den regnerischen Hyaden, und den beiden Bärensternbildern; warum die Wintersonne sich so sehr beeilte in den Ozean einzutauchen, oder welche Verzögerung den späten Sommernächten im Wege stand. Der Tyrier wiederholten den Beifall, die Trojaner folgten ihrem Beispiel. Und auch die unglückliche Dido zog die Nacht mit verschiedenen Gesprächen in die Länge und trank langwährende Liebe, während sie (750) vieles über Priamus fragte, vieles über Hector, bald zu welcher Streitmacht der Sohn der Aurora gekommen war, bald wie die Pferde des Diomedes gewesen waren, bald wie groß Achilles gewesen war. „Wohlan, Gast, erzähle mir von Anfang an von den Überfällen der Danaer, vom Schicksal der 19 deinigen und von deinen Irrfahrten, denn dich Umherirrenden trägt schon der siebte Sommer über alle Länder und Meere.“ Buch 2 Alle verstummten und ihre Mienen waren gespannt. Dann fing der Vater Aeneas von seinem hohen Polster so an zu sprechen: „Du befiehlst, unsäglichen Schmerz wiederaufzugreifen, wie die Danaer die trojanischen Streitkräfte, die ich äußerst unglücklich selbst gesehen habe und bei welchen ich eine große Rolle gespielt habe, sowie das beklagenswerte Königreich von Grund auf zerstörten. Wer von den Myrmidonen, den Dolopen oder wer von dem hartherzigen Soldaten Odysseus könnte sich von den Tränen fern halten, wenn er derartiges erzählen würde? Und schon geht die feuchte Nacht am Himmel zu Ende und die untergehenden Sterne raten zum Schlaf. (10) Aber wenn das Verlangen unsere Schicksalsschläge kennen zu lernen und in knapper Weise von der letzten Mühe Trojas zu hören so groß ist, fange ich an zu berichten, obwohl mein Gemüt davor schaudert, sich an die Dinge zu erinnern und vor lauter Trauer davon zurückweicht. Vom Krieg gebrochen und durch Göttersprüche im Laufe schon so vieler Jahre vertrieben, bauten die Führer der Danaer nach der göttlichen Kunst der Pallas ein Pferd, hoch wie ein Berg. Sie bedeckten die Seitenwände mit gesägten Tannenbrettern. Sie gaben vor, es sei eine Art Gelübde für ihre Heimkehr. Dieses Gerücht machte jedenfalls die Runde. Dort schlossen sie, nachdem sie sie ausgelost haben, heimlich ausgewählte Soldaten in den dunklen Bauch ein und sie füllten die (20) gewaltigen Höhlungen sowie den Bauch des Pferdes völlig mit bewaffneten Soldaten. In Sichtweite ist Tenedos, durch ihren Ruf eine sehr bekannte Insel, reich an Schätzen als noch Priamus die Herrschaft inne hatte, nun aber nur noch eine Bucht und ein recht unsicherer Ankerplatz. Hierhin sind sie vorgerückt und haben sich an der einsamen Küste verborgen. Wir aber rechneten damit, das sie weggegangen seien und mit dem Wind nach Mykene geeilt seien. Deshalb löste sich ganz Troja aus langwährender Trauer. Die Tore wurden weit geöffnet, es gefiel zu dem dorischen Lager zu gehen und die verlassenen Orte sowie die zurückgelassene Küste zu sehen. Hier befand sich die Mannschaft der Dolopen, hier zeltete der wilde Achilles. Hier war der Ort (30) für die Flotten, hier pflegten sie in Kampfreihe zu kämpfen. Ein Teil staunte über das unheilvolle Geschenk der unvermählten Minverva und bewunderte die Masse des Pferdes. Als erster forderte Thymoetes dazu auf, dass es in das Gemäuer geführt und auf die Burg gestellt wird, sei es aus List, sei es weil das bereits die Göttersprüche über Troja so mit sich brachten. Aber Capys und diejenigen, die einen besseren Geistesgedanken hatten, befahlen die Falle und das verdächtige Geschenk der Danaer entweder ins Meer herabzustürzen oder es mit einem darunter gelegten Brand zu verbrennen, oder aber die Höhlungen des Bauchs zu durchbohren und die Schlupfwinkel zu untersuchen. Das unsichere Volk wurde in zwei unterschiedliche Bemühungen gespalten. (40) Als erster, noch vor allen anderen, rannte der eifrige Laocoon von der sehr hohen 20 Burg herunter, von einer großen Schar begleitet, und sagte schon aus der Ferne: „Oh ihr unglücklichen Bürger! Welch große Unvernunft! Glaubt ihr, dass der Feind abgereist ist? Oder glaubt ihr, dass irgendeine Gabe der Danaer frei von List ist? Ist euch Odysseus so bekannt? Entweder verstecken sich in diesem Holz Achiver, darin eingeschlossen, oder dieses Bauwerk wurde zum Angriff auf unsere Mauern gebaut und es soll in unsere Häuser hineinblicken oder von oben her auf die Stadt kommen, oder es verbirgt sich ein anderer Irrtum. Traut nicht dem Pferd, Teucrer! Was auch immer dies ist, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen.“ (50) So sprach er und mit starken Kräften schleuderte er eine gewaltige Lanze in die Seite des Pferdes und dem Gefüge in die gewölbte Bauchhöhle des wilden Tiers. Jene blieb zitternd stecken, und nachdem der Bauch erschüttert worden war, ertönten die hohlen Gewölbe und gaben ein Stöhnen von sich. Und wenn die Göttersprüche, wenn der Verstand nicht so linkisch gewesen wäre, hätte er veranlasst, dass das argolische Versteck mit dem Schwert zu verunstalten und Troja würde jetzt noch stehen, und du hohe Burg des Priamus, würdest jetzt noch sein. Sieh, einen jungen Mann, dem die Hände auf den Rücken gefesselt waren, zogen dardanische Hirten unter großem Geschrei zum König. Dieser Unbekannte hatte sich den Kommenden freiwillig ausgeliefert, damit er (60) zu dem selbigen Fehler anstiftete und Troja den Achivern eröffnen konnte. Dabei vertraute er auf seinen Mut und er war zu beidem bereit: Sei es, dass er die List in die Tat umsetzte, sei es dass er einem sicheren Tod entgegen ging. Nachdem ihn die trojanische Jugend von allen Seiten umgeben hatte, vor lauter Eifer ihn zu sehen, stürzte sie los und wetteiferte, den Ergriffenen zu verspotten. Vernimm nun die List der Danaer und lerne sie alle anhand eines einzigen Verbrechens kennen. Denn sobald er bestürzt mitten im Blickfeld stehen blieb, unbewaffnet und mit seinen Augen um sich herum die phrygischen Heereszüge erblickte, sagte er: „Weh, welche Erde, welches Meer kann mich jetzt noch (70) empfangen? Oder was bleibt mir Unglücklichem schließlich noch übrig, für den bei den Danaern nirgendwo ein Platz frei ist und die mir feindlich gesinnten Dardaner blutige Strafen für mich fordern? Durch dieses Jammern wurden die Gemüter umgestimmt und jeder Ansturm auf ihn unterdrückt. Wir forderten ihn auf, zu sagen, aus welchem Blut er entsprossen ist, und was er vorbringen wolle. Er sollte erzählen, welche Zuversicht er als Gefangener hätte. „Ich werde dir freilich, König, alles wahrheitsgemäß gestehen, was auch immer geschehen wird, und nicht leugnen, dass ich vom argolischen Volksstamm abstamme. Dies zuerst: Wenn Fortuna aus Sinon einen unglücklichen Mann (80) gemacht hat, wird die boshafte nicht auch noch einen Windbeutel und einen Lügner aus ihm machen. Vielleicht ist dir durch Klatsch und Tratsch irgendein Name des Palamedes, Nachkomme des Belus, zu Ohren gekommen und sein durch Gerüchte berühmter Ruhm – ein Mann, den die Pelasger unschuldig, wegen einer falschen Anschuldigung und einer entsetzlichen Anzeige, nur weil er sein Veto gegen die Kriege einlegte, in den Tod schickten und nun 21 bei Tageslicht vergeblich um ihn trauern. Jenem schickte mein armer Vater mich, jung an Jahren, als Begleiter und Blutsverwandter in den Krieg. Solange er noch unversehrt im Hinblick auf seine Herrschaft Bestand hatte und im Kriegsrat der Könige noch in Ansehen stand, (90) führte auch ich noch irgendeinen Namen und eine Ehre. Nachdem er aus dem Reich des Lichts aufgrund der Missgunst des ränkevollen Odysseus gewichen war (ich sage nichts Unbekanntes), schleppte ich mein Leben niedergeschlagen in Finsternis und in Trauer hin und entrüstete mich über den Schicksalsschlag meines unschuldigen Freundes. Ich Wahnsinniger schwieg nicht und versprach mich zu rächen, falls es der Zufall gestattete, falls ich als Sieger zu den argischen Vätern zurückkehren würde und ich erregte mit diesen Worten bitteren Hass. Von da an begann ich im Übel zu versinken, von da an erschreckte mich Odysseus mit immer neuen Anschuldigungen, von da an verbreitete er beim Volk zweifelhafte Äußerungen und suchte bewusst nach Waffen gegen mich. (100) Denn er kam nicht zur Ruhe, solange er mit Hilfe seines Gehilfen Calchas… Aber wozu freilich rolle ich diese unangenehmen Dinge vergeblich wieder auf, wozu halte ich mich damit auf? Wenn ihr denkt, dass alle Achiver vom gleichen Schlag sind und dies zu hören schon genug ist, dann bestraft mich sofort! Dies möchte der Ithaker und die Atriden würden ihn für viel Geld abkaufen.“ Dann aber brannten wir darauf zu erforschen und nach den Gründen zu fragen, unwissend von den so großen Verbrechen und der Kunst der Pelasger. Folgendes schilderte er zitternd und sprach mit einem heuchlerischen Gemüt: „Oft hatten die Danaer den Wunsch, nachdem sie Troja verlassen haben würden, die Flucht einzuleiten und erschöpft aus dem langen Krieg zu scheiden. (110) Wenn sie es doch nur getan hätten! Oft hat der raue Winter des Meeres jene eingeschlossen und der Südwind hat sie, während sie fuhren, erschreckt. Vor allem, als schon das Pferd hier stand, mit Ahornbrettern bedeckt, da krachten die Wolken im ganzen Äther. Besorgt schickten wir Eurypylus, um die Orakelsprüche des Phoebus zu erfragen, und dieser brachte uns vom Heiligtum diese traurigen Worte: „Ihr habt die Winde mit Blut und mit dem Jungfrauenmord besänftigt, als ihr, Danaer, zum ersten Mal zu Ilions Küste gekommen seid. Mit Blut müsst ihr eure Rückkehr erkaufen und es ist eine Seele aus Argos zu opfern.“ Sobald diese Äußerung zu den Ohren des Volkes gedrungen ist, (120) erstarrten die Gemüter vor Schreck und eisiges Zittern lief ihnen durch das tiefe Gebein: Wem würden die Göttersprüche dies bereiten, wen würde Apollo fordern? Hier schleppte der Ithaker den Seher Calchas unter großem Aufruhr in die Mitte. Er forderte von ihm eine Antwort auf die Frage, was das für göttliche Willen seien. Und schon prophezeiten mir viele ein grausames Verbrechen des Kunsthandwerkers, und schauten verschwiegen, was da im Begriff war zu kommen. Jener schwieg zehn Tage und weigerte sich versteckt irgendjemanden mit seinem Wort zu verraten beziehungsweise dem Tod entgegenzustellen. Kaum wurde er letztlich unter großem Geschrei des Ithakers getrieben, stieß er gemäß Vereinbarung die Äußerung hervor und bestimmte mich für den 22 Altar. (130) Alle stimmten zu und sie ertrugen es, dass, was ein jeder für sich fürchtete, sich zum Verderben eines einzigen Unglücklichen wendete. Und schon war der unsägliche Tag gekommen. Und schon wurden für mich das Ritual, sowie gesalzene Feldfrüchte vorbereitet und um meine Schläfen Binden. Ich gestehe, ich entriss mich dem Tod und durchbrach die Fessel, ich versteckte mich die Nacht über bei einem schlammigen See verborgen im Schilf, solange bis sie die Segeln setzten, wenn sie sie überhaupt setzten. Weder habe ich nunmehr irgendeine Hoffnung die alte Heimat wiederzusehen noch meine süßen Söhne, oder den Vater, den ich herbeisehne, Menschen, die jene Griechen wegen meiner (140) Flucht vielleicht büßen lassen, und diese Schuld durch den Tod der Unglücklichen sühnen. Daher bitte ich dich bei den Göttern, bei den göttlichen Willen, die noch um das Wahre wissen, bei der unverletzten Treue, wenn überhaupt noch welche irgendwo den Menschen übrig ist, erbarme dich so großer Mühen, erbarme dich einem Gemüt, dass unwürdiges erträgt.“ Durch diese Tränen schenkten wir ihm das Leben und hatten freiwillig Mitleid. Priamus selbst befahl als erster, dass dem Mann die Handfessel und die engen Seile abgenommen würden und sprach so mit freundlichen Worten: „Wer auch immer du bist, vergesse nunmehr ab jetzt die verlorenen Griechen, du wirst unser Mann sein, und berichte mir ausführlich, der ich nach diesen wahren Dingen frage: (150) Warum stelltet ihr diese Masse von einem gewaltigen Pferd auf? Wer ist dessen Urheber? Was erstreben sie damit? Welcher Kult ist das? Oder welcher Kriegsapparat?“ Das hatte er gesprochen. Jener, der in der List und der pelasgischen Kunst unterrichtet worden war, erhob die Handflächen, die er aus den Fesseln herausgezogen hatte, zu den Sternen und sagte: „Ihr ewigen Feuer, euch und euren unverletzbaren, göttlichen Willen rufe ich als Zeuge an, euch, ihr Altäre und entsetzlichen Schwerte, vor denen ich geflohen bin, sowie die Binden der Götter, die ich als Opfer getragen habe: Es ist mir ein göttliches Recht das geheiligte Recht der Griechen zu lösen, es ist mir göttliches Recht die Männer zu hassen und alles ans Tageslicht zu bringen, was sie verheimlichen, und ich bin nicht durch irgendwelche Gesetze des Vaterlandes gehalten. (160) Mögest du, gerettetes Troja nur bei deinen Versprechungen bleiben und mir die Treue halten, wenn ich Wahres sprechen, wenn ich Großes vergelten werde. Die ganze Hoffnung der Danaer und die Zuversicht des angefangenen Krieges basiert stets auf den Hilfstruppen der Pallas. Aber da hieraus der gottlose Sohn des Tydeus und der Erfinder der Verbrechen, Odysseus sich daran machten, aus dem heiligen Tempel das verhängnisvolle Palladium zu entreißen und nachdem die Wächter hoch oben an der Burg getötet waren, sie das heilige Bild mit blutigen Händen ergriffen und es wagten die jungfräulichen Binden der Göttin zu berühren, zerfloss seit jener Zeit (170) die versunkene Hoffnung der Danaer, und zog sich zurück, die Kräfte sind zerbrochen und der Geist der Göttin abgewandt. In unzweifelhaften Zeichen gab Tritonia dies zu erkennen: Kaum war das Abbild im Lager aufgestellt, 23 brannten zitternde Flammen aus ihren aufgerichteten Augen und der salzige Schweiß rann über die Glieder und dreimal sprang sie selbst (sonderbar zu sagen) vom Boden, ein Rundschild und eine zitternde Lanze tragend. Sofort pries Calchas, dass man das Meer durch eine Flucht auf die Probe stellen müsse und dass Pergamon nicht von argolischen Waffen zerstört werden könne, wenn sie nicht erneut Auspizien aus Argos einholen und die Gottheit zurückführen würden, die sie auf dem Meer in ihren bauchigen Schiffen mit sich fortgerissen hätten. (180) Und nun, weil sie mit dem Wind zum heimatlichen Mykene eilten und sich Waffen und Götter als Begleiter bereiteten, werden sie, nachdem sie das Meer erneut durchfahren haben, unvorhergesehen hier sein. So erklärt Calchas die Vorzeichen. Die von ihm ermahnten Männer stellten diese Pferdegestalt, die den traurigen Frevel sühnen sollte, anstelle des Palladiums auf, für den verletzten göttlichen Willen. Trotzdem befahl Calchas diese gewaltige Masse mit zusammengefügtem Hartholz aufzurichten und bis zum Himmel zu Türmen, so dass sie nicht durch die Tore passe oder in eine Stadt geführt werden, oder euer Volk unter dem alten Kult beschützen könne. Denn wenn eure Mannschaft die Gabe für Minerva verletzten würde, dann würde dem Reich des Priamus und den Phrygern ein (190) großer Untergang bevorstehen (Würden die Götter doch vorher gegen ihn selbst die Vorzeichen richten!). Wenn es aber durch eure Hände in eure Stadt aufsteigen würde, dann würde sogar Asien in einem großen Krieg zu den Stadtmauern des Pelops kommen, und diese Göttersprüche warteten auf unsere Enkel.“ Durch den derartigen Hinterhalt und die Kunst des meineidigen Sinon wurde die Sache glaubhaft und die Männer wurden gefangen genommen durch die List und die erzwungenen Tränen, Männer, die weder Tydeus noch der Larisser Achilles bezwungen hatten, auch nicht die zehn Jahre, nicht die tausend Schiffe. Jetzt (200) stellte sich den Unglücklichen noch etwas anderes, noch viel Furchtbareres entgegen und die Ahnungslosen wurden verwirrt. Laocoon, der durch das Los des Neptun zum Priester bestimmt wurde, wollte bei den Feierlichkeiten einen gewaltigen Stier bei den Altären schlachten. Doch sieh, ein Schlangenpaar stürzte sich von Tenedos (mir graut es das zu berichten!) in gewaltigen Kreisbahnen durch das ruhige, tiefe Meer und sie eilten gemeinsam zur Küste. Deren aufgerichtete Brüste und ihre blutroten Kämme ragten inmitten der Flut über die Wogen und der übrige Teil streifte hinten über das Meer und es krümmte sich in einer Windung der gewaltige Rücken. Es entstand Lärm während das Meer schäumte. Schon zogen sie zu den Fluren (210) und ihre brennenden Augen waren mit Blut und Feuer unterlaufen, mit einem Zischlaut leckten sie sich immer wieder mit zitternden Zungen ihre Mäuler. Blass vor Entsetzen über den Anblick flohen wir in alle Richtungen. Jene eilten in einem festen Zug zu Laocoon und zuerst umschlangen beide Schlangen die kleinen Körper der zwei Söhne, umwickelten sie und verschlangen die unglücklichen Glieder mit einem Biss. Später ergriffen sie Laocoon selbst, der gerade zur Hilfe eilte und Waffen trug und sie umschlungen ihn in gewaltigen Windungen. Zweimal hatten sie ihn schon in 24 der Körpermitte umschlungen, zweimal hatten sie ihre schuppigen Rücken um seinen Hals gelegt und überragten ihn mit ihrem Kopf und ihrem hohen Nacken. (220) Jener strengte sich zugleich an, die Knoten mit seinen Händen auseinanderzureißen. Die priesterlichen Binden waren mit Geifer und dunklem Gift begossen und er erhebt Furcht erregende Schreie zu den Sternen. So beschaffen ist das Geschrei, wenn ein verwundeter Stier vor dem Altar flieht und das unsicher geführte Beil von seinem Nacken abschüttelt. Aber die beiden Schlangen flohen mit einer Bewegung ganz nach oben zum Tempel und eilten zur Burg der wilden Göttin von Triton und verbargen sich unter den Füßen der Göttin und unter dem Rund des Schildes. Dann aber drang neue Furcht in all die zitternden Gemüter. Man sagte, dass der schuldige (230) Laocoon für sein Verbrechen bezahlte, der mit seiner Lanze das heilige Hartholz des trojanischen Pferdes verletzt hatte und die verbrecherische Lanze in dessen Rücken geschleudert hatte. Sie riefen, man müsse das Nachbild eines Pferdes in die Stadt ziehen und den Willen der Göttin Minerva anbeten. Wir spalteten die Mauern und öffneten so die Mauern der Stadt. Alle machten sich ans Werk und legten den Füßen Rollen zum Gleiten unter, legten Seile aus Werg um den Hals. Der verhängnisvolle Apparat stieg voll mit Waffen über die Stadtmauern. Ringsum besangen die Jungen und die unvermählten Mädchen das Götterbild und freuten sich, die Taue mit ihrer Hand zu berühren. (240) Jener Apparat kam herbei und glitt drohend zur Stadtmitte. Weh, Heimat, weh Haus der Götter, Ilion, und die durch den Krieg bekannte Stadtmauer der Dardaner! Viermal blieb es an dieser Schwelle des Tores stehen und viermal gaben die Waffen im Bauch ein Geräusch von sich. Dennoch drängten wir weiter ohne etwas zu merken, blind vor Raserei, und stellten das unglückbringende Ungeheuer in die heilige Burg. Dann öffnete Cassandra sogar für zukünftige Göttersprüche den Mund, dem auf Befehl der Göttin von den Teucrern niemals geglaubt wurde. Wir Unglückliche, für die jener der letzte Tag war, schmückten die Heiligtümer der Götter in der ganzen Stadt mit festlichem Laub. (250) Inzwischen drehte sich der Himmel und die Nacht brach über dem Ozean herein, während sie sowohl das Land, als auch den Pol und die List der Myrmidonen verhüllte. Die Teucrer, die entlang der Stadtmauer zerstreut waren, verstummten. Der Schlaf umschlang die erschöpften Glieder. Und schon segelte die argivische Phalanx, nachdem die Schiffe in Formation gestellt waren, von Tenedos her durch die freundliche Ruhe des schweigenden Mondes und eilte an die bekannten Gestade, als das königliche Schiff ein Feuersignal hervorgebracht hatte. Durch die ungünstigen Schicksalssprüche der Götter geschützt, befreite Sinon heimlich die im Pferdebauch eingeschlossenen Danaer und öffnete das hölzerne Gefängnis. Nachdem es geöffnet war, (260) gab es jene Männer wieder an die Luft zurück und glücklich drangen aus dem gehöhlten Holz hervor: Thessandrus und Sthenelus, die Anführer, und der grausige Odysseus – sie glitten an einem herabgelassenem Seil herab – sowie Acamas und Thoas, Pelides, Neoptolemos, als erster jedoch Machaon, Menelaus und schließlich der Urheber der List: Epeos. Sie fielen in die Stadt ein, die 25 unter Schlaf und Wein begraben war. Die Wächter wurden getötet, sie nahmen ihre Kameraden durch die geöffneten Tore auf und verbanden sie in bewusst aufgestellten Heereszügen. Es war die Zeit, wo für die erschöpften Menschen die erste Ruhe begann und als Geschenk der Götter schlich sie äußerst willkommen herbei. (270) Sieh, der äußerst unglückliche Hector erschien mir im Traum vor meinen Augen und er brachte brach in einen Strom von Tränen aus, wie er einst von Zweigespannen weggerissen wurde, schwarz vor Blut und Staub, die geschwollenen Füße waren von Riemen durchbohrt. Weh mir, wie er war, wie sehr er verändert war von dem Hector, der mit der Rüstung des Achilles bekleidet zurückkehrte oder die phrygischen Feuer gegen die Schiffe der Danaer schleuderte! Er trug einen mit Dreck überzogenen Bart und Haare, die von Blut verkrustet waren; er trug jene zahlreiche Wunden, die er ringsum der heimatlichen Stadtmauern erhalten hatte. Überdies schien ich den Mann selbst weinend (280) anzureden und folgende traurige Äußerungen auszudrücken: „Oh dardanisches Licht, oh treueste Hoffnung der Teucrer, welcher so große Aufenthalt hielt dich fern? Von welchen Küsten kommst du, ersehnter Hector? Dass wir erschöpfte Männer dich nach vielen Begräbnissen der Deinigen, nach verschiedenen Mühen der Männer und der Stadt erblicken! Welcher unwürdige Schicksalsschlag hat deine heiteren Gesichtszüge verunstaltet? Oder warum erkenne ich diese Wunden?“ Jener antwortete nicht, hielt sich auch nicht mit mir, der Sinnloses fragte, auf, sondern seufzte schwer aus tiefer Brust und sagte: „Oh fliehe, Sohn der Venus und entreiße dich diesen Flammen. (290) Der Feind hält die Stadtmauern. Troja stürzt vom hohen Gipfel her ein. Genug wurde für die Heimat und für Priamus gegeben. Wenn Pergamon durch eine rechte Hand hätte verteidigt werden können, dann wäre es sogar von dieser da verteidigt worden. Troja vertraut dir die Heiligtümer und seine Penaten an. Nimm diese als Begleiter deines Schicksals, suche für diese eine große Stadt, die du schließlich, nachdem du auf dem Meer umhergeirrt sein wirst, gründen wirst.“ So sprach er und trug aus dem Innersten der Tempel mit seinen eigenen Händen die Binden, die mächtige Vesta und das ewige Feuer heraus. Unterdessen wurden die Stadtmauern mit verschiedenartiger Trauer erfüllt. Und mehr und mehr erschallte der Lärm, obwohl das entlegene Haus meines Vaters (300) Anchises, das von Bäumen verdeckt war, abseits lag, brach das Grauen der Waffen herein. Ich riss mich selbst aus dem Schlaf und nachdem ich den höchsten Punkt des Hauses erklommen hatte, überragte ich die Gipfel und stand mit aufgerichteten Ohren da. Es war, wie wenn das Feuer durch den rasenden Südwind angetrieben in die Saat fällt, oder ein reißender Gebirgsstrom mit seinem Bergwasser Äcker vernichtet, er vernichtet üppige Saatfelder und die Arbeiten der Rinder, ganze Wälder stürzt er um und reißt sie mit. Der unwissende Hirte staunt vom hohen Gipfel des Felsen, wenn er das Getöse hört. Dann aber war die falsche Glaubwürdigkeit offenkundig und die (310) List der Danaer offenbart. Schon war das weite Haus des Deiphobus, durch Volcanus besiegt, eine Ruine, schon 26 brannte das des Nachbars Ucalegon. Die breite sigeische Brandung glänzte vor Feuer. Es erhob sich sowohl das Geschrei der Männer als auch das Dröhnen der Tuben. Wahnsinnig ergriff ich die Waffen. Hinlänglich überlegt war der Griff zu den Waffen nicht, aber mein Gemüt brannte darauf, für den Krieg eine Mannschaft zusammenzubringen und gemeinsam mit den Kameraden zur Burg zu laufen. Raserei und Zorn stürzten meinen Verstand und es kam mir in den Sinn, dass es schön sei im Krieg zu sterben. Sieh, Panthus ist jedoch den Waffen der Achivern entglitten, Panthus, Sohn des Othrys, Priester der Burg und des Phoebus. Er selbst zog mit seiner Hand (320) heilige Gegenstände, die besiegten Götter und seinen kleinen Enkel mit und marschierte auf seinem Weg wahnsinnig zu meiner Türschwelle. „An welchem Ort fällt die Entscheidung, Panthus? In welchem Zustand erreichen wir die Burg?“ Kaum hatte ich dieses gesagt, antwortete er mit einem Seufzen dieses: „Es ist der letzte Tag und die unabwendbare Zeit für Dardanien gekommen. Wir Trojer waren einmal, Ilion und der gewaltige Ruhm Trojas waren einmal. Der wilde Jupiter hat alles der Stadt Argos übergeben. In der entflammten Stadt herrschen nun die Danaer. Während das Pferd steil aufragend mitten in der Stadt dasteht, bringt es bewaffnete Männer hervor und der Sieger Sinon verursacht uns (330) verspottend Brände. Andere Männer sind bei den doppelt geöffneten Stadttoren, so viele Tausende, wie jemals vom großen Mykene hergekommen waren. Andere belagern mit ihren uns entgegen gerichteten Waffen die Wegengen. Es starrt eine gezückte Schneide mit ihrer funkelnden Spitze des Schwertes, bereit zu töten. Kaum wagen die ersten Torwächter den Kampf und leisten im unüberschaubaren Kriegsgetümmel Widerstand.“ Aufgrund der so beschaffenen Worte des Sohnes des Othrys und durch den Willen der Götter stürzte ich in die Flammen und zu den Waffen, wohin mich der traurige Erinys, wohin mich der Lärm sowie das zum Himmel erhobene Geschrei rief. Hinzu kamen als Kameraden Rhipeus und der äußerst waffenfähige (340) Epytus, sie erschienen im Mondeslicht, und Hypanis und Dymas schlossen sich an unserer Seite an, sowie der junge Mann Coroebus, Sohn des Mygdon – er war in jenen Tagen zufällig nach Troja gekommen, entbrannt in wahnsinniger Liebe zu Cassandra und als Schwiegersohn brachte er Priamus und den Phrygern Hilfe. Der Unglückliche, der nicht auf die Weisungen seiner rasenden Verlobten gehört hatte! Nachdem ich diese dicht gedrängt gesehen hatte, wie sie darauf brannten in die Schlacht zu ziehen, begann ich noch zu sagen: „Junge Männer, eure Brust ist vergeblich sehr tapfer, wenn ihr das Verlangen habt kühn in die letzte (350) Entscheidungsschlacht zu folgen, schaut welches Schicksal dem Gemeinwesen beschieden ist: Alle Götter verließen die Heiligtümer und die übrigen Altäre, durch die einst unsere Herrschaft Bestand hatte. Ihr kommt einer entflammten Stadt zur Hilfe. Mögen wir sterben und mitten unter den Waffen stürzen. Die einzige Hoffnung für die Besiegten ist es, keine Hoffnung zu erhoffen.“ 27 So wurde dem Mut der jungen Männer Wut zugefügt. Daraufhin schritten wir, wie räuberische Wölfe in finsterem Nebel, welche die schändliche Gier des Magens blind heraus treibt und welche die zurückgelassenen Welpen mit ihren trockenen Schlünden erwarten, durch die Wurfgeschosse, durch den Feind und bahnten uns sicheren Todes einen Weg mitten in die (360) Stadt. Finstere Nacht umschwebte uns ringsum mit einem hohlen Schatten. Wer könnte das Unglück jener Nacht, wer die Verluste mit Worte darlegen oder mit Tränen die Mühen ausgleichen? Die alte Stadt, die über so viele Jahre geherrscht hatte, stürzte ein. Zahlreiche leblose Körper wurden weit und breit auf den Straßen niedergestreckt, in den Häusern und an den heiligen Schwellen der Götter. Nicht nur büßten die Teucrer mit ihrem Blut: Manchmal kehrte den Besiegten sogar die Tugend in die Herzen zurück und es fielen die danaischen Sieger. Überall grausame Trauer, überall Furcht und das zahlreiche Bild des Todes. (370) Als erster der Danaer erscheint uns Androgeos, begleitet von einer großen Schar, der uns unwissend für einen verbündeten Heereszug hielt und sprach uns freiwillig mit diesen freundlichen Worten an: „Beeilt euch, Männer! Denn welche so späte Trägheit hält euch auf? Andere verwüsten und plündern das brennende Pergamon. Kommt ihr nun erst von den aufragenden Schiffen? Das sagte er und merkte sofort (es wurden nämlich keine Antworten gegeben, die zuverlässig genug waren) dass er mitten unter Feinde gefallen ist. Er erstarrte vor Schreck und hemmte seinen Schritt und seine Stimme. Wie jemand, der in rauhen Dornsträuchern unversehens eine Schlange (380) erdrückt, während er sich auf den Boden stützt und plötzlich zitternd vor der sich erhebenden und Zorn und ihren dunkelgrünen Hals auftürmenden Schlange zurückflieht, genauso versuchte Androgeos, der durch unseren Anblick zitterte, wegzugehen. Wir stürzten auf ihn und er wurde mit dicht aufeinanderfolgenden Waffen übergossen. Wir streckten die ortsunkundigen und die von Furcht ergriffenen weit und breit nieder. Zunächst unterstützte uns Fortuna bei unserer Bemühungen. Und an diesem Punkt sagte Coroebus, der durch den Erfolg und seinen Mut ausgelassen war: „Oh Kameraden, wo Fortuna zuerst einen Weg der Rettung zeigt und wo sie sich günstig offenbart, dahin lasst uns folgen. Lasst uns unsere Rundschilde tauschen und uns die Abzeichen der Danaer (390) anfügen. List oder Tugend, wen interessiert das im Angesicht des Feindes? Sie selbst werden uns ihre Waffen geben.“ So sprach er und zog darauf den buschigen Helm des Adrogeos an, sowie das glänzende Abzeichen seines Rundschilds und fügte das Argiverschwert an seiner Seite an. Dies machte Rhipeus, dies machte Dymas selbst und die ganze Jungmannschaft glücklich. Ein jeder bewaffnete sich mit frischen Rüstungen. Unter die Danaer gemischt schritten einher – nicht unter dem Schutz unserer Gottheit – und begannen während der finsteren Nacht viele Kämpfe, nachdem wir mit dem Feind zusammengetroffen waren. Viele Soldaten der Danaer schickten wir ins Jenseits. Andere flüchteten zu den Schiffen und eilen mit ihrem Lauf zur (400) treuen Küste. Ein Teil bestieg durch die Furcht verwirrt wieder das gewaltige Pferd und verbarg sich im bekannten Bauch. 28 Oh, niemand darf unwilligen Göttern vertrauen! Siehe, da wurde die Jungfrau aus Priamos, Cassandra mit gelöstem Haar vom Tempel und den Heiligtümern der Minerva weggeschleppt, während sie ihre brennenden Augen vergeblich dem Himmel entgegenstreckte, denn Seile fesselten ihre zarten Handflächen. Coroebus ertrug diesen Anblick mit seinem rasenden Verstand nicht und warf sich, bereit zu sterben, mitten in den Heereszug. Wir folgten alle und warfen uns in dicht aufeinander folgende Waffen. Jetzt wurden zuerst Leute von uns durch Wurfgeschosse, die von dem hohen Gipfel des Heiligtums kamen, überschüttet und es entstand ein äußerst unglückliches Blutbad durch das Aussehen der Waffen und den Irrtum, den die griechischen Mähnen hervorriefen. Dann fielen die Griechen vor lauter Trauer und Zorn über die geraubte Jungfrau von allen Seiten über uns, nachdem sie sich versammelt hatten: Der äußerst energische Ajax, die beiden Atriden und das ganze Heer der Dolopen. Es war, wie wenn bei einem hervorgebrochenen Sturm entgegen gerichtete Winde zusammenstoßen: Der Westwind, der Südwind und der Südostwind, glücklich über die Pferde der Eos. Es rauschten die Wälder, es wütete der schäumende Nereus mit seinem Dreizack und bewegte das Wasser vom tiefsten Grund. (420) Sogar jene Männer erschienen, die wir etwa in der finsteren Nacht durch die Schatten mit Hilfe unserer List in die Flucht geschlagen hatten und durch die ganze Stadt gejagt hatten. Die ersten erkannten die Rundschilde und die nachgemachten Wurfgeschosse und bemerkten die Andersartigkeit unserer Stimme. Sogleich werden wir von der Schar überwältigt: Als erster stürzte Coroebus durch die Rechte des Peneleus vornüber auf den Altar der waffenmächtigen Göttin. Es fiel auch Rhipeus, der Gerechteste, der unter den Teucrern war, und er war ein unbestechlicher Wächter des Rechts (den Göttern schien es anders). Es gingen sowohl Hypanis als auch Dymas zugrunde – beide von den eigenen Kameraden durchbohrt. Dich, Panthus, als du zu Boden (430) glittst, schützte weder dein großes Pflichtgefühl, noch die Binde des Apollon. Asche Ilions und Totenfeuer der meinen, euch rufe ich als Zeugen an, dass ich bei eurem Tod weder Waffen noch irgendwelche andere Gefahren gemieden habe und wenn es das Schicksal gewollt hätte, dass ich falle, dann hätte ich verdient, durch Danaerhand zu fallen. Daraufhin wurden wir auseinandergerissen. Iphitus und Pelias waren bei mir (von ihnen war Iphitus schon träger durch sein hohes Lebensalter, und Pelias war durch eine Wunde, die ihm Odysseus zugefügt hatte, geschwächt). Von Geschrei wurden wir eilends zum Wohnsitz des Priamus gerufen. Hier aber tobte ein gewaltiger Kampf, als gäbe es nirgendwo andere Kämpfe, als würden in der ganzen Stadt keine Leute sterben. (440) So erkannten wir den ungezähmten Krieg und Danaer die zu dem Haus stürzten und die Schwelle, die von dem vorwärtsgetriebenen Schilddach voll war. An den Mauern hingen Leitern, dicht an den Pfosten selbst erklommen sie die Stufen und die Geschützten hielten mit ihrer Linken den Wurfgeschossen ihre Rundschilder entgegen. Sie ergriffen mit ihrer Rechten den Dachgiebel. Die Dardaner vernichteten die Türme und alle Giebel des Hauses. Sie 29 bereiteten sich vor, als sie ihre letzte Stunde erkannten, sich noch kurz vor dem Tod mit Wurfgeschossen zu verteidigen und sie wälzten die vergoldeten Balken, die erhabene Zierde ihrer Vorfahren herab. Andere (450) besetzten mit gezogenem Dolch die unteren Türen und bewahren diese in einer dicht gedrängten Rotte. Der Mut war wiederhergestellt, dem königlichen Palast zur Hilfe zu eilen, die Männer zu unterstützen und den Besiegten Kraft zu verleihen. Es gibt eine Schwelle – eine geheime Tür – und ein Durchgang zwischen den Gebäuden des Priamus, eine zurückgelassene Pforte im hinteren Bereich, durch die der unglückliche Andromache, als das Königreich noch Bestand hatte, zu oft unbegleitet zu den Schwiegereltern zu stürzen pflegte und den Jungen Astyanactos dem Großvater hinbrachte. Ich ging zum Gipfel des höchsten Daches woher die unglücklichen Teucrer mit ihrer Hand vergeblich Wurfgeschosse warfen. (460) Es stand ein Turm auf abschüssigem Gelände und der höchste Punkt des Daches reichte bis zu den Sternen, von wo man für gewöhnlich ganz Troja, die Schiffe der Danaer und die achäische Burg sehen konnte. Wir griffen ihn ringsum mit unserem Eisen an, wo die obersten Stockwerke Verbindungen gewährten, die sich lockerten; Wir rissen ihn aus dem erhöhten Sitz und stießen ihn fort. Nachdem er geschwankt hatte, stürzte er plötzlich mit Getöse ein und fiel auf den breiten Heereszug der Danaer. Aber andere kamen herbei, und unterdessen wichen weder die Wurfsteine noch irgendeine andere Art von Wurfgeschossen. Der durch seine Wurfgeschosse und durch das bronzene Licht funkelnde Pyrrhus (470) jubelte am ersten Eingang gleich vor der Vorhalle. Es war wie wenn eine Schlange bei Tageslicht schlechtes Gras gefressen hat, und sie der Winter aufgewühlt unter der Erde verbarg, und nun, nachdem sie ihr Kleid abgestreift hat, wieder wie neu ist und in ihrer Jugend glänzt, ihren schlüpfrigen Rücken ringelt, wenn sie ihre Brust steil zur Sonne erhoben hat und sie ihre dreispaltige Zunge aus ihrem Mund zucken lässt. Zugleich rücken der gewaltige Periphas, der Pferdelenker des Achilles, der waffentragende Automedon und die ganze scyrische Mannschaft zum Gebäude und warfen Brandfackeln an die Dächer. Er selbst durchbrach die harte (480) Eingangstür, nachdem er hastig die Doppelaxt ergriffen hatte, und riss die erzbeschlagenen Pfosten aus der Türangel. Und schon höhlte er das Holz aus, nachdem ein starker Querbalken herausgehauen war; er schuf einen Zugang mit einer weiten Öffnung. Es kam das Innere des Hauses zum Vorschein und die langen Hallen standen offen. Es kamen die Wohnräume des Priamus und der alten Könige zum Vorschein und sie sahen bewaffnete Soldaten am ersten Eingang stehen. Doch das Innere des Hauses wurde von Trauer und von unglücklichem Aufruhr erfüllt, und die gewölbten Räume erklangen durch das Wehklagen der Frauen. Das Geschrei stieß bis zu den goldenen Sternen. Dann irrten die ängstlichen Mütter in den Zimmern umher, hielten die Pfosten (490) umschlungen und drückten ihnen Küsse auf. Pyrrhus setzte mit der Gewalt seines Vaters nach. Weder die Riegel noch die Wächter selbst konnten ihn 30 aufhalten. Die Tür wankte durch den zahlreich eingesetzten Rammbock und die aus den Angeln gehobenen Pfosten fielen vornüber. Gewalt bahnte sich ihren Weg. Die hineinstürzenden Danaer brachen sich einen Zugang, erdolchten die ersten und füllten die Räume weithin mit Soldaten. Es ist nicht so wild, wenn ein schäumender Strom, nachdem er den Uferdamm durchbrochen hat, aus seinem Flussbett läuft und die ihm entgegenstehenden Massen mit seinem Strudel besiegt und mit der ganzen Wassermasse rasend auf die Felder stürzt und über alle Felder zusammen mit den Ställen die Herdentiere mitreißt. Ich selbst sah den vor (500) Blut rasenden Neoptolemos und an der Schwelle die beiden Atriden, ich sah Hecuba, und die einhundert Schwiegertöchter, Priamus, der über den Altären liegend die Flammen mit seinem Blut besudelte, die er selbst geweiht hatte. Jene fünfzig Schlafzimmer – die so große Hoffnung auf Enkel – und die Pfosten, die durch ausländisches Gold und Rüstungen erhaben wirkten, stürzten ein. Was das Feuer ausließ, besetzten die Danaer. Vielleicht fragst du auch, wie die Göttersprüche für Priamus aussahen? Sowie er das Unglück der eroberten Stadt, die zerstörten Palasttüren sowie den Feind sah, der sich bereits im Inneren des Gebäudes befand, (510) umgab der alte Mann, der schon lange nicht mehr daran gewohnt war, vergebens seine durch ihr hohes Alter zitternden Schultern mit Waffen und umgürtete sich mit dem nutzlosen Schwert, stürzte dann, bereit zu sterben in die dichte Feindesschar. Mitten im Gebäude unter der blanken Himmelsachse befanden sich ein gewaltiger Altar und dicht daneben ein äußerst alter Lorbeer, der sich dem Altar zuneigte und die Penaten, die von dessen Schatten umschlossen waren. Hier saßen vergeblich Hecuba und ihre Töchter ringsum den Altar, wie durch einen finsteren Sturm vorwärtsgeneigte Tauben, während sie dicht gedrängt waren und die Abbilder der Götter umarmten. Sobald sie allerdings Priamus selbst sah, der die jugendlichen Waffen an sich genommen hatte, sprach sie: „Welcher so unheilvolle Gedanke, unglücklichster Gatte, hat dich dazu (520) veranlasst diese Waffen umzugürten? Oder: Wohin eilst du? Die Zeit bedarf doch nicht solcher Hilfe und auch nicht diesen Verteidigern, auch nicht, wenn jetzt mein Hector selbst zugegen wäre. Komm doch endlich hierher: Dieser Altar wird uns alle beschützen oder wir werden zusammen sterben.“ Nachdem sie so gesprochen hatte, nahm sie ihn bei sich auf und setzte den Hochbetagten an die heilige Stätte. Doch sieh da, Polites, einer der Söhne des Priamus, der dem Tötungsversuch des Pyrrhus entkommen war, floh durch die Wurfgeschosse, durch die Feindesreihen unter den langen Säulenhallen und durchquerte verwundet die leerstehenden Hallen. Rasend (530) folgte ihm Pyrrhus mit feindlichem Hieb und schon ergriff er ihn mit seiner Hand und durchbohrte ihn mit seiner Lanze. Sowie er endlich bis vor die Augen und das Antlitz der Eltern gekommen war, brach er zusammen und goss mit viel Blut sein Leben aus. An diesem Punkt konnte Priamus nicht an sich halten, obwohl er schon selbst so gut wie tot war und schonte weder seine Stimme noch seinen Zorn. Er schrie: „Dir aber sollten die 31 Götter für dieses Verbrechen, für derartige Dreistigkeiten, sofern es für den Himmel irgendein Pflichtgefühl gibt, das sich um derartige Dinge sorgt, würdigen Dank abstatten und dir die geschuldeten Belohnungen geben, der du veranlasstest, dass ich in Anwesenheit meines Sohnes seinen Tod wahrnehmen musste und der du die väterlichen Gesichtszüge mit Totschlag befleckt hast. (540) Aber nicht einmal jener Achilles, dessen Sohn zu sein du vorlügst, benahm sich so seinem Feind Priamus gegenüber. Sondern er achtete mit Ehrfurcht die Gesetze und die Treue eines Flehenden Er gab den blutleeren Körper des Hector zur Bestattung zurück und schickte mich in mein Königreich zurück.“ So sprach der alte Mann und schleuderte unkriegerisch seine Lanze ohne Stoßkraft die sofort am dumpf tönenden Schild des Pyrrhus zurückprallte und an der obersten Krümmung des Rundschildes herabhing. (Unlogisch, aber so Vergil!) Diesem antwortete Pyrrhus: „Dieses also wirst du berichten und als Bote zu meinem Vater, Sohn des Peleus, gehen. Erinnere dich, jenem von meinen unglücklichen Taten und vom entarteten Neoptolemos zu berichten. (550) Nun mögest du sterben!“ Während er dies sagte, zog er den Zitternden, der in dem vielen Blut seines Sohnes ausglitt, zu dem besagten Altar und packte ihn mit seiner Linken an den Haaren, mit der Rechten holte er sein funkelndes Schwert heraus und stieß es ihm bis zum Griff in die Seite. Dies ist das Ende von Priamus‘ Schicksal, dieses Ende ereilte jenen schicksalsgemäß, der das entflammte Troja und das einstürzende Pergamon sah, einst der erhabene Beherrscher von so vielen Völkern und Ländereien Kleinasiens. Da liegt ein gewaltiger Verwundeter an der Küste, ein von den Schultern weggerissener Kopf, ein Leichnam ohne Namen. Doch mich umzingelte dann zum ersten Mal wildes Entsetzen. (560) Ich erstarrte vor Schreck. Mir kam das Bild meines teuren Vaters in den Sinn, als ich den König, der im gleichen Alter war, durch die grauenvollen Wunde sterben sah; mir kam die verlassene Creusa in den Sinn, das geplünderte Haus und das Schicksal des kleinen Iulus. Ich blickte zurück und betrachtete, welche Truppe ich um mich hatte. All die erschöpften Männer hatten mich im Stich gelassen und ihre Körper mit einem Sprung zur Erde herabgestürzt oder ihre leidenden Körper den Feuern überlassen. Nun war ich so weit als einziger übrig, als ich an der Schwelle des Vestatempels die sich rettende und sich still in dem abgeschiedenen Ort verbergende Tochter des Tyndareus, Helena, erblickte. Die Brände gewährten mir (570) Umherirrenden, der seine Augen weit und breit über alles schweifen ließ, ein helles Licht. Jene, die sich im Voraus vor den Teucrern fürchtete, die ihr wegen dem zerstörten Pergamon feindlich gesinnt waren, und vor den Strafen der Danaer, sowie vor den Zorneswallungen ihres Mannes, den sie verlassen hatte – die gemeinsame Dämonin Trojas und ihrer Heimat – hatte sich versteckt und saß verhasst bei den Altären. In meinem Herzen entbrannte das Feuer. Es packte mich der Zorn die fallende Heimat zu rächen und schreckliche Strafen zu verhängen. „Die Dame wird natürlich unversehrt Sparta erblicken, sowie ihre Heimat Mykene; und nach dem gewonnenen 32 Triumph geht sie als Königin einher?! Sie wird ihren Gatten, das Haus ihres Vaters und ihre Söhne wiedersehen, begleitet von einer Schar aus (580) Illion und von phrygischen Dienern? Soll Priamus durch ein Schwert gestorben sein? Soll Troja im Feuer verbrannt sein? Sollte die Küste der Dadaner sooft von Blut triefen? So nicht! Denn auch wenn man sich keinen denkwürdigen Namen bei der Bestrafung einer Frau erwirbt, wird dieser Sieg Lob mit sich bringen. Ich werde dafür gelobt werden, dass ich den Frevel ausgelöscht und über sie die verdienten Strafen verhängt haben werde. Es wird meinem Gemüt helfen, wenn ich den Ruf eines Rächers und die Asche meiner Leute befriedigt haben werde.“ Derartige Dinge überlegte ich mir und ließ mich von meinem rasenden Verstand getrieben, als sich mir meine gütige Mutter, die durch die Nacht in reinem Licht glänzte, (590) zu sehen gab – für meine Augen so deutlich, wie nie zuvor. Nachdem sie mir gestanden hatte, dass sie die Göttin Venus ist, so beschaffen und so groß sie den Himmelsbewohnern für gewöhnlich zu sein schien, nahm sie meine Rechte, umfasste sie und fügte mit ihrem rosafarbenden Mund noch folgendes hinzu: „Sohn, welcher so große Schmerz erregt solche ungezähmten Zorneswallungen? Wieso tobst du? Und wohin ist dir deine Sorge uns gegenüber gewichen? Willst du nicht erst einmal schauen, wo du deinen altersschwachen Vater Anchises zurückgelassen hast, oder ob Creusa und dein Sohn Ascanius noch leben? Die ganze Kampfreihe der Griechen treibt sich von allen Seiten um sie herum, und wenn ihnen nicht meine Fürsorge Widerstand leistete, hätten die (600) Flammen sie schon dahingerafft und das feindliche Schwert sie schon durchbohrt. Nicht die Gestalt der Helena, die verhasste Spartanerin, oder der schuldige Paris, sondern die Strenge der Götter – der Götter! – stürzen dir die Macht und die Stadt Troja von ihrer Höhe. Schau her (denn ich werde die ganze Wolke, die nun vor dir Schauendem aufzieht, deine menschliche Sehkraft schwächt und dich mit den feuchten Schwaden blind macht, entreißen, so dass du dich nicht vor den Befehlen deiner Mutter fürchtest, oder dich weigerst ihre Weisungen Folge zu leisten!) Hier, wo du zerstreute Gesteinsmassen siehst, Felsen, die von anderen Felsen abgesprengt sind und Rauch mit Staub vermischt hervor strömen siehst, (610) erschüttert Neptunus die Stadtmauern und die vom großen Dreizack emporgehobenen Fundamente. Er zerstört die ganze Stadt von Grund auf. Hier hält die äußerst grimmige Iuno als erste die scaeischen Stadttore und ruft rasend den Heereszug ihrer Kameraden von den Schiffen herbei, nachdem sie sich das Schwert umgürtet hat. Schon hat die Tochter des Triton, Pallas, die obersten Zinnen besetzt, während sie aus einer Wolke mit ihrer wilden Gorgo hervor leuchtet; schau dich um! Der Göttervater selbst verleiht den Danaern Mut und günstige Waffen, er selbst hetzt die Götter gegen die dardanischen Waffen auf. Entreiße dich, mein Sohn, setze auf die Flucht und auf ein Ende für deine Mühe. (620) Nirgendwo werde ich dich allein lassen und ich werde dich sicher an der väterlichen Schwelle zum Stehen bringen.“ So sprach sie und verbarg sich in den ausgedehnten Schatten der Nacht. Es erschienen finstere Gestalten und die großen Wirkkräfte der Götter, die Troja feindlich gesinnt waren. Dann aber schien mir ganz Illium in Flammen zu versinken und das 33 neptunische Troja von Grund auf zerstört zu werden. Es war, wie wenn hoch oben in den Bergen Bauern im Wettstreit drängen eine alte Bergesche, die bereits mit dem Eisen angehakt war, mit zahlreichen Schlägen der Doppelaxt zu fällen, bis jene droht zu fallen und erzitternd mit ihrer Baumkrone wankt, während ihr Wipfel erschüttert wird, (630) solange bis sie allmählich durch die Wunden besiegt ist, ein letztes Mal ächzt, dann niederstürzt, nachdem sie aus dem Bergrücken gerissen wurde. Bei meinem Abstieg konnte ich unter göttlicher Führung meinen Weg durch das Feuer und den Feind bahnen. Die Wurfgeschosse ließen mir Raum und die Flammen wichen zurück. Und nachdem ich schon die Schwelle meines Vaters Haus und die alte Wohnstätte erreicht hatte, weigerte sich mein Vater, den ich als ersten in die hohen Berge mitnehmen wollte und als ersten eilends aufsuchte, sein Leben im zerstörten Troja in die Länge zu ziehen und das Exil zu erdulden. Er sprach: „Oh ihr, denen euch noch das frisches Blut eures jungen Alters, sowie in ihrem Kern echte Kräfte zur Verfügung stehen, (640) flieht ihr! Hätten die Götter gewollt, dass ich mein Leben weiterhinziehe, hätten sie mir diesen Wohnsitz bewahrt. Es ist mehr als genug, einen Untergang der Stadt gesehen zu haben und es überlebt zu haben, wie die Stadt eingenommen wurde. So, oh so lasst meinen Körper liegen und geht, nachdem ihr mich gegrüßt habt! Ich selbst werde durch meine Hand den Tod finden, oder es wird sich ein Feind erbarmen und nach Beute streben. Für mich ist der Verzicht auf ein Grab leicht. Schon längst bin ich den Göttern verhasst und verweile unnütze Jahre, seit mich der Göttervater und König der Menschen mit den Winden seiner Blitze und mit dem Feuer berührt hat.“ (650) Während er derartiges sprach, verharrte er und blieb starr. Wir waren hingegen verschwenderisch mit unseren Tränen: auch meine Gattin Creusa und Ascanius, das ganze Haus, so dass mein Vater nicht alles mit sich vernichten und das drängende Schicksal beschleunigen würde. Er verweigerte, und hing an seinem Vorhaben und an dem besagten Wohnsitz. Wieder eilte ich in den Kampf und wünschte mir äußerst Unglücklichem den Tod. Denn welcher Rat oder welches Glück wurde mir gewährt? Hoffst du etwa, Vater, dass ich einen Fuß vor die Tür setzen könnte, wenn du zurückbleibst? Ist ein so großer Frevel aus dem väterlichen Mund entwichen? Wenn den Göttern nichts aus der so großen Stadt gut scheint übrig zu bleiben (660) und es in deinem Geist fest sitzt und es dir hilft dich und deine Angehörigen dem untergehenden Troja hinzuzufügen, steht diesem Tod die Tür offen. Schon wird Pyrrhus hier sein, triefend vom vielen Blut des Priamus, der den Sohn vor dem Gesicht des Vaters, der den Vater bei den Altären niedergehauen hat. War dies der Grund, gütige Mutter, dass du mich durch die Wurfgeschosse, durch die Feuer hierher entrissen hast, sodass ich mitten im Haus den Feind, sodass ich Ascanius, meinen Vater und daneben Creusa erkennen muss, wie der eine im Blut des anderen hingeopfert niederliegt? Waffen, Männer, bringt Waffen! Der 34 letzte Tag ruft die Besiegten. Gebt mich wieder den Danaern zurück! Lass mich wieder in den erneut angefachten (670) Kampf ziehen! Niemals werden wir heute sterben, ohne uns gerächt zu haben!“ Darauf umgürtete ich mich mit dem Schwert und wollte erneut die Linke in das Schild stecken, um es anzupassen und aus dem Gebäude stürzen. Doch sieh, die Gattin hing an der Schwelle, indem sie meine Füße umschlungen hatte und streckte mir, dem Vater, den kleinen Iulus hin. Sie sprach: „Wenn du jetzt fortgehst, bereit zu sterben, reißt du auch uns mit dir in alle Gefahren, wenn du aber auf Grund der Erfahrung irgendwelche Hoffnung auf die aufgenommenen Waffen setzt, dann mögest du zunächst dieses Haus schützen. Wem wird der kleine Iulus, wem dein Vater und ich, die ich einmal nach deinen Worten deine Gattin war, zurückgelassen?“ Während sie solches schrie erfüllte sie das ganze Gebäude mit einem Seufzen, (680) als plötzlich – erstaunlich das zu sagen – ein Wunder entstand. Denn zwischen den Händen und den Gesichtern der traurigen Eltern schien ganz oben am Scheitel des Iulus eine leichte Flamme ein Licht hervorzubringen, und die sanfte Flamme schien unschädlich bei der Berührung seine Haare zu lecken und sich um seine Schläfen zu fressen. Wir Ängstlichen zitterten vor Furcht, versuchten das brennende Haar abzuschütteln und das heilige Feuer an der Quelle zu löschen. Doch mein Vater Anchises erhob fröhlich seine Augen zu den Sternen und streckte mit diesen Worten seine Handflächen dem Himmel entgegen: „Allmächtiger Jupiter, wenn man dich durch irgendwelche Gebete umstimmen kann, (690) erblicke uns – dies nur! – und wenn wir es durch unser Pflichtgefühl verdienen, gewähre uns endlich deine Hilfe, Vater, und bekräftige dieses Wunder!“ Kaum hatte der alte Mann dies gesprochen, donnerte es plötzlich mit einem Krachen zur Linken und ein Stern, der vom Himmel durch die Schatten glitt und ein Feuerschein hinter sich her zog, flog mit einem großen Schweif den Himmel entlang. Wir erkannten jenen herabgleitenden Stern über den höchsten Giebel des Hauses, wie er sich hell im Wald des Idagebirges verbarg und seinen Weg kennzeichnete. Dann brachte die Grube in einem langen Pfad Licht hervor und weit und breit dampfte ringsum die Gegend vor Schwefel. Hier aber erhob sich mein Vater zum Himmel, nachdem er sich geschlagen gegeben hatte, (700) sprach zu den Göttern und rief flehend das Gestirn an: „Schon, schon bleibt kein Verzug mehr. Ich folge euch, und wohin ihr mich führt, ich werde zur Stelle sein, väterliche Götter. Bewahrt mein Haus, bewahrt mein Enkel. Dies ist euer Vorzeichen und Troja steht unter eurem göttlichen Willen. Ich gebe freilich nach, mein Sohn, und weigere mich nicht, dich zu begleiten.“ Das sagte jener und schon waren die Feuer über die Stadtmauern hinweg deutlicher zu hören und schon wälzten die Brände die Hitzefront näher. „Also, nun denn, lieber Vater, setze dich auf meinen Nacken. Ich selbst werde dich auf meine Schultern nehmen, und diese Mühe wird mir nicht schwer fallen. Wie es auch immer kommen mag, gemeinsam wird für uns beide ein und 35 dieselbe Gefahr bestehen, (710) ein und dieselbe Rettung. Mir sei der kleine Iulus ein Begleiter und in gebührendem Abstand möge die Gattin meinen Schritten folgen. Ihr Diener, achtet auf das, was ich sagen werde: Wenn man aus der Stadt kommt, gab es einen Hügel und einen alten Tempel der verlassenen Ceres, gleich daneben eine alte Zypresse, die durch einen Kult der Väter über viele Jahre hinweg bewahrt wurde. Zu dieser einen Stätte werden wir aus verschiedenen Richtungen kommen. Du, mein Vater, ergreife mit deiner Hand die heiligen Gegenstände und die Penaten der Väter. Für mich, der ich aus einem so großen Krieg und aus dem frischen Blutvergießen schreite, ist es ein Frevel nach ihnen zu greifen, solange bis ich mich in einem fließenden Gewässer (720) gewaschen habe.“ Nachdem ich dies gesagt hatte, bedeckte ich meine breite Schultern und den gebeugten Nacken mit einer Decke bestehend aus einem blonden Fell eines Löwen und nahm die Last auf mich. Der kleine Iulus hielt sich an meiner Rechten fest und folgte dem Vater in kleineren Schritten. Hinten folgte die Gattin unmittelbar nach. Wir stürzten durch die Schatten der Orte, und mich, der mich vor einer Weile keinerlei Wurfgeschosse, die auf mich zielten, erschütterten, auch keine in einer feindlichen Schar gedrängten Griechen, den erschraken nun alle Luftzüge, alle Geräusche beunruhigten mich, der ich einerseits angespannt war, und andererseits um meinen Begleiter und um meine Last besorgt war. (730) Und schon näherte ich mich den Toren und ich dachte, den ganzen Weg zurückgelegt zu haben, als mir plötzlich das dicht aufeinanderfolgende Geräusch von Schritten zu Ohren zu kommen schien. Mein Vater, der durch die Schatten Ausschau hielt, schrie: „Sohn, fliehe, mein Sohn! Sie nähern sich uns. Ich erkenne glühende Rundschilde und funkelndes Erz.“ An dieser Stelle hat mir, der ich vor Angst zitterte, irgendeine übel gesinnte Wirkkraft meinen bereits verwirrten Verstand geraubt. Denn als ich einen Seitenpfad entlang lief, und die bekannte Richtung der Wege verließ, machte meine Gattin Creusa Halt – ach! – ob sie mir durch das unglückliche Schicksal entrissen wurde, ob sie den Weg entlang irrte oder nachdem sie gestürzt war, zurückblieb, ist (740) unsicher. Auch später sahen wir sie nicht mehr. Und ich blickte mich nicht früher nach der Verlorengegangenen um, oder dachte eher an sie, bis wir zu dem Hügel des alten Ceres-Tempels und der geheiligten Stätte gekommen waren. Hier erst fehlte eine Frau, nachdem sich alle versammelt hatten und sie ist den Begleitern, meinem Sohn und meinem Vater unbemerkt geblieben. Wem von den Menschen und von den Göttern habe ich Tor keine Vorwürfe gemacht, oder was habe ich in der vernichteten Stadt Grauenvolleres gesehen? Ich vertraute Ascanius, meinen Vater Anchises und die trojanischen Penaten den Kameraden an und verbarg sie in einer Talsenke. Ich selbst eilte zur Stadt zurück und umgürtete mich mit funkelnden Waffen. (750) Die Lage erforderte es erneut alles zu durchleben, und noch einmal durch die ganze Stadt Troja zurückzugehen, erneut den Kopf den Gefahren entgegenzuhalten. Zuerst eilte ich zu den Stadtmauern und zu den verborgenen 36 Türschwellen zurück, durch die ich herausgegangen war, und folgte in entgegengesetzter Richtung den Fußspuren, auf die ich Acht gab, durch die Nacht und musterte sie mit meinem Auge. Überall war Schauder in meinem Herzen und erschreckte mich zugleich mit der Stille selbst. Von da wende ich mich zu unserem Haus zurück, falls sie vielleicht, ja falls sie vielleicht dorthin gegangen ist. Die Griechen waren eingebrochen und besetzten das gesamte Gebäude. Sogleich wurde das verzehrende Feuer vom Wind bis an den höchsten Giebel gewälzt. Die Flammen überragten ihn und die Hitze tobte bis in den Himmel. (760) Ich rückte vor und suchte nochmals die Wohnstätte des Priamus sowie die Burg auf. Und schon bewachten an den leeren Säulenhallen, in der Freistadt der Iuno ausgewählte Wächter, nämlich Phoenix und der unheilvolle Odysseus die Beute. Hierher wurden von allen Seiten der trojanische Schatz, der aus den brennenden Tempeln geraubt wurde, sowie die Opfertische der Götter, Mischgefäße aus massivem Gold und erbeutete Decken zusammengetragen. Ringsum standen die Jungen und die verängstigten Mütter in einer langen Reihe. Ich wagte sogar, Rufe durch die Schatten auszustoßen, die Straßen mit Geschrei zu erfüllen und ich Unglücklicher rief vergebens, (770) seufzend immer und immer wieder Creusa. Mir Suchendem und endlos in alle Gebäude der Stadt Eilendem erschienen vor meinen Augen das unglückliche Abbild und der Schatten Creusas selbst und das Bild war größer als sie mir bekannt war. Ich erstarrte vor Schreck, meine Haare richteten sich auf und die Stimme blieb mir im Rachen stecken. Dann sprach sie mich so an und nahm mir durch folgende Worte die Sorgen: „Was nur bringt es dir, oh süßer Gatte, dem wahnsinnigen Schmerz nachzugeben? Diese Dinge geschehen nicht ohne göttlichen Willen. Du darfst mich, Creusa, nach einem göttlichen Gesetz nicht von hier als Begleiterin mitnehmen, auch lässt es jener König des erhabenen Olymp nicht zu. (780) Auf dich wartet ein langes Exil und du musst die öde Meeresoberfläche durchpflügen, du wirst zum Land Hesperiens kommen, wo zwischen den an Helden üppigen Feldern mit sanfter Strömung der lydische Thybris fließt. Dort wird es für dich ein glückliches Gemeinwesen, ein Königreich und eine Königin als Gattin geben. Vertreibe die Tränen über deine geschätzte Creusa. Ich werde nicht die erhabenen Wohnstätte der Myrmidonen oder Dolopen erblicken, oder zu den griechischen Frauen gehen um ihnen zu dienen, ich aus dem Stamm der Dardaner und Schwiegertochter der göttlichen Venus. Aber mich hält die große Schöpferin der Götter, Iuno, an diesen Gestaden fest. Und nun: Mach’s gut und bewahre die Liebe zu unserem gemeinsamen Sohn.“ (790) Nachdem sie diese Worte von sich gegeben hatte, verließ sie mich, ihren weinenden Mann, der noch vieles sagen wollte und entschwand in die zarten Lüfte. Dreimal versuchte ich dort, meine Arme um ihren Hals zu legen. Dreimal entfloh das Abbild meinen Händen, nachdem es vergeblich berührt wurde, den leichten Winden gleich und einem schnellen Traum sehr ähnlich. So kehrte ich endlich, nachdem die Nacht verbracht war, zu meinen Kameraden zurück. Und hier fand ich, mich darüber wundernd, dass eine gewaltige Anzahl neuer Begleiter herbeigeströmt war: Mütter, Männer, eine Jungmannschaft, die sich für das Exil versammelt hatte, das unglückliche 37 Volk. Von überall her waren sie zusammengekommen, Menschen, die in ihrem Herzen und mit ihren Kräften bereit waren, mich über das Meer zu den Ländern zu begleiten, (800) wohin ich auch immer gehen wollte. Und schon stieg der Morgenstern auf die Bergrücken des sehr hohen Idagebirges und führte den Tag herbei. Die Griechen hielten die Schwellen der Stadttore besetzt und es gab keine Hoffnung auf Hilfe. Ich ging weg und strebte mit meinem Vater auf den Schultern zu den Bergen. Buch 3 Nachdem es den Göttern gut schien, das Gemeinwesen Asiens und den Volksstamm des Priamus zu vernichten, der dies nicht verdient hatte, und nachdem das stolze Ilium gefallen war, das ganze neptunische Troja von der Erde auf rauchte, wurden wir von Vorzeichen der Götter angetrieben, verschiedene Zufluchtsorte in der Fremde und verlassene Ländereien zu suchen. Wir bauten unter Antandros selbst, unter den Bergen des phrygischen Idagebirges eine Flotte, ohne sicher zu sein, wohin uns die Göttersprüche bringen würden, wo sie uns Halt machen ließen. Wir versammelten die Männer. Kaum hatte der erste Sommer begonnen, befahl mein Vater Anchises gemäß den Göttersprüchen die Segel zu hissen, als ich weinend die (10) Gestade meiner Heimat, den Hafen und die Felder, wo einst Troja stand, verließ. Ich eile mit meinen Kameraden, meinem Sohn, den Penaten und den erhabenen Göttern auf das hohe Meer. In der Ferne wurde das Land des Mars mit seinen weiten Feldern bebaut (die Thraker pflügten es) und einst wurde es vom strengen Lycurgus regiert. Es war ein alter Ort der Gastfreundschaft Trojas, die Penaten unsere Bundesgenossen, solange uns das Schicksal hold war. Hierhin eilte ich und errichtete die erste Stadt – ich betrat das Land unter ungünstigem Schicksal. Ich gab den Bewohnern von meinem eigenen Namen den Namen Aeneaden. Ich wollte der Tochter des Diones, meiner Mutter und den Göttern, den (20) Beschützern von neu begonnenen Bauwerken, Opfer darbringen und ich wollte für den himmlischen König der Himmelsbewohner einen fetten Stier schlachten. Zufällig befand sich nebenan ein Hügel, auf dem sich ganz oben festes Buschwerk befand und eine Myrte, schrecklich aufgrund ihrer dichten Schäften. Ich stieg herauf und versuchte den jungen Wald aus dem Boden loszureißen, um die Altäre mit den laubtragenden Ästen zu bedecken und sah dann ein schauderhaftes Wunder, sonderbar es zu berichten. Denn der Strauch, der als erster mit seinen aus dem Boden gebrochenen Wurzeln herausgerissen wurde, dem flossen Tropfen aus schwarzem Blut herunter und sie beflecken die Erde mit Jauche. Mir erschüttert ein eisiger Schauer die (30) Glieder und das Blut gefriert mir vor lauter Furcht. Erneut machte ich mich daran auch das zähe Gestrüpp des anderen Strauchs loszureißen und vollends die verborgenen Gründe für dieses Wunder 38 zu untersuchen. Auch von der Rinde des anderen folgte schwarzes Blut. Vieles bedachte ich im Geiste und verehrte die ländlichen Nymphen, den Vater Gradivus, der den getischen Fluren vorsteht, damit sie die Erscheinung gebührend begünstigten und das böse Omen erträglicher machten. Aber nachdem ich unter größerer Anstrengung an das dritte Gestrüpp herangegangen war, und mich mit den Knien gegen den Sand abgestützt hatte, war ein (soll ich es aussprechen oder lieber schweigen?) weinerliches Seufzen zu (40) hören, das tief aus dem Hügel kam, und es drang mir ein antwortender Ruf zu meinen Ohren: „Was misshandelst du den Unglücklichen, Aeneas? Verschone den Begrabenen, spare es dir die pflichtbewussten Hände durch Frevel zu entweihen. Ich bin dir nicht fremd, komme aus Troja und dieses Blut entspringt nicht von einem Zweig. Oh, fliehe vor dieser grauenhaften Erde, fliehe vor der habgierigen Küste! Denn ich bin Polydoros. Diese eiserne Saat aus Wurfgeschossen bedeckte mich, der ich durchbohrt wurde, und wuchs in Form von spitzen Schäften.“ Dann aber erstarrte ich vor Schreck, durch zweifache Angst in meinem Geiste bedrängt, die Haare stellten sich mir auf und meine Stimme blieb im Rachen stecken. Der (50) unglückliche Priamus hatte einmal diesen Polydoros mit einem großen Gewicht an Gold heimlich dem Thrakerkönig zur Erziehung anvertraut, als er schon nicht mehr den dardanischen Waffen vertraute und als er sah, dass seine Stadt durch eine Belagerung umgürtet wurde. Jener schloss sich dem Gemeinwesen Agamemnons und den siegreichen Waffen an, weil die Macht der Teucrer gebrochen war und das Glück wich. Er brach jedes göttliche Recht. Er machte Polydoros nieder und bemächtigte sich gewaltsam des Goldes. Wozu zwingst du die menschlichen Gemüter nicht, du heiliger Hunger nach Gold! Nachdem die Furcht meine Gebeine verlassen hatte, berichtete ich die Wunder der Götter ausgewählten, vornehmen Männer des Volkes, allen voran meinem Vater, und wollte wissen, was ihre Meinung dazu war. (60) Alle hatten die gleiche Gesinnung, nämlich die mit Frevel befleckte Erde zu verlassen und so verließ ich den besudelten Platz der Gastfreundschaft und ließ meine Flotte entlang dem Südwind fahren. Also erneuerten wir für Polydoros das Begräbnis und es wurde viel Erde zu einem Hügel aufgehäuft. Für die Manen standen Altäre mit schwärzlichen Binden des Trauerschmucks und eine schwärzlichen Zypresse, und ringsum befanden sich Trojanerinnen die nach Brauch ihr Haar gelöst hatten. Wir stellten warme Milch in schäumenden Schüsseln darauf sowie Schalen mit heiligem Blut. Wir bergen die Seele im Grab und sagten ihr mit lauter Stimme den letzten Gruß. Dann, sobald man dem Meer zum ersten Mal traute, die Winde ein besänftigtes Meer (70) gewährten und der sanfte Südwind rauschend auf das hohe Meer rief, ließen die Kameraden die Schiffe zu Wasser und erfüllten die Küste. Wir fuhren aus dem Hafen. Länder und Städte entschwanden. Ein heiliges und ein der Mutter der Wassernymphen und dem Neptun aus Aegaios äußerst angenehmes Stück Land – die Insel Delos – 39 wurde mitten im Meer bewohnt, welches der pflichtbewusste Apollon am aufragenden Myconos und Gyaros befestigt hatte, nachdem es um die Küsten des Festlandes umhergeirrt war. Er gewährte, dass die nun unbewegliche Insel bewohnt wurde und ließ sie die Winde verachten. Dorthin eilte ich, diese sehr sanfte Insel nahm uns erschöpfte Männer in ihrem sicheren Hafen auf. Nachdem wir von Bord gegangen waren, grüßten wir die Stadt des Apollon ehrfurchtsvoll. (80) Der König Anius, der zugleich König der Menschen, aber auch Priester des Phoebus war, kam uns an seinen Schläfen mit Binden und Lorbeerlaub bekränzt, entgegen. Er erkannte seinen alten Freund Anchises. Wir gaben uns zum Zeichen der Gastfreundschaft unsere Rechte und betraten den Palast. Ich begrüßte die Tempel, die für den Gott aus altehrwürdigem Stein gebaut wurden. „Gib uns ein eigenes Zuhause, Thymbraeus. Gib den Erschöpften eine Stadtmauer, Nachkommen und eine Stadt, die Bestand haben wird. Rette die andere Burg Trojas, und die Reste, die von den Danaern und dem wilden Achilles verschont geblieben sind. Wem folgen wir? Oder wohin befielst du zu gehen? Wo sollen wir eine Stadt gründen? Gib uns, Vater, ein Vorzeichen und ziehe in unseren Geist ein.“ (90) Kaum hatte ich diese Dinge gesagt, schien plötzlich alles zu erbeben, die Schwellen, der Lorbeer des Gottes, der ganze Berg schien sich ringsum zu bewegen, und das Orakel zu dröhnen, nachdem sich das Allerheiligste geöffnet hatte. Kniend erbaten wir Land. Eine Stimme dringt uns zu Ohren: „Hartgesottene Dardaner, die Erde, die euch von der ersten Nachkommenschaft eurer Ureltern getragen hat, dieselbe wird euch Zurückgekehrten an ihrem glücklichen Busen empfangen. Sucht die alte Mutter! Hier wird dann das Haus des Aeneas über alle Küsten herrschen, sowie die Söhne der Söhne und deren Nachkommen.“ Dies sprach Phoebus. Es brach lärmend gewaltige (100) Freude aus, und alle fragten, was dies für eine Stadt sei, die Phoebus ausrief und den Umherirrenden befahl, dorthin zurückzukehren. Während mein Vater dann die Überlieferungen der alten Helden bedachte, sagte er: „Hört her, ihr vornehmen Männer, und lernt eure Hoffnung kennen. Kreta, die Insel des großen Jupiters liegt mitten im Meer, wo sich der Berg Idaeus und die Geburtsstätte unseres Volksstammes befinden. Dort bewohnen die Menschen einhundert große Städte, es sind äußerst fruchtbare Königreiche, von wo der äußerst erhabene Stammesvater Teucrus, wenn ich mich ordnungsgemäß an Gehörtes erinnere, zum ersten Mal an die rhoetischen Küsten gefahren ist. Er wünschte einen Ort für sein Königreich. Noch nicht standen Illium und die Burgen (110) Pergamons. Die Menschen wohnten in tiefen Tälern. Dann folgte die Mutter, die Verehrerin der Cybele und die corybantischen Bronzegefäße, der Hain des Idagebirges, dann die gewissenhafte Ruhe bei den Heiligtümern sowie die Löwen, die an den Wagen der Herrin gebunden waren. Wohlan also, folgen wir, wohin uns die Befehle der Götter führen! Lasst uns die Winde besänftigen und zum gnosischen Königreich streben. Sie sind keine lange Fahrt von hier entfernt. Hilft uns nur Jupiter, wird am dritten Tag die Flotte an den Gestaden Kretas Halt machen.“ 40 So sprach er und opferte den Altären würdige Ehrungen: dem Neptun einen Stier, auch dir einen Stier, hübscher Apollon, ein (120) schwarzes Schaf dem Sturm, ein weißes den glückbringenden Westwinden. Das Gerücht verbreitete sich schnell, dass der Führer Idomeneus aus dem Königreich seines Vaters vertrieben wurde, es dann verließ, und die Gestaden Kretas verlassen seien, der Palast durch den Feind leer sei und die Häuser verlassen dastünden. Wir verließen den Hafen Ortygiens, eilten auf dem Meer nach Naxos, auf dessen Bergrücken der Bacchuskult gefeiert wird, zum grünen Donusa, nach Olearos sowie zum schneeweißen Paros, zu den auf dem Meer vertreuten Cycladen. Wir durchstreiften die strömungsstarken Meerengen bei den zahlreichen Inseln. Es brach in einem bunten Wettkampf das Geschrei der Seeleute aus: Die Kameraden forderten dazu auf, nach Kreta und zu den Vorfahren zu streben. (130) Es folgte uns Fahrenden ein sich vom Schiffsheck erhebender Wind und endlich gelangten wir an die alten Küsten der Cureten. Also baute ich gierig die Stadtmauern der erwünschten Stadt und nenne sie Pergamea. Ich ermahnte meinen Volksstamm, der über den Namen erfreut war, die heimischen Herde zu lieben und eine Burg mit Gebäuden zu errichten. Und schon waren die Schiffe etwa an den trockenen Strand gezogen, da war die Jungmannschaft mit Heiraten und den neuen Feldern beschäftigt, ich war gerade dabei Gesetze und Häuser zuzuweisen als plötzlich eine ausreichend verzehrende Seuche für Mensch und Pflanzen aus einer verdorbenen Himmelsgegend und ein totbringendes Jahr aufkamen. (140) Die Menschen verließen ihr süßes Leben oder schleppten ihre kranken Körper daher. Dann verbrannte der Sirius die Äcker, so dass sie unfruchtbar wurden, es dörrten die Kräuter und die kranke Saat verweigerte die Nahrung. Mein Vater forderte auf, erneut zum Orakel Ortygiens und zu Phoebus zu fahren und nachdem das Meer erneut überquert wurde, um Gnade zu bitten und um zu erfahren, welches Ende er unserem Unglück bereitete, woher er befahl Hilfe für die Strapazen zu suchen und wohin man nun fahren sollte. Es war Nacht und auf dem Land besaß der Schlaf alle Lebewesen. Mir schienen die heiligen Abbilder der Götter und der phrygischen Penaten, die ich mit mir aus Troja, mitten aus den Flammen der Stadt (150) herausgetragen hatte, vor meinen Augen zu stehen – mir, dem Träumenden waren sie ganz deutlich in hellem Licht, wo der Vollmond durch die herein geklappten Fenster schien. Dann sprachen sie mich so an und nahmen mir durch diese Worte meine Sorgen: „Was dir Apollon sagen wollte, wärest du nach Ortygien gelangt, prophezeit er dir hier und schickt uns von sich aus an deine Schwellen. Wir sind dir und deinen Waffen nach Dardaniens Untergang gefolgt, haben unter deiner Führung mit unserer Flotte das aufgewühlte Meer durchreist. Zugleich werden wir unsere zukünftigen Nachkommen zu den Sternen erheben und deiner Stadt eine Herrschaft gewähren. Bereite du für große Männer eine (160) große Stadt und gebe nicht die lange Mühe der Irrfahrt auf. Du musst den Wohnsitz verlegen. Apollon aus Delos hat dir nicht zu dieser Küste geraten oder befohlen, dass du dich auf Kreta niederlassen sollst. Es gibt einen Ort, die Griechen nennen bei seinem Beinamen Hesperien, ein altes Land, mächtig an Waffen und fruchtbar 41 im Hinblick auf seine Erdschollen. Oenotrische Männer bewohnten es. Nun geht das Gerücht um, die Nachkommen hätten es nach dem Namen ihres Anführers Italien genannt. Diese Wohnstätten sind uns zu Eigen, von hier ist Dardanus und der Vater Iasius, von diesem Anführer stammt unser Volksstamm. Wohlan, steh auf, und berichte diese Dinge, (170) an denen nicht gezweifelt werden darf, fröhlich deinem hochbetagten Vater. Er soll Corythus und die Ländereien Ausoniens suchen. Die dicteischen Felder verwehrt dir Jupiter.“ Über derartige Erscheinungen und über die Stimme von Göttern bestürzt (und das war kein Traum, sondern ich bildete mir ein von Angesicht zu Angesicht die Gesichter, die verhüllten Haare und die gegenwärtigen Münder zu erkennen. Dann floss mir eisiger Schweiß über den ganzen Körper) stürzte ich meinen Körper aus dem Bett, hielt meine Hände zurückgestreckt gen Himmel und spendete den Opferherden mit einem Gebet unvermischten Wein. Nachdem ich die Ehrung vollbracht hatte, unterrichtete ich glücklich Anchises und breitete ihm die Sachlage der Reihe nach aus. (180) Er erkannte die doppelsinnige Nachkommenschaft und die beiden Ahnherren, und dass er sich mit einem neuen Fehler in den alten Ortschaften getäuscht hatte. Dann sprach er: „Sohn, du vom trojanischen Schicksal Geplagter, Cassandra hat mir als einzige wiederholt ein derartiges Unglück prophezeit. Nun erinnere ich mich wieder, dass sie diese geschuldeten Dinge wiederholt unserem Geschlecht verkündet und oft Hesperien, oft die italischen Königreiche genannt hat. Aber wer hätte denn geglaubt, dass wir Teucrer an die Gestade Hesperiens kommen würden? Oder wen hätte die Seherin Cassandra damals bewegt? Mögen wir uns Phoebus fügen und gewarnt besseren Verhältnissen folgen.“ So sprach er, und alle gehorchten frohlockend seinem Wort. (190) Auch diese Wohnstätte verließen wir und nachdem nur wenige zurückgeblieben sind, hissten wir die Segel und fuhren mit unseren bauchigen Schiffen auf das weite Meer. Nachdem die Schiffe auf das hohe Meer fuhren und weithin kein einziges Land mehr zu sehen war, von allen Seiten nur Himmel und Meer, da blieb über meinem Kopf ein schwärzliches Gewitter stehen, die Nacht und den Sturm bringend, und das Gewässer erbebte in der Finsternis. Ununterbrochen wälzten die Winde das Meer und die große Meeresoberfläche erhob sich. Wir wurden durch einen großen Strudel zerstreut. Die Regenwolken verhüllten den Tag und die feuchte Nacht raubt den Himmel. Es krachten die Blitze aus den zerfetzten Wolken, wir wurden von unserem Kurs (200) gestoßen und irrten auf den finsteren Wogen umher. Der Steuermann Palinurus selbst verneinte, Tag und Nacht am Himmel unterscheiden und sich an die Routen mitten auf dem Meer erinnern zu können. Wir irrten drei ungewisse Tage lang auf dem Meer, umgeben von undurchsichtigem Dunkel, und ebenso viele sternenlose Nächte. Endlich schien sich zum ersten Mal am vierten Tag ein Land zu erheben, Berge sich uns zu eröffnen und Rauch aufzusteigen. Die Segel fallen, wir erheben die Ruder. Keine Verzögerung – die Seemänner kräuseln angestrengt die Gischt und durchfurchten das blaue Meer. Zum ersten Mal nahmen mich, der ich mich aus den Wogen gerettet hatte, die Gestade der Strophaden (210) auf. Die StrophadenInseln, so werden sie bei ihrem griechischen Namen genannt, befinden sich im großen Ionischen 42 Meer, die die finstere Celaeno und die anderen Harpyien bewohnen, nachdem der Palast des Phineus geschlossen wurde und sie die früheren Tische aus Furcht verlassen haben. Kein Ungeheuer war abstoßender als jene, kein wilderes Verderben, kein wilderer Zorn der Götter erhob sich von den Gewässern des Styx. Die jungfräulichen Mienen der Vogelwesen, der äußerst hässliche Auswurf ihrer Bäuche, die gekrümmten Hände und stets die vor Hunger blassen Gesichter. Sobald wir, die wir hierhin verschlagen wurden, in den Hafen einliefen, siehe, da sahen wir eine (220) glückliche Rinderherde auf den Feldern weit und breit und hirtenloses Ziegenvieh über den Gräsern zerstreut. Wir stürzten uns mit dem Schwert auf sie, riefen die Götter und Jupiter selbst zu dieser Gegend und zur Beute. Wir errichteten an der kurvigen Küste Lager und verspeisten das fette Opfermahl. Und plötzlich kamen die Hyrpyien in schrecklichem Sturzflug von den Bergen herbei und unter viel Lärm schwangen sie ihre Flügel. Sie plünderten das Mahl und besudelten alles mit ihrer ekelhaften Berührung. Dann noch ihre unheilvolle Stimme mitten in ihrem abscheulichen Geruch. Erneut (231) errichteten wir in weiter Abgeschiedenheit unter einer Felsenhöhle unsere Tische und stellten erneut auf die Altäre das heilige Feuer. Erneut flog aus verschiedenen Himmelsrichtungen und aus den dunklen Verstecken die lärmende Menge der Harpyien mit ihren gebogenen Klauen um die Beute und verschmutzte mit ihren Mäulern die Speisen. Dann befahl ich den Kameraden die Waffen zu ergreifen und mit dem unheilvollen Volk Krieg zu führen. Nichts anderes machen die Männer, die dies von mir befohlen bekamen, und verteilten ihre verborgenen Schwerter über das Gras und verbargen ihre unsichtbaren Schilde. Sobald sie also im Sinkflug über der kurvigen Küste Lärm von sich gaben, gab Misenus von einer hohen Warte aus das Zeichen mit dem (240) ehernen Horn. Die Kameraden griffen an und wagten einen ungewohnten Kampf. Sie versuchten die ekelhaften Meeresvögel mit dem Schwert blutig zu schlagen. Aber sie ließen keine Gewalt durch ihr Gefieder noch erlitten sie an ihren Rücken Wunden. Schnell flogen sie auf ihrer Flucht zu den Sternen und hinterließen eine halbverzehrte Beute und hässliche Fußspuren. Als einzige setzte sich Celaeno auf einen vorragenden Felsen, die unglückbringende Seherin, und diese Äußerung stößt sie aus ihrem Herzen hervor: „Ihr seid bereit einen Krieg für den Tod unserer Rinder und den niedergemachten Stieren anzufangen, ihr Nachkommen des Laomedon, einen Krieg anzufangen und die unschuldigen Harpyien aus dem Königreich ihres Vaters zu vertreiben? (250) Vernehmt also mit euren Gemütern diese meine Worte und prägt sie euch ein: Was der allmächtige Vater dem Phoebus, und Phoebus Apollo mir vorhersagte, erläutere ich nun euch, die größte der Furien. Ihr strebt auf eurer Fahrt nach Italien, nachdem ihr die Winde gerufen habt. Ihr werdet nach Italien reisen und es wird euch erlaubt sein, in die Häfen einzulaufen. Aber ihr werdet die euch gewährte Stadt nicht eher mit Mauern umgeben, bevor euch nicht eine unheilvolle Hungersnot und das Unrecht des Mordanschlages an uns dazu zwingen, mit euren Kiefern selbst Tische von allen Seiten anzunagen und zu verzehren.“ Dies sagte sie und flüchtete sich, nachdem sie sich mit ihren Flügelschwingen entfernt hatte, in den Wald. 43 Doch den Kameraden (260) erstarrte durch die plötzliche Furcht das eisige Blut. Es schwand der Mut, und schon befahlen sie nicht weiter mit Waffen, sondern mit Gelübden und Gebeten Frieden zu erbitten, seien es Göttinnen, seien es unheilvolle und ekelhafte Vogelwesen. Und mein Vater Anchises rief von der Küste aus mit ausgestreckten Handflächen die großen göttlichen Willen und verkündet ihnen ihre verdienten Ehrungen. „Götter, bewahrt uns vor den Drohungen. Götter, wehrt ein derartiges Unglück ab und bewahrt sanftmütig uns pflichtbewussten Männer.“ Dann befahl er an der Küste das Seil loszureißen und nachdem die Segeltaue entrollt waren sie schießen zu lassen. Die Südwinde spannten die Segel. Wir flüchteten auf der schäumenden Flut wohin uns der Wind und der Steuermann auf Kurs riefen. (270) Schon erscheinen mitten in der Flut das bewaldete Zacynthos, Dulichium, Same und das durch seine Felsen steile Neritos auf. Wir flüchten vor den Felsenküsten Ithakas, vor dem Königreich des Laertes und wir verfluchen das Mutterland des wilden Odysseus. Bald erscheinen auch die wolkenverhangenen Gipfel des Berges Leucates und der von den Seeleuten gefürchtete Apollontempel. Hierhin eilen wir erschöpft und rücken an die kleine Stadt heran. Der Anker wurde vom Bug ausgeworfen. Die Schiffe lagen an der Küste. Also verschafften wir uns endlich unverhofften Boden unter den Füßen. Wir weihten für Jupiter unsere Gelübde und zündeten die Altäre an. Wir feierten die Küste (280) Actiums mit trojanischen Spielen. Die nackten Kameraden übten, mit gleitendem Öl eingesalbt, was sie auf den Sportplätzen der Väter gelernt hatten. Wir waren glücklich aus so vielen argolischen Städten entkommen zu sein und mitten im Feind die Flucht bewerkstelligt zu haben. Inzwischen umkreiste die Sonne den Lauf eines großen Jahres und ein eisiger Winter wühlte mit seinen Nordwinden die Meereswogen auf. Ich befestigte das Rundschild aus gewölbtem Erz und die Waffen des großen Abas an die gegenüber liegenden Pfosten und bezeichnete das Ereignis mit einem Gedicht: ‚Aeneas hat diese Waffen von den danaischen Siegern geraubt und weiht sie.‘ Dann befahl ich aus dem Hafen auszulaufen und auf den Ruderbänken Platz zu nehmen. (290) Im Wettstreit stießen die Kameraden die Ruder ins Meer und fegten über die Wasseroberfläche. Sofort ließen wir die himmlischen Burgen der Phaecen hinter uns, wir streiften die Küste von Epirus, liefen in den Hafen von Chaonios ein und schreiten zu der aufragenden Stadt von Buthrotum. Hier drang ein unglaubliches Gerücht zu den Ohren: Helenus, Sohn des Priamus regiere über griechische Städte, nachdem er sich der Gattin und des Zepters des Pyrrhus, Sohn des Aecus bemächtigt hatte und dass Andromache wieder an einen Ehemann aus der Heimat gefallen sei. Ich staunte und mein Gemüt entbrannte in wundersamem Verlangen den Mann anzusprechen und von den so großen Schicksalsfügungen zu erfahren. (300) Ich schritt vom Hafen her weiter, verließ die Flotte und die Küste als Andromache zufällig ein feierliches Opfermahl und Trauergaben vor der Stadt in einem Hain bei den Gewässern des falschen Sinois der Asche spendete und die Manen bei Hectors Grabhügel anrief, den sie leer mit einem grünen Rasenstück weihte, sowie zwei Altäre - um dort zu weinen. Sowie sie mich Kommenden erblickte und wie sie außer sich die trojanischen Waffen, die 44 sich um meinen Körper befanden, sah, war sie aufgrund des großen Wunders erschrocken und erstarrte mitten im Anblick, die Wärme verließ ihr Gebein, sie schwankte und nach langer Zeit sprach sie endlich mit Mühe: (310) „Ist deine Gestalt etwa wahrhaftig, kommst du als wahrer Bote, Sohn der Göttin? Lebst du etwa? Oder wenn dein Lebenslicht gewichen ist, wo ist Hector?“ Das sagte sie, vergoss Tränen und erfüllte den ganzen Ort mit ihrem Geschrei. Mit Mühe gab ich der Rasenden weniges preis und tat verwirrt mit nur dünner Stimme den Mund auf: „In der Tat lebe ich und ich führe mein Leben durch jede Notlage. Zweifle nicht, denn du siehst Wahres. Welcher Schicksalsschlag hat dich Vertriebene eines so großen Ehemanns beraubt, oder welches Glück, das deiner ausreichend würdig ist, ist dir zu Teil geworden, Andromache, Gattin des Hector? Dienst du Pyrrhus als Gattin?