Beihilfe zum Suizid

Transcrição

Beihilfe zum Suizid
Nr. 116 | 4. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E
B 42890
LEBENSFORUM
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Titel
Die Rede des
Hubert Hüppe
Dokumentation
So haben unsere
Politiker gestimmt
Medizin
Die Atombombe
der Molekularbiologie
Beihilfe zum Suizid
Die Würfel sind
gefallen
LebensForum 116
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
1
INHALT
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
LEBENSFORUM 116
EDITORIAL
Unzufrieden, aber dankbar
Dr. med. Claudia Kaminski
3
4-9
TITEL
Wie steht es um den Lebensschutz?
Stefan Rehder
Genau hinsehen
Prof. Dr. med. Paul Cullen
4
10
DOKUMENTATION
12
So haben die Abgeordneten gestimmt 15
Namentliche Abstimmung zur Suizidhilfe
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GESELLSCHAFT
Gegen den Strom schwimmen
Lioba Müller
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Ars Moriendi statt Lizenz zum Töten
Lars Schäfers
27
Der Marsch in den Medien
Stefan Rehder
28
DANIEL RENNEN
BIOETHIK-SPLITTER
Der Deutsche Bundestag hat die bislang erlaubte Beihilfe zum Suizid teilweise verboten
und damit höchst unterschiedliche Reaktionen ausgelöst – »LebensForum« unternimmt
den Versuch einer Verständigung.
23 - 26
»Genome Editing« erlaubt
Eingriffe in die menschliche
Keimbahn. Eine höchst
gefährliche und furchterregende Technologie.
MEDIZIN
Die Waffenkammer der Bio-Hacker Stefan Rehder
23
BÜCHERFORUM
30
KURZ VOR SCHLUSS
32
LESERBRIEFE
34
IMPRESSUM
35
LETZTE SEITE
36
2
15 - 18
»LebensForum« dokumentiert die
namentliche Abstimmung zu den
Gesetzentwürfen zur Suizidhilfe.
LebensForum 116
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
Vom Ausland lernen
Hubert Hüppe
E D I TO R I A L
CDU/CSU
12 - 14
Zu Protokoll gegeben: Rede des CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe zum Gesetzentwurf der
Abgeordneten Sensburg/Dörflinger/Hüppe zur
Suizidhilfe.
28 - 29
Trotz hoher Teilnehmerzahlen berichten die Medien kaum über den »Marsch für das Leben«.
Und wenn doch, dann oft tendenziös und einseitig aus Sicht der Gegenbewegung.
LebensForum 116
Unzufrieden,
aber dankbar
um Sensburg, Dörflinger und Hüppe
unterstützt und für
ihn geworben. Leider wurde jedoch
schon früh deutlich,
dass es im Parlament
Liebe Leserin, lieber Leser,
für ihn keine Mehrheit geben und aus
als Lebensrechtlerin, Ärztin und
dem Vierkampf der
ALfA-Bundesvorsitzende werde ich oft
miteinander konkurgefragt, was ich persönlich von der Entrierenden Entwürfe
scheidung des Bundestags halte, die »geein Zweikampf werschäftsmäßige Suizidhilfe« bei Strafe zu
den würde.
verbieten, alle anderen Formen aber strafWer nicht bloß über, sondern mit den
frei zu lassen.
Abgeordneten sprach, wusste früh, dass
Meine Antwort fällt dann etwa so aus:
das »ethisch Gebotene« und »politisch
»Ich bin unzufrieden, aber dankbar.« Das
Erreichbare«, wie es ein Kommentator
klingt sicher merkwürdig. Dankbar sind
kürzlich auf den Punkt brachte, in der zur
wir ja meist für die Dinge, die auch zufrieEntscheidung anstehenden Frage Lichtden stellen. Ein Lebensjahre auseinanderlagen.
rechtler kann aber mit
Die politisch erreichdem, was das Parlament
bare Alternative zum
»Aus dem Vierkampf
beschlossen hat, unmögBrand/Griese-Entwurf
lich zufrieden sein.
bestand eben leider nicht
wurde ein Zweikampf«
Um zu begründen,
im Sensburg/Dörflinwarum ich dennoch
ger/Hüppe-Entwurf,
dankbar bin, muss ich
sondern im Hintze/Lauein wenig ausholen. Die Beihilfe zum Suterbach-Entwurf. Letzterer hätte nicht
izid ist in Deutschland – hier haben un»nur« – wie das bisher geltende Recht –
sere Gegner einmal Recht – seit mehr
jede Suizidhilfe toleriert, sondern auch
als 140 Jahren straffrei. Das heißt nicht
noch das Standesrecht der Ärzte über den
– und hier haben unsere Gegner schon
Haufen geworfen und die Legalisierung
wieder Unrecht –, dass der Staat die Beides ärztlich assistierten Suizids im Bürhilfe zur Selbsttötung gutgeheißen hätte.
gerlichen Gesetzbuch festgeschrieben.
