Standpunkte verstehen
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Standpunkte verstehen
Standpunkte verstehen Wege zur Verständigung Beschreibung des Ausstellungsvorhabens aus dem Sommer 1989 1. Antisemitismus in gotischen Passionsdarstellungen Schon in frühen Darstellungen zur biblischen Geschichte des Neuen Testaments findet man eigenartig trichterförmige Kopfbedeckungen auf den Häuptern männlicher Figuren. Diese zuckerhutförmigen Gebilde werden als „Judenhut“ bezeichnet.1 Außerdem waren gelbe Barette und um den Hut genähte gestreifte Leinwand als Erkennungsmerkmal gebräuchlich. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ist infolge eines Beschlusses des Konzils von Wien eine hornartige Biegung dieses Objektes vorgeschrieben ( cornutum pileum ). Auf einer Darstellung der Flucht aus Ägypten des Schlesischen Museums in Breslau wird etwa Joseph mit einem Judenhut gezeigt.2 Ganze Gruppen von nicht negativ charakterisierten Assistenzfiguren werden so als Landsleute Jesu gekennzeichnet. In einer Weltchronik aus der Münchner Staatsbibliothek3 überreicht etwa Moses die Gesetzestafeln einer Versammlung von Männern mit Spitzhüten. In der fraglichen Epoche werden die Schuldigen an der Gefangennahme, Geißelung, Verspottung und schließlichen Kreuzigung Christi von vielen Künstlern als ganz gewöhnliche zeitgenössische Schergen und Landsknechte abgebildet. Die Thematik wird zwar zur Auseinandersetzung mit dem körperlichen, gestischen und mimischen Ausdruck menschlicher Bosheit benutzt. Eine rassistische Denunziation ist aber in dieser Typologie des Bösen noch nicht zu erkennen. In bestimmten Werken wird nun diese dämonisch verzerrte Inszenierung der Peiniger des Heilandes mit einer eindeutigen Markierung versehen. Bei der Wiedergabe der Fesselung , Gefangennahme und des Verhöres, der Verspottung und Dornenkrönung, der Geisselung und Kreuztragung werden 1 Encyclopaedia Judaica, Das Judentum in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1932, Bd. IX, col. 547 2 Alfred Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Berlin 1934, Bd. 2, Abb. 127 3 Stange a.a.O., Abb. 3 die Täter als Mischling aus Türke und Teufel gebrandmarkt. Dunkelhäutige Gestalten mit krummen Nasen, spitzen Ohren und schwarzen Locken werden zudem durch gehörnte Kappen oder Spitzhüte bloßgestellt. Um jeden Zweifel auszuschließen, wird der Gewandsaum mit hebräischen Schriftzeichen eingefaßt. Über den Häuptern dieser Figuren wehen Fahnen oder Spruchbänder mit fremdsprachiger Aufschrift. Dazu wird bevorzugt die gelbe Farbe verwendet, die Juden auch als Schandfleck auf der Kleidung in der Öffentlichkeit tragen müssen.4 Hier handelt es sich offensichtlich nicht mehr um eine allgemeine Veranschaulichung des Schauplatzes "Palästina", oder der handelnden Personen aus diesem Lande. Hier dient die religiöse Belehrung als Vorwand für Hetze und Verfolgung. Kreuzigungsszenen, die links vom Kruzifix die Gläubigen und rechts die Ungläubigen zeigen,5 entsprechen dem Bild vom Jüngsten Gericht, mit Paradiesespforten zur Linken und Höllenschlund zur Rechten. Auf einer Kreuztragung im Nationalmuseum wird fast die gesamte Anzahl der hämischen 4 Encyclopaedia Judaica a.a.O., col. 545 5 Stange a.a.0. Bd. 3, Abb. 45, Altar aus der Kirche Warendorf bei Münster, Triptychon mit Kreuzigungsszene; sowie : Kreuzigung Christi, Erasmus Grasser zugeschrieben, um 1480, Diözesanmuseum Freising, D 