“ (320) Sie senkte ihre Miene und sprach mit kleinmütiger Stimme: „Oh die allen voran einzig glückliche Jungfrau des Priamus, ihr wurde befohlen bei dem feindlichen Hügel unter den erhabenen Stadtmauern Trojas zu sterben, die nicht irgendwelche Verlosungen um ihre Person ertragen musste, auch nicht als Gefangene das Bett ihres siegreichen Herrn berührt hat! Ich hingegen fuhr, nachdem das Vaterland vernichtet wurde, über verschiedene Meere, ertrug den Hochmut des Achillessprosses sowie einen arroganten jungen Mann und gebar in Knechtschaft ein Kind. Dieser folgte anschließend der Tochter des Ledas, Hermione und ging eine Spartanerehe mit ihr ein, übergab mich seinem Diener Helenus als Dienerin. (330) Aber in großer Liebe zu der entrissenen Gattin entflammt und von den Furien seiner Verbrechen getrieben, empfing Orestes jenen unvorsichtigen Pyrrhus und ermordete ihn am väterlichen Altar. Nach dem Tod des Neoptolemos fällt der ihm zugestandene Teil des Königreiches an Helenus, der die chaonischen Felder und ganz Chaonien nach dem trojanischen Chaon nannte, der Pergamon und diese iliacische Burg auf die Anhöhen baute. Aber welche Winde, welches Schicksal gestattete dir diesen Kurs? Oder welcher Gott hat dich Unwissenden an unsere Küsten getrieben? Was ist mit deinem Sohn Ascanius? Hat er überlebt und nährt sich an der Lebensluft? (340) Den dir bereits Troja … [nicht überliefert] Macht sich der Junge wenigstens Sorgen um seine verlorene Mutter? Ermuntern ihn etwa sein Vater Aeneas und sein Onkel Hector zur altehrwürdigen Tugend und zu einer männlichen Gesinnung?“ Derartiges brachte sie hervor, während sie noch lange vergebens das Jammern von sich hören ließ, als sich aus der Stadt kommend der Held Helenus, Sohn des Priamus, der von vielen Männern begleitet wurde, dazugesellte. Er erkannte die Seinigen und führte sie glücklich zu seinem Palast. Zwischen den einzelnen Worten vergoss er oft Tränen. Ich ging weiter und erkannte ein kleines Troja, und eine nach dem großen Vorbild nachgebaute kleine (350) Burg, sowie einen ausgetrockneten Bach, der nach Xanthus benannt war, und umschlang die Schwellen des scäischen Tores. Und nicht zuletzt erfreuten sich gleichzeitig die Teucrer an der Schwesterstadt. Jene Männer empfing der König in weiten Säulenhallen. Sie spendeten inmitten der Halle mit Becher voll Wein das Trankopfer, nachdem das Opfermahl auf goldenem Geschirr aufgetischt war und hielten die Opferschalen. 45 Schon verging Tag für Tag. Die Lüfte riefen nach den Segeln und das Leinen wurde vom stürmischen Südwind angeblasen. Ich schritt zum Seher mit folgenden Worten und fragte ihn solches: „Du, vom trojanischen Geschlecht, Dolmetscher der Götter, der du den göttlichen Willen des Phoebus, der du (360) die Orakel und den Lorbeer des Gottes Clarus, und die Sterne verstehst, sowie die Zungen der Vögel und die Vorzeichen der glückverheißenden Feder, antworte mir nun (denn mein ganzes religiöses Empfinden sagte mir wohlwollend eine Reise voraus und alle Gööter rieten mir mit ihrem göttlichen Wink nach Italien zu streben und die verborgenen Ländereien zu berühren. Als einzige prophezeit die Harpyie Celaeno – welch Frevel das zu sagen – ein neues Wunder und kündigt uns finsteren Zorn und entsetzlichen Hunger an. Welche Gefahren meide ich zuerst? Welchen Weg könnte ich gehen, um so große Mühen zu überwinden?“ Jetzt (370) bat Helenus, nachdem er zuerst gemäß Brauch die jungen Stiere geschlachtet hatte, inständig um den Frieden der Götter und löste die Binden von seinem geheiligten Haupt; er führte mich mit seiner Hand zu deinem Heiligtum, Phoebus, der ich angstvoll ob so vieler, göttlichen Wirkkraft war. Anschließend prophezeite der Priester aus seinem göttlichen Mund Folgendes: „Sohn einer Göttin (denn die Garantie ist offenkundig, dass du unter größeren Vorzeichen über das hohe Meer fährst; so lost der Götterkönig die Schicksalsstränge, so will er den Wechsel des Schicksals, nach dieser Ordnung dreht sich die Welt), ich will dir nur weniges aus den vielen Orakelsprüchen darlegen, damit du umso sicherer auf fremden Meeren reisen und dich in einem Hafen Ausoniens niederlassen kannst. Denn die Parzen verhindern, dass ich, Helenus, das übrige (380) weiß und die saturnische Iuno verbietet, dass es gesagt wird. Zuerst Italien, das du schon nahe glaubst, du Unwissender, und dich darauf vorbereitest in seine benachbarten Häfen einzulaufen – ein langer unwegsamer Weg, der über entlegene Länder führt, trennt dich weit von deinem Ziel. Vorher muss sich sowohl das Ruder in den trinacrischen Wogen biegen, als auch ist das Salzmeer Ausoniens mit den Schiffen zu bereisen, sowie den See der Unterwelt und die Insel der Circe Aeae, bevor du die Stadt auf sichere Erde stellen kannst. Ich möchte dir Zeichen geben – halte du sie aufbewahrt in deiner Erinnerung: Wenn sich dir besorgtem Mann an dem Wasser eines abgeschiedenen Flusses, eine gewaltige Sau niederlegen wird, die du unter den (390) am Ufer befindlichen Steineichen findest, die dreißig Junge geworfen hat und weiß mit dem Rücken auf dem Boden liegt und die weißen Junge um ihre Zitzen, dann wird dies der Ort deiner Stadt sein, die sichere Ruhe nach den Mühen. Und fürchte du nicht das zukünftige Essen der Tische: Die Schicksalsstränge werden ihren Weg finden und der von dir gerufene Apollon wird dir beistehen. Fliehe jedoch vor diesen Ländereien und von dieser Küste Italiens, die ganz nahe von der Brandung unseres Meeres bespült wird. Alle Städte dort werden von üblen Griechen bewohnt. Dort haben auch die Locrer aus Naryx eine Stadt errichtet (400) und Idomeneus aus Lyctus besetzt mit Soldaten die sallentinischen Felder. Hier liegt das kleine Petelia, vom Anführer der Meliboer, Philoctetes erbaut, das seiner Stadtmauer vertraute. Sobald schon deine Flotte nach der Überfahrt 46 auf der anderen Seite des Meeres steht und du bereits deine Gelübde einlöst, indem du die Altäre errichtet hast, verhülle dein Haar, indem du es mit einem purpurnen Gewand bedeckst, damit sich nicht irgendeine feindliche Erscheinung zwischen den heiligen Feuern zur Ehrung der Götter zeigt und die Vorzeichen stört. Diesen Opferbrauch sollen deine Kameraden, aber auch du selbst bewahren! Bei diesem Brauch sollen auch eure frommen Nachkommen bleiben. (410) Aber sobald dich der Wind nach deiner Abreise an die sizilische Küste spült und die Meerenge bei Pelorus noch enger wird, soll von dir das linke Land und in einem weiten Umweg das linke Meer erstrebt werden. Meide die rechte Küste und ihr Meer. Diese Gegend sei einst durch Gewalt und von einem großen Einsturz erschüttert, zersprungen (soviel kann die lange Dauer der Zeit ändern), als beide Landstücke noch ein zusammenhängendes Stück waren. Mitten hinein kam das Meer mit seiner Gewalt und schnitt mit seinen Wogen die hesperische Seite von Sizilien ab und überflutete an der Küste Felder und Städte, die nur durch einen engen Küstenstreifen getrennt waren, mit seiner Brandung. (420) Die rechte Seite besetzt Scylla, die linke Seite die trotzige Charybdis. Sie schluckt dreimal riesige Fluten mit dem tiefen Strudel ihres Schlundes in den Abgrund und schleudert sie dann abwechselnd unter den Himmel und peitscht mit ihrer Woge die Sterne. Eine Höhle aber hält Scylla in dunklen Schlupfwinkeln fest, die dort ihre Gesichter herausstreckt und die Schiffe auf Felsen zieht. Ihre erste äußere Erscheinung bis zum Unterleib ist die eines Menschen, eine Jungfrau mit schöner Brust, aber ganz hinten an ihrem ungeheuren Körper ist sie ein Meerungeheuer, hat Schwanzflossen von Delphinen mit einem Bauch eines Seewolfs verbunden. Es ist besser, wenn du (430) zögerlich die Spitzen des Pachynum-Gebirges auf Trinacris umfährst und in einem weiten Bogen umschiffst, als einmal die hässliche Scylla unter ihrer riesigen Höhle gesehen zu haben und die Felsen die von den bläulichen Hunden widerhallen. Außerdem, wenn mir, dem Seher Helenus etwas Klugheit zu eigen ist, wenn du mir irgendwie vertraust, wenn Apollon mein Geist mit wahren Dingen erfüllt, werde ich dir jenes eine, Sohn einer Göttin, das eine allem voran vorhersagen und dich daran erinnern, indem ich es immer und immer wieder wiederhole: Verehre und bete zuerst den göttlichen Willen der großen Iuno an, singe für Iuno bereitwillig Gebete, überliste mit demütigen Gaben die mächtige Herrin. So wirst du dich endlich als Sieger, nachdem du (440) Trinacria verlassen hast, auf die italischen Gebiete stürzen können. Sobald du dorthin angelangt sein wirst, wirst du zur Stadt Cumae gehen, zu den göttlichen Seen und zu der durch die Wälder rauschende Gegend um den Avernus, du wirst eine rasende Seherin erblicken, die unter einem tiefen Felsen Göttersprüche verkündet, den Blättern Zeichen und Namen anvertraut. Welche Weissagungen die Jungfrau auch immer auf die Blätter niederschreibt, ordnet sie in einer Reihenfolge und lässt sie verschlossen in der Höhle zurück. Jene Weissagungen bleiben fest an ihren Plätzen und fallen nicht aus der Ordnung. Doch wenn der Wind, nachdem sich die Türangeln gedreht haben, die feinen Blätter antreibt und der Eingang das zarte Laub in Unordnung gebracht hat, kümmert sie sich dann (450) niemals darum, die in dem 47 hohlen Felsen umherfliegenden Blätter zu ergreifen, auch nicht darum, sie an ihren Platz zurückzurufen oder die Prophezeiungen zu verbinden: Die Ratlosen ziehen von dannen und hassen den Sitz der Sibylle. Hier soll dir der Zeitverlust nicht so wichtig sein, gleichwohl dich deine Kameraden schelten werden, deine Reise die Segel mit Gewalt aufs hohe Meer rufen wird und du die Schwellung des Segels mit günstigen Winden erfüllen könntest. Ja, du sollst zur Seherin herantreten und sie durch Bitten um eine Weissagung beten, sie selbst soll dir prophezeien und willig ihre Stimme und ihren Mund eröffnen. Sie wird dir die Völker Italiens (460) darlegen, die Kriege, die kommen werden, und auf welche Weise du jede Mühe entweder meiden und ertragen kannst. Wenn du sie darum bittest, wird sie dir günstige Wege gewähren. Dies sind die Dinge zu denen ich dich mit meiner Stimme ermahnen darf. Gehe nun, trage das gewaltige Troja durch deine Taten bis zu den Sternen.“ Nachdem der Seher diese Worte so in freundlichem Ton gesprochen hatte, befahl er, dass anschließend Geschenke, die durch das Gold und dem geschnitzten Elfenbein schwer an Gewicht waren, zu den Schiffen getragen wurden und er stopfte in die Schiffe gewaltiges Silber und Kesseln aus Dodona, einen Brustpanzer, der mit Stacheln verbunden war, aus Gliedern mit dreifachem Gold geflochten, eine Helmspitze eines ausgezeichneten Helms, einen Helmbusch: die Waffen des Neoptolemos. Seine Gaben galten auch meinem Vater. (470) Er gab Pferde hinzu und Wagenlenker, er ergänzte das Ruderwerk, zugleich rüstete er die Kameraden mit Waffen aus. Inzwischen befahl Anchises, dass sich die Flotte mit den Segeln bereit machen sollte, nicht dass es zu irgendeiner Verzögerung bei dem tragenden Wind kam. Diesen Sprach der Übersetzer des Phoebus mit viel Ehrfurcht an: „In erhabener Vermählung mit der Venus - voll Würde, Anchises, Schutzbefohlener der Götter, der du zweimal aus den trojanischen Ruinen entrissen wurdest, siehe das Land Ausoniens liegt vor dir. Beeile dich dorthin zu segeln. Und trotzdem ist es nötig auf dem Meer an diesem Land vorbeizugleiten: Jener Teil Ausoniens, den euch Apollo ausbreitet, liegt fern. (480) Gehe“, sagte er, „du Glücklicher ob des Pflichtgefühls deines Sohns. Wozu fahre ich noch weiter fort und halte dich durch mein Sprechen von den aufkommenden Südwinden ab?“ Und nicht weniger war Andromache über die endgültige Abreise betrübt und brachte Gewänder, die mit goldenem Faden bestickt waren, und für Ascanius einen phyrgischen Mantel (und sie stand in der Ehre nicht nach), belud ihn mit Kleidergeschenken und spricht solches: „Empfange auch diese Dinge, Junge, die dir Erinnerungen meiner Hände sein mögen, sie mögen die langwährende Liebe von mir, Andromache, der Gattin des Hector, bezeugen. Ergreife die letzten Gaben der Deinigen, oh das mir einzige Abbild meines Astyanas! (490) Genauso hatte er die Augen, die Hände, den Mund. Und jetzt würde er im gleichen Alter mit dir zum Mann werden.“ Als ich schon dabei war wegzugehen sprach ich alle mit Tränen in den Augen an: „Lebt glücklich, für die sich das Schicksal sich schon erfüllt hat. Wir werden von den einen zu den anderen Göttersprüchen gerufen. Euch ist Ruhe verschafft. Ihr müsst keine 48 Meeresoberfläche durchpflügen und nicht müsst ihr die ausonischen Fluren suchen, die stets zurück weichen. Ihr seht das Abbild des Xanthus und Troja, das eure Hände nachgebildet haben – unter besseren Vorzeichen, wünsche ich – und das es den Griechen weniger stark ausgeliefert sein möge. (500) Wenn ich einmal den Tiber und die benachbarten Fluren des Tibers betrete, und die meinem Stamm gegebenen Stadtmauern erblicken werde, und einmal die verwandten Städte, die benachbarten Völker und Epirus und Hesperien (denen zugleich Dardanus als Gründer und dasselbe Schicksal zu eigen ist), dann werden wir beide Troja in unseren Gemütern zu einem einzigen machen: Es möge diese Sorge um unsere Nachkommen bleiben.“ Wir fuhren aufs Meer hinaus, in der Nähe des benachbarten Ceraunia, wovon der Weg nach Italien und die Fahrt über die Wogen am kürzesten sind. Die Sonne war inzwischen untergegangen und die dunklen Berge wurden von Schatten umgeben. Wir legen uns im Schoß unserer ersehnten Erde bei den Wogen nieder und nachdem die Ruderwachen (510) ausgelost wurden, legten wir unsere Körper weit und breit an den trockenen Strand. Der Schlaf erfrischte unsere erschöpften Glieder. Noch nicht war die Nacht, die von den Stunden getrieben wurde, mitten auf ihrer Kreisbahn. Rasch stand unser Steuermann Palinurus von seinem Bett auf, erforschte alle Winde und vernahm mit seinen Ohren die Lüfte. Er bezeichnet alle Sterne, die über den stillen Himmel glitten, den Arcturus, und die regenverursachenden Hyaden, die beiden Dreschochsen und suchte den mit Gold bewaffneten Orion. Nachdem er gesehen hatte, dass alle Sterne am heiteren Himmel feststanden, gab er vom Schiffsheck ein helles Signal. Wir brachen auf, (520) versuchten weiter zu reisen und breiteten die Schwingen unserer Segel aus. Schon färbte sich Aurora rot, nachdem die Sterne in die Flucht geschlagen waren, als wir in der Ferne dunkle Hügel und das flache Italien sahen. Als erster rief Achates laut ‚Italien‘ und auch die Kameraden begrüßten in fröhlichem Geschrei Italien. Anchises gab einen Kranz auf einen großen Krug, füllte ihn mit unvermischtem Wein und rief die Götter an, während er aufragend auf dem Schiffsheck stand: „Götter, Beherrscher des Meeres, der Erde und der Stürme, gebt uns eine günstige Route mit Rückenwind und weht uns gütig an.“ (530) Es folgten zahlreich die erwünschten Winde, der Hafen stand schon näher offen und der Tempel erschien auf der Burg der Minerva. Die Kameraden wickelten die Segel auf und wendeten den Bug zur Küste. Der Hafen war durch die südöstliche Strömung zum Bogen geformt und die vorliegenden Felsen schäumten durch die Salzgischt, er selbst verbirgt sich dahinter. Die turmhohen Felsen tauchten ihre Arme ein und bildeten zwei Mauern und der Tempel lag hinter der Küste zurück. Hier sah ich vier Pferde mit einem schneeweißen Glanz auf dem Gras – das erste Vorzeichen – die das Feld weit und breit abgrasten. Und mein Vater Anchises sagte: „Oh fremde Erde: Du bringst Krieg. (540) Für Krieg werden die Pferde ausgerüstet, diese Herde droht mit Krieg. Aber dennoch werden die gleichen Pferde es einmal gewohnt sein einen Wagen zu ziehen und die Zügel unter dem Joch in Eintracht zu 49 tragen – und die Hoffnung auf Friede.“ Dann beteten wir zu den heiligen Wirkkräften der waffentönenden Pallas, die uns Jubelnden als erste empfing, und wir verhüllten unser Haupt vor den Altären mit einem phrygischen Schleier. Gemäß den Anweisungen des Helenus – die größte die er uns gegeben hatte –verbrannten wir, wie befohlen, die Dankopfer der argivischen Iuno. Es gab keinen Aufschub! Sofort nachdem wir die Gebete der Reihe nach beendet hatten, wendeten wir die Rahe der Segelstangen und (550) verließen die griechischen Wohnstätten und die verdächtigen Fluren. Jetzt erkannten wir den Meeresbusen von Tarent, eine Stadt des Hercules (wenn das Gerücht wahr ist), gegenüber erhebt sich die Göttin Lacinia, die caulonischen Burgen und das Schiffbruch bereitende Scylaceum. Dann war in der Ferne, in der Flut von Trinacria der Ätna zu erkennen, und wir vernahmen das gewaltige Tosen des Meeres und weithin gepeitschte Felsen sowie an der Küste gebrochene Stimmen. Die Wasser sprangen auf und in der Brandung mischte sich der Sand. Und mein Vater Anchises sagte: „Das ist hier ohne Zweifel jene Charybdis: Diese Klippen hat uns Helenus prophezeit, auch diese schrecklichen Felsen. (560) Befreit euch, oh Kameraden, und erhebt euch sogleich an den Rudern. Palinurus wendete den Bug zu den Wogen auf der linken Seite. Die ganze Gefolgschaft strebte mit Hilfe der Rudern und der Winde zur linken Seite. Wir wurden von einem gekrümmten Strudel gen Himmel gehoben und sanken zugleich, nachdem die Woge unter uns wegbrach, bis zu den tiefen Manen. Dreimal gaben die Klippen zwischen den hohlen Felsen Lärm von sich,dreimal sahen wir die herausgeschlagene Gischt und tropfende Sterne. Inzwischen verließ uns erschöpfte Männer der Wind mit der Sonne und wir, die wir den Weg nicht mehr kannten, gelangten an die Küste des Kyklopen. (570) Der Hafen war vor dem Andrang der Winde geschützt und war selbst gewaltig. Aber gleich nebenan krachte der Ätna mit seiner schrecklichen Verwüstung und manchmal brach er eine schwarze Wolke zum Himmel in einem pechschwarzen Wirbel dampfend mit glühender Asche hervor. Er erhob Feuerkugeln und beleckte die Sterne. Manchmal richtete er ganze Felsen und die entrissenen Innereien des Berges auf indem sie sie ausspie, ballte das verflüssigte Gestein mit Lärm unter dem Himmel zusammen und kochte es im tiefsten Grund auf. Es gab das Gerücht, dass der wegen eines Blitzes halbverbrannte Körper des Enceladus durch diese Masse bedrückt wurde und dass der gewaltige Ätna auf ihm die ihm (580) aufgebürdeten Flammen aus seinen jähen Ofen ausblies und sooft der Erschöpfte die Seite wechselte, habe ganz Trinacria unter Rauschen gebebt und den Himmel mit Rauch bedeckt. Wir ertrugen während jener Nacht durch die Wälder geschützt unvorstellbare Schreckgestalten, ohne dass wir sahen, welche Ursache das Geräusch hervorbrachte, denn es waren weder die Feuer der Sterne noch das mit seinen himmlischen Sternen leuchtende Himmelsgewölbe zu sehen, dafür aber Gewölk am dunklen Himmel und die tiefe Nacht hielt den Mond in einer Wolke. Und schon erhob sich der folgende Tag, als sich der Morgenstern das erste Mal zeigte, und Aurora hatte den feuchten Schatten am Himmelsgewölbe wegbewegt, (590) als plötzlich die ungewöhnliche, vor Magerkeit geschwächte, bei ihrem Zustand 50 bemitleidenswerte Gestalt eines unbekannten Mannes aus dem Wald schritt und demütig ihre Hände zur Küste ausstreckte. Wir blickten zurück: Finsterer Schmutz, ein langgewachsener Bart und ein Gewand, das mit Dornen verbunden war. Aber im Hinblick auf das Übrige war er ein Grieche und wurde einst in die vaterländischen Kämpfe nach Troja geschickt. Sobald dieser Mann die dardanische Kleidung und fern die trojanischen Waffen sah, verharrte er kurz, heftig bestürzt über diesen Anblick, und zügelte sein Schritt. Bald darauf stürzte er weinend unter Flehen zur Küste: „Ich schwöre bei den Sternen, (600) bei den Göttern und bei diesem belebenden Licht des Himmels, nehmt mich mit, ihr Tecurer. Führt mich weg, egal zu welchen Ländern. Dies möge genügen. Ich weiß, dass ich einer von der griechischen Flotte bin und gestehe, dass ich im Krieg die Penaten Iliums angegriffen habe. Dafür werft mich in die Flut, wenn das Unrecht meines Verbrechens so groß ist, oder ertränkt mich im weiten Meer. Wenn ich sterbe, wird es mich freuen, dass ich durch Menschenhände umgekommen bin.“ Das sagte er, umfasste unsere Knie und verharrte, indem er sich vor unseren Knien hin und her wälzte. Wir forderten ihn auf zu sagen, wer er sei, welchem Blut er entwachsen und schließlich zu verraten, welches Schicksal ihn umtreibe. (610) Ohne lange zu zögern gab dem jungen Mann mein Vater Anchises selbst die Hand und stärkte dessen Mut durch die gegenwärtige Bürgschaft. Jener, nachdem er diese Furcht endlich abgelegt hatte, sagte: „Ich komme aus der Heimat Ithaka, bin ein Begleiter des unglückbringenden Odysseus namens Achaemenides. Ich bin nach Troja aufgebrochen, weil mein Vater Adamastos arm war (wenn das doch nur mein Schicksal geblieben wäre!). Hier ließen mich die vergesslichen Kameraden, als sie die blutigen Schwellen rastlos verlassen hatten, in der gewaltigen Höhle des Kyklopen im Stich. Die Wohnhöhle ist voller Eiter und blutigem Fraß, innen schattig, gewaltig. Er selbst ragt steil hinauf und erschüttert die hohen (620) Sterne (Götter – wendet derartiges Unheil von der Erde ab!) – das ist weder leicht mit anzusehen noch leutselig für irgendeine Rede. Er ernährt sich von den Gedärmen unglücklicher Menschen und von ihrem finsteren Blut. Ich hab selbst gesehen wie er die Körper von zwei meiner Kameraden inmitten in der Höhle mit dem Rücken an einem Felsen zerbrach, nachdem er sie mit seiner großen Hand ergriffen hatte und wie die rauhen Schwellen im blutigen Eiter schwammen. Ich sah, wie er die in finsterer Jauche schwimmenden Glieder verzehrte und wie die warmen Rippen unter seinen Zähnen erbebten – freilich nicht straflos, denn Odysseus ertrug derartiges nicht, noch vergaß der Ithaker seiner selbst in so großer Gefahr. (630) Denn als er zugleich durch seinen Fraß vollgefressen war und im Wein versank legte der Riese seinen gekrümmten Nacken und sich quer in der Höhle nieder, während er im Schlaf blutigen Eiter ausspie sowie Brocken, die mit blutigem Wein vermischt waren, beteten wir zu den großen göttlichen Wirkkräften, losten uns wechselseitig aus und zerstreuten uns von allen Seiten gemeinsam um ihn. Mit einem spitzen Speer durchbohrten wir sein gewaltiges Auge, das sich als einziges Auge unter seiner finsteren Stirn verbarg, so groß wie die argolischen Rundschilde oder die Sonne. Endlich rächten wir Glückliche die Seelen unserer Kameraden. Aber flieht, oh ihr 51 Unglücklichen, flieht und (640) löst das Tau von dieser Küste. Denn wie beschaffen und wie groß Polyphermus in der Höhle Wolle tragende Schafe einsperrt und ihre Brüste melkt, so wohnen massenweise hundert andere entsetzliche Kyklopen an dieser kurvigen Küste, und sie irren in den hohen Bergen umher. Dreimal füllen sich die Bogen des Mondes mit Licht, während ich mein Leben in den Wäldern, zwischen den verlassenen Wildlagern der Tiere und den Wohnhöhlen dahinschleppe und von einem Felsen aus die riesigen Kyklopen erblicke und vor dem Geräusch ihrer Füße und vor ihrer Stimme erzittere. Die Zweige (650) gewähren unglückliche Nahrung, Beeren und steinige Kornelkirschen, und Gräser, samt den Wurzeln herausgerissen, ernähren mich. Während ich alles um mich herum beobachtete, erblickte ich zum ersten Mal eine Flotte, die zu dieser Küste fuhr. Dieser Flotte, welche sie auch immer sei, habe ich mich ausgeliefert. Es ist genug dem entsetzlichen Volksstamm entflohen zu sein. Vernichtet lieber ihr diese Seele mit irgendeiner Todesart.“ Kaum hatte er das gesagt, da sahen wir ganz oben auf dem Berg den Hirte Polyphemus selbst, der sich zwischen seinem Kleinvieh mit seiner gewaltigen Masse bewegte und zur ihm bekannten Küste strebte, ein Schrecken erregendes Ungeheuer, hässlich, gewaltig, dem das Augenlicht geraubt wurde. Eine gestutzte Pinie lenkte seine Hand und festigte seine Schritte. (660) Er wurde von Wolle tragenden Schafen begleitet. Dies war sein einziges Vergnügen und ein Trost für sein Unglück. Nachdem er das tiefe Meer berührt und die Meeresoberfläche erreicht hatte, wusch er sodann das noch flüssige Blut seines ausgestochenen Auges ab, während er mit den Zähnen knirschte und stöhnte. Er schritt mitten durch das Meer, noch nicht hatte die Flut seine steil aufragenden Seiten benetzt. In der Ferne beschleunigten wir Zitternden unsere Flucht, nachdem wir den demütig Bittenden – und so mit Recht – aufgenommen hatten und zerschnitten leise das Tau. Wir wendeten uns, vorwärts gegen die wettstreitenden Ruder geneigt, dem Meer zu. Der Kyklop fühlte das und wendete seine Schritte zu dem Geräusch meiner Stimme. (670) Sobald es aber keine Möglichkeit mehr gab uns mit seiner Rechten heftig zu erstreben und er der ionischen Flut beim Verfolgen nicht mehr gleichkommen konnte, erhob er gewaltiges Geschrei, wodurch das Meer und alle Wogen erbebten, die Erde Italiens völlig erschrak und der Ätna aus seinen bauchigen Höhlen dröhnte. Doch die Kyklopensippe, aus den Wäldern und von den hohen Bergen aufgescheucht, stürzte zum Hafen und erfüllte den Strand. Wir erkannten, wie die Brüder des Ätnas vergebens mit finsterem Blick dastanden und ihre Köpfe hoch gen Himmel richteten, eine schaudererregende Versammlung. Und wie mit ihren aufragenden Spitzen die (680) in den Himmel ragenden Eichen oder die zapfentragenden Zypressen dastanden, der hohe Wald des Jupiter oder der Hain der Diana. Heftige Furcht trieb uns dazu die Schiffstaue wohin auch immer herausschießen zu lassen und die Segel in den günstigen Winden zu spannen. Wohingegen mich die Befehle des Helenus mahnen, nicht den Kurs zwischen Scylla und Charybdis zu wählen – auf beiden Seiten ein Todesweg mit nur geringem Unterschied. Es war sicher die Segel zurückzuwenden. Doch siehe: Da half uns der Nordwind, der von 52 der Meerenge von Pelorus geschickt wurde. Ich fuhr an der Küste aus gewachsenem Felsen Pantagiens, sowie an der megarischen Bucht und an dem flachliegenden Thapsos vorbei. (690) Solche seiner Irrfahrten zeigte uns Achaemenides, als er in entgegengesetzte Richtung erneut an den Küsten vorbeisegelte, damals als Begleiter des unglückbringenden Odysseus. Im sizilischen Golf liegt eine vorgestreckte Insel gegenüber dem wellenreichen Plemyrium. Die Vorfahren nannten sie Ortygien. Es gab das Gerücht, dass der Strom Alpheus von Elis hierhin seine geheimen Bahnen unterhalb des Meeres gelenkt hatte, der nun an deiner Küste, Arethusa, mit dem sizilischen Meer zusammenfließt. Wie uns befohlen wurde, verehrten wir die großen Wirkmächte des Ortes und ich überwand den fruchtbaren Boden des überschwemmenden Helorus. Jetzt (700) segelten wir an den hohen Felsen und an den nach vorn geneigten Klippen von Pachynum vorbei und in der Ferne tauchte Camerina auf, das vom Schicksal niemals zugestanden bekam, sich zu bewegen und die geloischen Felder, sowie Gela selbst, das nach dem Namen seines wilden Flusses benannt ist. Dann zeigte der steil aufragende Acragas weithin seine äußerst großen Mauern, einst ein mutiger Erzeuger von Pferde. Und ich verlasse auch dich, nachdem mir Winde gewährt wurden, du palmenreicher Selinus, und streife die unheilvollen, lilybeischen Untiefen mit ihren verborgenen Felsen. Jetzt nahmen mich der Hafen von Drepanum und seine unerfreuliche Küste auf. Hier, von so vielen Stürmen des Meeres getrieben, ach, (710) verliere ich meinen Vater Anchises, mein ganzer Trost für die Sorgen und Schicksalsschläge. Hier, teuerster Vater, lässt du mich Erschöpften im Stich, ach, der du vergebens aus so großen Gefahren entrissen wurdest. Und nicht sagte mir der Seher Helenus, obwohl er mir viele grauenvolle Dinge vorhersagte, diese Trauer voraus, auch nicht die finstere Caelano. Dies war die letzte Anstrengung, dies war die Grenze meiner langen Reisen. Als ich von dort abreiste, spülte mich ein Gott an eure Gestade.“ So erzählte der Vater Aeneas all den gespannten Leuten als einziger die Schicksalssprüche der Götter und belehrte sie über seine Route. Letztlich verstummte er und nachdem er hier geendet hatte, ruhte er. Buch 4 Aber die Königin, die schon lange durch schwere Sorge verwundet war, ernährte mit ihren Adern die Wunde und verzehrte sich selbst durch das verborgene Liebesfeuer. Immer wieder traten ihr die vielen Tugenden des Mannes und die große Ehre seines Stammes vor Augen. Es hafteten sein Gesicht und seine Worte fest in ihrer Brust und die Sorge gewährte ihren Gliedern keine sanfte Ruhe. Am folgenden Tag musterte Aurora mit der Leuchte des Phoebus die Ländereien und entfernte den 53 feuchten Schatten vom Himmelsgewölbe, als die verstörte Dido so zu ihrer Schwester spricht, die mit ihr einmütig war: „Anna, meine Schwester, welche Traumbilder mich Angstvolle erschrecken! (10) Welcher neue Gast näherte sich hier an unsere Heimat, wie sieht er aus, wie sehr mit tapferer Brust und Waffen! Ich glaube freilich – und der Glaube ist nicht unbegründet – dass er ein Göttersohn ist. Die Furcht offenbart gewöhnliche Menschen. Ach, durch welches Schicksal wurde jener umgetrieben! Von welchen Kriegen, die er durchlitten hatte, berichtete er! Wenn es mir nicht fest und unverrückbar in meinem Herzen säße, dass ich mich nicht mehr mit irgendeinem Mann durch einen Ehebund vereinigen will, nachdem mich – vom Tod getäuscht – meine erste Liebe betrogen hat, wenn ich der Hochzeit und der Hochzeitsfackeln nicht überdrüssig wäre, könnte ich vielleicht dieser einen Versuchung unterliegen. (20) Anna – ich werd’s dir nämlich gestehen – nach dem Schicksal meines unglücklichen Gatten Sychaeus und nach den Penaten, die mit dem brüderlichen Blut benetzt worden sind, kann dieser Mann als einziger meine Gefühle umstimmen und meinen schwankenden Sinn bewegen. Ich erkenne Spuren meines alten Liebesfeuers. Aber eher wünschte ich, dass sich mir entweder die tiefe Erde spaltete, oder mich der allmächtige Vater durch einen Blitzschlag in die Schattenwelt hineinstieß, in die bleichen Schatten im Erebus, und in die tiefe Nacht, bevor ich dich, Anstand, verletze oder deine Gesetze außer Kraft setze. Jener, der mich als erster heiratete, hat meine Liebe mit ins Grab genommen. Jener möge sie bei sich haben und im Grab bewahren.“ (30) So sprach sie, dann netzte sie ihren Busen mit hervorbrechenden Tränen. Anna antwortete ihr: „Oh du von deiner Schwester mehr Geschätzten als das Licht, willst du alleine, ewig trauernd deine Jugend zerpflücken, und nicht die süßen Söhne der Venus auch nicht ihre Belohnungen kennen lernen? Denkst du, das kümmere die Asche oder die begrabenen Totengeister? Sei es so: Keine Ehemänner haben dich Liebeskranke bisweilen umgestimmt, weder in Libyen noch vorher in Tyros. Du hast Iarbas verschmäht und andere Fürsten, reich an Siegen, die das afrikanische Land ernährt. Kämpfst du jetzt sogar gegen eine angenehme Liebe? Ist dir noch nicht in den Sinn gekommen auf wessen Fluren du dich da niedergelassen hast? (40) Von hier umzingeln dich die Städte der Gaetuler – ein im Krieg unüberwindlicher Volksstamm – und die zügellosen Numider, sowie das ungastliche Syrte. Von dort die vor lauter Dürre verlassene Gegend und die weithin tobenden Barcaeer. Wozu soll ich die Kriege nennen, die sich von Tyros aus erheben sowie die Drohungen deines Bruders? Ich freilich glaube, dass die trojanischen Kähne mit dem Wind gemäß den göttlichen Auspizien und dank der günstig gesinnten Iuno ihre Route hierher eingeschlagen haben. Wie mächtig wirst du, Schwester, diese Stadt, dieses Königreich sich durch einen solchen Ehemann erheben sehen! Durch welch große Ereignisse, von den Waffen der Teucrer begleitet, wird sich der punische Ruhm erheben! (50) Bitte du nur die Götter um ihre Gunst und nachdem du Opfer unter günstigen Vorzeichen vollbracht hast, gebe dich der Gastfreundschaft hin und umschlinge 54 Gründe, die ihn zum bleiben bewegen, während der Wintersturm und der wasserreiche Orion auf dem Meer wüten, die Schiffe beschädigt sind und der Himmel nicht günstig ist.“ Nach diesen Worten entflammte Didos Gemüt in heftiger Liebe und Anna gab ihrem zweifelnden Geist Hoffnung und löste die Scham. Zunächst gingen sie zu den Tempeln und ersuchten an den Altären Frieden. Gemäß Brauch schlachteten sie auserlesene Schafe für den gesetzbringenden Ceres, für Phoebus und für den Vater Lyaeus und allen voran für Iuno, die sich um das Band der Ehe sorgt. Die äußerst schöne Dido (60) selbst, die in ihrer Rechten eine Schale hielt, goss mitten zwischen die Hörner eines strahlendweißen Ochsen Wein oder sie ging vor dem Antlitz der Götter zu den reich geschmückten Altären, erneuerte den Tag durch Opfergaben und fragte die noch lebenden Innereien um Rat, indem sie in die geöffneten Bäuche des Viehs spähte. Oh, der unkundige Verstand der Seher! Welche Gelübde, welche Tempel helfen dem rasenden Menschen! Inzwischen verzehrte die sanfte Liebesflamme ihr Mark und verschwiegen lebte die Wunde unter ihrer Brust. Die unglückliche Dido wurde vom Feuer verzehrt und sie streifte rasend in der ganzen Stadt umher, wie eine vom Pfeil getroffene Hirschkuh, (70) die in der Ferne ein Hirte inmitten der Haine Kretas, weil sie unvorsichtig war, getroffen hatte als er jagte, und unwissend das Flugeisen im Tier stecken ließ: Jene durchwanderte auf ihrer Flucht Wälder und die dictaeischen Gebirgspässe. An ihrer Seite haftete der totbringende Pfeil. Nun führte Dido Aeneas mit sich mitten durch die Stadt, zeigte ihm die sidonischen Schätze, die für ihn gewappnete Stadt, begann zu sprechen, stockte dann mitten im Wort. Nun erstrebte sie abends ein gleiches Gastmahl, erbat dringend, erneut in wahnsinnigem Zustand von den trojanischen Mühen zu hören und hing erneut an den Lippen des Sprechenden. (80) Sobald sie später auseinander gegangen waren, der dunkle Mond seinerseits das Licht unterdrückte und die untergehenden Sterne zum Schlaf rieten, trauerte sie allein in ihrem leerstehenden Palast und lag auf ihren verlassenen Polstern. Sie – von ihm getrennt – hörte jenen Abwesenden, sah ihn, oder hielt in ihrem Schoß Ascanius, ergriffen von der Ähnlichkeit zu seinem Vater, und versuchte, ob sie nicht die unsägliche Liebe täuschen konnte. Es erhoben sich nicht mehr die angefangenen Türme, die Jungmannschaft übte keine Waffen aus, noch bereiteten sich der Hafen oder die für den Krieg sicheren Bollwerke vor. Es lagen die unterbrochenen Arbeiten brach, sowie die gewaltigen Zinnen der Stadtmauern, einem Bauwerk, das nahezu den Himmel berührte. (90) Sobald die teure Gattin des Jupiter fühlte, dass Dido von einer derartigen Krankheit befallen war und ihr guter Ruf ihrer Raserei nicht im Wege stand, griff die Tochter des Saturn mit derartigen Worten Venus an: „Ihr heimst wahrhaft herausragendes Lob und reiche Beute ein, du und dein Sohn (eine große und erwähnenswerte Wirkkraft, wenn eine Frau durch die List zweier Götter besiegt wurde). Es blieb mir so weit nicht verborgen, dass du unsere Stadt fürchtetest und dass dir die Häuser des erhabenen Karthagos verdächtig waren. Aber welche 55 Art ist das, oder wohin führt das nun in einem solchen Wettstreit? Warum (100) sorgen wir nicht für einen ewigen Frieden und für ein Ehebündnis? Du hast doch, was du mit deinem ganzen Sinn erstrebt hast: Dido brennt in Liebe und die Raserei läuft ihr durch das Gebein. Lass uns also dieses gemeinsame Volk unter der gleichen Leitung regieren! Möge sie dem phrygischen Gatten dienen und die Tyrier als Mitgift deiner Rechten anzuvertrauen.“ Dieser erwiderte Venus wie folgt (sie spürte nämlich, dass Iuno in heuchlerischer Absicht sprach, damit sie die Herrschaft Italiens zu den libyschen Gestaden umwenden konnte): „Wer würde denn töricht solches ablehnen oder sich lieber mit dir in einem Krieg messen? Wenn nur dem, was du als Tatsache schilderst, Fortuna folgte! (110) Doch ich werde durch das Schicksal in Ungewissheit gehalten, ob Jupiter will, dass aus den Tyrern und den von Troja Aufgebrochenen eine einzige Stadt wird und ob er es gutheißt, dass sich die beiden Völker vermischen und durch Verträge miteinander verbinden. Du bist seine Gattin, du hast das göttliche Recht sein Gemüt durch Bitten auf die Probe zu stellen. Geh los, ich will dir folgen!“ Dann nahm die königliche Iuno wie folgt die Rede auf: „Ich werde mich darum kümmern. Nun, nach welcher Überlegung ausgeführt werden kann, was uns bevorsteht, werde ich dir in wenigen Worten (pass auf!) erklären: Aeneas und zugleich die äußerst unglückliche Dido bereiten sich vor in den Wald zu gehen um zu jagen, sobald der morgendliche Titan Sol den ersten Sonnenaufgang erhebt und den Erdkreis mit seinen Strahlen erneuert. (120) Auf diese will ich von oben her eine schwarze Wolke mit Hagel vermischt ausschütten und den ganzen Himmel mit Donner erschüttern, während die Jäger aufgeregt bei der Treibjagd den Weideplatz einkreisen. Die Begleiter werden flüchten und sie werden von der dunklen Nacht bedeckt werden. Dido und der trojanische Fürst werden zu ein und derselben Höhle gelangen. Ich werde da sein und – wenn mir dein Einverständnis sicher ist – sie in einem festen Eheband verbinden und sie ihm ganz zu eigen geben. Hier wird ihre Hochzeit sein.“ Nicht abgeneigt stimmte Venus der Bittenden zu und lächelte über die erfundene List. Inzwischen verließ Aurora den Ozean, während sie sich zum Himmel erhob. Eine erlesene Jungmannschaft marschierte aus den Stadttoren, nachdem die Sonne aufgegangen war, dabei weitmaschige Netze, Fallstricke, Jagdspieße mit breiter Schneide, und es stürzten die massylischen Reiter sowie die Menge der Spürhunde los. Die Vornehmen der Punier erwarteten die Königin, die noch im Schlafgemach zögerte, an der Schwelle und es stand da ihr Pferd, auffallend durch ein Purpurgewand und Gold und kaute wild auf den schäumenden Zügeln. Endlich trat sie hervor, von einer großen Schar dicht umdrängt, umgeben von einem sidonischen Obergewand, das einen bunten Saum hatte. Ihr Köcher war aus Gold und ihr Haar war mit Gold durchflochten und eine goldene Gewandspange hielt ihr purpurnes Gewand zusammen. (140) Nicht zuletzt traten auch die phrygischen Begleiter und der fröhliche Iulus ein. Aeneas selbst, allen voran der Schönste, stürzte sich als Kamerad hinein und verband die beiden Züge. Es war, wie wenn Apollon das mütterliche 56 Delos besuchte, nachdem er das winterliche Lycien und die Strömungen des Xanthus verlassen hatte, und die Reigentänze wiederholte, dann die Kreter, die Dryoper und die buntbemalten Agathyrser vermischt um den Altar lärmten. Wie wenn er selbst von den Bergrücken des Cynthus schritt und sein fließendes Haar mit weichem Laub niederhielt indem er es sanft berührte, und mit Gold umwickelte und die Pfeile auf seiner Schulter klangen. Nicht lässiger als er marschierte (150) Aeneas, und es strahlte so große Würde aus seinem edlen Gesicht. Nachdem man in den hohen Bergen und in den unwegsamen Wildlagern angekommen ist – da schau – liefen vom Gipfel eines Felsens vertriebene, wilde Ziegen die Bergrücken herab. Von einer anderen Seite überquerten Hirsche in ihrem Lauf leerstehende Felder, bildeten bei ihrer Flucht einen staubigen Zug und verließen die Berge. Und der Junge Ascanius freute sich mitten in den Tälern auf seinem eifrigen Pferd und bald überholt er diese in seinem Galopp, bald jene, und wünschte sich durch Gebete, dass ihm zwischen dem trägen Vieh ein schäumender Eber gewährt würde oder dass ein rotgelber Löwe vom Berg herabstieg. (160) Inzwischen begann der Himmel mit großem Brausen vermischt zu werden, es folgte eine Wolke mit untergemischtem Hagel und in Furcht eilten weit und breit die tyrischen Begleiter, die trojanische Jungmannschaft sowie der dardanische Enkel der Venus über die Felder hinweg zu verschiedenen Hütten. Dido und der trojanische Fürst gelangten zur selben Höhle. Zuerst gaben Tellus und die Ehestifterin Iuno ein Zeichen: Es glänzten die Sterne sowie der Äther, als Zeuge des Hochzeitsfestes, und vom höchsten Gipfel heulten die Nymphen. Jener Tag war der erste, der (170) schuld an Tod und Übeln war: Dido wurde nämlich nicht mehr von ihrem äußeren Schein und ihrem Ruf bewegt, auch sann sie nicht nur auf eine heimliche Liebesaffäre. Sie schreit nach Hochzeit, und bedeckte durch dieses Wort ihre Schuld. Sofort zog das Gerücht durch die großen Städte Libyens, das Gerücht: Kein anderes Übel ist schneller! Es erstarkte im Laufe und mehrte im Lauf seine Stärke. Anfangs aus Furcht noch klein, doch bald erhob es sich in die Lüfte, schritt auf dem Erdboden einher und barg seinen Kopf zwischen den Wolken. Dieses hat die Erde, aufgrund des erregten Hasses auf die Götter hervorbringend, dem Coeus und dem Enceladus als Schwester (180) geboren, schnell zu Fuß und mit verderblichen Schwingen. Ein schauderhaftes Ungeheuer, riesig, und so viele Federn hatte es am Körper, genauso viele wachsame Augen hatte es darunter (wundersam auszusprechen), genauso viele Münder, wie Zungen, und so viele Ohren spitzte es. Mitten in der Nacht flog es zischend durch das Dunkel des Himmels und der Erde und es wandte nicht die Augen im sanften Schlaf von seinem Ziel ab. Es saß bei Tag als Wächter entweder auf dem höchsten Giebel des Daches, oder auf hohen Türmen und erschreckte die großen Städte, ebenso sehr am Erdichteten und am Verkehrten festhaltend, wie auch Botin des Wahren. Dann versorgte dieses (190) freudig die Völker in zahlreichen Gesprächen und pries zugleich was geschehen und was nie geschehen ist: Es wäre ein Aeneas gekommen, der von 57 trojanischem Blut abstammte und die schöne Dido würde sich für würdig halten, sich mit diesem Mann zu verbinden. Nun würden sie es sich den Winter über durch Verschwendung gut gehen lassen, uneingedenk ihrer Königreiche, gefangen von hässlicher Begierde. Diese Dinge verteilte die hässliche Göttin Fama weit und breit in die Münder der Männer. Sofort schwenkte ihr Lauf zum König Iarbas, entflammte durch die Worte sein Gemüt und mehrte seinen Zorn. Dieser Spross der Nymphe Garamantis, die von Hammon geraubt wurde, hatte in seinem weiten Königreich einhundert gewaltige Tempel des Jupiter aufgestellt, (200) einhundert Altäre und ihm ein ewiges Feuer geweiht, als ewige Wachdienste der Götter, und der Tempelboden war reich an Blut von Kleinvieh und die Schwellen blühten voller verschiedener Blumengewinde. Dieser soll angeblich wahnsinnig und durch das bittere Gerücht entflammt vor den Altären, mitten in der göttlichen Wirkkraft der Götter, mit zurückgelehnten Händen Jupiter demütig um vieles gebeten haben: „Allmächtiger Jupiter, dem nun der Volksstamm Mauretaniens, nachdem er auf bunten Lagern gespeist hat, die Ehrungen des Bacchus spendet, erblickst du das? Oder fürchten wir dich umsonst, Schöpfer, wenn du die Blitze schleuderst, die blinden Feuer in den Wolken unsere Gemüter (210) erschrecken und sich mit nichtigem Grollen mischen? Diejenige Frau, die umherirrend in meinem Reich gegen Geld eine kleine Stadt gegründet hat, der ich einen Küstenstreifen zum durchpflügen gewährt, der ich die Pachtbedingungen überreicht habe, wies eine Heirat mit mir zurück, empfang aber den Herr Aeneas in ihrem Reich. Und nun bemächtigt sich jener zweite Paris mit der halbstarken Begleitung, seiner Beute, sein Kinn und das triefende Haar in einen Turban gehüllt. Ich hingegen trage Gaben in deine Tempel und pflege dein wertloses Ansehen.“ Der Allmächtige (220) hörte den Mann, der mit derartigen Worten betete und die Altäre berührte, wandte seine Augen zu den königlichen Stadtmauern und zu den Liebenden, die ihren besseren Ruf vergaßen. Dann sprach er wie folgt Merkur an und vertraute ihm folgendes an: „Nun denn, geh los, mein Sohn, rufe die Westwinde und gleite mit deinen Flügeln zum Fürst der Dardaner herab, der sich im tyrischen Karthago aufhält und nicht mehr die ihm durch sein Schicksal gewährten Städte beachtet, sprich ihn an und überbringe ihm meine Worte durch die schnellen Lüfte. Nicht hat seine äußerst schöne Mutter ihn mir derart versprochen, und ihn deshalb zweimal vor den Waffen der Griechen beschützt. Sondern er würde das herrschaftsträchtige und im Krieg brüllende (230) Italien regieren und seinen Volksstamm vom erhabenen Blut des Teucer fortsetzen und den ganzen Erdkreis seinen Gesetzen unterwerfen. Wenn ihn kein Funken Ruhm der so großen Taten entflammt, und er selbst aufgrund seines eigenen Ruhms nicht die Strapaze in Angriff nimmt, missgönnt dann der Vater dem Ascanius die römischen Festungen? Was führt er im Schilde? Oder durch welche Hoffnung verweilt er bei einem feindlichen Volksstamm, ohne an die ausonische Nachkommenschaft oder an die Fluren Laviniums zu denken? Er soll lossegeln! Dies ist das Wichtigste; dies sei unsere Nachricht.“ 58 So sprach er. Merkur bereitete sich darauf vor, dem Befehl des erhabenen Vaters zu gehorchen. Und zuerst schnallte er die (240) goldenen Flügelschuhe an seine Füße, die ihn mit ihren Flügeln hoch sei es über das Meer, sei es über das Land mit einem ebenso schnellen Wind trugen. Dann ergriff er den Stock. Damit rief jener die bleichen Seelen des Orcus hervor, andere schickte er in den trostlosen Tartarus, er gewährte Schlaf und raubte ihn, und öffnete die Augen aus der Nacht des Todes. Vertrauend auf jene Route trieb er die Winde an und durchflog die trüben Wolken. Und schon erkannte er noch fliegend den obersten Teil und die steilen Seiten des harten Atlas, der den Himmel an seinem Gipfel stützt – des Atlas , dessen pinientragendes Haupt ständig von schwarzen Wolken umgeben ist und von Wind und Regen gepeitscht wird. (250) Gefallener Schnee bedeckt seine Schultern. Dann stürzen Flüsse vom Kinn des Alten herab und sein Bart ist steif durch schreckliches Eis. Hier macht Merkur zum ersten Mal Halt, während er mit gleichmäßigen Flügelschlägen vorwärts strebte. Von dort stürzte er mit seinem ganzen Körper eilends zu den Wogen – gleich einem Vogel, der um die Küsten, der um die fischreichen Klippen flog, die sich gleich neben dem Meer befanden. Nicht anders flog er zwischen den Ländereien und dem Himmel zur sandigen Küste Libyens, und der Spross des Cyllenegebirges durchtrennte die Winde, während er von seinem Großvater mütterlicherseits kam. Wie er zum ersten Mal die Hütten mit seinen Flügelschuhen berührte, erblickte er (260) Aeneas, der Festungen anlegte, und Gebäude erneuerte. Jener besaß ein funkelndes Schwert aus schimmerndem Jaspis und sein Mantel, der von seinen Schultern herunter fiel, glänzte durch seine tyrische Purpurfarbe – Geschenke, welche die reiche Dido hergestellt hatte, und sie hatte das Gewebe des Mantels mit einem dünnen Goldfaden durchwirkt. Sogleich fuhr ihn Merkur an: „Du platzierst die Fundamente des erhabenen Karthagos, du errichtest die schöne Stadt, du Weiberknecht? Ach, der du dein Königreich und die so großen Taten vergessen hast! Der Herrscher über die Götter selbst hat mich dir vom berühmten Olymp heruntergeschickt, der den Himmel und die Erde nach seinem göttlichen Willen wendet, und (270) er selbst befahl mir, dir diese Aufträge durch die schnelltragenden Lüfte zu bringen: „Was führst du im Schilde? Oder durch welche Hoffnung vergeudest du deine Zeit im libyschen Land? Wenn dich kein Funke Ruhm so großer Taten bewegt und du selbst nicht für deinen eigenen Ruhm eine derartige Mühe in Angriff nimmst, dann denke an den wachsenden Iulus Ascanius und an die Hoffnung deines Erben, dem die Königsherrschaft über Italien und die römische Erde gebührt.“ Mit einer derartigen Rede sprach Merkur, verschwand mitten im Gespräch aus dem Blickfeld des Sterblichen und entschwand den Augen in die dünne Luft. Doch Aeneas freilich verstummte, wahnsinnig durch diesen Anblick, (280) seine Haare richteten sich vor Schreck auf und seine Stimme blieb ihm im Halse stecken. Er brannte darauf zu fliehen und die süßen Ländereien zu verlassen, bestürzt von einer so großen Ermahnung und des Befehls der Götter. 59 Ach, was soll er tun? Wie soll er es wagen, sich an die verliebte Königin in einer Anrede zu wenden? Wie soll er beginnen? Und sein schneller Verstand verteilte sich mal hierhin mal dorthin, stürzte in verschiedene Richtungen und erwog alle Möglichkeiten. Diese Meinung schien dem Schwankenden am besten: Er rief den Mnestheus, den Sergestus und den starken Serestus, so dass sie stillschweigend die Flotte bereit machten und die Kameraden an der Küste versammelten, die (290) Waffen bereiteten und verbargen, welchen Grund es für die neue Lage gab. Inzwischen wollte er es wagen sich der äußerst gütigen Dido zu nähern, weil sie von nichts wusste und nicht erwartete, dass eine so große Liebe zerbrochen würde, und er wollte untersuchen, was die beste Zeit wäre um zu reden und was die rechte Weise für diese Angelegenheiten war. Rasch befolgten alle freudig den Befehl und führten die befohlenen Dinge aus. Doch die Königin spürte die List im Voraus (wer könnte einen liebenden Menschen täuschen?), nahm die kommende Abreise sich fürchtend war, obwohl anfangs alles sicher schien. Dieselbe unfromme Göttin des Gerüchts berichtete der Verliebten, dass die Klasse bewaffnet würde und man sich auf die Fahrt vorbereitete. (300) Sie tobte völlig von Sinnen und wutentbrannt raste sie durch die ganze Stadt, wie eine Bacchantin, die aufgrund der vorbeiziehenden, heiligen Gegenstände erregt ist, sobald die dreijährigen Orgien sie anstacheln, nachdem man Bacchus vernommen hatte, und der nächtliche Cithaeron mit Geschrei ruft. Endlich stellt sie Aeneas von sich aus mit diesen Worten zur Rede: „Du Treuloser hast sogar gehofft, einen so großen Frevel verheimlichen und stillschweigend mein Land verlassen zu können? Hält dich weder unsere Liebe noch der einst geleistete Treueschwur noch ich, Dido, die ich im Begriff bin durch einen grausamen Tod zu sterben? Ja, eilst du Grausamer sogar in der winterlichen Jahreszeit die Flotte in Bewegung zu setzen und (310) mitten in den Nordstürmen aufs hohe Meer zu segeln? Was? Wenn du nicht zu fremden Fluren und unbekannten Häusern eilen würdest, und wenn das alte Troja noch stünde, würdest du dann mit der Flotte über das wogenreiche Meer nach Troja eilen? Flüchtest du etwa vor mir? Ich bitte dich bei diesen Tränen, bei deiner Rechten (weil ich Unglückliche mir selbst nichts weiter zurückgelassen habe), ich bitte dich bei unserer Vermählung, bei der erst begonnenen Hochzeitsfeier, wenn ich mich irgendwie um dich verdient gemacht habe, oder wenn dir irgendetwas an mir süß war, erbarme dich dieses wankenden Palasts und sofern es irgendeinen Platz für meine Bitten gibt: Lege diese Idee ab. (320) Wegen dir hassen mich die libyschen Völker, die Tyrannen der Nomaden und die Tyrier sind mir feindlich gesinnt. Wegen dir Abreisendem ist mein Schamgefühl ausgelöscht und mein einst guter Ruf, durch den ich als einzige zu den Sternen reichte. Wem lässt du mich Sterbende zurück, Gast (dies ist die einzige Bezeichnung die von ‚Ehemann‘ noch übrig bleibt)? Was zögere ich? Etwa bis mein Bruder Pygmalion meine Stadt zerstört, oder mich Gaetulus Iarbas als Gefangene mit sich führt? Wenn ich wenigstens ein Sprössling von dir vor deiner Flucht empfangen hätte, wenn für mich irgendein 60 kleiner Aeneas im Hof spielen würde, der mich mit seinem Gesicht an dich erinnern würde, dann käme ich mir (330) freilich nicht gänzlich betrogen und verlassen vor.“ So sprach sie. Aeneas hielt seine Augen durch die Ermahnungen Jupiters regungslos und unterdrückte unterwürfig die Sorge tief in seinem Herzen. Endlich antwortete er weniges: „Ich werde niemals leugnen, Königin, dass du dich mit den zahlreichen Dingen, die du mit Worten aufzählen kannst, um mich verdient gemacht hast und es wird mich nicht verdrießen, mich an Elissa zu erinnern, solange ich eingedenk meiner selbst bin und solange der Lebenshauch diese Glieder lenkt. Was die Sachlage betrifft, möchte ich weniges sagen: Weder habe ich gehofft (bilde dir das nicht ein!) diese Flucht heimlich zu verbergen, noch habe ich mich jemals als dein Gemahl ausgegeben oder bin für diesen Bund der Ehe gekommen. (340) Wenn es mein Schicksal zuließe mein Leben nach meinem Ermessen zu führen und meine Bemühungen von mir aus zu bestimmen, würde ich mich zuerst um die Stadt Troja und die lieblichen Überbleibsel der Meinigen, der erhabene Palast des Priamus hätte noch bestand, und würde mit eigener Hand für die Besiegten Pergamum wieder auferstehen lassen. Doch nun befahl Apollon aus Gryneum zum erhabenen Italien zu eilen, nach Italien zu eilen befahlen auch die Orakelsprüche aus Lykien. Dies ist meine Liebe, dies ist mein Vaterland. Wenn dich als Phönizierin die Burgen Karthagos und der Anblick der libyschen Stadt festhalten, wieso (350) missgönnst du es dann den Trojanern sich endlich auf ausonischer Erde niederzulassen? Auch wir haben ein Recht ausländische Königreiche zu suchen. Mich ermahnt und erschreckt im Schlaf das empörte Abbild meines Vaters Anchises, sooft die Nacht mit ihren feuchten Schatten die Erde bedeckt, sooft die feurigen Sterne aufgehen. Mich erschreckt mein Junge Ascanius und das Unrecht an seinem teuren Haupt, den ich um das Königreich Hesperiens betrüge und um die schicksalsträchtigen Fluren. Nun Nun hat sogar der Bote der Götter, der von Jupiter selbst geschickt wurde (ich schwöre es bei deinem und meinem Haupt) die Weisungen durch die schnellen Lüfte hierher gebracht. Ich selbst habe den Gott in deutlichem Licht gesehen, als er die Stadt betrat und seine Stimme mit diesen meinen eigenen Ohren vernommen. (360) Höre auf dich und mich mit Klagen zu erregen. Ich folge nicht aus eigenem Antrieb nach Italien.“ Die abgewandte Königin betrachtete Aeneas, der solches Sprach, schon lange, während sie ihre Augen mal hierhin, mal dorthin rollte, irrte mit stillen Blicken über den ganzen Mann und sprach ihn entflammt so an: „Weder hast du eine Göttin als Mutter noch ist Dardanus dein Ahnvater, du Treuloser, sondern der vor harten Felsen starrende Kaukasus hat dich geboren und hyrcanische Tigerinnen haben dich gestillt. Denn wozu soll ich mich verstellen oder mich für größere Schmach aufheben? Denn seufzte er durch unser Weinen? Wandte er etwa seine Augen zu mir? (370) Brachte er etwa überwältigt Tränen hervor oder erbarmte sich der Liebenden? Was könnte diese Dinge überbieten? Schon, ja schon sieht dies weder die äußerst erhabene Iuno noch der Göttervater 61 Jupiter, Sohn des Saturns, mit gleichgültigen Augen. Nirgends ist Treue sicher! Ich habe einen gestrandeten und armen Mann aufgenommen und ihn töricht in einen Teil meines Königreiches gesetzt. Ich habe die verlorene Flotte zurückgeführt und seine Kameraden vor dem Tod gerettet (oh ich eile vor lauter Wut!). Erst bringen der Weissager Apollo, dann die lykischen Orakelsprüche, nun sogar der Götterbote, von Jupiter selbst geschickt, entsetzliche Befehle durch die Lüfte herbei. Dieser Mann ist nämlich für die Götter eine Strapaze: Diese Sorge (380) beunruhigt die Ruhigen. Weder halte ich dich auf, noch widerlege ich das, was du gesagt hast. Gehe, folge den Winden nach Italien, erstrebe ein Königreich jenseits des Meeres! Ich hoffe freilich, wenn pflichtbewusste Wirkkräfte irgendetwas vermögen, dass du dir mitten in den Klippen den Tod holst und mich, Dido, oft beim Namen rufst! Ich werde dir – wenn auch abwesend – in den schwarzen Feuern folgen, und wenn der Tod meine kalte Seele von den Gliedern getrennt haben wird, werde ich an allen Orten als Schatten bei dir sein. Du wirst büßen, du Schuft. Ich werde es hören und auch diese Kunde wird mir bis zu den tiefen Manen dringen!“ Nach diesen Worten brach sie mitten im Gespräch ab, floh traurig vor dem Tag, entzog sich den Blicken und ging fort, (390) während sie Aeneas verließ, der in seiner Furcht zögerte, aber noch vieles sagen wollte. Die Dienerinnen nehmen die zusammengebrochenen Glieder Didos auf, tragen sie in ihr marmoriertes Schlafgemach zurück und legen sie auf das Polster. Doch der pflichtbewusste Aeneas befolgte dennoch die Befehle der Götter und sah nach seiner Flotte, obwohl er die leidende Dido durch Zuspruch besänftigen und ihr die Sorgen mit seinen Worten nehmen wollte, während er viel seufzte und durch die große Liebe verunsichert war. Dann aber strengten sich die Teucrer an und führten die aufragenden Schiffe an der ganzen Küste zu Wasser. Es schwammen die gefetteten Schiffe, sie trugen belaubte Ruder und das in ihrer Fluchtbemühung (400) unbehauene Eichenholz aus den Wäldern. Man erkannte die Auswanderer, wie sie aus der ganzen Stadt stürzten. Es war wie bei den Ameisen, wenn sie einen gewaltigen Hügel aus Dinkel plündern, weil sie an den Winter denken, und ihn in ihrem Bau verbergen: Der schwarze Zug marschiert über die Felder und sie schleppen ihre Beute durch das Gras auf ihrem engen Pfad. Ein Teil treibt die großen Körner, gegen die er sich mit den Schultern dagegenstemmt, der andere Teil hält die Züge zusammen und die Verzögerungen im Zaum, der ganze Pfad kocht vor Betriebsamkeit. Wie war dir damals zu Mute, Dido, als du das erkanntest, oder welche Seufzer hast du von dir gegeben, als du von ganz oben der Burg weithin (410) sahst, wie es an der Küste von Menschen wimmelte, und als du sahst, wie das ganze Meer vor deinen Augen mit so lautem Geschrei erfüllt wurde! Du unverschämter Amor, zu was zwingst du nicht die menschlichen Herzen? Noch einmal wurde Dido gezwungen unter Tränen einher zulaufen, wieder wurde sie gezwungen es durch Bitten zu versuchen und demütig der Liebe ihren Verstand unterzuordnen, damit sie, die umsonst sterben würde, nichts unversucht ließ. 62 „Anna, du siehst, dass man sich an der ganzen Küste ringsum vorbereitet: Von allen Seiten kommen sie zusammen, schon ruft das Segel die Lüfte, und fröhlich haben die Seeleute das Heck der Schiffe bekränzt. Wenn ich diesen großen Schmerz erwarten konnte, werde ich ihn (420) auch ertragen können, Schwester. Dieses eine nur, Anna, sollst du dennoch für mich Unglückliche erledigen: Denn jener treulose Mann hat dich als einzige verehrt, dir vertraute er sogar seine geheimen Gedanken an. Als einzige hattest du gewusst wie und wann man sich dem Mann am besten näherte. Geh, Schwester, und sprich den überheblichen Feind demütig an: Ich habe den Griechen nicht in Aulis geschworen das trojanische Volk zu vernichten, oder ihre Flotte nach Pergamon geschickt. Nicht ich habe die Asche seines Vaters Anchises oder die Manen wieder aufgewühlt. Warum verweigert er dann, dass meine Worte in seinen sturen Ohren Gehör finden? Wohin stürzt er? Dieses letzte Geschenk möge er der unglücklich Verliebten gewähren: (430) Er möge eine leichte Flucht und tragende Winde erwarten. Ich bitte ihn nicht um die altehrwürdige Ehe, die er verraten, auch nicht, dass er vom schönen Latium fern bleibt und sein zukünftiges Königreich fallen lässt: Ich erbitte nur wertlose Zeit, Ruhe und Raum für meine Raserei, bis mich, die ich besiegt bin, mein Schicksal lehren wird zu leiden. Diese letzte Gunst erbitte ich (erbarme dich meiner Schwester), die ich ihm, wenn er mir sie erwiese, im Tod reichlich vergelten will.“ Derartiges erbat die Schwester, ein solches Schluchzen brachte die äußerst unglückliche Frau hervor und sie berichtete ihm. Aber Aeneas wurde durch kein Schluchzen bewegt, war für keine Äußerung empfänglich, die er hörte. (440) Die Göttersprüche standen dem im Wege und der Gott versperrte dessen sanften Ohren. Aber es war, wie wenn die Nordstürme der Alpen mit ihrem Wehen mal von hier mal von dort untereinander wetteifern, eine kräftige Eiche mit ihrem uralten Holz zu entwurzeln. Es zischt, und das Laub, das am erschütterten Stamm wuchs, bedeckt die Erde. Sie selbst aber haftet an den Felsen und streckt sich mit ihrer Wurzel so weit in den Tartarus, wie mit ihrem Gipfel in die Himmelslüfte. Nicht anders wurde der Held Aeneas durch die beharrlichen Äußerungen mal von hier, mal von dort gestoßen und fühlte deutlich in seinem großen Herzen die Sorgen. Der Verstand blieb unbewegt, die Tränen rollten vergebens. (450) Dann aber erbat die unglückliche Dido, die über das Schicksal erschrocken war, den Tod. Sie ekelte sich davor, das Himmelsgewölbe zu betrachten. Um so mehr führte sie durch, was sie begonnen hatte, und verließ das Tageslicht, sah, als sie Opfergaben auf die vor Weihrauch brennenden Altäre gab, (entsetzlich auszusprechen!) wie die heilige Flüssigkeit schwarz wurde und wie der ausgegossene Wein sich in schmutziges Blut verwandelte. Diese Erscheinung erzählte sie niemandem, nicht einmal ihrer Schwester. Darüber hinaus befand sich in ihrem Palast ein marmorner Schrein ihres verstorbenen Gatten, der mit wundersamer Ehrung von ihr verehrt wurde, und mit schneeweißer Wolle und festlichem Laub umwunden war. (460) Von hier schien es ihr, die Stimme 63 und die Worte ihres rufenden Mannes zu vernehmen, wenn die Dunkelheit die Erde bedeckte, und dass der Uhu oft als einziger von den Wipfeln ein Totenlied klagte und die langen Rufe in ein Jammern hinzog. Außerdem ließen sie viele Vorhersagen von früheren Sehern durch ihre schrecklichen Mahnungen erschaudern. Der wilde Aeneas selbst treibt die Rasende im Traum, ständig scheint es, als ob sie für sich allein zurückgelassen wird, ständig scheint sie unbegleitet eine lange Straße entlang zu gehen und die Tyrier auf der verlassenen Erde zu suchen, ganz wie der wahnsinnige Pentheus die Heereszüge der Eumeniden sah und wie sich ihm (470) zwei Sonnen und zweimal Theben zeigte, oder wie Orest, Agamemnons Sohn über die Bühne getrieben wurde, als er vor der mit Fackeln und finsteren Schlangen bewaffneten Mutter flüchtete und die unheilvollen Rachegöttinnen auf der Schwelle saßen. Sobald sie also die Furien ergriffen hatte und von ihrem Schmerz besiegt war, entschied sie sich zu sterben, bestimmte mit sich selbst den Zeitpunkt und die Art und Weise, wandte sich mit folgenden Worten an ihre traurige Schwester und verbarg ihren Entschluss mit ihrem Gesicht und täuschte Hoffnung vor: Ich habe einen Weg gefunden (dank du deiner Schwester!), der mir Aeneas zurückgibt, oder mich Verliebte von ihm löst. (480) Es gibt einen weit entfernten Ort Äthiopiens, gleich neben dem Ende des Ozeans und der brennenden Sonne, wo der äußerst erhabene Atlas die Himmelsachse auf seiner Schulter wendet, die mit brennenden Sternen versehen ist. Von dort wurde mir eine Priesterin des massylischen Stammes gezeigt, eine Wächterin des Tempels Hesperiens, sowie die Speisen für den Drachen, die sie ihm reichte. Sie bewahrte heilige Äste an einem Baum, während sie feuchten Honig und schlafbringenden Mohn verstreute. Diese versprach, dass sie durch ihre Zaubersprüche diejenigen Gemüter erlösen würde, welche sie erlösen wollte, aber anderen beschwerliche Sorgen einjagte, sie würde das Wasser der Flüsse stillstehen lassen und die Sterne rückwärts drehen, sowie die (490) nächtlichen Totengeister bewegen. Du wirst sehen, wie die Erde unter deinen Füßen kracht, und wie von den Bergen die Bergeschen heruntersteigen. Ich rufe die Götter und dich, teure Schwester, als Zeugen an, sowie dein süßes Haupt, dass ich mich nur unwillig an die magischen Künste heranmache. Errichte du abgeschieden im Inneren des Palastes unter freiem Himmel einen Scheiterhaufen und schichte darauf die Waffen des Mannes, die er pflichtvergessen befestigt im Schlafgemach zurückgelassen hatte und alle Rüstungen, sowie das Hochzeitslager, auf dem ich zugrunde gegangen bin. Es freut mich alle Erinnerungen an den frevelhaften Mann wegzuschaffen und dies zeigt mir die Priesterin.“ Nachdem sie dies gesprochen hatte, schwieg sie. Zugleich erblasste ihr Gesicht. (500) Anna glaubte allerdings nicht, dass ihre Schwester mit den neuen Zauberriten ihren Tod verschleierte, und weder nahm sie mit ihrem Verstand die so große Raserei wahr, noch befürchtete sie Schlimmeres als beim Tod des Sychaeus. Also bereitete sie die befohlenen Dinge vor. 64 Die Königin aber suchte den Ort mit Blumengewinden auf und bekränzte ihn mit Laub vom Totenbaum, nachdem der Scheiterhaufen im Inneren des Palastes unter freiem Himmel mit gewaltigen Brandfackeln und geschnittenen Steineichen errichtet wurde. Über das Lager legte sie die Kleider, das zurückgelassene Schwert, sein Abbild – und wusste genau was kommen würde: Ringsum standen die Altäre und die Priesterin rief aus ihrem Mund, nachdem sie ihr Haar gelöst hatte, (510) dreimal einhundert Götter an, den Erebus, das Chaos und die dreigestaltige Hecate, sowie die drei Gesichter der Jungfrau Diana. Sie versprengte auch die Flüssigkeiten die angeblich aus der Avernusquelle stammten und es wurden kräftige Gräser, die bei Mond mit einer ehernen Sichel gemäht wurden, gesucht gemeinsam mit der Milch des bösen Giftes. Es wurde auch gesucht, was einem wachsenden Pferd von der Stirn weggerissen und so der Liebe der Mutter weggenommen wurde. Dido selbst steht mit Opferschrot in ihren pflichtbewussten Händen gleich neben dem Altar, einen Fuß hatte sie aus der Schlinge gezogen, sie hatte ihr Gewand entgürtet, und so rief die Frau, die im Begriff war zu sterben, die Götter und die (520) Sterne, die um ihr Schicksal wussten, als Zeugen an. Dann betete sie, falls irgendeine göttliche Wirkkraft gab, dass sich um Liebende sorgte, die nicht in gleichem Maße zurückgeliebt wurden und die gerecht war und nicht vergaß. Es war Nacht und der sanfte Schlaf ergriff die erschöpften Körper durchweg in den Ländern, die Wälder und die wilden Meere ruhten, während sich die Sterne mitten in ihrer Kreisbahn befanden, während der ganze Acker schwieg, das Kleinvieh und die bunten Vögel, welche weithin die klaren Seen, welche die durch das Dornengestrüpp rauhen Ländereien besetzten, ruhten im Schlaf unter der stillen Nacht. Aber nicht die im Herzen unglückliche Phönizierin! – weder löste sie sich jemals im Schlaf, noch nahm sie mit ihren Augen oder mit ihrem Gemüt die Nacht auf. Es kamen die Sorgen wieder hoch, und die Liebe, die wieder in ihr hochstieg wütete erneut und wallte auf zu einer großen Zornesbrandung. So hielt sie bis dahin inne und wälzte folgendes für sich in ihrem Herzen hin und her: „Sieh, was mache ich? Soll ich, über die man lacht, etwa erneut den früheren Freiern auf den Zahn fühlen, und demütig eine Ehe mit einem der Nomaden erstreben, die ich schon so lange als Ehemänner verschmäht habe? Soll ich der trojanischen Flotte und den letzten Weisungen der Teucrer folgen? Weil es etwa denen gefällt, die zuvor durch meine Hilfe unterstützt worden sind und die Dankbarkeit bei denen hoch steht, die sich an alte Taten erinnern? (540) Oder wer würde mich allerdings – gesetzt, ich will – auf seinen erhabenen Schiffen empfangen, die man mich hasst? Ach, weißt du nicht, Verlorene, und fühlst du noch nicht den Meineid des Stammes des Laomedon? Was dann? Werde ich allein auf meiner Flucht die jubelnden Seemänner begleiten? Oder soll ich etwa von den Tyrern und der ganzen Schar der Meinen dicht umdrängt los eilen und diejenigen, die ich kaum aus der Stadt Sidon losgerissen habe, erneut aufs Meer treiben und befehlen, die Segel zu hissen? Gewiss: Stirb, wie du es verdient hast und nimm dir durch das Schwert den Schmerz! Du, die du von 65 meinen Tränen überwältigt bist, du, Schwester, hast mir Rasenden diese Übel aufgeladen und mich dem Feind ausgeliefert. (550) Es war mir nicht möglich, mein Leben unverheiratet und ohne Schuld nach Art der wilden Tiere zu verbringen, oder derartige Sorgen nicht zu berühren. Die Treue, die ich der Asche des Sychaeus gelobt hatte, wurde nicht bewahrt.“ Solche Klagen stieß jene aus ihrer Brust. Aeneas, der fest entschlossen war abzureisen, genoss im aufragenden Schiffsheck den Schlaf, da die anstehenden Dinge bereits ordnungsgemäß vorbereitet waren. Ihm zeigte im Traum sich die Gestalt des wiederkehrenden Gottes mit dem gleichen Gesichtsausdruck und wieder schien sie ihn auf diese Weise zu ermahnen. Sie ähnelte gänzlich Merkur: Die Stimme, die Hautfarbe, das blonde Haar und die jugendlich schönen Glieder. (560) Sohn einer Göttin, kannst du unter diesem Umstand schlafen? Erkennst du nicht welche Gefahren dich letztlich umgeben, du Wahnsinniger, und hörst du nicht die günstigen Westwinde brausen? Jene überlegt sich in ihrer Brust eine List und unheilvollen Frevel. Sie ist entschlossen zu sterben und ruft verschiedene Zorneswallungen hervor. Flüchtest du nicht eilends von hier, solange du noch die Möglichkeit dazu hast? Gleich wirst du sehen, wie das Meer durch Schiffe aufgewühlt wird und wilde Fackeln, die strahlen. Bald wirst du sehen, wie die Küste vor lauter Flammen siedet, nachdem dich, der du zögerst, Aurora in diesen Ländern berührt haben wird. Nun auf, säume nicht länger. Ein vielgestaltiges und veränderliches Wesen ist die (570) Frau.“ Nachdem er so gesprochen hatte, mischte er sich unter die finstere Nacht. Dann aber riss sich Aeneas, durch diesen Traum erschreckt, aus dem Schlaf und hielt seine eilenden Kameraden in Atem: „Wacht auf, Männer, und setzt euch auf die Ruderbänke! Lasst rasch die Segel schießen. Seht, ein Gott, der vom hohen Äther geschickt wurde, treibt uns erneut dazu an eilends zu flüchten und die ganzen Taue durchzuschneiden. Wir folgen dir, Heiliger der Götter, wer auch immer du bist, und wieder gehorchen wir jubelnd deinem Befehl. Oh mögest du uns gütig helfen, und dafür sorgen, dass am Himmel die Sterne günstig stehen.“ Das sagte er, dann riss er sein (580) totbringendes Schwert aus der Scheide und zerschnitt mit gezücktem Schwert die Ankertaue. Zugleich hatten alle denselben Eifer, schnell ergriffen sie die Taue und stürzten los. Sie verließen die Küste, das Meer verbarg sich unter der Flotte, angestrengt kräuselten sie die Gischt und fegten die bläuliche Meeresfläche. Und schon benetzte zuerst Aurora die Ländereien mit neuem Licht, während sie das safrangelbe Lager des Tithonus verließ. Sobald die Königin von ihrer Warte aus sah wie das frühe Licht schimmerte und die Flotte mit gleichgerichteten Segeln vorrückte und sobald sie fühlte, dass die Küste und der Hafen ohne Ruderer leer standen, schlug sie sich drei-, viermal an ihre schöne Brust, dann riss sie ihre (590) blonden Haare los und sagte: „Bei Jupiter! Soll dieser Fremdling gehen und 66 auch unser Königreich verspotten? Werden andere nicht die Waffen zücken und ihnen ganz aus der Stadt folgen und Schiffe aus den Werften plündern? Geht, bringt schnell Brandfackeln, gebt Wurfgeschosse, treibt die Ruder an! Was rede ich? Oder wo bin ich? Welcher Wahnsinn verändert meinen Verstand? Unglückliche Dido, berühren dich erst jetzt deine pflichtvergessene Taten? Damals ziemte es sich, als du ihm das Zepter gabst. Sieh, Schwur und Treue desjenigen, von dem sie sagen, dass er die Penaten seiner Heimat mit sich trage und sich seinen altersschwachen Mann auf die Schultern geladen hat! (600) Konnte ich nicht den mir entrissenen Körper zerreißen und in die Wogen streuen? Konnte ich nicht seine Kameraden mit dem Schwert vernichten, auch nicht Ascanius selbst und ihn dann auf die Speisetische seines Vaters zum Verzehr legen? Das Schicksal des Kampfes wäre wahrhaft zweideutig gewesen. Dann wäre es eben so geschehen: Wenn hätte ich gefürchtet, die ich im Begriff bin zu sterben? Ich hätte Brandfackeln in das Lager getragen und die Marktplätze mit Flammen erfüllt, ich hätte den Sohn, den Vater samt seiner Sippe ausgelöscht, und mich selbst dem Brand ausgeliefert. Sonnengott, der du alle Werke der Erde mit deinen Flammenstrahlen musterst, und du Iuno, Botin und Mitwisserin solcher Sorgen, Hecate, die du nachts an den Kreuzwegen in allen Städten unter Geheul besungen wirst, (610) und ihr rächenden Furien, und ihr Götter der sterbenden Elissa, vernehmt diese Dinge und wendet euren göttlichen Willen, den ich verdient habe, meinen Übeln zu und vernehmt meine Bitten! Falls es unbedingt notwendig ist, dass der unsägliche Aeneas Hafen und Ländereien erreicht, wenn es so die Göttersprüche des Jupiter fordern und dies das Ziel bleibt, dann soll er aber vom Krieg und von den Waffen eines kühnen Volkes gequält, aus seinem Gebiet verbannt und aus der Umarmung des Iulus gerissen um Hilfe flehen und die unwürdigen Begräbnisse der Seinen sehen. Und nicht soll er sich, wenn er sich den Bedingungen des ungerechten Friedens unterworfen hat, an seinem Königreich oder am ersehnten Tageslicht erfreuen, (620) sondern er soll vorzeitig sterben und mitten im Sand unbegraben liegen bleiben. Dies bitte ich. Diese letzte Äußerung bringe ich mit meinem Blut hervor. Und dann, oh Tyrier, plagt seine Nachkommen und den ganze zukünftige Volksstamm mit eurem Hass und schenkt dies meiner Asche. Es soll zwischen Völkern keine Liebe und keine Verträge geben! Entstehe, unbekannter Rächer aus meinen Gebeinen und verfolge die dardanischen Kolonisten mit Fackel und Schwert – jetzt und irgendwann einmal, wann immer Kräfte da sein werden. Mögen sich Küste gegen Küste erheben, Meer gegen Meer und Waffen gegen Waffen, so fluche ich! Mögen sie selbst und ihre Enkel kämpfen!“ (630) Dieses sprach sie und wandte ihren Geist in alle Richtungen, während sie nach einer Möglichkeit suchte, ihr selbst das verhasste Lebenslicht so schnell wie möglich zu entreißen. Dann sprach sie kurz Barce, die Amme des Sychaeus an, denn sie hatte die eigene in ihrer alten Heimat in Form von schwarzer Asche. „Meine liebe Amme, bring mir meine Schwester Anna hierher. Sag ihr, sie 67 soll sich beeilen ihren Körper mit klarem Flusswasser zu benetzen, und sowohl das Kleinvieh als auch das Sühneopfer, das ihr gezeigt wurde, mit sich führen. So soll sie kommen und bedecke du deine Schläfen mit einer frommen Binde! Ich habe im Sinn die Opferungen für Jupiter Stygius zu vollenden, die ich ordnungsgemäß angefangen habe, den Sorgen ein Ende zu bereiten und den Scheiterhaufen des (640) Dardanerführers dem Feuer zu übergeben.“ So sprach sie. Jene beschleunigte ihren Schritt mit dem Eifer einer Amme. Doch die unruhige und ob der gewaltigen Unternehmungen entmenschte Dido wälzte ihre blutunterlaufenden Augen, und mit Flecken auf ihren zitternden Wangen und blass aufgrund des bevorstehenden Todes stürzte sie ins Innere ihres Palastes und bestieg wuterfüllt den hohen Scheiterhaufen. Sie entblößte das Dardanerschwert, ein Geschenk, das sie nicht für diesen Gebrauch erbeten hatte. Hier hielt sie kurz unter Tränen und im Geiste inne und nachdem sie die trojanischen Kleider und das bekannte Bett erblickt hatte, (650) legte sie sich darauf und sprach ihre letzten Worte: „Ihr süßen Kleider, solange es noch Fatum und Gott zugelassen hatten, nehmt diese meine Seele auf und befreit mich von diesen Sorgen! Ich lebte, und den Kurs, den mir Fortuna zudachte, schlug ich ein und nun wird mein erhabenes Abbild unter die Erde wandern. Ich errichtete eine hochberühmte Stadt, ich sah meine Stadtmauern, rächte meinen Mann und ließ meinen mir feindlich gesinnten Bruder büßen, ich Glückliche, ich allzu Glückliche, wenn nur niemals die dardanischen Schiffe meine Küste berührt hätten.“ Das sprach sie und nachdem sie ihren Mund auf das Bett presste fügte sie hinzu: „Ich werde ungerächt sterben, (660) aber sterben will ich. Auf diese Weise – auf diese Weise gefällt es mir in die Schattenwelt zu gehen! Dieses Feuer soll der grausame Dardaner mit seinen Augen vom hohen Meer aus wahrnehmen und er soll das böse Omen meines Todes mit sich tragen.“ So redete sie und ihre Begleiterinnen sahen Dido, wie sie, als sie noch solches sprach, vom Schwerte getroffen zusammenstürzte. Sie erblickten das vor Blut triefende Schwert sowie ihre befleckten Hände. Geschrei erhob sich bis zu den hohen Vorhallen. Das Gerücht schwärmte durch die erschütterte Stadt. Die Häuser hallten wider von dem Seufzen, den Wehklagen und von dem Geheul der Frauen. Der Himmel hallte wieder von den großen Trauerschlägen, nicht anders, als würde ganz (670) Karthago oder das alte Tyros einstürzen, nachdem die Feinde eingedrungen waren, und als wälzten sich tobende Flammen durch die Gebäude der Menschen und der Götter. Die Schwester hörte es entsetzt und während sie erschreckt das Gesicht mit ihren Nägeln zerkratzte und ihre Brust schlug stürzte sie mitten durch die Menschen und rief die Sterbende bei ihrem Namen: „War es das, Schwester? Du versuchtest mich zu betrügen? Dieses hat mir der Scheiterhaufen da beschwert, dieses die Feuer und die Altäre? Über was soll ich, die ich im Stich gelassen wurde, zuerst klagen? Hast du etwa deine Begleiterin und Schwester sterbend verschmäht? Hättest du mich zum selben Schicksal gerufen, dann hätte uns beiden derselbe Schmerz durch das Schwert dieselbe letzte Stunde 68 gebracht. (680) Habe ich sogar durch meine eigenen Hände den Scheiterhaufen errichtet, habe ich die heimatlichen Götter mit meiner eigenen Stimme gerufen, damit ich von dir, Grausame, die du so da liegst, getrennt bin? Du hast sowohl dich als auch mich ausgelöscht, dein Volk, die sidonischen Ahnen und deine Stadt. Gebt mir Wasser, ich werde die Wunden mit klarer Flüssigkeit reinigen, und wenn noch irgendein letzter Hauch über ihr irrt, lese ich ihn mit einem Kuss auf.“ Nachdem sie so gesprochen hatte, stieg sie mit großen Schritten auf den Haufen, wärmte ihre noch halbbeseelte Schwester, die sie umarmte, an ihrer Brust, während sie seufzte und versuchte das finstere Blut mit ihrem Gewand zu stillen. Dido versuchte die schweren Augenlieder zu öffnen, schaffte es aber wieder nicht. Die durchbohrte Wunde zischte unter ihrer Brust. (690) Dreimal richtete sie sich angestrengt auf, indem sie sich vom Bett erhob, dreimal rollte sie auf das Bett zurück und suchte mit ihren umherirrenden Augen hoch oben am Himmel das Licht und seufzte, nachdem sie es gefunden hatte. Dann erbarmte sich die allmächtige Iuno der langen Schmerzen und des schwierigen Sterbens und schickte Iris vom Olymp, welche die trauernde Seele und ihre Verbindung zu den Gliedern lösen sollte. Da Dido weder durch ihr Schicksal noch eines verschuldeten Todes gestorben war, sondern verfrüht und plötzlich von Raserei entflammt starb, hatte ihr Proserpina noch nicht das blonde Haar vom Scheitel abgeschnitten und ihr Haupt dem stygischen Orcus verurteilt. (700) Also flog die tauende Iris mit safrangelben Schwingen durch den Himmel herab, indem sie tausend verschiedene, der Sonne entgegen gerichtete Farben mit sich zog, und stellte sich über Didos Haupt. „Ich bringe dir, wie es mir befohlen wurde, dieses Opfer der Unterwelt dar und befreie dich von diesem Körper.“, sagte sie und schnitt mit ihrer Rechten Didos Haar ab. Und sogleich wich die ganze Wärme – ihr Leben entwich in die Winde. Buch 5 Inzwischen segelte der entschlossene Aeneas mit der Flotte mitten auf seiner Route, durchschnitt im Norden die finsteren Fluten während er zur Stadt zurückblickte, die bereits durch die Flammen der unglücklichen Dido erleuchtete. Der Grund, warum man ein so großes Feuer angezündet hatte, blieb ihm verborgen. Doch beschwerlicher Kummer ob der großen Liebe, die befleckt worden war – und es war bekannt, was eine rasende Frau vermochte – erfüllten durch das traurige Vorzeichen die Gemüter der Teucrer. Sobald die Schiffe das offene Meer erreicht hatten und ihnen keine einzige Insel mehr begegnet war, von allen Seiten Meer, von allen Seiten Himmel war, ragte (10) dem Aeneas zum Nachteil über seinem Haupt eine schwärzliche Gewitterwolke empor, welche Nacht und Sturm brachte, und die Flut erzitterte in der Finsternis. Selbst der Steuermann Palinurus rief vom 69 hohen Schiffsheck aus: „Oh, warum nur besetzten so große Wolken den Himmel ringsum? Und was bereitest du uns, Vater Neptun?“ Als er schließlich so gesprochen hatte, befahl er die Segel zu reffen und sich in die kräftigen Ruder zu stemmen, er richtete das Segel seitwärts in den Wind und sprach folgendes: „Mutiger Aeneas, ich würde nicht darauf hoffen unter diesem Himmel Italien zu erreichen, auch wenn es mir Jupiter, der Urheber des Plans, versprechen möge. Sich abwechselnde Winde brausen aus der Quere und (20) erheben sich vom finsteren Abend her. Die Luft zieht sich zur Wolke zusammen. Wir sind ihnen nicht gewachsen, Widerstand zu leisten oder einfach nur zu segeln. Da nun Fortuna gesiegt hat, wollen wir ihr folgen und wohin sie uns ruft, dorthin wollen wir unsere Route wenden! Ich glaube, nicht weit entfernt liegt die treue und dir brüderliche Küste des Eryx und die Häfen Siziliens, wenn ich mich nur ordnungsgemäß daran sowie an die früher beobachteten Sterne erinnere.“ Dann sagte der pflichtbewusste Aeneas: „Freilich erkenne ich, dass die Winde es schon lange so verlangen und du vergebens dagegen hältst. Ändere den Weg mit Hilfe der Segel ab. Soll mir irgendein Land willkommener sein, wohin ich die erschöpften Schiffe eher wünschte zu schicken, (30) als das Land, das mir Acestes vor den Griechen bewahrt, oder die Gebeine meines Vaters Anchises in seinem Schoß umschlingt?