Wohl aber hat er sie toleriert, was auch
Man kann sicher – und Lebensrechtler
daran erkennbar ist, dass bis heute kein
tun dies ja auch längst – darüber streiten,
einziger Arzt wegen Beihilfe zum Suizid
wie umfangreich und gravierend die neverurteilt wurde.
gativen Auswirkungen sein werden, die
Das neue Gesetz ermöglicht es nun
dem Lebensschutz daraus erwachsen,
erstmals, »Ärzte« wie den Urologen Uwedass der Brand/Griese-Entwurf das VerChristian Arnold, der bei rund 300 Suibot der Suizidhilfe auf die geschäftsmäziden assistiert haben soll, sowie die Verßig durchgeführte beschränkt. Zur Fairantwortlichen von Vereinen wie »Sterbeness gehört aber dann auch, sich Rechenhilfe Deutschland« vor Gericht zu stellen
schaft darüber abzulegen, ob der Hintze/
und aus dem Verkehr zu ziehen. Dies wird,
Lauterbach-Entwurf oder die Beibehalund dafür bin ich dankbar, vielen suizidtung der völligen Straffreiheit für jedwegefährdeten Menschen das Leben retten.
de Suizidhilfe nicht noch schlechter geDennoch hätte auch ich mir ein strenwesen wären.
geres Gesetz gewünscht. Eines, das wie der
Entwurf der CDU-Abgeordneten Patrick
Eine erhellende Lektüre wünscht
Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert
Hüppe ein Verbot jedweder Suizidhilfe
Ihre
ermöglicht hätte. Die Beihilfe zum Suizid
ist moralisch immer verwerflich und wird
es nicht erst, wenn sie »geschäftsmäßig«
ausgeübt wird, also auf Wiederholung angelegt ist. Die ALfA hat deshalb von AnClaudia Kaminski
fang an den Entwurf der Abgeordneten
Bundesvorsitzende der ALfA
3
DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR
TITEL
Wie steht es um den
Lebensschutz?
Am 6. November hat der Deutsche Bundestag die Beihilfe zum Suizid rechtlich neu geregelt. Die
Reaktionen reichen von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Mitunter werden dieselben
Einschätzungen sogar von jenen geteilt, die in der Debatte zwar an derselben Barrikade kämpften,
jedoch auf entgegengesetzten Seiten standen. Wie passt all das noch zusammen, fragt sich nicht nur
der Redaktionsleiter von »LebensForum«, der hier den Versuch einer Verständigung unternimmt.
Von Stefan Rehder
H
amburgs ehemaliger Justizminister Roger Kusch und Gründer des Vereins »Sterbehilfe
Deutschland« hat gegen die vom Deutschen Bundestag beschlossene Neuregelung der Suizidhilfe in Deutschland Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelischen Kir4
chen in Deutschland (EKD) priesen den
vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwurf in höchsten Tönen. Einzelne katholische Hirten äußerten sich dagegen
deutlich kritischer und weigerten sich, in
den ökumenischen Lobgesang einzustimmen. Die Bundesärztekammer begrüßte
»sehr, dass der Deutsche Bundestag den
Anträgen einiger Parlamentarier für ei-
ne Liberalisierung der Sterbehilfegesetzgebung nicht gefolgt ist«, bezeichnete es
aber nur als »gute Nachricht«, dass der
Gesetzgeber der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe »nun endlich einen
Riegel vorgeschoben« habe. Bei Lebensrechtlern reichten die Reaktionen von vehementer Ablehnung des neuen Gesetzes über tiefe Sorge bis hin zur ErleichLebensForum 116
LebensForum 116
ckenden Debatte, noch den in ihr handelnden Akteuren gerecht werden, wenn
man zunächst – und zwar völlig unabhängig vom jeweiligen Standpunkt – zwei
Dinge nicht in Rechnung stellt: Nämlich die bislang geltende Rechtslage und
deren sich davon noch einmal – zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung –
unterscheidenden Rezeption.
Umfragen zufolge war nämlich die
überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der irrigen Ansicht, der Staat verbiete die Beihilfe zur Selbsttötung. Tatsächlich waren aber bis zur jetzt erfolgten
Regelung durch den Bundestag, die mittlerweile auch die Zustimmung des Bundesrats erhielt, weder die Selbsttötung
noch irgendeine Form der Beihilfe dazu
EVELIN FRERK
ner Gruppe um die CDU-Abgeordneten
Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger
und Hubert Hüppe (Bundestagsdrucksache 18/5376), der ein Verbot jedweder Beihilfe zur Selbsttötung vorsah, erhielt 37 Stimmen.
