Platon, Laches Problemstellung: Einige reiche athenische Väter

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Platon, Laches Problemstellung: Einige reiche athenische Väter
Platon, Laches
Problemstellung:
Einige reiche athenische Väter haben ein ganz praktisches Erziehungsproblem für Sokrates (178a181d): Sie sind sich nicht einig, ob man Geld für Fechtunterricht für die Söhne ausgeben soll.1
S. meint: Um hier zu entscheiden, muß man sehen, worum es beim Fechtenlernen eigentlich geht
(185d).2 Die Antwort ist: um das Lernen einer Tugend, nämlich der Tapferkeit (andreia).
Eigentlich ist also zuerst zu klären:
Was ist Tugend (areth); oder wenigstens: was ist Tapferkeit? (190b/d)3
TEXTAUSSCHNITT 2
Einwand: Es gibt a) unvernünftige Beharrlichkeit (karteria met' afrosunhj) und
b) vernünftige Beharrlichkeit (fronimoj karteria).
pro "b)": Tapferkeit ist gut (kalon), Unvernunft nicht. Also kann a) nicht Tapferkeit sein.
Nur b), und zwar im Krieg, könnte also evtl. Tapferkeit sein.
Man sollte b) als Definiens allerdings noch einschränken, da z.B. beharrliche und vernünftige
Investitionen kein Fall von Tapferkeit sind (192e), [so daß man erhält:
Versuch einer Verbesserung des 2. Def.vorschlags:
Tapferkeit ist vernünftige Beharrlichkeit im Krieg.]
contra b): Andererseits: In aussichtslos scheinender Situation noch weiterkämpfen wird als tapfer
gewertet, ist aber unvernünftig. (192b-193d)
Ratlosigkeit (und Aufgeben des Laches):
Offenbar ist es doch möglich, tapfer zu sein (ergw andreiaj metexein), ohne sie definieren zu
können (logw metexein). (193d-194b)4
3. Definitionsversuch (Nikias (in Anlehung an den Sophisten Prodikos)5 : Tapferkeit ist eine
1
Dafür spricht (laut Nikias): Fechten ist nützlich, um sich zu verteidigen. Dagegen (laut Laches): 1) Es ist nicht
klar, ob Fechten überhaupt eine (durch Unterricht erlernbare) Kunst (maqhma) ist; 2) Fechtmeister sind im Ernstfall
noch nie gute Soldaten gewesen;3) Nach Sparta, wo man traditionell am besten ficht, traut sich kein Fechtmeister.
(181d-184c)
2
S. warnt zunächst länger vor seiner Art der Gesprächsführung, und, daß er ja gar kein Experte ist. 188a bringt
die interessante Charakterisierung durch Nikias, daß S. einen letztlich immer dazu bringe, die eigene Lebensweise zu
rechtfertigen. Laches hofft, in ihm einen besonders harmonischen Menschen zu treffen (188d).
3
S. schickt voraus [know-how - know-what - These]: Wenn man weiß, daß a) der Besitz von X einen besser
macht als der Nichtbesitz von X; b) wie X jemandem beizubringen ist, dann weiß man, was X ist (190a).Das scheint
nicht sehr plausibel, insbesondere wenn "Wissen, was X ist", in der Fähigkeit zu einer expliziten Definition bestehen
soll.
4
Und zwar wohl entgegen der "know-how - know-what -These".
5
Es gibt also durchaus Sophisten, die definieren!
Klugheit (sofia), nämlich, wissen, was gefährlich und ungefährlich ist (deinwn kai
qarralewn episthmh), d.h. - 198c - für die Zukunft gut oder schlecht. (194d-195a)
(gefährlich = in bezug auf die Zukunft schlecht)
(ungefährlich = in bezug auf die Zukunft gut) (vgl. 199b)
Einwand (Laches): Das wissen auch Ärzte, die aber nicht tapfer sind. (195b/c)
Verteidigung (Nikias): Nein, sie wissen, was nützlich ist, um gesund zu werden. Ob es aber für
jemanden eigentlich gut oder schlecht ist, gesund zu werden, wissen sie nicht. (195c/d)
Im übrigen sei es wichtig, das Wissen zu betonen, denn sonst müßten z.B. auch Tiere, die die
Gefahr intuitiv meiden, als tapfer gelten. (196d-197d)
S. macht den Versuch einer Verbesserung des 3. Def.vorschlages: Wissen bezieht sich nie nur auf
die Zukunft. Wenn man über etwas bescheid weiß, dann in bezug auf Gegenwart, Zukunft und
Vergangenheit. Demnach muß man sagen:
Tapferkeit ist wissen, was gut und schlecht ist. (197e-199e)
[Doch das ist offenbar für Tapferkeit zu weit. Tapferkeit ist nur wissen, was gut und schlecht ist
für bestimmte Fälle.6 Offenbar ist man stattdessen zu einer allgemeinen Definition der Tugend
gelangt. Es muß also heißen:]
Tugend ist wissen, was gut und schlecht ist (199e).7
Die Definition von Tapferkeit ist also nicht erreicht, und damit auch keine Antwort auf die Frage,
ob man Fechtunterricht nehmen solle, um tapfer zu werden.8 Man vertagt sich. (200a-201c).
6
Es ist schwer zu sehen, warum man hier nicht einfach die in 192d im Parallelfall erfolgreiche eingesetzte
Einschränkung "im Krieg" o.ä. versucht, die sogar in der Formulierung von Nikias in 195a ("im Krieg und sonst") auf
der Hand liegt.
7
Das ist natürlich nur eine Faustformel. Denn weiterzufragen wäre nun, was denn gut und schlecht ist. In den
weiteren Frühdialogen wird das Gute mal vom Angenehmen scharf abgegrenzt (Gorgias), mal als das eigentlich
Angenehme aufgefaßt (Protagoras), jedoch nie definiert. In der Politeia weigert sich Sokrates schließlich explizit, das
Gute zu definieren (vgl. die Einleitung zum Sonnengleichnis). Anstelle der Definition tritt die Schau der Idee des Guten.
8
Implizit ist die Antwort aus Platon/Sokrates' Perspektive: nein. Denn ein Wissen, was in einem bestimmten
Fall [objektiv] gut und schlecht ist, ist vom Fechtmeister als einem Meister der Geschicklichkeit wohl kaum zu erwarten
- eher vom Philosophen Sokrates. Es sieht ganz danach aus, daß Platon eine Analogie Fechtmeister - Sophist aufbauen
will (sie wären Meister des Wortgefechts). Dafür spricht stark die Beschreibung der Fechtmeister in 182e-184c.