“ Nachdem diese Worte gesprochen wurden, eilten sie zu einem Hafen und günstige Westwinde spannten die Segel an. Die Flotte wurde auf einer schnellen Strömung getragen und endlich erreichten die glücklichen Männer den bekannten Strand. Doch in der Ferne staunte Acestes von dem aufragenden Gipfel eines Berges über die Ankunft und lief den verbündeten Schiffen entgegen, wild mit seinen Wurfspießen und mit dem Fell der libyschen Bärin, den die Mutter vom Flussgott Crinisus in Troja empfing und geboren hatte. Jener, der die alten Vorfahren nicht vergessen hatte, (40) hieß die Zurückkommenden willkommen, empfing sie glücklich mit ländlichen Kostbarkeiten und tröstete die erschöpften Männer durch freundschaftlichen Beistand. Nachdem später mit dem ersten Sonnenaufgang der helle Tag die Sterne vertrieben hatte, rief Aeneas die Kameraden von der ganzen Küste zur Versammlung und sprach auf dem Wall eines Hügels: „Ihr großen Dardaner, Volksstamm vom erhabenen Blut der Götter, ein Jahreskreis vollendet sich im Lauf der Monate, seit wir die übrigen Gebeine meines göttlichen Vaters bestattet und Traueraltäre geweiht haben. Und schon ist der Tag da, wenn ich mich nicht täusche, der für mich immer schmerzlich, (50) immer ehrenvoll sein wird (so wollt ihr Götter es!). Wenn ich ihn als Vertriebener in den gaetulischen Syrten verbringen würde oder auf dem argolischen Meer und in der Stadt Mycene ergriffen werden würde, so führte ich dennoch die jährlichen Gebete und die feierlichen Festzüge der Reihe nach aus, und errichtete für seine Gaben einen Altar. Nun befinden wir uns sogar freilich nicht ohne Sinn und ohne die Wirkkraft der Götter, wie ich meine, bei der Asche und den Gebeinen meines besagten Vaters und betreten, die wir hier her gebracht wurden, 70 freundliche Häfen. Also auf, lasst uns alle die fröhlichen Ehrungen feiern: Lasst uns um günstige Winde bitten und Anchises möge es wollen, dass ich ihm alljährlich dieses Opfer bringe, nachdem ich meine (60) Stadt errichtet und die Tempel geweiht habe. Acestes, aus Troja entsprungen, soll euch Rinder, je zwei an der Zahl, in die Schiffe geben. Zieht auch die väterlichen Penaten zu den Speisen hinzu, sowie diejenigen, die unser Gastfreund Acestes verehrt. Darüber hinaus will ich für die Teucrer den ersten Wettstreit unserer schnellen Flotte festsetzen, wenn die neunte Morgendämmerung den gütigen Tag hervorbringen und mit ihren Sonnenstrahlen den Erdkreis eröffnen wird: Wer im Sprint stark ist und wer kühn ist im Hinblick auf seine Kräfte und mit einem Wurfspieß einherschreitet oder lieber mit leichten Wurfpfeilen, oder darauf vertraut den Kampf mit einem blutigen Schlagriemen zu beginnen: (70) Alle sollen dabei sein und als Belohnungen ihre verdienten Palmzweige erwarten. Schweigt alle andächtig und umgürtet eure Schläfen mit Zweigen.“ Nachdem er so gesprochen hatte, verhüllte er seine mütterlichen Schläfen mit Myrtenzweigen. Dies tat auch Helymus, dies der altersreife Acestes, dies der Junge Ascanius und die übrige Mannschaft folgte ihrem Beispiel. Aeneas marschierte mit vielen Tausenden aus der Versammlung zum Grabhügel, mitten in einer großen Schar, die ihn begleitete. Dort goss er zwei Becher mit unvermischtem Wein, wie es Brauch war, auf den Boden, indem er das Trankopfer spendete, sowie zwei Becher mit neuer Milch, zwei mit heiligem Blut, und warf dazu purpurfarbene Blumen und sprach solches: (80) „Sei gegrüßt, heiliger Vater und nochmals gegrüßt. Seid gegrüßt, ihr vergeblich geretteten Aschen, Seelen und Schatten meines Vaters. Es war nicht möglich, das italische Gebiet, die vom Schicksal verheißenen Fluren auch nicht gemeinsam mit dir den ausonischen Thybris aufzusuchen, wer immer er auch ist.“ Dies hatte er gesagt, als aus dem tiefen Allerheiligsten eine schlüpfrige, gewaltige Schlange sich sieben mal wand, während sie sieben Krümmungen machte. Sie umschlang sanft den Grabhügel, glitt über die Altäre und ihr Rücken war mit schwärzlichen Zeichen gefleckt. Ein Glanz ließ durch goldene Farbe ihre Schuppen aufleuchten, genauso wie wenn ein Regenbogen tausend verschiedene Farben auf die Wolken wirft, wenn er sich gegenüber der Sonne befindet. (90) Aeneas erstarrte vor Schreck über die Erscheinung. Letztlich kostete sie von den Speisen, als sie sich zwischen den Opferschalen und den leichten Bechern hindurch schlängelte, schlüpfte erneut ohne Schaden anzurichten in den tiefen Grabhügel und verließ die abgefressenen Altäre. Umso eifriger veranstaltete Aeneas die für den Vater begonnenen Ehrungen und war sich unsicher, ob er die Schlange für den Genius des Ortes oder für einen Diener seines Vaters halten sollte. Gemäß alter Sitte schlachtete er je zwei Schafe und ebenso viele Säue, ebenso viele junge Stiere, die auf dem Rücken schwarzes Fell hatten, er goss wiederholt Wein aus den Opferschalen, rief die Seele des großen Anchises sowie die vom Acheron zurückgeschickten Totengeistern. (100) Aber auch die Kameraden brachten fröhlich Gaben, soweit es jeder leisten konnte, sie schmückten die 71 Altäre und schlachteten junge Stiere. Andere stellten der Reihe nach Bronzegefäße auf und auf dem Gras verstreut legten sie den Bratspießen glühende Kohlen unter und rösteten die Eingeweide. Es kam der Termin, der bereits erwartet worden war, und die Pferde des Phaeton zogen bereits durch das heitere Sonnenlicht die neunte Morgenröte am Himmel hoch, die Kunde sowie der Name des berühmten Acestes setzte die benachbarten Stämme in Bewegung. In einem heiteren Zusammenlauf erfüllten sie die Gestade, um die Männer des Aeneas zu sehen, und ein Teil war sogar schon kampfbereit. Zuerst wurden die Siegesprämien vor aller Augen in dem (110) mittleren Kreis aufgestellt, die heiligen Dreifüße, für die Sieger die grünen Kränze und Palmzweige als Preis, die Waffen und die in Purpurfarbe getränkten Kleider, sowie silberne und goldene Talente. Die Tube gab mitten von einem Wall das Signal, woraufhin die Spiele angefangen wurden. Für den ersten Wettkampf kamen vier, was ihre schweren Ruder anging, gleichstarke Schiffe, die aus der ganzen Flotte ausgewählt waren. Mnestheus trieb mit schnellem Ruderwerk die schnelle ‚Pristis‘ an – bald der ‚Italer‘ Mnestheus, von dessen Name der Stamm der Memmer entstehen wird, und Gyas trieb die aufgrund ihrer gewaltigen Masse, gewaltige ‚Chimaera‘ an: Ein Bauwerk einer ganzen Stadt, ein Schiff, welches die Dardaner in einer dreifachen Ruderreihe (120) antrieben und in welchem sich in drei Reihen die Ruder erhoben. Sergestus, von welchem das Sergierhaus seinen Namen hat, fuhr auf der großen ‚Centaurus‘, sowie Cloanthus auf der bläulichen ‚Scylla‘, wo dein Volksstamm sein Name her hat, Römer Cluentius. In der Ferne befand sich im Meer gegenüber der schäumenden Küste ein Fels, der im Wasser versenkt von den aufgewühlten Fluten gepeitscht wurde, sobald die winterlichen Nordwestwinde die Sterne verbargen. Wenn es windstill war, lag er ruhig da und es erhob sich aus dem unbewegten Meer ein Feld, eine äußerst willkommene Stelle für sonnenhungrige Taucher. Hier (130) stellte der Vater Aeneas eine Spitzsäule aus einer grünenden Steineiche als Grenzzeichen für die Seefahrer auf, durch das sie umzukehren wussten und worum sie die lange Route wenden mussten. Dann wählten sie durch ein Losverfahren die Startpositionen aus und die Teamführer selbst leuchten auf den Schiffshecks weithin hervor aufgrund ihres Gold- und Purpurschmucks. Die übrige Jungmannschaft bekränzte sich mit Papellaub und die nackten Schultern glänzten, nachdem sie in Öl getränkt waren. Sie setzten sich auf die Ruderbänke und spannten die Arme an den Rudern an. Gespannt erwarteten sie das Startzeichen, die pochende Furcht und die erweckte Begierde nach Lobpreisungen verschlangen ihre ausgelassenen Herzen. Und dann, sobald die berühmte Tuba das Signal gegeben hatte, stürzten alle (140) ohne Verzug von ihren Startpositionen hervor. Das Geschrei der Seeleute stieß bis zum Himmel. Die durch die angespannten Armen der Ruderer aufgewühlte See schäumte. Sie durchfurchten gleichmäßig das Meer und die komplette, aufgewühlte Meeresoberfläche spaltete sich aufgrund der Ruder und der dreizackigen Schiffsschnäbel. Nicht so sehr durchrasten die Wagen bei einem Wettstreit der Zweigespanne das Feld und stürzten dahin, 72 nachdem sie sich aus den Schranken ergossen hatten. Auch nicht schlugen derart Wagenlenker mit ihren Wellen schlagenden Zügeln zusammen, nachdem sie die Joche losgelassen hatten und beugten sich vornüber zum Schlag. Dann hallte der ganze Hain wider aufgrund des Beifalls und dem Lärm der Männer sowie aufgrund des Eifers der Anhänger und die (150) Lagune wälzte ihre Stimmen hin und her. Auch die vom Geschrei beschallten Hügel klangen wider. Gyas entfloh vor den anderen und entglitt vorn auf den Wogen zwischen dem Geräusch der Tuba und dem Lärm der Männer. Diesem folgte dann Cloanthus – er war besser gestellt, was die Ruder anging – doch sein träges Schiff aus Pinienholz hielt ihn durch das Eigengewicht auf. Hinter diesen strebten im gleichen Abstand die Pristis und die Centaurus danach sich gegenseitig zu überholen. Und bald lag die Pristis vorne, bald wurde sie geschlagen von der gewaltigen Centaurus überholt, bald eilten sie beide gemeinsam Bug an Bug und die langen Kiele durchfurchten das salzige Gewässer. Und schon näherten sie sich dem Felsen und erreichten die Spitzsäule, (160) als der Führende und Sieger Gyas mitten im Strudel den Schiffssteuermann Menoetes mit dieser Äußerung ansprach: „Wohin fährst du mir nur soweit nach rechts? Wende den Kurs hierher! Halte dich an die Küste und lass zu, dass das linke Ruder das Riff streift! Mögen andere auf das hohe Meer segeln!“ Das sagte er. Doch der blinde Menoetes, der die Felsen fürchtete, wandte den Bug zu den Wogen des Meeres. „Wohin fährst du in die andere Richtung?“ , sagte Gyas erneut, „Eile zu den Felsen, Menoetes!“ Gyas rief ihn wieder und wieder schreiend zurück – und da! – er erblickte hinter seinem Rücken den drohend nahen Cloanthus – dieser segelte auf dem näheren Kurs. Jener (170) schabte sich zwischen dem Schiff des Gyas und den rauschenden Felsen den linken, inneren Weg und überholte plötzlich den Führenden. Nachdem er die Zieldurchfahrt passiert hatte, segelte er auf sicherem Fahrwasser. Dann aber entbrannte gewaltiger Schmerz in Mark und Bein des Jungen und seine Wangen waren nicht frei von Tränen. Seine Würde und das Wohlbefinden seiner Kameraden vergessend, warf er den säumenden Menoetes kopfüber vom hohen Schiffsheck ins Meer. Er selbst nimmt die Aufgabe des Lenkers am Steuerrad auf sich. Derselbe munterte als Kapitän die Männer auf und wandte den Kiel zur Küste. Aber sobald der ernste und schon ältere Menoetes endlich aus den tiefsten Tiefen nur mit Mühe aufgetaucht war, eilte er triefend in einer durchnässten Weste zur (180) Spitze einer Felswand und setzte sich auf den trockenen Felsen. Über ihn hatten die Teucrer gelacht, wie er ins Meer gefallen war und schwamm und sie lachten, wie er aus seiner Brust die salzigen Fluten wieder ausspie. Da entbrannte bei den beiden äußersten Kontrahenten, Sergestus und Mnestheus, die heitere Hoffnung, den säumenden Gyas zu überholen. Sergestus nahm den Platz vorn ein und näherte sich dem Felsen, dennoch war er nicht in voller Länge vor dem Schiff, das er überholen wollte. Zum Teil lag er vorn, teilweise brachte ihn aber die Rivalin ‚Pristis‘ mit ihrem Schiffsschnabel in Bedrängnis. Doch Mnestheus, der durch die Reihen seiner Kameraden lief, 73 ermahnte sie mitten auf seinem Schiff: „Nun, nun, erhebt euch an den Rudern, ihr Kameraden des (190) Hector, die ich euch in Troia durch das letzte Losverfahren als Begleiter ausgewählt habe. Nun gelobt mir jene Kräfte, nun den Mut, wovon ihr bei den gaetulischen Syrten, sowie auf dem Ionischen Meer und auf den beweglichen Wogen am Kap von Malea Gebrauch gemacht habt. Nicht mehr erstrebe ich, Mnestheus die Führung, eifere auch nicht mehr danach zu siegen (obwohl…. ach! Aber es mögen die gewinnen, denen du dies, Neptun, gewährt hast). Möge es uns schämen, dass wir als letzte zurückgekehrt sind. Gewinnt ihr, Bürger und verhindert Frevel.“ Jene warfen sich im höchsten Eifer vor: Unter gewaltigen Schlägen erzitterte das eherne Schiff, der Meeresboden wurde unter ihm weggezogen. Dann erschütterte zahlreiches Keuchen die Glieder sowie die (200) ausgetrockneten Münder und überall floss der Schweiß in Bächen. Der Zufall selbst brachte den Männern die gewünschten Ehren: Denn während Sergestus, rasend im Geiste den Bug an der Innenseite näher an die Felsen herandrängte und eine ungünstige Strecke durchfuhr, blieb der Unglückliche in den ihm entgegenkommenden Felsen hängen. Die Felsen wurden erschüttert und die Ruder, die sich auf dem scharfkantigen Riff gegen das Wasser stemmten krachten. Der angeschlagene Bug hing in der Luft. Es erhoben sich die Seemänner und hielten das Schiff unter lautem Geschrei in seiner Lage. Sie holten eiserne Brechstangen sowie Ruderstangen mit scharfer Spitze hervor und laßen im Meer die zerbrochenen Ruder zusammen. (210) Doch der heitere Mnesteus, der durch das Näherkommen selbst noch eifriger war, eilte im schnellen Zug der Ruder, nachdem er günstige Winde angerufen hatte, vorwärts eilend aufs Meer und segelte auf offener See zurück. Wie eine Taube, die plötzlich in ihrer Höhle aufgeschreckt wurde und die ihr Haus sowie ihre Jungen im porösen Lavastein des Nestes hat, über die Hügel fliegt, wie man sagt, und aufgeschreckt das gewaltige Klatschen ihrer Flügel über den Wipfeln hören lässt, bald durch die ruhige Luft gleitet und auf der luftigen Bahn segelt ohne dass sie ihre schnellen Flügel heftig bewegt. So teilte auch Mnesteus, so auch die ‚Pristis‘ selbst bei ihrer letzten Flucht die Meeresoberfläche, so trägt der eigene Antrieb jenes fliegende Schiff dahin. (220) Zunächst verließ er Sergestus, der sich am hohen Felsen abmühte, an den seichten Sandbänken vergebens um Hilfe rief und lernte mit zerbrochenen Rudern zu fahren. Von da aus holte er Gyas und die Chimaera selbst mit ihrer gewaltigen Masse ein. Sie machte Platz, weil sie ja ihres Kapitäns beraubt war. Und schon war als einziger am Ziel selbst nur noch Cloanthus übrig, den Mnesteus erstrebte und angestrengt mit allergrößter Kraft bedrängte. Dann aber verdoppelte sich das Geschrei und alle stachelten den Verfolger mit ihrem Eifer an. Der Himmel hallte durch das Getöse wider. Die einen sind entrüstet, wenn sie ihren eigenen Ruhm und die erworbene Ehre (230) nicht halten können, und wollen ihr Leben für das Lob einsetzen. Die anderen ernährt der Erfolg. Sie sind mächtig, weil sie sich selbst so sehen. Und zufällig hätten sie mit den auf gleicher Höhe liegenden Schiffsschnäbeln die Belohnungen empfangen, wenn nicht Cloanthus, während er beide Handflächen zum Meer hin ausstreckte, Gebete hervorgebracht und die Götter in einem Gelübde angerufen hätte: 74 „Götter, denen euch die Herrschaft über das Meer zu eigen ist, auf deren Gewässer ich segle, ich Glücklicher möchte für euch an dieser Küste einen schimmernd weißen Stier vor die Altäre stellen, um meine Gelübde zu erfüllen. Die Eingeweide werde ich in die salzigen Fluten werfen und klare Weine ausgießen.“ So sprach er und unter den tiefsten Fluten hörte ihn der ganze Reigen von (240) Nereiden und Phorcus, sowie die Meerjungfrau Panopea. Und der Vater Portunus selbst trieb den Fahrenden mit seiner großen Hand an. Er entfloh schneller dahin zur Erde als jener Pfeil und der geflügelte Südwind und barg sich im tiefen Hafen. Dann erklärte der Sohn des Anchises, nachdem er nach altem Brauch alle zusammengerufen hatte, Cloanthus mit der lauten Stimme eines Ausrufers zum Sieger und umhüllte dessen Schläfen mit grünem Lorbeer. Er gewährte, dass sie als Geschenke je drei Jungstiere wählten und dass Wein und ein großes Talent an Silber in die Schiffe trugen. (250) Für die Schiffsführer selbst fügte er zusätzliche Ehrungen hinzu: Für den Sieger ein golddurchwirkter Mantel, um welchen ringsum eine breite, purpurne Meliboea mit doppeltem Mäander lief. In den Mantel war der königliche Junge eingewebt, der im belaubten Idagebirge eifrig die schnellen Hirsche mit dem Wurfspieß im Lauf ermüdete, einem keuchenden Mann gleich, den der erhabene Adler, Jupiters Waffenträger, mit seinen hakigen Krallen vom Idagebirge raubte. Die hochbetagten Wachen streckten ihre Handflächen vergebens zu den Sternen aus, es tobt das Gebell der Hunde gen Himmel. Aber demjenigen, der dann durch seine Tugend den zweiten Platz gemacht hatte, schenkte er einen durch leichte Haken und einem dreifachen Goldfaden verbundenen (260) Brustpanzer, den er selbst als Sieger beim reißenden Fluss Simois unterhalb des erhabenen Troja dem Demoleus abgezogen hatte: Ein Schmuckstück für den Mann und gleichzeitig Schutz im Krieg. Mit Mühe und angestrengt trugen seine Diener jenen vielfältigen Brustpanzer, Phegeus und Sagaris auf den Schultern herbei. Doch einst hatte ihn Demoleus an und trieb die fliehenden Trojaner vor sich her. Zwei eherne Kessel machte er zur dritten Gabe, sowie aus Silber gefertigte Schalen, die mit Reliefs verziert waren. Und schon gingen alle, die so sehr beschenkt worden waren, durch ihre Gaben stolz einher und ihre Schläfen waren mit purpurfarbenen Binden geschmückt. (270) Da trieb plötzlich Sergestus vom wilden Felsen her kommend, von dem er sich kaum und nur mit hoher Kunstfertigkeit losreisen konnte, durch die verlorenen Ruder und mit nur einer Ruderreihe geschwächt, das verlachte und ehrenlose Schiff an die Küste. Wie oft eine Schlange am Straßendamm erfasst wurde, über die ein bronzebeschlagenes Rad seitlich gerollt ist oder die ein unwilliger Reisender nach einem Hieb mit einem Stein halbtot und verstümmelt zurückgelassen hat. Fliehend formt sich dann mit ihrem Körper vergeblich eine lange Krümmung. An einem Ende ist sie wild, glüht in ihren Augen und steil richtet sie den zischenden Hals auf. Das andere Ende, lahm durch die Wunde, hält sie zurück, als sie sich mit ihren Knöcheln festschlingen und sich in ihre Glieder einrollen will: (280) Mit einem solchen Ruderwerk versuchte sich das träge Schiff zu bewegen. Dennoch setzte es die Segel und näherte sich dem Hafen mit vollen Segeln. Aeneas überreichte Sergestus die versprochene Gabe, glücklich 75 darüber, dass jener das Schiff bewahrt und die Kameraden zurückgeführt hatte. Ihm wird eine Sklavin gewährt, die sich in den Werken der Minerva auskannte und von kretischer Abstammung war: Sie hieß Pholoe und trug Zwillinge unter ihrer Brust. Nach diesem Wettstreit zog der pflichtbewusste Aeneas zu einem Wiesenfeld, welches von allen Seiten Wälder auf kurvigen Hügeln umgaben und mitten im Tal befand sich das Rund eines Theaters. Dorthin begab sich der Held mit vielen tausend Männern mitten hinein und setzte sich auf eine (290) Tribüne. Hier lud er diejenigen Gemüter, die sich vielleicht im Sprint messen wollten, ein, spornte sie durch Preise an und setzt Belohnungen aus. Von überall her kamen die Teucrer und darunter gemischt die Sicaner. Als erste kamen Nisus und Euryalus: Euryalus, auffallend durch seine schöne Gestalt, die aufgrund seiner Jugend noch frisch war, und Nisus aus treuer Liebe zu dem Jungen. Diesen folgte darauf der königliche Diores, vom ausgezeichneten Stamm des Priamus. Dem folgte zugleich Salius und Patron, von denen der eine ein Acarnane, der andere von arcadischem Blut des tegäischen Stammes war. (300) Dann folgten zwei junge Männer aus Trinacris: Helymus und Panopes, die mit Wäldern vertraut waren – sie kamen als Begleiter des älteren Acestes. Darüber hinaus folgten noch viele andere, deren Namen die Überlieferung im Dunkeln hält. Dann sprach Aeneas, der sich mitten unter ihnen befand, dieses: „Vernehmt diese Dinge mit euren Gemütern und richtet darauf eure fröhlichen Sinne: Niemand aus dieser eurer Zahl wird mir unbeschenkt von hier fortgehen. Je zwei kretische Wurfspieße werde ich geben, die durch ihr poliertes Metall funkeln, sowie eine mit Silber ziselierte Doppelaxt. Für alle wird hier diese eine Belohnung sein. Drei zusätzliche Belohnungen sollen die ersten drei empfangen und ihr Haupt wird mit einem goldgelben Ölzweig umflochten. (310) Der Erstplatzierte soll als Sieger ein durch Pferdeschmuck auffallendes Pferd erhalten. Der Zweitplatzierte soll einen amazonischen Köcher, voller thrakischer Pfeile, den ringsum ein Gürtel aus breitem Gold umfasst und den eine Gewandspange mit einem feinen Edelstein zusammenhält. Der Drittplatzierte möge mit diesem argolischen Helm zufrieden abziehen.“ Nachdem diese Dinge gesagt wurden, nahmen sie ihre Startplätze ein und als plötzlich das Startsignal vernommen wurde, verließen sie die Startschwelle und legten die Rennstrecke schleunig zurück. Die Losgelassenen waren einer Sturmwolke ähnlich. Schon fassten sie das Ziel ins Auge. Als erster zieht Nisus davon und springt in weitem Abstand vor den anderen Körpern hervor, schneller als die Winde oder der geflügelte Blitz. (320) Als nächster – wenn auch in großem Abstand, aber dennoch als Nächster – folgte ihm Salius. Darauf folgte ihm dann nach einer Lücke als dritter Euryalus. Und auf Euryalus folgte Helymus. Hinter diesem eilte dann – sieh her! – Diores. Er lag schon Ferse an Ferse und neigte sich zu der Schulter des Euryalus. Und falls noch ein paar Meter frei sein würden, könnte er vielleicht vorbeiziehen, als Erster entgleiten und den unsicheren Gegner zurücklassen. Und schon wollten die erschöpften Männer am Ende der Sprintstrecke hinter der Zielschwelle ankommen, als 76 plötzlich der unglückliche Nisus auf glattem Blut ausrutschte, da es hier zufällig, nachdem Jungstiere geschlachtet wurden, (330) auf den Boden floss und ihn über dem grünen Gras nass gemacht hatte. Hier hielt der junge Mann, der bereits als Sieger jubelte, seine strauchelnden Schritte nicht mehr auf dem Boden, wenn er auch fest auftrat, sondern er fiel vornüber in eben diesen unsauberen Unrat und in das heilige Blut. Dennoch hat er nicht Euryalus, auch nicht die Liebe zu ihm vergessen: Denn er stellte sich dem Salius in den Weg, als er sich über der glatten Stelle erhob. Jener allerdings stürzte rückwärts und fiel in den dichten Sand. Es sprang Euryalus hervor und nahm als Sieger durch das Geschenk seines Freundes den ersten Platz ein und flog förmlich durch Beifall und Jubel. Danach lief Helymus im Ziel ein sowie der jetzt dritte Sieger Diores. (340) Hier erfüllte Salius die ganze Tribüne des gewaltigen Zuschauerbereichs vor dem Angesicht der vorne sitzenden Väter mit lautem Geschrei und forderte, dass ihm die durch eine List geraubte Ehre zurückgegeben würde. Die Gunst sowie seine hübschen Tränen schützten Euryalus, der eine größere Männlichkeit ausstrahlte, die mit einem schönen Körper einherging. Es half auch, dass Diores mit lauter Stimme für Euryalus sprach, der zwar einen Palmzweig gewonnen hatte, aber vergebens für den dritten und letzten Palmzweig gekommen wäre, wenn man Salius den ersten Platz zurückgeben würde. Dann sagte der Vater Aeneas: „Eure Geschenke bleiben euch sicher, ihre Jungen, und niemand rüttelt an der Reihenfolge der Sieger. (350) Es sei mir gestattet, den unglücklichen Zufall eines unschuldigen Freundes zu bedauern.“ So sprach er und überreichte dem Salius das gewaltige Fell eines gaetulischen Löwen, welches durch seine zottigen Haare ein hohes Gewicht besaß und an welchem noch die goldenen Krallen hingen. Da sagte Nisus: „Wenn die Belohnungen für die Besiegten so groß sind und du Mitleid mit den Niedergestürzten hast, welche mir würdigen Gaben wirst du dann mir, Nisus, geben, der ich zum Lob den Kranz des Erstplatzierten verdient hätte, wenn mich nicht das gleiche feindliche Schicksal heimgesucht hätte, wie den Salius?“ Und sowie er dies gesprochen hatte, zeigte er sein Gesicht und seine Glieder, die durch den nassen Unrat beschmutzt waren. Der äußerst gütige Vater lachte ihn an und befahl, dass ein Rundschild gebracht wurde: Ein Kunstwerk des Didymaon, das von den Danaern vom heiligen Pfosten des (360) Neptuntempels weggerissen wurde. Dies schenkte er dem hervorragenden jungen Mann als vortreffliches Geschenk. Später, nachdem sie den Sprint beendet hatten und er die Schenkungen durchgeführt hatte, sagte er: „Nun, falls jemandem Tapferkeit und Mut in der Brust zugegen ist, möge er herkommen und seine Arme mit umwundenen Handflächen heben.“ So sprach er und setzte eine zweifache Ehrung für den Ringkampf an: Für den Sieger einen Jungstier, der mit Gold und Binden verhüllt war, ein Schwert und einen ausgezeichneten Helm als Trostmittel für den Besiegten. Keine Verzögerung! Sofort reckte Dares mit seinen gewaltigen Kräften seinen Kopf empor und erhob sich unter lautem Gemurmel der Männer. (370) Er war es als einziger gewohnt gegen Paris zu kämpfen und bei demselben Hügel, wo der äußerst erhabene Hector im Grabe ruhte, hatte er den siegesgewohnten Butes, der immer wieder von sich sagte, dass er aus 77 Bebrykien, vom Stamm des Amycus stammte, samt dessen gewaltigen Körper niedergeschmettert und den Sterbenden längs auf dem gelbroten Sand hingestreckt. Der so beschaffene Dares hob sein Haupt hoch zum ersten Kampf, zeigte seine breiten Schultern, prahlte, indem er abwechselnd seine Arme vorstreckte und machte Schattenboxen. Für ihn wurde ein anderer als Gegner gesucht. Und niemand aus dem so großen Zug wagte es, an den Mann heranzutreten und den Händen den Schlagriemen anzuziehen. (380) Er war also entschlossen und im Glauben, dass alle auf den Siegespreis verzichten würden, stellte er sich vor den Füßen des Aeneas auf, zögerte nicht lang, berührte dann mit seiner Linken das Horn des Stiers und sprach so: „Sohn einer Göttin, wenn es niemand wagt, sich dem Kampf anzuvertrauen, wie lange sollen wir dann herum stehen? Wie lange ziemt es sich, mich noch hinzuhalten? Ich fordere dazu auf, dass ich die Gaben wegführen darf.“ Zugleich lärmten alle Dardaner mit ihren Stimmen und forderten auf, dass dem Mann die versprochenen Gaben gewährt wurden. Jetzt wies der ernste Acestes mit diesen Worten Entellus zurecht, da er sich neben ihm auf das grünende Polster aus Gras gesetzt hatte: „Entellus, einst der tapferste aller Helden – anscheinend vergebens – (390) lässt du es etwa so geduldig zu, dass nach keinem ausgetragenen Wettstreit so große Gaben mitgenommen werden? Wo ist nun für uns jener Gott Eryx, an den man sich vergebens als Lehrmeister erinnert? Wo ist der Ruhm, der sich über ganz Sizilien ausbreitete und jene geraubte Rüstung, die in deinem Hause hängt?“ Darauf erwiderte Entellus: „Weder weicht meine Sehnsucht nach Lob, noch weicht mein Ruhm, von Furcht vertrieben. Doch mein eisiges Blut ist nämlich durch das hemmende Greisenalter matt, es sind starr die erschöpften Kräfte in meinem Körper. Wenn mir die Jugend noch zu eigen wäre, die ich einst hatte, und auf diese vertrauend der Bösewicht da jubelt, wenn ich jetzt diese Jugend hätte, (400) käme ich freilich nicht von dem Siegespreis angelockt oder aufgrund des schönen Stiers, auch würde ich nicht wegen den Gaben zögern.“ Nachdem er letztlich so gesprochen hatte, warf er zwei Schlagriemen von gewaltigem Gewicht in die Mitte, in denen der feurige Eryx für gewöhnlich seine Hand in die Faustkämpfe trug und seine Arme in hartes Leder spannte. Die Gemüter staunten: Es starrten sieben gewaltige Leder von so großen Stieren durch eingenähtes Blei und Eisen. Allen voran staunte auch Dares und sträubte sich lange. Der mutige Sohn des Anchises, Aeneas, wandte das Gewicht und selbst die gewaltigen Windungen der Seile hin und her. Dann brachte der Alte solche Worte aus seiner Brust hervor: (410) „Was wäre, wenn jemand die Schlagriemen und die Waffen des Hercules selbst gesehen hätte, sowie den finsteren Kampf an eben dieser Küste? Diese führte Eryx, dein Bruder, einst als Waffen mit sich (du siehst sie noch von Blut befleckt und mit Gehirn vermischt), mit diesen stellte er sich dem großen Alciden gegenüber, an sie war ich selbst gewöhnt, solange mir noch besseres Blut Kräfte verlieh und noch nicht das neidische Greisenalter meine beiden Schläfen grau werden ließ. Aber wenn der Trojaner Dares diese unsere 78 Waffen verweigert, und dies der pflichtbewusste Aeneas verlangt, und es der Urheber des Vorschlags, Acestes, gutheißt, wollen wir einen fairen Kampf abhalten. Dir gebe ich das Leder des Eryx – (420) befreie dich von der Furcht! – und du zieh‘ die trojanischen Kampfriemen aus.“ Nachdem er dies gesprochen hatte, warf er den doppelten Mantel von seinen Schultern und er entkleidete die kräftigen Glieder seines Körpers, seine großen Knochen und seine Oberarme und stellt sich gewaltig mitten in den Sand. Dann hob der Spross des Anchises, der Vater Aeneas, die gleichschweren Schlagriemen empor und umschlang die Handflächen der beiden mit gleicher Rüstung. Sofort standen beide aufrecht auf den Zehen und streckten unerschrocken ihre Arme zu den oben befindlichen Lüften. Sie nahmen ihre steil aufgerichteten Köpfe weit von den Schlägen zurück, es mischte sich Faust mit Faust und sie reizten einander zum Kampf. (430) Jener Dares war besser im Bezug auf die Bewegung seiner Füße und er vertraute auf seine Jugend, Entellus war kräftig durch seine Glieder und durch seine Körpermasse. Aber die müden Knie des Zitternden wankten und der erschöpfte Atem schüttelte die mächtigen Glieder. Die Männer verteilten untereinander vergebens viele Wunden, gaben immer wieder viele Schläge in die Wölbung der Körperseite und brachten aus ihrer Brust wüste Geräusche hervor. Die Hand irrte häufig zu den Ohren und zur Schläfe; die Kiefer krachten unter harten Schlägen. Da stand der schwere Entellus und ohne sich viel zu bewegen wich er nur durch das Drehen seines Körpers und durch seine wachsamen Augen den Schlägen aus. Dares irrte über diese und über jene offene Stelle zum Körper, irrte nach der Kampfeskunst über den ganzen Platz, wie jemand, der eine emporragende Stadt mit gewaltigen Steinmauern bekämpft (440) oder unter Waffen eine Bergfestung umzingelt und bedrängte ihn erfolglos in verschiedenen Anläufen. Der sich erhebende Entellus streckte ihm seine Rechte entgegen und hob sie hoch empor, Dares aber sah den von oben kommenden Schlag rasch voraus und wich mit seinem schnellen Körper entgleitend aus. Entellus vergeudete seine Kräfte gegen den Wind und schwer fiel er von sich aus mit seinem großen Gewicht heftig zu Boden, wie manchmal eine unterhöhlte Fichte entweder auf dem Berg Erymanthus niederfällt, oder im großen Idagebirge, wenn sie entwurzelt ist. (450) Die Teucrer und die sizilianische Jungmannschaft erhoben sich voller Eifer. Geschrei drang zum Himmel und als erster lief Acestes herbei, der Mitleid hatte und seinen gleichaltrigen Freund vom Boden aufhob. Doch der Held Entellus, der wegen des Falls weder zögerte noch erschreckt war, ging noch eifriger in den Kampf. Sein Zorn schürte seine Kraft. Ferner entflammten das Schamgefühl und seine eigene Tapferkeit, der er sich bewusst war, seine Kräfte und er trieb den fliehenden Dares heftig über die ganze Ebene. Bald verdoppelte er mit seiner Rechten die Schläge, bald mit der Linken. Kein Aufschub, keine Ruhe! Wie Regenwolken mit viel Hagel gegen die Dächer prasseln, so schlug und trieb mit beiden Händen der Held Entellus (460) zahlreich und mit dicht aufeinanderfolgenden Schlägen den Dares. 79 Dann ließ es der Vater Aeneas nicht mehr zu, dass die Zorneswallungen so weiter gingen und Entellus in seinem bitteren Gemüt weiterhin so wütete, sondern er bereitete dem Kampf ein Ende, entriss den erschöpften Dares unter beruhigenden Worten und sprach folgendes: „Du Unglücklicher, welcher so große Wahnsinn hat Besitz von deinem Herzen ergriffen? Spürst du nicht die fremden Kräfte und das veränderte göttliche Wirken? Weiche dem Gott!“ So sprach er und löste den Kampf mit seiner Stimme auf. Aber die treuen Kameraden führten jenen, der sich auf erschöpften Knien dahinschleppte, seinen Kopf nach beiden Seiten hin warf, dickes Blut (470) aus dem Mund spuckte und dessen Zähne mit Blut vermischt waren zu den Schiffen. Nachdem die Männer von Aeneas gerufen wurden, nahmen sie jeweils einen Helm und ein Schwert entgegen, den Palmzweig sowie den Stier ließen sie Entellus. Jetzt sagte der Sieger, der übrig blieb, mit stolzem Gemüt auch aufgrund des Stieres: „Sohn der Göttin und ihr, Teucrer, erkennt diese beiden Dinge: Sowohl welche Kräfte auch mir im noch jugendlichen Körper zu Eigen waren und vor welchem Tod ihr Dares errettet habt.“ So sprach er und stand vor dem Gesicht des ihm gegenüber befindlichen Jungstiers, der als Siegespreis für den Kampf dastand und schwang (480) steil die harten Kampfriemen, nachdem er mit der Rechten ausgeholt hatte, mitten in dessen Gehörn. Er schlug den Schädel in das aufgebrochene Gehirn. Der Stier wurde niedergeworfen und fiel zitternd tot zu Boden. Jener, der über dem Rind stand, stieß solche Worte aus seiner Brust hervor: „Diese bessere Seele zahle ich dir, Eryx, anstelle des Todes von Dares. Hier stelle ich als Sieger die Kampfriemen und Kampfkunst zurück.“ Unverzüglich lud Aeneas diejenigen zum Wettstreit mit den schnellen Pfeilen ein, die zufällig wollten und nannte Siegesprämien. Mit seiner gewaltigen Hand richtete er den Mast des Schiffes des Serestus auf und nachdem er das Tau hinübergeworfen hatte auch eine geflügelte Taube, wohin sie den Pfeil schießen sollten. Sie hing vom hohen Mast. (490) Die Männer kamen zusammen und ein eherner Helm nahm die herab geworfenen Lose auf. Der erste Versuch ging unter Applaus allen voran an Hippocoon, Sohn des Hyrtacus. Es folgte ihm gerade Mnestheus der Sieger in der Seeschlacht – Mnestheus, der mit einem grünen Ölbaumzweig umkränzt war. Der dritte war Eurytion, dein Bruder, oh teuerster Pandarus, der du, weil es dir einst befohlen wurde, das Bündnis zu brechen, als erste den Pfeil mitten in die Achiver geschleudert hast. Als letzter, mit seinem Los tief unten im Helm, siedelte sich Acestes an, er wagte es und versuchte mit seiner eigenen Hand am Wettkampf der jungen Männer teilzunehmen. (500) Dann krümmte ein jeder Mann mit aller Kraft die gebogenen Bogen vor sich und holte die Pfeile aus den Köchern. Als erster durchschnitt mit zischender Bogensehne über den Himmel fliegend der Pfeil des jungen Hippocoon die geflügelten Lüfte. Er kam an und bohrte sich vorn in den Mastbaum. Der Mast erzitterte und der erschreckte Vogel zuckte mit seinen Flügeln. Alle polterten mit gewaltigem Beifall. Dann blieb der eifrige Mnestheus mit gespanntem Bogen stehen, während er nach oben zielte, und hielt zugleich die Augen 80 und den Pfeil auf das Ziel. Aber der bejammernswerte Mann (510) vermochte nicht den Vogel mit seinem Pfeil zu berühren. Er zerriss die Knoten und die Fessel aus Leinen, an welchen die Taube, am Fuß gefesselt, vom hohen Mast herabhing. Jene, die in die Winde floh, flüchtete in eine schwarze Wolke. Dann rief Eurytion schnell seinen Bruder in einem Gebet an, nachdem der Bogen schon lange breit war und er den gespannten Pfeil hielt. Schon traf er die Taube unter der schwarzen Wolke, die er bereits am freien Himmel beobachtet hatte und die froh mit ihren Flügeln schlug. Sie fiel tot zu Boden, ließ ihr Leben zwischen den himmlischen Sternen zurück und brachte, nachdem sie herabgefallen war, den in ihr steckenden Pfeil zurück. Nachdem der Siegespreis also verloren war, blieb als einziger Acestes übrig, (520) der dennoch seinen Pfeil in die himmlischen Lüfte spannte, während er als Vater seine Kunstfertigkeit zeigte und den klingenden Bogen vor sich streckte. Hier zeigte sich plötzlich ihren Augen ein Wunder, das von großer Bedeutung sein sollte. Dies lehrte später der gewaltige Ausgang und erst spät prophezeiten die Schrecken erregenden Seher ihre Weissagungen. Denn während der Pfeil durch die klaren Wolken flog, fing er Feuer, er bezeichnete seine Flugbahn mit den Flammen und nachdem er sich erschöpft hatte, entschwand er in die dünnen Winde, wie oftmals fliegende Sterne, die sich von ihrer Position gelöst haben, den Himmel durcheilen und einen Schweif hinter sich herführen. (530) Die Siziler und die Teucrer hielten mit ihren erstaunten Gemütern inne, und beteten zu den Göttern. Auch Aeneas lehnte das sehr große Vorzeichen nicht ab, sondern umarmte den heiteren Acestes, überhäufte ihn mit großen Geschenken und sprach solches: „Nimm, Vater, denn der große König des Olymp wollte dich als Auserwählter unter derartigen Vorzeichen zu solchen Ehrungen führen. Du wirst dieses Geschenk des alten Anchises selbst erhalten, ein mit Reliefs verzierter Mischkrug, den einst der Thraker Cisseus meinem Vater Anchises im Rahmen eines großen Geschenks als Erinnerung an ihn und als Pfand seiner Liebe mitgegeben hatte.“ Nachdem er so gesprochen hatte, umgürtete er Acestes‘ Schläfen mit grünem Lorbeer (540) und nannte ihn allen voran als Sieger. Der gute Eurytion missgönnte ihm seine vorgezogene Ehrung nicht, obwohl er als einziger den Vogel vom hohen Himmel geholt hatte. Als nächster schritt derjenige zu den Siegesgaben, der die Fessel zerrissen hatte, als letzter derjenige, der mit dem Pfeil den Mast, an dem der Vogel hing, getroffen hatte. Doch der Vater Aeneas rief, als der Wettkampf noch nicht ganz vorbei war, den Wächter und Begleiter des noch nicht erwachsenen Iulus zu sich –den Sohn des Epytus und sprach so in sein treues Ohr: „Geh nun los und sag Ascanius, dass wenn er schon seine knabenhafte Schar bereit und bei sich hat und die Laufbahn der Pferde zuweist, dann soll er seinem Großvater zu Ehren die Schwadron (550) mitführen und sich in Waffen zeigen.“ So sprach er. Er selbst befahl, dass das ganze Volk, das sich in die Mitte ergossen hatte, in den großen Kreis zurückwich und dass das Feld leer stünde. Die Jungen ritten in die Mitte und in gleicher Weise glänzten sie vor dem Antlitz der Väter auf den 81 gezügelten Pferden. Die ganze Jugend Siziliens und Trojas bewunderte und bejubelte die Reiter. Allen wurde nach der Tradition ein Kranz mit geschorenem Laub auf das Haar gedrückt. Sie trugen je zwei Lanzen aus Holz vom Kornelkirschbaum, die eine eiserne Spitze hatten, ein Teil trug auf den Schultern geglättete Köcher. Ganz oben an der Brust trugen sie am Hals einen biegsamen Ring aus gewundenem Gold. (560) Drei Reiterschwadronen an der Zahl und drei Führer streiften umher. Zweimal sechs Jungen folgen jeweils ihrem Führer und glänzen im geteilten Zug, mit jeweils einem Vorgesetzten auf Augenhöhe. Eine Kampfreihe der jungen Männer, die der kleine Priamus jubelnd führte, der den Namen seines Großvaters geerbt hatte: Dein berühmter Sohn, Polites, derjenige, welcher das Italervolk vermehren wird. Diesen trug ein thrakisches, zweifarbiges Pferd, das weiß gefleckt war, während es weiße Merkmale am vordersten Huf und steil aufragend seine weiße Stirn zeigte. Der andere Junge war Atys, von welchem die latinischen Atier ihr Geschlecht herleiten, der kleine Atys, der von Iulus geschätzte Junge. (570) Als letzter und allen voran als schönster ritt Iulus auf einem sidonischen Pferd, das ihm die aufrichtige Dido als Erinnerung an sie und als das Pfand ihrer Liebe gegeben hatte. Die übrige Jungmannschaft wurde von sizilischen Pferden, des schon älteren Acestes getragen. Die Dardaner nahmen die Ängstlichen mit Beifall auf und freuten sich, während sie jene betrachteten und sie erkannten in ihnen das Antlitz ihrer Vorfahren. Nachdem die fröhlichen Zuschauer die ganze Versammlung sowie die Augen der Ihren auf den Pferden gemustert hatten, gab der Sohn des Epytus für die Startklaren unter Geschrei weithin das Zeichen und ließ sich mit seiner Peitsche hören. (580) Jene ritten in gleichem Verhältnis auseinander und nachdem sie in drei Zügen getrennt waren, lösten sie den Reigen auf. Nachdem sie erneut gerufen wurden, machten sie kehrt und erhoben die feindlichen Waffen gegeneinander. Dann begannen andere Läufe und Gegenläufe, die in Abständen entgegen gerichtet waren. Sie behinderten sich gegenseitig Kreis um Kreis ziehend und richteten das Abbild eines Kampfes unter Waffen an. Und bald waren die Rücken bei der Flucht entblößt, bald wandten sie die feindlichen Lanzenspitzen, bald eilten sie ebenbürtig einher, nachdem sie Frieden geschlossen hatten. Wie einst hoch oben auf der Insel Kreta das Labyrinth einen Weg, der mit finsteren Wänden zusammengefügt war, sowie eine zweideutige List aufwies, die aus (590) tausend Wegen bestand, wo der unmerkliche und unumkehrbare Irrweg die Wegzeichen zunichte machte: Genauso verwickelten die Söhne der Teucrer ihre Spuren im selben Irrlauf und verknüpften Flucht und Gefecht mit dem Spiel. Sie glichen Delphinen, die, während sie durch die nassen Meere schwammen, das karpatische vom libyschen Meer trennten. Diesen Brauch des Pferdelaufs und diese Wettbewerbe wiederholte als erster Ascanius, als er die Stadt Alba Longa mit Mauern umgab, und lehrte die früheren Latiner sie zu feiern, so, wie er sie als Junge selbst gefeiert hatte, so wie sie mit ihm die trojanische Jungmannschaft gefeiert hatte. Die (600) Einwohner Albas lehrten wiederum ihre 82 Nachkommen. Von da an nahm sie die erhabenste Stadt Rom an und bewahrte die Ehrungen der Ahnen. Nun werden die Jungen ‚Troja‘ genannt und ihr Zug der ‚trojanische‘. Bis hierher wurde der Wettstreit zu Ehren des heiligen Vaters gefeiert. Von da an veränderte sich das Schicksal zum ersten Mal und brach die Treue. Als die Männer dem Grabhügel des Anchises zu Ehren die Feierlichkeiten mit den verschiedenen Spielen abhielten, schickte Iuno, die Tochter des Saturns, Iris vom Himmel zur trojanischen Flotte und hauchte ihr günstige Winde zu. Viele Dinge bedachte sie, denn sie hatte den alten Schmerz noch nicht überwunden. Iris, die sich beeilte lief über einen tausendfarbigen Regenbogen auf ihrem schnellen Pfad für (610) keinen sichtbar und als Jungfrau getarnt nach unten. Sie erblickte einen gewaltigen Zusammenlauf und musterte die Gestade. Sie sah verlassene Häfen und die zurückgelassene Flotte. Doch in der Ferne beweinten die getrennten Trojanerinnen allein für sich den Verlust des Anchises und alle blickten weinend auf das tiefe Meer. Alle hatten die gleiche Klage: „Oh, so viele Fluten, ein so großes Meer bleibt den Erschöpften noch!“ Sie baten um eine Stadt, sie waren es leid die Strapazen des Meeres zu ertragen. Also begab sie sich mitten unter sie – sie war nicht unerfahren, wenn es darum ging, jemandem Schaden zuzufügen – und legte Gestalt und Kleidung einer Göttin ab. (620) Sie wird zu Beroe, der hochbetagten Gattin des tmarischen Doryclus, der einst einen Stamm, einen Namen und Söhne hatte, und begab sich so mitten unter die Mütter der Dardaner. „Oh wir Elende, die uns die griechische Schar nicht in den Tod unter den Mauern unserer Heimat geführt hat! Oh unglücklicher Stamm, für welches Verderben spart dich Fortuna noch auf? Es ist schon der siebte Sommer seit dem Untergang Trojas, seit wir über die Meere, über alle Ländereien, durch so viele ungastlichen Steinwüsten vorbei und durch so viele Gegenden auf unserer Fahrt geeilt sind, während wir über das große Meer nach Italien folgten, das immer wieder vor uns flüchtet und wir von den Wellen hin und her gewälzt wurden. (630) Hier ist das Gebiet des Bruders Eryx und hier ist der Gastfreund Acestes: Wer hindert uns, Mauern aufzustellen und den Bürgern eine Stadt zu geben? Oh Heimat und Penaten, die ihr vergebens aus Feindes Hand gerissen wurdet, werden nun etwa keine Stadtmauern mehr die ‚Mauern Trojas‘ genannt? Werde ich nirgends wieder die Ströme Hectors, den Xanthus sowie den Simois, sehen? Also los, verbrennt mit mir die unheilvollen Schiffe! Denn mir erschien im Traum das Abbild der Seherin Cassandra, das mir brennende Fackeln gab: ‚Sucht hier nach Troja! Hier ist eine Wohnstätte für euch.‘ sagte sie. ‚Schon ist es Zeit, die Sache durchzuführen. Es gibt bei so großen Vorzeichen keinen Aufschub! Siehe die vier Altäre (640) für Neptun! Der Gott selbst unterstützt euch mit Fackeln und mit Mut.‘“ Während Iris dieses sprach, ergriff sie als erste energisch das feindliche Feuer. Nachdem sie ihre rechte Hand weit erhoben hatte, schwang sie diese angestrengt und warf. Die Gemüter der Trojanerinnen waren erregt und ihre Herzen waren verblüfft. Jetzt sagte eine von ihnen, Pyrgo, 83 welche die größte und die königliche Amme von so vielen Priamussöhnen war: „Das ist vor euch nicht Beroe, dies ist nicht die Frau aus Troja, Mütter, nicht die Gattin des Doryclus, erkennt die Zeichen ihrer göttlichen Würde und ihre brennenden Augen, welcher Geist sie beseelt, welche Gesichtszüge und welcher stimmliche Klang oder welche Gangart sie hat, die da einher geht. (650) Ich selbst habe sie, nachdem sie weggegangen war, krank zurückgelassen, während sie sich darüber entrüstete, dass sie als einzige von derartigen Gaben ausgeschlossen sei und Anchises nicht die verdienten Ehrungen darbringen konnte.“ Dies sprach sie. Doch anfangs blickten die zwischen der unglücklichen Liebe zu dem gegenwärtigen Land und dem vom Schicksal verheißenen Königreich schwankenden Mütter noch unentschieden und mit böswilligen Augen zu den Schiffen, als sich plötzlich die Göttin mit gleichmäßigen Flügelschlägen gen Himmel erhob und auf ihrer Flucht einen gewaltigen Regenbogen unter den Wolken durchflog. Dann aber (660) schrien die durch diese Wunder erstaunten und von Raserei getriebenen Frauen, rissen das Feuer aus dem Inneren der Herde, ein Teil plünderte die Altäre, warfen Laub, Sträucher und Fackeln. Volcanus wütete zügellos über die Ruderbänke, die Ruder und die bunten Schiffshecks aus Tannenholz hinweg. Die Botschaft über die angezündeten Schiffe brachte Eumelus zu dem Grabhügel des Anchises und zu den Sitzreihen des Theaters und die Männer sahen selbst die finstere Asche, die sich zu einer Wolke ballte. Und als erster eilte Ascanius, der eben noch heiter den Pferdelauf anführte, ebenso eifrig auf seinem Pferd zu dem bestürzten Lager. Seine Lehrmeister, die außer Atem waren, konnten ihn nicht zurückhalten. (670) „Was ist das da für eine neue Raserei? Wohin jetzt – wohin strebt ihr“, sagte er, „ach ihr unglücklichen Bürgerinnen? Ihr verbrennt nicht den Feind oder das feindlich gesinnte Lager der Argiver, sondern eure Hoffnung! Seht, ich bin euer Ascanius!“ Er warf den unnützen Helm, mit dem er im Spiel, als er ihn trug, einen Scheinkrieg anrichtete, vor ihre Füße. Gleichzeitig eilten Aeneas sowie der Zug der Teucrer herbei. Doch jene Frauen flohen in ihrer verschiedenartigen Furcht weit und breit über die Küste in alle Richtungen und eilten verstohlen in die Wälder und wenn möglich in Felshöhlen. Es verdrießte sie ihre Unternehmung und das Tageslicht. Die umgestimmten Frauen erkannten die Ihren und Iuno war aus ihren Herzen ausgestoßen. (680) Doch deshalb legten die Flammen und Brände ihre ungezähmten Kräfte nicht ab. Unter dem nassen Hartholz lebte das Werg, welches trägen Rauch spie, träger Dunst fraß sich in die Schiffe und das Unheil durchzog die ganze Flotte. Auch die Kräfte der Helden sowie das Löschwasser halfen nichts. Dann riss der pflichtbewusste Aeneas seinen Umhang von den Schultern, rief die Götter um Hilfe an und streckte seine Handflächen aus: „Allmächtiger Jupiter, wenn du noch nicht den Trojanern gegenüber allesamt voller Hass bist, wenn irgendein altehrwürdiges Pflichtgefühl die menschlichen Strapazen beachtet, dann lass den Brand (690) nun die Flotte verlassen, Vater, und entreiße den dürftigen Besitz der 84 Teucrer dem Tod. Oder schicke, was noch übrig bleibt, mit einem feindlichen Blitz in den Tod, wenn ich es verdiene, und richte uns mit deiner Rechten zugrunde.“ Kaum hatte er dies von sich gegeben, als plötzlich ein finsterer Sturm entfesselt mit einem Platzregen wütete und die Ländereien sowie die Felder durch die heftigen Donnerschläge erzitterten. Vom ganzen Himmel stürzte der stürmische Regen, der tiefschwarz durch das Wasser und die Südwinde war. Von oben her wurden die Schiffe vom Regen erfüllt und das halbverbrannte Holz wurde triefend nass, solange bis die ganze Hitze gelöscht und alle Schiffe bis auf vier vor dem Unheil bewahrt waren. (700) Doch der Vater Aeneas wälzte, aufgrund des bitteren Schicksalsschlages erschüttert, gewaltige Sorgen in seinem Gemüt bald hierhin, bald dorthin und wog ab, ob er sich etwa auf den sizlischen Fluren niederlassen sollte, die Weisungen der Götter vergessend, oder zügig die Küsten Italiens ansteuern sollte. Dann antwortete der alte, hervorragende Nautes, den als einzigen die Göttin Minerva mit viel Kunstfertigkeit ausstattete: Teils kündigte er an, um welchen großen Zorn der Götter es sich handelte, teils was die Ordnung der Göttersprüche forderte. Dieser also sprach Aeneas mit folgenden Worten tröstend an: „Sohn einer Göttin, wohin uns die Göttersprüche ziehen und zurückziehen, dahin wollen wir folgen! (710) Was es auch immer sein wird, jedes Schicksal ist durch Ertragen zu überwinden. Du hast den Dardaner Acestes, von göttlichem Stamm: Nimm ihn als Verbündeten in deinen Plänen und verbinde dich mit dem Willigen! Übergib ihm diejenigen Männer und Frauen, die aufgrund der verlorenen Schiffe zu viel sind und die des großen Unternehmens und deiner Bestimmungen überdrüssig sind. Die hochbetagten, alten Männer sowie die vom Meer erschöpften Mütter und was auch immer bei dir krankes und gefahrenscheues ist, wähle es und lass die Erschöpften auf dieser Erde eine Stadt haben. Sie werden die Stadt, wenn der Name erlaubt wird, Acesta nennen.“ Durch derartige Worte seines alten Freundes entbrannt, wurde er (720) dann aber im Hinblick auf die ganzen Sorgen im Geist auseinandergezogen. Die finstere Nacht hielt, nachdem sie mit ihrem Zweigespann hinaufgefahren war, das Himmelsgewölbe besetzt. Nun erschien die herabgeglittene Gestalt seines Vaters Anchises, wie sie plötzlich folgende Worte hervorbrachte: „Mein Sohn, der du mir einst teurer warst, als mein Leben, solange ich noch ein Leben hatte, Sohn, du durch Trojas Schicksal geplagter, ich komme hierher auf Jupiters Befehl, der das Feuer von der Flotte trieb und vom hohen Himmel endlich Mitleid hat. Befolge den Rat, den dir jetzt der vortreffliche, alte Nautes gibt: (730) Bringe ausgewählte junge Männer mit äußerst tapferen Herzen hinüber nach Italien. In Latium gibt es für dich ein hartgesottenes und im Hinblick auf seine Lebensweise raues Volk, das du bekämpfen musst. Gehe dennoch vorher zu den unterirdischen Wohnstätten des Dis und strebe über den Tiefen des Avernus ein Treffen mit mir an, Sohn. Denn mich besitzt nicht der ruchlose Tartarus und die traurigen Schatten, sondern ich bewohne die süßen Versammlungen der 85 Pflichtbewussten sowie das Elysium. Hierhin wird dich die keusche Sibylle für viel Blut von schwarzen Schafen führen. Dann wirst du dein ganzes Volk kennen lernen und lernen, welche Stadt dir gewährt werden wird. Nun lebe wohl. Die feuchte Nacht wendet über die Mitte ihrer Kreisbahn und der wilde Morgen hat mich mit seinen schnaubenden Pferden angeweht.“ (740) So sprach er und flüchtete wie der Rauch in die dünnen Lüfte. Aeneas sagte: „Wohin stürzt du anschließend? Wohin eilst du? Vor wem flüchtest du? Oder wer hält dich von unserer Umarmung ab?“ Während er dies sprach, fachte er das schwache Feuer und die Asche an und verehrte demütig den trojanischen Lar, das Heiligtum der altehrwürdigen Vesta mit frommem Dinkel und reichlich Weihrauch. Sofort holte er seine Kameraden und als ersten Acestes herbei, belehrte sie über Jupiters Befehl, über die Vorschriften seines teuren Vaters und darüber, welcher Entschluss nun in seinem Gemüt feststand. Es gab keinen Aufschub für Beratungen. Acestes verweigerte sich den Befehlen nicht. (750) Sie überschrieben die älteren Frauen der Stadt und setzten diejenigen des Volkes, die wollten und nicht nach großem Ruhm strebten, ab. Sie erneuerten die Ruderbänke und ersetzten das von den Flammen halbverzehrte Hartholz in den Schiffen, sie glichen die Ruder und die Taue an. Die Männer waren nur noch wenige an der Zahl doch im Krieg waren sie die lebendige Virtus. Inzwischen bezeichnete Aeneas die Umrisse der Stadt mit einem Pflug und man loste die Wohnungen aus. Er befahl, das dies Ilium und jene Gebiete Troja sein sollten. Der Trojaner Acestes freute sich über seine Königsherrschaft, bestimmte das Forum und nachdem er die Ältesten zusammengerufen hatte, stellte er Gesetze auf. Dann wurde das den Sternen benachbarte Heiligtum auf dem Gipfel des Eryx für die idalische Venus (760) gegründet und für das Grab des Anchises wurde ein Priester sowie weitum ein heiliger Hain hinzugefügt. Und schon hatte das ganze Volk neun Tage lang gespeist. An den Altären wurden die Ehrungen abgehalten. Günstige Winde glätteten die Meeresoberfläche und erneut rief häufig der Südwind, der die Männer anwehte, auf das hohe Meer hinaus. An der kurvigen Küste entstand ein gewaltiges Schluchzen. Während sich die Menschen gegenseitig im Arm hielten verweilten sie eine Nacht und einen Tag. Nun wollten selbst die Mütter und diejenigen, denen das Antlitz des Meeres rau und schon das Wort allein unerträglich schien, mitgehen und die ganze Strapaze der Flucht erdulden. (770) Diese tröstete der gütige Aeneas mit freundschaftlichen Worten und vertraute sie unter Tränen seinem Verwandten Acestes an. Anschließend befahl er, dass drei Kälber für den Gott Eryx, ein Lamm für die Sturmgötter geschlachtet, und dass der Reihe nach die Taue gelöst wurden. Er selbst stand fern auf dem Bug – sein Haupt mit Blättern eines geschorenen Ölbaumzweiges umwunden – und hielt eine Opferschale. Er warf Eingeweide in die Salzflut und vergoss klaren Wein. Im Wettstreit eilten die Kameraden aufs Meer und fegten mit ihren Rudern die Meeresoberfläche. Der sich erhebende Wind folgte vom Heck aus den Fahrenden. 86 Doch inzwischen (780) sprach die von Sorgen geplagte Venus Neptun an und brachte derartige Klagen aus ihrer Brust hervor: „Der schwerwiegende Zorn der Iuno sowie ihre unersättliche Rachgier zwingen mich, Neptun, mich auf all die Bitten einzulassen. Weder ein langer Tag noch irgendein Pflichtgefühl besänftigen sie, nicht einmal durch Jupiters Befehl und seine Schicksalssprüche gebrochen ruht sie. Es ist nicht genug, dass die Stadt mitten aus dem Volk der Phryger durch unsäglichen Hass zerstört wurde auch nicht, dass die Überreste Trojas die ganze Strafe erdulden mussten. Sie verfolgt selbst noch die Asche und die Gebeine der zerstörten Stadt! Sie allein möge die Gründe für die so große Raserei kennen. Du selbst bist mir ein Zeuge, (790) wie sie neulich in den libyschen Gewässern plötzlich eine große Masse in Bewegung gesetzt hat: Sie hat das ganze Meer mit dem Himmel vermischt, vergebens vertrauend auf die Stürme des Aeolus: Denn dies wagte sie in deinem Königreich! Sieh, sie verbrannte sogar die Schiffe, nachdem sie die trojanischen Mütter auf den Pfad des Verbrechens getrieben hatte und zwang die Männer dazu ihre Kameraden der fremden Erde zu überlassen, weil sie ihre Flotte verloren hatten. Als letztes soll erlaubt sein – so bitte ich dich – dir die sicheren Segeln auf den Wogen anzuvertrauen und dass sie den laurentischen Thybris erreichen, sofern ich dich um Dinge bitte, die ihnen zugestanden werden, sofern die Parzen ihnen diese Stadt gewähren.“ Dann brachte der Sohn des Saturns, Bändiger des tiefen Meeres diese Worte hervor: (800) „Es entspricht völlig dem göttlichen Recht, Cyntherea, dass du dich meinem Königreich anvertraust, woher du stammst. Auch habe ich es verdient. Oft habe ich die Rasereien und die so große Wut des Himmels und des Meeres unterdrückt. Und mir war auf Erden dein Aeneas nicht weniger wichtig, dafür rufe ich den Xanthus und den Simois als Zeugen an. Als Achilles, indem er die atemlosen Scharen der Trojaner verfolgte die Heereszüge an die Mauern trieb, und viele tausende dem Tod übergab, als die leichengefüllten Ströme seufzten, Xanthus keinen Weg mehr finden und nicht mehr ins Meer fließen konnte, habe ich damals Aeneas, der mit dem tapferen Peleussohn zusammengetroffen und ihm weder an Göttergunst noch an Kräften ebenbürtig war,(810) in einer Wolke eingehüllt entrissen, obwohl ich wünschte, die mit meinen eigenen Händen errichteten Mauern des meineidigen Trojas von Grund auf zu vernichten. Auch jetzt bin ich derselben Einstellung, vertreibe deine Furcht. Aeneas wird in die sicheren Häfen des Avernus einlaufen, die du dir wünschst. Nur einer wird es sein, den du, weil er verloren, im Meeresstrudel suchen wirst. Ein Leben wird man anstelle von vielen Leben gewähren.“ Sobald er das nun heitere Gemüt der Göttin mit diesen Worten beruhigt hatte, verband der Schöpfer seine Pferde mit Gold, gab das schäumende Zaumzeug hinzu und ließ mit seinen Händen den wilden Pferden die ganzen Zügel schießen. Leicht flog er mit seinem bläulichen Wagen über die oberste Meeresflut. (820) Die Wogen senkten sich, unter dem donnernden Himmelsgewölbe glättete sich die 87 Meeresoberfläche mit ihren Wassern, es flohen am weiten Himmel die Regenwolken. Dann erschienen die verschiedene Gestalten seiner Begleiter: gewaltige Meerungeheuer, auch der alte Reigen des Glaucus, der Sohn der Ino Palaemon, die schnellen Tritonen sowie das ganze Heer des Phorcus. Auf der linken Seite sind Thetis, Melite und die Jungfrau Panopea, Nisaee, Spio, Thalia sowie Cymodoce. Jetzt stellten schmeichelhafte Freuden das angespannte Gemüt des Vaters Aeneas abwechselnd auf die Probe. Er befahl, dass rasch alle Mäste emporgerichtet werden und dass die Rahen für die Segel angespannt werden. (830) Alle segelten gemeinsam mit halben Wind und lösten gleichzeitig bald links, bald rechts den faltigen Bausch des Segels. Gemeinsam wandten sie die steilen Segelstangen in verschiedene Richtungen. Die Flotte eilte durch für sie günstige Winde dahin. Als erster, allen voran führte Palinurus den dichten Konvoi an. Den anderen wurde befohlen in seine Richtung zu eilen. Und schon hatte die feuchte Nacht ungefähr den mittleren Punkt ihrer Himmelsbahn erreicht, die Glieder lockerten sich in sanfter Ruhe, unter den Rudern lagen die Seemänner verstreut über den harten Sitzbänken, als der leichte Schlaf von den himmlischen Sternen herabglitt, sich seinen Weg durch die finstere Luft bahnte und die Schatten vertrieb. (840) Zu dir, Palinurus, eilte er. Dir Unschuldigem brachte er traurige Träume. Der Traumgott setzte sich auf das hohe Heck und dem Phorbas ähnlich brachte er aus seinem Mund diese Worte hervor: „Sohn des Iasius, Palinurus, die Wogen selbst tragen die Flotte, es wehen gleichmäßige Winde, die Stunde wird der Ruhe gewährt. Lege dein Haupt nieder und entziehe deine müden Augen der Arbeit. Ich selbst werde ein Weilchen für dich deine Aufgabe übernehmen.“ Diesem antwortete Palinurus, der kaum seine Augen erhob: „Befiehlst du etwa, dass ich die Miene des sanften Salzmeeres und die ruhigen Fluten plötzlich nicht mehr kenne, dass ich diesem Ungeheuer vertraue? (850) Soll ich Aeneas (was nämlich?) den täuschenden Winden anvertrauen, der ich so oft durch eine Täuschung des heiteren Himmels betrogen wurde? Solche Worte sagte er am Steuerruder festhaltend. So verharrte er und niemals ließ er es los. Die Augen hielt er zu den Sternen gerichtet. Sieh, der Gott schüttelte einen Zweig, der vor lauter Lethetau feucht war und durch die Kraft des Styx einschläfernd wirkte, über beide Schläfen des Palinurus und erlöste die schwankenden Augen des zögernden Mannes. Kaum hatte die plötzliche Ruhe die ersten Glieder gelockert, da beugte sich der Gott über ihn und warf ihn mit einem losgerissenen Teil des Schiffshecks und mit dem Steuerrad in die klaren Wellen. (860) Der kopfüberfallende Mann rief oft, aber vergebens nach seinen Kameraden. Der Traumgott brach fliegend mit seinen Schwingen in die dünnen Lüfte auf. Die Flotte segelte nicht anders auf ihrem sicheren Weg über das Meer und gemäß den Versprechen des Vaters Neptun wurde sie ohne Schrecken vom Wasser getragen. Und schon kam sie auf ihrer Fahrt zu den Felsen der Sirenen, die einst schwierig und weiß durch die Gebeine von vielen Menschen waren (nun rauschten die Felsen dumpf und weither durch die stetige Salzflut), als 88 Aeneas fühlte, dass die Flotte auf dem Meer umhertrieb, nachdem sie ihren Steuermann verloren hatte. Er selbst lenkte das Schiff auf den nächtlichen Wogen, während er viel seufzte, und im Geiste war er erschüttert über das Schicksal seines Freundes. (870) „Oh Palinurus, der du dem Himmel und dem heiteren Meer allzu sehr vertraut hast, wirst nackt an einem fremden Strand liegen.“ Buch 6 So sprach er unter Tränen, ließ die Zügel für die Flotte schießen und endlich landeten sie an der euböischen Küste von Cumae. Die Schiffe wandten ihren Bug dem Meer zu. Dann befestigte der Anker mit seinem festhaltenden Haken nach und nach die Schiffe und die rundlichen Schiffshecks säumten die Küste. Die Schar der jungen Männer springt begehrend an die Küste Hesperiens. Ein Teil suchte nach in den Adern der Feuersteine verborgenen Feuerfunken, ein anderer Teil stürzte sich in die dichten Behausungen der wilden Tiere, die Wälder, und zeigt den anderen aufgefundene Flüsse. Aber der pflichtbewusste Aeneas eilte zu den Berggipfeln, welchen der erhabene Apollo (10) vorsteht und fern in die Abgeschiedenheit, zur gewaltigen Höhle der Furcht erregenden Sibylle, welcher der Orakelgott Delius einen großen Verstand und großen Geist einhaucht und die Zukunft eröffnet. Schon näherten sie sich den Hainen der Trivia sowie den goldenen Dächern. Daedalus, so geht die Sage, der vor dem minoischen Königreich floh, wagte es sich mit geflügelten Schwingen dem Himmel anzuvertrauen, flog auf ungewohnter Route zu den eisigen Bären und kam schließlich sanft auf der chalkidischen Berghöhe zum Stehen. In diesen Ländereien gelandet weihte er zuerst dir, Phoebus, sein geflügeltes Ruderwerk und errichtete dir eine gewaltige Tempelanlange. (20) Auf den Türen ist der Tod, der Androgeus ereilte, zu sehen. Dann waren die Cecropiden zu sehen, (die Armen!) denen befohlen wurde als Strafe jedes Jahr sieben Kindesleiber zu opfern. Dort stand die Urne, nachdem die Lose gezogen waren. Auf der anderen Seite lag entsprechend die Insel Kreta, die sich aus dem Meer erhob. Hier war die grausame Liebe zum Stier dargestellt, sowie die heimlich untergeschobene Pasiphae, der Zwittersprössling, der zweigestaltige Nachkomme Minotaurus, als Denkmäler der unsäglichen Liebeslust, hier jenes Haus und die dazugehörige Strapaze sowie der unentrinnbare Irrgarten. Doch Daedalus selbst erbarmte sich der großen Liebe der Königstochter und löste die List und die Irrwege des Hauses auf, indem er seine orientierungslosen Schritte mit einem Faden lenkte. (30) Auch du, Ikarus, hättest in dem so großen Werk einen Platz, wenn es der Schmerz zugelassen hätte. Zweimal versuchte er, dein Unglück in Gold zu prägen, zweimal fielen dem Vater die Hände herab. Ja, sie hätten mit ihren Augen unverzüglich alle Darstellungen durchstreift, wenn nicht bereits der vorausgeschickte Achates gemeinsam mit der Priesterin des Phoebus und der Trivia, Deiphobe, Tochter des Glaucus zur Stelle gewesen wäre. Die Priesterin sagte dem König folgendes: „Es ist nicht 89 die Zeit, die Darstellungen zu betrachten. Jetzt wäre es vordringlich aus einer unversehrten Herde sieben junge Stiere zu schlachten und ebenso viele gemäß dem Brauch ausgewählte Schafe.“ (40) Nachdem sie mit solchen Worten Aeneas angesprochen hatte (und die Männer säumten nicht, die befohlenen Opfer zu leisten) rief die Priesterin die Teucrer in die erhabene Tempelanlage. Eine Seite des euböischen Felsens war zu einer gewaltigen Höhle herausgehauen, wo hundert breite Eingänge hineinführten, hundert Mündungen, woraus ebenso viele Stimmen drangen, Antworten der Sibylle. Man hatte die Schwelle erreicht, als die Jungfrau sprach: „Es ist Zeit, die Göttersprüche zu forden. Der Gott – siehe! Der Gott!“ Der vor den Toren solches sprechenden Seherin verblieb keine Mimik mehr, keine einzige Gesichtsfarbe, kein Haar verblieb mehr, wie es gekämmt wurde. Sondern die keuchende Brust und das vor Raserei wilde Herz waren geschwollen. Sie schien größer und klang (50) nicht mehr sterblich, als sie von der schon näheren Macht des Gottes angeweht wurde. Sie sagte: „Zögerst du mit Gelübden und Gebeten, Trojaner Aeneas? Zögerst du? Denn vorher tun sich die großen Schlünde der betäubten Wohnstätte nicht auf.“ Und nachdem sie solches gesagt hatte, verstummte sie. Den Teucrern lief eisiges Grausen durch ihre harten Gebeine. Der König brachte aus tiefster Brust diese Gebete hervor: „Phoebus, der du dich immer den beschwerlichen Strapazen der Trojaner erbarmt hast, der du die dardanischen Waffen des Paris und seine Hand gegen den Körper des Aeciden gelenkt hast: Ich habe so viele Meere, die große Länder umspülen, unter deiner Führung befahren, gänzlich die verborgenen Stämme der (60) Massyler bereist und bei den Syrten die vorgelagerten Fluren. Hoffentlich ist Trojas Schicksal nur bis hier her gefolgt. Es ist ein göttliches Recht, dass auch ihr das Volk Pergamons verschont, ihr alle Götter und Göttinnen, denen Ilium und der gewaltige Ruhm der Dardaner im Wege stand. Auch du, oh allerheiligste Seherin, die du über die kommenden Dinge bescheid weißt, gewähre, dass sich die Teucrer, sowie ihre herumirrenden Götter, die getriebenen Wirkmächte Trojas in Latium niederlassen können (ich fordere kein Königreich, das ich gemäß meines Schicksals nicht verdient hätte). Dann will ich dem Phoebus und der Trivia aus massivem Marmor einen Tempel (70) errichten, sowie Festtage, nach Phoebus benannt, abhalten. Auch für dich wartet ein großes Heiligtum in meinem Königreich. Hier werde ich deine Schicksalsverheißungen sowie deine geheimnisvollen Weissagungen, die du meinem Stamm gemacht hast, ablegen. Und ich werde hierfür auserwählte Männer weihen, du Gütige. Vertraue die Weissagungen nur nicht den Blättern an, damit sie nicht als ein für die reißenden Winde durcheinander gebrachtes Spielzeug umherfliegen, sondern prophezeihe sie bitte selbst!“ Damit endete er. Doch die Seherin schwärmte, die den gewaltigen Phoebus noch nicht ertragen konnte, in der Höhle umher, um womöglich den großen Gott aus ihrer Brust herauszustoßen. Umso mehr setzte jener ihrem (80) rasenden Mund hart zu, bezähmte ihr wildes Herz und bändigte sie durch Druck. Und schon standen einhundert gewaltige Öffnungen der Höhle aus eigenem Antrieb offen und tragen 90 die Antworten der Seherin zu den Ohren der Männer: Oh Aeneas, der du endlich den großen Gefahren des Meeres ein Ende gemacht hast (doch auf der Erde warten schlimmere auf dich!) – die Dardaner werden zu den Königreichen Laviniums kommen (entlasse diese Sorge aus deiner Brust), doch sie werden wollen, nie dort angekommen zu sein. Ich erkenne Kriege, schreckliche Kriege, und den Fluss Thybris, der vor lauter Blut schäumt. Dir werden weder der Simoisstrom, noch der Xanthus noch das dorische Lager fehlen. Und schon ist der zweite Achilles in Latium geboren, (90) auch er ist ein Sprössling einer Göttin. Auch wird die den Teucrern hinzugegebene Iuno nirgendwo fehlen, wenn du demütig und in der Not alle möglichen Stämme und Städte der Italer um Beistand bittest! Erneut wird eine Gattin der Grund für das so große Übel für die Teucrer sein, erneut ein Gast und eine fremde Hochzeit. Weiche nicht den Übeln aus, sondern gehe ihnen recht kühn entgegen, so, wie es dein Glück zulässt. Der erste Weg zur Hoffnung (was du am wenigstens vermutest) öffnet sich dir von einer griechischen Stadt aus.“ Mit solchen Worten prophezeite die Sibylle von Cumae schreckliche Unklarheiten, (100) während sie Wahres mit Verborgenem vermischte: und hallte in der Höhle wieder. Apollon schüttelte der Rasenden die Zügel und wandte ihr den Stachel unter die Brust. Sobald die Raserei wich und sich die rasenden Gesichtszüge beruhigten, begann der Held Aeneas zu sprechen: „Nicht eine einzige, neue oder unvermutete Erscheinung einer Strapaze, oh Jungfrau, erhebt sich mir. Ich habe bereits alle vorweggenommen und schon zuvor in meinem Geiste für mich zu Ende geführt. Um eines bitte ich dich: Da ja hier angeblich der Eingang des Königs der Unterwelt sowie der schattenreiche Sumpf ist, wo sich der Acheron ergießt, möge es möglich sein in das Blickfeld und vor das Antlitz meines lieben Vaters zu treten. Du mögest mir den Weg zeigen und mir die heiligen Eingänge öffnen. (110) Jenen habe ich auf diesen Schultern durch die Flammen und durch die eintausend dicht aufeinander folgenden Pfeilen gerettet und habe ihn mitten aus Feindes Hand befreit. Er ertrug als Begleiter meine Reise, mit mir alle Meere sowie alle Drohungen des Meeres und des Himmels, schwach und doch weit über seine Kräfte und dem Los seines Alters hinaus. Ja, derselbe gab mir auch bittend den Auftrag, dass ich dich demütig bitten und zu deiner Stätte gehen sollte. Ich bitte dich, Gütige, erbarme dich des Sohnes und des Vaters (du kannst nämlich alles und Hecate hat dich nicht umsonst dem Avernerhain vorangestellt), wenn es Orpheus vermochte, die Totengeister seiner Gattin zu forden, indem er auf seine (120) thrakische Zither und auf ihr treues Spiel vertraute, wenn Pollux seinen Bruder durch seinen eigenen Tod loskaufen konnte und so oft den Weg hin und zurückging. Wozu soll ich Theseus, wozu den großen Hercules erwähnen? Auch ich stamme vom äußerst erhabenen Jupiter ab.“ Mit solchen Worten bat er sie und berührte die Altäre, als die Seherin so zu sprechen begann: „Du Spross vom Blut der Götter, Trojaner, Sohn des Anchises, leicht ist der Abstieg in die Unterwelt: Die 91 Pforte zum finsteren Dis steht Tag und Nacht offen. Aber den Schritt zurückzuwenden und zu den Lüften der Oberwelt hinaufzusteigen – dies ist eine Arbeit, dies ist eine Strapaze! Nur wenige konnten das – nur diejenigen, die der gerechte Jupiter liebte, oder welche, die ihre eifrige Tugend zur Oberwelt erhob; Göttersöhne! Wälder besetzten die gesamte mittlere Region und der Cocytus umgibt sie in finsterer Wölbung fließend. Wenn aber das Verlangen des Geistes so groß ist, wenn die Begierde so groß ist, zweimal den stygischen See zu befahren, zweimal den schwarzen Tartarus zu sehen und wenn es dir gefällt, dich einer wahnsinnigen Strapaze hinzugeben, vernimm, was zuvor erledigt werden muss! Es verbirgt sich an einem schattigen Baum ein Zweig, der samt seinem Laub und dem geschmeidigen Holz golden ist. Man nannte ihn der Iuno, Göttin der Unterwelt, heilig. Diesen schützt der ganze Hain und ihn umschließen die Schatten in den düsteren Talkesseln. (140) Doch nicht eher wird es gewährt, ins Innere der Erde hinabzusteigen, bevor nicht jemand den goldbelaubten Zweig vom Baum gepflückt hat. Die schöne Proserpina hat bestimmt, dass dieses Geschenk ihr gebracht wird. Nachdem der erste Zweig abgerissen wurde, wird ein zweiter golden nachwachsen und der Zweig wird aus gleichem Metall blühen. Halte also nach oben hin mit deinen Augen Ausschau und pflücke ihn, wenn du ihn gefunden hast, wie es der Brauch verlangt mit der Hand: Denn von sich aus willig wird er leicht deinem Ziehen folgen, sofern dich die Göttersprüche rufen. Ansonsten könntest du ihn mit keinen Kräften überlisten, auch nicht mit dem harten Schwert abreißen. Übrigens liegt für dich der leblose Körper eines Freundes darunter (150) (ach, das weißt du noch gar nicht!) und befleckt die ganze Flotte mit seiner Leiche, während du meine Beschlüsse erbittest und auf meiner Schwelle stehst. Bringe ihn erst in seine Wohnstätte zurück und birg ihn in ein Grab. Führe schwarze Schafe herbei. Diese sollen das erste Sühneopfer sein. So wirst du endlich die stygischen Haine und das für Lebende unbegehbare Königreich erblicken.“ Dies sagte sie und verstummte, nachdem sie ihre Lippen zusammengepresst hatte. Aeneas, der die Höhle verließ, schritt mit gesenktem Blick und traurigem Antlitz einher und beschäftigte sich im Geiste mit dem dunklen Ereignissen. Ihn begleitete der treue Achates und marschierte mit gleichen Sorgen. (160) Untereinander reihten sie im bunten Gespräch viele Gedanken aneinander: Welchen toten Kameraden die Seherin nannte, welchen Körper man beerdigen müsse. Und sobald sie an den trockenen Sandstrand kamen, sahen sie Misenus, der von einem unwürdigen Tod vernichtet wurde – Misenus, der Aeolide, woran gemessen kein zweiter hervorragender darin war, mit der Tuba die Männer anzutreiben und mit dem Spiel den Krieg zu entflammen. Dieser war ein Begleiter des großen Hectors. In Hectors Gefolge ging er den Kämpfen sowohl durch das Signalhorn als auch durch die Lanze auffallend entgegen. Nachdem der Sieger Achilles Hector des Lebens beraubt hatte, tat sich der äußerst tapfere Held Misenus dem Dardaner Aeneas (170) als Bundesgenossen hinzu und folgte damit keinem schlechteren Los. Aber dann, 92 während er – der Wahnsinnige! – zufällig durch eine hohle Muschel das Meer erklingen ließ, rief er durch sein Spielen die Götter zu einem Wettstreit auf und der eifersüchtige Triton tauchte den Mann, den er gefangen genommen hatte, zwischen den Felsen in die schäumenden Wogen, wenn man das glauben darf. Also lärmten ringsum alle mit großem Geschrei, vor allem der pflichtbewusste Aeneas. Dann führten alle weinend, eilends und ohne Verzug die Befehle der Sibylle aus. Sie wetteiferten einen Scheiterhaufen aus Bäumen zusammenzutragen und ihn bis zum Himmel aufzutürmen. Man geht in den alten Wald, zu den hohen Stallungen der wilden Tiere. (180) Die Kiefer fielen vornüber, die vom Beil gefällte Steineiche und die Balken von der Esche krachten. Man schnitt das gespaltene Hartholz. Die Männer rollten gewaltige Steineschen von den Bergen einher. Und Aeneas feuerte die Kameraden als erster bei den derartigen Arbeiten an und umgürtete sich mit denselben Werkzeugen. Und während er den gewaltigen Wald betrachtete wälzte er selbst diese Gedanken in seinem traurigen Herzen hin und her: „Wenn sich uns doch jetzt im so großen Hain jener goldene Ast am Baum zeigen würde! Weil die Seherin über dich alles – ach! – allzu wahr gesprochen hat, Misenus.“ (190) Kaum hatte er das gesagt, als zufällig ein Taubenpaar vor dem Antlitz des Mannes fliegend vom Himmel herbeikam und sich auf den grünen Waldboden setzte. Dann erkannte der äußerst erhabene Held die mütterlichen Vögel und betete heiter: „Möget ihr meine Führer sein, oh, falls es einen Weg gibt: Lenkt den Kurs durch die Lüfte in den Hain, wo der reichbelaubte Ast einen Schatten auf den fruchtbaren Boden wirft. Und du, göttliche Mutter, stehe mir bei der unsicheren Angelegenheit bei!“ Nachdem er so gesprochen hatte, blieb er stehen, während er beobachtete, welche Zeichen die Tauben gaben und wohin sie zu ziehen drängten. Jene drangen fressend nur soweit vor, (200) wie die Folgenden sie mit ihrer Sehschärfe wahrnehmen konnten. Sobald sie dann zu den übelstinkenden Schluchten des Avernus gekommen waren, erhoben sich die beiden Vögel in die klare Luft und nachdem sie durch die Lüfte geglitten waren, ließen sie sich auf ihren gewünschten Ruheplätzen oben am Baum nieder, von wo das Buntfarbige des Goldes zwischen den Ästen im Tageslicht strahlte. Wie für gewöhnlich in den Wäldern die Mistel bei winterlicher Kälte mit neuem Laub grünt, die der Baum nicht von sich aus gesät hat, und welche die runden Baumstämme mit der safrangelben Frucht umgibt. So beschaffen war die Gestalt des blühenden Goldes an der schattigen Steineiche, so rauschten die dünnen Metallblättchen im sanften Wind. (210) Sofort riss ihn Aeneas an sich und brach gierig den zähen Ast ab. Er trug ihn in die Wohnstätte der Seherin Sybille. Um nichts weniger beweinten unterdessen die Teucrer an der Küste Misenus und erwiesen der undankbaren Asche die letzte Ehre. Zuerst errichtete sie ihm einen Scheiterhaufen mit reichlich Kienholz und gesägtem Hartholz, bedeckten für ihn seinen Leib mit dunklem Laub und stellten vorn Trauerzypressen auf. Oben schmückten sie den Scheiterhaufen mit funkelnden Waffen. Ein Teil machte die warmen Flüssigkeiten und die auf den Flammen siedenden 93 Bronzetöpfe bereit, sie wuschen den Leichnam des erstarrten Mannes und salbten ihn. (220) Sie seufzten. Danach legten sie die beweinten Glieder zurück auf das Totenbett und warfen darüber purpurne Tücher, die üblichen Totenschleier. Der andere Teil schulterte die gewaltige Totenbahre, ein trauriger Dienst, und abgewandt hielten sie nach väterlichem Brauch die Fackeln an den Haufen. Zusammengetragen verbrannten Gaben aus Weihrauch sowie Speisen mit Olivenöl, aus Mischkrügen gegossen. Nachdem die Asche in sich zusammengefallen war und sich das Feuer beruhigt hatte, wuschen sie die Reste und die sich vollsaugende Asche mit Wein. Nachdem er die Knochen zusammengelesen hatte, barg sie Corynaeus in einem ehernen Weinkrug. Derselbe verteilte um seine Kameraden dreimal klares Wasser, (230) indem er sie mit feinem Tau benetzte, sowie mit einem Zweig eines fruchtbaren Olivenbaums berührte. Er entsühnte die Männer und sprach den letzten Gruß. Aber der pflichtbewusste Aeneas errichtete dem verstorbenen Mann ein Grabmal von gewaltiger Masse und legte an den Fuße des in die Lüfte ragenden Hügels, der nun nach jenem ‚Misenus‘ genannt wird, und durch die Jahrhunderte den ewigwährenden Namen behält, seine Waffen, ein Ruder und eine Tuba. Nachdem das Begräbnis ausgeführt worden war, verfolgte man rasch die Vorgaben der Sibylle. Es gab eine tiefe Höhle, gewaltig durch ihren weiten Schlund, schroff, sie war von einem schwarzen See und durch die Finsternis der Wälder geschützt, über der die Vögel nicht mit einem einzigen Flügelschlag ihre Bahn (240) ziehen konnten: Eine solche Ausdünstung, welche sie aus ihrer dunklen Schlucht ausströmte, reichte bis zum Himmelsgewölbe. Deshalb nannten die Griechen den Ort Aornus. Hier stellte die Priesterin zum ersten Mal vier junge Stiere mit schwarzem Rücken auf und goss Wein auf deren Stirn. Und als sie ganz oben, mitten zwischen den Hörnern die Borsten ausriss, warf sie sie ins heilige Feuer als erstes Opfer. Mit ihrer Stimme rief sie Hecate, Bezwingerin der Ober- und der Unterwelt. Andere setzten den Tieren von unten das Opfermesser an die Kehle und nahmen mit den Opferschalen das warme Blut auf. (250) Aeneas selbst schlachtete ein Schaf mit schwarzer Wolle für die Mutter der Eumeniden und für die große Schwester, für dich Proserpina, eine ertraglose Kuh. Dann errichtete er für den stygischen König nächtliche Altäre und warf das unzerteilte Fleisch der Stiere ins Feuer. Auf die brennenden Eingeweide goss er dickflüssiges Öl. Sieh aber, unter der Schwelle der ersten Sonne und vor der ersten Morgendämmerung dröhnte unter ihren Füßen der Boden und die bewaldeten Bergrücken begannen sich zu bewegen. Die Hunde schienen durch die Schatten zu heulen, als die Göttin ankam. „Fern, bleibt fern, ihr Uneingeweihten“, schrie die Seherin, „entfernt euch aus dem ganzen Hain.“ (260) Du beschreite den Weg und reiß‘ das Schwert aus der Scheide: Nun ist Mut von Nöten, Aeneas, nun ein gefestigtes Gemüt.“ Während sie nur dies rasend gesprochen hatte, stürzte sie sich in die offene Höhle. Aeneas zog mit seiner Führerin sicheren Schrittes gleich. 94 Götter, die ihr den Oberbefehl über alle Seelen habt, und ihr ruhigen Schatten, Chaos und Phlegethon, ihr in der Nacht weit und breit schweigende Ländereien, es sei mir erlaubt, Gehörtes auszusprechen; es sei euer göttlicher Wille die in der tiefen Erde und in der Finsternis verborgenen Ereignisse darzulegen. Sie gehen unter der einsamen Nacht der Finsternis durch die Schatten, durch den leeren Palast der Unterwelt und durch das leere Königreich: (270) Genauso ist bei schwachem Mondschein im böswilligen Zwielicht der Weg in den Wäldern, sobald Jupiter den Himmel in einem Schatten verborgen und die finstere Nacht den Dingen ihre Farbe geraubt hat. Vor dem Vorhof selbst und in den ersten Schluchten des Orcus hatten die Göttin der Trauer und die Gewissensqualen ihre Lagerstätten, und es wohnten dort die bleichen Krankheiten sowie das traurige Greisenalter; auch die Furcht, der übelratenden Hunger und die verderbliche Armut: schrecklich anzusehende Gestalten, der Tod und der Pein. Dann auch der Blutsverwandte des Todes, der Schlaf, und die schlechten Freuden des Geistes; an der gegenüberliegenden Schwelle der todbringende Krieg. (280) Da auch die eisernen Schlafgemächer der Eumeniden und die wahnsinnige Zwietracht, die ihr Schlangenhaar mit blutigen Binden umflochten hatte. In der Mitte breitete eine schattige Ulme ihre Zweige und bejahrten Äste aus, gewaltig: Allgemein sagt man, säßen auf ihr die eitlen Träume und sie hingen unter allen Blättern herab. Darüber hinaus gab es viele Ungeheuer von verschiedener Gestalt: An den Türflügeln hausten die Zentauren, und die zweigestaltigen Scyllae, der Briareus mit seinen einhundert Händen, sowie die lernäische Schlange, die ungeheuerlich zischte, die mit Flammen bewaffnete Chimaera, die Gorgonen, die Harpyien und die Gestalt eines Schattens mit drei Körpern. (290) Hier ergriff der zitternde Aeneas aufgrund plötzlicher Furcht hastig sein Schwert und hielt die gezogene Schneide den auf ihn zukommenden Gestalten entgegen, und wenn ihn nicht seine kundige Führerin ermahnt hätte, dass die schemenhaften Lebewesen nur mit dem hohlen Trugbild einer Gestalt umherflogen, hätte er sich auf sie gestürzt und vergebens mit dem Schwert die Schatten zerschlagen. Von hier verlief der Weg, der zu den Wassern des tartarischen Acheron führte. Hier wogt vom Schlamm getrübt und mit einem gewaltigen Schlund sein Strudel und stieß den ganzen Sand in den Cocytusstrom. Als schrecklicher Fährmann behütet Charon, voll von fürchterlichem Schmutz, diese Gewässer und die Flüsse. Sein reichlich (300) graues Haar lag ihm ungepflegt am Kinn. Seine Augen standen in Flammen, und sein schmutziger Umhang hing von den Schultern geknotet herab. Er selbst trieb das Boot mit der Ruderstange flussaufwärts, bediente die Segel und transportierte auf dem rostfarbenen Kahn die Leichen hinauf. Er war schon älter, doch dem Gott war noch ein rüstiges und frisches Alter zu eigen. Hierhin eilte die ganze Menge, die zu den Ufern geströmt war: Gestandene Frauen und Männer, Leichen mutiger Helden nach Vollendung ihres Lebens, aber auch Jungen und 95 unverheiratete Mädchen sowie junge Männer, die vor dem Antlitz ihrer Eltern auf Scheiterhaufen gelegt wurden: So zahlreich, wie im Wald beim ersten Frost des Herbstes die Blätter (310) herab gleiten und fallen oder wie die Vögel im Schwarm vom hohen Meer aufs Land fliegen, sobald sie die kalte Jahreszeit über das Meer in die Flucht schlägt und sie zu sonnigen Ländern schickt. Sie standen da, baten darum, als Erste hinüberfahren zu dürfen und streckten die Hände aus Liebe zum jenseitigen Ufer aus. Der finstere Seemann aber nahm bald diese, bald jene auf, hielt die anderen jedoch, die er weithin vertrieb, vom Strand fern. Aeneas, der über den Aufruhr bestürzt war, wunderte sich freilich und sagte: „Sprich, oh Jungfrau, was will der Zusammenlauf am Fluss? Was erstreben die Seelen? Oder anhand welcher Unterscheidung verlassen (320) diese die Ufer wieder und jene fegen mit den Rudern die klaren Wassern?