Programmheft 2. Liederabend
Transcrição
Programmheft 2. Liederabend
TENOR: M A RK P A DMOR E ↖ 2. LIEDE R A BEND EN R N H A U S N O I S S A E P UHR | OP 2012, 20 UNI S TOTIJN S O, 2 4 . J TIA NNE IS R H C : OPR A N , ME Z ZO S RK PA DMORE ONG LEE MA : Y UN JE ER N E M T E N O R: IM L AUEN S T N A Z IEG DREI F R LV IA RE Y S , N H SO AKE ELINOR LIUS DR U J : R IE K L AV G HÖNBER89 9) C S D L O (1 A RN . 2 NR . 1 UNG OP 8 9 9) E R WA R T 3 NR. 3 (1 R. 2 (19 0 3) . P O G N N WA R N U EN OP. 3 G E R EG T F U A IE D NN SCHUMA0 NR. 1 (18 40) T R E B O 4 R 4 0) HEN OP. ILC 2 (18 M Ä R Z V E AUM OP. 4 0 NR. R T 8 4 0) MU T T ER T OP. 4 0 NR. 3 (1 0) A D R. 4 (18 4 DER S OL OP. 4 0 N N N A M L DER SP IE BRIT TENND IS A AC OP. 51 N I M A J A BEN 9 5 2) R AHAM E II: A B ENOR (1 C A N T ICL S OP R A N UND T Z ZO F ÜR ME – – PAUSE N ÁČEK E NE N LEOŠ JA EINE S V ERSCHOLRL AUENS TIMMEN CH D DREI F TAGEBU , A LT UN R O N E T F ÜR 17/ 19) V IER (19 MIT K L A R A BE ND M L IEDE E S IE D U 7 UND TE X TE Z 6 , 10 5 –10 1 N 1 E – 4 T 1 1 N O N T E DIE V ER EN SEIT IE AUF D S N E D F IN 117 – 12 7. 47 T EN G E W E B TIEF E H C L E »W HE N , C F U Ä N, L L E B E N S E ID E N S C H A F T E « L Z! W E L C H E IL D E R S C H M E R W WELCGHIOʼ MOR ABITO V O N S ER Passionen – unter diesen Titel ist unser 2. Liederabend gestellt. Er verweist auf das Zweideutige und Abgründige der ausgewählten Gedichtvertonungen. Passion: das ist die Leidenschaft, der Affekt, die Begeisterung bis hin zur Obsession, aber auch: das Leiden, die Krankheit, der Leidensweg, auch die Leidensgeschichte schlechthin – das Martyrium Christi. Diese thematische Verflechtung ist für den Begriff der Passion geradezu konstitutiv. Walter Benjamin hat »Leidenschaft« als eine dem »Schuldzusammenhang alles Lebendigen« verfallen bleibende Liebe definiert, als gleichsam transzendenzloses Begehren. Letztlich ist es die Sphäre des mythischen Opferrituals, auf die der Begriff in all seinen schillernden Bedeutungen verweist. Brittens Canticle II konfrontiert uns mit dem Sohnesopfer, zu dem Abraham sich bereit erklären muss. Die Texte von Schumanns Andersen-Liedern op. 40 scheinen von destruktiven Energien geradezu imprägniert. Und selbst die Emanzipation von Janáčeks scheinbar so unbedarftem bäuerlichen Tagebuchschreiber Janík, der der Zigeunerin Zefka ins Exil folgt, bleibt durch die Absage an Vater und Mutter dem »Abgrund der Familie« (Walter Benjamin) verhaftet, dem er sich durch Flucht zu entziehen sucht. Schönbergs Gottried Keller-Vertonung Die Aufgeregten aus op. 3 erscheint hier als willkommenes ironisches Korrektiv, ohne doch die Spannung in den darin geschilderten Miniatur-Katastrophen der Natur ganz auflösen zu können oder zu wollen. 