Programmheft 2. Liederabend

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Programmheft 2. Liederabend
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Passionen – unter diesen Titel ist unser 2. Liederabend gestellt.
Er verweist auf das Zweideutige und Abgründige der ausgewählten
Gedichtvertonungen. Passion: das ist die Leidenschaft, der Affekt,
die Begeisterung bis hin zur Obsession, aber auch: das Leiden, die
Krankheit, der Leidensweg, auch die Leidensgeschichte schlechthin – das Martyrium Christi. Diese thematische Verflechtung ist
für den Begriff der Passion geradezu konstitutiv. Walter Benjamin hat »Leidenschaft« als eine dem »Schuldzusammenhang alles
Lebendigen« verfallen bleibende Liebe definiert, als gleichsam
transzendenzloses Begehren. Letztlich ist es die Sphäre des mythischen Opferrituals, auf die der Begriff in all seinen schillernden
Bedeutungen verweist.
Brittens Canticle II konfrontiert uns mit dem Sohnesopfer, zu
dem Abraham sich bereit erklären muss. Die Texte von Schumanns
Andersen-Liedern op. 40 scheinen von destruktiven Energien geradezu imprägniert. Und selbst die Emanzipation von Janáčeks
scheinbar so unbedarftem bäuerlichen Tagebuchschreiber Janík,
der der Zigeunerin Zefka ins Exil folgt, bleibt durch die Absage an
Vater und Mutter dem »Abgrund der Familie« (Walter Benjamin)
verhaftet, dem er sich durch Flucht zu entziehen sucht. Schönbergs
Gottried Keller-Vertonung Die Aufgeregten aus op. 3 erscheint hier
als willkommenes ironisches Korrektiv, ohne doch die Spannung
in den darin geschilderten Miniatur-Katastrophen der Natur ganz
auflösen zu können oder zu wollen.
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Schumann vertonte sie in seinem »Jahr der Lieder« 1840 vom 16. bis 18. Juli.
Er wählte vier Andersen-Gedichte, in Übersetzungen Adelbert von Chamissos,
die er dem gleichen Heft entnahm, in dem er auch Frauenliebe und -leben gefunden hatte. Er ergänzte sie durch eine fünfte Übersetzung Chamissos, die
eines neugriechischen Volksliedes. Die Edition ging als Geschenk mit einem Begleitschreiben an den befreundeten Märchendichter, in dem es unter anderem
heißt: »Nehmen Sie denn meine Musik zu Ihren Gedichten freundlich auf! Sie
wird Ihnen vielleicht im ersten Augenblick sonderbar vorkommen. Ging es mir
doch selbst erst mit Ihren Gedichten so! Wie ich mich aber hineinlebte, nahm
auch meine Musik einen immer fremdartigeren Charakter an. Also, an Ihnen
liegt die Schuld allein. Andersens Gedichte muss man anders komponieren als
›Blühe, liebes Veilchen‹ … «
Wie Ironie mutet es an, dass das erste Gedicht Märzveilchen heißt. Es besingt den Blick eines blauen Augenpaars hinter einer von Eisblumen überzogenen Fensterscheibe. Die Warnung, mit der es endet, klingt in der Komposition
freundlich-wissend, nicht bedrohlich. Anders der beunruhigende Muttertraum,
eine zweistimmige, dann dreistimmige Studie im Stile Bachs, die diesen Duktus erst mit dem Menetekel der Raben über hart-kalten Dur-Akkorden aufgibt. Der Bezug zu Zwielicht aus den Eichendorff-Liedern ist unüberhörbar. Der
starr rhythmisierte Exekutionsmarsch in Der Soldat lässt an Mahler denken.
Die Singstimme setzt piano ein, während das Klavier im forte das Dröhnen der
Basstrommel markiert. Das Schuldbekenntnis unterbricht den Kondukt: »Ich
aber, ich traf, ich traf ihn mitten in das Herz!« − ein unaufgelöst auf der Dominante endender rezitativischer Epilog. Mit der Unglückshochzeit in Der Spielmann begegnet uns ein obsessives Motiv von Schumanns Schaffen. Das Klavier
imitiert verstimmt wirkende Doppelgriffe auf der Geige des Spielmanns, der
zum Tanz seiner Geliebten mit einem andern Bräutigam aufspielt, in einem
immer wilder repetierten Walzerrhythmus mit vorbeirauschenden Fetzen der
Tanzmelodie. Nach der Zerstörung des Instruments, im langen Nachhall des
Spuks gibt sich unter der Maske des Erzählers der »Spielmann« halb zu erkennen.