“ Die hochbetagte Priesterin antwortete ihm kurz folgendermaßen: „Sohn des Anchises, ganz gewisser Spross der Götter, du siehst die silbrigen Wasser des Cocytus und den stygischen See, bei dessen Wirkkraft die Götter fürchten einen Meineid zu schwören. Diese ganze Menge, die du erkennst, ist mittellos und unbegraben: Jener Fährmann ist Charon. Und diejenigen, die das Wasser trägt, sind begraben. Es ist nicht gestattet jemanden über die Ufer und über die dumpf rauschenden Fluten zu fahren, ehe die Gebeine in ihrer Grabstätte ruhen. Einhundert Jahre irren und schwirren sie um diese Ufer. (330) Dann endlich haben sie die Erlaubnis und besuchen erneut den ersehnten See.“ Der Sohn des Anchises machte Halt und blieb stehen, während er vieles bedachte, und hatte in seinem Gemüt Mitleid mit deren ungerechtem Schicksal. Dort erkannte er die traurigen und die Totenehre missenden Männer Leucraspis und den Anführer der lycäischen Flotte, Orontes, die, als sie gemeinsam mit ihm von Troja aus über die stürmische See gefahren waren, der Südwind vernichtete, indem er die Schiffe und die Männer in das Wasser gewälzt hatte. Sieh, da kam der Steuermann Palinurus, der jüngst auf lybischer Route, während er die Sterne beobachtete, vom Heck fiel und mitten in die Fluten stürzte. (340) Sobald er diesen traurigen Mann kaum in den vielen Schatten erkannt hatte, sprach er ihn zuerst so an: „Welcher der Götter hat dich, Palinurus, uns entrissen und mitten unter die Meeresoberfläche getaucht? Sage es mir! Denn Apollo, der mir zuvor nie trügerisch begegnet war, hat bei dieser einen Antwort meinen Geist verspottet, der prophezeite, dass du über das Meer und zu den ausonischen Gebieten unversehrt kommen würdest. Siehe, sind diese Versprechen etwa ehrlich?“ Jener aber antwortete: „Weder hat dich das Orakel des Phoebus getäuscht, du Führer, Sohn des Anchises, noch hat mich ein Gott in das Meer getaucht. Denn ich hing an dem zufällig mit großer Gewalt losgerissenem Steuerrad, (350) dem ich als Wächter zugeteilt wurde, lenkte den Kurs und habe es dann stürzend mit mir gezogen. Ich schwöre bei den stürmischen Meeren, dass mich um meine Person keine so große Furcht ergriffen hatte, als darum, dass dein Schiff, seines Gerätes beraubt und nachdem es seinen Steuermann abgeschüttelt hatte, so 96 großen, sich erhebenden Wellen nicht standhalten könnte. Der ungestüme Südwind hat mich im Wasser drei stürmische Nächte lang über die gewaltige Meeresoberfläche gezogen. Mit Mühe habe ich am vierten Tag Italien ganz oben von einem Wellenkamm aus erblickt. Nach und nach schwamm ich an Land. Schon wollte ich mich in Sicherheit bringen, wenn nicht ein blutrünstiges Volk mich, den durch die nasse Kleidung beschwerten Mann, der mit seinen Nägeln und Händen den rauhen Gipfel des Berges (360) festhalten wollte, mit dem Schwert bestürmt und unwissend Beute vermutet hätte. Nun besitzt mich die Meeresflut und die Winde wälzen mich an der Küste. Worum ich dich beim angenehmen Tageslicht des Himmels, bei den Lüften, bei deinem Vater, bei der Hoffnung des heranwachsenden Iulus bitte: Entreiße mich diesen Übeln, unbesiegter Held. Oder wirf mir Erde auf den Leichnam, denn du vermagst es und suche die Häfen von Velia erneut auf. Oder, wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, wenn dir deine göttliche Mutter irgendeinen Weg aufzeigt (denn ich glaube freilich nicht, dass du es ohne das Wirken der Götter unternimmst so große Flüsse und den stygischen See zu befahren), (370) reiche mir unglücklichem Mann deine Rechte und nimm mich mit dir über die Wogen, so dass ich wenigstens im Tod in angenehmen Wohngegenden Ruhe finden kann.“ Solches hatte er gesprochen, als die Seherin ihm solches antwortete: „Woher, Palinurus, kommt dir dieses so unheilvolle Verlangen? Du willst unbegraben die stygischen Wasser und den ernsten Strom der Eumeniden erblicken oder willst unaufgefordert zum Ufer gehen? Höre auf, darauf zu hoffen, die Göttersprüche durch Beten umstimmen zu können, sondern halte meine Worte als Trostmittel für den harten Schicksalsschlag im Gedächtnis. Denn deine Gebeine werden Nachbarvölker sühnen, weit und breit durch die Städte von himmlischen Wunderzeichen getrieben (380) und sie werden dir einen Grabhügel errichten. Dort werden sie Opfer darbringen und der Ort wird den ewigen Namen ‚Palinurus‘ erhalten.“ Nach diesen Worten waren die Sorgen verscheucht und der Schmerz war eine Weile aus dem traurigen Herzen vertrieben. Er freute sich über den Beinamen des Landes. Also fuhren sie mit dem begonnenen Marsch fort und näherten sich dem Fluss. Der Seemann, der sie dann schon vom stygischen Wasser aus gesehen hatte, wie sie durch den ruhigen Wald liefen und ihren Schritt dem Ufer zuwandten, ging sie zuerst auf diese Weise an und schalt sie überdies: „Wer auch immer du bist, du ziehst als Bewaffneter zu meinen Flüssen, sag nun: Wozu kommst du her, bleib schon von dort stehen! (390) Dies ist der Ort der Schatten, des Schlafes und der schlafbringenden Nacht: Es ist ein heiliges Verbot lebende Körper mit dem stygischen Schiff zu transportieren. Weder habe ich mich gefreut, den kommenden Alciden auf dem See zu empfangen, noch Theseus sowie Pirithous, obwohl sie Göttersöhne und im Hinblick auf ihre Kräfte unbesiegbar waren. Jener hat mit seiner eigenen Hand den Wächter des Tartarus in Fesseln geschlagen und ihn zitternd vom Thron des Königs selbst weggezogen. Die anderen haben mich mit Bitten bestürmt, dass 97 sie die Herrin des Dis aus ihrem Schlafgemach entführen dürfen.“ Darauf erwiderte die amphrysische Seherin knapp: „Hier liegt keine derartige Täuschung vor (rege dich nicht auf), (400) auch bringen die Waffen keine Gewalt. Mag auch der gewaltige Torhüter in der Höhle ewig den toten Schatten Angst einjagen, mag auch die keusche Proserpina den Eingang für den Onkel schützen. Der Trojer Aeneas, ausgezeichnet durch sein Pflichtgefühl und seine Waffenfertigkeit, steigt zu seinem Vater, zu den tiefsten Schatten des Erebus hinab. Wenn dich kein Abbild eines so großen Pflichtgefühls bewegt (sie deckte den Zweig auf, den sie mit dem Tuch verdeckt hatte), dann aber erkenne diesen Zweig an.“ Nach der Zorneswallung beruhigte sich Charons Gemüt. Auf diese Worte sagte sie nichts mehr. Während er das verehrungswürdige Geschenk des schicksalsträchtigen Zweiges bewunderte, das er nach langer Zeit sah, (410) wendete er das schwärzliche Schiffsheck und näherte sich dem Ufer. Dann vertrieb er die anderen Seelen, die über dem Bergrücken zerstreut saßen und machte die Sitzreihen frei. Dann nahm er den außerordentlichen Aeneas an Bord auf. Unter dessen Gewicht ächzte der zerbrechliche Kahn und voller Risse nahm er viel Sumpfwasser auf. Endlich setzte er die Seherin und den Mann über dem Fluss unversehrt in unförmigem Schlamm und dunkelgrünem Schilfgras ab. Der gewaltige Cerberus durchschallte dieses Königreich mit seinem aus drei Rachen kommenden Bellen, während er gewaltig vorn in der Höhle ruhte. Während die Seherin sah, wie sich ihm am Hals die Schlangen aufrichteten, warf sie ihm einen (420) betäubenden Bissen mit Honig und vergifteten Früchten hin. Jener ergriff ihn hastig, indem er in rasendem Hunger seine drei Kehlen ausstreckte, entspannte seinen riesigen Rücken und auf dem Boden liegend erstreckte er sich gewaltig in der ganzen Höhle. Aeneas nahm den Zugang ein, nachdem der Wächter betäubt war, und entkam dem Ufer des Wassers ohne Wiederkehr. Sogleich vernahm man Stimmen und ein gewaltiges Schreien, sowie weinende Kinderseelen, die an der vordersten Schwelle ihres süßen Lebens außen vor gelassen und von der Mutterbrust gerafft wurden und die ein schwarzer Tag geraubt und durch einen bitteren Tod unter die Erde gebracht hatte. (430) Gleich neben diesen befanden sich die aufgrund einer falschen Anklage zum Tode Verurteilten. Doch diese Ruhestätten wurden nicht ohne Los und ohne Richter zugeteilt. Minos, der Vorsitzende des Gerichtshofs bewegt die Urne. Er beruft den Rat der Toten ein und erforscht die Lebensläufe sowie die Anklagepunkte. Die nächsten Gegenden besaßen die Betrübten, die sich unschuldig durch eigene Hand den Tod bereiteten, denen das Tageslicht verhasst war und die ihre Seelen verschmähten. Wie gern würden sie jetzt an der erhabenen Luft sowohl die Armut als auch die harten Strapazen ertragen! Das göttliche Recht steht ihnen im Wege, der traurige und herzlose Sumpf des Gewässers band sie an den Ort und der Styx schloss sie in neunfacher Windung ein. (440) Nicht weit von hier zeigten sich in allen Richtungen weisend die trauernden Felder. So nennt man sie namentlich. Hier verbargen schmale Pfade diejenigen, welche die beschwerliche Liebe in 98 grauenhaftem Siechtum aufgefressen hatte und ringsum bedeckte sie ein Wald von Myrten. Die Sorgen verließen sie noch nicht einmal im Tod. An diesen Orten erkannte er Phaedra, Procris und die traurige Eriphyle, welche ihre blutigen Wunden zeigte, die ihr der Sohn zugefügt. Er erkannte Euadne und Pasiphae. Diese begleitete Laedamia sowie der einst junge Mann Caeneus, der jetzt eine Frau war, vom Schicksal wieder in seine alte Gestalt zurückverwandelt. (450) Unter diesen irrte die Phönizerin Dido, die erst jüngst an ihrer Wunde gestorben war, im großen Wald umher. Sobald der trojanische Held neben ihr gestanden und die dunkle Frauengestalt durch die Schatten erkannt hatte, wie jemand den Mond am Monatsanfang durch den Nebel aufgehen sieht, oder glaubt, ihn gesehen zu haben, ließ er seinen Tränen freien Lauf und sprach sie in süßer Liebe an: „Unglückliche Dido, war die Botschaft also wahr, die mir zu Ohren gekommen war, dass du dich durch das Schwert getötet hast und in den Tod gegangen bist? Oh weh, war ich dir ein Grund des Todes? Ich schwöre bei den Sternen, bei den Göttern, und wenn es irgendeine Treue unter der tiefen Erde gibt: (460) Gegen meinen Willen, Königin, bin ich von deiner Küste gewichen! Doch mich trieben die Befehle der Götter mit ihrer Befehlsgewalt, die mich jetzt zwingen durch diese Schatten, durch die rauen Gegenden im Schmutz und durch die tiefe Nacht zu ziehen. Ich konnte nicht glauben, dir so großen Schmerz durch meine Abreise zu bereiten. Bleib stehen und entziehe dich nicht meinem Anblick. Vor wem fliehst du? Dies ist das letzte Mal, wo ich dich von meinem Schicksal her ansprechen kann.“ Mit derartigen Worten versuchte Aeneas die zornentbrannte und finster blickende Frau zu besänftigen, ihr Gemüt und ihre Tränen zu rühren. Jene hielt ihre Augen abgewandt gen Boden gerichtet und nachdem er mit dem Sprechen angefangen hatte, bewegte sie ihr Gesicht nicht mehr, als wenn sie harter Stein oder marpesischer Marmor wäre. Endlich riss sie sich zusammen und floh feindlich gesinnt in den schattenspendenden Hain zurück, wo ihr vorheriger Mann, Sychaeus ähnliche Sorgen hatte und ihre Liebe erwiderte. Aeneas, der nicht weniger aufgrund des ungerechten Schicksalsschlages erschüttert war, blickte ihr lange unter Tränen nach und bemitleidete sie. Dann setzte er den vorgegebenen Weg fort. Schon waren sie bei den letzten Fluren, dem einsamen Ort, den die Kriegshelden zahlreich bewohnten. Hier kam ihm Tydeus entgegen, hier der im Hinblick auf seine Waffenkunst ruhmreiche (480) Parthenopaeus, sowie das Abbild des blassen Adrastes. Hier waren die bei den Menschen oberhalb viel beweinten und durch den Krieg herrenlosen Dardaniden, über die Aeneas, der sie alle in einer langen Reihe erkannte, seufzte: Glaucus, Medon, Thersilochus, die drei Söhne des Antenor, sowie der Priester der Ceres, Polyboetes, sogar Idaeus, der noch immer den Wagen und die Waffen festhielt. Ringsum umgaben ihn die Seelen, zahlreich zur Rechten sowie zur Linken und es genügte ihnen nicht, ihn nur einmal gesehen zu haben. Sie wollen ganz und gar verweilen, zu ihm gehen und die Gründe seines Kommens erfahren. Die vornehmen Männer der Griechen aber und die Phalangen des Agamemnon liefen in gewaltiger Furcht unruhig hin und her, 99 (490) sobald sie den Mann und die funkelnden Waffen durch die Schatten gesehen hatten. Ein Teil wandte sich zur Flucht, wie sie einst zu den Schiffen geeilt sind, ein anderer Teil erhob seine dünne Stimme: Doch das erhobene Geschrei erstarb in ihren aufgesperrten Mündern. Und hier sah er den Priamussohn Deiphobus, der am ganzen Körper zerfleischt war, auch sein Gesicht war zerfetzt, sein Gesicht und beide Hände, seine Schläfen waren verwüstet, da man ihm die Ohren abgeschnitten hatte, und seine Nase war in einer unehrenhaften Wunde verstümmelt. Nur mit Mühe hatte Aeneas den zitternden und die unheilvollen Wunden zudeckenden Mann erkannt. Er sprach ihn von sich aus mit seiner vertrauten Stimme an: (500) „Waffenbeherrscher Deiphobus, Sohn vom erhabenen Blut des Teucer, wer wünschte, dich so grausam zu strafen? Wem war so viel Macht über dich möglich? Mir kam in der letzten Nacht das Gerücht zu Ohren, dass du aufgrund des wüsten Mordes der Pelasger erschöpft auf dem Haufen der zusammengeschütteten Leichen niedergesunken seiest. Dann habe ich selbst einen leeren Grabhügel an der Küste von Rhoeteum errichtet und dreimal mit lauter Stimme deine Totengeister gerufen. Dein Name und deine Waffen behüten den Ort. Dich, mein Freund, konnte ich nicht erblicken und, als ich die Heimat verließ, begraben.“ Darauf antwortete der Priamussohn: „Nichts, ach! bist du mir schuldig geblieben, mein Freund. (510) Du hast für mich Deiphobus, alles getan, auch für das Totenreich. Doch mich haben mein Schicksal und das tödliche Verbrechen der Spartanerin in dieses Unglück gestürzt. Denn du weißt, wie wir die letzte Nacht in falscher Freude verbrachten und es ist allzu notwendig, sich daran zu erinnern! Als das verhängnisvolle Pferd mit einem Sprung auf das steil aufragende Pergamum kam und in seinem Bauch gefüllt bewaffnete Fußsoldaten mit sich nach oben brachte, täuschte jene einen Reigen vor und führte Phrygierinnen in jubelnden Orgien umher. Sie selbst hielt mittendrin ein gewaltiges Feuer und rief ganz oben von der Burg die Griechen. (520) Dann besaß mich, der ich von den Sorgen erschöpft und durch den Schlaf beschwert war, das unglückbringende Schlafgemach, die süße und tiefe Ruhe drückte mich aufs Bett nieder, dem angenehmen Tod sehr ähnlich. Unterdessen entfernte die ausgezeichnete Gattin alle Waffen aus dem Haus – sie hatte das treue Schwert unter meinem Kopf weggezogen. Sie rief Menelaus ins Haus und öffnete ihm die Tür. Natürlich hoffte sie, dass dies ein großes Geschenk an ihren Liebhaber wäre und dass so der alte Ruf über ihre schlechten Taten ausgelöscht werden konnte. Was zögere ich? Sie brachen ins Schlafgemach ein, als Begleiter kam der Anstifter der Verbrechen hinzu: Der Enkel des Aeolus, Odysseus. Götter, (530) vergeltet den Griechen solche Taten, wenn ich die Strafen aus einem pflichtbewussten Mund fordere! Aber los, sage mir wiederum, welcher Zufall dich als Lebender hierher verschlagen hat? Kommst du von Irrfahrten des Meeres getrieben oder durch eine Weisung der Götter? Oder welches Schicksal plagt dich, dass du zu den finsteren Gebäuden ohne Sonne, zu den trüben Gegenden kommst?“ 100 Nach diesem wechselseitigen Gespräch hatte Aurora bereits mit ihrem rosigen Viergespann die Mitte der Himmelsachse auf ihrer Himmelsbahn überschritten. Und vielleicht hätte sie die ganze Zeit, die ihnen gewährt wurde, mit derartigen Dingen verstreichen lassen, doch die Begleiterin Sibylle ermahnte ihn und sprach ihn kurz an: „Die Nacht bricht herein, Aeneas. Wir vergeuden die Stunden mit Weinen. (540) Hier ist die Stelle, wo sich der Weg in zwei Richtungen spaltet: Die rechte ist es, die zu den Mauern des großen Dis führt; dort liegt für uns der Weg zum Elysium. Doch die linke Richtung quält die Schlechten mit Strafen und schickt sie in den gottlosen Tartarus.“ Darauf erwiederte Deiphobus: „Tobe nicht, große Seherin! Ich will fortgehen, werde die Schar ausfüllen und in die Schatten zurückkehren. Gehe, gehe fort, unser Stolz! Mache von besseren Göttersprüchen Gebrauch!“ Nur so viel sprach er, und während er sprach machte er kehrt. Plötzlich blickte sich Aeneas um und sah unter einer Felswand zu seiner Linken eine breite Burg, die mit einer dreifachen Schutzmauer umgeben war und (550) die ein reißender Fluss mit heißen Flammen umgab: Der Unterweltsfluss Phlegethon, der dröhnende Felsen hin und her wendete. Vorn befand sich eine gewaltiges Tor, sowie Säulen aus massivem Stahl, so dass sie keine einzige Manneskraft, nicht einmal die Himmelsbewohner selbst im Krieg zerstören konnten. Dort stand ein eiserner Turm, der bis in den Himmel reichte und während dort Tisiphone mit einem blutigen Mantel bekleidet nie schlafend saß, beobachtete sie die Vorhalle, sowie die Nächte und die Tage. Von hier waren die Klagen zu hören und es hallten die wilden Schläge wieder, dann das Zischen eines Schwertes und herumgezerrte Ketten. Aeneas blieb stehen und vernahm zutiefst erschreckt den Lärm. (560) „Verbrechen welcher Art sind das, oh Jungfrau? Sprich! Oder mit welchen Strafen werden hier die Seelen bedrängt? Welch so großes Wehklagen dringt zum Himmel?“ Dann begann die Seherin so zu sprechen: „Berühmter Anführer der Teucrer, es ist ein göttliches Verbot, dass jemand reinen Gewissens die verbrecherische Pforte betritt. Doch als mir Hecate die Leitung über den Avernerhain übertragen hatte, hatte sie mich über die Strafen der Götter belehrt und mich durch alle geführt. Der cnosische Rhadamanthus besitzt dieses äußerst hartherzige Königreich, züchtigt die Schuldigen, hört von den listigen Plänen und zwingt Verbrechen zu gestehen, über die sich jemand bei den Menschen in der Oberwelt aufgrund eines wertlosen Diebstahls gefreut hat, wobei derjenige das Sühneopfer auf seinen späten Tod verschoben hat. (570) Daraufhin schlägt die mit einer Peitsche umgürtete Tisiphone die Schuldigen und verspottet sie. Während sie ihnen mit der Linken finstere Schlangen hinstreckt, ruft sie die wilde Schar ihrer Schwestern. Dann endlich öffneten sich ächzend die heiligen Torflügel mit ihren schauerlich quietschenden Türangeln. Erkennst du die Wächterin, wie sie in der Vorhalle sitzt? Erkennst du die Gestalt, welche den Eingang bewacht? Noch wilder hat die gewaltige Hydra mit fünfzig schwarzen Rachen im Inneren ihren Sitz. Dann breitet sich zweifach der Tartarus selbst aus: Er erstreckt sich jäh soweit tief in das Schattenreich, wie der Blick zum in den 101 Himmel ragenden Olymp reicht. (580) Hier wälzt sich das altehrwürdige Geschlecht der Erde, das Titanenvolk, vom Blitz niedergeworfen im tiefen Grund. Hier habe ich auch die beiden Aloiden – gewaltige Körper – gesehen, die sich daran gemacht hatten mit ihren bloßen Händen den großen Himmel einzureißen und Jupiter aus dem oben befindlichen Königreich herabzustoßen. Ich sah auch Salmoneus, der grausam bestraft wurde, während er die Blitze des Jupiters und das Grollen des Olymps nachahmte. Dieser fuhr auf einem Viergespann, als er heftig die Fackel durch die Völker der Griechen und jubelnd durch die Stadt mitten in Elis schwang. Er forderte immer wieder für sich göttliche Ehren. (590) Ein Tor, wer die Gewitterwolken und den unnachahmlichen Blitz durch Erz und durch den Hufschlag der hornfüßigen Pferden nachahmen will. Doch der allmächtige Vater schleuderte zwischen dichten Wolken sein Wurfgeschoss: Er verwendete keine Fackeln oder das rauchende Licht eines Kienholzbrandes, sondern schleuderte ihn steil in einen gewaltigen Strudel. Auch Tityos, der Pflegesohn der alles gebärenden Erde, war zu erkennen, der sich mit seinem Körper über neun Morgen Land erstreckte, sowie der gewaltige Geier mit seinem einwärts gekrümmten Schnabel, der dessen unsterbliche Leber anpickte, die zur Strafe ergiebigen Eingeweide aufriss und für sein Mahl in der tiefen (600) Brust des Mannes wohnte. Auch den nachgewachsenen Eingeweiden wurde keine Ruhe gewährt. Wozu soll ich die Lapithen Ixion und Pirithous erwähnen? Über diesen hängt drohend ein schwarzer Granit der jeden Moment im Begriff ist auf sie niederzufallen, einem fallenden Stein ähnlich. Es leuchten die goldenen Gestelle für erhöhte, festliche Polster, Gastmähler von königlichem Luxus, die vor ihrem Antlitz zubereitet sind. Gleich nebenan liegt die größte der Furien zu Tisch und hält sie mit ihren Händen davon ab die Gänge zu berühren. Sie richtet eine Fackel auf während sie sich erhebt und dröhnt mit ihrer Stimme. Hier sind diejenigen, denen zu Lebzeiten ihre Brüder verhasst waren, oder wer den Vater geschlagen, einen Schutzbefohlenen über den Tisch gezogen hatte, (610) oder diejenigen, die allein auf ihrem erlangtem Reichtum lagen und ihren Angehörigen keinen Teil überließen (das ist die größte Menge), und auch die, die wegen Ehebruch ermordet wurden, und diejenigen, die in gottlose Kriege folgten und die, welche nicht fürchteten, Treue und Glauben ihres Hausherren zu betrügen. Eingeschlossen erwarten sie ihre Strafe. Bitte nicht darum, unterrichtet zu werden, welche Strafe, oder welches Los oder welches Schicksal die Männer ins Verderben stürzte. Andere wälzen einen riesigen Fels. An den Speichen der Räder hängen wieder andere auseinandergezogen. Der unglückliche Theseus sitzt hier und wird auf ewig hier sitzen, der äußerst unglückliche Phlegyas ermahnt alle und beschwört sie mit lauter Stimme durch die Schatten: (620) „Lernt Gerechtigkeit, die ihr ermahnt seid, und lernt, die Götter nicht zu verachten.“ Für Gold hat dieser Mann sein Vaterland verkauft und einen Gewaltherrscher eingesetzt. Für einen gewissen Preis hat er Gesetze in Kraft und außer Kraft treten lassen. Der andere Mann fiel in das Schlafgemach seiner Tochter ein und hatte mit ihr verbotenen Verkehr. Alle wagten eine riesige Freveltat und rissen das Gewagte voll an sich. Selbst wenn ich einhundert Zungen und 102 Münder hätte, sowie eine eiserne Stimme, könnte ich nicht die ganzen Arten der Verbrechen zusammenfassen oder die ganzen Namen der Strafen durchgehen.“ Nachdem die hochbetagte Priesterin des Phoebus diese Worte gesprochen hatte, fügte sie ferner hinzu: „Aber nun auf: Mach dich auf den Weg und vollbringe die Aufgabe, die du auf dich genommen hast. (630) Beschleunigen wir unseren Schritt!“, sagte sie, „Ich erblicke die in den Schmelzöfen geschmiedeten Mauern der Zyklopen und vorne in der Wölbung die Tore, wo uns die Vorschriften befehlen diese Gaben niederzulegen.“ So hatte sie gesprochen. Im Gleichschritt schritten sie durch die Schatten der Wege, legten eilig die Strecke dorthin zurück und näherten sich den Torflügeln. Aeneas nahm den Eingang in Beschlag und benetzte seinen Körper mit frischem Wasser. Den Zweig befestigte er vorne an der Tür. Nachdem diese Dinge endlich vollbracht waren, und der Göttin ein Geschenk dargebracht war, gingen sie hinunter zu den fröhlichen Orten und zu den angenehmen Auen der glücklichen Haine und zu den seligen Wohnsitzen. (640) Hier schmückte der Himmel die Felder reichlicher und er schmückte sie mit purpurfarbenem Licht; die Felder kannten ihre eigene Sonne und ihre eigenen Sterne. Ein Teil der Glückseligen übte die Muskeln auf grasbewachsenen Übungsplätzen, spielerisch kämpften sie und rangen auf dem rotgelben Sand. Ein anderer Teil stampfte mit den Füßen die Reigentänze und sprach Gedichte. Und der thrakische Priester begleitete sie im Rhythmus mit den sieben unterschiedlichen Klängen der Leier, schon schlug er sie mit den Fingern, schon mit einem elfenbeinernen Plektron. Hier ist das alte Geschlecht des Teucers, seine äußerst schönen Nachkommen, mutige Helden, geboren in besseren Zeiten: (650) Ilus, Assaracus und Dardanus, der Gründer Trojas. Aeneas bewunderte die Waffen in der Ferne sowie die nun unnützen Streitwägen der Männer. In der Erde standen hineingetrieben die Lanzen und weit und breit über den Feldern weiteten die losgebundenen Pferde. Die Vorliebe für Streitwagen und Waffen, die ihnen zu Lebzeiten zu Eigen war, die Fürsorge der strahlenden Pferde zu fressen, folgte ihnen auch noch jetzt, wo sie bestattet waren. Sieh, Aeneas erblickte noch weitere zu seiner Rechten und zu seiner Linken, wie sich sie über das Gras verteilt nährten, während sie im Reigen einen heiteren Lobgesang sangen, mitten im Hain, der nach Lorbeer duftete. Von oberhalb wälzte sich der wasserreiche Strom des Eridanus durch den Wald. Hier befand sich die Schar, derjenigen, die im Kampf um ihre Heimat den Wunden erlegen waren, derer, die zu Lebzeiten keuschen Priester, die pflichtbewusste Seher waren, deren Worte dem Phoebus würdig waren. All diejenigen, die das Leben durch ihre Kunstfertigkeit verfeinert hatten und die durch einen Verdienst andere dazu brachten, an sie zu denken. All diesen Toten umgab eine schneeweiße Binde die Schläfen. Sibylle sprach diejenigen, die sich um sie scharten und allen voran Musaeus, folgendermaßen an (denn die zahlreiche Menge hatte Musaeus als Mittelpunkt und blickte zu ihm aufgrund seiner hohen Schultern auf): „Sagt mir, ihr glückliche Seelen, und du, 103 bester Seher, (670) in welcher Region, an welchem Ort ist Anchises zu finden? Seinetwillen sind wir gekommen und haben den großen Strom des Erebus überquert.“ Und wenige Helden antworteten ihr folgendermaßen: „Niemand hat einen bestimmten Aufenthaltsort. Wir wohnen in schattigen Hainen, an den Böschungen der Ufer und siedeln auf den frischen Wiesen an den Bächen. Aber ihr, überwindet diesen Bergrücken, wenn das Verlangen in eurem Herzen so stark ist, und ich will euch schon auf den leicht gangbaren Seitenweg führen.“ Das sagte er, ging vor ihnen her und zeigte ihnen von oben die glänzenden Felder. Anschließend verließen sie die höchsten Gipfel. Aber der Vater Anchises musterte tief in einem grünenden Talkessel (680) eingeschlossene Seelen, die im Begriff waren, zum Licht der Oberwelt zu gehen, er musterte sie eifrig. Er musterte zufällig die ganze Schar der Seinen: Die teuren Enkel, die Bestimmungen und das Schicksal der Männer, ihre Sitten und ihre Tapferkeit. Dieser, sobald er vorne den durchs Gras ziehenden Aeneas sah, streckte eifrig seine beiden Handflächen aus, und es entwich ihm, nachdem sich Tränen über seine Wangen ergossen hatten, diese Äußerung aus seinem Mund: „Endlich bist du gekommen! Hat dein vom Vater erwartetes Pflichtgefühl die beschwerliche Reise überlistet? Wird es gewährt, dein Antlitz zu erblicken, Sohn, deine bekannte Stimme zu hören und darauf zu antworten? (690) So stellte ich es mir freilich immer wieder vor, rechnete damit, während ich die Tage zählte, dass es geschehen würde und meine Sorge hat mich nicht getäuscht. Durch welche Länder und über wie große Meere bist du gefahren, der ich dich hier empfange! In wie vielen Gefahrensituationen wurdest du hin und her geworfen, Sohn! Wie sehr hatte ich Angst, dass dir das Königreich in Libyen schaden könnte!“ Aeneas aber entgegnete: „Deines, Vater, dein ernstes Abbild, das mir des Öfteren erschien, hat mich veranlasst, zu dieser Schwelle zu ziehen. Die Flotte steht im Tyrrhenischen Meer, lass uns – ja, lass uns einander die Hand geben, Vater, und entziehe dich nicht meiner Umarmung.“ Als er so sprach benetzte er gleichzeitig sein Gesicht mit reichlich Tränen. (700) Dreimal versuchte er dort, seine Arme um den Hals des Vaters zu legen. Dreimal floh das vergeblich umfasste Abbild vor den Händen zurück, den leichten Winden oder einem geflügeltem Traum sehr ähnlich. Inzwischen sah Aeneas im entlegenen Tal einen abgesonderten Hain und die rauschenden Sträucher der Wälder, sowie den Lethestrom, der vor friedlichen Wohnhäusern floss. Um diesen flogen unzählige Stämme und Völker. Und wie auf den Wiesen die Bienen im heiteren Sommer sich auf die bunten Blüten setzen und sich rings um die weißen Lilien verstreuen, so lärmte durch Rauschen das ganze Feld. (710) Bei dem plötzlichen Anblick erschauderte Aeneas und fragte unwissend nach den Gründen, was das dort für ein Fluss sei und welche Männer in einer so großen Schar die Ufer erfüllten. Darauf antwortete der Vater Anchises: „Seelen, denen von ihrem Fatum her in der Oberwelt ein Körper bestimmt ist, trinken bei den Wogen des Lethe-Flusses von der sorgenvertreibenden Flüssigkeit und lange Vergessenheit. Ich wünsche freilich schon lange, dir von 104 diesen zu berichten, sie dir von Angesicht zu Angesicht zu zeigen und dir diese Nachkommenschaft der Meinen aufzuzählen, damit du dich umso mehr mit mir über das gefundene Italien freust.“ „Oh Vater, muss man etwa glauben, dass von hier irgendwelche (720) erhabene Seelen zum Himmel schreiten und wieder in träge Körper zurückkehren? Was ist das für eine so unheilvolle Begierde nach Tageslicht für die unglücklichen Seelen?“ „Ich will es dir freilich sagen, Sohn, und werde dich nicht auf die Folter spannen.“ Anchises begann zu sprechen und tat ihm der Reihe nach alle Einzelheiten kund: „Im Anfang ernährt ein innerer Hauch den Himmel sowie die Länder, die Meere, die leuchtende Kugel des Mondes sowie die titanischen Sterne. Der Geist, wenn er sich in die Glieder erströmt hat, setzt die so große Masse in Bewegung und vermischt sich mit dem großen Körper. Daher stammt die Gattung der Menschen, des Viehs, die Leben der Vögel und die Ungeheuer, die das Meer unter seiner marmornen Oberfläche hervorbringt. (730) Ihnen ist eine feurige Stärke zu Eigen und ein himmlischer Ursprung in ihren Samen, insofern sie keine schädlichen Körper hemmen und sie die irdenen Gelenke sowie die sterbenden Glieder entkräften. Daher fühlen sie Furcht und Verlangen, Schmerz und Freude und können eingeschlossen in der Finsternis und im dunklen Kerker das Tageslicht nicht wahrnehmen. Ja, auch als sie an ihrem letzten Tag das Leben verlassen hatte, sind aus den unglücklichen Seelen dennoch nicht das ganze Übel, auch nicht alle körperliche Krankheiten gewichen und es ist notwendig, dass sich viele über lange Zeit auf wundersamer Weise innerlich zusammengewachsene Dinge einprägen. Also werden sie mit Strafen gequält und tun (740) Buße für alte Übel. Einige erstrecken sich aufgehängt in die seelenlosen Winden, den anderen wäscht man unter einem tiefen Strudel das Verbrechen aus, mit dem sie befleckt sind, oder man brennt es ihnen im Feuer aus: Ein jeder von uns erduldet seine eigenen Strafen. Darauf werden wir ins weite Elysium geschickt und bewohnen, die wir nur wenige sind, die glücklichen Fluren, solange bis der lange Tag, nachdem der Kreis der Zeit vollendet wurde, das in uns verwachsene Unheil entfernt hat, und einen reinen, himmlischen Sinn zurückgelassen hat, sowie das Feuer der reinen Himmelsluft. All diese ruft der Gott in einer großen Schar, sobald sie das Rad der Zeit tausend Jahre lang gedreht haben, zum Lethe-Strom, (750) damit sie natürlich ohne Erinnerung an die Oberwelt erneut das Himmelsgewölbe besuchen und anfangen in Körper zurückkehren zu wollen.“ Das hatte Anchises gesprochen und als er mit seinem Sohn und gemeinsam mit Sibylle zusammengekommen war, zog er sie in die Mitte und in die rauschende Menge. Er selbst besetzte eine Anhöhe, von wo aus er alle entgegenkommenden Männer in langer Reihe erkennen und das Gesicht der Kommenden erforschen konnte. Dann sagte er: „Nun, wohlan, ich will dir darlegen, welcher Ruhm der dardanischen Nachkommenschaft folgt, welche Enkel vom italischen Geschlecht 105 dich erwarten werden sowie die glänzenden Seelen, die in unserem Namen kommen werden und ich werde dich über dein Schicksal belehren. (760) Jener junge Mann, du siehst ihn, der sich auf die saubere Lanze stützt, hat das Los zu einer Gegend, die dem Licht am nächsten ist. Er, wird als erster, mit italischem Blut vermischt, zu den himmlischen Lüften emporsteigen. Er heißt Silvius, ein albanischer Name, dein letztgeborener Nachkomme, den dir hochbetagtem Mann spät deine Gattin Lavinia in den Wäldern als König großzieht, als Vater von Königen. Von ihm ausgehend wird unsere Gattung in Alba Longa herrschen. Jener Nachbar ist Procas, der Stolz des trojanischen Stammes, und hier Capys, Numitor und derjenige, der durch seinen Namen an dich erinnert: Silvius Aeneas, der auf gleicher Weise sowohl durch Pflichtgefühl als auch durch seine Waffenmächtigkeit (770) herausragend ist, wenn einst das zu regierende Alba annehmen wird. Was für junge Männer! Welch große Kräfte zeigen sie vor, schau hin, sie tragen ihre Schläfen, die von der Bürgerkrone aus Eichenlaub beschattet werden! Diese werden dir Nomentum, Gabii und sie Stadt Fidena errichten, die anderen die collatinische Burg auf den Bergen, sowie Pometii, das Castrum Inui, Bola sowie die Stadt Cora. Dies werden dann bekannte Namen sein, heute sind das nur Ländereien ohne Namen. Ja, und dem Großvater als Begleiter wird sich der Sohn des Mars, Romulus, hinzugesellen, den die Mutter Ilia vom Blut der Assaracus aufziehen wird. Siehst du denn, wie ein doppelter Helmbusch an seinem Scheitel steht (780) und ihn der Göttervater selbst mit seinem eigenen Ehrenabzeichen kennzeichnet? Sieh, mein Sohn, unter seinen Auspizien wird jene berühmte Stadt Rom den Herrschaftsbereich mit der Erde, die Gesinnung mit dem Olymp gleichsetzen. Die Stadt wird sich als einzige mit sieben Burgen entlang der Stadtmauer umgeben, glücklich durch die Nachkommenschaft von Helden: Es war, wie wenn die Mutter Berecyntia auf ihrem Wagen mit einer Mauerkrone durch die phrygischen Städte fährt, glücklich, weil sie einen Gott geboren hatte, während sie ihre einhundert Enkel umarmte, alle Himmelsbewohner, die alle in den oberen Höhen wohnten. Lenke deine beiden Augen nun hierhin, erblicke diesen Volksstamm und deine Römer! Hier wird Caesar und die ganze (790) Nachkommenschaft des Iulus unter die große Himmelsachse treten. Dies ist der Mann, dies ist er, bei dem du noch öfter hören wirst, dass er dir versprochen wird: Augustus Caesar, Sohn eines Gottes, der erneut in Latium ein goldenes Zeitalter begründen wird, auf den Fluren, wo einst Saturnus geherrscht hatte, und er wird über das Volk der Garamanter und Inder das Herrschaftsgebiet ausdehnen. Dieses Land liegt außerhalb unseres Gestirns, außerhalb der Bahnen des Jahres und der Sonne, wo der himmelstragende Atlas die angebundene Himmelsachse samt den brennenden Sternen auf seiner Schulter wendet. Im Hinblick auf dessen Ankunft erschrecken jetzt bereits die Königreiche am kaspischen Meer durch die Prophezeiungen der Götter, auch das ganze maeotische Land (800) und die siebenarmigen, rastlose Mündungsläufe des Nils werden von Entsetzen erfüllt. Fürwahr hat nicht einmal der Alcide so viel Land bereist, mag er auch die Hirschkuh mit ihren erzbeschlagenen Hufen durchbohrt haben, die Haine des Erymanthus befriedet und Lerna 106 durch seinen Bogen zum Zittern gebracht haben. Auch nicht Liber, der als Sieger mit Zügeln aus der Weinranke sein Gespann lenkte, während er die Tiger von dem aufragenden Gipfel des Nysa trieb. Und zögern wir noch immer unsere Tugend durch Taten auszudehnen, oder hält uns die Furcht davon ab auf Ausoniens Land Halt zu machen? Wer ist aber jener Mann in der Ferne, auffallend durch die Zweige des Olivenbaums, und der Opfergaben trägt? Ich erkenne das Haar und das ergraute Kinn (810) des römischen Königs, der die Stadt zuerst auf der Basis von Gesetzen gründen wird, der aus dem kleinen Cures und aus einem armen Land in ein großes Reich geschickt wurde. Diesem wird darauf Tullus folgen, der die friedliche Zeit seiner Heimat bricht und die erstarrten Männer in den Krieg führen und die Heereszüge, welche die Triumphe schon nicht mehr gewohnt sein werden, bewegen wird. Diesem folgt gleich nebenan der recht prahlerische Ancus, der sich nun auch schon allzu sehr über die Volksgunst freut. Willst du auch die tarquinischen Könige und die stolze Seele des Rächers Brutus sehen, sowie die empfangenen Rutenbündel? Dieser wird als erster die Befehlsgewalt eines Konsuls, sowie die wilden Beile empfangen, und als Vater wird er seine Söhne, die neue Kriege anrühren, für seine schöne Heimat zur Strafe rufen – der Unglückliche, wie die Nachwelt auch immer diese Taten beurteilen wird! Es wird die Liebe zum Vaterland siegen, sowie die gewaltige Begierde nach Ruhm. Ja, erblicke in der Ferne die Decii, die Drusi, und den wilden Torquatus mit seinem Beil, sowie Camillus, der die Feldzeichen zurück bringt. Jene allerdings, die du in den gleichen Rüstungen glänzen siehst, sind nun und solange sie von der Nacht bedrängt werden einträchtige Seelen: Oh welch große Kriege wird es zwischen ihnen geben, wenn sie das Licht des Lebens berühren wird, welche Schlachten und welches Blutbad werden sie anrichten! Der Schwiegervater, (830) der von den alpinen Bergen und von der Burg des Monoecus herabsteigen wird und der Schwiegersohn, der mit dem feindlichen Osten in Formation stehen wird! Ihr Jungen, gewöhnt nicht eure Gemüter an so große Kriege und wendet nicht eure kräftigen Stärken gegen das Herz des Vaterlandes! Du zuerst, du verschone es, der du dein Geschlecht vom Olymp ableitest, wirf die Waffen aus der Hand, mein Blut! Jener wird, nachdem er über Korinth gesiegt haben wird, als Sieger seinen Wagen zum hohen Kapitol lenken, ausgezeichnet durch die von ihm geschlagenen Achiver. Jener wird Argus, sowie das von Agamemmnon regierte Mykene von Grund auf zerstören, sowie den Aeciden selbst, Nachkomme des waffenmächtigen Achilles, (840) als Rächer der Ahnen Trojas und des entweihten Tempels der Minerva. Wer sollte dich, großer Cato oder dich Cossus verschweigen? Wer sollte das Geschlecht des Gracchus oder die beiden Scipionen, zwei Glanzstücke im Krieg, die Niederlage Libyens, den trotz seines geringen Vermögens mächtigen Fabricius, oder dich Serranus, der du die Furchen besäest, verschweigen? Wohin reißt ihr mich müden Mann noch, Fabier? Du bist jener Maximus, der einzige, der uns durch sein Zögern den Staat rettet. Andere werden auf weicherer Art und Weise atmende Bronzestatuen aus dem Stein hauen (das glaube ich jedenfalls), sie werden lebende Gesichtszüge aus Marmor bilden, oder sie werden sich vor dem 107 Gericht besser artikulieren, oder werden die Himmelsbahn mit dem Stab (850) beschreiben, sowie das aufgehende Gestirn benennen: Du sollst durch deine Befehlsgewalt Völker regieren, Römer, und daran denken (dies werden deine Kunstfertigkeiten sein), dass du dem Frieden Sitten gibst. Verschone die Unterwürfigen und bekämpfe die Überheblichen!“ So sprach der Vater Anchises und fügte Folgendes den Staunenden hinzu: „Schau, wie Marcellus sich durch seine reiche Kriegsbeute auszeichnend einherschreitet, und als Sieger alle Männer überragt. Dieser wird als Ritter das römische Staatswesen in einer großen verwirrenden Unruhe wieder auf die Beine stellen, er wird die Phönizer vernichten sowie auch den widerspenstigen Gallier, und die dritte erbeutete Rüstung wird er dem Vater Quirinus als Weihgeschenk aufhängen.“ Und nun fragte Aeneas (denn er sah einen ausgezeichneten jungen Mann mit einer einzigartigen Gestalt und glänzenden Waffen einherlaufen, doch zu wenig seine festlich geschmückte Stirn und Augen, weil er den Kopf gesenkt hatte): „Vater, wer ist jener Mann, der so den Einherschreitenden begleitet? Ist es sein Sohn oder ein anderer der Enkel aus der großen Nachkommenschaft? Was für ein Lärm der Begleiter ringsum! Welch imposante Gestalt! Doch die schwarze Nacht umhüllt sein Haupt mit einem finsteren Schatten.“ Darauf begann der Vater Anchises, nachdem er in Tränen ausgebrochen war, zu antworten: „Oh Sohn, frage nicht nach dem gewaltigen Jammer der Deinen. Die Göttersprüche zeigen ihn nur der Erde, (870) lassen darüber hinaus aber kein Verweilen zu. Die römische Nachkommenschaft schien euch zu mächtig, ihr Götter, wenn ihr dieses Geschenk zu Eigen gewesen wäre! Welch großes Seufzen der Helden wird jenes Feld zur großes Stadt des Mars treiben! Und welche Verluste wirst du sehen, Tiberinus, wenn du an einem frisch errichteten Grabhügel vorbeigleiten wirst. Kein anderer Junge aus dem trojanischen Stamm wird die latinischen Ahnen so sehr in der Hoffnung erheben, und niemals wird die römische Erde so sehr durch irgendeinen Sohn prahlen. Ach, Pflichtgefühl, ach, altehrwürdiges Vertrauen, ach, du im Krieg unbesiegte Rechte! Niemand wäre jenem bewaffneten Mann ungestraft (880) entgegen geeilt, sei es, dass dieser zu Fuß gegen den Feind ziehen, sei es, dass er dem schäumenden Pferd mit den Sporen in die Seite stechen würde. Ach, Junge, du, mit dem man Mitleid haben muss, wenn du nur irgendwie dein raues Schicksal durchbrichst! Du wirst Marcellus sein. Gebt Lilien mit vollen Händen, ich will purpurfarbene Blumen verstreuen und die Seele meines Enkels wenigstens mit diesen Gaben überhäufen und dieses vergebliche Geschenk leisten.“ So schweiften sie weit und breit in den weiten Feldern der Luft umher und musterten alles. Nachdem Anchises seinen Sohn durch die einzelnen Gegenden geführt, und sein Gemüt mit der Liebe zu den zukünftigen Ruhmestaten entzündet hatte, (890) erzählte er darauf dem Held von den Kriegen, die anschließend zu führen waren, belehrte ihn über die laurentischen Völker sowie über die Stadt des Latinus und auf welche Weise er vor jeder Strapaze fliehen oder sie ertragen konnte: „Da gab es zwei Pforten des Schlafes, von denen die eine angeblich aus Horn ist, in welcher 108 den echten Schatten ein leichter Ausgang gewährt wird, die andere ist aus strahlend weißem Elfenbein gefertigt und glänzend, doch die Manen schicken dort falsche Traumbilder zum Himmel.“ Nachdem diese Worte gesprochen wurden, folgte Anchises sodann dem Sohn gemeinsam mit Sibylle dorthin und schickte sie aus der elfenbeinernen Pforte. Aeneas legte eilends den Weg zu den Schiffen zurück und sah seine Kameraden wieder. (900) Dann fuhr er geradewegs zum Hafen von Caieta. Man warf den Anker vom Bug herab. Die Schiffe lagen an der Küste. Buch 7 Auch du Caieta, Amme des Aeneas, hast unseren Küsten sterbend ewigen Ruhm verliehen. Nun bewahrt deine Ehre diese Stätte und der Name bezeichnet im großen Hesperien dein Grab, wenn das keine Ehre ist! Doch als die Bestattung ordnungsgemäß verrichtet war, der Hügel des Grabes zusammengetragen war und nachdem sich das hohe Meer beruhigt hatte, segelte der fromme Aeneas weiter und verließ den Hafen. Die Lüfte wehten sie bis in die Nacht an und auch der strahlend weiße Mond verneinte ihnen nicht die Fahrt. Es strahlte das Meer unter glitzerndem Licht. Man streifte die (10) nahe Küste des Landes von Circe, wo die Tochter des Sonnengottes die reichen, unzugänglichen Haine durch ihren ununterbrochenen Gesang erklingen lässt und in den erhabenen Räumen im nächtlichen Licht duftendes Zedernholz verbrennt, während sie mit dem helltönenden Kamm durch feines Gewebe streicht. Von hier aus waren die Klagen und die Zorneswallungen der Löwen zu hören, die sich gegen ihre Fesseln sträubten und in der späten Nacht brüllten. Die borstigen Eber sowie die Bären wüteten in den Ställen und Gestalten von großen Wölfen heulten, welche die grimmige Göttin Circe von deren Menschengestalt aus durch starke Kräuter (20) mit dem Gesicht und mit dem Fell von wilden Tieren bedeckt hatte. Damit die pflichtbewussten Trojaner nicht derartige Ungeheuer erdulden mussten, wenn sie zu dem Hafen gerieten und sich gar nicht erst der unheilvollen Küste näherten, erfüllte Neptun die Segel mit günstigen Winden, gewährte ihnen die Flucht und fuhr sie an den brandenden Untiefen vorbei. Und schon errötete das Meer durch die Sonnenstrahlen und die hellpurpurne Aurora glänzte vom hohen Himmel her mit ihrem rosafarbenen Zweigespann, als sich die Winde legten und die ganze Flut plötzlich zum Stillstand kam. Die Ruder kämpften mit der zähen Wasseroberfläche. Und hier (30) erblickte Aeneas vom Meer aus einen gewaltigen Hain. Zwischen diesem brach der Fluss Tiberinus, der aufgrund des vielen Sandes goldgelb war, mit seiner reizenden Strömung und mit reißenden Wellenkämmen ins Meer. Oberhalb und ringsum liebkosten bunte Vögel, die mit den Ufern und dem 109 Flussbett vertraut waren, die Lüfte mit ihrem Gesang und flogen im Hain umher. Aeneas befahl seinen Kameraden zu wenden und die Vorderschiffe dem Land zuzuwenden. Fröhlich fuhr er in die schattige Flussmündung ein. Nun also, Erato, will ich darlegen, welche Könige, welche Zeiten und welcher Zustand im alten Latium herrschten, als zum ersten Mal ein fremdes Heer seine Flotte an die Gestade Ausoniens trieb. (40) Und ich will mir den Anfang des ersten Kampfes zurück ins Gedächtnis rufen. Du Göttin, du ermahne den Dichter. Ich will schreckliche Kriege nennen, ich will Schlachten nennen und Könige, die von ihrem Mut ins Grab getrieben wurden, auch das tyrrhenische Heer und das ganze Hesperien, das unter Waffen zusammengekommen war. Eine größere Abfolge von Ereignissen entsteht mir, ich setze ein größeres Werk in Bewegung. Der schon ältere König Latinus regierte die Fluren und die friedlichen Städte in einem langwährenden Frieden. Dieser ist angeblich der Sohn des Faunus und der laurentinischen Nymphe Marica. Picus ist der Vater des Faunus und Picus nennt wiederum dich, Saturnus, seinen Vater. Du bist der entfernteste Urheber der Blutsreihe. Er hatte gemäß seines Schicksals kein Göttersohn und überhaupt kein (50) einziger, starker Nachkomme. Der einzige wurde ihm geraubt als dessen Jugend gerade begann. Die einzige Tochter wachte über den Palast und den so großen Wohnsitz; sie war schon reif für einen Mann und im Hinblick auf ihre vollendeten Lebensjahre heiratsfähig. Viele Männer erstrebten sie im großen Latium, ja, in ganz Ausonien! Es begehrte sie allen voran der äußerst schöne Turnus, mächtig durch seine Ahnen und Urahnen, und die königliche Gemahlin eilte sich mit erstaunlichem Eifer, mit ihm als Schwiegersohn verbunden zu werden. Doch die Vorzeichen der Götter standen mit verschiedenen Schrecken im Weg. In der Mitte des Palastes befand sich ein Lorbeerbaum, im erhabenen Inneren, (60) heilig im Hinblick auf sein Laub, der über viele Jahre hinweg mit Ehrfurcht gehütet wurde. Der Vater Latinus hatte ihn gefunden, als er die ersten Befestigungsanlagen gründete und man sagt, dass er ihn selbst dem Phoebus geweiht hatte und den laurentinischen Siedlern des Baumes wegen ihren Namen gegeben hatte. Auf dessen höchsten Wipfel setzten sich die Bienen, die dichtgedrängt (wundersam zu sagen) mit einem gewaltigen Summen durch den klaren Äther flogen. Nachdem sie die Beine untereinander geschlungen hatten, hing plötzlich ein Schwarm vom grünenden Ast herab. Sofort sagte der Seher: „Ich erkenne, dass ein auswärtiger Held ankommt und dass ein Heer aus derselben (70) Gegend in dieselbe Richtung zieht und ganz oben auf der Burg herrscht.“ Ferner sah man die Jungfrau Lavinia, während sie die Altäre an den heiligen Brandfackeln anzündete und gleich neben ihrem Vater stand, wie sie (entsetzlich!) mit ihren langen Haaren Feuer fing und die krachende Flamme den ganzen Haarschmuck verbrannte. Sie war mit ihrem königlichen Haar und mit der durch Edelsteine auffallenden Krone entflammt. Dann wurde die rauchende Frau scheinbar in goldgelbes Licht gehüllt und sie verbreitete das Feuer im ganzen Palast. Dies aber war, so wurde es 110 gesagt, Furcht erregend und wundersam zu beobachten: Denn Lavinia werde einmal in Bezug auf ihren Ruhm und ihr Schicksal berühmt sein, (80) doch sie würde dem Volk einen großen Krieg ankündigen. Doch der König, der aufgrund der Wunderzeichen besorgt war, wandte sich an das Orakel des Faunus, seines schicksalverkündenden Vaters, und fragte die Haine unter der hohen Albunea um Rat, die als größte Quelle der Haine mit heiligem Quellwasser rauscht und im Schatten wilden Brodem verströmt. Von hier aus erbaten die italischen Stämme und das ganze oenotrische Land im Zweifel eine Antwort. Wenn der Priester die Weihgaben hierher brachte und sich in der stillen Nacht auf die ausgebreiteten Felle der geschlachteten Schafe legte und um Träume bat, sah er viele auf wundersamer Weise fliegende Traumbilder, (90) er hörte verschiedene Stimmen, erfreute sich am Gespräch mit den Göttern und sprach im tiefen Avernus Acheron an. Hier schlachtete damals auch der Vater Latinus selbst, weil er eine Antwort erbat, ordnungsgemäß einhundert wolltragende Schafe. Nachdem er sich auf deren Fell gebettet hatte und auf der ausgebreiteten Wolle lag, antwortete ihm plötzlich eine Stimme aus dem hohen Hain kommend: „Strebe nicht danach, deine Tochter durch eine latinischen Ehe zu vermählen, oh mein Nachkomme, und vertraue nicht auf die arrangierte Hochzeit! Es werden auswärtige Schwiegersöhne kommen, die mit ihrem Blut unseren Namen zu den Sternen tragen. Von deren Stamm werden deine Enkel erkennen, (100) dass sich alles unter ihren Füßen windet und gelenkt wird, was die Sonne erblickt, wenn sie von einem zum anderen Ozean wandert.“ Latinus selbst verschwieg diese Antworten des Vaters Faunus sowie die in der stillen Nacht gewährten Ermahnungen nicht, sondern Fama, die weithin umherflog, trug die Dinge in allen ausonischen Städten umher, als die trojanische Mannschaft die Flotte am grasbewachsenen Hang des Ufers befestigte. Aeneas, die ranghöchsten Anführer und der schöne Iulus legten ihre Körper unter den Zweigen eines hohen Baumes nieder, fingen mit ihrer Mahlzeit an, legten Fladen aus Dinkel über dem Gras verteilt unter ihre (110) Speisen (so mahnte sie Jupiter) und häuften auf den Fladenboden Feldfrüchte. Nachdem jetzt zufällig das andere verbraucht war, so dass der Mangel an Speisen den Biss auf das knappe Brot trieb und dazu veranlasste die Scheiben der schicksalsträchtigen Backware mit der Hand und mit ihren kühnen Kiefern zu entehren, auch nicht die weiten Viertelstücke zu schonen. „Ach, verzehren wir sogar unseren Tischersatz?“, sagte Iulus, mehr nicht und das nur im Scherz. Nachdem diese Äußerung vernommen war, bereitete sie als erste der Strapazen Ende. Der Vater schnappte sie gleich vom Mund des Sprechenden auf und aufgrund des göttlichen Wirkens verblüfft, ließ er Iulus schweigen. (120) Sofort sagte er selbst: „Sei gegrüßt Erde, die ich durch mein Schicksal verdiene und ihr, oh ihr treuen Penaten Trojas: Hier ist meine Wohnstätte. Hier ist meine Heimat! Denn mein Vater 111 Anchises hat mir derartige Geheimnisse der Göttersprüche hinterlassen (ich wiederhole sie jetzt): ‚Wenn dich, der du zu fremden Gestaden gefahren sein wirst, der Hunger dazu zwingen wird, die Tische zu verzehren, nachdem die Speisen bereits verzehrt sein werden, dann sollst du dich daran erinnern, wenn auch erschöpft, einen Wohnsitz zu erwarten, dort mit eigener Hand erste Häuser zu bauen und sie mit einem Wall zu umgeben.‘ Damit war dieser Hunger gemeint, dies blieb uns als letzte Prüfung, als Grenze des Verderbens. (130) Darum los: Lasst uns frohgestimmt bei Morgendämmerung in Erfahrung bringen, welche Gegenden das sind, welche Menschen sie bewohnen, wo sich die Stadt des Stammes befindet und lasst uns vom Hafen her in verschiedene Richtungen eilen! Nun spendet aus den Opferschalen für Jupiter, ruft in euren Gebeten den Vater Anchises an und stellt den Wein zurück auf die Tische!“ Nachdem er dann so gesprochen hatte, umwickelte er seine Schläfen mit einem belaubten Zweig und betete zu dem Genius des Ortes, zur Mutter Erde, die erste der Götter, zu den Nymphen und den bis jetzt unbekannten Flüssen, dann rief er die Nacht sowie die aufgehenden Sternzeichen der Nacht an, Jupiter des Idagebirges, und gemäß der Reihenfolge die phrygische Mutter (140) sowie seine beiden leiblichen Eltern, im Himmel und in der Unterwelt. Jetzt ließ es der allmächtige Vater dreimal vom hohen Himmel her laut donnern. Er zeigte vom Himmel aus eine durch Lichtstrahlen und Gold leuchtende Wolke, die er selbst in seiner Hand schüttelte. Jetzt verbreitete sich plötzlich im trojanischen Heer das Gerücht, dass der Tag gekommen sei, an welchem sie die versprochene Stadt gründen würden. Wetteifernd wiederholten sie das Mahl, stellten ob des großartigen Vorzeichens Krüge auf und bekränzten den Wein. Als der folgende Tag hereingebrochen war und mit seiner Leuchte die Länder erhellte, (150) erkundeten die Männer in verschiedenen Richtungen die Stadt, das Gebiet und die Küsten des Volkes. Diese stehenden Gewässer gehören zur Quelle des Numicus, dieser Fluss ist der Tiber und hier wohnten die tapferen Latiner. Dann befahl der Spross des Anchises, dass einhundert Bittsteller, die aus jedem Stand ausgewählt worden und alle mit den Zweigen der Pallas verhüllt waren, zu der erhabenen Stadt des Königs zu gehen, dem Held Geschenke zu bringen und Frieden für die Trojaner zu erbitten. Es gab keinen Verzug, sie hasteten, wie man es ihnen befohlen hatte, und eilten mit rasenden Schritten. Er selbst bestimmte die Stadtmauer mit einem niedrigen Graben, ließ den Ort bebauen und umgab die ersten Wohnhäuser an der Küste in der Art von Lagern mit Zinnen und einem Wall. (160) Und schon hatten die jungen Männer den Weg zurückgelegt und erkannten die Türme und die steil aufragenden Häuser der Latiner; und sie näherten sich der Mauer. Vor der Stadt übten sich die Knaben und die Jungend in ihrer jungendlichen Blüte auf den Pferden und sie bändigten im Staub die Streitwagen. Entweder spannten sie energisch die Bögen oder warfen die zähen Wurfspieße mit ihren Oberarmen. Sie forderten einander im Lauf oder im Schlag heraus. Als ein Bote zu Pferd zu den Ohren des hochbetagten Königs vorausgeeilt war, 112 berichtete er ihm, dass gewaltige Helden in unbekannter Kleidung gelandet seien. Jener befahl, dass sie ins Innere seines Palastes gerufen würden und setzte sich mittig auf einen alten Thron. (170) Der Palast war erhaben, gewaltig, stolz stand er auf seinen einhundert Säulen, ganz oben in der Stadt, Herrschaftssitz des Picus von Laurentum, Schauder erregend durch seine Wälder und der Frömmigkeit gegenüber den Ahnen. Hier das Zepter zu empfangen und die ersten Rutenbündel zu erheben, war den Königen ein glückliches Vorzeichen. Dieser Tempel war für sie die Kurie. Diese Stätte verwendeten sie für das Opfermahl. Hier waren es die Ahnen gewohnt sich an den langen Tischen niederzulassen, nachdem der Widder geschlachtet worden war. Ja, es standen sogar aus altem Zedernholz die Abbilder der alten Ahnen der Reihe nach dort: Italus und der Vater Sabinus, der Weinpflanzer, der auch als Bild die gebogene Sense behütete. (180) Der alte Saturnus und das Abbild des zweigesichtigen Ianus standen in der Vorhalle, auch andere Könige der Urzeit und Männer, die beim Kampf für das Vaterland Kriegswunden erlitten haben. Ferner befanden sich an den heiligen Pfosten viele Waffen, erbeutete Streitwagen hingen herab, gebogene Beile, Helmbüsche, die man auf dem Haupt trug und da waren riesige Türschlösser, Wurfspieße, Rundschilder sowie herausgerissene Schiffsschnäbel. Latinus selbst saß mit dem Krummstab des Quirinus und mit einem kleinen Prachtkleid aufgeschürzt da, führte in der linken Hand einen kleinen rundlichen Schild namens Picus, der Pferdebändiger, den die Gattin Circe, nachdem sie von Begierde ergriffen war, mit einer (190) goldenen Rute geschlagen und durch Zaubermittel in einen Vogel verwandelt hatte und letztlich mit bunten Farben seine Flügel benetzte. Latinus, der in einem solchen Göttertempel auf dem väterlichen Thron saß, rief die Teucrer zu sich in den Palast. Und zuerst sprach er aus seinem sanften Mund folgende Worte zu den Eintretenden: „Sprecht, ihr Dardaner (wir kennen nämlich sowohl eure Stadt als auch euer Geschlecht genau und haben davon gehört, dass ihr den Kurs auf dem Meer hierher lenkt), was erstrebt ihr? Welcher Grund oder welcher Mangel treibt eure Schiffe über so viele blaue Untiefen zur ausonischen Küste? Sei es dass ihr durch eine Irrfahrt oder durch Stürme hier her getrieben wurdet, (200) wie sie zahlreich die Seemänner auf dem hohen Meer ertragen, ihr habt die Ufer des Flusses betreten und euch im Hafen niedergelassen, flüchtet nicht vor der Gastfreundschaft. Ihr wisst genau, dass die Latiner das Volk des Saturnus sind und nicht aufgrund von Zwang oder Gesetzen gerecht, sondern aus eigenem Antrieb heraus, während sie sich an das Benehmen ihres alten Gottes halten. Und ich erinnere mich freilich (die Kunde ist aufgrund ihres Alters recht unbekannt), dass die alten Auruncer folgendes erzählen: Dardanus sei in diesen Gebieten geboren worden und zu den idäischen Städten Phrygiens sowie bis zum thrakischen Samos durchgedrungen, das heute angeblich Samothracia heißt. Von dort war er vom tyrrhenischen Siedlungsgebiet der Stadt Corythus aufgebrochen und empfing (210) nun auf dem 113 Thron den goldenen Königspalast des gestirnten Himmels und vergrößerte die Zahl der Götter durch Altäre.“ Das sprach Latinus und Ilioneus antwortete auf seine Worte folgendermaßen: „König, hervorragender Sohn des Faunus, uns, die wir nicht von Sturmfluten getrieben wurden, zwang kein finsterer Sturm dazu uns euren Ländereien zu näheren. Auch täuschte uns weder das Gestirn noch die Küste in der Richtung des Weges. Auf Beschluss begeben wir uns entschlossenen Mutes zu dieser Stadt, die wir aus unserem Königreich vertrieben wurden, das größte, das einst die Sonne vom äußersten Himmel her kommend erblickte. Von dem Vater Jupiter nehmen wir unseren Anfang, die dardanische Mannschaft (220) erfreut sich an ihrem Ahn Jupiter, der König selbst stammt vom höchsten Stamm des Jupiter. Der Trojaner Aeneas schickte uns zu deiner Schwelle. Welch großer Sturm ergoss sich im grimmigen Mykene und marschierte durch die idäischen Felder, auf denen die beiden Welten Europa und Asien umgetrieben wurden und gemäß den Göttersprüchen zusammenstießen, hörte jeder, auch wenn ihn die hinterste Erde durch den sich ergießenden Ozean trennt, auch wenn ihn die ausgedehnte, heiße Zone in der Mitte der vier anderen Zonen trennt. Seit jener Sintflut sind wir über so viele, weite Meere gefahren und erbeten für die väterlichen Götter ein kleines Siedlungsgebiet, einen (230) harmlosen Küstenstreifen sowie Wasser und Luft, die für alle da sind. Wir werden für euer Königreich nicht schmählich sein, ihr werdet keine unbedeutende Ehre erhalten, der Ruhm einer so großen Tat wird nicht schwinden und es wird die Ausonier nicht reuen, Troja in ihren Schoß aufgenommen zu haben. Ich schwöre es beim Schicksal des Aeneas und bei meiner mächtigen Rechten, sei es, dass einer in der Treue, sei es, dass einer im Krieg und mit den Waffen erfahren ist. Viele Völker und viele Stämme strebten danach und wollten sich mit uns verbünden (Verachte nicht, dass wir von uns aus feierliche Binden in den Händen voran- und bittende Worte vortragen haben). Doch uns haben Göttersprüche (240) durch ihre Befehle dazu getrieben, eure Ländereien aufzusuchen. Von hier entsprang Dardanus, hierher verlangt uns Apollo zurück und drängt uns mit gewaltigen Befehlen zum tyrrhenischen Tiber und zu den heiligen Wassern der Quelle Numicus. Er gibt dir ferner kleine Gaben eines früheren Vermögens, nämlich die aus dem brennenden Troja geretteten Überreste: Mit diesem Goldbecher spendete der Vater Anchises das Trankopfer bei den Altären, dies war die Bürde des Priamus als er nach Brauch den zusammengerufenen Völkern Gesetze gab: Das Zepter, der heilige Turban, sein Gewand – das Werk von Trojanerinnen.“ Nach solchen Worten des Ilioneus hielt Latinus (250) bei der Betrachtung das Antlitz gesenkt und verharrte damit unbeweglich auf dem Boden, während er seine angespannten Augen rollte. Weder bewegte den König das mit Purpur durchwirkte Gewand noch das Zepter des Priamus so sehr, wie 114 sehr er bei der Ehe und Hochzeit seiner Tochter verweilte und den Orakelspruch des altehrwürdigen Faunus in seinem Gemüt bedachte: Eben dieser Schwiegersohn werde angekündigt, der gemäß seines Schicksals von einem auswärtigen Siedlungsgebiet aufgebrochen sei und unter günstigen Auspizien werde er in das Königreich gerufen, ihm werde eine durch Tugend ausgezeichnete Nachkommenschaft zu Eigen sein, eine Nachkommenschaft, die durch ihre Stärken die ganze Welt besetzen würde. Endlich sagte er fröhlich: „Die Götter mögen mein Vorhaben und (260) ihre eigene Vorzeichen begünstigen! Es wird dir gewährt, Trojaner, was du wünschst. Und die Geschenke verschmähe ich nicht. Nicht wird euch unter mir, König Latinus, die Fruchtbarkeit eines reichen Ackers oder der Reichtum Trojas fehlen. Aeneas selbst soll nur kommen, wenn der Wunsch nach uns so groß ist, wenn er sich eilt, mit uns in Gastfreundschaft verbunden und Genosse genannt zu werden, und sein Gesicht soll nicht vor den Freunden erschaudern. Ein Teil des Friedens wird es mir sein, die Rechte des Adeligen berührt zu haben. Berichtet ihr nun hingegen eurem König meine Aufträge: Ich habe eine Tochter, die ich nach den Prophezeiungen aus dem väterlichen Tempel nicht mit einem Mann meines Stammes verheiraten darf. Auch die meisten (270) Vorzeichen am Himmel lassen das nicht zu. Schwiegersöhne würden von auswärtigen Küsten herbeikommen, dies würde Latium bevorstehen, prophezeiten sie, Schwiegersöhne, die durch ihr Blut unseren Namen bis zu den Sternen erhöben. Eben diesen Fürsten fordern die Göttersprüche, das glaube ich und sofern mein Geist irgendetwas Wahres preist, wünsche ich ihn herbei.“ Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, wählte der Vater Latinus aus der ganzen Schar Pferde aus (es standen dreihundert stattliche Pferde in den hohen Ställen). Sofort befahl er, dass allen Teucrern der Reihe nach Pferde, die mit einem Purpurgewand und bunten Teppichen bedeckt waren, zugeführt wurden (an ihren Brüsten hingen goldene Halsketten herab und sie kauten mit Gold bedeckt unter ihren Zähnen schimmerndes Gold), (280) sowie dem abwesenden Aeneas ein Wagen und zwei unter das Joch gespannte Pferde, die vom Himmel abstammten und durch ihre Nasen Feuer ausbliesen. Sie waren vom Stamm derjeniger Pferde, welche die listige Circe ohne das Wissen des Vaters der untergeschobenen Mutter gestohlen und sie zu Bastarden gemacht hat. Mit derartigen Geschenken und Worten des Latinus kehrten die Männer des Aeneas stolz auf ihren Pferden zurück und brachten Frieden mit. Doch sieh! Die grausame Gattin des Jupiters kehrte von der Stadt Argos, die von Inachus gegründet war, zurück, zog und fuhr durch die Lüfte, sah den glücklichen Aeneas und vom fernen Himmel auch die dardanische Flotte von Sizilien aus bis nach Pachynus. (290) Sie sah, wie bereits Häuser gebaut wurden, wie die Männer bereits den Ländereien vertrauten und wie sie die Schiffe verlassen hatten: Sie stand wie angewurzelt da, erfüllt von heftigem Schmerz. Während sie dann ihren Kopf schüttelte brachte sie folgende Worte aus ihrer Brust hervor: „Oh, du mir verhasstes Geschlecht und ihr 115 Göttersprüche der Phrygier, die meinen entgegenstehen! Konnten sie etwa auf den sigeischen Feldern sterben? Konnten sie etwa als Gefangene gefasst werden? Hat etwa das entflammte Troja die Männer verbrannt? Mitten durch die Schlacht und mitten durch die Feuer haben sie einen Fluchtweg gefunden. Doch, so glaube ich, liegen meine göttlichen Wirkkräfte endlich erschöpft da, oder ich bin von Hass gesättigt zur Ruhe gekommen. Ja, ich (300) wagte sogar die aus ihrer Heimat Vertriebenen feindselig über die Meere zu verfolgen und mich den Fliehenden auf dem ganzen Meer entgegenzustellen. Die Kräfte des Himmels und des Meeres wurden gegen die Teucrer verbraucht. Was haben mir die Syrten, oder Scylla, was hat mir die riesige Charybdis genutzt? Sie sind am gewünschten Flussbett des Tibers untergebracht, des Meeres und meiner unbekümmert. Mars vermochte das riesige Volk der Lapithen zu verderben, der Schöpfer der Götter selbst gestand das altehrwürdige Calydon den Zorneswallungen der Diana zu. Welches Verbrechen war so groß, dass es die Lapithen oder Calydon verdient hatten? Aber ich, große Gattin des Jupiter – nichts ließ ich unversucht, was ich Unglückliche vermochte, und die ich mich zu jeder Möglichkeit hinwandte (310) werde ich von Aeneas besiegt. Auch wenn meine göttlichen Wirkkräfte nicht groß genug sind, will ich gewiss nicht zögern, anzuflehen, was ich finden kann: Wenn ich nicht die Götter umstimmen kann, werde ich beim Acheron etwas erreichen. Es wird mir nicht gewährt werden die Männer vom latinischen Königreich abzuhalten, so sei es eben, und die Gattin Lavinia bleibt aufgrund ihres Schicksals unverändert: doch es ist möglich es in die Länge zu ziehen und den so großen Unternehmungen Verzögerungen hinzuzufügen, und es ist möglich die Völker beider Könige zu vernichten. Durch diesen Lohn ihrer Leute sollen Schwiegersohn und Schwiegervater feindlich zusammentreffen: Du Jungfrau sollst durch Trojaner- und Rutulerblut deine Mitgift erhalten und die Göttin des Krieges bleibt dir als Brautführerin. Nicht nur die Tochter des (320) Cisseus war mit einer Hochzeitsfackel schwanger und hat eheliche Feuer geboren. Ja, der Sohn der Venus ist dasselbe: ein zweiter Paris: Erneut bringt er todbringende Hochzeitsfackeln zum wieder entstehenden Pergamum.“ Nachdem sie diese Worte verlauten ließ, eilte sie Schauder erregend zu Erden. Sie rief die Trauer bringende Allecto vom Sitz der unheilvollen Göttinnen aus Unterwelt und Finsternis, welcher finstere Kriege, Zorneswallungen, Hinterhalt und schädliche Anklagen am Herzen liegen. Sogar der Vater Pluto selbst hasste sie und es hassen die Unterweltschwestern das Scheusal: So viele Gesichter nimmt sie an, so grimmige Gestalten, finster keimt sie mit so vielen Schlangen. (330) Diese machte Iuno mit folgenden Worten scharf und sprach solches: „Tu mir diesen speziellen Gefallen, Jungfrau, die du von der Nacht entsprungen bist, dieses Werk, damit nicht meine Ehre von ihrer Stelle weicht, oder mein zerbrochener Ruhm und damit sich nicht die Männer des Aeneas um eine Hochzeit bittend an Latinus wenden, oder das italische Gebiet besetzen können. Du kannst für eine Schlacht einträchtige Brüder bewaffnen und Geschlechter mit Hass bestürmen, du kannst in Häuser Schläge 116 und Leichenfackeln hineintragen, du hast tausend Namen und tausend Kunstfertigkeiten, um zu schaden. Rüttle dein fruchtbares Gemüt auf, zerschmettere den geschlossenen Frieden und säe Beschuldigungen, die zu einem Krieg führen werden. (340) Die Jugend soll Waffen wollen, sie fordern und gleichzeitig an sich reißen.“ Sodann eilte Allecto, mit dem Gift der Gorgo benetzt, zuerst nach Latium und zum aufragenden Palast des laurentinischen Fürsten. Sie besetzte das stille Gemach der Amata. Diese brennende Frau durchkochten Sorgen und Zorneswallungen über die Ankunft der Teucrer und über die Hochzeit des Turnus. Dieser warf die Göttin aus ihren schwärzlichen Haaren eine Schlange entgegen, bringt sie zu ihrem Schoß, an ihr innerstes Gemüt, damit sie durch dieses Ungeheuer als Rasende das ganze Haus in Unordnung brachte. Die Schlange glitt zwischen dem Gewand und der glatten Brust, (350) wälzte sich ohne Berührung und betrog die Rasende, indem sie ihr ihre Schlangenseele einhauchte. Am Hals wurde die gewaltige Schlange zu einer goldenen Halskette, sie wurde zu den langen Bändern der Kopfbinde, umschlang das Haar und irrte schlüpfrig über die Glieder. Und während das erste Übel, welches durch das feuchte Gift herangeschlichen war, ihre Sinneswahrnehmung angriff und sich das Feuer an ihren Knochen festhielt, ihre Seele aber noch nicht in ihrer ganzen Brust Feuer gefangen hat, sprach sie recht ruhig und auf gewohnter Art und Weise von Müttern, während sie viel über ihre Tochter und über die phrygische Hochzeit weinte: „Teucrischen Exilanten wird gewährt, Lavinia zu heiraten, (360) oh Vater! Erbarmt es dich nicht meiner Tochter und der Deinen? Erbarmt es dich nicht der Mutter, die der treulose Mann mit dem ersten Nordwind aufs hohe Meer eilend zurücklassen wird, nachdem er die Jungfrau weggeführt haben wird, der Räuber? Drang nicht so der phrygische Hirte in Sparta ein und fuhr die Tochter der Leda, Helena zur Stadt Troja? Was ist mit deiner heiligen Treue? Was ist mit der altehrwürdigen Verehrung der Deinen, was ist mit der Rechten, die sooft dem blutsverwandten Turnus gegeben wurde? Wenn für die Latiner ein Schwiegersohn von einem auswärtigen Stamm erstrebt wird und dies beschlossen ist, wenn dich die Befehle des Vaters Faunus bedrängen, wird, glaube ich, freilich jedes Land, das frei von unserer Herrschaft ist, als auswärtiges Land von uns (370) getrennt sein, und so sagen es die Götter. Auch Turnus hat, wenn man den allerersten Ursprung seiner Familie wiederaufgreift, Inachus und Acrisius als Ahnen und stammt mitten aus der Stadt Mykene.“ Nachdem diese Worte vergebens gesprochen waren und die kundige Frau sah, wie ihr Latinus nach wie vor gegenüber stand, das schreckliche Übel der Schlange völlig in ihre Eingeweide geglitten war und in der ganzen Frau umherirrte, wurde die Unglückliche dann aber von dem gewaltigen Scheusal aufgejagt, und raste ohne Benehmen, besessen durch die gewaltige Stadt: Sie eilte wie der manchmal unter einem Schlag gedrehte Kreisel umher, den die Jungen in einem großen Kreis um das 117 leere Atrium treiben, (380) wenn sie sich dem Spiel hingeben – jener eilt von der Peitsche getrieben in kurvigen Bahnen. Es staunt oberhalb die unkundige und jugendliche Schar, die das sich drehende Stück Holz bewundert. Die Schläge treiben ihn an. Nicht träger als jener Lauf wurde Amata mitten durch die Städte und durch die wilden Völker getrieben. Ja sie enteilte sogar in die Wälder, nachdem sie die göttliche Wirkkraft des Bacchus nachgeahmt hatte und begann einen größeren Frevel; sie fing damit an, noch mehr zu rasen und versteckte ihre Tochter in den belaubten Bergen, damit sie den Teucrern das Ehebett entreißen und die Hochzeit verzögern konnte. Immer wieder brüllte sie „Euhoe, Bacchus“, immer wieder (390) schrie sie „Du bist als einziger meiner Jungfrau würdig. Und für dich nimmt sie freilich den sanften Bacchusstab, dich umtanzt sie in einem Reigen, für dich nähert sie ihr heiliges Haar.“ Das Gerücht eilte umher, dass dieselbe Glut alle Mütter, die in ihrer Brust durch Raserei entflammt waren, zugleich dazu trieb, neue Häuser zu suchen. Siehatten ihre Häuser verlassen und gaben ihre Hälse und die Haare den Winden preis. Andere hingegen erfüllten die Lüfte mit zittrigem Geheul und trugen mit Tierfellen umgürtet Lanzen, die mit Weinranke umkleidet waren. Sie selbst hielt hitzig mitten unter ihnen eine brennende Fackel aus Fichtenholz und sie sang das Hochzeitslied ihrer Tochter und des Turnus, während sie ihre blutunterlaufenen Augen wendete. Wild (400) schrie sie plötzlich: „Oh Mütter, hört her, wo ihr auch seid, Latinerinnen: Wenn noch irgendein Funken Ansehen der unglücklichen Amata in euren pflichtbewussten Gemütern verbleibt, wenn noch die Sorge um das mütterliche Recht an euch nagt, dann löst die Haarbinden und feiert mit mir die Orgien.“ So trieb Allecto die Königin inmitten der Wälder und der verlassenen Orte der wilden Tiere von allen Seiten durch die Stacheln des Bacchus. Nachdem sie die erste Raserei genug angestachelt zu haben schien sowie den ganzen Plan und das Geschlecht des Latinus in Verwirrung gebracht zu haben, erhob sich sodann die finstere Göttin unverzüglich mit ihren schwarzen Schwingen zu den kühnen Stadtmauern des Rutulus, zu der Stadt, (410) die Danae angeblich für Siedler der Stadt des Acrisonius gegründet hatte. Vom eiligen Südwind wurde sie getragen. Der Ort wurde einst von den Ahnen Ardea genannt. Auch heute noch bleibt der große Name Ardea, doch dessen glückliche Zeit ist Vergangenheit. Hier war Turnus in seinem erhabenen Palast schon mitten im Schlaf bei schwarzer Nacht. Allecto legte ihre finstere Gestalt und ihre Furienglieder ab, nahm eine altweiberhaften Miene an und pflügt ihre Stirn durch Falten hässlich. Sie legte graues Haar gemeinsam mit einer Binde an, dann umschlang sie es mit dem Zweig eines Ölbaums. Sie wurde zu Calybe, einer alten Priesterin der Iuno und ihres Tempels. (420) Und vor den Augen des jungen Mannes trat sie ihm mit diesen Worten entgegen: „Turnus, duldest du, dass so viele hervorgebrachte Strapazen fruchtlos waren und auch deine Herrschaft den dardanischen Siedlern überschrieben wird? Der König verwehrt dir die Hochzeit und die mit Blut erworbene Mitgift. Er sucht einen auswärtigen Erben für sein Königreich. Geh nun, tritt den undankbaren 118 Gefahren entgehen, du verlachter Mann! Geh, strecke das tyrrhenische Heer nieder, schütze die Latiner durch Frieden. Die allmächtige Tochter des Saturns selbst hat mir befohlen, dir diese Befehle öffentlich zu verkünden, wenn du in der sanften Nacht schliefest. Daher auf, bereite (430) frohgestimmt vor, dass die Jungmannschaft bewaffnet wird und durch die Pforten aufs Feld zieht. Brenne die phrygischen Anführer, die sich an dem schönen Fluss niedergelassen haben sowie ihre bemalten Schiffe nieder! Die große Macht der Götter befiehlt es. König Latinus selbst soll sie spüren, wenn er zugibt, die Hochzeit nicht zu gewähren und sein Versprechen nicht zu halten, und er soll Turnus endlich im Krieg auf die Probe stellen.“ Jetzt fing der junge Mann, die Seherin verlachend, seinerseits an, ihr folgendes zu erwidern: „Die Nachricht, dass eine Flotte über die Wasser des Tibers gefahren ist, ist meinen Ohren, wie du glaubst, nicht entgangen. Aber stelle mir nicht eine so große Furcht dar. Auch die Königin Iuno denkt gewiss an uns. (440) Aber dich quält ein von der Untätigkeit besiegtes, für die wahren Dinge unempfängliches Greisenalter, vergebens mit Sorgen und täuscht inmitten der Waffen der Könige die Seherin mit falscher Furcht. Es ist deine Aufgabe das Abbild der Götter und die Tempel zu schützen. Die Männer führen Krieg und schließen Frieden, weil es deren Aufgabe ist Kriege zu führen.“ Nach derartigen Worten entbrannte Allecto in Zorn. Dem redenden Mann hingegen besetzte plötzlich ein Zittern die Glieder, seine Augen erstarrten: Mit so vielen Wasserschlangen zischte die Furie und offenbarte ihre so große Gestalt. Während sie dann ihre feurigen Augen wendete, stieß sie den zögernden Mann, der sich bemühte noch mehr zu sagen, (450) zurück und richtete in ihren Haaren ein Schlangenpaar auf. Sie ließ Schläge hören und fügt folgende Worte aus rasendem Mund hinzu: „Schau, ich bin von der Untätigkeit besiegt, die mich das für wahre Dinge unempfängliche Greisenalter inmitten der Waffen der Könige mit falscher Furcht täuscht. Beachte folgendes: Ich komme vom Wohnsitz der unheilvollen Schwestern (=Furien) und trage in meiner Hand Kriege und Tod.“ So hatte sie gesprochen, schleuderte dem jungen Mann die Fackel hin und durchbohrte ihn unter der Brust mit dem mit finsterem Licht rauchenden Kienholz. Jenem unterbrach gewaltige Furcht den Schlaf und der am ganzen Körper ausgebrochene Schweiß bedeckte seine Gebeine und seine Glieder. (460) Von Sinnen brüllte er nach Waffen, nach Waffen suchte auf seinem Bett und im Palast. Es wütete das Verlangen nach einem Schwert, der verbrecherische Wahnsinn des Krieges und darüber hinaus der Zorn: Ganz wie wenn unter großem Getöse ein Reisigfeuer unter den Bauch eines siedenden Kessels gelegt wird und die Flüssigkeit durch die Hitze in die Höhe springt. Im Inneren tobt des Wassers dampfende Masse und hoch wallt der Wasserstrom mit seiner Gischt und nicht mehr hält sich die Woge: es eilt finsterer Dampf in die Luft. Also kündigte Turnus der ersten Jungmannschaft einen Marsch zum König Latinus an, da der Friede beschmutzt worden war und 119 befahl ihr, die Waffen gefechtsbereit zu machen, Italien zu schützen und den Feind aus dem Gebiet zu vertreiben. (470) Er trete beiden Heeren gewachsen an: Den Teucrern und den Latinern. Nachdem er diese Worte gesprochen und die Götter für seine Gelübde angerufen hatte, spornten sich die Rutuler im Wetteifer an, zu den Waffen zu schreiten. Diesen bewegt die ausgezeichnete Zierde von Schönheit und Jugend, diesen die Ahnenkönige und diesen seine Rechte mit ihren berühmten Taten. Während Turnus die Rutuler mit kühnem Mut erfüllte, stürzte sich Allecto mit ihren stygischen Schwingen zu den Teucrern. Mit einer neuen List erspähte sie den Hain, wo der schöne Iulus an der Küste wilde Tiere im Lauf mit Fallen jagte. Hier (480) flößte die unterweltliche Jungfrau seinen Hunden eine plötzliche Raserei ein und berührte ihre Nasen mit bekanntem Geruch, so dass sie eifrig nach einem Hirsch jagten. Dies war die erste Ursache für die Strapazen und sie entflammte die bäuerlichen Gemüter für den Krieg. Es gab einen Hirsch von herausragender Gestalt, gewaltig war er durch sein Geweih, den, von der Brust seiner latinischen Mutter geraubt, die Jungen und ihr Vater Tyrrhus ernährt hatten, dem die königlichen Herden gehorchten und weithin die Wache über das Feld anvertraut war. Die Schwester Silvia schmückte ihn, den sie mit ihrer ganzen Sorgfalt an ihre Befehle gewöhnt hatte, indem sie das Geweih mit weichen Blumengewinden bedeckte. Sie kämmte den Hirsch und wusch ihn an einer reinen Quelle. (490) Jener irrte in den Wäldern umher, ihre Hand duldend und an die Tische seiner Herrin gewöhnt, und begab sich selbst wieder zu den gewohnten Schwellen nach Hause, obwohl es zu später Nacht war. Diesen in der Ferne umherirrenden Hirsch beunruhigten die rasenden Hunde des jagenden Iulus, als er zufällig mit der Strömung des Flusses schwamm ließ und sich am grünenden Ufer die Hitze erträglicher machte. Sogar Ascanius selbst entflammte im Verlangen nach besonderem Lob und lenkte den Pfeil mit gespanntem Bogen auf ihn. Auch ein Gott half der irrenden Hand, und getrieben gelangte der Pfeil mit lautem Klang durch den Bauch und durch die Eingeweide. (500) Doch der Hirsch flüchtete sich verwundet unter das gewohnte Dach, trat stöhnend in den Stall, blutig erfüllte er mit seinem Wehklagen einem Flehenden ähnlich das ganze Haus. Die Schwester Silvia, die sich mit den Handflächen auf ihre Oberarme schlug, rief als erste nach Hilfe, und rief die raubeinigen Bauern zusammen. Jene kamen ahnungslos herbei (das bittere Übel verbarg sich nämlich in den schweigenden Wäldern): Der einer war bewaffnet mit einem brennenden Holzscheit, der andere mit einer Keule voller Knoten. Was ein jeder fand, machte der Zorn für den Suchenden zur Waffe. Tyrrhus rief seine Heereszüge, sobald er zufällig eine Eiche mit eingetriebenen Spaltkeilen in vier Teile (510) spaltete und schnaubte dabei schrecklich, nachdem er sein Beil hastig ergriffen hatte. Doch die wilde Göttin, die zufällig eine günstige Gelegenheit erhalten hatte, um zu schaden, eilte von ihrer Warte aus zu dem steil aufragenden Dach des Stalls, spielte von ganz oben auf dem Dach das 120 Hirtensignal und ließ ihre unterweltliche Stimme anschwellen, durch die sofort der ganze Hain erzitterte und die tiefen Wälder erschallten. Es hörte sie weithin der See der Trivia, es hörte sie der schwefelige Fluss Nar, hell durch sein Wasser, sowie die Quellen des Velinus, und die unruhigen Mütter drückten ihre Kinder an ihre Brüste. Dann aber liefen zu dem Ton, womit das (520) unheilvolle Signalhorn das Zeichen gab, die ungezähmten Bauern schnell aus allen Richtungen her zusammen, nachdem sie hastig ihre Wurfgeschosse ergriffen hatten, und auch die trojanische Jungmannschaft entströmte dem Ascanius zur Hilfe aus den offenen Lagern. Beide lenkten die Kampfreihen. Es wurden nicht mehr in einem ländlichen Konflikt harte Lanzen getrieben und vorn in Feuer gehärtete Speere, sondern sie kämpften mit doppelschneidiger Axt um die Entscheidung und es versetzte einem weithin die finstere, dichte Menge durch die gezogenen Schwerte in Schrecken. Die ehernen Waffen leuchteten von der Sonne angestrahlt und reflektierten das Licht unter den Wolken: Es war so, wie wenn das Meer begann, durch den ersten Wind weiß aufzuschäumen und sich allmählich erhob, die Wogen höher (530) aufrichtete, und sich dann vom tiefen Grund bis zum Himmel auftürmte. Jetzt wurde ein junger Mann namens Almo, welcher der größte der Tyrrhussöhne war, vor der ersten Schlachtreihe von einem rauschenden Pfeil niedergestreckt. Es blieb ihm nämlich der Pfeil unter der Kehle stecken und schloss den Weg seiner feuchten Stimme und sein zartes Leben in Blut ein. Viele Körper von Helden fielen ringsum, und auch der alte Galaesus, während er sich für den Frieden als Mittler angeboten hatte, welcher der einzig äußerst rechtschaffene Mann war und einst im ausonischen Land der reichste. Er hatte fünf Schafherden, fünf Rinderherden kehrten immer zurück und mit einhundert Pflügen ließ er die Erde wenden. (540) Doch während diese Kämpfe unter gleichmäßigem Kriegsglück auf den Feldern geführt wurden, verließ die mächtige Furie Hesperien, nachdem sie ihr Versprechen eingelöst hatte und sobald sie den Krieg in Blut getränkt und für Leichen bei den ersten Kämpfen gesorgt hatte. Sie wandte sich durch die Lüfte des Himmels und sprach als Siegerin mit stolzer Stimme Iuno an: „Sieh, die Zwietracht wurde für dich in einem finsteren Krieg zustande gebracht. Sage, sie mögen in Freundschaft zusammenkommen und Bündnisse schließen! Da ich nun einmal die Teucrer mit ausonischem Blut besprengt habe, will ich diesen auch noch folgendes hinzufügen, wenn mir dein Wille sicher ist: Ich will durch Gerüchte auch die benachbarten Städte in den Krieg bringen und ich (550) will die Gemüter mit dem Verlangen wahnsinniger Kriegssucht entflammen, sodass sie von allen Seiten zu Hilfe kommen mögen. Ich will Waffen über den Feldern zerstreuen!