48 2. LIEDERABEND N CHUM A N S T R E B R RO N-L IEDE V IER A N DER SE Schumann vertonte sie in seinem »Jahr der Lieder« 1840 vom 16. bis 18. Juli. Er wählte vier Andersen-Gedichte, in Übersetzungen Adelbert von Chamissos, die er dem gleichen Heft entnahm, in dem er auch Frauenliebe und -leben gefunden hatte. Er ergänzte sie durch eine fünfte Übersetzung Chamissos, die eines neugriechischen Volksliedes. Die Edition ging als Geschenk mit einem Begleitschreiben an den befreundeten Märchendichter, in dem es unter anderem heißt: »Nehmen Sie denn meine Musik zu Ihren Gedichten freundlich auf! Sie wird Ihnen vielleicht im ersten Augenblick sonderbar vorkommen. Ging es mir doch selbst erst mit Ihren Gedichten so! Wie ich mich aber hineinlebte, nahm auch meine Musik einen immer fremdartigeren Charakter an. Also, an Ihnen liegt die Schuld allein. Andersens Gedichte muss man anders komponieren als ›Blühe, liebes Veilchen‹ … « Wie Ironie mutet es an, dass das erste Gedicht Märzveilchen heißt. Es besingt den Blick eines blauen Augenpaars hinter einer von Eisblumen überzogenen Fensterscheibe. Die Warnung, mit der es endet, klingt in der Komposition freundlich-wissend, nicht bedrohlich. Anders der beunruhigende Muttertraum, eine zweistimmige, dann dreistimmige Studie im Stile Bachs, die diesen Duktus erst mit dem Menetekel der Raben über hart-kalten Dur-Akkorden aufgibt. Der Bezug zu Zwielicht aus den Eichendorff-Liedern ist unüberhörbar. Der starr rhythmisierte Exekutionsmarsch in Der Soldat lässt an Mahler denken. Die Singstimme setzt piano ein, während das Klavier im forte das Dröhnen der Basstrommel markiert. Das Schuldbekenntnis unterbricht den Kondukt: »Ich aber, ich traf, ich traf ihn mitten in das Herz!« − ein unaufgelöst auf der Dominante endender rezitativischer Epilog. Mit der Unglückshochzeit in Der Spielmann begegnet uns ein obsessives Motiv von Schumanns Schaffen. Das Klavier imitiert verstimmt wirkende Doppelgriffe auf der Geige des Spielmanns, der zum Tanz seiner Geliebten mit einem andern Bräutigam aufspielt, in einem immer wilder repetierten Walzerrhythmus mit vorbeirauschenden Fetzen der Tanzmelodie. Nach der Zerstörung des Instruments, im langen Nachhall des Spuks gibt sich unter der Maske des Erzählers der »Spielmann« halb zu erkennen. PASSIONEN 49 BRIT TENND IS A AC N I M A J BEN AHAM A C A N T ICL E II: A BR Die christliche Tradition bezeichnet die Episode der Genesis als ›Opferung Isaaks‹, während die rabbinische Theologie – sachlich zutreffender – von der ›Bindung Isaaks‹ spricht, kodifiziert der Bericht der Hebräische Bibel doch gerade die Suspension des mythischen Sohnesopfers. Britten vertont die Episode in der Bearbeitung eines Mysterienspiels aus der ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Sammlung der Chester Mystery Plays. Diese wurden von den Handwerker- und Kaufmanns-Gilden der im Nordwesten Englands gelegenen Stadt bei Fronleichnamsprozessionen präsentiert, als eine Art Spektakel-Predigt für die des Lateinischen nicht kundige Bevölkerung. Für Britten ging es darum, mit Hilfe dieser Komposition, die im Januar 1952 für den Tenor Peter Pears und die Altistin Kathleen Ferrier entstand und im Rahmen eines Benefizkonzertes in Nottingham uraufgeführt wurde, Sponsoren zu finden für die von ihm 1947 gegründete English Opera Group. Zuvor hatte er die Arbeit an der Oper Billy Budd abgeschlossen, in der Captain Vere sich durch die Hinrichtung eines Unschuldigen in ein ähnliches Dilemma gestellt sieht wie der biblische Patriarch. Britten hat den Text wie eine Kantate teilweise rezitativisch, teilweise als