PASSIONEN
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Die christliche Tradition bezeichnet die Episode der Genesis als ›Opferung
Isaaks‹, während die rabbinische Theologie – sachlich zutreffender – von der
›Bindung Isaaks‹ spricht, kodifiziert der Bericht der Hebräische Bibel doch gerade die Suspension des mythischen Sohnesopfers. Britten vertont die Episode
in der Bearbeitung eines Mysterienspiels aus der ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Sammlung der Chester Mystery Plays. Diese wurden von den Handwerker- und Kaufmanns-Gilden der im Nordwesten Englands gelegenen Stadt
bei Fronleichnamsprozessionen präsentiert, als eine Art Spektakel-Predigt für
die des Lateinischen nicht kundige Bevölkerung.
Für Britten ging es darum, mit Hilfe dieser Komposition, die im Januar 1952
für den Tenor Peter Pears und die Altistin Kathleen Ferrier entstand und im
Rahmen eines Benefizkonzertes in Nottingham uraufgeführt wurde, Sponsoren
zu finden für die von ihm 1947 gegründete English Opera Group. Zuvor hatte er
die Arbeit an der Oper Billy Budd abgeschlossen, in der Captain Vere sich durch
die Hinrichtung eines Unschuldigen in ein ähnliches Dilemma gestellt sieht wie
der biblische Patriarch.
Britten hat den Text wie eine Kantate teilweise rezitativisch, teilweise als
Arie oder Duett vertont, wobei die einzelnen Abschnitte in einander übergehen
und auf großformaler Ebene miteinander korrespondieren. Während die rezitativischen Passagen große harmonische Instabilität aufweisen, ist die Melodik
der geschlossenen Episoden vergleichsweise einfach harmonisiert. Die das
Opfer verlangende Stimme Gottes gestaltet Britten durch eine engintervallige, synchrone Psalmodie beider Gesangsstimmen über einem arpeggierten
Es-Dur-Akkord. Überlappend zur im Alt verklingenden Stimme Gottes setzt der
Tenor als Abraham ein. Er versichert in seinen Worten Gott seiner Ergebenheit, moduliert jedoch gesanglich in wenigen Takten enharmonisch nach dem
entfernten A-Dur, derart eine Spannung etablierend, die den Tonartenplan des
Werkes bestimmt und zuletzt – analog zum Verzicht Gottes auf den Vollzug des
Opfers – ihrer Auflösung zugeführt wird.
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2. LIEDERABEND
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Das Tagebuch eines Verschollenen markiert eine wichtige Zäsur in der Vita seines Komponisten. Mit der Neuinszenierung seiner in der Brünner Provinz 1912
unbeachtet uraufgeführten Oper Jenufa am Nationaltheater Prag, begann ab
1916 jener internationale Erfolg, der ihm bislang versagt geblieben war. Im
darauffolgenden Jahr trat eine junge Frau in das Leben des 63jährigen. Ihr
sollte er sein gesamtes weiteres Schaffen zueignen: Kamila Stösslová. Nach
dem Kennenlernen in der Sommerfrische des Kurbads Luhačovice entsann sich
Janáček eines Gedichtzyklusʼ, der im Vorjahr in einer Brünner Tageszeitung
anonym erschienen war; angeblich die zurückgelassenen Aufzeichnungen eines
jungen Bauern, die über dessen spurloses Verschwinden Auskunft gaben. Sie
erzählen von Janíks erotischer Verfallenheit an die Zigeunerin Zefka, seiner
zwanghaften und zugleich befreienden Annäherung an sie und seinem Ausbruch
aus den dörflichen Bindungen mit Zefka und dem gemeinsamen Kind. (Erst 1997
wurde der Volksdichter Josef Kalda als Urheber dieser Mystifikation ausfindig
gemacht.) Janáček war von Anfang an durch die sprachmelodischen Anklänge
an seinen mährischen Heimatdialekt fasziniert, und als sich die Gestalt der
Zigeunerin als Projektionsfläche für Kamila anbot, begann die Komposition,
die 1919 abgeschlossen war. Das Werk ist unkonventionell, wie alles, was der
reife Janáček anfasste: Eine aus 22 hochgradig verdichteten Miniaturen verknüpfte Szenenfolge, die dem Besten an die Seite zu stellen ist, was Janáček
für die Opernbühne schuf. In ihr kommt nicht nur Janík zu Wort, sondern ab
dem 9. Lied auch die Altstimme der Zefka, deren Sog durch den Echoraum eines
dreiköpfigen weiblichen Vokalensembles intensiviert wird. Janáček vermeidet
jedes Klischee musikalischer Zigeunerinnenerotik, Zefkas Stimme lockt eher
durch zurückhaltende Sanftheit und Süße. Janíks Gesang ist durch haltlose
Kontraste geprägt, und die harmonische, melodische und metrische Unruhe
des Klaviers scheint stellenweise eher bestimmt, den Protagonisten bei seinen
Fluchtbewegungen stolpern zu lassen als ihn zu stützen. Die Liebesbegegnung
und Janíks Verlust der Ehrbarkeit (oder Keuschheit) ereignet sich als reines
Klavierstück (Nr. 13).
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