“ Dann antwortete Iuno: „Wir haben mehr als genug Schrecken und Betrug, die Kriegsgründe stehen, es wird handgemein mit Waffen gekämpft, und neues Blut benetzt die Waffen, die anfangs der Zufall gegeben hatte. Eine solche Vermählung und eine solche Hochzeit sollen das ausgezeichnete Geschlecht der Venus und König Latinus selbst feiern. Der Göttervater, der Beherrscher des höchsten Olymps, will nicht, dass du 121 recht freizügig über den Himmelslüften umherirrst. Weiche von dannen! Ich aber will, wenn es darüber hinaus noch irgendeinen Verlauf der Strapazen gibt, ihn (560) selbst lenken.“ Solche Äußerungen gab die Tochter des Saturns von sich. Allecto aber erhob ihre vor lauter Schlangen zischenden Schwingen und eilte zum Sitz des Cocytus, während sie die oberen, steilen Anhöhen verließ. Es gibt einen Ort in der Mitte Italiens, am Fuße hoher Berge und sein bekannter Ruf findet an vielen Küsten Erwähnung: Das Tal des Ampsanctus-Sees. Diesen See bedrängt hier wie dort eine schwarze Waldseite mit dichtem Laub. In der Mitte gibt ein brausender Sturzbach durch die Felsen und seinem runden Strudel Lärm von sich. Hier zeigen sich die schreckliche Höhle und das Luftloch des grimmigen Dis, und ein gewaltiger Abgrund, öffnet beim hervorbrechenden Acheron seine (570) Verderben bringende Rachen. In ihnen verbarg sich die Furie Erinys – die verhasste Wirkkraft – und erquickte damit Himmel und Erde. Um nichts weniger legte die Tochter des Saturns, die Königin der Götter, letzte Hand an den Krieg. Es stürzte die ganze Schar der Hirten von der Kampfreihe aus in die Stadt. Sie trugen die Gefallenen zurück: Den Jungen Almo und das Gesicht des entstellten Galaesus. Sie flehten die Götter an und beschworen Latinus. Turnus war zur Stelle und mitten im Vergehen des Gemetzels und des Feuers verdoppelte er den Schrecken: Man rufe die Teucrer in den Königspalast, die phrygische Nachkommenschaft werde beigemischt und er selbst von der Schwelle vertrieben. (580) Dann versammelten sich die Männer von allen Seiten, deren begeisterte Mütter durch die entlegenen Hainen für Bacchus Reigentänze aufführten (Amata hieß nämlich aus gutem Grund so), sie liefen zusammen und ermüdeten den Kriegsgott. Sogleich forderten alle den unsäglichen Krieg entgegen der Vorzeichen, entgegen der Schicksalssprüche der Götter in Umkehr des göttlichen Willens. Wetteifernd umstellten sie den Palast des Königs Latinus. Dieser blieb stehen wie ein unbeweglicher Fels im Meer, wie ein Meeresfelsen unter dem Heranrollen großen Getöses, der sich trotz der vielen tosenden Wellen ringsum durch seine Masse hält. Vergebens lärmen ringsum Felswände und um die schäumenden (590) Felsbrocken. Der an seiner Seite angestoßene Seetang ergießt sich in seine ursprüngliche Position. Sobald sich aber keine Möglichkeit bot, den finsteren Plan zu bewältigen und die Geschehnisse nach dem Willen der grimmigen Iuno abliefen, sprach der Vater Latinus, nachdem er vergeblich und vielfach die Götter und die seelenlosen Lüfte als Zeugen angerufen hatte: „Oh, wir werden durch die Göttersprüche zerbrochen, wir werden von einem Sturm zerschlagen! Ihr selbst werdet mit eurem fluchbeladenen Blut diese Strafen zahlen, oh ihr Unglücklichen! Auf dich, Turnus – unsagbar! – wartet eine traurige Hinrichtung. Flehe mit späten Gebeten die Götter an! Denn mir ist Ruhe verschafft, an der Schwelle des ganzen Hafens werde ich nur eines glücklichen Todes beraubt.“ Mehr hatte er nicht gesprochen, (600) schloss sich in seinem Palast ein und ließ den Dingen ihren Lauf. 122 Es gab einen Brauch im abendländischen Latium, den gleich anfangs die albanischen Städte als heiliger Brauch gepflegt hatten, nun verehrt ihn das größte aller Staatswesen, die Stadt Rom, immer wenn sie den Kriegsgott Mars in die ersten Schlachten bewegt, sei es, dass sie mit ihrer Mannschaft einen beklagenswerten Angriffskrieg gegen die Geten führen, oder die Hyrcaner oder Araber angreifen, sei es, dass sie zu den Indern ziehen, Aurora folgen und von den Parthern die Feldzeichen zurückfordern: Zweifach sind die Tore des Krieges (so nennen sie jene namentlich), heilig aufgrund der Götterverehrung und aufgrund der Furcht vor dem wilden Kriegsgott Mars. Einhundert eherne Türriegel verschließen sie, sowie die ewige (610) Kraft des Eisens, und der Wächter Ianus weicht nie von ihrer Schwelle. Diese Tore öffnet der Konsul selbst, sobald der Kriegsbeschluss für die Väter feststeht, die knarrenden Türflügel, sich auszeichnend durch das Staatskleid des Quirinus und durch die gabinische Umgürtung. Er selbst ruft zum Kampf. Ihm folgt dann die übrige Jungmannschaft und die ehernen Blashorne blasen in dumpf tönender Zustimmung. Durch diesen Brauch bekam damals auch Latinus befohlen, den Männern des Aeneas den Krieg zu erklären und die finsteren Tore zu öffnen. Vater Latinus hielt sich von deren Berührung fern, floh abgewandt vor dem hässlichen Dienst und verbarg sich in finsteren Schatten. (620) Dann glitt Iuno, die Königin der Götter, vom Himmel herab und bewegte die zögernden Tore mit eigener Hand. Indem sie die Türangel gedreht hatte, brach die Tochter des Saturns die mit Eisen beschlagenen Pfosten des Krieges auf. Es stand Ausonien in Aufruhr, das zuvor ruhig und unbeweglich war. Ein Teil bereitete sich darauf vor, zu Fuß über die Felder zu marschieren, ein anderer Teil raste aufragend und staubig auf hohen Pferden, doch alle forderten sie Waffen. Ein Teil wischte mit fettem Speck die leichten Rundschilde und die leuchtenden Lanzenspitzen ab und bearbeitete die Beile an einem Wetzstein. Es erfreute sie die Feldzeichen zu tragen und den Klang der Trompeten zu hören. Fünf große Städte (630) erneuerten bis dahin ihre Waffen nachdem sie die Ambosse aufgestellt hatten: das mächtige Atina, das stolze Tibur, Ardea, Crustumerium und das mit Türmen umkrönte Antemnae. Ein sicherer Helmschutz höhlten sie für den Kopf aus und bogen Flechtwerke aus Weidenholz für die Schilde. Andere schmiedeten aus zähem Silber eherne Brustpanzer oder leichte Beinschienen. Hierhin wich die Ehre eines Pflugschars und einer Sense, hierhin das ganze Verlangen nach einem Pflug. Sie schmolzen die väterlichen Schwerte in den Schmelzöfen um. Und schon ertönten die Kriegstrompeten, es lief die Losung – das Zeichen zum Krieg. Hier rafft jemand unruhig den Helm aus seinem Haus, jener zwang die bebenden Pferde unters Joch, zog das Rundschild sowie den mit drei Golddrähten geflochtenen (640) Brustpanzer an und umgürtete sich mit dem treuen Schwert. Öffnet nun den Helikon, Musen, beeinflusst den Gesang darüber, welche Könige zum Krieg herbeigerufen wurden, welche Kampfreihen wem folgten und die Felder erfüllten, durch welche 123 Kräfte die italische Erde schon damals gütig strotzte und durch welche Waffen sie entbrannte. Ihr erinnert euch nämlich, Musen, und könnt es erzählen. Zu uns ist kaum ein zartes Gerücht durch die Luft hindurch geschlüpft. Als erster schreitet der derbe Mezentius, Verächter der Götter, von der tyrrhenischen Küste kommend in den Krieg und bewaffnet seine Heereszüge. Direkt neben ihm war sein Sohn Lausus, woran gemessen kein zweiter schöner war, (650) außer dem Körper des Turnus aus Laurentium. Lausus, der Pferdebändiger und Bezwinger der wilden Tiere, führte vergebens eintausend ihm folgende Männer aus der Stadt Agyllina. Er wäre es wert gewesen im Reich seines Vaters glücklicher zu sein und einen anderen Vater als Mezentius gehabt zu haben. Hinter diesen Männern zeigte der schöner Aventinus, der Sohn des schönen Hercules, einen aufgrund eines Palmzweiges auffallenden Wagen, den er durch das Gras fuhr, sowie siegreiche Pferde. Und auf seinem Rundschild führte er das väterliche Ehrenzeichen: Und eine Hydra, die von einhundert Schlangen umgeben war. Diesen hat (660) heimlich im Wald, am Hügel Aventinus, die Priesterin Rhea unter der Zone des Lichtes geboren, nachdem sich die Frau mit einem Gott vereinigt hatte und nachdem der Sieger aus Tiryns, sobald Geryones ausgelöscht war, die laurentinischen Fluren erreicht und im tyrrhenischen Fluss die iberischen Rinder gewaschen hatte. Seine Männer trugen in ihrer Hand Wurfgeschosse und grimmige Lanzen in den Krieg, sie kämpften mit geschliffenen Dolchen und sabellischem Speer. Aventinus selbst war zu Fuß, während er ein riesiges Löwenfell schwang; das ungekämmte Fell mit den schrecklichen Borsten und den weißen Zähnen hatte er sich über den Kopf gezogen und so näherte er sich dem königlichen Palast. Er wirkte schauderhaft und hatte seine Schultern mit dem herculeischen Umhang umschlungen. (670) Dann verlassen die Zwillingsbrüder, Catillus und der energische Coras, zwei argivische junge Männer, die Stadtmauern ihrer Stadt Tibur – sie ist nach ihrem Bruder Tiburtus benannt. Und noch vor der ersten Kampfreihe stürzten sie sich mitten in die dichten Wurfgeschosse. Es war, wie wenn zwei Zentauren vom hohen Gipfel eines Berges herabsteigen, während sie den Homole und den schneeweißen Othrys in schnellem Lauf zurücklassen. Es machte den marschierenden Männern der gewaltige Wald Platz und das Gebüsch wich ihnen mit lautem Krachen. Auch der Gründer der Stadt Praeneste war zugegen, von dem das ganze Zeitalter glaubt, er sei von Volcanus zwischen ländlichem Vieh als König gezeugt und (680) an den Feuerherden gefunden worden: Caeculus. Diesen begleitete weithin eine bäuerliche Legion: Diejenigen Männer, die das erhabene Praeneste bewohnten, diejenigen, welche die Fluren der Stadt Gabii, Stadt der Iuno 124 bewohnten, und den eisigen Anio, die aufgrund ihrer Bäche bewässerten hernicischen Felsen, die das reiche Anagnia ernährte und du, Vater Amasenus. All diesen Männern ertönten weder Waffen noch Rundschilder oder Wagen. Der größte Teil schleuderte Kugeln aus bläulichem Blei, ein anderer Teil führte in der Hand zwei Pfeile und hatte rotgelbe Pelzkappen aus Wolfsfell als Bedeckung für den Kopf. Sie (690) stellten die nackte Sohle des linken Fußes auf den Boden, den anderen Fuß bedeckte ein frischer Lederstiefel. Doch Messapus, der Pferdebändiger, Nachkomme des Neptuns, den niemand mit Feuer oder dem Schwert nach göttlichem Recht niederstrecken darf, rief die schon längst erstarrten Völker und die nicht mehr an den Krieg gewöhnten Heereszüge plötzlich zu den Waffen und ergriff von neuem sein Schwert. Dies sind die Schlachtreihen aus Fescennium und Aequi Falisci. Sie besitzen die Burg des Soracte, die flavinischen Felder, gemeinsam mit dem Berg den See des Ciminus und die Haine von Capena. Sie schritten in gleichmäßiger Anzahl und priesen den König: Es war, wie wenn sich manchmal Schwäne zwischen den klaren Wolken (700) von ihrem Weideplatz zurückbegeben und durch ihre langen Hälse wohlklingende Melodien verlauten lassen: Es ertönte der Strom und der Sumpf Asiens, der weithin in Bewegung versetzt worden war. Niemand würde glauben, dass die erzbeschlagenen Schlachtreihen aus einem so großen Haufen erzeugt werden, sondern dass eine eherne Wolke aus brausenden Vögeln vom hohen Meer aus zur Küste getrieben wird. Siehe da – Clausus, vom altehrwürdigen Blut der Sabiner, der einen großen Heereszug anführt. Er selbst ist so gut wie der große Zug. Von ihm ausgehend verbreitet sich nun in ganz Latium der claudische Tribus und das claudische Geschlecht, nachdem Rom zum Teil den Sabinern gewährt wurde. (710) Mit ihm gemeinsam marschierte das gewaltiges Gefolge aus der Stadt Amiternum und die alten Quiriten, eine ganze Mannschaft aus Eretum und aus der oliventragenden Stadt Mutusca. Und diejenigen, welche die Stadt Nomentum bewohnten, diejenigen, welche die roseischen Länder, auf dem ausgetrockneten See Velinus gelegen bewohnten, die Felswände des schrecklichen Tetrica, den Berg Severus, und Casperia, sowie Foruli, und den Fluss Himella, diejenigen, die aus dem Tiber und dem Fabaris tranken, die das kalte Nursia geschickt hatte, die ortinische Flotte, sowie die latinischen Völker, welche die Allia – ein unglücklicher Name – trennend durchströmt. Ebenso viele Fluten wälzte sich auf libyischen Meer, sobald sich der Orion in den winterlichen Wogen verbarg, (720) oder die dichten Ähren entweder auf den Feldern des Hermus oder auf den rotgelben Fluren Lyciens von der frühen Sonne geröstet wurden! Die Schilder erklangen und durch den Tritt der Füße wurde die Erde heftig erschreckt. 125 Hierauf verband ein Mann Agamemnons, Halaesus, Feind der Trojaner, die Pferde mit seinem Wagen riss für Turnus tausend wilde Völker mit: Diejenigen, die für Bacchus die glücklichen Gebiete am Berg Massicus mit den Hacken umpflügten und diejenigen, die ihre auruncischen Väter von den hohen Hügeln geschickt hatten, dicht neben dem sidicinischen Meer, und die, welche Cales verließen, sowie die Anwohner des seichten Volturnus, und ebenso die derben Saticuler, (730) sowie die Mannschaft der Oscer. Als Wurfgeschosse haben sie gerundete Wurfspieße, doch es ist Brauch diese an eine geschmeidige Peitsche anzufügen. Ihre linken Hände bedeckte ein leichter Lederschild, und handgemein sichelartige Schwerte. Auch du, Oebalus, wirst in meinem Lied nicht ungenannt bleiben, den angeblich Telon mit der Nymphe Sebethis gezeugt hatte, als er das Reich der Teleboer, die Insel Capreae, besaß – schon im fortgeschrittenen Alter. Doch auch der Sohn beschränkte sich nicht auf die väterlichen Fluren und bedrängte schon damals weithin die sarrastischen Völker mit seiner Macht sowie die Ebene, die der Fluss Sarnus bewässerte, und diejenigen Völker, die über Rufrae, Batulum und über die Fluren von Celemna herrschten (740) und diejenigen, auf welche die Stadtmauern des obstreichen Abella hinabblickten. Nach teutonischem Brauch waren sie es gewohnt Wurfkeulen zu schleudern. Diese hatten als Kopfbedeckungen von der Korbeiche gerissene Rinde und ihre erzbeschlagenen Schilde funkelnden, es funkelnde ihr ehernes Schwert. Und dich hat das gebirgige Nersae in die Schlachten geschickt, Ufens, dich auszeichnend durch deinen Ruhm und deinen glücklichen Waffen. Dir ist vor allem ein Schrecken erregendes Volk zu Eigen, das an reichlich Jagd in den Wäldern gewöhnt ist: Die Äquer, die auf harten Erdschollen leben. Bewaffnet plagen sie das Land, ständig gefällt es ihnen frische Beute mit sich zu schleppen und vom Geraubten zu leben. (750) Ja auch der Priester vom Volksstamm der Stadt Marruvium kam und war über seinem Helm mit Laub und einem glückbringenden Ölbaumzweig geschmückt. Er kam auf Sendung des Königs Archippus: der äußerst tapfere Umbro. Er war es gewohnt an das Natterngeschlecht und an die schwer zischenden Wasserschlangen durch seinen Gesang und seine Hand Schlaf zu verteilen. Er beschwichtigte die Zorneswallungen und linderte nach seiner Kunst den Biss. Doch er vermochte es nicht, den Stich einer dardanischen Pfeilspitze zu heilen und ihm halfen für die eigene Wunde die schlafbringenden Gesänge nicht, auch nicht die Kräuter, die in den Marserbergen gesucht wurden. Dich beweinten der Hain der Angitia, dich der Fucinus-See mit seinen glasklaren Wassern, (760) dich die anderen klaren Seen. 126 Es marschierte auch der äußerst schöne Nachkomme des Hippolytus im Krieg: Virbius, den seine Mutter Aricia als ausgezeichneten Mann geschickt hatte. Großgezogen wurde er in den Gebieten ringsum der feuchten Ufer des Hains der Egeria, wo der fetttriefende und versöhnliche Altar der Diana steht. Denn die Gerüchte besagen, dass Hippolytus, nachdem er durch die List seiner Stiefmutter getötet worden war, die Strafen des Vaters mit seinem Blut bezahlt hatte, indem er von stürmischen Pferden auseinandergezogen wurde, zum Himmelsgestirn und zu den oberen Lüften des Himmel zurückgekehrt ist: Er sei von Heilkräutern und von seiner Liebe zu Diana zurückgerufen worden. (770) Dann stieß der allmächtige selbst Vater, der sich darüber entrüstete, dass sich irgendein Sterblicher von den unterweltlichen Schatten zum Licht des Lebens erhob, den Erfinder einer solchen Kunst des Heilens mit einem Blitz – ihn, den Spross des Phoebus – in die stygischen Wasser. Doch die gütige Trivia verbarg Hippolytus in ihrer abgeschiedenen Stätte und schickte ihn zu den Nymphen und zum Hain der Egeria, wo er allein und unbekannt in den italischen Wäldern die Zeit verleben konnte und wo er nach einer Namensänderung Virbius sein würde. Daher werden auch hornfüßige Pferde vom Tempel der Trivia und von ihren geweihten Hainen abgehalten, weil sie an der Küste den Wagen (780) und den jungen Mann, da sie sich vor Meeresungeheuer fürchteten, verstreut haben. Nicht weniger trainierte sein Sohn die feurigen Pferde auf der Ebene des Feldes und stürzte mit seinem Kampfwagen in den Krieg. Turnus selbst befand sich unter den vorderen Soldaten mit seinem vortrefflichen Körper, während er seine Waffen hielt und er überragte die anderen um einen ganzen Kopf. Sein hoher Helm mit einem dreifachen, wallenden Helmbusch trug das Bild einer Chimäre, die aus ihrem Rachen die Feuer des Ätnas ausblies. Umso mehr brüllte sie, rasend mit ihren düsteren Flammen, je blutiger die Kämpfe durch das vergeudete Blut wurden. Aber den leichten Rundschild zierte Io (790) golden mit erhobenen Hörnern, schon mit Borsten dicht bedeckt, schon eine Kuh, eine gewaltige Darstellung, auch der Bewacher der Jungfrau, Argus, war abgebildet, während der Vater Inachus aus einer ziselierten Urne einen Strom fließen ließ. Es folgte Turnus eine Wolke von Fußsoldaten und auf den ganzen Feldern verdichteten sich die Schild tragenden Heereszüge: die argivische Jungmannschaft, die Mannschaften der Auruncer, die Rutuler und die alten Sicaner, die sacranischen Kampfreihen und die Labicer mit ihren bunten Schildern. Männer, die deine Waldungen bebauen, Tiberinus, sowie die heilige Küste des Numicus; welche die rutulischen Hügel mit dem Pflug bearbeiten sowie den Bergrücken der Circe, Fluren, denen Jupiter Anxurus (800) und Feronia, die sich an ihrem grünenden Hain erfreut, vorstehen. Wo der finstere Sumpf der Satura liegt und wo der eisige Ufens seinen Weg durch die tiefen Täler sucht und sich ins Meer ergießt. 127 Oberhalb dieser Heere kam vom Stamm der Volscer die Kriegerin Camilla an, einen Heereszug bestehend aus Reitern und Scharen führend, die mit mächtiger Bronze gerüstet waren. Sie hat ihre weiblichen Hände nicht an das Sieb oder an die Körbe der Minerva gewöhnt, sondern als Jungfrau beschwerliche Schlachten zu erdulden und in ihrem Lauf den Winden zuvorzukommen. Sie könnte ganz oben über das Gras eines intakten Feldes eilen und die zarten Ähren würden sie im Lauf nicht verletzen, (810) oder mitten über das Meer rasen, während sie auf der sich auftürmenden Flut schwebte, und sie würde ihre schnellen Fußsohlen nicht in das Wasser tauchen. Diese bewunderte die ganze Jugend, die aus den Gebäuden und Feldern ausgeströmt war, sowie die Menge der Mütter und man blickte der marschierenden nach. Man schaute begierig nach ihr mit erstaunten Gemütern, wie die königliche Ehre ihre leichten Schultern mit einem Purpurgewand bedeckte, wie eine Heftnadel in Gold ihr Haar durchflocht, wie sie selbst einen lycischen Köcher führte sowie einen Hirtenspeer aus Myrte, an dem vorn eine Pfeilspitze befestigt war. Buch 8 Sobald Turnus für die Laurenter von der Burg aus das Feldzeichen emporgehoben hatte und die Blashorne mit dumpfem Ton gelärmt hatten, sobald er die energischen Pferde aufgerüttelt und die Waffen angetrieben hatte waren auf der Stelle die Gemüter aufgewühlt; zugleich schwor ganz Latium in bebendem Aufruhr den Fahneneid und es wütete die entmenschte Jungmannschaft. Die ersten Anführer Messapus, Ufens und der Verächter der Götter Mezentius versammelten von allen Seiten Hilfstruppen und verwüsteten den Bauern die weiten Äcker. Auch Venulus wurde zur Stadt des großen Diomedes geschickt, (10) um um Hilfe zu bitten und ihn davon zu unterrichten, dass die Teucrer in Latium Halt gemacht hätten, dass Aeneas mit seiner Flotte gelandet sei und die besiegten Penaten ins Land trug und dass er behaupten würde, er sei von seinem Schicksal zum König bestimmt; auch, dass sich viele Stämme mit dem dardanischen Mann verbündeten und sich sein Name weithin in Latium verbreiten würde. Was er mit seinen Unternehmungen im Schilde führte, welchen Ausgang des Kampfes er sich wünschte, wenn ihm das Glück hold wäre, das wäre für Diomedes offenkundiger als es König Turnus oder König Latinus erschien. Derartige Dinge geschahen überall in Latium. Während der trojanische Held alles sah, schwankte er aufgrund einer großen Sorgenflut, (20) sein schneller Geist teilte sich bald hierhin bald dorthin auf, eilte in verschiedene Richtungen und wendete sich durch alle Gedanken, wie das zitternde Licht des Wassers, sobald es am Kesselrand durch die Sonne oder durch das Bild des strahlenden Mondes reflektiert wird, weithin alle Orte durchfliegt und sich schon zum Himmel erhebt und zum Getäfel 128 ganz oben an der Decke trifft. Es war Nacht und auf allen Ländern beherrschte der tiefe Schlaf die erschöpften Lebewesen, die Gattung der Vögel und des Kleinviehs, als sich der Vater Aeneas am Ufer unter der eiskalten Himmelsachse (30) niederließ, in seinem Gemüt ob des finsteren Krieges bestürzt, und seinen Gliedern späte Ruhe gewährte. Diesem schien sich der betagte Gott des Ortes, Tiberinus selbst, aus dem lieblichen Fluss zu erheben, von Pappellaub umkränzt (ihn verhüllte ein dünnes Leinengewand mit einem bläulichen Umhang und schattiges Schilf bedeckte sein Haar),dann schien er ihn folgendermaßen anzusprechen und ihm durch diese Worte seine Sorgen abzunehmen: „Oh Spross vom Stamm der Götter, der du die Stadt Troja aus Feindeshand uns zurückgebracht hast und das ewige Pergamum hütest, der du auf laurentinischem Boden und auf den latinischen Fluren erwartet wirst, für dich ist hier ein sicheres Vaterland sowie sichere Penaten (gib nicht auf)! (40) Erschrecke dich nicht vor den Drohungen des Krieges. Die ganze Unruhe und die Zorneswallungen sind bei den Göttern gewichen. Und schon wird dir, damit du nicht glaubst, dass der Traum unwahre Dinge darstellt, eine gewaltige Sau daliegen, die man an den am Ufer befindlichen Steineichen finden wird. Sie hat eine dreißigköpfige Brut geboren, ruht mit ihrem weißen Fell auf dem Boden und die weißen Jungen liegen um ihre Zitzen. Hier wird der Ort der Stadt sein, hier die sichere Ruhe von den Strapazen. Und aufgrund dieses Wunders wird nach Ablauf von dreißig Jahren Ascanius eine Stadt mit dem berühmten Beinamen ‚Alba‘ gründen. Ich prophezeie nichts Unbekanntes. Nun lehre ich dich anhand weniger Worte (aufgepasst!) durch welchen Plan du (50) als Sieger bewältigen kannst, was noch bevorsteht: An diesen Küsten befinden sich die Arcader, ein Stamm der von Pallas seinen Anfang nahm, die den König Euander als Begleiter haben, seinen Feldzeichen gefolgt sind, einen Ort ausgewählt und in den Bergen eine Stadt gegründet haben, die Pallanteum heißt, nach dem Beinamen ihres Ahnherrn Pallas. Diese führen mit dem latinischen Stamm unablässig Krieg. Ziehe diese als Bundesgenossen heran und schließe einen Vertrag. Ich selbst will dich an den Ufern und direkt auf dem Fluss führen, so dass du, wenn du gegen den Strom fährst, die Strömung mit den Rudern überlistest. Wohl an, steh auf, Sohn der Göttin, und wenn die ersten Sterne untergehen, (60) richte Gebete an Iuno. Überwinde ihren Zorn und ihre Drohungen mit demütigen Gelübden. Mir wirst du als Sieger die Ehre erweisen. Ich bin derjenige, den du mit seiner vollen Strömung die Ufer streifen und die fruchtbaren Fluren trennen siehst, ich bin der blaue Thybris, dem Himmel der liebste Strom. Hier ist mein großes Haus, meine Quelle entspringt emporragenden Städten.“ So sprach er, dann barg sich der Fluss in sein tiefes Wasserbecken und strebte in die Tiefen. Die Nacht und der Schlaf verließen Aeneas. Er stand auf, das aufgehende Licht der Himmelssonne erblickend, hielt ordnungsgemäß mit seinen hohlen Handflächen etwas Wasser vom Fluss (70) empor und ließ derartige Worte gen Himmel verlauten: „Nymphen, laurentinische Nymphen, woher die Ströme abstammen und du, oh Thybris, Schöpfer, mit deinem heiligen Fluss, nehmt Aeneas an und 129 haltet ihn endlich von den Gefahren fern. Wo dich auch das Wasserbecken in deiner Quellen erfasst, der du dich meinem Unglück erbarmst, wo du auch als der schönste Strom aus dem Boden trittst, wirst du immer durch meine Ehrung, immer durch Gaben gefeiert werden, du gehörnter Fluss und Beherrscher der hesperischen Gewässer. Mögest du nur helfen, deine Wirkmacht näher bekräftigen.“ So sprach er und wählte zwei Doppelruderer von seiner Flotte aus, (80) machte ihnen das Ruderwerk segelfertig und rüstete gleichzeitig seine Kameraden mit Waffen aus. Doch sieh da – ein plötzliches und für die Augen erstaunliches Wunder, eine weiße Sau lag gleichfarbig mit ihrer weißen Brut im Wald und wurde am grünenden Ufer erblickt, welche dir nämlich der pflichtbewusste Aeneas schlachtet, dir, erhabenste Iuno, indem er ein Opfer darbringt und mit einer Herde an den Altar tritt. Der Thybris hat in dieser Nacht – wie lang sie ist – seinen anschwellenden Fluss besänftigt und die stillen Wogen zurückfließend so aufgehalten, dass er über seine Wasser eine sanfte Oberfläche hinbreitete in der Art eines Teichs oder eines ruhigen Sumpfes, so dass es für das Ruder keine Anstrengung mehr gab. (90) Also eilten sie auf dem eingeschlagenen Weg unter günstigem Zuruf. Das bunte Schiff glitt auf den Gewässern. Es wunderten sich auch die Wogen, es wunderte sich der Hain, der nicht an die weithin strahlenden Schilde der Männer gewöhnt war, auch nicht daran, dass bemalte Schiffe auf dem Fluss schwammen. Die Männer ermüdeten mit ihrem Ruder Tag und Nacht und überwandten die großen Mäander, wurden von verschiedenen Bäumen bedeckt, und schnitten sich auf sanfter Wasseroberfläche durch die grünenden Wälder. Die feurige Sonne hatte die Mitte ihrer Himmelsbahn erklommen, als sie in der Ferne Stadtmauern, eine Burg und vereinzelt Hausdächer sahen, die heute die römische Macht bis zum Himmel (100) getürmt hat, damals besaß die mittelose Siedlung Euander. Sogleich wendeten sie die Vorderschiffe zum Ufer und näherten sich der Stadt. Zufällig hielt der arcadische König eine alljährliche Ehrung für den großen Hercules und für die Götter in einem Hain vor der Stadt ab. Gemeinsam mit ihm gaben sein Sohn, alle Anführer der jungen Männer und der arme Senat Weihrauch dar; warmes Blut dampfte von den Altären. Sowie sie die aufragenden Schiffe sahen, wie sie inmitten des schattigen Hains heran glitten und sich die Männer still in die Ruder stemmten, wurden sie von dem plötzlichen Anblick erschreckt und (110) erhoben sich alle, nachdem sie die Tische verlassen hatten. Der kühne Pallas verbot ihnen die Opfer zu unterbrechen und eilte selbst den Neuankömmlingen mit einer hastig ergriffenen Waffe entgegen. Von einem Hügel in der Ferne sagte er: „Junge Männer, welche Gründe nötigen euch dazu unbekannte Wege zu prüfen? Wohin zieht ihr? Welches Geschlecht seid ihr? Von welchem Vaterland kommt ihr? Bringt ihr Krieg oder Frieden her?“ Dann sagte der Vater Aeneas vom hohen Schiffsheck aus Folgendes und streckte in seiner Hand einen Zweig des friedenbringenden Ölbaums vor: „Du 130 siehst Trojaner und den Latinern feindliche Waffen, die uns Flüchtlinge in einem überheblichen Krieg gejagt haben. Wir eilen zu Euander. Berichtet ihm das und sagt, dass ausgewählte Führer (120) Trojas gekommen seien und um ein Waffenbündnis bitten würden.“ Pallas erstarrte vor Schreck, der ob des so großen Namens erschüttert war. „Geh von Bord“, sagte er, „wer immer du bist und sprich meinen Vater Angesicht zu Angesicht an. Nähere dich als Gastfreund unseren Penaten.“ Er reichte ihm die Hand und nachdem er dessen Rechte umschlungen hatte, drückte er sie. Während sie vorrückten gingen sie zum Hain und verließen den Fluss. Dann sprach Aeneas den König mit freundlichen Worten an: „Bester Griechensohn, den ich, so wollte es Fortuna, bitten und mit Binden geschmückte Zweige vorstrecken sollte. Ich bin freilich nicht in Furcht geraten, weil du der Anführer der Danaer und Arcade bist, (130) auch nicht, weil du ebenso vom Stamm der beiden Atriden entsprossen bist. Doch mich haben meine Tugend und die heiligen Orakel der Götter sowie die gemeinsamen Ahnen, dein Ruhm, den du über die Ländereien verteilt hast, mit dir verbunden und mit ihren Göttersprüchen haben sie mich willig zu dir getrieben. Dardanus, der erste Ahn und Gründer der trojanischen Stadt und, wie es die Griechen berichten, von der Atlastochter Elektra geboren, fuhr in das Gebiet der Teucrer. Der äußerst erhabene Atlas, der das Himmelsgewölbe auf den Schultern trägt, brachte Elektra hervor. Ihr habt Mercur zum Vater, den die weiße Maia am eisigen Gipfel des Cyllene-Gebirges hervorbrachte. (140) Maia wiederum, wenn wir etwas von dem Gehörten glauben, hatte Atlas gezeugt, derselbe Atlas, der das Gestirn des Himmels erhebt. So spaltet sich das Geschlecht von uns beiden aus ein und demselben Blut. Darauf vertrauend habe ich keine Gesandten, auch keine ersten Erkundungen nach der Regeln der Kunst über dich bestimmt. Ich lieferte dir mich, mich selbst und mein Haupt aus und kam demütig zu deiner Schwelle. Das gleiche Geschlecht des Daunus, welches dich in einem grausamen Krieg verfolgt, verfolgt auch uns. Wenn sie uns vertrieben, stünde nichts mehr im Wege, so glauben sie, freilich ganz Hesperien völlig zu unterjochen und sowohl das Meer zu besitzen, das oberhalb, als auch das Meer, dass unterhalb die Küste bespült. (150) Nimm meines entgegen und gib mir dein Vertrauen! Wir haben tapfere Gemüter im Krieg, wir haben Mut und eine Jungend, die sich in diesen Verhältnissen bewährt hat.“ Das sagte Aeneas. Euander musterte mit seinem Blick schon längst das Gesicht, die Augen und den ganzen Körper des Sprechenden. Dann antwortete er ihm auf diese Weise wenige Dinge: „Wie gern ich dich, Tapferster der Teucrer, empfange und anerkenne! Wie ich mich an die Worte, die Stimme und an das Gesicht deines erhabenen Vaters Anchises erinnere! Denn ich erinnere mich an Priamus, Sohn des Laomedon, wie er das Königreich seiner Schwester besuchte, nach Salamis eilte und sofort das kalte Gebiet Arkadiens aufsuchte. (160) Damals schmückte mir die frühe Jugend meine Wangen 131 mit dem ersten Bart und ich pflegte die teucrischen Anführer zu bewundern. Ich bewunderte den Sohn des Laomedon selbst. Doch Anchises schritt erhabener als alle anderen einher. Mir brannte der Sinn in jugendlichem Verlangen den Mann anzusprechen und einander die Hände zu geben. Ich ging hin und führte ihn begierig an die Stadtmauern von Pheneus. Im Weggehen schenkte er mir einen hervorragenden Köcher, lycische Pfeile und einen Mantel, der mit Gold durchwirkt war sowie zwei goldene Zügel, die nun mein Pallas hat. Daher ist zum einen meine Rechte, die ihr erstrebt, bereits vertraglich mit euch verbunden und (170) zum anderen werde ich euch, sobald das morgige Licht zum ersten Mal über der Erde zurückkehrt, glücklich über die Hilfe entlassen und euch durch meine Mittel erfreuen. Inzwischen feiert mit uns voller Inbrunst, weil ihr ja hierher als Freunde gekommen seid, diese alljährlichen Opfer, die man nach göttlichem Recht nicht verschieben darf, und gewöhnt euch schon jetzt an die Tafeln eurer Bundesgenossen.“ Sobald er diese Worte gesprochen hatte, befahl er, dass die Speisen und die weggeräumten Becher zurückgestellt werden, und setze die Männer selbst auf einen mit Gras gepolsterten Sitz. Er empfing den vorzüglichen Aeneas auf einem Lager mit einem zottigen Löwenfell und lud ihn zu sich an den Thron aus Ahorn ein. Dann trugen wetteifernd ausgewählte, junge Männer und der Priester der Altäre (180) geröstete Eingeweide von Stieren herbei, schmückten die Körbchen mit Brotgaben und warteten mit Wein auf. Es verspeiste Aeneas zusammen mit der trojanischen Jugend den Rücken eines ganzen Rindes sowie die zum Sühneopfer gehörenden Eingeweide. Nachdem der Hunger gestillt und die Speiselust unterdrückt war, sprach König Eunander: „Diese Jahresfeier, dieses ordnungsgemäß durchgeführte Festmahl, dieser Altar einer so großen Wirkkraft hat uns nicht inhaltloser Aberglaube, unkundig um die altehrwürdigen Götter auferlegt: Von grimmigen Gefahren gerettet, trojanischer Gast, machen wir uns verdient und erneuern die Ehren. (190) Nun, erblicke zuerst diesen Felsen, der von der Klippe ragt, wie zersprengt die Gesteinsmassen sind, wie verlassen die Behausung des Berges dasteht und wie die Felsen eine gewaltige Ruine bilden. Hier war eine Höhle, die sich tief in den öden Schlupfwinkel zog, welche die finstere Gestalt des Halbmenschen Cacus besaß – unerreichbar für die Strahlen der Sonne. Stets war die Erde warm von frischem Blut und an die überheblichen Türflügel waren die Schädel der Männer befestigt und hingen fahl mit finsterer Jauche herab. Dieses Ungeheuer hatte Volcanus zum Vater. Während er dessen finstere Feuer aus dem Maul spie bewegte er seine große Masse fort. (200) Auch uns, die wir es uns wünschten, brachte die Zeit irgendwann einmal Hilfe und die Ankunft eines Gottes. Denn es kam der größte Rächer, stolz durch den Tod und die Beute des dreigestaltigen Geryones, der Alcide, und trieb hier gewaltige Stiere. Die Rinder besetzten Tal und Strom. Doch das wilde Gemüt des Diebes Cacus entwendete vier Stiere mit einem ausgezeichnetem Körper aus ihren Ställen, damit kein Verbrechen 132 oder keine List unversucht und unberührt blieb, und er entwendete ebenso viele Kühe von herausragender Schönheit. Und nachdem er diese, damit durch die vorwärts gerichteten Fußabdrücke keine Spur entstand, am (210) Schwanz in seine Höhle geführt hatte und die Spuren in die entgegengesetzte Richtung zeigten, verhüllte sie der Räuber in seinem schattigen Felsen. Als unterdessen Hercules die bereits gesättigte Herde aus den Stallungen trieb und sie für den Aufbruch vorbereitete, muhten die Rinder im Weggehen, erfüllten den ganzen Hain mit ihren Klagen und verließen die Hügel mit Geschrei. Eine der Kühe antwortete, muhte unten in der öden Höhle und machte als Bewachte die Hoffnung des Cacus zunichte. Jetzt aber entbrannte dem Alciden die Wut und der Schmerz durch seinen schwarzen (220) Zorn: Hastig ergriff er mit der Hand die Waffe, ein mit Knoten beschwertes Hartholz und strebte im Laufschritt zur Anhöhe des in den Himmel ragenden Berges. Damals schien uns Cacus zum ersten Mal sich zu fürchten und in seinen Augen verwirrt zu sein. Sogleich flüchtete er schneller als der Eurus und eilte zu seiner Höhle. Die Furcht verlieh seinen Füßen Flügel. Sobald er sich eingeschlossen hatte, und nachdem die Ketten durchbrochen waren, er einen gewaltigen Felsen herabstürzen ließ, der zuvor an einer Eisenkette – einem väterlichen Kunstwerk hing, und er die gestützten Türpfosten mit diesem als Querbalken vermauerte – sieh da! – da war der Tirynthiner zur Stelle, in seinem Gemüt rasend, und den ganzen Zugang musternd richtete er seinen Blick hierhin und dorthin, (230) während er mit seinen Zähnen knirschte. Dreimal musterte er den ganzen Berg des Aventinus, kochend vor Zorn. Dreimal prüfte er vergebens den felsigen Eingang, dreimal zog er sich erschöpft im Tal zurück. Da stand ein scharfer Kieselstein mit schroffen Felsen auf allen Seiten, der sich am Rücken der Höhle erhob, äußerst hoch anzusehen. Er war ein günstiger Platz für Nester von finsteren Vögeln. Diesen, weil er sich vornüber vom Bergrücken zum Fluss zu seiner Linken neigte, erschütterte Hercules, indem er sich rechts in die Gegenrichtung stemmte, und lockerte ihn, nachdem er ihn von seinen tiefen Wurzeln losgerissen hatte. Dann stieß er ihn plötzlich fort. Durch den Stoß tönte der äußerst erhabene Himmel, (240) die Ufer sprangen auseinander und der Fluss floss erschreckt zurück. Doch die Höhle und der gewaltige, verdeckte Königssitz des Cacus öffneten sich. Die schattigen Höhlungen standen weit offen, nicht anders, als wenn sich die Erde durch irgendeine Gewalt spaltet, die unterweltlichen Stätten öffnet, das fahle Königreich erschließt, das den Göttern verhasst ist, worüber man einen gewaltiger Schlund erkennt, und die Totengeister ob des hineingelassenen Lichts zittern. Von oben brachte der Alcide den vom unerwarteten Licht also plötzlich erfassten, im hohlen Stein eingeschlossenen und Ungewöhnliches brüllenden Cacus in Bedrängnis, (250) zog alle Waffen heran und drohte ihm mit Zweigen und gewaltigen Steinblöcken. Jener allerdings (entsetzlich!) spie aus seinem Rachen gewaltigen Rauch, weil es nämlich keine Fluchtmöglichkeit aus der Gefahr mehr gab, und hüllte seine Wohnung in dichten Nebel, während er den Augen den Blick raubte. Unten in der Höhle ballte er eine rauchende Nacht zusammen, indem sich das Feuer mit der Finsternis vermischte. Das ertrug der Alcide in 133 seinem Gemüt nicht, warf sich selbst im Kopfsprung durch das Feuer, wo der Rauch am dichtesten wogte und wo die gewaltige Höhle in finsterem Nebel wallte. Dort (260) ergriff er Cacus, der in der Finsternis vergebliche Feuer spie, umschlang seinen Kehlkopf und würgte ihn an ihm hängend, bis jenem die Augen hervortraten und die Kehle blutleer war. Es öffnete sich augenblicklich die finstere Behausung, nachdem die Türpfosten aufgebrochen worden waren; es zeigten sich die entführten Rinder sowie die geleugneten Raubzüge dem Himmel und der hässliche Leichnam des Cacus wurde an den Füßen hervorgezogen. Die Gemüter konnten sich nicht an den schrecklichen Augen, an seinem Gesicht, an der von Borsten zottigen Brust des Halbtiers und an den im Rachen erloschenen Feuern sattsehen. Seit diesem Tag werden die Ehrungen gefeiert und frohgestimmt bewahrten die Nachkommen den Tag. Der erste Urheber war Potitius (270) und das Haus des Pinarius errichtete als Wächter des Herculeskultes diesen Altar im Hain, der von uns stets der größte genannt werden wird und stets der größte sein wird. Daher wohlan, ihr jungen Männer, umkränzt im Dienst so großer Ruhmestaten euer Haar mit Laub, streckt mit eurer Rechten den Becher hin, ruft den gemeinsamen Gott und schenkt willig Wein.“ So sprach er, als die zweifarbige Pappel ihm das Haar mit einem Schatten bedeckte, wie damals Hercules, und mit Blättern umschlungen herabhing. Ein heiliger Becher füllte seine Rechte aus. Sogleich gossen alle frohgestimmt das Trankopfer auf den Tisch und beteten zu den Göttern. (280) Unterdessen war der Abendstern recht nahe, nachdem der Himmel untergegangen war. Schon marschierten die Priester und voran Potitius, nach Brauch mit Fellen umgürtet, und trugen Feuer. Sie nahmen das Mahl wieder auf, brachten willkommene Gaben für den Nachttisch und häuften geschmückte Schalen auf die Altäre. Dann kamen die Salier zum Gesang um die brennenden Altäre herbei; an den Schläfen waren sie mit Pappellaub umkränzt. Dies ist der Reigen der jungen Männer, jener der, der alten, die im Gesang die Verdienste und Taten des Hercules berichteten: Wie er die ersten Ungeheuer der Stiefmutter mit eigener Hand erwürgend sowie die doppelten Schlange vernichtet hatte, (290) wie derselbe im Krieg hervorragende Städte zerschmettert hatte, Troja und Oechalia, wie er tausend harte Mühen unter König Eurystheus durch die Göttersprüche der ungerechten Iuno vollbracht hatte. Du Unbesiegter hast die zweigliedrigen Wolkensöhne, nämlich Hylaeus und Pholus mit eigener Hand geschlachtet, du die Ungeheuer der Insel Kreta und den riesigen Löwen unter dem nemäischen Felsen. Vor dir erzittern die Wasser des Styx, vor dir der Pförtner des Orcus, der in der blutigen Höhle auf halbverzehrten Knochen ruht. Keine einzige Gestalt erschreckte dich, nicht einmal Typhoeus selbst, der steil aufragend seine Waffen hielt. (300) Nicht hat dich die lernäische Schlange mit der Menge ihrer Köpfe rings angegriffen, ohne dass du einen Plan gehabt hättest. Sei gegrüßt, wahrer Spross des Iupiters, füge den Göttern Glanz hinzu, und komme günstig zu uns und deinem Kult mit gewogenem Schritt.“ Derartiges priesen sie in ihren Gesängen. Über all das hinaus fügten sie die Höhle des Cacus hinzu sowie das feuerspeienden Ungeheuer selbst. Es erschallte der ganze Hain durch das Getöse, auch die 134 Hügel hallten wider. Nachdem alle göttliche Riten vollenden worden waren, begaben sich darauf all zurück zur Stadt. Der König marschierte vom Alter gebeugt und hatte gleich daneben Aeneas als Begleiter sowie seinen Sohn und während er einher schritt, machte er sich den Weg durch ein buntes Gespräch leichter. (310) Es bestaunte und ließ seinen leichten Blick über alles um ihn herum schweifen Aeneas, er wurde von den Örtlichkeiten gefangen genommen und fragte frohgestimmt nach den einzelnen Überlieferung der früheren Helden und vernahm sie. Dann sagte König Euander, der Gründer der römischen Burg: „Diese Haine besaßen die eingeborenen Faune und die Nymphen und ein Heldenvolk aus Baumstämmen und harten Kernholz geboren, die weder eine Sitte noch eine Kultur hatten. Sie wussten nicht, wie man Stiere an den Wagen spannt, oder wie man Vorräte anlegt, oder Erworbenes schont. Doch Zweige und die raue Jagd bildete ihre Lebensgrundlage. Als erster kam vom in den Himmel ragenden Olymp Saturnus herbei, weil er vor den (320) Waffen des Jupiters floh und nachdem er als Verbannter sein Königreich verloren hatte. Dieses unbelehrbare Geschlecht, das über die hohen Berge verstreut war, ordnete er und gab ihm Gesetze. Er wollte das Land lieber Latium nennen, da er sich ja an diesen Küsten sicher verborgen hatte. Golden, wie man von ihnen sagt, waren die Zeitalter unter jenem König: So herrschte er über die Völker in sanftem Frieden, bis allmählich ein schlechteres und entfärbtes Zeitalter, sowie die Raserei des Krieges und das Verlangen nach Besitz nachfolgten. Dann kamen eine ausonische Mannschaft und Sicanervölker und des Öfteren legte die saturnische Erde ihren Namen ab. (330) Dann kamen Könige und der wilde Thybris mit seinem gewaltigen Körper, nach diesem Namen nannten wir Italer den Fluss Thybris. Die ehemalige ‚Albula‘ verlor indessen ihren Namen. Mich, der ich aus der Heimat vertrieben war und die den äußersten Winkeln des Meeres befuhr setzten die allmächtige Fortuna und das unabwendbare Fatum an diese Gegenden, und die furchtbaren Ermahnung meiner Mutter, der Nymphe Carmentis, und der Gott und Urheber Apollon trieben mich hierher.“ Kaum waren diese Worte gesprochen, schritt Euander von hier aus vor und zeigte den Altar und das Tor, welches die Römer Porta Carmentalis nennen, eine altehrwürdige Ehre der Nymphe Carmentis, (340) der schicksalsverkündenden Seherin, die als erste die kommenden, erhabenen Aeneaden sowie das bekannte Pallanteum prophezeite. Darauf zeigte er einen gewaltigen Hain, den der energische Romulus zu einem Asylum machte, und unter einem eisigen Felsen das Lupercal, das nach parrhasischem Brauch Pan Lycaeon genannt wird. Ebenfalls zeigte er den Hain des heiligen Argiletum, rief den Ort als Zeugen an und belehrte Aeneas über den Tod seines Gastfreundes Argus. Von dort führte er sie zum Sitz der Tarpeia und zum Kapitol, das nun golden ist, einst starrte es vor wild wachsendem Dornengestrüpp. Schon damals erschreckte die (350) heilige Gottesfrucht des Ortes die ängstlichen Bauern, schon damals bebten sie vor Wald und Fels. Euander sagte: „Diesen Hain, diesen Hügel bewohnt ein Gott an dessen belaubtem Gipfel (welcher Gott ist ungewiss). Die 135 Arcader glauben, sie hätten Jupiter selbst gesehen, wenn er oft die schwarze Ägis schüttelte und die Sturmwolken in Bewegung setzte. Darüber hinaus siehst du diese zwei Festungen mit ihren zerstörten Stadtmauern, die Überreste und die Zeitzeugen alter Helden. Die eine Burg gründete der Vater Ianus, die andere Saturnus. Diese hatte den Namen Ianiculum, jene den Namen Saturnia.“ Nachdem sie solches untereinander gesprochen hatten näherten sie sich dem Palast (360) des armen Euanders. Weit und breit sahen sie Rinder muhen, dort, wo heute das Forum Romanum ist und das feine Carinae. Sobald man zu dem Königssitz gekommen war, sprach Euander: „Durch diese Tür ist der Alcide als Sieger eingetreten, dieser Palast nahm ihn auf. Wage es, mein Gastfreund, Reichtum zu verachten, erweise auch dich des Gottes würdig und komme ohne abweisend gegenüber meinem bedürftigen Anwesen zu sein.“ So sprach er und führte den großen Aeneas unter das Dach seines engen Hauses, ließ den sich bettenden auf ausgebreiteten Blättern und dem Fell einer libyschen Bärin Platz nehmen. Die Nacht brach herein und umschlang die Erde mit ihren schwarzen Schwingen. (370) Doch die Mutter Venus, die in ihrem Herzen nicht ohne Grund erschrocken und ob der Drohungen der Laurenter und des beschwerlichen Aufruhrs bewegt war, sprach Volcanus an, unternahm im goldenen Schlafzimmer ihres Gatten Folgendes und hauchte ihm mit diesen Worten ihre göttliche Liebe ein: „Als die argolischen Könige im Krieg Pergamum verdienter Maßen zerstörten und die feindlichen Burgen in Bränden zum Fallen bestimmt waren, habe ich um keine einzige Hilfe für die Unglücklichen, um keine Waffen deiner Kunst und deiner Mittel gebeten, und wollte nicht, dass du, mein teuerster Gatte, vergeblich deine Arbeiten ausübst, obwohl ich den Söhnen des Priamus zahlreiches schuldete, (380) und die beschwerliche Strapaze des Aeneas oft beweint habe. Nun macht er nach den Weisungen des Jupiters an den Gestaden der Rutuler Halt. Also komme demütig bittend auf demselben Wege und bitte deine mir heilige Wirkkraft um Waffen – die Mutter für den Sohn. Dich konnte die Tochter des Nereus, dich mit ihren Tränen die Gattin des Tithonus umstimmen. Schau, welche Völker im Krieg zusammenkommen, welche Städte ihr Schwert hinter verschlossenen Toren schärfen, zu meinem und der meinen Untergang.“ So sprach sie und durch ihre sanfte Umarmung mit ihren schneeweißen Oberarmen heizte die Göttin ihrem zögernden Mann von beiden Seiten ein. Plötzlich nahm er die gewohnte Liebesglut auf, die bekannte Wärme (390) strömte in sein Mark und durchlief seine erweichten Glieder, nicht anders als wenn bisweilen bei blitzendem Donner ein feuriger Riss, der durchgebrochen ist, mit seinem Licht funkelnd durch die Wolken eilt. Das spürte die Gattin zufrieden über ihre List und um ihre Schönheit wissend. Dann sprach Vater Volcanus von ewiger Liebe besiegt: „Weshalb holst du Gründe so weit her? Wohin ist dein Vertrauen zu mir gewichen, Göttin? Wenn damals deine Sorge ähnlich groß gewesen wäre, hätte wir auch damals die Teucrer nach göttlichem Recht bewaffnen können. Weder der allmächtige Vater noch die Göttersprüche verbaten es, dass Troja stand und dass es Priamus noch zehn weitere Jahre geben 136 sollte. (400) Und nun, wenn du dich darauf vorbereitest zu kämpfen und dir so der Sinn steht, kann ich deinen Sorgen alles was meine Kunst hergibt, alles, was aus Eisen oder flüssigem Elektron entstehen kann, wie sehr es die Feuer und die Blasebälge vermögen, versprechen. Höre auf durch dein Bitten an deinen Kräften zu zweifeln.“ Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, erwiderte er die gewünschten Umarmungen und strebte für seine Glieder einen sanften Schlaf an, nachdem er in den Schoß seiner Frau eingedrungen war. Sobald darauf die erste Ruhe schon mitten im Lauf der fortgetriebenen Nacht den Schlaf vertrieben hatte, als zuerst eine Frau, der es (410) auferlegt ist, ihr Leben mit dem Sieb und der dünnen Kunst der Minerva zu ertragen, die Asche und die eingeschlafenen Feuer aufweckt, während sie die Nacht für ihre Arbeit verwendet und die Dienerinnen bei Feuerschein mit einer langen Aufgabe plagt, damit sie das keusche Lager ihres Mannes bewahren und die kleinen Kinder großziehen konnte: Nicht anders und nicht säumiger erhebt sich der Feuerbeherrscher zu jener Zeit vom sanften Lager zur handwerklichen Arbeit. Dicht neben der sizilianischen Flanke und neben dem aeolischen Liparen erhebt sich eine steile Insel mit rauchenden Felsen. Unter dieser tönen eine Höhle und die ausgehöhlten Grotten des Ätna ob der Schmelzöfen der Zyklopen. Es waren die starken Schläge auf die Ambosse (420) zu hören, sie ließen ein Stöhnen zurückschallen, in den Höhlungen zischte die glühende Eisenmasse der Chalyber und das Feuer schnaubte aus den Schmelzöfen hervor. Es war das Haus des Volcanus und die Erde mit dem Namen Volcania. Hierhin stieg damals der Feuerbeherrscher vom hohen Himmel her ab. In der riesigen Höhle bearbeiteten die Cyclopen das Eisen: Brontes, Steropes und mit nackten Gliedern Pyragmon. In ihrem Händen hielten sie einen geformten Blitz, der zum Teil schon geglättet war, wie sie der Schöpfer zahlreich vom ganzen Himmel auf die Erde herab wirft. Der Rest blieb noch unvollendet. Drei Strahlen des krausen Gewitterregens, drei wasserreiche Wolken (430) hatten sie hinzugefügt, sowie drei Strahlen des rötlichen Feuers und des geflügelten Südwinds. Nun mischten sie schreckliche Blitze, Getöse und Furcht dem Werk bei und Zorn unter die beweglichen Flammen. In einem anderen Bereich arbeiteten sie eifrig an einem Streitwagen des Mars und an den geflügelten Rädern, durch die jener Helden und Städte antreibt. Eine schreckliche Ägis und Waffen der erzürnten Pallas, verfeinerten sie wetteifernd mit Schlangenschuppen und Gold und sie verfeinerten die verknüpften Schlangen sowie Gorgo, in der Brust der Göttin selbst, die obwohl ihr Hals abgeschnitten war, die Augen rollte. „Räumt alles weg“, sagte Volcanus, „tragt sie begonnenen Arbeiten weg, (440) ätnäische Zyklopen, und lenkt euren Geist hierher: Es sind Waffen für einen energischen Mann herzustellen. Nun sind eure Kräfte nötig, nun eure schnellen Hände, nun eure ganze Lehrmeisterin, die Kunst. Die Sache duldet keinen Aufschub!“ Mehr hatte er nicht gesprochen, doch all jene strengten sich sogleich an, nachdem sie durch ein Losverfahren die Arbeit gleichmäßig verteilt hatten. Das Erz floss in Bächen. Das Metall des Goldes und der Wunden 137 verursachende Stahl schmolzen im riesigen Schmelzofen. Sie formten einen gewaltigen Rundschild, einen gegen alle Waffen der Latiner, [sie fügten siebenmal Rundung auf Rundung.] 1 Andere (450) saugten mit ihren windigen Blasebälgen die Luft ein und stießen sie wieder aus, andere tauchten das zischende Erz in das Wasserbecken. Die Höhle stöhnte vor lauter geschlagenen Ambossen. Die Männer hoben untereinander ihre Arme mit viel Kraft im Takt, und wendeten die Masse mit der festhaltenden Zange. Während sich der Vater Volcanus mit diesen Aufgaben an den aeolischen Gestaden beeilte, scheuchte das gütige Licht und die morgendlichen Gesänge der Vögel unter dem Giebel Euander aus seinem weichen Bett. Der ältere Mann stand auf, zog die Tunika seinen Gliedern an und wickelte tyrrhenische Bänder um seine Fußsohlen. Dann befestigte er an der Seite und an den Schultern sein tegäisches Schwert, während er das Fell eines Panthers, (460) das von seiner linken Schulter herabhing, zurückschleuderte. Auch die beiden Wachhunde schritten von der hohen Schwelle voran und begleiteten den Schritt ihres Herrchens. Der Held Euander eilte zur Stätte und zum abgesonderten Gemach seines Gastes Aeneas und erinnerten sich an die Gespräche und an die versprochene Gefälligkeit. Um nichts weniger stand Aeneas früh am Morgen auf. Euander begleitete sein Sohn Pallas, Aeneas begleitete Achates. Nachdem sie zusammengekommen waren, reichten sie sich die Hand, setzten im mittleren Bereich des Palastes und erfreuten sich am endlich vergönnten Gespräch. Zuerst sprach der König dieses: (470) „Größter Führer der Teucrer, solange du wohlbehalten bist, werde ich freilich nie gestehen, dass das Staatswesen Trojas oder das Königreich besiegt ist. Wir haben gemessen an unserem so großen Namen unbedeutende Streitkräfte als Kriegshilfe. Hier werden wir vom etruskischen Fluss eingeschlossen, von dort bedrängt uns der Rutuler und umtost unsere Stadtmauer mit seinen Waffen. Doch ich habe vor, gewaltige Völker und in ihren Königreichen mächtige Festungen mit dir zu verbinden, die der unvermutete Zufall als Rettung in Aussicht stellt: Aufgrund deiner fordernden Göttersprüche begibst du dich hierhin. Nicht weit von hier wird das auf einem alten Felsen gegründete Siedlungsgebiet der Stadt Agylla bewohnt, wo einst der lydische (480) Stamm, hochberühmt im Krieg, die etruskischen Bergrücken bewohnte. Der König Mezentius besaß sie darauf, die viele Jahre lang blühte, unter seiner überheblichen Herrschaft und grausamen Waffen. Wozu soll ich die unsäglichen Morde erwähnen, wozu die wilden Taten des Tyrannen? Mögen es die Götter ihm und seinem Sohn vergelten! Ja, er hat sogar die toten Körper mit lebenden verbunden, indem er sie Hand an Hand und Mund an Mund zusammenstellte, als eine Art der Folter, und so tötete er die vor Eiter und Jauche triefenden Menschen in elender Umarmung in einem langen Tod. Doch die endlich erschöpften Bürger umzingelten (490) bewaffnet 1 cf. Gottwein (http://www.gottwein.de/Lat/verg/aen08de.php) 138 den unsäglich Rasenden seinen Palast selbst, metzelten seine Verbündeten nieder und warfen Brandfackeln ans Dach. Jener, der mitten im Blutbad der entkommen war, floh zum Gebiet der Rutuler und wurde von den Waffen seines Gastfreundes Turnus verteidigt. Also erhob sich ganz Etrurien in gerechter Raserei und forderte unter Kriegsandrohung den König für dessen Hinrichtung zurück. Diesen Soldaten, Aeneas, will ich dich als deren Anführer hinzufügen. Denn an der ganzen Küste lärmen die dicht gedrängten Schiffe und man befiehlt die Zeichen zu geben, doch ein hochbetagter Vogelschauer hält sie zurück, indem er die Göttersprüche verkündet: „Auch ausgewählte Jugend Etruriens, (500) die Blüte und die Tugend der alten Helden, die euch der gerechte Schmerz gegen den Feind marschieren lässt und die euch Mezentius in verdientem Zorn entflammt hat, kein Italer hat das göttliche Recht ein so großes Volk zu interjochen: Wählt euch auswärtige Anführer!“ Dann zog sich die etruskische Schlachtreihe auf diesen Hügel zurück, erschreckt ob der Warnungen der Götter. Tarchon hatte Bittsteller zu mir und die Krone des Königreiches samt Zepter geschickt, er selbst vertraute mir die Abzeichen an; ich solle in ihr Lager kommen und hastig nach dem tyrrhenischen Königreich greifen. Doch mir neidet das durch Eiseskälte träge und durch die Jahre erschöpfte Greisenalter einer Herrschaft und es ist zu spät für meine Kräfte, um tapfere Taten zu vollbringen. (510) Ich würde meinen Sohn ermutigen, wenn er nicht von einer sabinischen Mutter abstammte und daher mit dem Volk verwandt ist. Du, dessen Lebensjahren und Geschlecht das Fatum gewogen ist, den die Wirkkräfte fordern, lasse dich darauf ein, oh tapferster Anführer der Teucrer und der Italer. Außerdem will ich dir diesen Pallas, als meine Hoffnung und Trostmittel anheimgeben. Unter dir als Lehrmeister soll er den Kriegsdienst und das schwere Werk des Mars ertragen, er soll sich daran gewöhnen, deine Heldentaten zu erkennen und dich schon von seinen ersten Jahren an bewundern. Diesem werde ich zweihundert arcadische Reiter mitgeben, ausgewählte und erprobte Männer aus der Jungmannschaft. Ebenso viele wird dir Pallas in seinem Namen geben.“ (520) Kaum hatte er dies gesprochen, hielten Aeneas, Sohn des Anchises und der treue Achates ihre Blicke gesenkt, während sie viele beschwerliche Dinge in ihrem traurigen Herzen bedachten, wenn nicht Venus Cytherea vom offenen Himmel ein Zeichen gegeben hätte. Denn unversehens kam vom Himmel unter Getöse ein zuckender Blitz und alles schien plötzlich niederzustürzen, der tyrrhenische Klang der Tuba durch den Himmel zu dröhnen. Sie blickten auf, wieder und wieder ertönte ein gewaltiges Krachen. Sie sahen, wie die Waffen zwischen den Wolken des Himmels in einer heiteren Gegend rötlich durch das klare Licht glänzten und wenn sie aneinandergeschlagen wurden, ertönten. (530) Andere staunten in ihrem Gemüt, doch der trojanische Held erkannte das Getöse und die Versprechen seiner göttlichen Mutter. Dann berichtet er: Aber nicht doch, Gastfreund, suche nicht zu erfahren, welches Los dieses Wunder mit sich bringt: Ich werde vom Olymp gefordert. Meine 139 göttliche Mutter prophezeite mir, dass sie mir dieses Zeichen schicken wollte, wenn der Krieg losbrach, und dass sie zur Hilfe Waffen des Volcanus durch die Lüfte werfen wollte. Oh welch große Blutbädern den unglücklichen Laurentern bevorstehen! Welche Strafen, Turnus, du mir büßen wirst! Wie viele Schilde und Helme der Männer wirst du unter deinen Wogen wälzen und wie viele starke Körper, (540) Vater Thybris? Sollen sie die Schlacht fordern und die Verträge brechen.“ Nachdem er diese Worte von sich gegeben hatte, erhob er sich von seinem erhöhten Sitz, erweckte zuerst die ruhenden Altäre mit ihren herculeischen Feuern, und besuchte den gestrigen Lar sowie die kleinen Penaten. Ebenso schlachtete Euander ordnungsgemäß auserwählte Schafe, ebenso die trojanische Jungmannschaft. Später schritt er von hier zu den Schiffen und suchte seine Kameraden auf, von deren Schar er durch Tugend hervorragende Männer auswählte, die ihn in die Kriege begleiten sollten. Der übrige Teil eilte vorwärts stürmend aufs Wasser und fuhr lässig flussabwärts, (550) um Ascanius Meldung zu erbringen über die Sachlage und über seinen Vater. Es wurden den Teucrern, die zu den tyrrhenischen Fluren eilten, Pferde gegeben. Man führte ein auserwähltes Pferd zu Aeneas, welches ein rotgelbes Löwenfell ganz bedeckte, das mit seinen goldenen Krallen glänzte. Die verbreitete Kunde eilte plötzlich durch die kleine Stadt, dass Reiter recht schnell zum Palast des tyrrhenischen Königs reiten. Die Mütter verdoppelten vor lauter Furcht ihre Gelübde. Näher kam der Gefahr die Furcht und schon größer schien das Abbild des Kriegsgottes. Dann umschlang der Vater Euander die Rechte seines gehenden Sohnes, hielt sie fest während er unaufhörlich weinte und sprach solches: (560) „Oh wenn mir Jupiter die vorübergegangenen Jahre zurückgeben würde, so wie ich war, als ich die erste Schlachtreihe gleich vor Praeneste niederstreckte, als Sieger Schilderhaufen angezündet und den König Erulus mit dieser Rechten in den Tartarus geschickt habe, dem als Heranwachsenden seine Mutter Feronia drei Leben geschenkt hatte (schrecklich zu sagen!), dreimal musste man gegen ihn die Waffen erheben, dreimal musste man ihn totschlagen. Damals raubte ihm dennoch diese Rechte alle Leben und beraubte ihn ebenso oft seiner Waffen. Nun wollte ich mich niemals mehr aus deiner süßen Umarmung losreißen, Sohn, als hätte Mezentius nie (570) diesem benachbarten Haupt zum Spott so viele grausame Verluste durch sein Schwert vollbracht und die Stadt so vieler Bürger beraubt. Doch ihr, oh Himmelsbewohner, und du Jupiter, erhabenster Lenker der Götter, ich bitte euch, erbarmt euch des arcadischen Königs und erhört die väterlichen Gebete! Wenn mir euer göttlicher Wille, wenn eure Göttersprüche meinen Pallas unversehrt erhalten, wenn ich ihn lebend wieder sehen und wenn er ihn einem Stück wieder kommen soll, dann bitte ich um mein Leben und nehme es hin jede erdenkliche Strapaze zu erdulden. Wenn du mir aber, Fortuna, einen unsäglichen Schicksalsschlag androhst, dann sei es jetzt möglich – jetzt! – dass dieses grausame Leben vorzeitig endet, (580) solange es noch zweifelhafte Sorgen sind, solange die Befürchtung zukünftiger Dinge noch ungewiss ist, solange ich dich, lieber Sohn, mein Trost und mein 140 spätgeschenktes Vergnügen, in der Umarmung halte: Auf dass keine schlimmere Meldung meine Ohren verletzt!“ Diese Worte brachte der Vater beim letzten Abschied hervor. Die Diener trugen den zusammengebrochenen Mann in das Gebäude. Schon war die Reiterei so weit aus den offenen Toren geritten, Aeneas sowie der treue Achates unter den ersten Kriegern, darauf folgten andere vornehme Männer Trojas. Pallas selbst ritt im mittleren Zug, hervorstechend durch seinen Mantel und seinen bemalten Waffen, wie der Morgenstern, wenn er von der Woge des Ozeans umspült wird und (590) den Venus vor allen anderen Sternenfeuers schätzt, sein heiliges Antlitz zum Himmel erhebt und die Finsternis auflöst. Auf den Stadtmauern standen die ängstlichen Mütter und folgten der staubigen Wolke und den ob der Bronze strahlenden Scharen mit ihren Augen nach. Jene zogen bewaffnet auf kürzestem Wege durchs Gestrüpp. Geschrei erhob sich und nachdem sie einen Heereszug gebildet hatten, zerstampfte die Hufe galoppierend das staubige Feld mit Getöse. Es gab einen gewaltigen Hain in der Nähe des eisigen Stroms von Caere, weithin heilig durch die Gottesfurcht der Väter. Von allen Seiten schlossen den Hain gewölbte Hügel ein und umgaben ihn mit schwarzen Tannen. (600) Es gibt das Gerücht, dass die alten Pelasger, die einst als erste die latinischen Gebiete bewohnten, den Hain Silvanus gewidmet haben, dem Gott der Fluren und des Viehs: den Hain und einen Festtag. Nicht weit von hier hielten Tarcho und die Tyrrhener eine durch die Gegenden geschützte Festung, die ganze Legion konnte schon vom hochragenden Hügel gesehen werden und die Männer zogen über weite Fluren. Hierhin ritten der Vater Aeneas und die für den Krieg ausgewählte Jugend, und erschöpft kümmerten sie sich um die Pferde und um ihre eigenen Körper. Doch da war Venus, die strahlend weiße Göttin mitten in den himmlischen Wolken zur Stelle, Gaben bringend. (610) Sobald sie im Tal zurückgezogen, aus der Ferne ihren Sohn abgeschieden am lauen Fluss sah, sprach sie ihn mit solchen Worten an und zeigte sich ihm freiwillig: „Sieh, die versprochenen, durch die Kunst meines Gatten vollendeten Gaben. Zögere nicht, mein Sohn, bald die überheblichen Laurenter oder den derben Turnus zum Kampf herauszufordern.“ So sprach sie und erstrebte die Umarmung ihres Sohnes. Die strahlenden Waffen stellte sie unter eine Eiche gegenüber. Aeneas, frohgestimmt ob der Gaben seiner Mutter und der so großen Ehre, konnte sich nicht satt sehen und ließ seinen Blick über die Details schweifen. Er bewunderte und wendete einen Helm mit (620) schrecklichem Busch und der Flammen spie zwischen Händen und Arme, ein todbringendes Schwert, einen Brustpanzer starrend vor Bronze, blutrot, gewaltig, wie wenn eine bläuliche Wolke durch die Strahlen der Sonne entflammt und weithin das Licht reflektiert. Dann bewunderte er leichte Beinschienen, die aus Elektron und Gold geschmolzen wurden, eine Lanze und die unbeschreibliche Darstellung auf einem Rundschilde. Dort hatte der Feuerbeherrscher die 141 italischen Ereignisse sowie die Triumphe der Römer dargestellt, der die Seher genau kennt und nicht unwissend um das kommende Zeitalter war. Dort hat er das ganze Geschlecht der zukünftigen Nachkommenschaft von Ascanius an sowie die geführten Kriege der Reihe nach dargestellt. (630) Auch hatte er die Wolfsmutter dargestellt, wie sie sich in der Höhle des grünenden Mars niederließ, wie die Jungen, die um ihre Zitzen hingen, spielten und wie sie furchtlos an der Mutter saugten, wie jene ihren runden Hals nach hinten wendete, sie abwechselnd streichelte und mit ihrer Zunge ihre Körper sanft berührte. Nicht weit von hier hatte Volcanus Rom dargestellt und die Sabinerinnen hinzugefügt, die ohne jede Sitte aus dem Zuschauerraum geraubt werden, als große Zirkusspiele veranstaltet werden. Auch, wie sich plötzlich ein neuer Krieg zwischen den Männern des Romulus sowie des alten Tatius und den strengen Einwohnern von Cures erhebt. Nach diesem Krieg, nachdem man untereinander den Streit abgelegt hat, standen die (640) bewaffneten Könige vor dem Altar des Jupiters mit Opferschalen in ihren Händen, und schlossen nach der Opferung einer Sau Verträge. Nicht weit von dort hatten schnelle Viergespanne Mettus in verschiedene Richtungen zerrissen (Hättest du doch Wort gehalten, Albaner!) und Tullus raffte die Eingeweide des lügnerischen Mannes durch den Wald. Die benetzten Dornbüsche tropften vor Blut. Auch befahl Porsenna den vertriebenen Tarquinius aufzunehmen und brachte Rom durch eine gewaltige Belagerung in Bedrängnis. Die Männer des Aeneas stürzten für die Freiheit zum Schwert. (650) Man würde auch den König erblicken, einem sich entrüstenden Mann gleich, einem drohenden Mann gleich, weil Cocles es wagte, die Brücke abzureißen und Cloelia mit zerrissenen Fesseln über den Fluss zu schwimmen. Ganz oben stand Manlius, der Wächter der tarpeischen Burg vor dem Tempel und hielt das aufragende Capitol. Der frische Königspalast starrte ob des neuen Strohdachs, welches Romulus hatte bauen lassen. Und hier befand sich eine silberne Gans, die in den vergoldeten Säulenhallen umherflog und prophezeite, dass die Gallier auf der Schwelle standen. Die Galler waren durch das Gestrüpp gekommen und hielten die Burg, verteidigt von der Finsternis und von dem Geschenk der schattigen Nacht. Jene haben goldenes Haar und goldene Kleidung, (660) sie leuchten mit ihren gestreiften Kriegsmänteln. Dann umschlingen sie ihre milchigen Hälse mit Gold, ein jeder schwingt je zwei alpine Wurfspieße in der Hand; mit langen Schildern sind ihre Körper geschützt. Hier hatte Volcanus aufspringende Salier und nackte Lupercer, sowie ihre wollenen Mützen und die vom Himmel fallenden rundlichen Schilde ziseliert. Und sittenreine Mütter führten heiliges Gerät in weichen Kutschen durch die Stadt. Fern von hier fügte Volcanus sogar die unterweltlichen Wohnsitze hinzu, die hohen Tore des Dis, die Strafen für die Verbrechen und dich, Catilina, der du von einem drohenden Felsen herabhängst und vor den Fratzen der Furien zitterst, (670) abgeschieden auch die Pflichtbewussten und Cato, der ihnen Rechtsnormen gibt. Zwischen diesen verlief weithin das goldene Abbild des stürmischen Meeres, doch es schäumte mit seiner weißgrauen Flut bläulich. Ringsum fegten vor Silber leuchtende Delphine in einem Kreis mit ihren Schwänzen die 142 Wasseroberfläche und zerschnitten die Brandung. In der Mitte des Schildes war eine mit Erz beschlagene Flotte zu erkennen – die Schlacht von Actium – man konnte ganz Leucate brausen sehen, nachdem die Soldaten zum Kampf aufgestellt waren und wie die Flut durch Gold hervorleuchtete. Von hier aus hatte Volcanus Augustus Caesar dargestellt, der die Italer samt Väter und Volk in die Schlacht treibt, samt den Penaten und den erhabenen Göttern und (680) wie er auf dem hochragenden Schiffsheck steht, dem seine heiteren Schläfen zwei Flammen speien und über seinem Scheitel sich das väterliche Gestirn zeigt. Auf der anderen Seite war Agrippa, der unter günstigen Göttern und Winden steil aufragend den Heereszug führte, dem, ein stolzes Kriegsabzeichen, die Schläfen durch die mit Schiffsschnäbeln verzierte Seekrone leuchten. Dann folgte Antonius, mit einer barbarischen Streitmacht und verschiedenen Waffen. Als Sieger über die Völker des Ostens und über das Rote Meer führte er Ägypten, orientalische Männer und das hinterste Bactra mit sich. Es folgte ihm (Frevel!) seine ägyptische Gattin. Gemeinsam stürzten sie alle zusammen und das ganze, von den zurückgezogenen Rudern und den dreizackigen Schiffsschnäbeln (690) aufgewühlte Meer schäumte. Sie streben aufs hohe Meer. Man könnte denken, dass auf dem Meer die losgerissenen Cycladen schwimmen oder hohe Berge mit anderen Bergen zusammenrennen: Eine so große Masse von Männern drohte auf den turmhohen Schiffen. Brandfackeln aus Werg wurden mit der Hand geschleudert, durch Wurfgeschosse fliegendes Eisen. Die Fluren des Neptun färbten sich ob des neuen Blutes rot. Cleopatra ruft ihre Heereszüge mit dem väterlichen Sistrum in die Mitte, auch sah sie noch nicht die beiden Schlangen hinter ihr. Ungeheuer von Göttern aller Art und der Beller Anubis (700) richteten ihre Waffen gegen Neptun, Venus und gegen Minerva. Es wütete in der Mitte der ziselierte Mars mit seinem Schwert, vom Himmel her die finsteren Furien und sich freuend schritt Discordia einher mit ihrem zerrissenen Umhang, der mit blutiger Peitsche Bellona folgt. Während er dies erkannte, spannte von oben her der actische Apollo den Bogen an. Durch diesen Schrecken wandte sich ganz Ägypten und Indien, ganz Arabien ganz Sabäa zur Flucht. Cleopatra selbst sah man wie sie den gerufenen Winden die Segel anvertraute und die lockeren Taue unverzüglich schießen ließ. Der Feuerbeherrscher hatte sie mitten im Blutbad ob ihres zukünftigen Todes blass (710) dargestellt, wie sie von den Wogen und dem Nordwestwind getragen wurde. Gegenüber aber hatte er den trauernden Nil mit seinem großen Körper abgebildet, der seine Mäander und sein ganzes Kleid ausstreckte, während er die Besiegten in seinen bläulichen Schoß und in seine Flussarme, die voller Schlupfwinkel waren, rief. Doch Caesar, der mit einem dreifachen Triumph nach Rom gefahren ist, weihte den italischen Göttern ein unsterbliches Gelübde: Dreihundert äußerst erhabene Tempel über die ganze Stadt verstreut. Vor Freude, Spielen und Beifall lärmten die Straßen. In allen Tempel gab es einen Reigen von Müttern, an allen Altären. Vor den Altären bedeckten junge, geschlachtete Stiere die Erde. (720) Augustus selbst, der an der schneeweißen Schwelle des glänzenden Phoebus sitzt, erkennt die Geschenke der Völker an und 143 befestigt sie an den stolzen Türpfosten. Es schreiten besiegte Völker in einer langen Reihe einher, wie verschieden sie sind im Hinblick auf ihre Muttersprache, so verschieden sind sie im Hinblick auf ihr Benehmen, auf ihre Kleider und Waffen. Hier hatte Volcanus den Stamm der Nomaden und die ungegürteten Afrikaner abgebildet; hier die Leleger, die Carer und die Pfeile tragenden Gelonen dargestellt. Der Euphrat floss schon mit einer sanfteren Strömung. Hier waren die Moriner zu sehen, die entferntesten Menschen, der zweihornige Rhein und die wilden Daher, sowie der Araxes, der sich über eine Brücke entrüstet. Derartige Dinge bewunderte Aeneas auf dem Rundschild des Volcanus, die Gabe seiner Mutter, (730) und freute sich über die Darstellung, unkundig der Dinge, während er den Ruhm und das Schicksal seiner Enkel mit seiner Schulter aufrichtete. Buch 9 Und während diese Dinge fern in einem anderen Bezirk geschahen, schickte Iuno, die Tochter des Saturns, Iris vom Himmel zum kühnen Turnus. Damals saß Turnus zufällig in einem geweihten Tal, im Hain seines Vaters Pilumnus. Zu ihm sprach die Tochter des Thaumas mit ihrem roten Mund so: „Turnus, was dir, der du es wünschst, niemand der Götter zu versprechen wagte – sieh! – bringt der ablaufende Tag freiwillig. Aeneas, der die Stadt, seine Kameraden und seine Flotte verlassen hatte, eilt zu dem Reich des Palatin und zum Sitz des Euander. (10) Das ist nicht genug: Er drang bis zu den entferntesten Städten der Corythus vor und bewaffnete eine Mannschaft der Lyder und ausgewählte Landbewohner. Was zögerst du? Nun ist es Zeit Pferde, nun, einen Streitwagen zu verlangen. Säume nicht länger und reiße das verwirrte Lager an dich!“ So sprach sie, dann erhob sie sich mit gleichen Schwingen gen Himmel und durchflog auf ihrer Flucht einen gewaltigen Bogen unter den Wolken. Der junge Mann erkannte sie, erhob seine beiden Handflächen zum Gestirn und warf der Fliehenden diese Äußerung hinterher: „Iris, Würde des Himmels, wer bringt dich mir auf die Erde herab, die du durch die Wolken getrieben wurdest? Woher kommt plötzlich dieses klare (20) Wetter? Ich sehe, wie sich der Himmel in der Mitte auftut und wie die Sterne um den Pol schweifen. Ich folge all diesen so großen Zeichen, wer du auch immer zu den Waffen rufst.“ Nachdem er so gesprochen hatte, ließ er sich am Fluss niederfallen und schöpfte ganz oben aus dem Strudel klare Flüssigkeit, während er die Götter um Vieles bat und er überhäufte den Äther mit seinen Gelübden. 144 Und schon marschierte das ganze Heer über die offenen Felder, mit reichlich Pferden, mit reichlich bunter Kleidung und Gold. Messapus hielt die vordersten Schlachtreihen zusammen, die hintersten die jungen Söhne des Tyrrhus, den mittleren Heereszug der Anführer Turnus: (30) Wie wenn der tiefe Ganges, der sich aus sieben ruhigen Flüssen erhebt, durch die Stille fließt oder der Nil mit seinem fruchtbaren Fluss auf den Feldern zurückfließt und sich sogleich in seinem Flussbett birgt. Jetzt sahen die Teucrer aus der Ferne wie sich eine plötzlich entstehende Wolke aus dunklem Staub ballte und wie sich Finsternis über den Feldern erhob. Als erster schrie von der vorderen Kriegsfestung aus Caicus: „Welcher Haufen, oh Bürger, wälzt sich da in finsteren Nebel? Bringt schnell die Schwerter, gebt die Waffen her, steigt auf die Mauern, der Feind ist da, los!“ Unter großem Geschrei brachten sich die Teucrer durch alle Stadttore in Sicherheit und erfüllten die Mauern. (40) Denn so hatte es der äußerst kampferprobte Aeneas vorgeschrieben, als er das Lager verlassen hatte: Wenn es in der Zwischenzeit irgendein Unglück gäbe, sollten sie es nicht wagen eine Schlachtreihe zu bilden oder den Feldern zu vertrauen. Sie sollten lediglich das Lager und die durch den Erdwall sicheren Mauern schützen. Wenn daher auch ihr Schamgefühl und ihr Zorn darauf hinwiesen, einen Nahkampf zu führen, verbarrikadierten sie die Tore und führten die Vorschriften aus. Bewaffnet erwarteten sie in den hohlen Wachtürmen den Feind. Turnus, wie er eilends vor dem trägen Heereszug vorangeschritten war, wurde von zwanzig ausgewählten Reitern begleitet und war unversehens vor der Stadt. Ihn (50) trug ein thrakisches Pferd mit weißen Flecken. Ihn bedeckte ein goldener Helm mit rotem Busch. „Ob jemand bei mir sein wird, junge Männer, der ich zuerst gegen den Feind – ? Seht!“, sagte er, und jagte einen Wurfspieß emporschwingend in die Lüfte: Das war der Ausgangspunkt des Kampfes und Turnus eilte steil aufragend auf das Feld. Seine Kameraden vernahmen das Geschrei und folgten ihm mit schauerlich tönendem Lärm. Sie wunderten sich über die trägen Gemüter der Teucrer, dass sie sich nicht auf dem ebenen Feld zeigten, dass die Helden ihnen keine Waffen entgegensetzten, sondern ihr Lager pflegten. Der ungestüme Turnus umkreiste vom Pferd aus die Mauern hier und dort und suchte einen Zugang durch das unwegsame Gelände. Es war, wie wenn ein Wolf, der einem vollen Schafsstall nachgestellt hat, (60) bei den Hürden brüllt, wenn er die Winde und Regenfälle schon nach Mitternacht ertragen hat. Die sicheren Schafe blöken unter ihrer Mutter liegend. Jener wütet im Zorn wild und verbrecherisch gegen die Unerreichbaren. Ihn quält die schon lang erlangte Fresslust und sein Rachen, der nach Blut dürstet. Nicht anders entflammten dem Rutuler Zornesausbrüche, der die Mauern und das Lager musterte. Schmerz brannte ihm in seinen harten Knochen. Nach welchem Plan sollte er den Zutritt wagen? Und welches Vorgehen trieb die eingeschlossenen Teucrer vom Wall und ließ sie zur Ebene ausströmen? Er überfiel die Flotte, die sich angebunden an der Seite des Lagers verbarg und (70) von Hügeln und Flusswasser umgeben war, und 145 forderte von seinen jubelnden Kameraden Brandfackeln. Er selbst nahm hitzig eine brennende Fackel aus Pinienholz in seine Hand. Dann aber strengten sich seine Männer an (es drängte sie die Anwesenheit des Turnus) und die ganze Jungmannschaft bewaffnete sich mit finsteren Fackeln. Sie plünderten die Opferherde: Das rauchende Kienholz erzeugte ein pechschwarzes Licht und Volcanus versprühte daruntergemischte Asche zu den Sternen. Welcher Gott, oh Musen, wendete so grausame Brandfackeln von den Teucrern ab? Wer vertrieb so große Brände von den Schiffen? Sagt es mir: Die Tat besitzt altehrwürdige Glaubwürdigkeit, doch der Ruhm ist ewig. (80) Zu der Zeit als Aeneas zum ersten Mal die Flotte im phyrgischen Idagebirge bildete und sich vorbereitete aufs hohe Meer zu eilen, hat angeblich die Mutter der Götter, Kybele den erhabenen Jupiter mit diesen Worten angesprochen: „Gib, Sohn, der Bittenden, was deine liebe Mutter von dir, nachdem der Olymp bezwungen wurde, fordert. Ein Pinienwald, der von mir über viele Jahre hinweg geschätzt wurde, ein Hain befand sich auf dem höchsten Berggipfel, wohin sie mir Opfer brachten, dunkel durch die finsteren Kiefern und den Ahornbäumen. Diese Bäume habe ich frohgestimmt einem jungen Dardaner gewährt, weil er eine Schiffsflotte baute. Nun beklemmt mich, die ich besorgt bin, angstvolle Furcht. (90) Löse meine Furcht und lass zu, dass deine Mutter dies durch ihre Bitten vermag, nämlich dass die Schiffe auf keiner Fahrt und durch keinen Sturmwind zerschmettert und besiegt werden. Es möge nützlich sein, dass sie meinen Bergen entstammen.“ Der Sohn erwiderte ihr, der das Gestirn der Welt dreht: „Oh Mutter, wohin rufst du die Göttersprüche? Oder was erstrebst du für diese Schiffe? Haben etwa Schiffe, die von sterblicher Hand gefertigt sind, das göttliche Recht unsterblich zu sein? Soll Aeneas sicher unsichere Gefahren durchschiffen? Welchem Gott ist eine so große Macht erlaubt? Ja, sobald die Fahrt beendet und sie einmal das ausonische Gebiet und den Hafen erreicht haben, wird es mir gefallen, jedem Schiff, das den Wogen entkommen sein wird und die (100) Anführer der Dardaner zu den laurentischen Hügeln gefahren haben wird, die sterbliche Gestalt zu entreißen und die Schiffe zu Göttern des großen Meeres zu machen, so, wie die Meeresnymphen, Doto und Galatea mit ihrer Brust das schäumende Meer durcheilen.“ Das sagte er und dies war rechtskräftig beim Fluss Styx seines Bruders; er genehmigte es bei seinen Ufern, die vor Pech und einem schwarzen Strudel brausten. Durch sein Nicken ließ er den ganzen Olymp erzittern. Also war der versprochene Tag gekommen und die Parzen hatten die geschuldete Zeit erfüllt, als das Unrecht des Turnus Kybele ermahnte, die Brandfackeln von den heiligen Schiffen zu vertreiben. (110) Nun strahlte zum ersten Mal ein ungewöhnliches Licht den Augen entgegen und es schien eine gewaltige Wolke vom Osten her den Himmel zu durcheilen und ebenso idäische Reigen. Dann schallte eine schaudererregende Stimme durch die Lüfte und erfüllte die Heereszüge der Trojaner 146 und der Rutuler: „Schwankt nicht, Teucrer, meine Schiffe zu verteidigen, und bewaffnet nicht eure Hände! Eher wird es Turnus gewährt werden die Meere auszubrennen als die heiligen Pinien. Und ihr, geht dahin, ihr Freien, geht dahin, ihr Göttinnen des Meeres! Eure Mutter befiehlt es euch.“ Und sogleich brach ein jedes Schiff gewaltsam seine Fesseln an den Ufern ab und nach Art der Delphine strebten sie mit untergetauchten Schiffschnäbeln ins (120) tiefe Meer. Von dort tauchten (ein erstaunliches Wunder) ebenso viele jungfräuliche Gestalten auf und wurden vom Meer fortgetragen. Vor Schreck erstarrten die Rutuler in ihren Gemütern, selbst Messapus war bei seinen verwirrten Pferden zutiefst erschreckt, auch der dumpf tönende Fluss zögerte, und Tiberinus zog sich vom Meer zurück. Doch dem kühnen Turnus wich die Zuversicht nicht. Von sich aus hob er die Moral durch folgende Worte und ermunterte seine Männer – von sich aus: „Diese Ungeheuer eilen zu den Trojanern, Jupiter selbst hat ihnen durch diese ihre gewohnte Hilfe entrissen: Sie (130) erwarten weder Pfeile noch Brandfackeln der Rutuler. Die Meere sind also für die Teucrer versperrt. Sie haben keinerlei Hoffnung auf eine Flucht. Der andere Teil ihres Gemeinwesens ist ihnen weggenommen, dieses Land freilich ist in unseren Händen. So viele tausend italische Stämme sind im Krieg. Schicksalhafte Antworten der Götter erschrecken mich nicht, wenn die Phryger mit solchen prahlen. Den Göttersprüchen der Venus ist genüge getan, dass die Trojer die fruchtbaren Fluren Ausoniens erreicht haben. Demgegenüber stehen mir auch meine eigenen Fata, nämlich das verbrecherische Volk mit dem Schwerte zu vernichten, nachdem mir meine Gattin geraubt wurde. Nicht nur die Atriden berührt dieser Schmerz, es ist nicht nur dem Mykene möglich, die Waffen zu ergreifen. (140) „Aber es ist genug einmal zugrunde gegangen zu sein.“ Es wäre zuvor genug gewesen mit den Vergehen; wenn sie nur nicht das ganze Frauengeschlecht gänzlich gehasst hätten. Diesen Männern gibt die Zuversicht ob des Walls in der Mitte, und ob des Hindernisses des Grabens und die Nähe zum Tod Mut. Doch haben sie nicht die Stadtmauern Trojas, die durch die Hand Neptuns gebaut wurden in die Flammen sinken sehen? Aber ihr, oh ihr ausgewählten Männer, wer rüstet sich mit dem Schwerte den Wall zu zerstören und mit mir in das bebende Lager einzudringen? Ich benötige keine Waffen des Volcanus, auch keine tausend Schiffe gegen die Teucrer. Sollen sie sich doch gänzlich mit allen (150) Etruskern verbünden! Sie sollen die Finsternis und den unmännlichen Diebstahl des Palladiums nicht fürchten, nachdem die Wachen der Burg weithin getötet sein werden und wir werden uns nicht im dunklen Leib eines Pferdes verbergen. Es steht fest, bei Tag die Mauern ganz unverhohlen mit Feuer zu umgeben. Sie sollen nicht sagen – dafür werde ich sorgen – dass sie es mit den Danaern und mit einer Pelasgermannschaft zu tun hätten, welche Hector zehn Jahre lang in Schach hielt. So weit nun, weil ja der bessere Teil des Tages vorbei ist, nutzt was davon übrig ist, versorgt glücklich über die erzielten Erfolge eure Körper, Männer, und erwartet, dass ein Kampf vorbereitet wird.