Arie oder Duett vertont, wobei die einzelnen Abschnitte in einander übergehen und auf großformaler Ebene miteinander korrespondieren. Während die rezitativischen Passagen große harmonische Instabilität aufweisen, ist die Melodik der geschlossenen Episoden vergleichsweise einfach harmonisiert. Die das Opfer verlangende Stimme Gottes gestaltet Britten durch eine engintervallige, synchrone Psalmodie beider Gesangsstimmen über einem arpeggierten Es-Dur-Akkord. Überlappend zur im Alt verklingenden Stimme Gottes setzt der Tenor als Abraham ein. Er versichert in seinen Worten Gott seiner Ergebenheit, moduliert jedoch gesanglich in wenigen Takten enharmonisch nach dem entfernten A-Dur, derart eine Spannung etablierend, die den Tonartenplan des Werkes bestimmt und zuletzt – analog zum Verzicht Gottes auf den Vollzug des Opfers – ihrer Auflösung zugeführt wird. 50 2. LIEDERABEND NE N N ÁČEK LEOŠ JA EINE S V ERSCHOLLE C TAGEBU H Das Tagebuch eines Verschollenen markiert eine wichtige Zäsur in der Vita seines Komponisten. Mit der Neuinszenierung seiner in der Brünner Provinz 1912 unbeachtet uraufgeführten Oper Jenufa am Nationaltheater Prag, begann ab 1916 jener internationale Erfolg, der ihm bislang versagt geblieben war. Im darauffolgenden Jahr trat eine junge Frau in das Leben des 63jährigen. Ihr sollte er sein gesamtes weiteres Schaffen zueignen: Kamila Stösslová. Nach dem Kennenlernen in der Sommerfrische des Kurbads Luhačovice entsann sich Janáček eines Gedichtzyklusʼ, der im Vorjahr in einer Brünner Tageszeitung anonym erschienen war; angeblich die zurückgelassenen Aufzeichnungen eines jungen Bauern, die über dessen spurloses Verschwinden Auskunft gaben. Sie erzählen von Janíks erotischer Verfallenheit an die Zigeunerin Zefka, seiner zwanghaften und zugleich befreienden Annäherung an sie und seinem Ausbruch aus den dörflichen Bindungen mit Zefka und dem gemeinsamen Kind. (Erst 1997 wurde der Volksdichter Josef Kalda als Urheber dieser Mystifikation ausfindig gemacht.) Janáček war von Anfang an durch die sprachmelodischen Anklänge an seinen mährischen Heimatdialekt fasziniert, und als sich die Gestalt der Zigeunerin als Projektionsfläche für Kamila anbot, begann die Komposition, die 1919 abgeschlossen war. Das Werk ist unkonventionell, wie alles, was der reife Janáček anfasste: Eine aus 22 hochgradig verdichteten Miniaturen verknüpfte Szenenfolge, die dem Besten an die Seite zu stellen ist, was Janáček für die Opernbühne schuf. In ihr kommt nicht nur Janík zu Wort, sondern ab dem 9. Lied auch die Altstimme der Zefka, deren Sog durch den Echoraum eines dreiköpfigen weiblichen Vokalensembles intensiviert wird. Janáček vermeidet jedes Klischee musikalischer Zigeunerinnenerotik, Zefkas Stimme lockt eher durch zurückhaltende Sanftheit und Süße. Janíks Gesang ist durch haltlose Kontraste geprägt, und die harmonische, melodische und metrische Unruhe des Klaviers scheint stellenweise eher bestimmt, den Protagonisten bei seinen Fluchtbewegungen stolpern zu lassen als ihn zu stützen. Die Liebesbegegnung und Janíks Verlust der Ehrbarkeit (oder Keuschheit) ereignet sich als reines Klavierstück (Nr. 13). PASSIONEN 51