733o Zuschauer mit knaufartigen Gebilden auf Hüten und Helmen gezeigt, wie sie auch die typischen Kopfbedeckungen der Juden im Mittelalter zieren. Christus und sein Gefolge sind dagegen mit betont nordischem Gesichtsschnitt, geraden Nasen und ausgewogenen Proportionen abgebildet. Er muß an einer übermächtigen Front von teils berittenen und bewaffneten fremdländischen Peinigern vorbeiziehen. Seine Schar wirkt gegen die Überzahl grobschlächtiger und gewaltlüsterner Rohlinge einsam und verlassen. Auf dem linken Flugel des Triptychons wird gezeigt, wie die fremde Macht mit Arglist und Gewalt in die Idylle des Gartens Gethsemane eindringt, um ihres Opfers habhaft zu werden. Der Verdacht liegt nahe, daß hier in der Umkehrung eine unbewußte Auseindersetzung mit den zeittypischen Judenverfolgungen zu sehen ist. Das entgegengesetzte Zahlenverhältnis dürfte zu dieser Zeit in den Städten geherrscht haben und so kann das Gemälde gut als ungewollte Dokumentation eines Pogromes gelten. 2. Die Rolle jüdischer Künstler in der Moderne. Hier mußten die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Kunsterziehung eine entsprechende Untersuchung arbeitsteilig durchführen. Der Bildhauer Ossip Zadkine hat wahrscheinlich mit seinem Bronzemonument „The Destroyed City“ nicht nur ein Denkmal für die im Mai 1940 zerstörte Hafenstadt Rotterdam setzen wollen. Man wird auch sein weiteres Werk und seine Biografie kennenlernen mussen, um seine Intentionen richtig zu verstehen. Die Kenntnis des Werkes der Berliner Architekten Alfred Messel und Erich Mendelsohn ist wichtig für die Auseindersetzung mit der fortschrittlichen Baukunst am Anfang unseres Jahrhunderts. Eine nähere Betrachtung ihrer Werke verspricht neue Erkenntnisse über die Avantgarde der Vorkriegszeit. Marc Chagall und Amedeo Modigliani gehoren zu den großen Berühmtheiten der Kunstgeschichte. Über ihr Leben und ihre Beziehung zum israelitischen Glauben und zu den Judenverfolgungen ihrer Zeit sollten wir uns informieren. Welche Bedeutung hatte das Judentum fur den Künstler der russischen Revolutionszeit El Lissitzky oder für den sozialkritischen Dokumentaristen der amerikanischen Wirtschaftskrise Ben Shahn? Wie setzte sich der Berliner Maler Max Liebermann damit auseinander ? Was bedeutete diese Religion für einen politisch engagierten Künstler,den Verfechter der entlarvenden und aufklärenden Fotomontage, John Heartfield ? 3. Das Bild von den Juden in der Druckgrafik. Zuerst sei eine Reihe einfühlsamer Porträts in verschiedenen interessanten künstlerischen Drucktechniken genannt : die Radierung des Manasse ben Israel von Rembrandt6, das Schabkunstblatt des Josef David Sinzheim7, das Konterfei des Moses Mendelsohn"von Chodewiecki in Crayonmanier.8 Daneben ließe sich ein Titelkupfer zu einem Werk des Philosophen, Arztes und Rabbis Joseph Delmedigo,9 oder eine Ätzradierung zeigen, die den „Lettres Juives“ von Voltaire als Frontispiz diente.10 In einer aktuellen Ausgabe der Weltchronik Hartmann Schedels wird ein Holzschnitt reproduziert, der zeigt, wie eine Anzahl Männer bis zu den Schultern von Flammen erfasst wird. Die Figuren stehen in einer Grube, ringen mit aufgerissenen Mündern nach Luft während ein Scherge am rechten Bildrand sich anschickt, Holzscheite in die Flammen zu werfen. Er ist mit engen Hosen, einem knappen Wams und langer Zipfelmütze bekleidet. Die Menschen im Feuer tragen wallende Mäntel. Auf ihren