“ Inzwischen wurde Messapus der (160) Auftrag erteilt, die Tore mit Wachdienste zu 147 belagern und die Mauern mit Bränden zu umgeben. Es gab vierzehn ausgewählte Rutuler, die als Soldaten die Mauern bewachen sollten, doch jedem von ihnen folgten je einhundert junge Männer, mit ihren purpurfarbenen Helmbüschen und funkelnd vor Gold. Sie schwärmten auseinander und wechselten sich gegenseitig ab. Über das Gras verstreut gaben sie sich dem Wein hin und leerten die ehernen Mischkrüge völlig. Es leuchteten die Feuer, die Wache verbringt die schlaflose Nacht mit Spielen. Dies beobachteten die Trojer oben vom Wall aus und hielten die hohe Festung mit ihren Waffen, auch (170) prüften sie bebend vor Furcht die Tore, verbanden die Brücken mit den Bollwerken und trugen Waffen bei sich. Da stand Mnestheus und der eifrige Serestus, welche der Vater Aeneas bei drohender Gefahr als Leiter der Jungmannschaft und als Anführer des Kriegswesens bestimmt hat. Die ganze Legion, der die Gefahr zugelost wurde, hielt über die Mauer verteilt Wache und ein jeder verrichtete seinen Dienst an dem, was er zu schützen hatte. Nisus, der Sohn des Hyrtacus, war der Wächter über ein Tor und äußerst eifrig im Umgang mit seinen Waffen, den die Jägerin Ida dem Aeneas als Begleiter geschickt hatte, der schnell mit seinem Wurfspieß und seinen leichten Pfeilen war. Und gleich nebenan war sein Begleiter, der junge Euryalus, woran gemessen kein zweiter (180) der Aeneaden schöner war, auch nicht in trojanischer Rüstung. Seine ungeschorenen Wangen bezeichneten seine frühe Jugend. Diesen war eine gemeinsame Leidenschaft zu Eigen und auf gleicher Weise stürzten sie in die Kriege. Auch damals verteidigten sie die Tür von einem gemeinsamen Posten aus. Nisus sagte: „Fügen etwa die Götter unserem Gemüt diesen Eifer hinzu, Euryalus, oder wird jedem von uns seine unheilvolle Begierde zum Gott? Mein Geist treibt mich entweder in einen Kampf oder in irgendetwas Großes einzufallen, und er gibt sich nicht mit der sanften Ruhe zufrieden. Du erkennst, welch große Zuversicht der Dinge die Rutuler hält: Nur vereinzelt schimmern ihre Feuer, von Schlaf und Wein gelöst haben sie sich (190) niedergelassen, weithin ruht die Gegend. Vernimm ferner, was ich bedenke, und welche Absicht sich nun in meinem Gemüt erhebt. Alle –das Volk und die Väter – fordern, dass Aeneas herbeigeholt wird und dass Männer geschickt werden, die ihm Genaues berichten. Wenn sie versprechen, was ich für dich fordere (denn mir ist der Ruhm der folgenden Tat genug), scheint es mir möglich, unter jenem Hügel einen Weg zu den Mauern und zur Stadt Pallanteum zu finden.“ Euryalus erstarrte vor Schreck, heftig erschüttert von der großen Sehnsucht nach Ruhm und zugleich sprach er seinen hitzigen Freund an: „Meidest du es also etwa, Nisus, mich dir als Kamerad bei der großen Unternehmung anzuschließen? (200) Soll ich dich allein in eine so große Gefahr schicken? So hat mich mein Vater Opheltes, der an Kriege gewohnt war, zwischen dem griechischen Schrecken und den Strapazen Trojas nicht aufgenommen und erzogen; und so habe ich nicht mit dir über solches gestritten und bin dem mutigen Aeneas und den schlimmsten Göttersprüchen gefolgt. Er ist hier – mein Mut ist hier, der 148 Verächter des Lichts und einer, der glaubt, dass die Ehre, nach der du strebst, wohl mit deinem Leben erkauft wird.“ Nisus erwiderte: „Freilich fürchtete ich um dich nicht solches, das wäre auch nicht recht. Und nicht soll mich Jubelnden der große Jupiter dir auf diese Weise zurückgeben oder wer auch immer dieses Vorhaben mit gewogenen Augen sieht. (210) Aber wenn mich irgendein Gott oder ein Schicksalsschlag (von denen du in solcher Not viele siehst) ins Unglück stürzt, möchte ich, dass du überlebst: Dein junges Alter ist des Lebens würdiger. Es soll jemanden geben, der mich, nachdem ich von ihm aus dem Kampf gerissen oder für einen Preis gekauft wurde, unter der harten Erde begraben wird oder wenn irgendein Unglück dies verbieten wird, soll er mir Abwesendem ein Totenopfer darbringen und mich mit einem Grab zieren. Und ich will deiner unglücklichen Mutter nicht der Grund eines so großen Schmerzes sein, die es als einzige von den vielen Müttern gewagt hatte, dir, Junge, zu folgen und sich nicht um die Stadtmauern des erhabenen Acestes gekümmert hat.“ Euryalus aber antwortete: „Du knüpfst vergebens nichtige Gründe aneinander und mein (220) Entschluss, der sich auch jetzt nicht verändert hat, weicht nicht von der Stelle. Lass uns beschleunigen!“, sagte er und zugleich weckte er die Wächter auf. Jene rückten nach und lösten sie mit der Wache ab. Nachdem sie ihren Posten verlassen hatten, schritt Euryalus, Nisus zum Begleiter, einher und sie suchten den König. Die übrigen Lebewesen entspannten auf der ganzen Erde verteilt ihre Sorgen im Schlaf und ihre Gemüter hatten die Strapazen vergessen: Die ersten Anführer der Teucrer, eine ausgewählte Jungmannschaft, hielten Rat über die wichtigsten Punkte der Herrschaft, nämlich was sie tun sollten, und wer der Bote für Aeneas sein sollte. Sie standen an lange Lanzen angelehnt, mit Schildern in der Hand (230) in der Mitte zwischen Lager und Feld. Dann baten sofort Nisus und Euryalus gemeinsam, dass sie zum Rat zugelassen wurden. Es wäre eine große Sache und eine Verzögerung würde sich lohnen. Als erster nahm die bebenden Männer Iulus auf und befahl Nisus zu sprechen. Dann sprach der Sohn des Hyrtacus so: „Hört, oh Aeneaden, gewogenen Gemüts, und beurteilt das, was wir vorbringen, nicht im Hinblick auf unser Alter. Die Rutuler sind durch Schlaf und Wein gelöst verstummt. Wir selbst erblickten den Ort in einer List, der an der Weggabelung zugänglich ist, vor dem Tor, welches dem Meer am nächsten ist. Die Feuer sind unterbrochen und finsterer Rauch (240) richtet sich zu den Sternen auf. Wenn ihr uns Gelegenheit gebt Aeneas und die Stadt Pallanteum zu suchen, werdet ihr erkennen, wie er bald mit Beute hier sein wird, nachdem er ein gewaltiges Blutbad angerichtet wurde. Auch täuscht uns Marschierende der Weg nicht: Wir sahen unten in den dunklen Tälern bei der ständigen Jagd den ersten Teil der Stadt und wir kennen den ganzen Fluss.“ Nun sagte der aufgrund seiner Lebensjahre angesehene und des Geistes reife Aletes: „Väterliche Götter, unter deren Macht stets Troja ist, ihr bereitet es also doch nicht vor, die Teucrer gänzlich zu vernichten, indem ihr einen solchen Mut der jungen Männer und so entschlossene (250) Gemüter 149 hervorgebracht habt.“ Während er so sprach, hielt er die Schultern und die Rechten der beiden und benetzte sein Gesicht und seinen Mund mit Tränen. „Welche Belohnungen, welche Belohnungen, ihr Männer, soll ich für würdig halten, dass sie euch für solche Ruhmestaten gezahlt werden? Zuerst werden euch die Götter und das Bewusstsein eurer Sitten die schönste schenken: Dann wird euch sogleich der pflichtbewusste Aeneas die übrigen geben und Ascanius, der noch vom hohen Alter unversehrt ist, wird niemals uneingedenk eines so großen Verdienstes sein.“ Dann nahm Ascanius das Gespräch auf: „Ja ich, für den das einzige Heil in der Rückführung meines Vaters liegt, beschwöre euch, Nisus, bei den großen Penaten, bei dem Lar von Assaracus und beim Heiligtum der ehrwürdigen Vesta: (260) welches Glück und welchen Glauben ich auch immer habe, setze ich in euren Schoß. Ruft meinen Vater zurück. Gebt ihn mir meinem Blickfeld zurück. Nichts ist traurig, wenn er erst zurückgeholt ist. Ich werde euch zwei Trinkbecher schenken, die aus Silber vollendet wurden auch aufgrund ihrer Gravuren rau sind, die mein Vater, nachdem er Arisba besiegt hatte, genommen hatte und ich gebe euch zwei Dreifüße, zwei große Talente an Gold, sowie einen alten Mischkessel, welche die sidonische Dido geschenkt hat. Wenn es uns als Sieger aber gelingen würde, Italien zu erobern, die Macht an uns zu reißen und die Kriegsbeute zu verlosen – du hast gesehen, auf welchem Pferd Turnus und in welcher Rüstung er (270) golden reiste – will ich eben dieses, seinen Rundschild und den roten Helmbusch aus der Verlosung nehmen, und dies ist schon jetzt deine Belohnung, Nisus! Außerdem wird dir mein Vater ein Duzend wohl ausgewählte Ehrenfrauen, sowie Kriegsgefangene und die Waffen von all diesen schenken; darüber hinaus die Felder, die König Latinus selbst gehabt hat. Dich aber, der dir mein Alter schon näher kommt, ehrwürdiger Euryalus, nehme ich schon mit ganzem Herzen als Begleiter auf und umfasse dich für alle Gefahren. Kein Ruhm wird bei meinen Taten ohne dich erworben werden. Sei es, dass ich Frieden schließen, sei es, dass ich Kriege führen werde, dir wird die größte Treue bei Taten (280) und Worten gelten.“ Ihm entgegnete Euryalus: „Kein einziger Tag könnte beweisen, dass ich ihm bei so tapferen Wagnissen unähnlich bin. Wenn sich nur das Glück nicht zum Unglück wendet! Doch ich bitte dich ferner der ganzen Gaben um eines: Ich habe eine alte Mutter, sie ist vom Stamm des Priamus. Die Unglückliche, die mich begleitete, hielt nicht die Erde von Ilium, auch nicht die Stadt des Königs Acestes zurück. Diese verlasse ich nun unwissend darüber, um welche Gefahr es sich auch immer handelt, und ohne mich von ihr verabschiedet zu haben (die Nacht und deine Rechte ist mein Zeuge!), weil ich die Tränen meiner Mutter nicht ertragen könnte. (290) Aber du, tröste die hilflose Frau, und stehe der Zurückgelassenen bei. Lass zu, dass ich diese Hoffnung in dich setze und ich werde kühner in jede Gefahr schreiten!“ Erschütterter Herzen ließen die Dardaner die Tränen fließen, allen voran der schöne Iulus und die Vorstellung der väterlichen Liebe fesselte seinen Geist. Dann sprach er so: „Gelobe, dass alles deiner gewaltigen Unternehmungen würdig sein wird. Denn deine Mutter wird mir eine Mutter sein, allein der Name Creusa wird ihr fehlen, doch ihrer derartigen Geburt wird kein 150 geringer Ruhm bleiben. Welcher Zufall auch immer der Tat folgen wird, (300) ich schwöre bei diesem Haupt, bei dem früher mein Vater zu schwören pflegte: „Was ich dir, wenn du zurückkehren wirst – unter glücklichen Umständen – verspreche, wird auch deine Mutter und deine Nachkommen erwarten.“ So sprach er unter Tränen und zog zugleich ein goldenes Schwert von seiner Schulter, das Lycaon aus Cnossus mit wundersamer Kunstfertigkeit hergestellt und handlich an eine Schwertscheide aus Elfenbein angepasst hatte. Mnestheus schenkte dem Nisus das erbeutete Fell eines schrecklichen Löwen, und der treue Aletes tauschte mit ihm seinen Helm. Sofort schritten sie bewaffnet einher. Diesen dahin Schreitenden (310) folgte die ganze Mannschaft der Adligen unter Gelübden zu den Toren – jung und alt – auch der schöne Iulus. Und während er früh für sein Alter Mut und männliche Sorgfalt an den Tag legte, gab er Nisus viele Mitteilungen mit, die er seinem Vater überbringen sollte. Doch die Winde zerpflückten sie alle und schenkten sie vergebens den Wolken. Nachdem sie ausgerückt waren, überwanden sie die Gräben und eilten durch den Schatten der Nacht zu dem feindlichen Lager, doch zuvor sollten sie für viele Männer den Tod bringen. Weit und breit sahen sie die durch Schlaf und Wein verstreuten Körper, die an der Küste aufgerichtete Streitwägen, die Männer zwischen Lederriemen und Rädern und wie da gleichzeitig Waffen und Weinkrüge lagen. Zuerst sprach der Sohn des Hyrtacus folgendermaßen: (320) „Euryalus, nun ist der Schwur zu wagen, nun ruft die Sachlage selbst danach. Hier ist der Weg. Du halte Wache und sorge weithin dafür, dass sich uns keine Mannschaft hinter unserem Rücken erheben kann. Ich werde hier aufräumen und dich auf einem breiten Weg führen.“ So sprach er, dann verstummte er. Zugleich griff er mit seinem Schwert den überheblichen Rhamnes an, der zufällig auf hohe Teppiche gebettet aus ganzer Brust schnarchte. Zugleich war er König und dem Großkönig Turnus der willkommenste Augur, doch auch mit seinem Amt konnte er das Unheil nicht vertreiben. Gleich nebenan durchbohrte er drei Diener, die planlos inmitten der Waffen lagen, sowie den (330) Waffenträger des Remus. Und nachdem er den Wagenlenker zufällig unter den Pferden ergriffen hatte, schnitt er den Männern die herabhängenden Hälse durch. Dann raubte er selbst dessen Herrn den Kopf und ließ den kopflosen Körper zurück, aus dem Blut pulsierte. Von finsterem Blut erwärmt trieften die Erde und die Lager. Aber auch Lamyrus, Lamus und den jungen Mann Serranus durchbohrte er, der in jener Nacht am meisten gespielt hatte und nun seine Glieder ausstreckte, besiegt vom vielen Bacchus. Er wäre glücklich gewesen, wenn er jenes Spiel weiter über die Nacht ausgedehnt und bis zum Morgengrauen durchgespielt hätte. Wie sich ein hungriger Löwe durch volle Schafsställe beißt, während er sie aufwühlt (340) (dazu rät ihm nämlich sein wahnsinniger Hunger) und das weiche Vieh, das stumm vor Angst ist, herauszieht, so brüllte Nisus mit seinem blutigen Mund. Und das Blutbad des Euryalus war nicht geringeren Ausmaßes. Entflammt raste auch er umher und näherte sich mittendrin dem 151 namenlosen und zahlreichen Pöbel, den unwissenden Männern Fadus, Herbesus, Rhoetus und Abaris. Rhoetus – der wach wurde und alles sah, sich aber hinter einem großen Mischkessel verbarg, weil er sich fürchtete. Diesem, sowie er sich erhob, bohrte er handgemein das ganze Schwert vorn in dessen Brust und zog es unter viel Blut wieder heraus. Jener erbrach seine purpurfarbene Seele und brachte sterbend den getrunkenen (350) Wein hervor, der mit seinem Blut vermischt war. Der rasende Euryalus drängte heimlich weiter. Und schon zog er zu den Kameraden des Messapus. Er sah, wie dort das letzte Licht erlosch und die angebundenen Pferde ordnungsgemäß grasten, als Nisus knapp solches sagte (er spürte nämlich, wie Euryalus vom allzu großen Blutbad und der Begierde getrieben wurde): Halten wir uns fern, denn das feindliche Tageslicht nähert sich. Wir haben sie genug büßen lassen, der Weg durch den Feind ist gebahnt.“ Viel aus festem Silber Hergestelltes der Männer ließen sie zurück: Waffen, Mischkrüge und zugleich schöne Teppiche. Euryalus sah auch den Brustschmuck und die goldenen (360) Gürtel des Rhamnes mit den Amuletten zurück, die einst der äußerst reiche Caedicus dem Tiburter Remulus als Gaben geschickt hatte. Und jener hatte sie, als er starb, seinem Enkel anheim gegeben. Nach seinem Tod rissen sie die Rutuler durch Krieg und Kampf an sich. Diese raubte Euryalus und befestigte sie vergebens an seinen starken Schultern. Dann zog er sich den bequemen Helm des Messapus auf, der mit einem Helmbusch geschmückt war. Sie schritten aus dem Lager und eilten in Sicherheit. Inzwischen schritten die aus der Stadt Latina vorausgeschickten Reiter einher, während die übrige Legion auf den Feldern aufgestellt verweilte, und überbrachten dem König Turnus Meldungen – (370) dreihundert Männer, alle mit einem Schild versehen unter ihrem Anführer Volcens. Und schon näherten sie sich dem Lager und stiegen zu den Befestigungsmauern hinauf, als sie aus der Ferne die auf einen Weg zu ihrer Linken abbiegenden Männer Nisus und Euryalus erkannten, der Helm den Euryalus, der nicht mehr an ihn dachte, im Schatten der dämmernden Nacht verraten hatte und vorn die Lichtstrahlen reflektierte. Das wurde nicht leichtfertig wahrgenommen. Volcens schrie vom Heereszug her: „Bleibt stehen, Männer! Welchen Grund des Weges? Wer seid ihr da, die ihr bewaffnet seid? Wohin zieht ihr?“ Jene erwiderten nichts, sondern beschleunigten ihre Flucht in die Wälder und vertrauten der Nacht. Die Reiter stellten sich ihnen (380) hier und da bei der bekannten Wegscheide entgegen und umkränzten den ganzen Zugang mit Wächtern. Der Wald war weithin durch Gestrüpp und finsterer Steineichen schauderhaft. Von allen Seiten erfüllten ihn dichte Dornsträucher. Vereinzelte Fußwege leuchteten durch die verborgenen Pfade. Euryalus behinderte die Finsternis, die die Zweige erzeugten sowie seine schwere Beute und es täuscht ihn die Furcht bei der Richtung der Wege. Nisus entfernte sich. Schon war er unbedacht den Feinden entkommen, sowie den Orten, die nach dem Namen Albas die albanischen Gebiete genannt werden (damals besaß König Latinus dort hoch gelegene Ställe), als er stehen blieb und sich vergebens nach seinem abwesenden Freund umsah. (390) „Unglücklicher Euryalus, in welcher Gegend habe ich dich zurückgelassen? In welche Richtung 152 soll ich dir folgen?“ Während er den ganzen verschlungenen Weg des trügerischen Waldes noch einmal überdachte, verfolgte er zugleich seine Fußspuren, die er beobachtete, zurück und irrte im stillen Gestrüpp umher. Er hörte Pferde, er hörte Lärm und die Signale der folgenden Männer. Dazwischen dauerte es nicht lang, bis das Geschrei zu seinen Ohren gedrungen war und er Euryalus sah, den schon die ganze Mannschaft durch den Trug des Ortes und der Nacht in einem plötzlichen, beunruhigenden Aufruhr überrascht ergriffen hatte, während er zahlreiches für seine Befreiung versuchte – vergebens. Was sollte Nisus tun? Auf welchem Wege sollte er es wagen den jungen Mann zu (400) entreißen und mit welchen Waffen? Oder sollte er sich bereit zu sterben mitten in die Schwerte stürzen und durch die Wunden einen schönen Tod beschleunigen? Sofort schleuderte er einen Lanzenschaft mit angezogenem Oberarm, während er zum erhabenen Mond aufblickte und so mit seiner Stimme bat: „Du, Göttin, du helfe als Anwesende bei meiner Strapaze, du Zierde der Sterne Wächterin über die Haine, Tochter der Latona. Wenn dir mein Vater Hyrtacus jemals für mich irgendwelche Gaben deinen Altären dargebracht hat, wenn ich irgendwelche Gaben selbst durch meine Jagd vermehrt habe, sie an das Kuppeldach aufgehängt oder an den heiligen Giebel befestigt habe, dann lass zu, dass ich diese Schar verwirre und lenke meine Wurfgeschosse durch die Lüfte.“ (410) Das hatte er gesprochen, dann stieß er, indem er sich mit seinem ganzen Körper anstrengte, die Lanze. Während die Lanze flog, zerschnitt sie die Schatten der Nacht, gelangte in den Rücken des Sulmon, der ihm gegenüber stand und zerbrach dort. Nachdem sich das Holz gespalten hatte, durchbohrte die Lanze sein Zwerchfell. Jener wälzte sich, während er warmes Blut aus seiner Brust spie. Er erstarrte und seine Eingeweide klopften unter langem Röcheln. Die Männer blickten sich in verschiedenen Richtungen um. Eifriger als dieses – sieh da! – schleuderte Nisus ein anderes Wurfgeschoss von ganz oben, von seinem Ohr aus. Während die Männer zitterten, flog die Lanze zischend dem Tagus durch beide Schläfen und nachdem sie das Gehirn durchbohrt hatte, blieb sie erwärmt dort stecken. (420) Es wütete der schreckliche Volcens, erblickte aber niemals den Schleuderer des Wurfgeschosses auch nicht, wohin er sich brennend stürzen könnte. „Du wirst mir unterdessen dennoch für beide mit deinem warmen Blut büßen!“ , sagte er und ging mit gezogenem Schwert gegen Euryalus. Dann aber schrie Nisus zutiefst erschreckt, wahnsinnig, und konnte sich nicht weiter in der Finsternis verbergen oder so großen Schmerz ertragen: „Gegen mich – mich! – ich, der ich es getan habe, bin zur Stelle – gegen mich wendet euer Schwert, oh Rutuler! Alles war meine List, nichts hat dieser Kerl da gewagt oder vermocht. Ich rufe diesen Himmel und die mitwissenden Sterne als Zeugen an. (430) Nur hat er seinen unglücklichen Freund allzu sehr geliebt.“ Derartige Worte brachte er hervor, doch das Schwert, das mit Kräften hineingetrieben wurde, durchbohrte seine Rippen und durchschlug seine Brust. Euryalus wälzte sich im Todeskampf. Über seine schönen Glieder lief Blut. Sein zusammengefallener Nacken sank auf seine Schultern nieder. Wie eine purpurne Blume, die von einem Pflug abgemäht wird, sterbend erschlafft, oder die 153 Mohnblumen, nachdem der Hals schlaff geworden ist, ihre Blüte nach unten hängen lassen, wenn sie zufällig von starkem Regen beschwert werden. Doch Nisus stürzte mitten unter die Männer und suchte unter ihnen einzig Volcens. Nur mit Volcens hielt er sich auf. (440) Die Feinde, die sich um Nisus geballt hatten, verjagten ihn handgemein von allen Seiten. Er drängte nicht säumiger weiter und drehte sein tödliches Schwert, solange bis er es vorn in das Gesicht des schreienden Rutulers gerammt hatte und sterbend das Leben des Feindes geraubt hat. Dann warf er sich seinerseits durchbohrt vor auf seinen toten Freund. Dort kam er endlich in sanften Tod zur Ruhe. Mögen beide selig sein! Wenn meine Gesänge irgendetwas vermögen, wird kein Tag euch jemals aus dem Gedächtnis der Zeit nehmen, solange das Geschlecht des Aeneas den unverrückbaren Felsen des Capitols bewohnt und der römische Vater sein Herrschaftsgebiet haben wird. (450) Die Sieger, welche die Kriegsbeute und die Rüstungen an sich gerissen hatten, trugen den toten Volcens weinend in das Lager. Nicht geringer ist die Trauer im Lager, nachdem der blutleere Rhamnes gefunden wurde sowie, dass die vornehmsten Männer in einem einzigen, so großen Blutbad getötet wurden, auch Serranus und Numa. Es gab einen gewaltigen Zusammenlauf zu ebendiesen Körpern und zu den halbtoten Männern, zu dem Ort, der vom frischen Blutbad warm war und zu den schäumenden Bächen voller Blut. Sie erkannten die Kriegsbeute untereinander, nämlich den strahlenden Helm des Messapus und den unter viel Schweiß zurückgeholten Brustschmuck. Und schon bestreute die erste Morgenröte die Ländereien mit neuem Licht, während sie das safrangelbe Lager des (460) Tithonus verließ. Und schon fachte Turnus die Männer zum Kampf an, nachdem die Sonne ins Lager gedrungen und die Gegenden durch das Licht wieder sichtbar gemacht worden waren und er sich selbst mit Waffen umgeben hatte: Sie versammelten die ehernen Kampfreihen in der Schlacht – jeder Anführer seine Leute – und sie schärften ihre Zorneswallung durch die verschiedenen Gerüchte. Ja, sie befestigen sogar (elend das zu sehen) vorn an den aufgerichteten Lanzen die Köpfe des Euryalus und des Nisus und folgten ihnen mit viel Geschrei. Die abgehärteten Männer des Aeneas stellten ihnen ihre Schlachtreihe am linken Ende der Befestigungsmauern entgegen (denn am rechten Ende wurden sie vom Fluss umgeben). (470) Sie besetzten die riesigen Gräben und standen trauernd auf den hohen Wehrtürmen. Gleichzeitig bewegten sie innerlich die vorn an die Lanzen befestigten Gesichter der Männer, welche den Armen nur allzu bekannt waren und vor finsterer Jauche trieften. Inzwischen stürzte die geflügelte Botin Fama fliegend in die verängstigte Stadt und gelangte zu den Ohren der Mutter des Euryalus. Doch sofort verließ die Wärme die Gebeine der Unglücklichen, die 154 Spulhölzer wurden aus ihren Händen geschüttelt und ihr Tagewerk an Wolle rollte zurück. Die Unglückliche raste heraus und nachdem sie sich mit weibischen Geheul die Haare zerrauft hatte eilte sie im Laufschritt wahnsinnig zu den Befestigungsmauern und zur Vorhut, dabei dachte sie nicht an die Männer, an die Gefahren und auch nicht an die (480) Wurfgeschosse. Dann erfüllte sie den Himmel mit Klagen: „So erblicke ich dich, Euryalus? Konntest du mich etwa allein zurücklassen, meine späte Ruhe meines Greisenalters, du Grausamer? Wurde der unglücklichen Mutter nicht die Möglichkeit gegeben, dich ein letztes Mal anzusprechen, den man dich in so große Gefahr geschickt hat? Ach, du liegst in fremder Erde und bist latinischen Hunden und Vögel als Beute gegeben. Nicht gab dir deine Mutter bei einem Leichenzug Geleit, noch hat sie deine Augen geschlossen, oder deine Wunden gewaschen, während sie dich mit einer Decke zudeckte, die sie eilends in den Nächten und an den Tagen für dich nähte, und nicht habe ich meine Sorgen des Alters am Webstuhl getröstet. (490) Wohin soll ich dir folgen? Oder welches Land besitzt nun deine Körperteile, deine losgerissenen Glieder und deinen zerfetzten Leichnam. Dies berichtest du mir über dich, Sohn? Diesem Unglück bin ich zu Land und zu Meer gefolgt? Trefft mich, wenn es noch irgendeine Treue gibt, werft auf mich alle Wurfgeschosse, oh Rutuler, mich vernichtet als erste mit dem Schwert! Oder erbarme du dich, großer Vater der Götter und stoße mit deiner Waffe dieses dir verhasste Haupt in den Tartarus herab, weil ich mein grausames Leben nicht auf anderer Weise vorzeitig endigen kann.“ Durch dieses Weinen wurden die Gemüter heftig erschüttert und trauriges Klagen durchlief alle Reihen. Die Kräfte für die Schlacht erstarrten und waren gebrochen. (500) Während jene die Trauer noch weiter anfachte, ergriffen sie Idaeus und Actor auf Geheiß des Ilioneus und des heftig weinenden Iulus und bringen sie zwischen ihren Händen zurück ins Haus. Doch in der Ferne ließ die Tuba mit klingendem Erz einen schrecklichen Ton ertönen, es folgte Lärm und der Himmel hallte wieder. Nachdem sie die Formation einer Schildkröte gebildet hatten, eilten die Volscer gleichmäßig und bereiteten sich vor, die Gräben zu erfüllen und den Wall einzureißen. Ein Teil suchte einen Zugang zur Festung und die Mauern mit Leitern zu erklimmen, wo die Kampfreihe weniger dicht war und die Menge den Soldaten von Lücken durchschimmerte. (510) Die Teucrer schleuderten ihnen jede Art von Waffen entgegen und stießen sie mit harten Ruderstangen hinab. Sie waren es gewohnt in einem langen Krieg die Mauern zu verteidigen. Auch ließen sie Steine mit einem Gewicht, das sich für den Angriff eignete, hinunterrollen, wenn sie nur irgendwie die geschützte Formation durchbrechen konnten, wobei die Soldaten unter der dichten Schildkröte dennoch mit jeder Situation freudig zurecht kamen. Und schon hielten die Rutuler nicht mehr stand, denn wo den Teucrern eine riesige Schar drohte, wälzten sie eine gewaltige Gesteinsmasse und stürzten sie hinunter, welche die Rutuler weithin niederstreckte und sie vom Schutz ihrer Schilde löste. Die kühnen Rutuler kümmerten sich nicht weiter darum in blindem Kriegsgetümmel zu 155 kämpfen, sondern wetteiferten, die Teucrer mit (520) Geschossen vom Wall zu vertreiben. In anderer Richtung schüttelte der schrecklich anzusehende Mezentius eine etruskische Kienfackel und warf den rauchenden Brand. Doch Messapus, der Pferdebändiger, ein Nachkomme des Neptun, riss den Wall ein und forderte Leitern für die Mauern. Ihr, oh Caliope, bitte ich, haucht den Dichtenden an und sagt mir, welches Blutbad sich dort damals durch das Schwert ereignet hat, welche Leichen Turnus hervorgebracht hat, welchen Mann ein jeder in den Orcus geschickt hat, und stellt mit mir den gewaltigen Krieg bis ins kleinste Detail dar. (530) Es gab einen von seiner Lage her günstigen Turm, gewaltig von unten aus zu sehen, mit hohen Türmen, den alle Italer mit äußersten Kräften im Wetteifer erobern und das Werk mit höchster Gewalt zerstören wollten. Die Trojaner hingegen verteidigten ihn mit Steinen und dicht gedrängt schleuderten sie durch die gewölbten Fenster Wurfgeschosse nach unten. Turnus warf als erster eine brennende Fackel und steckte die Seite des Turms in Brand. Das Feuer ergriff, durch den Wind vervielfacht, die Holzbalken und haftete an den angefressenen Pfosten. Die verwirrten Männer zitterten im Inneren und wollten vergebens vor ihrem Unglück fliehen. Während sie sich zusammenballten und sich nach hinten zurückzogen, (540) zu der Seite, die noch nicht vom Unheil betroffen war, da fiel der Turm durch das ungleiche Gewicht nach vorn und der ganze Himmel hallte durch das Getöse wieder. Die Halbtoten stürzten zur Erde – samt der gewaltigen Masse des Turms – und wurden von ihren eigenen Waffen getroffen, an ihren Brüsten vom harten Holz durchbohrt. Kaum ist dem als einziger Helenor, und auch Lycus entkommen. Von diesen war Helenor der Jüngere, den die Sklavin Licymnia dem lydischen König heimlich erzogen und ihn mit verbotenen Waffen nach Troja geschickt hatte, leicht bewaffnet, mit einem bloßen Schwert und unrühmlich mit einem weißen, leichten Schild. Sobald sich dieser mitten unter tausenden Soldaten des Turnus wiederfand und sah, dass (550) auf beiden Seiten latinische Schlachtreihen standen – wie ein wildes Tier, welches dicht von einer Schar Jagender umgeben ist, gegen die Geschosse rast, sich todesmutig hineinwirft und durch einen Sprung über den Jagdspieß stürzt – nicht anders stürzte dann der junge Mann todesmutig mitten in den Feind und eilte dorthin, wo er die Waffen am dichtesten wahrnahm. Doch Lycus, der besser zu Fuß war, floh zwischen Feind und Waffen zur Mauer, im Eifer die hohen Zinnen mit seiner Hand zu fassen und die Rechten seiner Kameraden zu erreichen. Diesen (560) fuhr Turnus, der ihn in ebenso schnellem Lauf mit einer Waffe verfolgte, als Sieger mit diesen Worten an: „Hoffst du etwa, Wahnsinniger, dass du unseren Händen entkommen kannst?“ Zugleich riss er den nun in der Luft hängenden Mann an sich und riss ihn dann mit einem Großteil der Mauer herunter. Es war, wie wenn der Waffenträger des Jupiter, der Adler, entweder einen Hasen oder einen Schwan mit seinem weißen Körper raubte, indem er mit seinen gekrümmten Füßen in die Höhe strebte, oder der 156 Wolf des Mars unter vielem Blöken aus den Ställen ein Lamm raubte. Überall erhob sich Geschrei. Die rutulischen Soldaten griffen an und füllten die Gräben mit Erde auf, andere warfen brennende Fackeln zu den Dachgiebeln. Ilioneus streckte (570) Lucetius, der sich dem Tor näherte und eine Fackel trug, mit einem Felsen, einem gewaltigen Trümmerteil des Berges nieder, Liger den Emathion, Asilas den Corynaeus. Der eine konnte gut mit seinem Wurfspieß umgehen, der andere mit seinem Pfeil, der weithin unbemerkt blieb. Caeneus machte Ortygius nieder, Turnus den Sieger Caeneus, wiederum Turnus Itys und Clonius, sowie Dioxippus, Promolus, sowohl Sagaris als auch den vor den höchsten Türmen stehenden Idas, und Capys tötete Privernus. Diesen streifte zunächst nur die leichte Lanze des Themillas, doch jener erhob von Sinnen die Hand zu seiner Wunde, nachdem er den Schild weggeworfen hatte. Daher bohrte sich ein von der Reiterabteilung herbeigeflogener Pfeil tief in seine linke Seite. Im Inneren zerriss er die verborgenen (580) Atemwege mit einer tödlichen Wunde. Da stand in herausragenden Waffen der Sohn des Arcens, bunt mit einem bestickten Mantel und leuchtend von iberischem Purpur, er war auffallend durch seine Gestalt. Diesen, welcher im Hain des Mars, am Fluss Symaethius aufgezogen worden war, wo sich der versöhnliche Altar des Palicus befindet, hatte sein Vater Arcens geschickt. Mezentius selbst trieb das zischende Wurfnetz dreimal um sein Haupt, nachdem er die Lanzen abgestellt und die Zügel angezogen hatte und spaltete in der Mitte die Schläfen des vor ihm Stehenden mit dem flüssiggewordenen Blei und breitete den ausgestreckten Mann weithin im Sand aus. (590) Damals hatte angeblich zum ersten Mal im Krieg Ascanius den schnellen Pfeil angespannt, vorher war es es gewohnt, damit flüchtende Tiere zu erschrecken. Angeblich hat er aus eigener Hand den tapferen Numanus niedergestreckt, der den Beinamen Remulus und jüngst die kleine Schwester des Turnus zur Frau genommen hatte. Der Erzählung nach marschierte dieser Numanus vor die erste Schlachtreihe, während er Würdiges und Unwürdiges rief, in seiner Brust war er aufgewühlt ob der neuen Königswürde und trug sich lauthals zur Schau: „Schämt es euch nicht, erneut von einer Belagerung und einen Wall umgeben zu sein, Phryger, die ihr schon zweimal ergriffen worden seid, und schämt es euch nicht, die Mauern eurem Tod vorzustrecken? (600) Seht, die fordern durch den Krieg unsere Ehen für sich! Welcher Gott, welcher Wahnsinn trieb euch nach Italien? Hier sind nicht die Atriden, auch nicht Odysseus, der Meister der täuschenden Rede. Als ein von Anfang an hartgesottenes Geschlecht bringen wir unsere Neugeborene zum ersten Mal zum Fluss und härten sie in der grimmigen Kälte und in den Wogen ab. Bei der Jagd halten die Jungen Wache und bestürmen die Wälder, im Spiel lenken sie die Pferde und spannen die Pfeile auf dem Bogen. Und die bei dieser Arbeit ausdauernde Jugend, die ein geringes Vermögen gewöhnt ist, bändigt entweder die Erde mit der Hacke oder erschüttert Städte im Krieg. Das ganze Leben macht man vom Schwert oft Gebrauch, wir ermüden die (610) Rücken der jungen Stiere mit der umgedrehten Lanze. Und auch 157 das träge Greisenalter schwächt nicht die Kräfte des Geistes und verändert unsere Frische. Das graue Haar drücken wir mit dem Helm nieder, stets beschaffen wir freudig neue Beute und leben vom Raub. Ihr habt bunte Kleider, safrangelb oder in leuchtendem Purpur, in eurem Herz wohnt die Trägheit, ihr gebt euch freudig Reigentänzen hin, eure Hemden haben lange Ärmel und euer Kopfbinden haben Schmuckketten. Oh, ihr seid wahrhaft Phrygierinnen, denn Phryger seid ihr nicht! Marschiert über den hohen Dindyma, wo euch die Flöte den Klang aus ihren zwei Kammern schenkt, den ihr gewohnt seid. Euch rufen das Tamburin und die berecyntische Flöte der Mutter vom (620) Ida-Gebirge. Überlasst die Waffen echten Männern und weicht vom Schwerte.“ Ascanius ertrug den Mann nicht, der solches mit seinen Worten posaunte sowie finstere Dinge sang, wandte sich ihm zu, spannte seinen Pfeil mit einer Rosshaarsehne an und während er seinen Arme in die entgegengesetzte Richtung zog, verharrte er, nachdem er zuvor Jupiter mit diesen Gelübden demütig geben hatte: „Allmächtiger Jupiter, stimme meinen kühnen Unternehmungen zu. Ich selbst will dir zu deinen Tempeln alljährliche Gaben tragen, vor deine Altäre will ich einen jungen, strahlend weißen Stier mit goldener Stirn stellen, der mit seiner Mutter in gleicher Weise das Haupt trägt, schon mit seinen Hörnern angreift, und der den Sand mit seinen Füßen aufwirbelt.“ (630) Der Schöpfer des Himmels hörte das und ließ es aus einer heiteren Himmelsgegend zur Linken donnern, ebenso ertönte der tödliche Bogen des Ascanius. Es entfloh schrecklich zischend der zuvor angespannte Pfeil, flog durch den Kopf des Remulus und durchstieß die gewölbten Schläfen mit der Eisenspitze. „Geh, und verspotte mit überheblichen Worten die Tugend. Die zweimal eroberten Phryger geben diese Antwort den Rutulern zurück.“ Nur so viel sprach Ascanius. Die Teucrer folgten ihm mit Geschrei, lärmten vor Fröhlichkeit und erhoben ihren Mut zu den Sternen. Damals sah zufällig der gelockte Apollo von der Himmelsgegend aus, von oben her die ausonischen Schlachtreihen und die Stadt, (640) als er auf einer Wolke saß und er sprach mit diesen Worten den siegreichen Iulus an: „Du aufgrund deiner neuen Mannhaftigkeit gefeierter Mann, Junge, so geht man zu den Sternen, du Götterspross, der du Götter hervorbringen sollst. Zurecht werden sich alle Kriege legen, die unter dem Geschlecht des Assaracus vom Schicksal her kommen werden, auch Troja wird zu klein für dich sein.“ Sobald er dies gesprochen hatte, begab er sich eilends vom hohen Himmel und während er die wehenden Lüfte zerteilte, eilte er zu Ascanius. Dann verwandelte er die Gestalt seines Gesichtes in die, des alten Butes. Dieser war zuvor für den Dardaner Anchises der Waffenträger und treuer Wächter vor dessen Schwelle. Dann gab ihn der Vater Ascanius zum Begleiter. Apollo marschierte – (650) in allem dem hochbetagten Mann ähnlich: mit der Stimme, der Gesichtsfarbe, dem weiße Haar, den grimmig klirrenden Waffen – und mit diesen Worten sprach er den leidenschaftlich brennenden Iulus an: „Es sei genug, Sohn des Aeneas, dass Numanus durch 158 deinen Pfeil ohne Schaden für dich den Tod fand. Diesen ersten Ruhm gesteht dir der große Apollo zu und neidet dir ihn nicht, den du mit gleichen Waffen erworben hast. Doch spare im Krieg weiteres aus, Junge.“ So sprach Apollo, verließ mitten im Sprechen den menschlichen Blick und entschwand in der Ferne aus den Augen in die dünne Luft. Die vornehmen (660) Dardaner erkannten den Gott sowie die göttlichen Waffen und nahmen bei Apollos Flucht den klingenden Köcher wahr. Also hielten sie den kampfbegierigen Ascanius aufgrund diesen Worten und dem Wirken des Phoebus vom Kampfgeschehen fern, sie selbst rückten erneut in die Schlacht und schickten ihre Leben in die offene Gefahr. Es erhob sich Geschrei an allen Mauern quer durch das Bollwerk, energisch spannten sie den Bogen an und schleuderten die Schwungriemen. Der ganze Boden wurde mit Pfeilen bestreut, dann gaben die Schilde und die gewölbten Helme Lärm von sich, wenn sie wo angestoßen wurden; ein rauer Kampf erhob sich. Ebenso stark peitscht der Platzregen den Erdboden, der unter dem Sternzeichen der regenreichen Böcklein vom Westen her kommt, mit so zahlreichem Hagel stürzen die Wolken (670) gegen die Gewässer, wenn der wilde Jupiter den regenreichen Sturm in die Südwinde schleudert und am Himmel das gewölbte Gewölk aufbrechen lässt. Pandarus und Bitias, Sprösslinge des idaeischen Alcanor, welche die Waldnymphe Iaera im Hain des Jupiter großgezogen hatte. Die jungen Männer glichen den väterlichen Tannen und den Bergen. Das Tor, welches ihnen durch den Befehl des Anführers anvertraut war, öffneten sie vertrauend auf ihre Waffen; von sich aus luden sie den Feind in die Festung. Sie selbst standen im Inneren zur Rechten und zur Linken anstelle der Türme, mit einem Schwert waren sie bewaffnet und auf ihren hohen Köpfen mit funkelnden Helmbüschen, genau so, wie sich zwei um klare Flüsse in die Luft ragenden Eichen, (680) sei es an den Ufern des Padus, sei es in der Nähe des lieblichen Athesis, ihre vollen Baumkronen zum Himmel erheben und ihre erhabenen Wipfel wanken lassen. Sobald die Rutuler sahen, dass sie offen standen, fielen sie in die Zugänge ein. Sogleich wandten sich Quercens, der in seiner Rüstung schöne Aquiculus, der hitzköpfige Tmarus sowie der kriegerische Haemon mit ihren ganzen Heereszügen zur Flucht oder ließen ihr Leben noch an der Schwelle des Tores. Dann wuchs noch mehr der Zorn in den unverträglichen Gemütern. Und schon ballten sich die Trojaner an derselben Stelle, nachdem sie sich versammelt hatten (690) und wagten es, Mann gegen Mann zu kämpfen und weiter vorzurücken. Ein Bote berichtete seinem Anführer Turnus, der in einer anderen Gegend tobte und Männer mit Entsetzen erfüllte, dass der Feind ob des neuen Blutes wütete und offenstehende Tore gewährte. Dieser brach sein Vorhaben ab und stürzte von gewaltigem Zorn angetrieben zur dardanischen Pforte und zu den überheblichen Brüdern. Zuerst streckte er Antiphates nieder (dieser hielt sich nämlich an vorderster Stelle auf), indem er einen Wurfspieß auf ihn schleuderte. Antiphates war der uneheliche 159 Sohn einer thebanischen Mutter und des erhabenen Sarpedon. Die italische Lanze flog durch die dünne Luft und nachdem sie in den Magen hineingeschlagen war, bohrte sie sich tief in die (700) Brust. Die Höhlung der finsteren Wunde brachte eine schäumende Woge Blut hervor und das Eisen erwärmte sich in der durchbohrten Lunge. Dann streckte er mit seiner Hand Merops und Erymas nieder, dann Aphidnus, dann den in seinen Augen brennenden und vor Zorn brüllenden Bitias nieder, aber nicht mit dem Wurfspieß (denn jener hätte nicht dem Wurfspieß sein Leben abgegeben), sondern laut zischend flog eine geschleuderte Phalerica, wie ein Blitz bewegt, der weder zwei Stierfelle noch ein zuverlässiger Brustpanzer mit doppelter Reihe an Schuppen und aus Gold Widerstand leisten. Die gewaltigen Glieder des Bitias fallen zusammen und stürzen nieder, die Erde lässt ein Seufzen verlauten und der gewaltige Rundschild ertönte über dem Leichnam. (710) Ein solcher steinerner Pfeiler fiel manchmal an der euboischen Küste von Baiae herab, den man, zuvor mit einer großen Masse gebaut, ins Meer warf. So stürzt jener vornüber und sinkt völlig nieder, nachdem er auf das Gewässer aufgeschlagen ist. Das Meer vermischt sich und es erhebt sich schwarzer Meeresgrund. Dann erzittert durch das Getöse die hochragende Insel Prochyta, sowie das harte Lager, die Insel Inarime, durch die Befehle des Jupiters dem Typhoeus auferlegt. Jetzt fügte der waffenmächtige Mars den latinischen Männern Mut hinzu und spornte sie in ihren Gemütern heftig an. Auf die Teucrer ließ er die Dämonen der Flucht und der finsteren Furcht. (720) Von allen Seiten kamen die Latiner zusammen, weil ihnen die Möglichkeit des Kampfes gegeben war und weil der Krieger und Gott in ihr Herz kam. Pandarus schwang das Tor mit viel Kraft zu, indem er es in der Angel drehte und stemmte sich mit seinen breiten Schultern dagegen, sobald er seinen Bruder mit hingestrecktem Körper erkannte und auf welcher Seite nun das Glück stand und welches Schicksal die Sache lenkte. Viele von seinen Kameraden ließ er aus der Festung ausgeschlossen im beschwerlichen Kampf zurück. Doch andere Männer schloss er mit sich ein und nahm hineinrennende Soldaten auf – der Wahnsinnige – weil er mitten in der Schar nicht den Rutulerkönig sah, wie er ins Lager stürzte und er ihn von sich aus in der Stadt einschloss, (730) wie ein gewaltiger Tiger inmitten trägem Kleinvieh. Sofort leuchtete neues Licht in seinen Augen hervor und die Waffen tönten schrecklich; es erzitterte am Scheitel der blutrote Helmbusch und mit seinem Rundschild erzeugt er funkelnde Blitze. Die plötzlich aufgewühlten Aeneaden erkannten die verhasste Gestalt und die riesigen Glieder. Dann schoss der Hüne Pandarus hervor und zornentbrannt ob des Todes seines Bruders sprach er: „Dies ist nicht der zur Mitgift der Amata gehörige Königspalast, auch umschließt dich Turnus nicht die Stadt Ardea mitten in väterlichen Stadtmauern. Du siehst ein feindliches Lager; es gibt keine Möglichkeit, um von hier hinauszugehen.“ (740) Diesem lächelte Turnus ruhigen Gemüts zu: „Fang an, wenn irgendeine Mannhaftigkeit in deinem Gemüt steckt und kämpfe Mann gegen Mann. Du wirst dem Priamus sogar erzählen, dass du hier einen zweiten Achilles 160 gefunden hast.“ Das hatte er gesagt. Pandarus schleuderte angestrengt und mit größter Kraft eine Lanze, die noch unbearbeitet, knotig und mit frischer Baumrinde umgeben war. Nur die Lüfte nahmen sie auf. Die Tochter des Saturn, Iuno, lenkte die kommende, Wunden verursachende Waffe ab: Die Lanze wurde in das Tor gestoßen. „Dieser Waffe aber wirst du, Trojaner, nicht entkommen, weil sie meine Rechte mit Kraft führt, ein besserer Mann ist nämlich der, der die Waffe schuf, und der, der die Wunde verursachen wird.“ So sprach er, und erhob sich hoch zur Spitze seines erhabenen Schwertes: (750) Er teilte inmitten der Stirn mit seinem Schwert die beiden Schläfen, sowie die keuschen Wangen mit einer entsetzlichen Wunde. Es erhob sich Getöse. Die Erde wurde durch das gewaltige Gewicht des Pandarus erschüttert. Sterbend warf Pandarus seine zusammengefallenen Glieder und seine Waffen, die mit Blut von seinem Gehirn bespritzt waren, zu Boden. Ihm hing sein Kopf zu gleichen Teilen links und rechts von beiden Schultern herunter. Nachdem sie sich umgewandt hatten, flohen die Trojaner in bebender Furcht in alle Richtungen. Und falls dem Sieger sofort der Gedanke in den Sinn gekommen wäre, die Riegel mit eigener Hand aufzubrechen und seine Kameraden durch die Tore zu lassen, wäre jener Tag sowohl für den Krieg als auch für das trojanische Geschlecht der letzte gewesen. (760) Doch die Raserei und die wahnsinnige Begierde nach Blut veranlassten den entbrannten Mann zu anderen Taten. Zuerst empfing er Phaerlis und Gyges, indem er ihm die Sehnen an den Kniekehlen durchtrennt hatte, dann schleuderte er hastig ergriffene Lanzen den fliehenden Männern in den Rücken. Iuno half seinen Kräften und seinem Mut. Ihnen fügte er Halys als Begleiter hinzu und Phegeus, nachdem er seinen leichten Schild durchbohrt hatte, anschließend die unwissenden Männer, die sich auf den Mauern befanden und kämpften: Alcander, Halius, Noemon sowie Prytanis. Lynceus, der ihm entgegen zog und seine Kameraden rief, (770) ergriff er angestrengt mit schwingendem Schwert von einem Hügel rechts. Durch einen einzigen direkten Schlag lag ihm sein zu Boden geworfenes Haupt samt Helm fern darnieder. Dann machte er den Schlächter der wilden Tiere, Amycus nieder, an welchem gemessen kein anderer erfahrener war, die Waffen mit der Hand zu salben und das Eisen mit Gift zu rüsten, dann machte er Clytius, den Sohn des Aeolus nieder, sowie Cretheus, den Musen ein Freund, Cretheus, den Begleiter der Musen, dem seine Gedichte und die Kithara stets am Herzen lagen sowie mit den Saiten Rhythmen anzustimmen. Stets besang er die Pferde und Waffen sowie die Kämpfe der Männer. Endlich versammelten sich die teucrischen Anführer, nachdem sie von dem Blutbad der Ihren gehört hatten: Mnestheus und der energische Serestus. (780) Sie sahen die umherirrenden Kameraden und den ins Lager aufgenommenen Feind. Mnestheus sagte: „Wohin soll ich letztlich fliehen? Wohin zieht ihr? Welche andere Festung, welche andere Stadt habt ihr überdies? Soll ein einziger Mensch, oh ihr 161 Bürger, der auch von euren Wällen von allen Seiten umgeben ist, ein so großes Blutbad überall in der Stadt straflos vollbracht haben? Soll er straflos so viele Adlige der jungen Männer in den Orcus geschickt haben? Erbarmt ihr euch nicht eures unglücklichen Vaterlandes, der altehrwürdigen Götter und des großen Aeneas, ihr Säumigen, und schämt ihr euch nicht?“ Durch derartige Worte entflammt, stärkten sie sich und stellen sich in einem dichten Heereszug auf. Turnus versuchte allmählich aus dem Kampf zu weichen, (790) zum Fluss zu streben und zu dem Teil, der vom Fluss umgeben war. Energischer als dieser stürzten die Teucrer mit lautem Geschrei auf ihn und ballten sich zu einer Schar, wie eine Menge, wenn sie einen wilden Löwen mit feindlichen Waffen bedrängt. Jener hingegen war erschreckt, wild, und blickte wild. Er ging zurück. Weder ließ es sein Zorn noch seine Tugend zu, zu fliehen, auch er konnte nicht (auch wenn er dies freilich wünschte) ob der Waffen und Männer dagegen ziehen. Nicht anders lenkte er seinen unbeschleunigten Schritt zögernd zurück und sein Verstand wogte vor Zorn. Ja, sogar zweimal fiel er damals noch mitten in den Feind ein, (800) zweimal wandte er sich bei seiner Flucht durch die Mauern den verwirrten Scharen zu. Doch die ganze Mannschaft kam aus dem Lager eilig gegen den einen Mann zusammen, auch wagte es Iuno, die Tochter des Saturn, nicht, Turnus gegen sie Kräfte zu verleihen, denn Jupiter hatte vom Himmel die himmlische Iris hinab geschickt, die für seine Schwester keine angenehmen Befehle brachte, wenn Turnus nicht aus den erhabenen Stadtmauern der Teucrer wich. Also konnte der junge Mann weder nur mit seinem Rundschild noch mit seiner Rechten Widerstand leisten. Und so wurde er von allen Seiten mit Wurfgeschossen beschossen und überschüttet. Es lärmte in einem zusammenhängenden Geklirr um seine gewölbten Schläfen der Helm und das harte Erz spaltete sich durch die Steine. (810) Sein Kamm war zerschlagen. Auch reichte die Krümmung dem Kopf aufgrund der Schläge nicht aus. Die Trojaner verdoppelten die Würfe ihrer Lanzen, auch der Tod bringende Mnestheus selbst. Dann floss Turnus am ganzen Körper der Schweiß und bildete einen pechschwarzen Fluss (er hatte keine Möglichkeit mehr frei zu atmen). Erschöpftes Gekeuche erschütterte seine müden Glieder. Dann endlich rettete er sich durch einen Sprung vor allen Waffen in den Fluss. Jener nahm den Springenden in seinem gelbroten Strudel auf, trug ihn in seinen sanften Wogen hinaus und gab den glücklichen Mann seinen Kameraden zurück, nachdem er ihm das Blut abgewaschen hatte. Buch 10 Unterdessen wurde das Haus des allmächtigen Olymp geöffnet und der Vater der Götter und König der Menschen rief zu einer Ratsversammlung auf den himmlischen Wohnsitz, von wo aus er steil 162 aufragend alle Länder, das Lager der Dardaner und die latinischen Völker erblickte. Alle ließen sich im doppelt geöffneten Palast nieder und er selbst sprach: „Erhabene Himmelsbewohner, weshalb ist euch die Meinung wieder umgeschlagen, warum kämpft ihr nur mit euren feindseligen Gemütern? Ich habe es abgelehnt, dass Italien im Krieg gegen die Teucrer zusammenläuft. Welche Zwietracht richtet sich gegen mein Verbot? Welche Furcht riet diesen (10) oder jenen dazu, die Waffen zu ergreifen und das Schwert zu reizen? Es wird eine Zeit kommen, die richtig für einen Kampf sein wird (verhindert das nicht!), wenn das wilde Karthago der römischen Festung einmal großes Verderben bereitet und über die offenstehenden Alpen anrückt. Dann wird es erlaubt sein, voll Hass zu kämpfen und Beute an sich zu reißen. Nun lasst ab und schließt frohgemut einen angenehmen Vertrag.“ Dies sagte Jupiter mit wenigen Worten. Nicht so wenig antwortete darauf die goldene Venus: „Oh Vater, oh du ewige Macht der Menschen und der Dinge (denn was gäbe es sonst, was ich nun anflehen könnte?), (20) erkennst du wie die Rutuler spotten, wie Turnus mitten unter ihnen auffallend mit seinen Pferden eilt und stürmisch unter günstigem Kriegsglück dahin stürmt? Nicht mehr schützen die verschlossenen Mauern die Teucrer. Sogar innerhalb der Tore vermengen sie die Schlachten sowie auf den Wällen der Mauern selbst und überfluten die Gräben mit Blut. Aeneas fehlt unwissend. Lässt du es etwa niemals zu, dass die Trojaner von der Belagerung befreit werden? Wieder droht ein Feind den Mauern des entstehenden Trojas und auch ein zweites Heer und wieder erhebt sich gegen die Teucrer Diomedes vom aetolischen Arpi her. Ich glaube freilich, mir stehen noch Wunden bevor (30) und als dein Spross verzögere ich es nur von den Waffen eines Sterblichen bekämpft zu werden. Falls die Trojaner ohne deinen Frieden und gegen deinen göttlichen Willen nach Italien geeilt sind, sollen sie für ihre Verfehlungen büßen und durch keine Hilfe sollst du ihnen helfen. Wenn sie aber so vielen Orakeln gefolgt sind, die ihnen die Götter und die Manen gaben, weshalb kann nun irgendjemand deine Befehle umwenden oder neue Göttersprüche begründen? Wozu soll ich die verbrannte Flotte an der Küste des Eryx wieder erwähnen, wozu den König der Stürme und die rasenden Winde, die aus Aeolien angefacht wurden oder Iris, die aus den Wolken getrieben wurde? Nun (40) wühlt Iuno sogar die Totengeister auf (dieser Stand der Welt blieb bisher unangetastet) und schickt zur Oberwelt plötzlich Allecto, die mitten durch die italischen Städte raste. Mir geht es nicht um die Herrschaft der Trojaner. Ich habe auf sie gehofft, solange die Chance bestand. Mögen diejenigen gewinnen, die du lieber gewinnen lassen willst. Wenn es für die Teucrer keine Gegend gibt, die ihnen deine hartherzige Gattin gewähren wird, beschwöre ich dich bei der rauchenden Zerstörung des vernichteten Troja: Es möge erlaubt sein Ascanius unversehrt aus dem Kampf zu entlassen, es möge erlaubt sein, dass er als mein Enkel überlebt. Aeneas soll fürwahr auf fremden Gewässern hin und her geworfen werden und dem Weg folgen, den der Zufall auch immer gewähren wird. (50) Ascanius aber will ich schützen und 163 beschwerlichen Kämpfen entziehen. Da gibt es Amathus, da gibt es für mich die hochragende Stadt Paphus sowie Cythera, sowie mein Heim in Idalien. Nachdem er die Rüstung abgelegt hat, soll er hier unrühmlich sein Leben verbringen. Du sollst befehlen, dass Karthago mit großer Macht Ausonien in Bedrängnis bringt. Nichts wird von da an den tyrischen Städten im Wege stehen. Was hat es geholfen, dem Verderben des Krieges zu entrinnen und mitten durch die argolischen Feuer geflohen zu sein, so viele Gefahren des Meeres und der weiten Erde durchlitten zu haben, während die Teucrer Latium und das wiederentstehende Pergamum suchten? Wäre es nicht besser gewesen, sie hätten sich auf der äußersten Asche ihrer Heimat niedergelassen (60) und auf dem Boden, wo Troja stand? Gib den Unglücklichen die Flüsse Xanthus und Simois zurück, ich bitte dich, und wälze für die Teucrer – gewähre es, Vater – die trojanischen Schicksalsschläge wieder zurück.“ Dann sprach die Königin Iuno, von heftiger Wut getrieben: „Was zwingst du mich, meine erhabene Stille zu brechen und meinen verhüllten Schmerz durch Worte preiszugeben? Hat irgendjemand der Menschen und der Götter Aeneas dazu genötigt Kriege zu folgen oder dem latinischen König als Feind zu begegnen? Von Göttersprüchen getrieben (so sei es) ist er nach Italien geeilt, angetrieben von den Rasereien der Kassandra. Habe ich ihn etwa ermuntert, das Lager zu verlassen oder sein Leben den Winden anzuvertrauen? (70) Oder etwa einem Knaben das Oberkommando, oder die Festungsmauern anzuvertrauen? Oder den tyrrhenische Eid oder die friedliche Stämme aufzuwiegeln? Welcher Gott, welche hartherzige Macht von mir hat ihn in den Schaden getrieben? Wo ist hier Iuno oder die von den Wolken geschickte Iris? Es ist also unwürdig, dass die Italer das neu entstehende Troja mit Flammen umgeben und dass Turnus sich auf seiner heimatlichen Erde niederlässt, der doch Pilumnus zum Großvater und die Göttin Venilia zur Mutter hat: Warum bringen die Trojaner mit finsterer Fackel den Latinern Gewalt, unterjochen fremden Fluren und entwenden ihnen die Beute? Warum wählen sie ihre Schwiegerväter und entführen die Verlobten aus ihren Schößen, (80) erbitten mit ihrer Hand Frieden und heften vorn an ihre Schiffe Waffen? Du kannst Aeneas den Händen der Griechen entziehen, anstelle des Mannes Nebel und seelenlose Winde vorspannen und du kannst die Flotte in ebenso viele Nymphen verwandeln: Dagegen ist es ein Frevel, dass ich den Rutulern etwas geholfen habe? ‚Aeneas fehlt unwissend‘ – und er soll unwissend fehlen! Du hast Paphus und Idalien, du hast das hochragende Insel Cythera: Wozu berührst du eine für Kriege hochgerüstete Stadt und raue Herzen? Versuche ich etwa, dir das schwankende Gemeinwesen Phryrgiens völlig zu zerstören? Bin ich es oder er, der die unglücklichen Trojaner den Achivern (90) entgegenstellte? Welchen Grund gab es, dass sich Europa und Asien in Waffen erhoben und durch einen Raub Friedensverträge lösten? Bezwang unter meiner Führung der dardanische Ehebrecher Sparta, oder habe ich Waffen gereicht oder durch Amor den Krieg am Laufen gehalten? Damals hatte 164 es sich geziemt für deine Männer Furcht zu empfinden: Nun erhebst du dich spät mit ungerechten Klagen und führst vergeblichen Zank in deinem Mund.“ Derartiges sprach Iuno und alle Himmelsbewohner lärmten in unterschiedlicher Zustimmung, ganz wie die ersten Luftzüge dumpf tönen, wenn sie sich im Wald verfangen haben und dunkles Murmeln verbreiten, welches den Seeleuten kommende Winde meldet. (100) Dann sagte der allmächtige Vater, dem die oberste Gewalt über die Welt zu Eigen ist (Da er sprach verstummte der erhabene Götterpalast, die Erde wurde in ihrem Grund erschüttert und der steil aufsteigende Äther schwieg. Damals legten sich die Westwinde und das Meer glättete seine sanfte Wasseroberfläche): „Vernehmt also mit eurem Geist diese meine Worte und prägt sie euch ein! Da es nun einmal nicht möglich ist, dass die Ausonier durch einen Vertrag mit den Teucrern verbunden werden, und auch eure Zwietracht kein Ende nimmt: Welches Glück einem jeden beschieden ist, welche Hoffnung sich ein jeder ausmalt – Trojer oder Rutuler – werde ich unterschiedslos hinnehmen, sei es, dass das Lager aufgrund der Göttersprüche der Italer in einer Belagerung gehalten wird, (110) sei es, aufgrund der finsteren Warnungen Trojas nach der üblen Irrfahrt. Auch befreie ich die Rutuler nicht. Einem jeden wird sein Beginnen Strapaze und Glück bringen. Der König Jupiter ist allen gleich. Die Göttersprüche werden ihren Weg finden.“ Bei den Flüssen seines stygischen Bruders Pluto, bei den vor Pech und finsteren Strudeln brausenden Ufern nickte er und ließ den ganzen Olymp durch dieses Nicken erzittern. Hier endete er mit seiner Rede. Dann erhob sich Jupiter von dem goldenen Thron, den die Himmelsbewohner in ihrer Mitte zur Schwelle führten. Inzwischen drängten die Rutuler um alle Tore, die Männer im Blutbad niederzustrecken und die Festungsmauern mit Flammen zu umgeben. (120) Doch die Legion der Aeneaden war hinter den Wällen belagert und es bestand kein Funke Hoffnung auf Flucht. Die Unglücklichen standen vergeblich in den hohen Türmen und mit einem weitmaschigen Kranz umgaben Asius, der Sohn des Imbrasus, Thymoetes, der Sohn des Hicetaon, zwei Assaracer und der ältere Thymbris mit Castor als erste Reihe die Mauern. Diese begleiteten die beiden Brüder des Sarpedon: sowohl Clarus als auch Thaemon, die aus dem hohen Lykien kamen. Es brachte, mit seinem ganzen Körper angestrengt, einen gewaltigen Felsen – kein geringer Teil eines Berges – Acmon aus Lyrnesus, nicht unbedeutender als sein Vater Clytius oder sein Bruder Menestheus. (130) Diese verteidigten das Lager wetteifernd mit Wurfspießen, jene mit Felsbrocken. Sie schleuderten Brandfackeln und befestigten die Pfeile an der Sehne. Sieh! Er selbst war mitten unter ihnen, der äußerst berechtigte Schützling der Venus, der dardanische Junge, sein Haupt, ehrbar enthüllt, funkelte wie ein Edelstein, der das gelbgoldene Gold teilt und entweder Zierde für den Hals oder für das Haupt ist, oder wie das nach den Regeln der Kunst in Buchsbaumholz oder in das Holz einer oricischen Terebinthe 165 eingeschlossene Elfenbein. Diesem nahm sein milchiger Nacken die herabhängenden Haare auf, während sie unten ein Kreis mit geschmeidigem Gold zusammenhielt. Auch dich haben die mutigen Stämme gesehen, Ismarus, (140) wie du Wunden verursachende Waffen hingelenkt und Pfeile mit Gift gerüstet hast, du Adliger aus dem maeonischen Haus, wo Männer fruchtbare Fluren bearbeiten und sie der Fluss goldführende Fluss Pactolus bewässert. Auch Mnestheus war zugegen, welchen der frühere Ruhm des vom Wall der Mauern vertriebenen Turnus stolz erhob, und auch Capys: Von ihm ausgehend bezieht die campanische Stadt Capua ihren Namen. Jene Männer hatten untereinander Kämpfe des harten Krieges ausgetragen: Mitten in der Nacht durchfurchte Aeneas das Meer. Denn sowie er von Euander kommend das etruskische Lager betreten hatte, zum König getreten war und ihm seinen Namen und sein Geschlecht genannt hatte, (150) was er erstrebte und was er selbst vorbrachte, ihn belehrt hatte, welche Waffen sich Mezentius verschaffte und über das gewalttätige Gemüt des Turnus, ihn ermahnt hatte, welche Zuversicht es für das Geschick der Menschen gab und Bitten unter seine Worte gemischt hatte, gab es kein Zögern mehr: Tarchon verband mit ihm seine Streitkräfte und besiegelte einen Vertrag. Dann bestieg der vom Fatum freie lydische Stamm die Flotte, auf Geheiß der Götter zusammengebracht von einem auswärtigen Anführer. Das Schiff des Aeneas segelte voran und an seinem Schiffsschnabel waren phrygische Löwen angebunden. Es ragte über das Ida-Gebirge hinaus, den flüchtenden Teucrern war es äußerst willkommen. Hier saß der erhabene Aeneas und bedachte für sich die verschiedenen (160) Ereignisse des Krieges. Pallas, der dicht an seiner linken Seite weilte, fragte bald nach den Sternen, dem Wegweiser der schattigen Nacht, bald, welche Ereignisse Aeneas auf dem Land und auf dem Meer erlebt hatte. Öffnet nun den Helicon, Göttinnen, und treibt den Gesang an, welche Mannschaft inzwischen den Aeneas von der tuskischen Küste aus begleitet, die Schiffe bewaffnet und auf das Meer fährt. Der Anführer Massicus durchpflügt das Meer mit der erzbeschlagenen ‚Tigris‘, unter dem eine Mannschaft von eintausend jungen Männern stand, welche die Stadtmauern Clusium und die Stadt Cosae verlassen hatten. Sie hatten als Waffen Pfeile, sowie leichte Köcher an ihren Schultern und todbringende Bögen. (170) Mit Massicus war auch der grimmige Abas: Diesem leuchtete sein ganzer Heereszug mit auffallenden Waffen und mit einer goldbeschlagenen Apollostatue leuchtete sein Schiff. Ihm hatte die Mutterstadt Populonia sechshundert kriegserfahrene, junge Männer gewährt, die aufgrund ihrer unerschöpflichen Bodenschätzen an Stahl edle Insel Ilva aber gewährte ihm dreihundert Männer. Der dritte Mann war Asilas, der Mittler zwischen Menschen und Götter, dem die Eingeweide des Kleinviehs, dem das Gestirn des Himmels gehorchte, sowie die Zungen der Vögel 166 und die Feuer der ahnenden Blitze. Er riss eintausend dichtgedrängte Soldaten in Formation mit sich, ausgerüstet mit Schauder erregenden Lanzen. Die Stadt Pisa befiehlt ihnen zu gehorchen, die ihren Ursprung am Fluss Alpheus hat, (180) eine Stadt auf etruskischem Boden. Es folgte der äußerst schöne Astyr, Astyr, der seinem Pferd vertraute, mit seinen schillernden Waffen. Dreihundert Soldaten gaben die hinzu (allen ist der eine Sinn zu folgen zuteil), die aus der Stadt Caere kamen, die auf den minionischen Fluren wohnten, sowie das alte Pyrgi und das stürmische Graviscae. Ich freilich will dich nicht übergehen, Cunarus, tapferster Führer der Ligurer im Krieg und auch dich nicht Cupavus, von nur wenigen Männern begleitet, von dessen Scheitel sich Schwanenfedern erheben (das ist dein Vergehen, Amor), als Zeichen der väterlichen Gestalt. Denn man sagt, dass Cycnus in Trauer um seinen geliebten Phaethon war, während er (190) zwischen Papellaub und dem Schatten der Schwestern sang und sich durch die Muse über die traurige Liebe hinwegtröstete, habe er das graue Greisenalter mit seinem weichen Flaum auf sich gezogen, als er die Erde verließ und mit seiner Stimme zu den Sternen folgte. Sein Sohn, der mit seiner Flotte gleichaltrige Scharen begleitet hatte, bewegte mit Ruderkraft den gewaltigen ‚Centaurus‘ vorwärts. Er setzte dem Meer hart zu, drohte den Wogen steil aufragend mit einem gewaltigen Felsen und durchfurchte das tiefe Meer mit seinem langen Kiel. Jener Orcus setzte seinen Heereszug sogar von den heimatlichen Küsten her in Bewegung, der Sohn der schicksalsverkündenden Manto und des etruskischen Flusses, (200) der dir die Stadtmauern und den Namen seiner Mutter gegeben hat, Stadt Mantua. Mantua, reich an Ahnen, doch nicht allen ist ein und derselbe Stamm zu Eigen: Jene Stadt hat drei Stämme, je vier Volksgruppen unter jedem Stamm. Die Stadt selbst ist für diese Gruppen das Haupt, ihre Kräfte aus etruskischem Blut. Auch von dieser Stadt bewaffnete Mezentius gegen sich fünfhundert Soldaten. Diese führte der mit bläulichem Schilf verhüllte Minicius, Sohn des Benacus, in angriffsbereitem Schiff auf das Meer. Es fuhr der ernste Aulestes und sich erhebend ließ er mit einhundert Rudern die Flut peitschen. Die Wasser schäumten ob der gestreiften Oberfläche. Diesen fuhr das gewaltige Schiff ‚Triton‘ und (210) erschreckte mit seiner bläulichen Muschel das Meer. Diesem zeigte die Vorderseite bis zur zottigen Brust einen Menschen, wenn es schwamm, der Bauch hörte als Walfisch auf, und unter der halbwilden Brust tönte die schäumende Woge. So viele auserwählte Vornehmen fuhren auf dreimal zehn Schiffen als Unterstützung für Troja und durchfurchten mit ihren erzbeschlagenen Schiffen die Salzflächen. 167 Und schon war der Tag vom Himmel gewichen und die gütige, in ihrem Wagen nächtlich umherschweifende Phoebe rollte mitten auf den Olymp zu. Aeneas saß selbst dort, lenkte das Steuerruder und bediente die Segel (die Sorge gewährte nämlich seinen Gliedern keine Ruhe). Und jenem (220) kam mitten auf der Strecke ein Reigen, siehe!, seiner Begleiterinnen entgegen: Die Nymphen, für welche die gütige Cybele befohlen hatte, dass sie die Wirkmacht des Meeres innehaben und Nymphen aus Schiffen verwandelt sein sollten, schwammen synchron und durchfurchten die Flut, so zahlreich, wie sie früher mit ihrem erzbeschlagenen Bug an den Gestaden standen. Sie erkannten schon aus der Ferne ihren König und umgaben ihn mit ihrem Reigen. Von diesen hielt diejenige, die äußerst gelehrt war zu sprechen, Cymodocea, und hinten folgte, mit ihrer rechten Hand das Heck, sie selbst ragte mit ihrem Rücken aus dem Wasser und mit ihrer Linken ruderte sie unterhalb der stillen Wogen. Dann sprach sie den unwissenden Mann so an: „Bist du etwa wach, Götterspross Aeneas? Wach auf und lasse für die Segeln die Taue schießen! (230) Wir sind es, die Pinien aus dem heiligen Gipfel des Ida-Gebirges. Nun sind wir, deine Flotte, Meeresnymphen. Sobald uns eilig der treulose Rutuler mit seinem Schwert und Feuer in Bedrängnis brachte, durchbrachen wir unwillig deine Taue und suchten dich auf dem ganzen Meer. Unsere Mutter, die sich uns erbarmte, gab uns neu diese Gestalt und gewährte, dass wir Göttinnen sind und unser Leben unter den Meereswogen verbringen. Dein Junge Ascanius hingegen wird hinter der Mauer und den schaudererregenden Gräben inmitten der Geschosse und den kriegerischen Latinern gehalten. Schon besetzen arcadische Reiter gemeinsam mit tapferen Etruskern die befohlenen Gebiete. Diesen die mittleren Schwadronen entgegenzustellen, (240) damit sie nicht die Lager verbinden können, ist für Turnus beschlossene Sache. Wohlan stehe auf und befehle zuerst, dass bei kommender Morgendämmerung die Kameraden zu den Waffen gerufen werden. Nimm den unbesiegbaren Rundschild, den dir Volcanus selbst gegeben und die Seiten mit Gold umrandet hat. Der morgige Tag wird, falls du meine Worte nicht für ungültig hältst, gewaltige Leichenhaufen rutulischen Blutes sehen.“ Das hatte sie gesprochen und im Weggehen trieb sie mit ihrer Rechten das hohe Schiff auf allzu bekannter Weise an. Das Schiff eilte durch die Wogen schneller als ein Wurfspieß und als ein Pfeil, welcher der Schnelligkeit der Winde gleichkam. Hierauf beschleunigten andere Nymphen die Fahrt. Der unwissende (250) Trojer selbst, Sohn des Anchises, staunte, dennoch stärkte er seinen Mut durch dieses Wunder. Dann betete er kurz, als er das Himmelsgewölbe anblickte: „Gütige Mutter der Götter, Idaea, der die Stadt Dindyma am Herzen liegt, sowie die turmbewehrten Städte und die Löwen des Zweigespanns an ihren Zügeln, du bist mir jetzt der Anführer des Kampfes, du mögest das Vorzeichen ordnungsgemäß zu einem guten Ausgang führen und mit gewogenem Schritt den Phrygern nahen, Göttin.“ Nur so viel sprach Aeneas und unterdessen eilte schon der wiederkehrende Tag herbei mit seinem frühen Licht und hatte die Nacht vertrieben. Zuerst 168 verkündete er den Kameraden, dass sie den Zeichen folgen, ihre Gemüter für die Waffen bereit machen und sich für den Kampf rüsten mögen. (260) Schon hat er die Teucrer im Blickfeld und sein Lager, wie er emporragend auf dem Heck stand, als er dann mit seiner Linken den leuchtenden Schild erhob. Die Dardaner erhoben von den Mauern Geschrei, das bis zu den Sternen drang, die zugefügte Hoffnung erweckte die Zorneswallungen und sie warfen Wurfgeschosse mit ihren Händen, wie die Kraniche am Fluss Strymon unter den schwarzen Wolken ihre Zeichen geben, mit Lärm den Äther durchfliegen und vor dem Sturm unter glücklichem Geschrei fliehen. Doch König Turnus und den ausonischen Anführern schien dies wundersam, bis sie hinter sich die zur Küste gewandten Schiffshecks sahen und wie das ganze Meer mit seinen Flotten landete. (270) Es leuchtete die Helmspitze von Aeneas‘ Haupt und vom Scheitel seines Helmbusches her stieß er Flammen hervor. Gewaltige Feuer versprühte die goldene Krümmung seines Schildes. Es war nicht anders, als wenn manchmal in einer klaren Nacht blutrote Kometen unheilvoll leuchten, oder wenn der glühende Sirius aufgeht, während er Durst und Krankheiten über die erschöpften Menschen bringt und mit seinem ungünstigen Licht den Himmel verdüstert. Dennoch wich dem kühnen Turnus die Zuversicht nicht, an die Küste zu eilen und die Ankömmlinge vom Land zu vertreiben. Von sich aus hob er die Moral mit diesen Worten und ermunterte: „Was ihr euch mit Gelübden gewünscht habt, ist da: Die Aeneaden mit eurer Rechten zu zerschmettern. (280) Mars selbst ist für die Männer in ihren Händen zugegen. Nun soll ein jeder an seine Frau und an sein Heim denken, nun soll sich jeder seine großen Taten wieder in Erinnerung rufen, die Ruhmestaten der Väter. Lasst uns ihnen überdies in Richtung Meer entgegenlaufen, solange sie unruhig sind und den von Bord gehenden Männern die ersten Schritte noch unsicher sind. Den Kühnen hilft Fortuna!“ Dies sagte er und überlegte für sich, welche seiner Männer er gegen die Ankömmlinge führte und welchen er die besetzten Mauern anvertrauen konnte. Inzwischen setzte Aeneas seine Kameraden von den hohen Schiffen über die Stege an Land. Viele beobachteten den Rücklauf des ebbenden Meeres und vertrauten sich mit einem Sprung dem seichten Wasser an, (290) andere ruderten an Land. Tarchon spähte über die Küste, wo er keine Untiefe erwartete und keine Welle gebrochen zurückrauschte, sondern wo das Meer ungehindert mit zunehmender Brandung heran glitt. Sofort wandte er hierhin den Bug und bat seine Kameraden: „Nun, oh ausgewählte Mannschaft, legt euch in die kräftigen Ruder. Erhebt sie, tragt die Schiffe auf dem Wasser dahin, spaltet mit den Schiffsschnäbeln diese feindliche Erde, der Kiel selbst soll sich eine Furche ziehen. Ich lehne es nicht ab, dass das Schiff in einem derartigen Standort zerbricht, 169 wenn das Land einmal an uns gerissen wurde.“ Nachdem Tarchon solches gesprochen hatte, erhoben sich die Kameraden an den Rudern und fuhren die (300) schäumenden Schiffe zu den latinischen Fluren, bis die Schiffsschnäbel den trockenen Sand erreicht haben und alle Schiffe unbeschädigt fest saßen. Aber nicht dein Schiff, Tarchon: Denn es wurde auf eine Untiefe geschlagen. Und als es auf beiden Seiten emporgehalten lange an der ungünstigen Sandbank hing und die Flut ermüdete, löste es sich, und ließ die Männer mitten in die Brandung fallen, welche die Trümmer der Ruder und die wogenden Ruderbänke behinderten und zugleich zog ihnen die zurückgleitende Welle die Füße zurück. Auch Turnus hielt keine säumige Pause zurück, sondern eifrig rafft er die ganze Schlachtreihe gegen die Teucrer und stellte sie ihnen an der Küste entgegen. (310) Die Zeichen zum Angriff ertönten. Als erster fiel Aeneas in die bäuerlichen Scharen ein, ein gutes Vorzeichen für den Kampf, und nachdem er Theros getötet hatte, der als größter der Männer von sich aus Aeneas angegriffen hatte, streckte er die Latiner nieder. Diesem durchbohrte er mit seinem goldenen Schwert durch seinen Brustpanzer und sein Schuppenhemd hindurch seine ungeschützte Seite. Dann traf er Lichas, den man aus seiner schon getöteten Mutter herausgeschnitten hatte und der dir, Phoebus, geweiht war. Weshalb war es ihm als kleinen Jungen möglich, dem Unglück des Schwertes zu entkommen? Nicht weit von hier schickte er den raubeinigen Cisseus und den riesigen Gyas die ganze Heereszüge mit der Keule niederstreckten, in den Tod. Nichts half jenen die Waffen des Hercules, (320) auch nicht die kräftige Mannschaft sowie der Vater Melampus, immerfort der Begleiter des Alciden solange die Erde noch harte Arbeiten bot. Siehe, Pharo, während er vergebliche Worte im Munde führte: Während Aeneas den Wurfspieß schleuderte blieb dieser in seinem schreienden Mund stecken. Auch du, Cydon, während du Unglücklicher dem Clytius folgst, deiner neuen Freude, dem der erste blonde Bart an den Wangen wächst, warst von einer dardanischen Rechten niedergestreckt, der Liebe unbekümmert, welche dir immer den jungen Männern galt. Bemitleidenswert würdest du daliegen, wenn nicht die dichtgedrängte Schar deiner Brüder entgegengekommen wäre, die Nachkommen des Phorcus: sieben an der Zahl, sieben Wurfgeschosse (330) schleuderten sie. Teilweise prallten sie vergeblich am Helm und am Rundschild des Aeneas ab, teilweise lenkte die gütige Venus diejenigen ab, die seinen Körper streiften. Aeneas sprach den treuen Achates an: „Liefere mir Wurfgeschosse, kein einziger Pfeil wird diese Rechte umsonst gegen die Rutuler schleudern, die bereits in den Körpern der Griechen auf den ilischen Feldern steckten.“ Dann ergriff er eine große Lanze und warf sie: Jene durchschlug im Flug den ehernen Rundschild des Maeon und durchbrach gleichzeitig den Brustpanzer samt der Brust. Diesem kam sein Bruder Alcanor zur Hilfe: Er stützte den zusammenbrechenden Bruder mit seiner Rechten. Nachdem sein Oberarm durchbohrt war, eilte die geschleuderte Waffe (340) weiter und bewahrte blutbefleckt ihren Lauf. Der rechte Arm hing 170 sterbend an den Sehnen von der Schulter herab. Dann griff Numitor, nachdem er die Lanze vom Körper seines Bruder hastig ergriffen hatte, Aeneas an: Aber es war nicht erlaubt, dass die Lanze auch entgegen gerichtet traf, und so berührte sie den Oberschenkel des erhabenen Achates nur flüchtig. Jetzt kam aus Cures der treue Clausus an – vertrauend auf seinen jugendlichen Körper – und bohrte aus der Ferne eine harte Lanze in Dryops, die ihn unter dem Kinn schwer traf und zugleich die Stimme und den Atem des Sprechenden nahm, nachdem seine Kehle durchbohrt war. Jener hingegen stürzte mit der Stirn zur Erde und erbrach aus seinem Mund dickes Blut. (350) Auch drei Thraker, aus dem uralten boreischen Stamm und drei, die der Vater Idas und die Heimat Ismara schickte, streckte er in verschiedenen Vorfällen nieder. Es lief Halaesus und die Mannschaft der Aurunker herbei, es kam auch der Nachkomme des Neptun zur Hilfe: der mit seinen Pferden auffallende Messapus. Nun strebten diese, nun jene danach, den Gegner zu vertreiben. Es wurde auf der Schwelle Ausoniens selbst gekämpft, ganz wie die unharmonischen Winde im großen Äther Kämpfe aufnehmen mit gleichen Gemütern und Kräften. Untereinander weicht niemand, nicht weichen die Wolken, nicht das Meer. Lange ist der Kampf der Winde unentschieden: Alle stehen sich fest entschlossen gegenüber. (360) In gleicher Weise liefen die trojanischen Schlachtreihen und die latinischen zum Kampf zusammen. Fuß hing an Fuß, dicht stand Mann an Mann. Doch in einer anderen Richtung, wo ein Sturzbach rollende Felsbrocken und zerstörte Bäume weithin an seinen Ufern hervorbrachte, sah Pallas, wie die arcadischen Schlachtreihen zu Fuß eilten – was sie nicht gewohnt waren und wie sie vor den leicht folgenden Latinern flohen, da ihnen die raue Beschaffenheit des Ortes dazu riet, die Pferde aufzugeben. Nun entflammte er mit einer Bitte und mit bitteren Worte ihre Tugend, das Einzige, was in der misslichen Lage übrig blieb: „Wohin flieht ihr, Kameraden? Bei euch und euren tapferen Taten, (370) beim Namen unseres Führers Euander, bei den gewonnenen Kriegen und meiner Hoffnung, die nun ähnlichen Ruhm wie der meines Vaters verfolgt, vertraut nicht euren Füßen! Ihr müsst euch mit dem Schwert einen Weg durch den Feind brechen. Wo jene Schar der Männer am dichtesten herandringt, da fordert euch euer Anführer Pallas sowie die erhabene Heimat zurück. Keine göttlichen Mächte bedrängen uns, als Sterbliche werden wir von einem sterblichen Feind bedrängt. Wir haben ebenso viel Mut wie Tapferkeit. Seht, das Meer umschließt uns mit einem großen Wasserwall, eine Fluchtmöglichkeit an Land gibt es nicht mehr: Sollen wir zum Meer oder nach Troja eilen?“ Dies sagte er, und stürzte mitten in den dichten Feind. (380) Zuerst kam ihm von schlechten Fata herbeigeführt, Lagus entgegen. Diesen durchbohrte er mit einer geschleuderten Lanze, wo das Rückgrat die Rippen teilte, während jener einen Felsen von 171 großem Gewicht losriss, und zog die feststeckende Lanze aus den Knochen. Darüber hinaus ergriff ihn auch Hisbo nicht, während er es freilich wünschte. Denn Pallas empfing zuvor den ob des grausamen Todes seines Kameraden unvorsichtig eilenden Mann, während jener wütend war, und Pallas stieß ihm sein Schwert tief in seine bebende Lunge. Dann griff er Sthenius an und Anchemolus, vom altehrwürdigen Geschlecht des Rhoetus, der es gewagt hatte, das Schlafgemach seiner Stiefmutter zu beflecken. (390) Auch ihr, Brüder, fielt auf den rutulischen Fluren, Larides und Thymber, Zwillingsbrüder des Daucus, für die Euren nicht zu unterscheiden, ein willkommener Irrtum für eure Eltern. Doch nun gab euch Pallas beschwerliche Unterscheidungsmarkmale: Denn dir Thymber schnitt das Schwert des Euander den Kopf ab. Und dich, Larides suchte dein abgehauener rechter Arm, die halbtoten Finger zuckten und wollten das Schwert wieder ergreifen. Die Arcader, die aufgrund Pallas‘ Mahnung entflammt waren und die hochberühmten Taten des Mannes betrachteten, rüstete der Schmerz vermischt mit Scham gegen die Feinde. Dann (400) durchbohrte Pallas den mit seinem Zweigespann an ihm vorbei fliehenden Rhoetus. Dieser Zeitraum und nur so viel Aufschub hatte Ilus. Denn auf Ilus hatte er aus der Ferne eine starke Lanze gelenkt, die Rhoetus in der Mitte abfing, vor dir, bester Teuthras, Bruder des Tyres fliehend. Nachdem er vom Streitwagen gerollt war, fiel er halbtot mit seinen Fersen auf die Fluren der Rutuler. Und wie im Sommer, wenn sich die Winde nach Wunsch erheben, der Hirte die zerstreuten Feuer in den Wälder entfacht und nachdem diese plötzlich die Mitte des Waldes ergriffen haben, sich eine Schrecken erregende Feuerbrunst über die weiten Felder ausdehnt. Der Hirte schaut von oben als Sieger sitzend auf die jubelnden Flammen. (410) Nicht anders kam die ganze Tugend der Kameraden in einen Punkt zusammen und half dir, Pallas. Doch der im Krieg energische Halaesus zog den Feinden entgegen und barg sich hinter seinem Schild. Dieser schlachtete Ladon, Pheres, Demodocus und dem Strymonius riss er mit seinem strahlenden Schwert den rechten Arm ab, den er zum Wurfspieß erhoben hatte. Mit einem Stein traf er das Gesicht des Thoas und verteilte die Knochensplitter, die mit blutigem Hirn vermischt waren. Während er die Göttersprüche prophezeite, hatte der Vater Halaesus in den Wäldern verborgen. Sobald der ältere Mann im Tod die grauen Augen geschlossen hatte, legten die Parzen ihre Hand auf den Mann und weihten die Waffen des (420) Euander. Pallas griff nun Halaesus wie folgt an, doch zuvor hatte er gebetet: „Gewähre nun, Vater Thybris, der Lanzenspitze, die ich mit dem Geschoss schleudere, Glück und einen Weg durch die Brust des hartgesottenen Halaesus. Diese Waffe und die Beute des Mannes wir deine Eiche besitzen.“ Der Gott hat dieses Gebet gehört. Während Halaesus Imaon deckte, gewährte der Unglückliche der arcadischen Lanze seine ungeschützte Brust. Doch Lausus, als gewaltiger Kraft des Krieges, ließ nicht zu, dass der ganze Heereszug durch den Tod des Mannes erschreckt war. Als erstes tötete er den entgegengestellten Abas, Knoten und 172 Verzögerung des Kampfes. Die arcadische Nachkommenschaft wurde niedergestreckt, die Etrusker wurden niedergemacht (430) und ihr, oh Teucrer, von den Griechen verschont gebliebene Männer. Die Heereszüge stießen mit gleichwertigen Anführern und gleichen Kräften zusammen. Die äußersten Kampfreihen verdichteten sich und die Menschenmenge ließ nicht zu, dass Wurfgeschosse oder Hände bewegt wurden. Von dort drohte und drängte Pallas, von da drängte Lausus entgegen, zwischen ihnen gab es keinen großen Altersunterschied, beide waren herausragend von ihrer Gestalt, doch ihnen hatte Fortuna die Rückkehr in die jeweilige Heimat versagt. Der Lenker des großen Olymp hat es dennoch nicht zugelassen, dass sie gegenseitig im Kampf zusammenstießen. Bald wartete auf jene das jeweils eigene Fatum unter einem größeren Feind. Inzwischen ermahnte die gütige Schwester (440) den Turnus, Lausus abzulösen, der darauf mit einem schnellen Wagen den Heereszug in seiner Mitte teilte. Sobald er seine Kameraden sah, sagte er: „Es ist Zeit vom Kampf abzulassen. Ich eile allein gegen Pallas. Pallas ist mir allein bestimmt. Ich wünschte, sein Vater selbst wäre als Zuschauer dabei.“ Dies sprach er und seine Kameraden wichen wie befohlen von der Ebene. Doch beim Abzug der Rutuler bewunderte der junge Mann den stolzen Befehl, staunte vor Turnus, und ließ seine Augen über den gewaltigen Körper schweifen. Er musterte aus der Ferne alles an ihm mit grimmigem Blick und mit derartigen Worten entgegnete er den Worten des Tyrannen: „Entweder werde ich nun für die geraubte, üppige Rüstung gelobt werden (450) oder für einen außerordentlichen Tod. Mein Vater ist beidem Los gewogen. Lass die Drohungen!“ Nachdem er das erwidert hatte, schritt er mitten in die Ebene vor. Eisiges Blut lief den Arcadern in ihrer Brust zusammen. Turnus sprang von seinem Zweigespann herunter, rüstete seine Füße, um Mann gegen Mann kämpfen zu können. Wie ein Löwe, wenn er von einer hochgelegenen Höhle aus sieht, wie in der Ferne auf den Feldern ein Stier steht, der auf einen Kampf sinnt, herbeieilt, ganz so war das Bild des herbeirennenden Turnus. Sobald Pallas glaubte, dass Turnus für eine geschleuderte Lanze erreichbar wäre, wagte er es zuerst loszugehen, sofern ihm irgendein Zufall ob des ungleichen Kräfteverhältnisses half, und sprach wie folgt zum großen Himmel: (460) „Bei der Gastfreundschaft meines Vaters und der bei seinen Tischen, als die du als Ankömmling getreten bist, dich bitte ich, Hercules, helfe mir bei meinem gewaltigen Vorhaben. Er möge erkennen, wie ich ihm halbtoten Mann seine blutige Rüstung raube und die sterbenden Augen des Turnus sollen mich als Sieger ertragen.“ Der Sohn des Amphitruo hörte den jungen Mann, unterdrückte tief in seinem Herzen ein Seufzen und brauch Tränen hervor, vergeblich. Dann sprach der Vater Jupiter seinen Sohn mit freundlichen Worten an: „Für jeden steht ein Todestag fest. Allen ist eine kurze und unersetzliche Lebenszeit zu Eigen. Aber den Ruhm durch Ruhmestaten zu mehren, das ist das Werk der Tugend. Unter den hohen Mauern Trojas (470) fielen so viele Göttersöhne, ja es fiel gemeinsam mit ihnen Sarpedon, mein Sprössling. Auch seine eigene Göttersprüche rufen Turnus und er ist an die Grenzen 173 seiner ihm verliehenen Lebenszeit angelangt.“ So sprach er und lenkte seine Augen wieder von den Fluren der Rutuler weg. Doch Pallas schleuderte mit großen Kräften die Lanze und riss das glänzende Schwert aus der hohlen Scheide. Während jene flog, geriet sie dorthin, wo sich der Schulterschutz ganz oben erhob und nachdem sie sich den Weg durch den Rand des Schildes gebahnt hatte, streifte sie endlich auch den großen Körper des Turnus. Jetzt schleuderte Turnus lange schwingend ein Hartholz (480) gegen Pallas, an dessen Spitze eine scharfe Schneide befestigt war und sprach so: „Schau her, ob mein Wurfgeschoss durchdringender ist.“ So hatte er gesprochen. Ach ja, er durchschlug mit schwingender Spitze den Rundschild – so viele Eisenschichten, so viele Bronzeschichten, den ein Stierfell so viele Male umgab – mit seinem Wurf in der Mitte, sowie den verzögernden Brustpanzer und bohrte die Lanze in die gewaltige Brust des Pallas. Jener riss hastig das warme Wurfgeschoss aus seiner Wunde, vergeblich: Gemeinsam folgten auf ein und demselben Weg sein Blut und sein Leben. Er stürzte über seiner Wunde zusammen (darüber klirrte seine Rüstung) und sterbend biss er in die feindliche Erde. (490) Während sich Turnus über ihn stellte, sagte er: „Arcader, erinnert euch an diese meine Worte und berichtet sie Euander: Wie er es verdient hat, schicke ich ihm Pallas zurück. Ich schenke ihm jede Ehrung für das Grab, jeden Trost der Bestattung schenke ich. Die Gastfreundschaft zu Aeneas wird ihm allerdings teuer sein.“ Und nachdem er solches gesagt hatte, drückte er mit seinem linken Fuß den Toten nieder, während er den Gürtel des Pallas mit seinem gewaltigen Gewicht ergriff, worauf der Frevel gedruckt war: Während einer einzigen Hochzeitsnacht eine hässlich getötete Mannschaft junger Männer und blutige Schlafzimmer, die Clonus, der Sohn des Eurytus, mit viel Gold ziseliert hatte. (500) Aufgrund dieser Beute jubelte nun Turnus und freute sich, nachdem er sie an sich gerissen hatte. Der Menschenverstand ist unwissend um die Göttersprüche und Geschicke die kommen werden und weiß nicht Maß zu halten, wenn er durch günstige Situationen emporgehoben wird! Für den großen Turnus wird die Zeit kommen, wenn er wünschte, er hätte Pallas unversehrt gelassen und wenn er sowohl diese Beute als auch den Tag hassen wird. Doch seine zahlreichen Kameraden trugen Pallas, den sie auf einen Schild gelegt hatten, unter vielem Seufzen und Tränen zurück. Oh Schmerz und zugleich große Zierde, der du zum Vater zurückkehren wirst. Dieser erste Tag hat dich dem Krieg anheim gegeben, derselbe Tag nimmt dich ihm wieder weg, obwohl du dennoch gewaltige Haufen toter Rutuler hinterlässt. (510) Nicht mehr nur das Gerücht des so großen Übels, sondern ein zuverlässiger Zeuge eilte zu Aeneas und berichtete, dass seine Männer so gut wie tot waren; es sei Zeit den fliehenden Teucrern zur Hilfe zu eilen. Alles, was im nahe war, mähte Aeneas mit seinem Schwert, mit seinem Eisen schaffte er sich durch den breiten Heereszug einen Pfad, dich, Turnus, suchend, der du aufgrund des 174 neuen Mordes überheblich warst. Pallas und Euander sind in seinen Augen, auch die Tische, an die er zum ersten Mal als Ankömmling getreten war, auch die Handschläge. Jetzt riss er vier Söhne mit sich, die Sulmo gezeugt hatte, ebenso viele, die Ufens großgezogen hatte, allesamt lebend, die er den Schatten als Totenopfer opfern und die Flammen des Scheiterhaufens mit (520) Gefangenenblut begießen wollte. Darauf spannte er aus der Ferne um Magus zu töten seine feindliche Lanze an: Jener wandte eine List an, die zitternde Lanze hingegen flog über ihn hinweg. Während er die Knie des Aeneas umschlang, sprach er demütig solches: „Bei den väterlichen Manen und bei der Hoffnung des sich erhebenden Iulus bitte ich dich: Verschone diese Seele für Vater und Sohn. Wir haben ein erhabenes Haus. Tief im Inneren liegen vergrabene Talente von ziseliertem Silber, ich habe Gewichte aus Gold, bearbeitet und unbearbeitet. Nicht hier wird sich der Sieg der Teucrer ereignen, und eine einzige verschonte Seele wird keinen so großen Unterschied bewirken.“ (530) So sprach er. Diesem erwiderte Aeneas folgendes: „Die vielen Talente an Silber und an Gold spare dir für deine Söhne. Diesen Kriegshandel hat Turnus bereits in dem Moment beendet, als er Pallas getötet hat. So empfinden es die Manen meines Vaters Anchises, so empfindet es Iulus.“ Nachdem er so gesprochen hatte, nahm er Magus‘ Helm mit der Linken und als er den Hals des Bittenden zurückgebogen hatte, stieg er ihm das Schwert bis zum Griff hinein. Nicht weit von hier befand sich Haemonides, Priester des Phoebus und der Trivia, dem heilige Kopfbinden die Schläfen umgaben, während er mit seiner Kleidung gänzlich strahlte und mit seinem hervorragenden Weiß. (540) Nachdem er mit ihm zusammengetroffen war, trieb er ihn über das Feld und nachdem der Priester niedergefallen war, stand Aeneas über ihm, opferte ihn und bedeckte ihn mit seinem riesigen Schatten. Nachdem er die Waffen zusammengelesen hatte, brachte sie Serestus dir, König Gradivus, als Siegeszeichen zurück. Caeculus, der Sohn vom Stamm des Volcanus, und Umbro, der aus den Marserbergen kam, stellten die Schlachtreihe wieder auf. Gegen sie wütete Aeneas: Er hatte den linken Arm des Anxurs mit seinem Schwert und das ganze Rund des Schildes mit dem Eisen niedergeworfen (Anxur hatte irgendetwas Großes gesagt und geglaubt, dass in seinem Wort Kraft steckte. Vielleicht trug er seinen Mut auch bis zum Himmel und hatte sich graues Haar und noch viele Lebensjahre versprochen.) (550) Dem eifrig kämpfenden Aeneas trat hingegen der übermütige Tarquitus mit glänzenden Waffen entgegen, den die im Wald wohnenden Nymphe Dryope dem Faunus geboren hatte. Jener heftete, nachdem er die Lanze zunächst zurückgeführt hatte, den Brustpanzer und die gewaltige Last des Rundschilds zusammen. Dann warf er den Kopf des vergebens flehenden Mannes, der noch vieles sagen wollte, zur Erde und während er den noch warmen Körperrumpf vorrollte, sagte er darüber hinaus aus feindlicher Brust Folgendes: „Da liegst du nun, du, vor dem man Furcht haben muss. Deine äußerst gütige Mutter birgt dich nicht in der Erde und beschwert auch nicht deine Glieder mit einem heimatlichem Grab: Du wirst für die Raubvögel zurückgelassen oder dich wird eine (560) Woge 175 dahin tragen, nachdem du in einem Strudel versenkt wurdest, und die gefräßigen Fische werden deine Wunden lecken.“ Unverzüglich verfolgte er dann Antaeus und Lucas, die vordersten Gefolgsmänner des Turnus, den starken Numa sowie den feurigen Camers, Sohn des mutigen Volcens, der von den Landbesitzern Ausoniens der reichste an Äckern war und in der schweigsamen Stadt Amyclae herrschte. So wie Aegeaon, der angeblich einhundert Arme und einhundert Hände hatte, dem Feuer durch seine fünfzig Münder aus den Brüsten brannte, mit seinen so vielen Rundschilden lärmte, mit denen er sich gegen die Blitze des Jupiter wehrte, und ebenso viele Schwerter zog: So tobte Aeneas auf der ganzen Ebene als Sieger, (570) sobald einmal sein Dolch warm geworden ist. Ja sieh, er eilt frontal gegen die Pferde des Viergespanns des Niphaeus! Aber sowie jene ihn fern marschieren und Finsteres brüllen sahen, wendeten sie aus Furcht und während sie zurück galoppierten, schleuderten sie ihren Führer ab und rissen den Wagen zur Küste. Inzwischen begab sich Lucagus, Sohn des Liger, mit einem weißen Zweigespann mitten in die Schar. Doch während der Bruder die Pferde mit den Zügeln lenkte, schwang Lucagus eifrig sein gezücktes Schwert. Aeneas ertrug den so großen Eifer der tobenden Männer nicht. Er stürzte sich auf sie und erschien gewaltig mit einer ihnen entgegen gerichteten Lanze. (580) Zu ihm sagte Liger: „Du siehst hier nicht die Pferde des Diomedes, auch nicht den Streitwagen des Achilles, oder die Felder Phrygiens: Nun wird diesen Ländern das Ende des Krieges und deines Lebens gewährt.“ Derartige Worte des Ligerus flogen weithin wahnsinnig umher. Doch der trojanische Held erwiderte darauf nichts, denn er schleuderte seine Lanze gegen die Feinde. Sobald Lucagus für die Schläge vornüber gebeugt hing und mit seiner Waffe die Pferde ermahnte, während er den linken Fuß vorgestreckt hatte und sich für den Kampf bereit machte, flog die Lanze durch den untersten Rand seines glänzenden Rundschilds, dann durchbohrte sie ihn links an seinem Unterleib. (590) Der aus dem Wagen geschleuderte Mann rollte sterbend zu Boden. Diesen sprach der pflichtbewusste Aeneas mit bitteren Worten an: „Lucagus, keine träge Flucht der Pferde hat deinen Wagen verraten, auch haben sie keine inhaltlosen Schatten vom Feind in die Flucht geschlagen: Du hast selbst, vom Wagen springend, das Gespann verlassen.“ Nachdem er diese Worte so gesprochen hatte, riss er das Zweigespann an sich. Der unglückliche Bruder streckte seine trägen Handflächen aus, als er vom gleichen Streitwagen gefallen war. „Bei dir und bei den Eltern, die dich als solchen Mann geboren haben, Mann, Trojaner, lass diese Seele in Frieden und erbarme dich dem Flehenden!“ Dem mehrere Dinge Bittenden erwiderte Aeneas: „Solche (600) Worte bringst du erst jetzt hervor. Stirb und verlasse als Bruder nicht den Bruder.“ Dann öffnete er ihm mit dem Dolch die Brust, der Schlupfwinkel des Lebens. Solche Leichen brachte der dardanische Anführer überall auf den Feldern hervor, indem er wie ein brausendes Gewässer oder wie ein finsterer Wirbelwind wütete. Endlich brachen Ascanius und die vergeblich belagerte Jungmannschaft aus und verließen das Lager. 176 Inzwischen sprach Jupiter von sich aus Iuno an: „Oh du, die du mir Schwester bist und zugleich meine äußerst liebe Gattin, wie du glaubtest, unterstützt Venus die trojanischen Streitkräfte (deine Meinung täuscht dich nicht). Nicht ist den Männern die (610) Rechte im Krieg lebhaft, noch ist ihr Mut in der Gefahr wild und ausdauernd.“ Diesem antwortete Iuno bescheiden: „Weshalb, oh schönster Gatte, beunruhigst du deine zerrüttete Gattin, die deine strengen Worte fürchtet? Wenn noch deine Liebe zu mir so stark wäre, wie sie einst war und noch sein sollte, würdest du mir dies nämlich nicht verwehren, Allmächtiger, dass ich freilich Turnus dem Kampfgeschehen entziehen und dass ich ihn für seinen Vater Daunus unversehrt bewahren kann. Nun besteht die Möglichkeit, dass er zugrunde geht und den Teucrern mit seinem pflichtbewussten Blut büßt. Doch jener leitet seinen Namen von unserem Ursprung her ab, Pilumnus ist ihm der Ahn im vierten Glied, und mit seiner freigebigen Hand hat er (620) oft deine Tempel mit vielen Gaben beschwert.“ Ihr sagte der König des himmlischen Olymp kurz dieses: „Wenn ein Aufschub des gegenwärtigen Todes und wenn Zeit für den fallenden jungen Mann erbeten wird und du einsiehst, dass ich dies so festsetze, dann raub‘ Turnus in einer Flucht und entreiße ihn den drohenden Fata. Ich habe die Zeit, dir soweit gewogen zu sein. Wenn sich aber unter diesen Bitten irgendein Verlangen nach einem größeren Zugeständnis verbirgt, und du glaubst den ganzen Krieg bewegen oder verändern zu können, hast du deine Freude an einer wertlosen Hoffnung.“ Und Iuno fragte, während sie dabei weinte: „Was wäre, wenn du, was du mit deiner Stimme abschlägst, mit deinem Herzen gewährest und dieses Leben dem Turnus sicher erhalten bliebe? (630) Nun wartet auf den Unschuldigen ein schweres Ende, wenn mich nicht alles täuscht. Soll mich doch eher falsche Furcht verspotten, und du sollst, der du es kannst, dein Unternehmen zum Besseren wenden.“ Sobald sie diese Worte von sich gab, stürzte sie sich vornüber vom hohen Himmel durch die Lüfte, während sie mit einer Wolke umgürtet einen Sturm vor sich hertrieb. Sie eilte zur trojanischen Schlachtreihe und zum laurentinischen Lager. Dann bildete die Göttin aus einer hohlen Wolke einen dünnen, kraftlosen Schatten in der Gestalt des Aeneas (ein Wunder, das erstaunlich anzusehen war) mit dardanischen Waffen, sie bildete den Rundschild nach, den Helmbusch des göttlichen Hauptes, schenkte der Gestalt inhaltlose Worte, (640) schenkte ihr Laute ohne Verstand, ahmte den Schritt des gehenden Mannes nach. Man sagt, dass solche Gestalten nach dem Tod umherfliegen, oder die Träume, die unsere betäubten Sinne täuschen. Doch das Abbild des Aeneas sprang frohgemut vor den ersten Kampfreihen auf, verspottete den Mann mit seinen Waffen und reizte ihn mit Worten. Diesem setzte Turnus hart zu und schleuderte handgemein seine zischende Lanze auf ihn. Nachdem das Trugbild sich zur Flucht gewandt hat, lenkt es seinen Schritt um. Als dann aber Turnus glaubte, dass ihm der abgewandte Aeneas entwich, und der stürmische Mann im Geist leere Hoffnung 177 schöpfte, sagte er: „Wozu flüchtest du, Aeneas? Verlasse nicht das vereinbarte Hochzeitslager. (650) Mit diesem rechten Arm wird dir die Erde gewährt, die du überall auf dem Meer gesucht hast.“ Derartiges schreiend folgte er ihm und schwang seinen gezogenen Dolch. Er sah nicht, dass die Winde seine Freude davon trugen. Zufällig stand ein Schiff angebunden an den Vorsprung eines emporragenden Felses mit offen zugänglichen Leitern und herabgelassener Brücke, mit dem der König Osinius von den clusinischen Gestaden hergefahren ist. Hierher stürzte sich das rastlose Trugbild des fliehenden Aeneas in Schlupfwinkel, nicht säumiger setzte ihm Turnus zu, überwindet Hindernisse und springt über die hohe Brücke. Kaum hatte er den Bug berührt, durchbricht die Tochter des Saturn das Tau und riss das (660) losgerissene Schiff über das zurückgeströmte Meer. Dann suchte das leichte Trugbild nicht mehr weiter Schlupfwinkel auf, sondern vermischte sich mit einer schwarzen Wolke, während es nach oben flog, während der echte Aeneas allerdings jenen abwesenden Turnus in die Schlacht forderte. Viele ihm entgegen kommenden Körper der Männer schickte er in den Tod, während unterdessen ein Wirbel Turnus mitten auf dem Meer davontrug. Der Dinge unkundig und für seine Rettung undankbar blickte er zurück. Er streckte seine beiden Hände mit dieser Äußerung zu den Sternen: „Allmächtiger Vater, glaubtest du etwa, ich sei so eines schweren Verbrechens würdig? (670) Wohin werde ich getragen? Woher brach ich auf? Welche Flucht bringt mich zurück – und als welchen Mann? Werde ich wieder die laurentischen Mauern und das Lager sehen? Was ist mit jener Schar an Helden, die mir und meinen Waffen gefolgt sind, die ich (Frevel!) alle in ihrem unsäglichen Tod zurücklasse und nun flüchten sehe? Und vernehme ich das Seufzen der fallenden Männer? Was mache ich? Oder welche Erde kann sich nun tief genug für mich spalten? Habt ihr vielmehr Mitleid, oh ihr Winde! Tragt das Schiff gegen Felswände oder Klippen (ich, Turnus, flehe euch willig an) schleudert mich zu den Sandbänken in den wilden Wogen, wohin mir weder die Rutuler noch das mitwissende Gerücht folgen können.“ (680) Während er dieses sprach schwankte er im Geist bald hierhin, bald dorthin, ob er sich aufgrund der so großen Schande wahnsinnig in sein Schwert stürzen und es blutig durch seine Rippen wieder heraus treiben sollte, oder ob er sich mitten in die Fluten werfen und schwimmend an die kurvige Küste eilen, und sich wieder zu den Waffen der Teucrer zurückbegeben sollte? Dreimal versuchte er beide Vorgehensweisen, dreimal hielt ihm die äußerst erhabene Iuno ab und drängte den jungen Mann zurück, den sie im Geiste bemitleidete. Das Schiff glitt auf günstiger Flut und Brandung dahin, während es das hohe Meer teilte und wurde zur alten Stadt des Vaters Daunus getragen. Doch aufgrund der Ermahnungen des Jupiter (690) rückte der eifrige Mezentius unterdessen in den Kampf und fiel in die jubelnden Teucrer. Es liefen die tyrrhenischen Schlachtreihen zusammen und 178 setzten mit all ihrem Hass einem einzigen Mann mit zahlreichen Wurfgeschossen zu. Aeneas hingegen (wie ein Felsen, der auf das weite Meer hinaustragt, den Rasereien der Winde entgegensteht und dem Meer ausgeliefert ist, welcher die ganze Gewalt und die Drohungen des Himmels und des Meeres erträgt, während er selbst unbeweglich bleibt) streckte den Sprössling des Dolichaon, Hebrus, zu Boden, mit diesem Latagus und den fliehenden Palmus. Doch Latagus überfiel er mit einem Felsen, nämlich mit einem gewaltigen Bruchstück eines Berges, das er ihm ins Gesicht und seine Vorderseite des Körpers warf. Nachdem er ihm die Kniekehlen (700) zerhauen hatte, ließ er Palmus sich träge wälzen. Die Rüstung schenkte er Lausus, um sie um die Schultern zu tragen und den Helmbusch am Scheitel zu befestigen. Ebenso machte er den Phrygier Euanthes nieder und Mimas, der gleichaltrige Begleiter des Paris nieder, den eines Nachts Theano dem Vater Amycus geboren hatte – und [gleichzeitig] bei Fackelschein die schwangere Königin Hecuba den Paris. Paris ruht nun in der heimatlichen Stadt im Grabe. Unerkannt hält nun Mimas die laurentische Küste besetzt. Und ganz wie jener Eber durch die Bisse der Hunde von den hohen Bergen hinabgetrieben wurde, den der mit fichten bewachsene Vesulus über viele Jahre hin verteidigt hatte, und er sich an vielen schilfbewachsenen Sümpfen im laurentischen Wald (710) näherte. Nachdem er zwischen die Jagdnetze gekommen ist, leistete er Widerstand, brüllte wild und erbebte mit seinen Schultern. Niemand hatte die Tapferkeit ihm zu zürnen oder näher heranzugehen, sondern sie setzten ihm mit Wurfspießen und Geschrei aus sicherer Entfernung zu. Jener allerdings blickte furchtlos in alle Richtungen und zähneknirschend schlug er die Lanzen von seinem Rücken ab. Nicht anders hatte kein einziger von denjenigen, die Mezentius gerecht zürnten, den Mut, mit gezogenem Schwert herbeizueilen und aus der Ferne reizten sie ihn mit Geschossen und wüstem Geschrei. Acron war aus den altehrwürdigen Gebieten des Corythus gekommen, (720) ein Grieche, der als Flüchtling die geplante Hochzeitsfeier verlassen hatte. Sobald Mezentius diesen sah, wie er in der Ferne den Heereszug in dessen Mitten aufmischte, purpurfarben mit seinen Federn und mit seinem Purpurgewand seiner versprochenen Frau, einem ungesättigten Löwen gleichend in einem hohen Stall, den er oft durchwandert (dies rät ihm nämlich der wahnsinnige Hunger), und wenn er zufällig eine flüchtige Ziege erblickt hat, oder einen Hirsch der sich zu seinem Geweih erhebt, freut er sich, während er seinen Rachen weit aufsperrt, seine Mähne aufrichtet und mit den Zähnen in den Eingeweiden stecken bleibt, auf seinem Opfer liegend. Er badet sein gieriges Gesicht im hässlichen Blut: Genauso stürzte der feurige Mezentius in die dichten Feindesreihen. (730) Der unglückliche Acron wurde niedergehauen, schlug sterbend mit seinen Fersen auf die finstere Erde und er befleckte die zerbrochenen Waffen mit seinem Blut. Doch Mezentius erachtete den fliehenden Orodes nicht für würdig, ihn niederzustrecken, auch nicht ihm durch einen geworfenen Speer eine für jenen nicht sichtbare Wunde zuzufügen. Er trat dem Mann gegenüber, trat ihm entgegen, nicht 179 durch List überlegen, sondern aufgrund seiner starken Waffen. Dann stütze er sich mit seinem Fuß, den er auf den herab geworfenen Mann gestellt hatte und mit seiner Lanze: „Hier liegt der erhabene Orodes, Männer, ein nicht zu verachtender Teil des Krieges.“ Seine Kameraden schrien laut und folgten mit einem glücklichen Lobesgesang. Orodes allerdings sagte sterbend: „Wer auch immer du bist, ich werde gerächt werden, (740) Sieger, und du wirst dich nicht lange freuen. Auch auf dich schauen gleichartige Fata und bald wirst du auf der gleichen Erde liegen.“ Diesem antwortete Mezentius lächelnd und zugleich zornerfüllt: „Stirb jetzt. Nach mir aber mag der Vater der Götter und der König der Menschen aufpassen.“ Während er dies sagte, zog er den Speer aus dem Körper. Jenem drückten beschwerliche Ruhe und eiserner Schlaf auf die Lieder. Seine Augen schlossen sich zur ewigen Nacht. Caedicus tötete Alcathous, Sacrator den Hydaspes, Rapo den Partenius und den äußerst kräftigen Orses, Messapus den Clonius, den Erichaetes, Sohn des Lycaeon, (750) den einen darniederliegend, nachdem er von seinem zügellosen Pferd zu Boden gefallen war, den anderen zu Fuß. Zu Fuß war auch der Lycier Agis vorgerückt, doch Valerus warf ihn mit seiner ererbten Tapferkeit nieder. Doch den Thronius warf Salius nieder und Salius seinerseits wurde durch eine List von Nealces getötet: Mit einem Wurfspieß und einem weithin unbemerkten Pfeil. Schon glich der ernste Mars Trauer und Leichen für beide Seiten wechselseitig an. In gleicher Weise fielen und eilten sie, gleichsam als Sieger und Besiegte, weder die einen kannten Flucht noch die anderen. Die Götter beklagten im Palast des Jupiter, dass es für die Menschen auf beiden Seiten inhaltlosen Zorn und so viele Strapazen gab. (760) Von dort schaute Venus, von dort gegenüber schaute Iuno, die Tochter des Saturn. Und mitten unter den Tausenden wütete die blasse Tisiphone. Doch Mezentius freilich stieß eine gewaltige Lanze und schritt stürmisch auf das Feld. Wie der große Orion, wenn er sich zu Fuß durch den größten Sumpf, mitten im Reich des Nereus, seinen Weg bahnt und mit seiner Schulter aus dem Wasser ragt oder während er auf den höchsten Bergen eine alte Bergesche holt, auf dem Boden schreitet und sein Haupt zwischen den Wolken birgt – so beschaffen eilt Mezentius in riesiger Rüstung. Aeneas, der ihn in einem langen Heereszug beobachtete, schickte sich an, ihm (770) gegenüberzutreten. Jene blieb unerschrocken, während er auf den mutigen Feind wartete, und stand da mit seiner Masse. Mit seinen Augen maß er den Zwischenraum ab, der für einen Lanzenwurf ausreichend wäre und sagte: „Meine Rechte, die mir ein Gott ist und den Pfeil, den ich hier als Wurfgeschoss schwinge, mögen mir nun helfen! Ich verspreche, nachdem ich die Rüstung vom Körper des Räubers geraubt habe, ziehe ich sie dir selbst an, Lausus, als Siegeszeichen über Aeneas.“ Das sagte er, dann schleuderte er handgemein die zischende Lanze. Doch während jene 180 flog, prallte sie vom Rundschild ab und bohrte sich in der Ferne in den hervorragenden Antor, mitten in seine Seite und Eingeweide; Antor, der Begleiter des Hercules, der von Argos geschickt wurde, bei (780) Euander verharrte und sich in einer italischen Stadt niedergelassen hatte. Der Unglückliche wurde durch eine fremde Wunde niedergestreckt, er erblickte den Himmel und sterbend erinnerte er sich an das liebliche Argos. Dann schleuderte der fromme Aeneas eine Lanze. Jene flog durch das gewölbte Rund des Schildes aus dreifacher Bronze, durch die Schichten aus Leinen, durchflog das mit drei Stierhäuten bedeckte Werk und saß schließlich im tiefen Unterleib fest, aber die Kraft ging ihr schon aus. Rasch zog Aeneas sein Schwert aus der Scheide, nachdem er frohgestimmt das Blut des tyrrhenischen Mannes gesehen hatte und setzte dem bebenden Mann heißblütig zu. Lausus seufzte schwer aus Liebe zu seinem teuren Vater, (790) sobald er Mezentius sah und Tränen rollten über sein Gesicht. – hier werde ich nicht das Schicksal des beschwerlichen Todes, nicht deine vorzüglichen Taten, wenn überhaupt irgendeine Nachwelt dem so großen Werk Glauben schenken wird, und freilich nicht dich, erwähnenswerter Junge, verschweigen – Während Mezentius seinen Schritt zurücklenkte, unbrauchbar, wich er gehemmt und zog die feindliche Lanze mit sich, die im Schild steckte. Der junge Sohn eilte hervor und mischte sich unter die Waffen. Und schon ging er von unten an den Dolch des Aeneas, der seinen rechten Arm erhob und einen Schlag ausführte und er hielt im stand indem er ihn behinderte. Seine Kameraden folgten ihm mit großem Geschrei, (800) solange bis der Vater des Sohnes von einem leichten Schild geschützt abziehen konnte; sie schleuderten Pfeile und verwirrten den Feind handgemein mit Geschossen. Aeneas wütete und hielt sich bedeckt. Und wie manchmal bei strömendem Hagel die Wolken niederstürzen und jeder Pflanzer von den Feldern geflohen ist, und jeder Bauer, und sich der Reisende in einem sicheren Zufluchtsort an den Ufern eines Flusses verbirgt, oder in einer hohen Wölbung eines Felsens, solange es auf die Ländereien regnet, damit sie, wenn die Sonne wieder scheint, ihr Tagewerk bearbeiten können. Genau so wurde Aeneas von allen Seiten mit Waffen überschüttet, leistete der Kriegswolke Widerstand, solange bis sie sich ganz ausgetobt hatte, (810) und fuhr Lausus an und drohte ihm: „Wohin eilst du, Todgeweihter, und wagst zu große Dinge für deine Kräfte? Dein Pflichtgefühl täuscht dich, Unbesonnener.“ Jener Wahnsinnige war nicht weniger übermütig und die wilden Zorneswallungen erhoben sich dem dardanischen Führer nun höher: die Parzen laßen für Lausus die letzten Lebensfäden auf. Denn Aeneas stieß sein kräftiges Schwert mitten in den jungen Mann und barg es gänzlich in ihm. Auch den leichten Schild durchstieß die Schneide, die leichte Panzerung des drohenden Mannes, sowie das Hemd, dass die Mutter aus geschmeidigen Goldfäden gewebt hatte und die Schneide erfüllte seinen Schoß mit Blut. Dann (820) wich das betrübte Leben durch die Lüfte zu den Manen und verließ seinen Körper. Doch sobald der Sohn des Anchises die Mine des Sterbenden sah sowie das Gesicht, auf wundersame Weise erblassend, seufzte er, während er sich heftig erbarmte, streckte seine Rechte aus und das 181 Abbild der Liebe zu seinem Vater kam ihm in den Sinn. Was soll dir nun der pflichtbewusste Aeneas für diese Ruhmestaten geben, du beklagenswerter Junge, was soll er dir Würdiges für dein so großes Talent geben? Behalte deine Waffen, an denen du dich erfreut hast! Ich schicke dich den Manen deiner Eltern und ihrer Asche zurück, wenn dir das Sorgen macht. Damit wirst du dich Unglücklicher allerdings über deinen elenden Tod hinwegtrösten: (830) Du fällst durch die Rechte des großen Aeneas.“ Überdies fuhr er noch die zögernden Kameraden des Lausus an, hob ihn von der Erde auf, der an seinem ordnungsgemäß gekämmten Haar mit Blut besudelt war. Unterdessen trocknete sein Vater Mezentius bei dem Wasser des Flusses Tiber seine Wunden mit klarer Flüssigkeit und entspannte seinen Körper am Stamm eines ihm zugeneigten Baumes. Fern hing sein erzbeschlagener Helm an den Zweigen und seine schwere Rüstung ruhte auf einer Wiese. Ringsum standen auserwählte junge Männer. Während er selbst erschöpft keuchte, lehnte er seinen Hals an. Sein herunterhängender Bart floss ihm bis zur Brust. Vieles fragte er über Lausus, oft schickte er welche zurück, (840) die ihn zurückrufen sollten und die Befehle des unglücklichen Vaters überbringen sollten. Doch die Kameraden trugen weinend den toten Lausus auf dem Schild herbei – den gewaltigen, besiegten Mann mit seiner gewaltigen Wunde. Der Übles ahnende Geist des Mezentius erkannte schon fern das Seufzen. Er entstellte sein graues Haar mit viel Dreck, streckte seine beiden Handflächen zum Himmel aus und hing sich an die Leiche des Lausus. Hielt mich ein so großer Lebenswille umschlungen, mein Sohn, dass ich es geduldet habe, dass du dich, den ich gezeugt habe, an meiner statt einer feindlichen Rechten genähert hast? Werde ich als Vater durch diese deine Wunden gerettet und lebe durch deinen Tod? Ach, nun letztlich wurde mir Unglücklichem ein (850) unglückbringender Untergang bereitet, nun eine tiefe Wunde! Ich auch habe, mein Sohn, deinen Namen mit einem Verbrechen beschmutzt: Ob meiner Missgunst wurde ich vom Thron und dem väterlichen Herrschaftsanspruch vertrieben. Ich hatte meiner Heimat und dem Hass der Meinen Sühne geschuldet: Ich hätte ihnen selbst meine schuldige Seele durch alle erdenklichen Todesarten gegeben! Nun lebe und verlasse bis jetzt noch nicht die Menschen oder das Licht. Doch ich will sie verlassen.“ Während er dies zugleich sagte, erhob er sich auf seinem kranken Oberschenkel und obwohl seine Kraft durch die tiefe Wunde gehemmt war, befahl er, nicht gestürzt, dass sein Pferd gebracht wurde. Dieses war ihm eine Zierde, dieses war ihm ein Trostmittel, dieses zog aus allen Kriegen als Sieger. (860) Er sprach sein trauerndes Ross an und begann mit solchen Worten zu reden: „Rhaebus, lange, wenn für den Menschen überhaupt eine Sache lang ist, haben wir gelebt. Entweder wirst du heute als Sieger jene Beute und das Haupt des blutdurstigen Aeneas zurückbringen und gemeinsam mit mir der Rächer des Schmerzes über Lausus sein, oder aber, falls keine Kraft eine Gelegenheit dazu eröffnet, ebenso sterben. Ich glaube nämlich nicht, Tapferster, dass du teucrische Herren und fremde Befehle zu erdulden für würdig erachten wirst.“ So sprach er, 182 und nachdem er auf dem Rücken des Pferdes aufgenommen wurde, setzte er seine gewohnten Glieder zurecht und beschwerte beide Hände mit spitzen Wurfspießen, während sein Haupt ehern glänzte und er mit seinem Helmbusch aus Rosshaar struppig war. (870) So galoppierte er rasend in die mittleren Feindesreihen. In seinem einen Herzen wogte gewaltige Scham mit wahnsinniger Trauer. Und nun rief er Aeneas dreimal mit lauter Stimme. Aeneas erkannte ihn freilich und frohgestimmt betete er: „So möge jener Göttervater machen, so der erhabene Apollo, dass wir es zu Ende bringen.“ Nur soviel sagte er und ging ihm mit der feindlichen Lanze entgegen. Mezentius aber erwiderte: „Was erschreckst du mich, nachdem du mir meinen Sohn geraubt hast, du äußerst grimmiger Mensch? Dies war die einzige Möglichkeit, wie du mich hättest zugrunde richten können: (880) Weder erschaudern wir vor dem Tod noch verschonen wir irgendeinen der Götter. Höre auf, denn ich komme bereit zu sterben und zuvor trage ich noch diese Geschenke für dich.“ Das sagte er, dann schleuderte er ein Wurfgeschoss gegen den Feind. Dann richtete er auf ihn ein Pfeil nach dem anderen, und tummelte sich in einer gewaltigen Kreisbewegung, doch das goldene Schild des Aeneas hielt stand. Dreimal ritt er links herum um den dastehenden Aeneas, während er mit seiner Hand Wurfgeschosse warf, dreimal ließ der trojanische Held den an seinen erzbeschlagenen Schild gehefteten Wald aus Speeren umherschweifen. Sobald ihn dann Widerwillen erfasste, den Kampf so in die Länge gezogen zu haben und so viele Pfeile aus dem Schild zu reißen, und als das Zusammentreffen durch den ungleichen Kampf in Bedrängnis geriet, (890) brach er endlich aus der Umkreisung, während er im Geiste vieles bedachte, und schleuderte eine Lanze zwischen die gewölbten Schläfen des Kriegsrosses. Das Pferd erhob sich emporgerichtet und schlug mit seinen Hufen die Lüfte. Das Pferd selbst folgte dem abgeworfenen Reiter von oben her, umschlang ihn und fiel kopfüber mit ausgerenkter Schulter auf ihn. Mit ihrem Geschrei entflammten die Trojaner und die Latiner den Himmel. Aeneas eilte herbei, riss sein Schwert aus der Schiede und sagte darüber hinaus: „Wo ist nun der eifriger Mezentius und jene ungestüme Kraft seines Gemüts?“ Ihm erwiderte der tyrrhenische Held, so wie er zu den Lüften hinaufschaute, den Himmel genoss und wieder zu Verstand kam: (900) „Du bitterer Feind, wozu scheltest du mich und drohst mir den Tod an? Es gibt keinen Frevel in meinem Tod, nicht so bin ich in die Schlachten gekommen, Mein Lausus hat mir mit dir nicht solche Verträge geschlossen! Dieses eine bitte ich, wenn es für besiegte Feinde irgendeine Nachsicht gibt: Lasse es zu, dass mein Körper mit Erde bedeckt wird. Ich weiß, dass ich vom bitteren Hass der Meinen umstellt bin: Wehre bitte diese Raserei ab und lasse mich ein Gefährte meines Sohnes in dessen Grab sein.“ Dies sprach er, empfing wohlwissend das Schwert an seiner Kehle und goss mit dem auf die Rüstung strömenden Blut sein Leben aus. 183 Buch 11 Während sich Aurora unterdessen erhob, verließ sie den Ozean: Aeneas, obwohl seine Sorgen dazu drängten, sich für die zu bestattenden Kameraden Zeit zu nehmen und sein Verstand durch den Verlust verwirrt war, erfüllte zunächst beim Morgengrauen als Sieger die Gelübde, die er den Göttern gegeben hatte. Er stellte auf den Grabhügel eine gewaltige Eiche, nachdem ihr auf allen Seiten ihre Zweige abgehauen waren und befestigte an ihr die glänzende Rüstung, die Beute des Anführers Mezentius, dir, großer Kriegsgott, als Siegeszeichen. Er fügte den vor Blut triefenden Helmbusch hinzu, die zerbrochenen Waffen des Mannes, und den an zwölf Stellen getroffenen (10) und durchbohrten Brustpanzer. Den Rundschild aus Bronze befestigte er unten zu Mezentius‘ Linken und das Schwert mit dem Griff aus Elfenbein hing er an seinem Hals auf. Dann begann er (denn die ganze Menge der Anführer verhüllte ihn dichtgedrängt) wie folgt die jubelnden Menschen zu ermahnen: „Das Schwierigste ist vollbracht, Männer. Soll die ganze Furcht vor dem, was noch zu tun ist, fern sein. Dies ist die Beute und der von einem überheblichen König geraubte, erste Ertrag des Krieges – hier ist Mezentius, durch meine Hände getötet. Nun steht uns eine Reise zum König und zu den latinischen Stadtmauern bevor. Macht die Waffen bereit, stellt euch den Krieg im Voraus mit eurem Mut und eurer Hoffnung vor, damit uns Unwissende nicht irgendein Hindernis hindern kann oder unser träge Wille durch Furcht zögert, sobald die Götter (20) zustimmen werden, aufzubrechen und die Jungmannschaft aus dem Lager zu führen. Inzwischen lasst uns die Kameraden und ihre unbestatteten Körper der Erde anvertrauen, was die einzige Ehre unten im tiefen Acheron ist. „Geht“, sprach Aeneas, „und schmückt die herausragenden Seelen mit der letzten Ehre, die mit ihrem Blut diese Heimat hervorgebracht haben, schickt Pallas, den als tugendhafter Mann ein finsterer Tag geraubt und in ein bitteres Grab versenkt hat, als ersten zur trauernden Stadt des Euander.“ So sprach er unter Tränen, machte kehrt zum Haus, (30) wo der betagte Acoetes, der zuvor der Waffenträger des Arkaders Euander war, den aufgebahrten Körper des toten Pallas bewachte. Jetzt war er aber nicht unter glücklichen Vorzeichen als Begleiter seinem teuren Schutzbefohlenen anheim gegeben und gefolgt. Ringsum war die ganze Schar der Diener, die trojanische Menschenmenge und die Trojanerinnen trugen ordnungsgemäß ihr Trauerhaar gelöst. Sobald aber Aeneas durch die hohen Tore trat, erhoben sie ein gewaltiges Seufzen zu den Sternen, während sie sich auf ihre Brust schlugen und in tiefer Trauer brüllte der Königspalast. Sobald er selbst das gestützte Haupt des bleichen Pallas sah und sein Gesicht, und die in seiner (40) leichten Brust offene Wunde der ausonischen Pfeilspitze, sprach er folgendes, nachdem er in Tränen ausgebrochen war: „Hat mich etwa“, sprach er, „Fortuna um dich beneidet, als sie frohgemut daherkam, so dass du weder unser 184 Königreich sehen noch als Sieger zu dem väterlichen Wohnsitz fahren konntest? Diese Versprechen habe ich deinem Vater Euander beim Abschied nicht dich betreffend gegeben, als er mich, der ich im Begriff war loszuziehen, umarmt hat, in die große Befehlsgewalt schickte und voller Furcht ermahnte, dass es energische Männer seien, ein Krieg mit einem raubeinigen Stamm. Und nun leistet jener (50) vielleicht, von leerer Hoffnung freilich zutiefst ergriffen, Gelübde und überhäuft die Altäre mit Gaben und wir Trauernden begleiten den toten, jungen Mann, der nichts mehr irgendeinem Himmelsbewohner schuldet, mit vergeblichen Ehrungen. Du unglücklicher Euander, du wirst das grausame Begräbnis deines Sohnes sehen! Sind dies unsere Rückkehr und die erwarteten Siege? Ist dies meine große Treue? Doch wirst du ihn, Euander, nicht durch schändliche Wunden besiegt erblicken, noch wirst du dir als Vater, weil der Sohn wohlbehalten blieb, einen grauenvollen Tod wünschen. Weh mir! Welch große Hilfe verlierst du, Ausonia, und du, Iulus!“ Nachdem er dies beklagte, (60) befahl er, den bemitleidenswerten Körper emporzuheben und schickte tausend Männer, die er aus dem ganzen Heereszug ausgewählt hatte, die Pallas bei der letzten Ehre begleiten und den väterlichen Tränen beistehen sollten, als kleiner Trost bei einer gewaltigen Trauer, der aber dem unglücklichen Vater gebührte. Die anderen bedeckten die weiche Totenbahre keineswegs träge mit Flechtwerk und Zweigen vom Meerkirschenbaum und beschatteten das aus Eichengeflecht errichtete Lager mit einem Dach aus Laub. Jetzt legten sie den erhabenen, jungen Mann auf das wilde Stroh. Pallas war wie eine mit dem Daumen einer Jungfrau herausgerissene Blüte, sei es von einem weichen Veilchen, oder von einer biegsamen Hyazinthe, (70) der ihr Glanz und ihre Schönheit noch nicht gewichen ist, welche aber nicht mehr die Mutter Erde ernährt und sie mit ihren Kräften unterstützt. Dann trug Aeneas seine beiden Decken heraus, die vor Gold und Purpur starrten, die ihm einst frohgemut der Arbeit die Sidonierin Dido selbst, mit ihren eigenen Händen gemacht und das Gewebe mit dünnen Goldfäden durchwirkt hatte. Von diesen bedeckte er trauernd den jungen Mann mit einer als letzte Ehrung und umhüllte seine Haare, die verbrannt werden würden, mit einem Umhang, darüber hinaus häufte er viele Auszeichnungen aus des laurentischen Kampfes auf und befahl, dass die Beute in einer langen Reihe geführt wurde. (80) Er fügte Pferde hinzu und Waffen, denen er dem Feind geraubt hatte. Er hatte denjenigen die Hände auf den Rücken gefesselt, die er in die unterweltlichen Schatten schicken und mit dem Blut der Getöteten die Flammen benetzen wollte. Er befahl, dass die Anführer selbst die mit den feindlichen Waffen geschmückten Baumstämme trugen und man an sie die Namen der Feinde heftete. Man führte den unglücklichen und altersschwachen Acoetes, der sich bald die Brust mit Schlägen, bald das Gesicht mit seinen Nägeln verunstaltete. Er warf sich auch mit seinem ganzen Körper vornüber zur Erde nieder. Sie führten auch einen von Rutulerblut begossenen Streitwagen mit. Hinten (90) marschierte weinend das Kriegsross Aethon, nachdem es seine Abzeichen abgelegt hatte, und 185 benetzte sein Gesicht mit großen Tropfen. Andere trugen die Lanze und den Helm des Pallas, denn das übrige hatte der Sieger Turnus. Dann folgte die trauernde Phalanx, nämlich die Teucrer, alle Tyrrhener und die Arcader mit umgedrehten Waffen. Nachdem die ganze Reihe der Begleiter weit vorangeschritten war, machte Aeneas Halt und mit einem tiefen Seufzen fügte er diese Worte hinzu: „Uns rufen von hier aus die gleichen schrecklichen Fata des Krieges zu weiteren Tränen: Sei mir auf ewig gegrüßt, größter Pallas, lebe auf ewig wohl.“ Mehr sprach er nicht, eilte zu den hohen Mauern und lenkte seinen Schritt zum Lager. (100) Schon waren mit Ölbaumzweigen verhüllte Redner aus der latinischen Stadt herbeigekommen und baten um seine Gunst: Er solle zulassen, dass die Körper, welche durch das Schwert über die Felder zerstreut dalägen, zurückgegeben würden und dass man sie in einem Grab in der Erde bestattete. Es bestünde kein Wettstreit mit den Besiegten, die des Himmels beraubt sind. Er solle diejenigen schonen, die einst Gastfreunde und Schwiegerväter genannt wurden. Diesen, die um Dinge baten, die man nicht zurückweisen durfte, schenkte der gute Aeneas Nachsicht und fügte ihren Äußerungen darüber hinaus Folgendes hinzu: „Welch unwürdiges Schicksal hat euch denn, Latiner, in einen so großen Krieg verwickelt, die ihr vor uns Freunden flieht? (110) Bittet ihr mich um Frieden für die Toten, die durch das Schicksal des Mars vernichtet worden sind? Den wollte ich freilich auch den Lebenden zugestehen. Ich wäre nicht gekommen, wenn nicht die Göttersprüche mir den Ort und den Wohnsitz gewährt hätten, auch würde ich mit keinem Volksstamm Krieg führen. Der König hat unsere Gastfreundschaft verlassen und sich lieber den Waffen des Turnus anvertraut. Es wäre besser gewesen, wenn Turnus sich dem Tod gestellt hätte. Wenn er sich darauf vorbereitet, den Krieg mit eigener Hand zu beenden, und uns Teucrer zu vertreiben, hätte es sich gehört, dass er mit mir zum Kampf zusammen kommt. Derjenige würde dann noch leben, dem entweder ein Gott oder seine Rechte sein Leben gegeben hätte. Nun geht, und legt Feuer unter eure unglücklichen Bürger.“ (120) Das hatte Aeneas gesagt. Jene staunten schweigend, machten kehrt und schauten einander ins Gesicht. Dann begann der ältere Drances, der mit Hass und Beschuldigung dem jungen Turnus stets feindlich gesinnt war, seinerseits mit folgender Äußerung zu berichten: „Oh du gewaltiger Held im Hinblick auf deinen Ruhm, noch gewaltiger im Hinblick auf deine Waffen, trojanischer Mann, mit welchen Lobpreisungen soll ich dich in den Himmel heben? Soll ich zuerst deinen Gerechtigkeitssinn und die Strapazen des Krieges bewundern? Wir jedenfalls bringen diese deine Worte dankbar zu unserer heimatlichen Stadt und dich werden wir, wenn uns Fortuna irgendeine Möglichkeit dazu gibt, mit unserem König Latinus verbünden. Turnus möge für sich Bündnisse suchen. (130) Ja, es wird uns gefallen die vom Schicksal bestimmten Massen der Stadtmauern aufzurichten und die für Troja 186 bestimmten Steine auf unseren Schultern herbeizuschaffen.“ Dies hatte er gesprochen, und einmütig brüllten alle wiederholt die gleichen Worte. Sie bestimmten zwölf Tage und durch Vermittlung des Friedens irrten Teucrer gemeinsam mit Latinern ungestraft durch die Wälder über die Bergrücken. Es ertönte die hohe Esche durch die zweischneidige Axt, die bis zu Sternen reichenden gefällten Fichten stürzten nieder. Weder wichen die Männer davor zurück mit den Spaltkeilen Hartholz und duftendes Zedernholz zu spalten, noch mit den seufzenden Lastkarren die Bergeschen zu transportieren. Und schon eilte das Gerücht herbei, als Vorbote so großer Trauer, kam (140) Euander zu Ohren und erfüllte sowohl den Wohnsitz als auch die Stadt des Euander, das eben noch in Latium Pallas als Sieger umher trug. Die Arcader rannten zu den Toren und nach altehrwürdigem Brauch ergriffen sie hastig die Totenfackeln. Es leuchtete der Weg durch eine lange Reihe aus Flammen und durchschnitt weit die Äcker. Ihnen entgegen kam die Phrygierschar und verband sich mit dem klagenden Zug. Nachdem die Mütter diese gesehen hatten, wie sie sich den Häusern näherten, entflammten sie die trauernde Stadt mit ihrem Geschrei. Doch keine Macht vermochte Euander zurückzuhalten, stattdessen kam er in die Mitte. Nachdem die Totenbahre mit Pallas hingestellt worden war, (150) fiel er über ihn und umarmte ihn weinend und klagend; nur mit Mühe vermochte er endlich durch den Schmerz getrieben zu sprechen: „Nicht diese Versprechen, oh Pallas, hattest du dem Vater gegeben, als du dich dem wilden Mars recht vorsichtig anvertrauen wolltest. Ich hatte wohl gewusst, wie groß der neue Ruhm im Krieg und welch lockende Zierde im ersten Kampf sein kann. Eine unglückliche erste Waffentat des jungen Mannes, beschwerliche, erste Versuche in einem benachbarten Krieg, Gelübde und meine Gebete, die von keinem der Götter vernommen worden sind! Und du meine heiligste Gattin bist glücklich, weil du schon tot bist und diesen Schmerz nicht miterleben musst. (160) Dagegen besiegte ich lebend meine Fata, da ich als Vater meinen Sohn überlebend zurückbleibe. Würden mich doch, der ich den verbündeten Waffen der Trojaner gefolgt bin, die Rutuler mit ihren Waffen überschütten! Ich selbst hätte mein Leben gegeben, und diese Prozession würde mich, nicht Pallas, nach Hause bringen! Ich möchte euch, Teucrer, nicht beschuldigen, auch nicht die Bündnisse, auch nicht die Rechte die wir uns in Gastfreundschaft gaben: Dieses Los selbst gebührte meinem Greisenalter. Wenn aber ein vorzeitiger Tod auf meinen Sohn wartete, so wird es mich doch freuen, dass zuvor tausende Volsker gefallen sind, bevor er, als er die Teucrer nach Latium führte, gefallen ist. Ja, ich kann dich mit keinem anderen Begräbnis würdigen, Pallas, (170) als es der pflichtbewusste Aeneas und die vielen Phryger, sowie die tyrrhenischen Führer und das ganze Heer der Tyrrhener getan haben. Sie tragen große Siegeszeichen über die Männer, die deine rechte Hand in den Tod schickte. Auch du könntest nun als Baumstamm in den weiten Fluren stehen, wenn er dir altersmäßig gleichgestellt gewesen und aufgrund seiner Lebensjahre die gleiche Kraft gehabt hätte. Aber was halte ich Unglücklicher die Teucrer im Krieg 187 auf? Geht hinfort und berichtet eingedenk dieser Aufträge: Der Grund, dass ich noch in meinem verhassten Leben verweile, obwohl mir Pallas weggenommen wurde, ist deine Rechte, die, wie du siehst, dem Sohn und dem Vater Turnus schuldig ist. Für deine Verdienste und für dein (180) Glück bleibt dir dies eine noch zu tun. Ich ersuche keine Freuden des Lebens, keinen Frevel, sondern diese Tat dem Sohn unten bei den Totengeistern zu überbringen.“ Inzwischen brachte Aurora für die unglücklichen Sterblichen das gütige Licht hervor, womit sie ihnen gleichzeitig die Arbeiten und Strapazen zurückbrachte. Schon errichteten der Vater Aeneas und Tarchon an der gerundeten Küste Scheiterhaufen. Hierhin trug einjeder die Leichen nach der Sitte seiner Vorväter und nachdem darunter finstere Brände gelegt worden waren, barg sich der hohe Himmel durch den Qualm in Finsternis. Dreimal liefen sie mit glänzenden Rüstungen umgeben um die entzündeten Scheiterhaufen, dreimal (190) musterten sie auf ihren Pferden das traurige Feuer des Begräbnisses und ließen aus ihren Mündern Geheul verlauten. Sowohl die Erde wurde mit Tränen benetzt als auch die Waffen, das Geschrei der Männer erhob sich zum Himmel, sowie das Dröhnen der Trompeten. Nun warfen einige die geraubten Rüstungen von gefallenen Latinern ins Feuer: Helme, geschmückte Schwerter, Zügel und heiße Räder. Ein Teil der Männer warf bekannte Gaben hinein, Rundschilde der Toten und Waffen, die kein Glück gebracht haben. Ringsum wurden viele Rinderkörper geschlachtet, sowie borstige Säue und sie schlachteten aus allen Feldern geraubte Schafe für das Feuer. Dann erblickten sie an der ganzen Küste (200) ihre brennenden Kameraden und beobachteten die halbverbrannten Scheiterhaufen, konnten sich nicht losreißen, bis die feuchte Nacht den Himmel wendete, der mit funkelnden Sternen besetzt war. Doch auch die unglücklichen Latiner errichteten in einer anderen Gegend unzählige Scheiterhaufen, und gruben teilweise viele Leichen der Helden in der Erde ein, teilweise fuhr man sie weg, nahm sie mit auf benachbarte Felder und schickte sie in deren jeweilige Stadt zurück. Die Übrigen verbrannten den gewaltigen Haufen vermengter Gefallener ohne die Leichen zu zählen oder sie zu ehren. Damals leuchteten überall die riesigen Felder wetteifernd mit zahlreichen Feuern. (210) Das dritte Tageslicht hatte den eisigen Schatten vom Himmel vertrieben: Die Trauernden rissen die hohe Asche und die vermengten Gebeine von den Brandherden und beluden sie mit einem warmen Erdhaufen. Ferner nun gab es in den Häusern, in der Stadt des äußerst reichen Latinus, außerordentliches Getöse und der größte Teil der langwährenden Trauer. Hier verfluchten die Mütter und die unglücklichen Schwiegertöchter, hier die teuren Gemüter der trauernden Schwestern sowie die Jungen, die des Vaters beraubt worden waren den unheilvollen Krieg und die geplante Hochzeit des Turnus. Sie befahlen, dass er selbst mit Waffen, selbst mit dem Schwerte um die Entscheidung kämpfen sollte, weil er für sich die Herrschaft über Italien sowie die obersten Ehrungen forderte. (220) Diese 188 Forderung verschlimmerte der grimmige Drances und schwor, dass Turnus allein gerufen, allein in den Kampf gefordert werden würde. Zugleich gab es hingegen auch viele Stimmen für Turnus, die mit verschiedenen Argumenten geäußert wurden und der große Namen der Königin schützte ihn, während auch der zahlreiche Ruhm durch die verdienten Siegesabzeichen den Mann unterstützte. Zwischen diesen Bewegungen mitten in dem brennenden Aufruhr – schau! – da bringen traurige Gesandte von der großen Stadt des Diomedes Meldungen darüber: „Bei all dem Aufwand so großer Mühen sei nichts erreicht worden, nichts seien Geschenke, Gold oder große Bitten von Wert gewesen, ein neuer Krieg sei von den Latinern (230) anzufangen oder Friede vom trojanischen König zu erbeten. Selbst König Latinus ermattete in gewaltiger Trauer: Der Zorn der Götter mahnt, dass der schicksalsträchtige Aeneas durch das offenkundige, göttliche Wirken getrieben wird, auch die frischen Grabhügel vor unserem Antlitz. Also versammelt er durch seinen Befehl einen großen Kriegsrat und die Fürsten seiner Leute im Inneren seines erhabenen Palastes. Jene kamen zusammen und strömten auf vollen Straßen zum Königspalast. Es saß in ihrer Mitte der älteste und im Hinblick auf seine Macht der oberste Mann, Latinus – keineswegs mit froher Stirn. Und hier befahl er den aus der aetolischen Stadt zurückgeschickten Gesandten (240) auszusprechen, was sie zu melden hatten und forderte der Reihe nach alle Antworten. Nachdem die Männer darauf mit ihren Zungen verstummten, begann Venulus, der dem Wort des Latinus gehorchte, so zu sprechen: „Wir sahen, oh Bürger, Diomedes und das argivische Lager und nachdem wir den Weg durchwandert haben, haben wir jeden Schicksalsschlag überwunden, wir berührten die Hand, durch welche die ilische Erde niederstürzte. Jener gründete als Sieger auf den iapygischen Feldern des Garganus die Stadt Argyripa, nach dem Beinamen des väterlichen Stammes. Nachdem wir eingetreten waren und die Möglichkeit in seiner Gegenwart zu sprechen erhalten hatten, trugen wir Geschenke voran, unterrichteten ihn über unseren Namen und unsere Heimat, (250) welche Leute uns angegriffen haben und welcher Grund uns nach Arpi zog. Nachdem unsere Worte gehört waren, erwiderte jener dies mit sanfter Stimme: „Oh glückliche Stämme, Königreiche des Saturns, altehrwürdige Ausonier, welches Schicksal beunruhigt euch ruhige Gemüter und rät dazu einen Krieg anzufangen, den ihr sonst noch nicht kanntet? Alle, die wir die trojanischen Felder mit dem Schwert verletzt haben (ich lasse aus, was unter den hohen Mauern Trojas im Krieg durchlitten wurde, auch die Helden, die jener Simois-Strom niederdrückte), büßen überall auf der Welt unsägliche Marter und alle Strafen für unsere Verbrechen. Sogar Priamus hätte Mitleid mit uns! Das weiß das traurige (260) Sternbild der Minerva, die euboischen Felsen und der Rächer Caphereus. Aus diesem Krieg wurden wir an eine fremde Küste getrieben, der Atride Menelaus bis zu den Säulen des Proteus und lebt dort in Verbannung, Odysseus 189 sah die Zyklopen des Ätna. Soll ich von dem Königreich des Neoptolemus berichten und von den umgestürzten Penaten des Idomeneus? Von den Locrern, die an libyscher Küste wohnen? Der Mykener selbst, Führer der großen Achiver, erlitt noch auf der Schwelle den Tod aufgrund der Rechten seiner unsäglichen Gattin und der Ehebrecher lauerte auf den Sieg über Kleinasien. Was soll ich berichten, dass es mir die Götter missgönnten, dass ich an die väterlichen Altäre zurückgekehrt bin, damit ich meine (270) gewünschte Gattin und das schöne Calydon wieder sehen konnte? Nun folgen mir sogar schrecklich anzusehende Ungeheuer und die verlorenen Kameraden streben auf Flügeln zum Himmel, fliegen als Vögel über die Flüsse (ach, welch unheilvolle Marter der Meinen!) und erfüllen die Klippen mit ihren weinerlichen Stimmen. Diese Dinge musste ich nun seit dieser Zeit so sehr erwarten, seit ich von Sinnen die himmlischen Körper mit dem Schwert angegriffen und den rechten Arm der Venus mit einer Wunde verletzt habe. Treibt mich freilich nicht, nicht zu solchen Kämpfen an! Weder habe ich seit der kompletten Zerstörung (280) Pergamums irgendeinen Krieg mit den Teucrern, noch erfreut es mich, mich an die alten Übel zu erinnern. Die Gaben, die ihr mir von eurer heimatlichen Küste bringt, wendet zu Aeneas. Gegenüber standen wir uns mit rauhen Waffen und kämpften: Glaubt mir, dem erfahrenen Mann, wie groß er sich zu seinem Rundschild erhebt, in welchem Wirbel er seine Lanze wirft. Wenn überdies das idäische Land zwei solcher Männer hervorgebracht hätte, wäre von sich aus Dardanus zur Stadt am Inachus gekommen und Griechenland würde über das umgestürzte Schicksal trauern. Was auch immer bei den Stadtmauern des hartherzigen Troja verzögert wurde, der Sieg der Griechen wurde durch die Hand des Hector und des Aeneas (290) gehemmt und schleppte sich ins zehnte Jahr. Beide waren ausgezeichnet im Hinblick auf ihren Mut, beide im Hinblick auf ihre vorzüglichen Waffen, aber Aeneas noch mehr im Hinblick auf sein Pflichtgefühl. Möget ihr euch die Hände für einen Friedensvertrag reichen, wodurch er gültig wird. Aber hütet euch davor, Krieg zuführen!“ Und zugleich hast du gehört, teuerster König, was seine Antworten sind und was seine Meinung bezüglich des großen Krieges ist.“ Kaum hatten die Gesandten dies gemeldet, eilte verschiedenes Brüllen durch die verwirrten Münder der Ausonier, ganz wie Felsen reißende Ströme im Lauf behindern, im eingeschlossenen Strudel ein Brausen entsteht und die benachbarten Ufer durch die krachenden Wellen tosen. (300) Sobald die Gemüter beruhigt und die verwirrten Münder verstummt waren, rief der König zunächst die Götter an, dann sprach er von seinem hohen Thron: „Ich wollte, Latiner, wir hätten freilich vorher über das Staatswesen entschieden und es wäre besser, nicht zu solcher Zeit einen Rat zu versammeln, in der der Feind vor den Stadtmauern steht. Wir führen einen beschwerlichen Krieg, Bürger, mit einem Stamm der Götter, mit unbesiegbaren Helden, die keine einzige Schlacht ermüdet und selbst besiegt 190 können sie nicht von dem Schwert ablassen. Die Hoffnung, wenn ihr welche angenommen und auf die Waffen der Aetoler habt, legt ab! Jeder soll für sich Hoffnung sein. Aber wie eng begrenzt diese ist, seht ihr. (310) Die Überreste unseres Staates, die als zerschmetterte Ruinen daliegen, sind euch vor Augen und für eure Hände greifbar. Ich beschuldige niemanden: So zahlreich die Tugend sein konnte, ist sie gewesen. Es wurde mit dem ganzen Wesen des Königreiches gekämpft. Nun will ich so weit darlegen, was die Meinung meines zweifelnden Geistes ist und euch über weniges belehren (aufgepasst!): „Ich habe einen alten Acker nahe dem etruskischen Strom, er erstreckt sich weit nach Westen, über das Gebiet der Sicaner hinaus. Die Auruncer und Rutuler besäen und bearbeiten mit der Pflugschar die harten Hügel. Sie hüten das Vieh auf deren rausten Stellen. (320) Diese ganze Gegend und das Fichtengebiet des emporragenden Berges möge für Freundschaft der Teucrer weichen, wir wollen gerechte Gesetze eines Bündnisses bestimmen und die Kameraden in unser Königreich rufen: Sie mögen sich niederlassen, wenn das Verlangen danach so groß ist, und eine Stadt gründen. Wenn ihnen aber der Sinn danach steht, zu anderen Gebiete und zu einen anderen Volksstamm zu streben und sie unseren Grund und Boden verlassen können, wollen wir ihnen zwanzig Schiffe mit italischem Hartholz bedecken. Wenn sie mehr füllen können, liegt das ganze Material beim Gewässer. Sie selbst mögen die Anzahl und die Art der Schiffe vorschreiben, wir wollen das Erz, unsere Handarbeit und die Werften gewähren. (330) Darüber hinaus scheint es gut, wenn sich einhundert latinische Redner vom vornehmsten Stamm auf den Weg machen, welche meine Worte überbringen und die Verträge bekräftigen sollen, und die Zweige des Friedens in ihren Händen vorstrecken, wobei sie Gaben tragen, nämlich Talente an Gold und Elfenbein, sowie den Thron und das Staatskleid als Abzeichen unseres Königreiches. Beratet euch gemeinsam und kommt dem erschöpften Staat zur Hilfe.“ Dann erhob sich derselbe Drances feindlich gesinnt, den der Ruhm des Turnus mit neidischer Missgunst und bitteren Stacheln quälte, der ein großes Vermögen hatte und recht gut reden konnte, doch dessen Rechte im Krieg starr war, der bei Beratungen als wertvoller Berater geachtet wurde, (340) mächtig war, wenn es um Aufruhr ging (ihm gab der mütterliche Adel eine erhabene Abkunft, vom Vater berichtete er nur Ungewisses) und belud mit diesen Worten die Zorneswallung und türmte sie auf: „Das ist eine Sache, die jedermann klar ist, die keine meiner Worte noch Ratschläge bedarf, oh du guter König: Alle mögen gestehen, dass sie wissen, was das Schicksal des Volkes bringt, doch sie scheuen sich, es auszusprechen. Er soll Redefreiheit gewähren und seinen Stolz ablegen, wegen dessen unglücklicher Auspizien und linken Sitten (das will ich freilich sagen, mögen mir auch Waffen und Tod drohen) wir so viele gefallene Anführer gesehen haben, und wie sich Trauer in der ganzen Stadt (350) breit machte, während er, auf die Flucht vertrauend, das trojanische Lager angriff und den Himmel heftig mit seinen Waffen erschreckte. Du mögest sogar noch eine einzige Gabe zu 191 denjenigen Gaben hinzufügen, die du befiehlst, dass sie zahlreich geschickt und den Dardanern gehörig genannt werden, und dich soll keine Gewalttätigkeit irgendeines Mannes davon abhalten, dass du als Vater deine Tochter einem herausragenden Schwiegersohn für eine würdige Hochzeit gewährst und diesen Frieden in einem ewigen Bündnis schließt. Wenn aber so große Furcht die Geister und Gemüter besitzt, wollen wir ihn persönlich anflehen und ihn um Nachsicht bitten: Er möge nachgeben, und das eigentümliche Recht dem König und dem Vaterland zurückgeben. (360) Warum wirfst du uns unglückliche Bürger sooft in offene Gefahren, oh Oberhaupt und Grund dieser Übel für Latium? Es gibt kein Heil im Krieg, alle fordern wir von dir Frieden, Turnus, und zugleich nur ein unverletzliches Unterpfand des Friedens. Als erster komme ich, schau, demütig bittend, den du dir ja als feindlich gesinnten vorstellst (und ich zögere keineswegs es zu sein). Erbarme dich der Deinen, leg deinen Hochmut ab und ziehe geschlagen fort. Wir haben genug gesehen, wie Leichen hervorgebracht werden und wir haben gewaltige Äcker verlassen. Oder aber, wenn dich dein Ruhm dazu bewegt, wenn du so große Stärke in deiner Brust aufnimmst und wenn dir so sehr der zur Mitgift gehörige Königspalast am Herzen liegt, (370) dann wage es und stürze deine Brust im Vertrauen frontal gegen den Feind! Damit Turnus die königliche Gattin zuteil wird, sollen wir wertlose Seelen natürlich, als unbegrabene und unbeweinte Menschenmenge die Felder pflastern. Auch du, wenn dir noch irgendeine Kraft zu Eigen ist, wenn du noch irgendetwas von dem väterlichen Kriegssinn hast, erblicke jenen Held, den dir entgegen ruft!“ Mit derartigen Worten entflammte er die Gewaltbereitschaft des Turnus. Er seufzte und brach aus tiefer Brust diese Worte hervor: „Freilich hast du stets, Drancus, eine reiche Redegabe und dann, wenn Kriege tapfere Hände fordern, bist du, wenn die Väter in den Rat gerufen werden, (380) als Erster zur Stelle. Doch man darf das Ratsgebäude nicht mit Worten füllen, die dir in sicherer Entfernung groß von den Lippen fliegen, solange der Wall der Mauern den Feind abhält und die Gräben nicht vor lauter Blut überfluten. Daher donnere mit deiner Redekunst (das bist du ja gewohnt) und behaupte du, Drances, ich würde mich fürchten, weil ja deine Rechte so viele Leichenhaufen von Teucrern hervorgebracht, und weit und breit ausgezeichnete Felder mit Siegeszeichen beladen hat. Was lebendige Mannhaftigkeit kann, magst du erproben, und freilich müssen wir nicht lang den Feind suchen! Von allen Seiten umsteht er die Mauern. Tief in die Feindesreihen – was zögerst du? Oder wird Mars stets nur auf deiner (390) stürmischen Zunge und in deinen flüchtenden Füßen sein? Ich bin geschlagen? Kann jemand verdientermaßen, du Widerling, mich als geschlagen beschuldigen, der den stürmischen Tiber vor lauter trojanischem Blut anschwellen sah, wie das ganze Haus des Euander samt seinem Nachkommen niedergestürzt ist und wie die Arcader ihren Waffen beraubt sind? Nicht so haben mich Bitias und der gewaltige Pandarus auf die Probe gestellt und die tausend Männer, die ich an einem einzigen Tag als Sieger in den 192 Tartarus hinab geschickt habe, der ich in ihre Mauern eingeschlossen und vom feindlichen Wall umgeben war. Es gibt kein Heil im Krieg? Verkünde dem (400) dardanischen Anführer solche Dinge, Wahnsinniger, und dir selbst. Zögere also nicht, alles durch große Furcht in Verwirrung zu bringen und den Mut eines zweimal besiegten Volkes zu erheben, die Waffen des Latinus hingegen niederzudrücken. Nun erzittern auch die vornehmen Männer der Myrmidoner vor den phrygischen Waffen, nun auch Tydides, und Achilles aus der Stadt Larissa, der Strom Aufidus flüchtet rückwärts vor den adriatischen Wassern. Oder wenn er sich so darstellt, als hätte er Angst vor einem Streit mit mir – ein Verbrechen eines Kunstfertigen – und durch die Furcht verschärft er die Anschuldigung. Niemals wirst du durch diese Rechte eine so arme Seele verlieren - hör auf, dich zu erregen! Sie möge bei dir wohnen, möge in deiner Brust sein. (410) Nun wende ich mich dir und deinen großen Beschlüssen vor, Vater. Wenn du überdies keine Hoffnung in unsere Waffen setzt, wenn wir so sehr verlassen sind und wir völlig zugrunde gehen, nachdem der Heereszug kehrt gemacht hat, Fortuna nicht zurückkehrt, dann wollen wir um Frieden bitten und unsere träge Rechte zur Versöhnung ausstrecken! Obwohl – oh wenn irgendetwas von der gewohnten Mannhaftigkeit zur Stelle wäre! Jener ist mir noch vor den anderen glücklich mit seinen Strapazen und herausragend mit seinem Mut, der, damit er solches nicht sehen musste, sterbend niedersank und zugleich mit seinem Mund in die Erde biss. Wenn uns aber die Streitkräfte und bis jetzt die Jugend unversehrt bleibt, sowie mit ihrer (420) Unterstützung die Italischen Städte und Völker bleiben, wenn aber auch für die Trojaner der Ruhm mit viel Blut einher kam (sie haben ihre eigene Begräbnisse und in gleicher Weise fegt über alle der Sturm), warum verlassen wir dann ruhmlos die vorderste Front? Weshalb besetzt schon vor dem Kampfsignal Furcht unsere Glieder? Vieles hat der Tag und die wechselnde Strapaze der verschiedenen Zeiten zum Besseren gewendet, das wechselnde Schicksal hat schon mit vielen gespielt, wenn es sie aufgesucht hat, und dann wieder auf festen Boden gestellt. Weder Diomedes noch Arpi werden uns eine Hilfe sein, doch Messapus, und der glückliche Tolumnius sowie die Anführer, die uns (430) so viele Völker schickten, und nicht gerade wenig Ruhm möge den ausgewählten Männer aus Latium und den Äckern von Lauentum folgen. Da gibt es Camilla, vom herausragenden Stamm der Volscer. Sie führt einen Reiterzug an und mächtige Scharen aus Erz. Aber wenn mich die Teucrer allein in den Kampf fordern, dies euch gut scheint und ich nur euren guten Gemeinden im Wege stehe – nicht so sehr floh Victoria voller Hass vor diesen Händen, sodass ich mich weigerte, irgendetwas für die so große Hoffnung zu wagen. Ich werde ihnen mit Mut entgegen treten, (440) möge der große Achilles voranstehen oder jener Aeneas die Rüstung, die von den Händen des Volcanus auf gleicher Weise gefertigt wurde, anziehen. Ich, Turnus, habe euch und meinem Schwiegervater Latinus dieses Leben geweiht, und ich stehe niemandem der alten Helden an Tugend nach. Aeneas ruft mich allein? Und ich bitte darum, dass er mich ruft! Nicht Drances soll eher 193 mit dem Tod büßen, wenn dies der Zorn der Götter ist, wenn es aber Tugend und Ruhm ist, soll er ihn nicht eher abräumen.“ Jene verhandelten streitend diese Dinge untereinander die zweifelhafte Lage betreffend. Aeneas hingegen brach auf und rückte mit seiner Kampfreihe vor. Sieh, die Botschaft stürzte unter gewaltigem Aufruhr durch den königlichen Palast und erfüllte die Stadt mit großem Schrecken: Die ausgerüsteten Teucrer und die (450) tyrrhenische Mannschaft zögen in Formation vom Fluss Tiber auf den ganzen Feldern hinab. Sofort waren die Gemüter verwirrt, die Herzen des einfachen Volkes heftig erschüttert und die Zorneswallungen dank nicht gerade sanfter Anreize erregt. Die zitternden Menschen forderten, dass man sich bewaffnete, die Jugend brüllte nach Waffen, die traurigen Väter weinten und scheuten sich. Jetzt erhob sich von allen Seiten lautes Geschrei bestehend aus verschiedenartiger Uneinigkeit gegen die Lüfte, nicht anders als in einem hohen Hain, wenn sich zufällig eine Schar Vögel niederlässt, oder wenn am fischreichen Strom der Padusa heißere Schwäne überall in den murmelnden Sümpfen Laute von sich geben. „Nun ihr Bürger“, sagte Turnus, nachdem sich ein passender Moment bot, (460) „versammelt den Rat und lobt sitzend den Frieden. Jene stürzen mit Waffen in unser Königreich.“ Nachdem er nicht Weiteres gesprochen hatte, eilte er fort und eilte schnell aus dem erhabenen Palast. „Du, Volusus, veranlasse und verkünde den Manipeln der Volscer, dass sie sich bewaffnen und führe auch die Rutuler.“, sagte er, „Verteile du Messapus mit deinem Bruder Coras die bewaffnete Reiterei auf den weiten Feldern. Ein Teil soll den Zugang zur Stadt stärken und schnell die Türme besetzen. Die übrige Mannschaft soll, wo ich es befehlen werde, mit mir angreifen.“ Sogleich eilte die ganze Stadt zu den Mauern auseinander. Vater Latinus selbst (470) verließ den Rat und die großen Unternehmungen und verschob sie, verwirrt durch die finstere Zeit. Er machte sich viele Vorwürfe, weil er nicht von sich aus Aeneas von den Dardanern empfangen und ihn als Schwiegersohn an seine Stadt herangezogen hatte. Andere sicherten die Tore mit Gräben, oder schafften Felsen und Speere herbei. Die raue Posaune gab das blutige Zeichen zum Krieg. Dann stellten sich Mütter und Jungen oben auf der Mauer im Kreis auf, die letzte Strapaze rief alle herbei. Doch auch zum Tempel, zu der äußerst erhabenen Burg des Pallas zog eine große Schar der königlichen Müttern hinauf, indem sie Gaben brachte, gleich daneben war als Begleiterin die Jungfrau Lavinia, (480) der Grund des so großen Übels. Ihre zierlichen Augen hatte sie zu Boden gerichtet. Die Mütter traten ein, erfüllten den Tempel mit Weihrauch und brachen vom hohen Eingang aus betrübte Äußerungen hervor: „Waffenmächtige, Beschützerin des Krieges, tritonische Jungfrau, zerbrich die Waffe in der Hand des phrygischen Räubers, und werfe ihn selbst vornüber zu Boden. Streue ihn hin unter den hohen Stadttoren!“ Der rasende Turnus selbst gürtete sich 194 wetteifernd für die Schlacht. Schon hatte er den rötlichen Brustpanzer angelegt und starrte ob der ehernen Schuppen. Seine Waden hatte er mit Gold umschlossen, an den Schläfen war er bis jetzt unbedeckt, an seine Seite hatte er sich das Schwert gegürtet (490) und er glänzte golden, als er von der hohen Burg hinabstieg. In seinem Gemüt war er übermütig und in freudiger Erwartung stellte er sich den Feind bereits vor: Wie wenn ein Hengst, nachdem er die Fesseln zerrissen hatte, vor dem Stall floh, als er endlich frei war, und sich dem offenen Feld bemächtigte. Entweder zieht er auf die Weide und zur Stutenherde oder springt hinaus in den bekannten Fluss, gewohnt vom Wasser begossen zu werden. Mit seinem hoch emporgerichteten Hals brüllt er übermütig. Seine Mähne tanzt über den Hals bis zu seinen Schulterblättern. Diesem eilte Camilla entgegen, begleitet von einer Schlachtreihe der Volscer, vor den Toren selbst (500) sprang die Königin von ihrem Pferd. Das ganze Gefolge ahmte sie nach und nachdem sie die Pferde verlassen hatten, glitten sie zur Erde herab. Dann sprach sie solches: „Turnus, wenn es für den tapferen Krieger verdientermaßen irgendeine Zuversicht in sich selbst gibt, wage ich es, und verspreche, den Schwadronen der Aeneaden entgegenzutreten und allein gegen die tyrrhenischen Reiter zu ziehen. Lasse mich an vorderster Front die Gefahren des Krieges auf die Probe stellen, und du verweile bei den Mauern und schütze die Stadt.“ Auf diese Worte sprach Turnus, der seine Augen auf die ehrwürdige Jungfrau gerichtet hatte: „Oh Jungfrau, Würde Italiens, wie, ja wie soll ich dir nur danken? Doch jetzt, weil (510) dieser Mut über allem erhaben ist, teile mit mir die Strapaze! Der unverschämte Aeneas hat eine nur leicht bewaffnete Reiterei vorangeschickt, wie das Gerücht und die ausgesandten Kundschafter versichern. Die Reiter sollten die Felder erschüttern. Er selbst würde über die verlassene, steile Gegend des Berges, den Bergrücken überwindend, zur Stadt heranrücken. Ich bereite ihm eine Hinterlist auf dem gewölbten Weg des Waldes, sodass ich die beiden Engpässe mit jeweils einem bewaffneten Soldaten besetze. Nimm du die tyrrhenische Reiterei auf, nachdem der Kampf begonnen sein wird. Bei dir wird der eifrige Messapus sein, sowie die latinische Schwadron und die Mannschaft des Tiburtus, nimm auch du das Amt eines Anführers an!“ (520) So sprach er und mit gleichen Worten ermunterte er auch Messapus und die verbündeten Anführer. Dann brach er gegen den Feind auf. Es gibt ein Tal in einer kurvigen Krümmung, günstig für einen Hinterhalt oder einer Kriegslist, an das von beiden Seiten eine finstere Seite aus dichtem Laub herandringt, wohin ein schmaler Fußweg führt, sowie enge Schluchten und spärliche Zugänge. Über diesem Tal liegt auf Anhöhen, ganz oben am Gipfel des Berges eine unbekannte Ebene, ein sicherer Zufluchtsort, sei es, dass man zur Rechten oder zur Linken einen Kampf begegnen will, sei es dass man vom Bergrücken aus drohen und riesige 195 Felsen hinab wälzen will. (530) Hierhin zog der junge Mann in bekannter Richtung der Wege, riss den Ort an sich und besetzte den ungünstigen Wald. Unterdessen redete Diana, die Tochter der Latona, im Olymp die schnelle Opis, eine ihrer jungfräulichen Genossinnen und ihrer heiligen Schar und brachte aus ihrem Mund diese ernsten Worte hervor: „Camilla schreitet zum grausamen Krieg, oh Jungfrau, und umgürtet sich vergeblich mit unseren Waffen, die mir noch vor den anderen lieb ist. Nicht kam mir, der Göttin Diana, diese Liebe zu ihr erst jüngst auf und bewegte meinen Geist durch plötzlich entstandene Lieblichkeit. Als Metabus, aufgrund von Missgunst und seinen erhabenen Kräften aus seinem Königreich vertrieben, aus der alten Stadt (540) Privernum ging, nahm er, während er inmitten der Gefahren des Krieges floh, seine Tochter als Begleiterin im Exil mit und nannte sie nach dem Namen ihrer Mutter Casmilla, nachdem er einen Teil verändert hatte, Camilla. Er selbst strebte zu den langen Bergrücken der einsamen Haine, während er sie an seiner Brust vor sich her trug: Von allen Seiten bedrängten ihn wilde Waffen und ringsum trieben sich Soldaten der Volscer um ihn. Siehe, der Amasenus schäumte mitten in der Flucht auf und überflutete die höchsten Ufer, ein so großer Regenguss war aus den Wolken gebrochen. Während sich jener anschickte ihn zu durchschwimmen, (550) hemmte ihn die Liebe zu seiner Tochter und war um seine teure Last besorgt. Während jener für sich alles hin und her überlegte, kam er plötzlich mit Mühe zu diesem Entschluss: Er wickelte an die gewaltige Lanze, die er zufällig als Krieger in seiner kräftigen Hand führte – ein massives Holz, mit Knoten versehrt und aus gehärtetem Hartholz – seine Tochter, die er mit Bast und aus Wäldern stammenden Korkeiche umschloss, und band sie bequem an der Mitte der Lanze fest. Während er sie in seiner gewaltigen Rechten schwang, sprach er so zum Himmel: „Gütige Bewohnerin der Haine, Jungfrau Diana, ich selbst als Vater gelobe dir diese Dienerin. Während sie erstmals deine Waffen hält, flieht sie demütig vor dem Feind durch die Lüfte. Nimm die deine an, ich rufe dich (560) Göttin als Zeugin an, die nun den unsicheren Lüften anvertraut wird.“ Das sagte er, und nachdem er seinen Arm angespannt hatte schleuderte er die geschwungene Lanze: Die Gewässer erklangen, die unglückliche Camilla floh über dem reißenden Fluss am zischenden Wurfgeschoss dahin. Doch Metabus, da die große Schar ihn nun schon näher bedrängte, übergab sich dem Fluss, und zog auf der anderen Seite als Sieger die Lanze mit der jungfräulichen Tochter, als Geschenk der Trivia, aus einem Stück mit Gras bewachsenem Boden. Nicht nahm jenen auch nur eine einzige Stadt in ihre Häuser oder in ihre Mauern auf (Auch hätte er in seiner Wildheit selbst nicht die Hand gereicht), und in den einsamen Bergen verbrachte er ein Hirtendasein. (570) Hier ernährte er seine Tochter im Dorngestrüpp und inmitten von struppigen Wildlagern an den Zitzen einer weidenden Stute mit wilder Milch, indem er mit den zarten Lippen der Tochter die Zitzen molk. Sobald die Tochter die erste Schritte gemacht hatte, bewaffnete er ihre Handflächen mit einem scharfen Wurfspieß und hing der kleinen an ihrer Schulter Pfeile und einen 196 Bogen auf. Anstatt einer goldenen Haarspange, statt der Bedeckung eines langen Obergewands, hing das erbeutete Fell eines Tigers vom Scheitel über den Rücken. Schon damals schleuderte sie in ihren zarten, kindlichen Händen die Pfeile, mit einem gerundeten Seil trieb sie das Wurfnetz um ihren Kopf und warf es auf einen (580) strymonischen Kranich oder auf einen weißen Schwan. Viele Mütter überall in den tyrrhenischen Städten hatten sich jene vergebens als Schwiegertochter gewünscht. Allein mit Diana war sie zufrieden und sie verehrte lauter ihre ewige Liebe zu Waffen und zu ihrer Jungfräulichkeit. Ich wünschte, sie wäre nicht vom Kriegsdienst ergriffen und sie würde nicht mit solchen Unternehmungen die Teucrer reizen: Sie wäre mir lieb und wäre eine meiner Begleiterinnen. Nun aber gleite vom Himmel, Nymphe, da sie nun einmal von bitteren Fata bedrängt wird, und besuche die latinischen Gebiete, wo aufgrund eines unglücklichen Vorzeichens ein finsterer Kampf begonnen wird. (590) Nimm dies und hole aus dem Köcher den rächenden Pfeil: Durch ihn soll mir, wer auch immer ihren heiligen Körper durch eine Wunde verletzt – Trojaner oder Italer – auf gleicher Weise mit seinem Leben büßen. Später will ich den Leichnam der Unglücklichen und die ungeraubten Waffen in einer hohlen Wolke tragen und sie in ihren Grabhügel in der Heimat legen.“ Das sprach sie. Die Nymphe hingegen glitt leicht durch die Himmellüfte, erklang mit ihrem Körper, umgeben von einem schwarzen Wirbel. Doch inzwischen näherte sich die trojanische Mannschaft den Mauern. Die Etrusker, die Führer der Reiterei, sowie das ganze Heer waren in gleicher Zahl in Schwadronen eingeteilt. Die (600) springenden Pferde lärmten in der ganzen Ebene, es kämpfte mit den knapp gehaltenen Zügeln, während es sich hierhin und dorthin wendete. Dann starrte der Acker eisern vor lauter Lanzen und die Felder brannten ob der nach oben gerichteten Waffen. Doch auch Messapus und die schnellen Latiner, Coras mit seinem Bruder und die Reiterabteilung der Jungfrau Camilla erschienen auf der anderen Seite auf dem Schlachtfeld. Nachdem sie ihre Rechte weit zurückgezogen hatten, streckten sie die Lanzen vor und schleuderten die Geschosse: Der Anmarsch der Männer und das Gebrüll der Pferde entbrannte. Schon war jeder in Wurfreichweite vorgerückt und stehen geblieben. Plötzlich brachen sie in Geschrei aus und (610) spornten die tobenden Pferde an, schleuderten von allen Seiten zahlreiche Waffen – wie wenn es schneit – und der Himmel wurde von einem Schatten verborgen. Sogleich rannten Tyrrhenus und der eifrige Aconteus angestrengt mit entgegen gerichteten Lanzen zusammen und sorgten als erste unter gewaltigem Getöse niederstürzten, nachdem ihre Pferde Brust an Brust zusammengeprallt waren und sie sich gebrochen hatten. Der wie ein Blitz oder wie ein von einer Wurfmaschine geschleudertes Gewicht herausgeschlagene Aconteus stürzte weit kopfüber und zerstreute sein Leben in die Lüfte. Sofort warf die verwirrte Kampfreihe sowie die Latiner, die kehrt gemacht hatten, ihre Schilder auf den Rücken und wendeten ihre Pferde zu den Mauern. (620) Die Trojaner trieben sie. Als erster führte Asilas die Schwadronen heran. Und 197 schon näherten sie sich den Toren, da erhoben die Latiner erneut Geschrei und lenkten die weichen Pferdehälse zurück. Die Trojaner flüchteten und nachdem sie die Zügel gänzlich schießen gelassen hatten, wendeten sie zurück. Wie wenn das Meer in einem abwechselnden Strudel hervor strömt und bald zur Erde rast, schäumend eine Welle über die Felsen wirft und den äußersten Sand mit der Biegung der Welle begießt, bald rasend zurückfließt, und wenn die Flut zurückgegangen ist, flieht es zurückflutend vor den Felsen, und verlässt die Küste, während es aus der Untiefe zurückfließt: Zweimal trieben die Etrusker die Rutuler zurück zu den Mauern, (630) zweimal wurden sie zurückgeworfen und blickten sich um, als sie mit dem Schild ihren Rücken schützten. Doch nachdem sie zur dritten Schlacht zusammengekommen waren, verwickelten sich die ganzen Formationen untereinander und jeder wählte sich seinen Gegner. Dann aber war das Seufzen der Sterbenden zu hören, im tiefen Blut lagen Waffen und Leichen, und halbtote Pferde, die mit dem Blut der Helden besudelt waren wälzten sich, der raue Kampf gewann an Schärfe. Orsilochus schleuderte eine Lanze in das Pferd des Remulus, weil er davor schauderte, an ihn selbst heranzutreten und ließ das Eisen unter dem Pferdeohr zurück. Durch diesen Treffer tobte das Pferd, warf mit emporgerichteter Brust seine hohen Schenkel in die Luft, weil es den Schmerz der Wunde nicht ertrug und (640) wälzte, nachdem es Remulus abgeworfen hatte, zu Boden. Catillus warf Iollas nieder, auch den waffengewaltigen Herminius, der gewaltig war im Hinblick auf seinen Körperbau und seine Waffenfertigkeit. Ihm fiel von entblößtem Scheitel sein blondes Haar über die nackten Schultern, denn Wunden erschreckten ihn nicht. Der so große Mann war den Waffen ausgesetzt. Die Lanze, die ihm durch seine breiten Schultern getrieben wurde, zitterte und nachdem sie den Mann durchbohrt hatte, schmerzte sie doppelt so stark. Überall wurde dunkles Blut vergossen. Die Wettstreitenden brachten mit dem Schwerte Leichen hervor und erstrebten durch ihre Wunden einen schönen Tod. Doch mitten im Gemetzel war eine Amazone ausgelassen, eine Seite hatte sie für den Kampf entblößt: Die köchertragende Camilla. (650) Und bald verdichtete sie mit ihrer geschmeidigen die Lanzen werfend, deren Frequenz, bald ergriff sie hastig mit ihrer unermüdlichen Rechten die Doppelaxt. Von ihrer Schulter klang der goldene Bogen und die Waffen der Diana. Jene lenkte sogar einen fliehenden Pfeil, wenn sie einmal vertrieben zurückwich, mit umgedrehtem Bogen. Und um sie herum befanden sich ausgewählte Begleiterinnen, nämlich die Jungfrau Larina, Tulla sowie Tarpeia, die ein erzbeschlagenes Beil schwang, Italerinnen, welche die göttliche Camilla selbst für sich als Zierde ausgewählt hatte, als gute Gehilfinnen in Krieg und Frieden: Es war, wie wenn die thrakischen Amazonen über den Fluss Thermodon (660) stampfen und mit bunten Waffen kriegen, sei es um Hippolyte geschart, sei es, wenn sich die Tochter des Mars, Penthesilea auf dem Streitwagen zurückbegibt, und der weibliche Zug unter lautem Geschrei und in Aufruhr mit den halbmondförmigen Schilden ausgelassen ist. Wen wirfst du zuerst mit dem Schwert nieder, wilde 198 Jungfrau, wen als letzten? Oder wie viele sterbende Körper zerstreust du auf der Erde? Als erstes den Eunaeus, Sohn des Clytius, dessen ungedeckte Brust vorne ein langer Speer durchschlagen hatte. Während jener Ströme von Blut erbrach, fiel er und biss in den blutigen Erdboden. Sterbend wandt er sich in seiner Wunde. (670) Danach machte sie Lris nieder, darüber hinaus Pagasus, von denen der eine zurückwälzend die Zügel anzog, während sein Schwert strauchelte, während der andere zur Hilfe eilte und dem Fallenden seine unbewaffnete Rechte ausstreckte. Gleichzeitig stürzten sie kopfüber. Diesen fügte sie Amastrus, den Sohn des Hippotes hinzu. Sie verfolgte stürzend aus der Ferne mit einer Lanze Tereus, Harpalycus, sowie Demophoon und Chromis. Wie viele aus der Hand geschleuderte Pfeile die Jungfrau warf, so viele phrygische Helden fielen. Aus der Ferne eilte Ornytus mit fremden Waffen als Jäger auf einem iapygischen Pferd, dem ein von einem jungen (680) Kampfstier geraubtes Fell seine breiten Schultern bedeckte. Der gewaltige Rachen des Mauls und die Wangen eines Wolfes bedeckten sein Haupt mit weißen Zähnen. Seine Hände bewaffnete er mit einem bäuerlichen Jagdspeer. Er selbst wandte sich mitten in den Scharen und überragte sie um einen ganzen Kopf. Nachdem Camilla jenen empfangen hatte (das ist freilich keine große Mühe in einem zur Flucht gewandten Heereszug), durchbohrte sie ihn und sprach überdies aus feindlicher Brust: „Hast du, Tyrrhener, geglaubt, dass du in den Wäldern nach Wild jagst? Der Tag ist gekommen, der eure Worte durch weibliche Waffen wiederlegt. Dennoch bringst du keinen unbedeutenden Namen den Totengeistern deiner Ahnen: du bist durch die Waffe der Camilla gefallen!“ Unverzüglich traf sie Orsilochus und Butes, zwei äußert erhabene Körper der Teucrer, doch Butes war von der Pfeilspitze abgewandt – sie traf ihn zwischen seinem Brustpanzer und dem Helm, wo der Hals des sitzenden Mannes hervorleuchtete und der leichte Schild vom linken Arm herunterhing. Während sie vor Orsilochus floh und in einen großen Kreis getrieben war, täuschte ihn der innere Kreis und sie verfolgte ihren Verfolger. Während sie sich dann höher erhob, rammte sie die kräftige Axt wiederholt dem Mann, der noch vieles bat und flehte durch die Rüstung und durch die Gebeine. Die Wunde benetzte sein Gesicht mit warmen Gehirnresten. Auf sie stieß der (700) Bewohner des Appennin, der Krieger und Sohn des Aunus, war aber plötzlich ob des Anblicks erschreckt und verharrte. Er war nicht der letzte der Ligurer, solange es die Fata noch zuließen zu täuschen. Dieser, nachdem er erkannt hatte, dass er auf keinem Wege dem Kampf entkommen, noch sich von der drohenden Fürstin abwenden konnte, fing er an, sich im Rahmen eines Plans eine List zu überlegen und begann in seiner Schlauheit zu sprechen: „Was ist so herausragend, wenn du als Frau einem kräftigen Pferd vertraust? Gib die Flucht auf und vertraue dich mit mir Mann gegen Mann dem gleichen Boden an! Rüste dich für einen Kampf zu Fuß! Schon wirst du kennen lernen, wem die windige Ruhmsucht einen Nachtteil bringt.“ Das sagte er, doch jene (710) übergab einer Begleiterin das Pferd, durch heftigen Schmerz entflammt und leistete ihm mit gleichen Waffen Widerstand: 199 Unerschrocken zu Fuß mit bloßem Schwert und mit einem reinen, leichten Schild. Doch der junge Mann, der glaubte, sie durch die List bereits besiegt zu haben, eilte selbst davon (er zögerte nicht) und mit entgegen gerichteten Zügeln lenkte er flüchtig das schnelle Pferd hinfort und quälte es mit seinen Sporen. „Eitler Ligurer, der du umsonst durch deinen überheblichen Mut aufgeblasen bist! Vergeblich versuchst du dich betrügerisch an den väterlichen Künsten, auch wird dich deine Täuschung nicht unversehrt zum trügerischen Aunus bringen.