Köpfen sehen wird wieder die bekannten Judenhüte. Die Bildunterschrift „Ketzerverbrennung“ müßte dann wohl zu „Judenverbrennung“ präzisiert werden.11 Den typischen Fall des Vorwurfes der Ermordung eines Christenkindes als Vorwand für eine ausgedehnte Judenverfolgung bildet eine Holzschnittserie aus der Zeit der Spätgotik. Albertus Kune zeigt die Stationen des 1475 in Trient stattgefundenen Massakers in den verschiedenen Etappen von der Entdeckung bis zur Folter und zum Richtplatz. Dabei vergißt er nie, die Juden durch trichterförmige Spitzhüte zu markieren.12 Ein anderes Dokument13 berichtet vom „FettmilchAufstand“ in Frankfurt am Main. Darin wird in zwei Überschaubildern und einer Straßenszene die Plünderung des Judenviertels vom 22. bis 23.8.1614 gezeigt. In der präzisen Technik des Kupferstichs wird dargestellt, wie bewaffnete Horden in stattliche Bürgerhäuser eindringen. Durch Tore und Fenster werden große Packen Raubgutes entwendet. Im Vordergrund wird eine über offensichtlich wertvolle Kannen, Schalen und Geräte kniend gebeugte Gestalt von hinten mit dem Säbel attackiert. Auf dem zweiten Teil des Bildes ist die Flucht der jüdischen Gemeinde aus der Stadt auf die Mainschiffe wiedergegeben. Auf einer weiteren Tafel wird anschaulich der Fortgang des Pogromes im Ghetto geschildert. Deutlich ist an der Brust der Verteidiger und Opfer in der engen Gasse aus Fachwerkhäusern das Judenzeichen zu sehen. 4. Höhenvermessung an Münchner Denkmälern und graphische Darstellung in Relation zum Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus Mit einem aus Holz selbstgefertigten einfachen Theodoliten wird die Denkmalspitze angepeilt. Die Abweichung von der Horizontalen, der senkrechte Stand des Monuments und sein gemessener Abstand vom Peilgerät lassen eine exakte Höhenbestimmung zu. Der Umfang am Boden kann durch Triangulation oder direktes Abmessen ermittelt werden. Zur Veranschaulichung des Verfahrens werden Fotos vom Messvorgang und vom betreffenden Objekt gefertigt. Die ermittelten Daten werden im gleichen Maßstab auf Millimeterpapier dargestellt, um einen Größenvergleich zu ermöglichen. Für den Vergleich wären folgende Denkmäler interessant : das Kriegerdenkmal Ecke Eversbusch-/ Pfarrer-Grimm - Str., der Obelisk am Karolinenplatz, das Denkmal für die Opfer des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, das Kriegerdenkmal vor dem Armeemuseum, Bavaria. 6 7 8 9 10 11 12 Prinz Joachim, Illustrierte Jüdische Geschichte, Berlin 1933, Abbildung gegenüber S. 112 Prinz a.a.O., Abbildung gegenüber S. 129 Prinz a.a.O., Abbildung gegenüber S. 145 Alfred Rubens, A Jewish Iconocraphy, London 1954, Abb. 2o45 ebd., Abb.2146 Prinz a.a.O.,, S. 49 ebd. Abbildung auf S. 1o3; und : Jüdisches Lexikon, Ein enzyklopädisches Handbuch jüdischen Wissens in vier Bänden, Berlin 1929, col. 415 13 Prinz a.a.O., Abbildungen zwischen S. 8o und 81 Maxmonument. 5. Videodokumentation einer Umfrage „Wo ist der Platz der Opfer des Nationalsozialismus ?“ Die Aufstellung von Videokamera und Videorecorder erfolgt Ecke Briennerstraße/ Maximiliansplatz mit unmittelbaren Blick auf Platz und Mahnmal der Opfer des Nationalsozialismus gegenüber. Die Kameraposition ist starr, um einen Stoptrickeffekt zuerreichen. Die Tonaufnahme erfolgt mit dynamischem Mikrofon, um Straßengeräusche zu mindern. Alternativ könnte auch mit Handkamera und Richtmikrofon gearbeitet werden, um eine Irritation der befragten Passanten zu vermeiden und spontanere Antworten zu erhalten. 