“ Dies sprach die Jungfrau, und feurig überholte sie in ihrem Lauf mit schnellen Fußsohlen das Pferd. Nachdem sie die Zügel ergriffen hatte, (720) bekämpfte sie ihn von vorne und nahm blutige Rache, ebenso einfach, wie ein Habicht, der heilige Vogel, von einem hohen Felsen aus mit seinen Flügeln in einer Wolke einer erhabenen Taube folgt und wenn er sie ergriffen hat, hält er sie fest und weidet sie mit seinen gekrümmten Klauen aus. Dann fallen das Blut und das gerupfte Gefieder vom Himmel. Doch während diese Ereignisse der Erzeuger von Menschen und Götter nicht mit unaufmerksamen Augen beobachtete, saß er erhaben ganz oben auf dem Olymp. Der Erzeuger ermunterte den Tyrrhener Tarchon für die wilde Schlacht und flößte ihm auf nicht gerade sanfter Weise Zorneswallungen ein. Also eilte Tarchon auf seinem (730) Pferd inmitten des Gemetzels und den ihm weichenden Heereszügen und wiegelte mit verschiedenen Äußerungen die Flügeltruppen auf, indem er jeden einzelnen beim Namen nannte, und belebte die Geschlagenen neu für die Schlacht. „Welche Furcht, oh ihr Tyrrhener, die ihr niemals Schmerz empfinden wolltet und stets untätig wart, welche Feigheit vor den Waffen beschleicht euch? Eine Frau treibt euch Flüchtende und lässt diese Heereszüge umdrehen! Wozu führen wir das Schwert, wozu führen wir diese erfolglosen Waffen in unserer Rechten? Venus gegenüber und bei ihren nächtlichen Kriegen seid ihr doch auch nicht träge, oder sobald die gekrümmte Flöte des Bacchus zu Reigentänzen aufruft. Erwartet Tische voller Speisen und Trinkbecher (dies euer Verlangen, dies ist euer Eifer), während der gewogene Weissager die Opfer (740) melden und euch das fette Opfertier in die hohen Haine rufen wird!“ Nachdem er dies ausgesprochen hatte, trieb er sich selbst und sein Pferd, bereit zu sterben, in die Mitte des Kampfes, stürzte sich stürmisch gegen Venulus, und nachdem er seinen Feind vom Pferd gerissen hatte, umschlang er ihn mit seinem rechten Arm und schaffte ihn schnell vor seiner Brust mit großer Gewalt weg. Geschrei erhob sich zum Himmel und alle Latiner richteten ihre Augen auf ihn. Der feurige Tarchon eilte über die Ebene, indem er seine Waffen und den Mann trug. Dann brach er ganz oben von seiner Lanze die Eisenspitze ab und forschte nach offenen Stellen, wo er seinen Gegner tödlich verwunden konnte. Während sich jener wehrte, (750) hielt er von seiner Kehle die Rechte des Angreifers zurück und entkam der Gewalt durch seine Stärke. Wie wenn der feurige Adler hoch fliegend eine Schlange trägt, die er geraubt hat, sie mit seinen Füßen umschlang und mit seinen Krallen in ihr haftete, sich die verwundete Schlange aber mit ihren verschlungenen Windungen 200 wendet, vor aufgestellten Schuppen starrt, mit ihrem Mund zischt, während sie sich steil erhebt, peinigt der Vogel die kämpfende Schlange nicht weniger mit seinem einwärts gekrümmten Schnabel und gleichzeitig schlägt er mit seinen Flügeln die Lüfte: Nicht anders trug Tarchon seine Beute jubelnd aus dem Heereszug der Tiburter. Die Maeoniden, welche dem Beispiel und dem Erfolg ihres Führers folgten, stürmten in die Schlacht. Dann umgab Arruns, der dem Fatum geschuldet war, die (760) schnelle Camilla, der ihr am Wurfspieß und mit seiner großen Kunstfertigkeit überlegen war, und prüfte, welche Chance zum Angriff wohl die müheloseste wäre. Wohin sich die rasende Jungfrau auch immer mitten im Heereszug begab, dorthin näherte sich ihr Arruns und durchwanderte schweigend ihre Fußspuren. Wohin die Siegreiche zurückkehrte und ihren Fuß aus den Feindesreihen lenkte, dorthin lenkte der junge Mann heimlich die schnellen Zügel. Zu diesen Zugängen, dann zu diesen Zugängen eilte er von allen Seiten auf jeder Umkreisung und schwang boshaft seine treffsichere Lanze. Zufällig strahlte der Cybele geweihte Chloreus, der einst ein Priester war, weithin in seinen auffallenden, phrygischen Waffen (770) und trieb sein schäumendes Pferd, welches eine Haut mit ehernen Schuppen und mit Gold durchwirkt wie ein Gefieder umgab. Er selbst schleuderte einen ausländischen, gortynischen Pfeil aus lykischem Horn, während er mit seinem rostfarbenen Purpurgewand leuchtete. Von seinen Schultern hing ein goldener Bogen und golden war sein Prophetenhelm. Dann hatte er seinen safrangelben Mantel und die leinenen, rauschenden Falten zu einem Knoten gebunden mit schimmerndem Gold. Bunt bestickt waren sein Hemd und sein ausländischer Schutz der Beine. Diesem einen aus dem ganzen Gefecht des Kampfes folgte die Jungfrau Camilla blind – sei es, um an den Tempeln seine trojanischen Waffen aufzuhängen, sei es, um sich als (780) Jägerin in geraubtem Gold zu zeigen – durch den ganzen Heereszug, entbrannt in weiblicher Begierde nach Beute und nach geraubten Rüstungen. Als Arruns endlich, nachdem er eine günstige Gelegenheit ergriffen hatte, seine Lanze aus dem Hinterhalt antrieb und so mit seiner Stimme zu den Göttern betete: „Höchster der Götter, Apollo, Wächter über das heiligte Soracte, den wir als erste verehren, für den ein Brand aus Fichtenscheitern genährt wird, und wir, deine Verehrer, mitten über einen Haufen glühende Kohle gehen, im Vertrauen auf unser Pflichtgefühl. Gewähre, Vater, dass diese Schmach von unseren Waffen beseitigt wird, (790) du Allmächtiger. Ich erbitte keine Beute oder ein Siegeszeichen der geschlagenen Jungfrau, oder irgendeine Rüstung, mir werden die übrigen Taten Ruhm bringen. Solange nur dieses unheilvolle Scheusal durch meine Wunde geschlagen fällt, will ich ruhmlos in meine heimatliche Stadt zurückkehren.“ Phoebus hatte ihn erhört und beschloss einem Teil des Gebets zu folgen, einen Teil verteilte er in die schnellen Winde: Er stimmte dem Bittenden zu, dass er die verwirrte Camilla in einem plötzlichen 201 Tod niederstrecken konnte. Dass seine erhabene Heimat ihn sah, wie er zurückkehrte, gewährte er nicht und ließ diese Äußerung in die Südwinde des Sturms umkehren. Sobald die Lanze also aus der Hand durch die Lüfte geworfen wurde und sie ein Zischen verlauten ließ, (800) richteten alle Volscer ihre Aufmerksamkeit und ihre feurigen Augen zur Königin. Sie selbst berücksichtigte weder die Luft, noch das Getöse, noch das vom Himmel kommende Geschoss, bis die Lanze unter ihre entblößte Brust hingelangte, haften blieb und tief hineingetrieben jungfräuliches Blut aufsog. Es rannten die zitternden Begleiterinnen zusammen und stützten die stürzende Herrin. Arruns floh aufgeschreckt allen voran, vor Freude aber auch vor Furcht. Er wagte es nicht mehr der Lanze zu vertrauen noch den Waffen der Jungfrau entgegenzutreten. Doch wie ein Wolf sich (810) unverzüglich in den hohen Bergen abseits vom Wege versteckt hat, bevor ihm feindliche Waffen folgen konnten, nachdem von ihm ein Hirte oder ein großer Stier getötet worden war, seiner kühnen Tat bewusst den zitternden Schwanz und den Bauch eingezogen und in die Wälder gestrebt ist – nicht anders schaffte sich der bebende Arruns aus den Augen und mit seiner Flucht zufrieden, mischte er sich mitten unter die Kämpfe. Jene zog sterbend mit ihrer Hand an der Waffe, doch die feurige Schneide steckte zwischen ihren Gebeinen in einer tiefen Wunde bis zu den Rippen. Blutleer brach sie zusammen, es glitten im Tod ihre eisigen Augenlieder herab; die einst purpurne Farbe verließ ihr Gesicht. (820) Dann sprach sie sterbend Acca, eine von ihren Altersgenossinnen, an, die Camilla als einzige noch vor den anderen treu ergeben war und die ihre Sorgen teilte, und sprach so Folgendes: „Soweit vermochte ich zu kämpfen, Schwester Acca. Nun tötet mich eine bittere Wunde und alles um mich herum wird schwarz in Finsternis gehüllt. Fliehe und überbringe Turnus diese letzten Aufträge: Er möge in den Kampf nachrücken und die Trojaner von der Stadt abhalten. Und nun leb‘ wohl.“ Während sie dies gesprochen hatte, ließ sie die Zügel zur Erde fallen, während sie nicht freiwillig niedersank. Dann befreite sich die Eisige allmählich von ihrem ganzen Körper, legte ihren geschmeidigen Hals und (830) ihr vom Tod ergriffenes Haupt nieder, während sie die Waffen zurückließ, und die Seele floh mit einem Seufzen unwillig hinunter zu den Schatten. Dann aber erhob sich gewaltiges Geschrei und raste bis zu den goldenen Sternen: Nachdem Camilla niedergemacht war, wurde der Kampf blutig. Zugleich rennt dichtgedrängt die ganze Schar der Teucrer zusammen, sowie die tyrrhenischen Führer und die arcadischen Flügeltruppen des Euander. Doch Opis, die Wächterin der Trivia, saß schon lange ganz oben in den Bergen und schaute sich unerschrocken die Kämpfe an. Sobald in der Ferne sie mitten im Geschrei der tobenden jungen Männer die durch einen traurigen Tod geschlagene Camilla sah, (840) seufzte sie und brachte aus tiefer Brust diese Worte hervor: „Ach, mit einer allzu – ja allzu grausamen Todesstrafe hast du gebüßt, Jungfrau, die du versucht hast, die Teucrer in einem Krieg anzugreifen! Nicht hat es dir genützt, dass du einsam im Dornengestrüpp Diana verehrt hast oder unseren Köcher auf der Schulter 202 getragen hast. Dennoch hat dich deine Königin nicht ruhmlos in deiner nun letzten Stunde hinterlassen, und weder wird dieser Tod namenlos bei den Völkern sein noch wirst du den Ruf einer ungerächten Frau erleiden. Denn wer auch immer deinen Körper mit einer Wunde verletzt hat, wird dafür mit einem verdienten Tod bezahlen.“ Es gab am Fuße eines hohen Berges einen riesigen (850) Grabhügel des Königs Dercennus, einem alten Laurenter, bestehend aus einem irdischen Wall, der von einer schattenspendenden Steineiche bedeckt wurde. Hierhin stellte sich die äußerst schöne Göttin als erstes mit einer rasend schnellen Bewegung und beobachtete Arruns vom hohen Grabhügel aus. Sobald sie sah, wie er in seiner Rüstung glänzte und eitel stolz war, sprach sie: „Warum gehst du in entgegengesetzter Richtung fort? Lenke hierhin deinen Schritt, komm hierher, bereit zugrunde zu gehen, damit du dir die würdigen Belohnungen für den Tod der Camilla in Besitz nehmen kannst. Wirst du nicht einmal durch die Waffen der Diana sterben?“ Das sprach sie, dann holte die Thrakerin einen schnellen Pfeil aus dem goldenen Köcher, spannte feindlich den Bogen, (860) holte weit aus, bis die gekrümmten Enden zusammentrafen und sie schon mit ihren Händen auf gleicher Höhe links die Spitze des Pfeils und rechts die Brust mit der Sehne berührte. Sofort hörte Arruns gemeinsam das Zischen der Waffe und die klingenden Lüfte, das Eisen haftete in seinem Körper. Seine Kameraden hinterließen ihn sterbend, während er die letzten Worte seufzte, auf dem fremden Schmutz der Felder, da sie ihn vergessen hatten. Opis entfernte sich auf ihren Schwingen zum himmlischen Olymp. Nachdem sie ihre Herrin verloren hatte, floh als erste die leichte Flügeltruppe der Camilla, es flohen die verwirrten Rutuler, es floh der eifrige Atinas; (870) die zersprengten Führer und die verlassenen Manipeln eilten in Sicherheit und strebten, nachdem sie kehrt gemacht hatten, mit ihren Pferden in das Lager. Niemand vermochte den drohenden Teucrern, die ihnen den Tod brachten, mit Waffen standzuhalten oder ihnen entgegenzutreten, sondern sie trugen die schlaffen Bögen auf ihren ermatteten Schultern zurück und der Huf der Pferde erschüttert im Lauf das stäubende Feld. Der trübe Staub wurde in einem finsteren Dunst zu den Mauern gewälzt und von den Anhöhen aus erhoben die Mütter, die sich an die Brust schlugen, weibisches Geschrei zu den Sternen des Himmels. Diejenigen, die in ihrem Lauf als erste in die offenstehenden Tore einbrechen wollten, (880) bedrängte überdies eine feindliche Menge, die sich unter ihren Zug gemischt hatte, und sie flohen nicht von einem beklagenswerten Tod, sondern hauchten noch auf der Schwelle in den väterlichen Stadtmauern und innerhalb des Schutzes der Häuser durchbohrt ihre Seelen aus. Ein Teil schloss die Tore und wagte es nicht, den Kameraden den Weg zu öffnen, noch die Bittenden in die Mauern aufzunehmen. Es entstand ein äußerst elendes Blutbad derjenigen, die mit ihren Waffen den Zugang verteidigten und derjenigen, die gegen die Waffen stürzten. Vor den Augen und dem Antlitz der weinenden Eltern ausgeschlossen, wälzte sich ein Teil in die jähen Gräben vom Verderben bedroht. 203 Der andere Teil stieß, nachdem er die Zügel schießen gelassen hatte, blind und aufgeregt (890) wie ein Widder gegen die Tore und gegen die harten Pfosten, die mit einem Querbalken versperrt waren. Die Mütter selbst schleuderten von den Mauern in höchstem Wettstreit zitternd Waffen aus ihrer Hand und ersetzten mit hartem Kernholz, Keulen und in Feuer gehärteten Speeren kopfüber das Schwert (es zeigte sich ihre wahre Liebe zum Vaterland, wie sie es von Camilla sahen) und sie brannten darauf, als erste für die Stadt zu sterben. Unterdessen erreichte die äußerst grausame Botschaft in den Wäldern Turnus und Acca lässt den jungen Mann in gewaltige Empörung geraten: Die Schlachtreihe der Volscer sei zerstört, Camilla sei gefallen, die Feinde seien eingefallen und hätten unter günstigem Kriegsglück (900) alles an sich gerissen, die Furcht würde bereits zu der Stadt getragen werden. Jener verließ die besetzten Hügel (und so forderten es die grimmigen Befehle des Jupiter) und verließ die rauen Haine. Kaum hatte er ihr Blickfeld verlassen und war auf dem Weg zum Schlachtfeld, als der Vater Aeneas in die offenen Waldungen marschierte, den Bergrücken überwand und den schattigen Wald verließ. So eilten beide mit ihrem ganzen Heereszug rasch zu den Stadtmauern und waren nur noch wenige Schritte voneinander entfernt. Sobald Aeneas in der Ferne die vor Staub rauchenden Feldern erblickte und die laurentischen Heereszüge sah, (910) erkannte auch Turnus den wilden Aeneas in seiner Rüstung und hörte die Füße der Ankömmlinge sowie das Schnauben der Pferde. Sofort hätten sie die Kämpfe begonnen und versucht zu kämpfen, wenn nicht der rosige Phoebus seine erschöpften Pferde in das hiberische Meer getaucht und die Nacht zurückgeführt hätte, während der Tag niedersank. Sie ließen sich in ihrem Lager vor der Stadt nieder und verschanzten die Mauern. Buch 12 Sobald Turnus sah, wie die gebrochenen Latiner nach widrigem Kriegsglück ermattet waren, wie nun die Einlösung seiner Versprechen gefordert wurden, dass er mit den Augen beobachtet wurde, da war er von sich aus unversöhnlich entbrannt und erhob seinen Mut. Wie auf den punischen Feldern jener durch eine heftige Wunde in seiner Brust verletzte Löwe, die er von Jägern erhalten hatte, dann endlich angreift und sich freut, während er an seinem Nacken seine behaarten Muskeln schüttelt. Er zerbricht furchtlos den feststeckenden Pfeil des Räubers und brüllt aus seinem blutigen Maul. Nicht anders entbrannte dem zornentflammten Turnus seine Gewalttätigkeit. (10) Dann sprach er so den König an und begann stürmisch folgendermaßen: „Es gibt kein Aufschub mehr in Turnus. Es gibt keinerlei Grund, dass die feigen Männer des Aeneas ihre Worte widerrufen, oder was sie verabredet 204 haben, zurückweisen. Ich treffe mit ihnen zusammen. Bringe Opfer dar, Vater, und fasse einen Vertrag ab. Entweder schicke ich mit dieser Rechten den Flüchtling aus Asien, den Dardaner hinunter in den Tartarus (die Latiner sollen dasitzen und zuschauen) und allein will ich die Schuld der Gemeinde mit dem Schwert widerlegen, oder aber er soll uns für besiegt halten und die Gattin Lavinia soll weichen.“ Ihm antwortete König Latinus mit ruhigem Herzen: „Oh du junger Mann, herausragend an Mut, so sehr du dich selbst an wilder (20) Mannhaftigkeit überragst, um so mehr ist es billig, dass ich mich sorgfältiger berate und dass ich mich fürchtend alle Möglichkeiten ausbreite. Du hast ein Königreich deines Vaters Daunus, du hast Städte, die du mit eigener Hand besetzt hast, auch besitze ich, Latinus, Gold und bin dir gewogen. Es gibt andere unvermählte Frauen in Latium und auf den laurentischen Fluren, die nicht aus schlechtem Hause stammen. Lass mich dir dies, was nicht angenehm ist zu sagen, ohne jegliche List eröffnen und du nimm es mit deinem Geist auf: Nach göttlichem Recht darf ich meine Tochter mit niemandem der alten Adligen verbinden und dies prophezeiten mir alle: Götter und Menschen. Von der Liebe zu dir besiegt, vom verwandten Blut besiegt (30) und aufgrund der Tränen meiner traurigen Gattin habe ich alle Fessel durchbrochen. Ich habe meinem Schwiegersohn die versprochene Frau entrissen und unfromme Waffen ergriffen. Du siehst, Turnus, welche Schicksalsschläge und welche Kriege mir seit jener Zeit folgen, wie viele Strapazen du als erster erleidest. Zweimal in großen Kämpfen besiegt, können wir nur mit Mühe die Hoffnung Italiens in unserer Stadt schützen. Noch immer sind die Fluten des Tiber durch unser Blut warm und die gewaltigen Felder sind weiß durch unsere Gebeine. Wozu wende ich mich sooft zurück? Welcher Wahnsinn stimmt meinen Geist um? Wenn ich bereit bin, die Männer des Aeneas als Kameraden anzunehmen, nachdem Turnus ausgelöscht sein wird, warum beseitige ich dann nicht vielmehr die Kämpfe, wenn er noch unversehrt ist? (40) Was würden die verwandten Rutuler, was würde das übrige Italien sagen, wenn ich dich dem Tod übergeben würde (der Zufall soll das Gesagte widerlegen!), der du meine Tochter für die Heirat forderst? Schaue zurück auf die verschiedenen Ereignisse im Krieg, erbarme dich deines betagten Vaters, den nun in der Ferne die Heimat Ardea von dir teilt.“ Keineswegs wurde die Wildheit des Turnus mit diesen Worten umgestimmt. Sie ragte noch mehr hervor und verschlimmerte sich im Versuch ihr abzuhelfen. Sobald er sprechen konnte, bestürmte er ihn folgendermaßen mit Bitten: „Ich bitte dich, Bester, die Fürsorge, die du für mich anführst, für mich abzulegen und du sollst zulassen, dass ich mich für den Ruhm dem Tod verpflichte. (50) Auch ich, Vater, schleuderte Lanzen und starke Eisenspitzen mit meiner Rechten, und aus der von mir verursachten Wunde, strömt Blut. Fern wird Aeneas seine göttliche Mutter sein, um den Flüchtigen mit einer weibischen Wolke zu umgeben und sich in inhaltlosen Schatten zu verbergen.“ 205 Doch die Königin, die ob des neuen Loses des Krieges heftig erschreckt war, weinte und hielt bereit zu sterben ihren eifrigen Schwiegersohn: „Turnus, ich bitte dich bei diesen Tränen, bei der Ehre der Amata, wenn nur etwas davon deinen Geist berührt: Du bist nun die einzige Hoffnung, du bist die Ruhe meines armen Greisenalters, die Würde und die Befehlsgewalt des Latinus liegen in deinen Händen, auf dich stützt sich das ganze ins Wanken gekommene Herrscherhaus. (60) Um eins bitte ich dich: Lass‘ davon ab die Teucrer anzugreifen. Welche Schicksalsschläge auch immer auf dich in diesem Kampf warten, warten auch auf mich, Turnus. Zugleich werde ich diese verhasste Oberwelt verlassen und nicht als Kriegsgefangene meinen Schwiegersohn Aeneas sehen.“ Lavinia, deren Wangen ob der Tränen feucht waren, vernahm die Stimme ihrer leidenschaftlichen Mutter. Schamröte flößte ihr Feuer ein und lief durch ihr erhitztes Gesicht. Es war wie wenn jemand indisches Elfenbein mit dem Blut der Purpurschnecke entweihte, oder weiße Lilien, sobald sie mit vielen Rosen vermischt sind, rot schimmern. Derartige Farben ließ die Jungfrau in ihrem Gesicht erkennen. (70) Die Liebe zu ihr verwirrte Turnus und er richtete seinen Blick auf die Jungfrau. Er entbrannte mehr für den Krieg und sprach Amata mit wenigen Worten an: „Verfolge mich, der ich in die Kämpfe des hartherzigen Mars gehe, bitte nicht mit Tränen oder mit dem so großen Vorzeichen, oh Mutter. Denn auch für mich, Turnus, gibt es keine zügellose Verzögerung des Todes. Bringe du Bote Idmon, diese meine Worte dem phrygischen Tyrannen, dem sie nicht gefallen werden. Sobald die morgendliche Aurora mit ihren rötlichen Wagen zum Himmel gefahren und rot sein wird, soll er nicht die Teucrer gegen die Rutuler führen. Die Waffen der Teucrer sollen ruhen, auch die der Rutuler. Wir wollen den Krieg durch unser Blut entscheiden, (80) auf jenem Feld soll er sich Lavinia als Gattin erwerben.“ Nachdem er diese Worte hervorgebracht hatte, wich er hitzig in den Palast zurück, forderte Pferde und freute sich, als er vor seinem Gesicht die brüllenden Rösser betrachtete, die Orithyia selbst dem Pilumnus als Zierde geschenkt hatte, die mit ihrem lichten Schimmer den Schnee übertrafen, mit ihrem Lauf die Winde. Eilige Wagenlenker standen um sie herum, reizten mit ihren hohlen Händen ihre Bäuche, die sie tätschelten und sie kämmten ihre Mähnen. Dann umgab er selbst seine Schultern mit einem schuppigen Brustpanzer aus Gold und weißem Messing. Dann fügte er sich sein Schwert, den Rundschild und seine Helmspitze des roten Helmbusches für den Gebrauch an: (90) das Schwert, das der feuerbeherrschende Gott selbst für seinem Vater Daunus hergestellt und glühend in das stygische Gewässer getaucht hatte. Dann ergriff er mit Gewalt die starke Lanze, die mitten im Gebäude an einer gewaltigen Säule lehnte. Sie war die Beute des Aurunkers Actor. Er schüttelte die bebende Lanze und schrie: „Nun, oh Lanze, die du niemals meine Einladung vereitelt hast, nun ist die Zeit gekommen. Dich hat der äußerst erhabene Actor geführt, dich führt nun die Rechte des Turnus. Gewähre, dass ich den Körper des Aeneas niederstrecke und den losgerissenen Brustpanzer des halben Phrygers mit meiner kräftigen Hand zerreißen kann, dass ich seine phrygischen Haare im 206 Dreck besudeln kann, (100) die mit dem warmen Eisen geschwungen sind und vor Myrrenöl triefen.“ Von dieser Raserei wurde er getrieben und von seinem ganzen Antlitz entwichen brennende Funken, in seinen hitzigen Augen zuckte das Feuer. Wie wenn ein Stier bei seinen ersten Kämpfen sein Schrecken erregendes Gebrüll hören lässt, oder wenn er versucht wütend mit seinem Gehörn wütend zu werden und gegen einen Baumstamm anrennt, mit seinen Hieben die Winde reizt oder sich durch den zerstreuten Sand auf den Kampf vorbereitet. Nicht weniger wild rüstete sich währenddessen Aeneas in mütterlicher Rüstung zum Kampf und fachte sich durch seinen Zorn an. Er freute sich, dass durch den angebotenen Vertrag der Krieg beendet werden würde. (110) Dann tröstete er seine Kameraden und die Furcht des traurigen Iulus, indem er sie über die Göttersprüche belehrte, dann befahl er, dass die Männer dem König Latinus seine sichere Zusage überbrachten und Friedensbedingungen stellten. Der nachfolgende, angebrochene Tag bestreute kaum die Berggipfel mit Licht, als sich aus dem hohen Meer die Pferde des Sonnengottes erhoben und das Licht mit ihren erhobenen Nasenlöchern hinaus bliesen. Die Männer, Rutuler und Teucrer, vermaßen am Fuße der Mauern der großen Stadt das Feld für den Kampf und bereiteten in der Mitte Herde vor und für die gemeinsamen Götter gräserne Altäre. Andere brachten Quellwasser und Feuer herbei (120) und waren mit einem Gürtel verhüllt und an den Schläfen mit heiligem Kraut umgürtet. Die Legion der Ausonier rückte hervor, die mit Pfeilen bewaffneten Heereszüge ergossen sich aus den vollen Toren. Darauf stürzten das ganze trojanische und das tyrrhenische Heer in verschiedenen Rüstungen heraus, nicht anders, als wenn der raue Kampf des Krieges die mit dem Schwert ausgerüsteten Männer rufen würde. Inmitten der Tausenden eilten aber auch die Führer selbst, erhaben in Gold und Purpur. Auch der Sprössling des Assaracus, Mnesteus, sowie der tapfere Asilas, Messapus, der Pferdebändiger, der Spross des Neptun. Sobald das Zeichen gegeben worden war, wich ein jeder in seinen Bereich zurück. (130) Sie schlugen ihre Lanzen in die Erde und lehnten daran die Schilde. Dann besetzten die sich mit Eifer ergießenden Mütter, das unbewaffnete Volk sowie die schwachen Älteren die Türme und die Dächer ihrer Häuser, andere standen auf den hohen Stadttoren. Doch Iuno, die von der Spitze eines Erdhügels Ausschau hielt (der jetzt Albanus heißt, damals hatte der Berg weder einen Namen, noch Ehre, noch Ruhm), erblickte das Feld und beide Kampfreihen der Laurenter und der Trojaner, sowie die Stadt des Latinus. Sofort sprach die Göttin die göttliche Schwester des Turnus, die den Sümpfen und den rauschenden Flüssen (140) vorstand (der erhabene König des Himmels, Jupiter, hatte jener diese Ehre für die Jungfräulichkeit geweiht, die ihr entrissen wurde), folgendermaßen an: „Nymphe, Zierde der Flüsse, die du unserem Gemüt äußerst 207 willkommen bist, du weißt, dass ich dich allen bevorzuge, welche Latinerin auch immer das undankbare Bett des großherzigen Jupiter ersteigt und dass ich dich gerne in einen Teil des Himmels setzen würde: Erfahre von deinem Schmerz Iuturna – und beschuldige mich nicht! Wie es Fortuna zu erdulden schien und wie die Parzen zuließen, dass die Sache für Latium gut ausgeht, habe ich Turnus und deine Stadt geschützt. Nun sehe ich, wie der junge Held mit ungleichen Göttersprüchen zusammenrennt, (150) der Tag der Parzen und die feindliche Macht nahen. Ich kann mir mit meinen Augen diesen Kampf und diese Verträge nicht ansehen. Brich du für deinen Bruder auf, wenn du etwas recht Unerschrockenes wagst. Es ziemt sich. Vielleicht werden den Unglücklichen bessere Zeiten folgen.“ Kaum hatte sie dies gesagt, vergoss Iuturna mit ihren Augen Tränen und schlug sich drei- viermal mit ihrer Hand an ihre ehrenhafte Brust. Iuno, die Tochter des Saturn, sagte: „Dies ist nicht die Zeit für Tränen. Beeil dich und entreiße, wenn irgendwie möglich, den Bruder dem Tod. Oder fange einen Krieg an und schüttle den verfassten Vertrag ab. Ich bin der Urheber des Wagnisses.“ Nachdem sie sie so ermuntert hatte, verließ Iuno die (160) unsichere und durch eine traurige Wunde ihres Geistes verwirrte Schwester. Inzwischen fuhren auf gewaltigen Wagen der König Latinus auf einem Viergespann herbei (dem zwölf vergoldeten Strahlen seine glänzenden Schläfen umgaben, als Kennzeichen seines Ahns Sol) sowie der König Turnus auf einem weißen Zweigespann, der in der Hand zwei Lanzen mit breiter Eisenschneide zitternd hielt. Dann rückte der Vater Aeneas aus dem Lager, Ursprung der römischen Nachkommenschaft, glühend mit seinem strahlenden Rundschild und der himmlischen Rüstung und gleich daneben Ascanius, die erhabene Hoffnung des großen Roms. Ein Priester in seiner reinen Kleidung brachte das Junge einer (170) borstigen Sau und ein ungeschorenes Schaf herbei und bewegte Kleinvieh zu den brennenden Altären. Jene, die ihre Augen zu der aufgehenden Sonne gerichtet hatten gaben den Tieren mit ihren Händen gesalzene Feldfrüchte, bezeichneten mit dem Schwert das Vieh oben an der Stirn und spendeten das Trankopfer mit den Opferschalen den Altären. Dann betete der pflichtbewusste Aeneas mit gezücktem Schwert so: „Sei mir, der ich rufe, nun Sol und diese Erde Zeuge, wegen der ich so viele Strapazen aushalten konnte – und du allmächtiger Vater, du Gattin Saturnia (sei schon gütiger, Göttin, ich bitte dich) auch du bekannter Mars, (180) Vater, der du alle Kriege unter deinem göttliche Willen lenkst. Ich rufe Quellen und Flüsse, und alle Heiligtümer im erhabenen Äther, und alle göttlichen Wirkmächte, die im bläulichen Meer sind. Wenn der Zufall den Sieg dem Ausonier Turnus zugesteht, schickt es sich für die Besiegten zur Stadt des Euander zu gehen, Iulus wird von den Fluren weich, und später sollen keine Aeneaden, den Krieg erneuernd, auch nur eine einzige Waffe zurücktragen oder mit dem Schwerte dieses Königreich herausfordern. Wenn aber unser Mars uns den Sieg zugesteht (was ich eher glaube, und was die 208 Götter durch ihr Wirken eher bekräftigen werden) werde ich für meinen Teil nicht befehlen, dass die Italer den Teucrern gehorchen, (190) und ich erstrebe für mich nicht das Königreich: Unter angemessenen Bedingungen sollen sich beide unbesiegte Völker in einem ewigen Bündnis einen. Ich werde ihnen Bräuche und Götter geben. Mein Schwiegervater Latinus soll das militärische Kommando besitzen – seine gewohnte Befehlsgewalt. Die Teucrer werden mir eine Stadt gründen und Lavinia wird der Stadt ihren Namen geben.“ So sprach Aeneas als erster, dann folgte Latinus folgendermaßen, während er zum Himmel aufschaute und er streckte seine Rechte zu den Sternen aus: „Ich schwöre die gleichen Dinge, Aeneas, bei der Erde, dem Meer und der Sterne, bei den zwei Sprösslingen der Latona und bei dem zweigesichtigen Ianus, bei der Macht der unterirdischen Götter und bei den Heiligtümern des hartherzigen Dis. (200) Dies möge der Schöpfer hören, der Verträge mit seinem Blitz weiht. Ich berühre die Altäre und rufe die in der Mitte befindlichen Feuer und die göttlichen Wirkmächte als Zeugen auf: Kein Tag wird diesen Frieden oder den Vertrag bei den Italern brechen, wie sich die Sachlage auch immer entwickeln wird. Auch wird mich, der ich willig bin, keine Gewalt davon abwenden, auch nicht, wenn sie die Erde durch eine Sintflut in die Wogen ergießen und den Himmel mit dem Tartarus vermischend auflösen würde, so wie dieses Zepter (denn zufällig führte er in seiner Rechten ein Zepter) niemals mehr Gesträuch mit leichtem Laub oder Schatten hervorbringen wird, wenn es einmal in den Wäldern von der tiefen Wurzel her abgeschnitten und seiner Mutter beraubt ist, dem Eisen das Laub und die Zweige vorsetzt. (210) Einst umschloss es ein Baum, dann die Hände eines Künstlers mit ehrenvollem Erz, und den latinischen Vätern gewährte es, dass es von ihnen getragen wird.“ Mit derartigen Worten bekräftigten sie untereinander den Vertrag, mitten im Blickfeld der Vornehmen. Dann schlachteten sie ordnungsgemäß die geweihten Opfertiere für das Feuer, rissen den noch lebenden Tieren die Eingeweide heraus und häuften auf die Altäre die beladenen Opferschalen. Doch den Rutulern schien dieser Kampf schon lange Zeit ungleich und durch verschiedene Gemütswallungen waren sie verwirrt – dann umso mehr, je mehr sie erkannten, dass die beiden Männer nicht gleichstark waren. Dies unterstützte Turnus, der in stillem Gang voranschritt, (220) während er den Altar demütig mit gesenktem Blick verehrte, sowie seine männlichen Wangen und die Blässe an seinem jugendlichen Körper. Sobald seine Schwester Iuturna sah, wie das Gerede zunahm und die schwankenden Herzen des Volkes umstürzten, ging sie mitten unter die Schlachtreihen, nachdem sie sich in Camers verwandelt hatte, der von seinem Großvater her eine gewaltige Abstammung und einen berühmten Namen väterlicher Tugend hatte und selbst äußerst energisch im Krieg war – sie ging also mitten unter die Schlachtreihen, der Lage kundig, zeugte verschiedene Gerüchte und sprach solches: „Schämt es euch nicht, oh ihr Rutuler, all den solchen Männern eine einzige (230) Seele entgegenzuwerfen? Sind wir ihnen etwa nicht von der Zahl und der Kraft ebenbürtig? Seht, dies sind alle – sowohl Trojer als auch Arcader sowie die schicksalsträchtige 209 Mannschaft, das dem Turnus feindlich gesinnte Etrurien: Wir haben kaum einen Feind, wenn wir Mann gegen Mann kämpfen. Turnus allerdings wird sich durch den Ruhm den Göttern näheren, deren Altäre er sich weiht und durch die mündliche Überlieferung wird er weiterleben. Wir, die wir nun säumig auf den Fluren sitzen, werden, nachdem wir unsere Heimat verloren haben, gezwungen werden, überheblichen Herren zu gehorchen.“ Durch solche Worte war die Meinung der jungen Männer mehr und mehr entflammt, das Gemurmel kroch durch den Heerezug. (240) Selbst die Laurenter, selbst die Latiner wurden umgestimmt. Diejenigen, die für sich schon Ruhe vor dem Kampf und Hoffnung für ihre eigene Lage erhofft hatten, wollten nun den Krieg, wünschten sich den Vertrag ungeschehen und hatten Mitleid mit dem ungerechten Schicksal des Turnus. Diesen Punkten fügt Iuturna etwas anderes Gewichtigeres hinzu und gab ein Zeichen vom hohen Himmel, woran gemessen kein einziges die italischen Gemüter wirksamer verwirrt und durch sein Wunder getäuscht hatte. Denn im Flug verfolgte der rotgelbe Vogel des Jupiter am rötlichen Himmel Küstenvögel, die tönende Menge eines geflügelten Zuges, als er plötzlich zum Meer glitt und einen (250) vortrefflichen Schwan boshaft mit seinen gekrümmten Zehen raubte. Die Italer waren gespannt: Alle Vögel wendeten mit Geschrei die Flucht um (wundersam anzusehen), verdunkelten den Himmel mit ihren Flügeln und brachten den Feind durch die Lüfte in Bedrängnis, indem sie eine Wolke gebildet hatten, solange bis der Vogel durch die Gewalt besiegt, durch das Gewicht selbst ermattet war und seine Beute aus seinen Krallen zum Fluss niederwarf, dann tief in die Wolke flüchtete. Dann aber begrüßten die Rutuler das Vorzeichen mit Geschrei, sie machten die Mannschaft bereit und als erster sagte der Augur Tolumnius: „Das, ja das war, was ich in meinen Gebeten oft erbeten hatte. (260) Ich empfange und erkenne die Götter. Unter meiner, ja unter meiner Führung ergreift das Schwert, oh ihr Unglücklichen, die euch der boshafte Ankömmling heftig mit einem Krieg erschreckt, wie die schwachen Vögel und der eure Küsten mit Gewalt verwüstet. Er wird fliehen und er wird weit auf dem Meer die Segel hissen. Verdichtet ihr einmütig die Scharen und verteidigt für euch den geraubten König in der Schlacht.“ Das sagte er und während er vorlief, schleuderte er gegen die Feinde gegenüber eine Lanze. Das zischende Horn gab ein Geräusch von sich und zerschnitt treffsicher die Lüfte. Und zugleich, zugleich entstand gewaltiges Geschrei und alle keilförmigen Schlachtordnungen waren verwirrt, die Herzen erwärmten sich im Aufruhr. (270) Die Lanze flog und zufällig standen die äußerst schönen Körper von neun Brüdern gegenüber, welche so zahlreich eine einzige treue, tyrrhenische Gattin, dem Arcader Gylippus geboren hatte, von welchen die Waffe den einen an seiner Körpermitte durchbohrte, wo der leicht zusammengenähte Gürtel an seinem Bauch reibt und die Gewandspange die Verbindungsenden seiner Seiten zusammenhält, den 210 im Hinblick auf seine Schönheit und den glänzenden Waffen herausragenden jungen Mann. Sie durchbohrte seine Rippen und streute ihn auf den goldgelben Sand. Doch seine Brüder, eine mutige Phalanx, die durch die Trauer entflammt war, zogen zum Teil mit ihren Händen ihre Schwerter, zum Teil ergriffen sie hastig das eiserne Geschoss und stürzten wild nach vorne. Diesen entgegen (280) rückten die Heereszüge der Laurenter vor, dann fluteten in dichten Reihen erneut die Trojer, die Agilliner, und die Arcader mit ihren bunten Waffen: So hatte die eine Begierde mit dem Schwert um die Entscheidung zu kämpfen alle in der Hand. Sie plünderten die Altäre, ein ungestüme Sturm aus Waffen verlief über den ganzen Himmel und es brach eine eiserne Wolke herein, sie trugen Opferschalen und Herde weg. Latinus selbst floh und berichtete, dass die Götter durch den befleckten Vertrag vertrieben worden waren. Andere zügelten die Streitwägen oder warfen ihre Körper mit einem Sprung auf die Pferde und waren mit gezogenen Schwertern zur Stelle. Messapus, der begierig darauf war, den Vertrag zu brechen, jagte sein Pferd gegen Aulestes, König der (290) Tyrrhener, der seinen königlichen Schmuck trug. Jener stürzte zurückweichend und stürzte unglücklich mit dem Kopf und den Schultern auf die Altäre, die hinter ihm im Weg standen. Doch der brennende Messapus eilte mit der Lanze herbei und traf oben auf dem Pferd den Mann, der noch vieles bat, heftig mit seiner balkenartigen Lanze und sprach folgendermaßen: „Dies hat er, dieses bessere Opfer wurde für die großen Götter gebracht.“ Die Italer liefen zusammen und beraubten die noch warmen Glieder. Gegenüber ergriff Corynaeus von dem Altar einen verbrannten Holzscheit und (300) steckte dem kommenden Ebysus, der ihn gerade Schlagen wollte, dessen Gesicht in Flammen. Jenem leuchtete sein gewaltiger Bart auf und brachte verbrannt Dunst hervor. Darüber hinaus folgte Corynaeus, ergriff hastig mit seiner Linken das Haar seines verwirrten Gegners. Während er sich durch sein niedergedrücktes Knie stützte, lehnte er ihn gegen die Erde. So schlug er ihn mit seinem steifen Eisen in die Seite. Podalirius, verfolgte den Hirten Alsus, welcher in der ersten Schlachtreihe durch die Waffen eilte und er überragte ihn mit seinem blanken Schwert. Doch jener spaltete, nachdem er mit seinem Beil ausgeholt hatte, die mittlere Stirn des ihm gegenüber stehenden Mannes sowie dessen Kinn und benetzte weithin die Rüstung mit versprengtem Blut. Dem Podalirius drückte schwere Ruhe und der eiserne (310) Schlaf die Augen zu, seine Augen schließen sich zur ewigen Nacht. Doch der pflichtbewusste Aeneas streckte seine unbewaffnete Rechte aus und rief seinen Leuten mit entblößtem Haupt schreiend zu: „Wohin eilt ihr? Welche Zwietracht erhebt sich da so plötzlich? Oh, haltet eure Zorneswallungen im Zaum! Der Vertrag wurde bereits geschlossen und alle Klauseln verfasst. Allein ich besitze das Recht mit ihnen zusammenzutreffen. Lasst es mich tun und beseitigt eure Furcht. Ich werde mit eigener Hand die Verträge festigen. Diese Opfer schulten mir nun Turnus.“ Inmitten dieser Äußerungen, mitten in den solchen Worten – sieh! – glitt eine geflügelte 211 Lanze an den Helden. (320) Es war ungewiss von welcher Hand sie gestoßen wurde, durch welchen Wirbel sie hergetrieben wurde, welcher Schicksalsschlag oder welcher Gott den Rutulern so viel Ruhm brachte. Der hervorragende Ruhm der Tat wurde unterdrückt, und niemand prahlte mit der Verwundung des Aeneas. Sobald Turnus den aus dem Heereszug weichenden Aeneas und die verwirrten Heeresführer sah, entbrannte er hitzig in plötzlicher Hoffnung. Er forderte Pferde und zugleich Waffen. Überheblich sprang er mit einem Sprung auf den Wagen hinauf und setzte mit seinen Händen die Zügel in Bewegung. Viele tapfere Heldenkörper übergab er eilend dem Tod. Viele wälzte er halbtot zu Boden: Entweder (330) trat er die Heereszüge mit seinem Streitwagen nieder oder schleuderte auf die Flüchtenden die geraubten Lanzen. Es war, wie wenn bei dem Fluss des eisigen Hebrus der blutige Mars eilig mit seinem Schild ertönt und seine Pferde schießen lässt, während er Kriege in Bewegung setzt: Jene eilen noch vor dem Süd- und vor dem Westwind über die offene Ebene. Es seufzt das hinterste Thrakien unter dem Schlag ihrer Hufen und um die Gestaden werden die finstere Furcht, die Dämonen des Zorns und der Hinterlist als Begleitung des Gottes getrieben. Solche Pferde, dampfend vor Schweiß stieß der eifrige Turnus mitten in die Schlachten, während er beklagenswert auf den niedergehauenen Feinden herumtanzte. Die schnellen Hufe verspritzen (340) Blut und trampelten auf dem mit Blut vermischtem Sand herum. Und schon übergab er Sthenelus, Thamyrus und Pholus dem Tod. Mit dem einen und mit dem anderen stieß er zusammen, letzterer tötete er Mann gegen Mann. Mann gegen Mann auch die beiden Söhne des Imbrasus, nämlich Glaucus und Lades, die Imbrasus selbst in Lykien ernährt und mit gleichen Rüstungen geschmückt hatte, um entweder anzugreifen oder mit dem Pferd die Winde zu überholen. In anderer Richtung eilte Eumedes mitten in die Schlacht, der im Krieg hochberühmte Sprössling des alten Dolon, der den Namen seines Ahn trug. Im Hinblick auf seinen Mut und sein Geschick dem Vater gleich, der es einst (350) gewagt hatte, als er als Späher an das Lager der Danaer herantrat, den Wagen der Peliden als Belohnung für sich zu fordern. Jenen stattete der Sohn des Tydeus für solche Wagnisse mit einem anderen Preis aus – und er widmete sich dann nicht mehr den Pferden des Achilles. Sobald diesen Turnus über das offene Feld aus der Ferne erblickt hatte, folgte er ihm erst lange vergeblich mit einem leichten Wurfspieß, dann machte er mit seinem Zweigespann Halt, sprang vom Streitwagen und kam über den halbtoten, fallenden Mann. Nachdem er mit seinem Fuß auf dessen Hals gedrückt hatte, entriss er dessen Rechten den Dolch, tauchte die glänzende Waffe tief in seine Kehle und fügte darüber hinaus diese Worte hinzu: „Schau, durchwandere die Felder und (360) Hesperien, das du im Krieg, Trojaner, erobern wolltest liegend. Diese Belohnungen bringen mir diejenigen, die es gewagt haben, mich mit dem Schwert anzugreifen; auf diese Weise gründen sie ihre Stadt.“ Ihm als Begleiter schickte er mit einer geworfenen Lanze Asbytes, sowie Chloreus, Sybaris, Dares, Thersilochus und Thymoetes, der von dem Nacken seines sich aufbäumenden Pferdes 212 gefallen war. Und wie wenn das Wehen des thrakischen Boreas über der hohen Ägäis braust und die Flut zu den Gestaden flieht, wohin sich die Winde gestürzt haben, fliehen die Wolken am Himmel. So fallen vor Turnus, wo er auch immer sich einen Weg bahnt, ganze Heereszüge, Schlachtreihen eilen zur Flucht gewandt dahin. Seine Begeisterung trug ihn (370) und die Luft, die seinem Streitwagen entgegenwehte, schüttelt seinen fliegenden Helmbusch. Phegeus ertrug den drohenden und voller Mut brüllenden Mann nicht, stellte sich ihm bei seinem Streitwagen entgegen und drehte die mit den Zügeln schäumenden Mäulern der eilenden Pferde mit seiner Rechten weg. Während er gezogen wurde und am Gespann hing, traf den entblößten Mann eine breite Lanze und durchbrach den doppeldrahtigen Brustpanzer, in den sie hineingebohrt wurde, und berührte den Körper nur oberflächlich mit einer Wunde. Phegeus allerdings machte kehrt, und versuchte mit seinem Schild, das er ihm entgegenhielt, gegen den Feind zu gehen und bei seinem geführten Schwert Hilfe zu suchen, als das Rad und die vorwärtseilende Achse den Mann kopfüber (380) fortstießen und auf den Boden streuten. Turnus folgte ihm und raubte ihm zwischen dem unteren Ende des Helmes und dem oberen Ende des Brustpanzers Gesicht und Kopf und ließ den Körperrumpf im Sand zurück. Und während der siegreiche Turnus auf den Feldern diese Leichen hervorbrachte, brachten Mnestheus, der treue Achates und sein Begleiter Ascanius den blutenden Aeneas, der sich jeden zweiten Schritt auf seine lange Lanze stützte, in das Lager. Er wütete und rang damit den Pfeil mit seinem gebrochenen Rohr herauszuziehen und forderte zur Hilfe das nächstgelegene Mittel. Seine Männer sollten mit einem breiten Schwert die Wunde aufschneiden und den Schlupfwinkel der Waffe tief (390) öffnen, und ihn in den Krieg zurückschicken. Und schon war Iapyx zur Stelle, der von Phoebus noch vor den anderen geschätzt war, Sohn des Iason, dem einst Apollo selbst, von heftiger Liebe ergriffen, seine Künste, seine Gaben geben wollte: Das Augurium, die Zither und die schnellen Pfeile. Jener wollte lieber, damit er die Göttersprüche seines im Sterben liegenden Vaters vorantragen konnte, die Macht der Heilkräuter, den Gebrauch des Heilens kennen und die stillen Künste ruhmlos verfolgen. Da stand wild brüllend und auf die gewaltige Lanze gestützt Aeneas in einem großen (400) Zusammenlauf der jungen Männer und des trauernden Iulus, unberührt von ihren Tränen. Jener ältere Mann, der mit einem zurückgeworfenen Umhang umgürtet war, in der Art der Paenonier, versuchte vergeblich, zitternd vieles mit seiner heilenden Hand und den mächtigen Heilkräutern des Phoebus, vergeblich bewegte er mit seiner Rechten heftig die Pfeilspitze und ergriff mit der festhaltenden Zange das Eisen. Keine Fortuna wies den Weg, kein Apollo kam als Urheber zu Hilfe, und wilder Schauer verdichtete sich auf den Feldern mehr und mehr. Das Übel war schon näher. Schon sahen sie den Himmel in Staub gehüllt. Es näherten sich die Reiter und dichte Pfeile flogen mitten in das Lager. Trauriges Geschrei der (410) kriegführenden jungen Männer drang zum Himmel und derjenigen, die im hartherzigen Kampf fielen. 213 Da war Venus ob des unrühmlichen Schmerzes ihres Sohnes erschüttert und pflückte als Mutter Diptam vom kretischen Idagebirge: den mit ausgewachsenen Blättern belaubten Stängel samt der purpurnen Blüte. Jenes ist kein Kraut, das den wilden Ziegen unbekannt ist, wenn geflügelte Pfeile ihnen im Rücken stecken. Dieses brachte Venus, die ihre Gestalt mit einer finsteren Wolke umgeben hatte, dies vermischte sie in einen strahlendem Becken mit Flusswasser, wodurch sie verborgen das Heilmittel zubereitete und versprengte den Saft der heilbringenden Ambrosia sowie das duftende Wunderkraut darüber. (420) Mit dieser Flüssigkeit pflegte der hochbetagte Iapyx die Wunde, ohne dass er etwas davon wusste. Plötzlich floh freilich der ganze Schmerz von Aeneas‘ Körper, und all das Blut war in der tiefen Wunde gestillt. Und schon fiel der Pfeil ab, der gänzlich ohne Zwang der Hand gefolgt war, und neue Kräfte kamen wieder wie vormals zurück. „Holt schnell die Waffen für den Mann! Was steht ihr da herum?“, schrie Iapyx und entflammte als erster die Gemüter gegen den Feind. „Dies geschieht nicht durch menschliches Werk, dies geschieht nicht durch meine Lehrmeisterin, die Heilkunst, auch rettet dich nicht, Aeneas, meine Rechte. Eine größere Gottheit handelt und schickt dich für größeren Aufgaben zurück.“ (430) Aeneas, begierig zu kämpfen, umschloss von beiden Seiten seine Waden mit Gold, er hasste Verzögerungen und schwang seine Lanze. Nachdem der handliche Rundschild an seiner Seite und der Brustpanzer auf seinem Rücken war, umarmte er mit angezogener Rüstung Ascanius, küsste ihn mit den obersten Lippen nur leicht durch das Visier und sprach: „Lerne, mein Junge, von mir Tugend und wahrhafte Mühe, Glück aber von anderen. Nun wird mir meine Rechte gewähren, dass du im Krieg verteidigt wirst und sie wird dich zwischen große Belohnungen führen. Sorge dafür und erinnere dich daran, wenn bald dein junges Alter erstarken wird, und während du im Geist die Beispiele der Deinen Revue passieren lässt, werden dich (440) sowohl dein Vater Aeneas als auch dein Onkel Hector ermuntern.“ Sobald er dies gesagt hatte, eilte er aus den Toren während er riesig eine gewaltige Lanze in seiner Hand schüttelte. Zugleich eilten in einem dichten Heereszug Antheus und Mnestheus. Die ganze Masse verbreitete sich von den übrigen Lagern aus. Dann wurde das Schlachtfeld in finsteren Staub gemischt und durch den Hufschlag der Pferde zitterte die erschreckte Erde. Von einem Erdwall gegenüber sah Turnus die Kommenden, auch die Ausonier sahen sie und eisiges Zittern lief ihnen durch Mark und Bein. Als erste noch vor allen hatte Iuturna die Latiner gehört und das Geräusch erkannt. Erschüttert floh sie. (450) Aeneas eilte und riss den finsteren Heereszug auf das offene Feld. Es war, wie wenn eine Wolke bei einem gewaltigen Sturm mitten über das Meer zum Land hineilt. (Ach, den unglücklichen Bauern schaudern schon lange ihre vorausahnenden Herzen: Der Sturm wird bei den Bäumen für Stürze sorgen und bei der Saat für deren Vernichtung. Alles wird weit und breit einstürzen). Voraus eilen die Winde zu den Gestaden und bringen Getöse mit. Ebenso treibt der trojanische Heeresführer den Zug gegen den gegenüber befindlichen Feind. Dichtgedrängt ballte sich 214 ein jeder, nachdem sich die Männer in den keilförmigen Formationen versammelt hatten. Thymbraeus schlug mit seinem Schwert den schweren Osiris, Mnestheus den Arcetius, Achatas schlug den Epulo nieder, (460) Gyas den Ufens. Selbst der Augur Tolumnius fiel, der als erster seine Lanze gegen die Feinde gegenüber geschleudert hatte. Geschrei erhob sich zum Himmel. Die Rutuler, die kehrt gemacht hatten, wandten ihnen in ihrer staubigen Flucht über die Äcker ihre Rücken zu. Aeneas selbst hielt es nicht für würdig die Abgewandten tödlich niederzustrecken, noch diejenigen, die mit ihm mit gleichem Schritt zusammentrafen oder die Waffen tragenden Männer zu verfolgen. Allein Turnus suchte er in dichtem Dunst, während er umherspähte, allein ihn forderte er zum Kampf. Die Heldenjungfrau Iuturna, die durch diese Furcht in ihrem Geist erschüttert war, (470) schüttelte Metiscus, der Wagenlenker des Turnus inmitten der Zügel ab und ließ ihn, der weit über die Deichsel gefallen war, zurück. Sie selbst löste ihn ab und lenkte mit ihren Wellen schlagenden Händen die Zügel, während sie alles an sich trug: Die Stimme, den Körper sowie die Waffen des Metiscus. Es war wie wenn eine schwarze Schwalbe durch die großen Gemächer eines reichen Hausherrn fliegt und mit ihren Flügeln die hohen Vorhallen durchfliegt, ein wenig Futter aufsammelt und auch für die zwitschernden Nester Futter. Und bald rauscht sie in den leeren Säulenhallen, bald um die feuchten Seen. Ähnlich eilte Iuturna mitten durch die Feindesreihen mit ihren Pferden und ging dahinfliegend auf eilendem Wagen allen entgegen. Und bald hielt sie sich hier, bald dort den jubelnden Bruder vor Augen, (480) ließ es nicht zu, dass er kämpfte und eilte fern auf einem Umweg. Nicht weniger fuhr Aeneas auf der anderen Seite gerundete Kreisbahnen entlang, suchte den Mann und rief ihn laut durch die zersprengten Heereszüge. Sooft er seine Augen auf den Feind richtete und versuchte, mit seinem Lauf die schnellfüßigen Rosse auf deren Flucht zu erreichen, sooft drehte Iuturna ihren abgewandten Streitwagen um. Ach, was soll er tun? Er schwankte durch verschiedene Regungen, verschiedenartige Sorgen riefen seinen Geist in entgegengesetzte Richtungen. Zu ihm lenkte Messapus, sowie er zufällig zwei leichte, biegsame Lanzen trug, an deren Spitzen Eisen befestigt war, in schnellem Lauf (490) eine von ihnen, die er in einem sicheren Wurf schleuderte. Aeneas machte Halt und barg sich hinter seinem Schild, während er sein Knie beugte. Dennoch traf die angetriebene Lanze den oberen Teil der Helmspitze und schlug ihm oben am Scheitel den oberen Teil des Buschs ab. Dann aber erhoben sich, weil in den Hinterhalt gezwungen, seine Zorneswallungen, sobald er wahrnahm, dass die Pferde und der Streitwagen in verschiedene Richtungen zurückeilten. Er schwor Jupiter und den Altären des verletzten Vertrages vieles. Schon fiel er endlich mitten in die Scharen ein und verursachte schrecklich unter günstigem Kriegsglück ein wildes Blutbad ohne jeden Unterschied. Alle Zügel des Zorns ließ er schießen. 215 (500) Welcher Gott legt mir nun so viele bittere Dinge dar, welcher Gott in seiner Prophezeiung die verschiedenen Blutbäder und den Untergang der Heeresführer, die auf der ganzen Ebene abwechselnd bald Turnus, bald der trojanische Held treibt? Schien es etwa gut, Jupiter, dass die Völker, die in ewigem Frieden leben sollten, mit so großer Leidenschaft zusammenstoßen? Aeneas empfing den Rutuler Sucro (dieser Kampf ließ die eilenden Teucrer als erster auf der Stelle stehen) an dessen Seite, der ihn nicht lange aufhielt, und bohrte ihm, wo die Fata am schnellsten sind, sein blutiges Schwert in die Rippen und in seinen Brustkorb. Turnus (510) traf zu Fuß mit den vom Pferd geworfenen Amycus zusammen und mit dessen Bruder Diores: den einen Herbeikommenden traf er mit einem langen Pfeil, den anderen mit einem Dolch. Die abgetrennten Häupter der beiden hing er auf seinen Wagen und trug sie vor Blut triefend. Aeneas schickte Talo, Tanais, sowie den tapferen Cethegus in den Tod – alle drei in einem Zusammentreffen – sowie den traurigen Onites, der den Namen des Echion trug und der Sprössling der Mutter Peridia war. Turnus tötete die Brüder, die von Lykien und von den apollinischen Feldern geschickt wurden, sowie den jungen Mann Menoetes, der vergebens voll Hass gegen Kriege war, den Arcader, der sein Handwerk um den Fluss der fischreichen Lerna hatte, sowie ein bescheidenes Haus und (520) Dienste für mächtige Herren waren ihm nicht bekannt. Sein Vater bepflanzte ein gepachtetes Stück Land. Und wie Feuer, die in verschiedenen Richtungen in einen trockenen Wald und in das Gebüsch, das durch den Lorbeer rauscht, geworfen wurden oder wie schäumende Ströme in ihrem schnellen Herabströmen von den hohen Bergen Getöse von sich geben und ins Meer eilen: Beides verwüstet seinen Weg. Nicht weniger träge stürzten beide, Aeneas und Turnus, durch die Schlachten. Jetzt, ja jetzt wogte der Zorn in ihrem Inneren. Die Gemüter wurden durchbrochen, die nicht wussten, was es heißt, besiegt zu werden. Nun ging man mit ganzen Kräften den Wunden entgegen. Aeneas schlug Murranus, der seine Ahnen und den altehrwürdigen (530) Namen seiner Ahnen pries, und dass sich sein ganzes Geschlecht durch die latinischen Könige zog, durch einen Felsen und durch den Wirbel eines gewaltigen Steins vom Wagen und streckte ihn zu Boden. Unter den Riemen und dem Joch wälzten ihn die Räder vorwärts und oft traten die schnellen Hufen der Pferde auf ihn, uneingedenk ihres Herrn. Turnus lief dem eilenden Hyllus, der mit seinem Gemüt gewaltig brüllte, entgegen und schleuderte seine Waffe zu dessen vergoldeten Schläfen: Jenem blieb die Lanze, die durch den Helm hindurch flog, fest im Gehirn stecken. Auch deine Rechte entreißt dich nicht dem Turnus, du tapferster der Griechen, Cretheus, noch schützen seine Götter Cupencus, (540) wenn Aeneas kommt: Er bot dem Schwert seine Brust, die er ihm entgegenhielt. Und das Hindernis seines ehernen Rundschildes half dem Unglücklichen nicht. Auch dich, Aeolus, sahen die laurentischen Felder sterben und wie du langgestreckt die Erde mit deinem Rücken bedeckt hast. Du fällst, den weder die argivischen Phalangen niederstrecken konnten, noch Achilles, Zerstörer des Königreiches 216 des Priamus. Hier waren für dich die Grenzen des Todes, hier deine erhabene Stätte am Fuße des Ida, deine erhabene Stätte in Lyrnesus, ein Grabhügel auf laurentischem Boden. So sehr wandten sich die ganzen Kampfreihen zu: Alle Latiner, alle Dardaner, Mnestheus und der eifrige Serestus, (550) Messapus, der Pferdebändiger, und der tapfere Asilas, die Phalanx der Etrusker, sowie die arkadischen Flügeltruppen des Euander. Ein jeder für sich strengte sich mit äußerster Kraft an. Es gab keine Verzögerung, keine Ruhe. Sie strebten in den weiten Kampf. Jetzt schickte seine äußerst schöne Mutter dem Aeneas die Absicht, dass er zu der Stadtmauer marschierte, seinen Heereszug rasch der Stadt zuwendete und in einem plötzlichen Blutbad die Latiner verwirrte. Sobald jener in den verschiedenen Heereszügen Turnus suchte, ließ er seine Blicke hier und dorthin schweifen und erblickte eine Stadt, die von dem so großen Krieg unberührt war und straffreie Ruhe. Sofort entflammte das Bild eines größeren Kampfes: (560) Er rief die Heeresführer Mnestheus, Sergestus und den tapferen Serestus, er nahm einen Hügel ein, wo die übrige Legion der Teucrer zusammenlief und die dichtgedrängten Männer legten weder ihre Schilde noch ihre Pfeile ab. Während Aeneas mitten auf dem herausragenden Erdwall stand, sprach er: „Für meine Worte gibt es keinen Aufschub, Jupiter steht hier, und niemand soll mir ob des plötzlichen Vorhabens träger marschieren! Ich will heute die Stadt, den Kriegsgrund, das Königreich des Latinus selbst zerstören, wenn sie nicht bekennen, die Zügel anzunehmen und als Besiegte zu gehorchen und ich werde die rauchenden Dächer dem Erdboden gleichmachen. (570) Soll ich freilich warten, bis es Turnus beliebt, sich dem Kampf mit mir zu stellen und bis er erneut – bereits besiegt – mit mir kämpfen will? Dies ist der Ursprung, oh Bürger, dies das Höchste des unsäglichen Krieges. Bringt eilig Brandfackeln und fordert den Vertrag durch Flammen ein!“ Das hatte er gesagt und alle formierten sich mit wetteifernden Gemütern in der keilförmigen Formation und eilten in dichter Masse zu den Mauern. Sofort erschienen Leitern und plötzliches Feuer. Einige wichen zu den Toren ab und metzelten die Ersten nieder, andere schleuderten das Eisen und verhüllten mit ihren Waffen den Himmel. (580) Aeneas selbst streckte inmitten der vordersten Reihen seine Hand hoch zu den Mauern aus, klagt mit lauter Stimme Latinus an, rief die Götter als Zeugen an, dass er erneut zu einem Kampf gezwungen wurde, dass schon zweimal die Italer zu Feinden wurden, und dass auch dieser zweiter Vertrag gebrochen würde. Bei den unruhigen Stadtbürgern entstand Zwietracht: Die einen befahlen, den Dardanern Stadt und Tore zu öffnen und sie zogen den König selbst auf die Mauern. Die anderen trugen Waffen herbei und machten sich auf, die Stadtmauern zu verteidigen, wie wenn ein Hirte Bienen, die in einem Bimsstein voller Schlupfwinkel eingeschlossen sind, nachspürt und ihn mit scharfem Rauch erfüllt. Jene, die im Inneren ob der Situation unruhig sind, (590) verstreuen sich überall in ihrem Lager aus Wachs und schärfen unter lautem Summen ihren Zorn. Finsterer Gestank 217 wälzt sich im Bau, dann klingen die Steine in ihrem Inneren von dumpfem Summen, der Rauch steigt in die freien Lüfte. Den erschöpften Latinern geschah sogar dieses Unglück, welches die ganze Stadt im Innersten mit Trauer erschütterte: Sobald die Königin von ihrem Palast aus den kommenden Feind erblickte, wie die Männer zu den Stadtmauern schritten, wie die Feuer zu den Häusern flogen, wie nirgends rutulische Kampfreihen dagegen zogen, auch keinerlei Heereszüge des Turnus, glaubte die Unglückliche, dass der junge Held in einer Auseinandersetzung des Kampfes ausgelöscht worden war und im Geist durch den plötzlichen Schmerz verwirrt, (600) nannte sie sich laut den Grund, das Verbrechen, den Ursprung der Übel, sprach viel, wahnsinnig aufgrund ihrer betrübten Raserei, zerriss bereit zu sterben ihren purpurfarbenen Umhang mit eigener Hand und flocht einen Knoten der an einem hohen Balken hing, für einen hässlichen Tod. Nachdem die unglücklichen Latinerinnen von dieser Niederlage gehört hatten, zerraufte die Tochter Lavinia als erste mit der Hand ihre blonden Haare, zerkratze ihre rosafarbenen Wangen, dann tobte die übrige Menge um sie herum und der Palast hallte durch die Trauerschläge weithin wieder. Darauf verbreitete sich das unglückbringende Gerücht in der ganzen Stadt: Sie ließen ihren Mut sinken. Latinus ging mit zerrissenem Gewand einher, (610) bestürzt über die Fata seiner Gattin und über den Untergang der Stadt, während er sein feuchtes, graues Haar mit unreinem Staub verunstaltete. Während dessen verfolgte der Krieger Turnus am Rande der Ebene wenige Fliehende, doch schon recht träge und zunehmend weniger froh über den Vormarsch der Pferde. Da hob ihm die Luft dieses Geschrei, das mit dunklem Schrecken vermischt war, hervor und der Klang der verwirrten Stadt sowie das unerfreuliche Gemurmel trieben seine aufgerichteten Ohren an. (620) „Weh mir! Warum wird die Stadt durch so große Trauer in Verwirrung gebracht? Welches so große Geschrei stürzt aus der fernen Stadt?“ So sprach er, und mit gestrafften Zügeln blieb er von Sinnen stehen. Und jenem kam seine Schwester mit solchen Worten entgegen, nachdem sie sich in die Gestalt des Wagenlenkers Metiscus verwandelt hatte und Wagen, Pferde und Zügel lenkte: „Dort, Turnus, wollen wir die Trojaner verfolgen, wo uns der Sieg die erste Möglichkeit eröffnet! Es gibt andere, die mit ihrer Hand die Häuser verteidigen können. Aeneas stürmt auf die Italer los und mischt sie in Schlachten auf, lass auch uns für die Teucrer mit wilder Hand für Leichen sorgen! (630) Weder bist du ihm von der Mannesstärke deines Heeres unterlegen, noch unterliegst du ihm von deiner Ehre her.“ Darauf erwiderte Turnus: „Oh Schwester, ich habe dich schon längst erkannt, als du den ersten Vertrag mit deiner Kunst gestört und dich in diesen Krieg eingemischt hast und nun täuschst du mich vergebens, Göttin. Doch wer im Olymp wollte, dass du, die du herabgeschickt wurdest, so große Strapazen erträgst? Damit du etwa den grausamen Tod deines unglücklichen Bruders siehst? Denn 218 was mache ich? Oder welches Glück gelobt mir schon Hoffnung? Ich sah selbst schon vor meinen eigenen Augen den gewaltigen Murranus (640) sterben, von einer gewaltigen Wunde besiegt, der mich mit seiner Stimme rief und woran gemessen mir kein zweiter lieber ist. Der Unglückliche Ufens fiel, damit er nicht unsere Schmach erblicken musste. Die Teucrer rissen seinen Körper und seine Waffen an sich. Soll ich etwa ertragen, wie die Häuser vernichtet werden (dies allein fehlte dem Staatswesen noch!) und mit meiner Rechten nicht die Worte des Drances widerlegen? Soll ich fliehen und soll diese Erde einen fliehenden Turnus sehen? Ist es derart elend zu sterben? Ihr, oh Totengeister, seid mir gut, weil mir bei den Göttern die Zuneigung fehlt. Als heilige Seele, die von dieser Schuld nichts weiß, will ich zu euch absteigen, der ich niemals meiner großen Ahnen unwürdig war.“ Kaum hatte er dies gesagt – sieh! – da eilte mitten durch den Feind der von einem schäumenden Pferd getragenen Saces. Vorn an seinem Gesicht war er durch einen Pfeil verwundet. Er eilte dahin, während er Turnus mit seinem Namen anflehte: „Turnus, in dir liegt die letzte Hoffnung, erbarme dich der Deinen! Aeneas tobt mit seinen Waffen und droht die obersten Festungen der Italer zu zerstören und dem Untergang zu weihen und schon fliegen die Brandfackeln zu den Häusern. Auf dich richten die Latiner ihre Gesichter, auf dich ihre Augen. Der König Latinus selbst schwankt, welche Schwiegersöhne er rufen und zu welchen Bündnissen er sich wenden soll. Darüber hinaus (660) kam die Königin, deiner äußerst treue, durch ihre eigene Rechte um und floh aufgeschreckt vor dem Tag. Als einzige halten vor den Pforten Messapus und Atinas ihre Kampfreihen aufrecht. Um sie herum stehen die dichten Phalangen und das eisige Feld starrt vor gezückten Schwertern – und du treibst deinen Streitwagen auf einer verlassenen Wiese herum.“ Turnus staunte ob des bunten Bildes der Ereignisse verwirrt und stand in dessen stiller Betrachtung da. In einem einzigen Herzen wogten gewaltige Scham, mit Trauer vermischter Wahnsinn, sowie das von Raserei getriebene Verlangen und schuldbewusste Tugend. Sobald dem Verstand die Schatten vertrieben und das Licht zurückgegeben waren, wandte er sein (670) brennendes Blickfeld seiner Augen zu den Stadtmauern und blickte von seinem Streitwagen aus verwirrt zurück zur Stadt. Sieh jedoch: inmitten des Bretterwerks wogte ein sich dahin wälzender Flammenscheitel und hielt den Turm in seinen Fängen, den Turm, den er selbst aus zusammengefügten Balken errichtet hatte, unter den er Räder gefügt und hohe Brücken darüber gebreitet hatte. „Schon, ja schon, Schwester, besiegen mich die Fata, hör auf mich aufzuhalten! Lass uns dahin folgen, wohin mich ein Gott und die hartherzige Fortuna rufen! Es steht fest mit Aeneas zu kämpfen und es steht fest alles bittere nah am Tod zu erleiden und nicht wirst du, Schwester, mich (680) länger ruhmlos sehen. Lass mich bitte vorher noch diese Wut austoben!“ Das sagte er, machte einen Sprung vom Wagen, begab sich rasch durch Feindesfeld, stürzte durch die Waffen, verließ seine traurige Schwester, und brach in reisend schnellem Lauf mitten durch die Heereszüge – ganz 219 wie ein losgerissener Fels vom Gipfel eines Berges jäh mit dem Wind nach unten stürzt, sei es, dass der stürmische Regen ihn weggespült hat oder ihn das Alter gelöst hat, das sich mit den Jahren herangeschlichen hat. Der schlechte Teil des Berges stürzt ausgelöst von einem großen Schlag in den Abgrund und springt vom Boden auf, mit sich wälzt er Wälder, Herden und Männer. (690) Genauso stürzt Turnus durch die zersprengten Heereszüge zu den Mauern der Stadt. Sobald die Erde zahlreich von versprengtem Blut triefte und die Lüfte durch die Lanzen zischten, gab er mit seiner Hand ein Zeichen und begann zugleich mit lauter Stimme zu sprechen: „Spart es euch nun, Rutuler, und haltet ihr die Waffen still, Latiner! Um welches Los es sich auch immer handelt, es ist meins. Es ist aufrichtiger, dass ich an eurer Stelle für den Vertrag büße und mit dem Schwert um die Entscheidung kämpfe.“ Alle entfernten sich aus der Mitte und machten Platz. Der Vater Aeneas hingegen verließ, nachdem er den Namen des Turnus gehört hatte, die Mauern, sowie die höchsten Zinnen der Festung, ließ jede Verzögerung aus, unterbrach alle Aufgaben, war (700) übermütig vor Frohsinn und donnerte schrecklich mit seinen Waffen: Ebenso sehr wie wenn sich der Athos oder der Eryx oder selbst der Vater Appennin freut, der sich mit seinen zitternden Steineichen und mit seinem schneeweißen Gipfel in die Lüfte erhebt. Nun aber wandten die Rutuler, die Trojaner sowie alle Italer ihre Augen wetteifernd auf das Geschehen, und diejenigen, welche die hohen Mauern besetzt hielten sowie diejenigen, welche die unteren Mauern mit dem Rammbock stießen, legten ihre Rüstung von den Schultern. Selbst Latinus staunte darüber, dass die gewaltige Männer, aus verschiedenen Gegenden der Welt geboren, untereinander übereingekommen waren und mit dem Schwert um die Entscheidung kämpften. (710) Und jene, sobald sich das Feld in der leeren Ebene öffnete, schritten sie in schnellem Vormarsch mit handgemein geschleuderten Lanzen in den Kampf, samt Rundschilder und klingender Bronze. Die Erde gab ein Seufzen von sich. Dann verdoppelten sie die zahlreichen Hiebe mit ihren Schwertern: Zufall und Manneskraft vermischten sich zu einem Ganzen. Und es war ganz wie wenn in dem gewaltigen Sila oder ganz oben auf dem Taburnus zwei Stiere mit entgegen gerichteten Stirnen in den Kampf rennen, die ängstlichen Aufseher gewichen sind, das Kleinvieh vor lauter Furcht stumm dasteht, die jungen Kühe stumm abwarten, wer den Hain beherrschen und wem die ganze Herde folgen wird. (720) Die Stiere werden sich untereinander mit Gewalt viele Wunden zufügen. Indem sie Widerstand leisten stoßen sie dem anderen ihre Hörner hinein und baden ihre Hälse und ihren Vorderbug in reichlich Blut: Der ganze Hain hallt von ihrem Gebrüll wieder. Nicht anders stießen der Trojaner Aeneas und der Sohn des Daunus, der Held, samt ihren Rundschildern zusammen. Ein gewaltiges Krachen erfüllte den Äther. Jupiter selbst stellte zwei Schalen mit gleichem Gewicht auf und legte darin die verschiedenen Fata der beiden, wen die Strapaze des Kampfes verdammt und unter welchem Gewicht sie ihn dem Tod weiht. 220 Jetzt sprang Turnus hervor – straflos, wie er glaubte – und richtete sich mit seinem ganzen Körper hoch zu seinem erhabenen Schwert auf (730) und schlug zu. Die Trojaner sowie die aufgeregten Latiner schrien auf. Die Schlachtreihen der beiden waren aufgerichtet. Doch das treulose Schwert des Turnus brach und ließ den zornentbrannten Mann mitten im Schlag im Stich, wenn ihm nicht die Flucht als Hilfsmittel in den Sinn gekommen wäre. Er floh schneller als der Südostwind, als er den unbekannten Schwertgriff und seine unbewaffnete Rechte erblickte. Es gab das Gerücht, dass er eilig, als er die zusammengebundenen Pferde für die erste Schlacht bestiegen und das väterliche Schwert in der Aufregung zurückgelassen hatte, das Schwert seines Wagenlenkers Metiscus an sich gerissen hatte. Dies hatte lange ausgereicht, als ihm die Teucrer ihre flüchtenden Rücken zuwandten. Nachdem das (740) sterbliche Schwert aber auf die vulkanischen Waffen des Gottes traf, zersprang sie wie Eis unter einem Hieb. Die schimmernden Bruchstücke strahlten im Sand. Daher eilte Turnus von Sinnen auf seiner Flucht zu entfernten Ebenen und wand sich bald hierhin, bald dorthin in unsicheren Kreisbahnen. Von allen Seiten schlossen ihn nämlich die Teucrer mit einem dichten Zuschauerkreis ein, und von der einen Seite umgab ihn ein riesiger Sumpf, von der anderen Seite die steilen Stadtmauern. Nicht weniger eifrig verfolgte ihn Aeneas, obwohl seine Knie, die vom Pfeil noch manchmal gehemmt waren, ihn behinderten und den schnellen Lauf verweigerten und bedrängte die Füße des unruhigen Mannes hitzig mit seinen eigenen. Es war, wie wenn manchmal ein Jagdhund zufällig einen (750) Hirsch findet, der in einem Fluss eingeschlossen ist oder von der Furcht purpurner Federn, und ihm mit seinem Lauf und seinem Bellen droht. Jener hingegen flieht auf tausend Wegen hin und zurück, eingeschüchtert vom Hinterhalt und den tiefen Ufern. Doch der lebhafte Jagdhund hängt ihm keuchend an den Fersen, und schon packt er ihn. Als habe er ihn gepackt, kracht er mit seinen Wangen und vergeblich zugebissen wurde er verspottet. Dann aber bricht Geschrei aus, die Ufer und die Seen hallen ringsum wieder und der ganze Himmel ertönt von dem Aufruhr. Während Turnus floh, fuhr er zugleich alle Rutuler an, indem er jeden beim Namen nannte und forderte dringend sein Schwert. (760) Aeneas hingegen drohte mit dem Tod und entschlossen mit dem Verderben, falls jemand hinzukäme, und schüchterte die zitternden Männer damit ein, indem er ihnen androhte, die Stadt zu zerstören und setzte Turnus, wenn auch verwundet, nach. Fünfmal vollendeten sie in ihrem Lauf eine Kreisbahn, ebenso oft rannten sie zurück, hierhin und dorthin. Denn sie erstrebten keine unbedeutenden oder spaßhaften Belohnungen, sondern kämpften um das Leben und Blut des Turnus. Zufällig hatte hier ein dem Faunus geweihter Ölbaum mit bitteren Blättern gestanden, einst ein ehrwürdiger Baum für die Seeleute, wo die aus den Meereswogen geretteten Männer für gewöhnlich dem laurentischen Gott Gaben befestigten und ihre versprochenen Kleider aufhängten. 221 (770) Doch die Teucrer beseitigten seinen heiligen Stamm unterschiedslos, damit sie auf leerem Feld zusammentreffen konnten. Hier steckte die Lanze des Aeneas, hierhin hatte der Antrieb die feststeckende Waffe gebracht, und hielt sie in der zähen Wurzel. Der Dardaner strengte sich an, wollte mit der Hand das Eisen losreißen und den Mann mit dem Wurfgeschoss verfolgen, den er in seinem Lauf nicht hatte ergreifen können. Dann aber sagte Turnus, wahnsinnig vor Furcht: „Faunus, ich flehe dich an, erbarme dich meiner und du beste Erde – halt die Lanze fest, wenn ich eure Ehren stets verehrt habe, welche die Aeneaden hingegen im Krieg entheiligt haben.“ (780) Das sprach er, und er hatte die Hilfe des Gottes nicht in einem unnützen Gebet angerufen. Denn während sich Aeneas lange abmühte und an dem zähen Stamm verharrte, vermochte er es unter keinerlei Kräften die Waffe von dem Biss des Holzes zu trennen. Während er sich hitzig anstrengte und stehen blieb, lief die daunische Göttin, die sich erneut in die Gestalt des Wagenlenkers Metiscus verwandelt hatte, hervor und gab ihrem Bruder sein Schwert zurück. Weil sich Venus darüber empörte, dass dies der kühnen Nymphe erlaubt war, schritt sie herbei und riss die Waffe des Aeneas aus der tiefen Wurzel. Jene erhabenen Männer waren wieder zu Waffen und Mut gekommen, wobei der eine auf sein Schwert, der andere hitzige und groß gewachsene auf seine Lanze vertraute. (790) Sie stehen da, bereit für den Entscheidungskampf des keuchenden Mars. Der König des allmächtigen Olymp sprach unterdessen Iuno an, während er die Kämpfe von einer feurigen Wolke aus betrachtete: „Wann wird es nun ein Ende nehmen, Gattin? Was bleibt schließlich übrig? Du selbst weißt, und gestehst ein, es zu wissen, dass Aeneas als einheimischer Gott dem Himmel geschuldet und durch seine Fata zu den Sternen erhoben wird. Was stiftest du an? Oder aufgrund welcher Hoffnung hängst du in den eisigen Wolken? Ziemt es sich, dass ein Gott durch die Wunde eines Sterblichen verletzt wird? Oder ziemt es sich, dass Turnus sein entrissenes Schwert zurückgegeben wird (denn was vermag schon Iuturna ohne dich?) und dass den Besiegten die Kraft wächst? (800) Lass nun endlich ab und lass dich durch meine Bitten umstimmen, nicht dass dich schweigende so großer Schmerz auffrisst und mir nicht ständig traurige Sorgen aus deinem süßen Mund kommen. Es ist zum Äußersten gekommen. Du konntest die Trojaner über Länder und Meere jagen, einen unsäglichen Krieg entzünden, den Königspalast verunstalten und Hochzeit mit Trauer mischen: Weiteres zu versuchen verbiete ich dir!“ So begann Jupiter. Und so erwiderte die Göttin, Tochter des Saturn, gesenkten Blickes: „Weil mir dieser dein Wille freilich bekannt ist, erhabener Jupiter, habe ich gegen meinen Willen Turnus und die Erde verlassen. (810) Du würdest mich sonst nicht einsam auf dem luftigen Wohnsitz sehen, wie ich Würdiges und Unwürdiges ertrage, sondern ich würde mit Flammen umgürtet unter der Schlachtreihe selbst stehen und die Teucrer in eine feindliche Schlacht ziehen. Ich habe Iuturna geraten (ich gestehe es!) ihrem unglücklichen Bruder zu Hilfe zu kommen und es gutgeheißen für sein Leben Größeres zu wagen, aber nicht, dass sie mit 222 einer Waffe oder mit einem Bogen kämpfen sollte. Ich schwöre es beim nicht zu besänftigenden Quell der stygischen Quellen, die einzige heilige Furcht, die den himmlischen Göttern gegeben ist. Und nun weiche ich freilich und verlasse die Kämpfe voller Hass. Um jenes bitte ich dich, das von keinem Gesetz des Fatums gebunden ist, (820) für Latium und für die Erhabenheit der Deinen: Wenn sie nun durch eine glückliche Hochzeit Frieden schließen (so sei es!) und wenn sie nun Abkommen und Bündnisse schließen werden, befehle nicht, dass die einheimischen Latiner ihren Namen wechseln, oder Trojaner werden und sich Teucrer nennen, oder dass die Männer ihre Sprache wechseln oder ihre Kleidung verändern. Es sei Latium, es seien über Jahrhunderte hinweg albanische Könige, es sei die römische Nachkommenschaft, mächtig durch italische Tugend. Troja fiel, und du mögest zulassen, dass es samt seinem Namen gefallen ist.“ Während der Erfinder der Menschen und der Dinge ihr zulächelte, sprach er: (830) „Du bist die Schwester des Jupiter und der andere Nachkomme des Saturn und du wälzt so große Fluten von Zorneswallungen in deiner Brust. Aber los, zähme deine umsonst begonnene Raserei. Ich gewähre, was du willst und lasse besiegt und willig nach. Die Ausonier sollen die Sprache und die Sitten ihrer Väter haben, und wie der Name lautet, wird er auch in Zukunft lauten. Die Teucrer werden sich lediglich unter ihre Körperschaft gemischt ansiedeln. Ich will den Brauch, den Ritus der Opferhandlungen hinzufügen und ich werde sie durch eine Sprache alle zu Latinern machen. Von da an wird sich ein Geschlecht erheben, dass mit ausonischem Blut vermischt ist. Du wirst sehen, dass es mit seinem Pflichtgefühl die Menschen und die Götter überragt (840) und kein anderes Volk wird deine Ehren ebenbürtig feiern.“ Iuno stimmte diesen Dingen zu und änderte froh ihre Gesinnung. Während dessen entschwand sie aus dem Himmel und verließ die Wolke. Nachdem er diese Dinge ausgeführt hatte, erwog der Schöpfer etwas anderes mit sich und bereitete vor, Iuturna von den Waffen ihres Bruders fortzuschicken. Man spricht von zwei Scheusalen, die man auch Dirae nennt, welche die düstere Nacht in ein und derselben Geburt mit der höllischen Megaera hervorbrachte. Sie umwand sie mit den gleichen Windungen einer Schlange und fügte ihnen stürmische Flügel hinzu. Diese (850) erschienen am Thron des Jupiter und im Palast des wilden Königs. Sie schärfen den erschöpften Sterblichen Furcht ein, wenn der König der Götter einmal den schrecklichen Tod oder Krankheiten in Bewegung setzt, oder Städte durch Krieg in Schrecken hält, die das verdient haben. Die eine schnelle von ihnen schickte Jupiter vom hohen Äther und befahl ihr, dass sie als Omen der Iuturna begegnen sollte. Jene eilte dahin und stürzte sich in einem schnellen Wirbel zur Erde: Nicht anders wie ein mit dem Zorn eines grimmigen Giftes bewaffneter Pfeil, der von der Sehne durch die Wolke getrieben wird und den ein Parther – ein Parther oder ein Kydonier geschleudert hat, eine unheilbare Waffe, zischend und unerkannt durcheilt sie die schnellen Schatten. (860) Derart stürzte sich die Tochter der Nacht hinab und eilte zur Erde. Nachdem sie die 223 trojanischen Schlachtreihen und die Heereszüge des Turnus gesehen hatte, schrumpfte sie plötzlich in die Form eines kleinen Vogels, der nachts manchmal auf Grabmälern oder auf den verlassenen Giebeln sitzt und noch spät frech durch die Schatten singt – nachdem sie sich in diese Gestalt verwandelt hatte, begab sich das Scheusal vor das Gesicht des Turnus, verließ ihn singend wieder und schlug sein Rundschild mit den Flügeln. Jenem lähmte vor lauter Furcht neue Erstarrung seine Glieder, die Haare standen ihm vor Schrecken zu Berge, seine Stimme blieb ihm im Halse stecken. Doch sobald sie in der Ferne das Zischen und die Flügel der Dira erkannte, zerraufte die (870) unglückliche Iuturna ihr gelöstes Haar, während sie sich mit ihren Nägeln ihr Gesicht entstellte und ihre Brust durch Schläge. Sie sprach: „Wie kann dir, Turnus, deine Schwester jetzt helfen? Oder was bleibt mir Hartherzigen noch übrig? Mit welcher Kunst kann ich dir das Leben verlängern? Kann ich mich einem solchen Ungeheuer entgegenstellen? Schon, ja schon verlasse ich die Schlachtreihe. Erschreckt mich nicht, die ich euch fürchte, ihr scheußlichen Vögel: Ich bemerke die Flügelschläge, den tödlichen Klang und die erhabenen Befehle des großherzigen Jupiters täuschen mich nicht. Ist dies sein Preis für meine geopferte Jungfräulichkeit? Wozu hat er mir ein ewiges Leben gewährt? Warum ist mir die (880) Bedingung des Todes genommen? Ich könnte sicherlich so großem Schmerz nun ein Ende machen und meinem armen Bruder als Begleiterin durch die Schatten schreiten! Unsterblich bin ich? Oder wird mir irgendetwas ohne dich, Bruder, lieb sein, was mein ist? Oh, welche Erde will sich für mich tief genug spalten und mich als Göttin zu den tiefen Totengeistern schicken?“ Nachdem sie nur das gesprochen hatte, bedeckte sie ihr Haupt mit ihrem grauem Umhang, während sie viel seufzte und barg sich als Göttin im tiefen Fluss. Aeneas hingegen setzte nach und schwang seine gewaltige Waffe, die aus einem Baum gearbeitet wurde. Aus grimmiger Brust sprach er so: „Welche Verzögerung gibt es jetzt noch? Oder wieso sträubst du dich nun, Turnus? (890) Nicht im Lauf ist zu kämpfen, sondern mit wilden Waffen Mann gegen Mann. Verwandle dich in alle Gestalten und zieh alles zusammen, sei es, dass du durch Mut oder durch deine Kunstfertigkeit zu kämpfen vermagst. Wünsche dir mit Flügeln zu den Sternen steil oben zu eilen oder dich eingeschlossen in der hohler Erde zu verbergen.“ Jener schüttelte sein Haupt: „Deine hitzigen Worte erschrecken mich nicht, Wilder! Die Götter erschrecken mich, und mein Feind Jupiter!“ Mehr hatte er nicht mehr gesprochen und betrachtete einen gewaltigen Felsen, einen gewaltigen, altehrwürdigen Felsen, der zufällig auf dem Feld lag. Er wurde als Grenzstein für ein Feld dort hingelegt, um einen Streit um das Ackerland zu lösen. Mit Mühe könnten ihn ein Duzend ausgewählte Männer mit ihren Hälsen ziehen – (900) solche Männerkörper, wie sie die Erde nun hervorbringt. Turnus ergriff ihn mit seiner unruhigen Hand hastig und wollte ihn gegen den Feind schleudern, während sich der Held schnell laufend höher aufrichtete. Doch weder erkannte er sich 224 rennend noch laufend, wie er mit seiner Hand den gewaltigen Felsen emporhob und bewegte. Seine Knie schwankten, sein Blut erstarrte eisig vor Kälte. Dann legte selbst der Stein des Mannes, der durch die wertlose Leere wälzte, nicht die ganze Strecke zurück und überbrachte nicht den Hieb. Und es war, wie es uns im Schlaf scheint, sobald nachts die matte Ruhe die Augen zudrückt, als (910) wollten wir unseren hastigen Lauf vergeblich ausdehnen aber mitten in unserem Versuch niederfallen. Die Zunge vermag nichts, die vertrauten Kräfte im Körper reichen nicht und es folgen weder Stimme noch Worte: So versagt die unheilvolle Göttin dem Turnus den Erfolg, durch welche Mannhaftigkeit er auch immer einen Weg sucht. Dann wandten sich in seiner Brust verschiedene Gefühle. Er erblickte die Rutuler und die Stadt, zögerte aus Furcht und erzitterte davor, dass ihm der Tod bevorstand. Er sah nichts, wohin er sich dem Kampf entreißen konnte, keine Kraft, um gegen den Feind zu ziehen, nirgendwo ein Streitwagen oder seine Schwester, die Lenkerin. Aeneas schwang auf den zögernden Mann eine tödliche Lanze, (920) zielte glücklich, und schleuderte sie aus der Ferne in den ganzen Leib. So tosten niemals die von den Geschossen der Stadtmauer geschleuderten Steine, so sprangen niemals die so zahlreich krachenden Geräusche nach einem Blitz auseinander. Die Lanze flog wie ein finsterer Wirbel, unheilvolles Verderben bringend, herbei, durchbohrte die Ränder des Brustpanzers sowie die äußersten Rundungen des siebenschichtigen Rundschildes. Mitten hindurch sausend durchflog sie den Oberschenkel. Der gewaltige Turnus fiel getroffen zur Erde, nachdem seine Kniekehle durchbohrt wurde. Es erhoben sich die Rutuler unter Seufzen, ringsum hallte der ganze Berg wieder. Auch die hohen Haine schickten das Echo zurück. (930) Während Turnus seine schwachen Augen auf Aeneas richtete und ihm seine flehende Rechte demütig ausstreckte, sagte er: „Freilich habe ich es verdient und flehe nicht. Mache von deinem Los Gebrauch! Wenn dich irgendeine Sorge meines armen Vaters berühren kann, bitte ich dich (auch du hattest in Anchises einen solchen Vater), dass du dich des hohen Alters des Daunus und meiner erbarmst und mich, oder den der Oberwelt geraubten Körper – wenn dir das lieber ist – den Meinen zurückgibst. Du hast gesiegt und die Ausonier sahen, wie der Besiegte dir seine Handflächen ausstreckt. Dir gehört die Gattin Lavinia, strebe nicht weiter mit deinem Hass.“ Aeneas stand hitzig in seiner Rüstung, rollte die Augen und hielt seine Rechte zurück. (940) Und schon mehr und mehr begannen die Worte den zögernden Helden umzustimmen, als ihm der unglückliche Gürtel an Turnus‘ Schultern ins Auge fiel und als das Leinengewebe mit den bekannten Knöpfen des Jungen Pallas funktelte, den Turnus durch eine Wunde besiegt niedergestreckt hatte und von da an das Abzeichen des Feindes an seinen Schultern trug. Nachdem er mit seinen Augen das Andenken des grimmigen Schmerzes und die Beute eingesogen hatte, sprach er von Raserei und Zorn entflammt schrecklich: „Du willst mich dir von hier entreißen, gekleidet in der Beute der Meinen? Pallas fügt dir diese Wunde zu, Pallas opfert dich und lässt dich mit deinem verbrecherischen Blut büßen.“ (950) Während er dies sprach, barg er 225 wütend sein Schwert in die vor ihm befindliche Brust. Turnus hingegen erstarrten die Glieder vor Kälte; das entrüstete Leben floh ihm mit einem Seufzen hinunter in die Schattenwelt. 226