6. Maßstäbliche Rekonstruktion der 1938 abgebrochenen Münchner Hauptsynagoge Dieser Teil der Ausstellung besteht aus zwei Komponenten : einer Bilddokumentation und einem Architekturmodell. Im Dokumentationsteil werden die Vorgängerbauten anhand von Reproduktionen vorgestellt. Die städtebauliche Situation am li Lenbachplatz zwischen Künstlerhaus und Maxburg, wird in alten Postkartenansichten veranschaulicht. Fotos aus der Entstehungszeit zeigen das Innere des Gebäudes und seine Einrichtung. Auch die Situation des Abbruches kann durch Archivmaterial veranschaulicht werden. Das Modell wurde von Schülerinnen und Schülern des Leistungskurses Kunsterziehung anhand von Kopien der Originalbaupläne gebaut. Dazu wurde das Objekt in einzelne Bauabschnitte eingeteilt. Jeweils eine Gruppe entwickelte aus Grund- und Aufriß die die dreidimensionale Form des Langhauses, der Seitenschiffe, des Chorabschlusses, der Türme des Westwerks und des Portales. Neben der räumlichen Umsetzung der vielgestaltig gegliederten Bauzeichnung mußten eigene Lösungen für die Wiedergabe der kleinteiligen architektonischen Schmuckformen gefunden werden. Hier war die dauernde Abstimmung der einzelnen Teile des arbeitsteiligen Projektes und die unablässige Orientierung an Bauaufnahmen und Plänen des Architekten Albert Schmitt erforderlich. 7. Fotoreportage über Gedenkstätten, Friedhöfe und Mahnmale in München Exkursionen des Fotokurses führten zum Israelitischen Friedhof in der Garchinger Straße und zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau. Die Schülerinnen und Schüler versuchten dabei, sich durch das Medium der Fotografie mit dem unbekannten Ambiente vertraut zu machen. Die Aufnahmen stellen spontane Eindrücke dar, sie sollen auch Anlaß zum Nachdenken und Nachfragen sein. Sie versuchen, sich von den Klischees der aktuellen Sensationsberichterstattung abzusetzen. Sie sollen vorsichtig erkunden, erste Eindrücke und Beobachtungen aufzeichnen, auch Rechenschaft geben über den eigenen Standpunkt. 8. Videoreportage über das heutige Leben in den Einrichtungen der israelitischen Kultusgemeinde in München Bei diesem Vorhaben könnten Schülerinnen und Schüler des Louise-Schroeder-Gymnasiums verschiedene Einrichtungen der Gemeinde aufsuchen und sich direkt darüber informieren. Die Videoaufzeichnung kann flexibel diesem Geschehen folgen. Fragen und Antworten, sachliche und optische Informationen sollen einen unmittelbaren Eindruck von der lebendigen Kultur jüdischer Mitbürger in unserer Stadt vermitteln. weitere Quellen : - The Illustrated Bartsch, German Single Leaf Woodcuts before 15oo - Michelangelo, Der Prophet Jeremias, Sixtina - Rembrandt, Zerstörung Jerusalems, Leningrad Eremitage - ders., Porträt des Manasse ben Israel, Radierung - Chodowiecki, Porträt Moses Mendelssohn, Crayon - Wolfgang Katzheimer der Ältere, Dornenkrönung, Würzburg, Mainfränkisches Museum - Südböhmischer Meister, Kreuzigung, Berlin, Deutsches Museum der Sammlung Kaufmann - Themen der Arma Christi, Spottbilder, Kreuzlegende - Gustave Doré, Der ewige Jude, Zeichnung - Kupferstich, Plünderung der Judengasse, Frankfurt 1614 - Kupferstich, Der Fettmilch-Aufstand, Frankfurt - Albertus ( Kune aus ) Duderstat von dem Eiksvelt, Geschichte des zu Trient ermordeten Christenkindes, 1475 Albert Ottenbacher Gotthardtstr. 68 80689 München