Üblicherweise pflegt der Deutsche
Bundestag über miteinander konkurrierende Gesetzentwürfe nacheinander abzustimmen, wobei dann über den weitreichendsten zuerst und über den am
wenigsten weitreichenden zum Schluss
abgestimmt wird. Sobald einer der zur
Abstimmung stehenden Entwürfe die absolute Mehrheit erreicht, ist die Abstimmung zu Ende. Erreicht keiner der Entwürfe die absolute Mehrheit, kommt es
zur Stichwahl.
ARCHIV
terung darüber, dass Schlimmeres verhindert worden sei.
Selten hat ein Gesetzentwurf selbst
unter denen, die sich eingehend mit ihm
befassten, eine derart heftige Kontroverse über dessen angemessene Bewertung
ausgelöst. Klar ist eigentlich nur: Auch
wer bemüht ist, die verschiedenen Standpunkte in Rechnung zu stellen, von denen aus die Kommentatoren auf das neue
Gesetz blicken, kommt nicht umhin festzustellen: Es scheint unmöglich, dass alle
Einschätzungen in gleicher Weise richtig sind. Was allerdings nicht notwendig
heißen muss, dass auch gleich alle Positionen derart unversöhnlich sind, wie sie
auf den ersten Blick erscheinen. Daher
soll hier nachfolgend der Versuch einer
Verständigung unternommen werden.
Doch zunächst ein Szenenwechsel:
Berlin, 6. November, Reichstagsgebäude,
Plenarsaal: Kurz nach 13.00 Uhr verkündet Bundestagsvizepräsidentin Edelgard
Bulmahn das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zur Dritten Lesung des einer Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD)
und Michael Frieser (CSU) eingebrachten Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache 18/5373): 360 der 630 gewählten
Volksvertreter stimmten für den Gesetzentwurf. 233 lehnten ihn ab. Neun Abgeordnete enthielten sich der Stimme.
28 hatten an der Abstimmung gar nicht
erst teilgenommen.
Zuvor hatte sich der Gesetzentwurf in
Zweiter Lesung gegen drei weitere Gesetzentwürfe durchgesetzt. Weil die Initiatoren aller vier Gesetzentwürfe sich auf
keine Reihenfolge hatten einigen können,
in der diese im Parlament zur Abstimmung zu stellen seien, wurde über sie –
abweichend von der üblichen Geschäftsordnung des Bundestags – im sogenannten Stimmzettelverfahren abgestimmt.
Dabei entfielen auf den Gesetzentwurf
der Abgeordneten Brand, Griese, Frieser
und anderer 309 der 599 gültig abgegebenen Stimmen. Der Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Karl Lauterbach und Carola
Reimann (beide SPD), der unter gewissen Auflagen die Einführung des ärztlich
assistierten Suizids in Deutschland zur
Folge gehabt hätte (Bundestagsdrucksache 18/5374), erhielt 128 Stimmen. 52
Parlamentarier stimmten für den Gesetzentwurf der Gruppe um die frühere Verbraucherministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und die
Parlamentarische Geschäftsführerin der
Linken, Petra Sitte (Bundestagsdrucksache 18/5375). Der vor allem von Lebensrechtlern favorisierte Gesetzentwurf ei-
Roger Kusch
Uwe-Christian Arnold
In diesem Fall kam jedoch das Stimmzettelverfahren zur Anwendung. Dabei
lag den Abgeordneten ein Stimmzettel
vor, der alle vier Gesetzentwürfe auflistete, verbunden mit der weiteren Möglichkeit, sich mit »Nein« gegen alle vier
Gesetzentwürfe zu entscheiden oder aber
sich der Stimmabgabe ganz zu enthalten. (Das Ergebnis dieser namentlichen
Abstimmung dokumentiert »LebensForum« ab Seite 15.) Auf dem Stimmzettel durfte jeder Parlamentarier nur ein
Kreuz machen.
Zuvor hatten die Abgeordneten mehr
als drei Stunden lang mit mitunter harten
Bandagen miteinander debattiert, für die
von ihnen präferierten Entwürfe geworben und die der anderen heftig attackiert:
Manche schreckten dabei selbst vor Panikmache und Desinformation nicht zurück (siehe Kasten auf Seite 7).
Man kann weder der gesamten, sich
über mehr als eineinhalb Jahre erstre-
verboten. Der Staat hatte, auch wenn er
die Beihilfe zur Selbsttötung nicht ausdrücklich erlaubte, sie doch auch nicht
verboten und damit toleriert. Weder Ärzte
noch Privatpersonen mussten eine strafrechtliche Verfolgung fürchten, wenn sie
einem »Sterbewilligen« bei einem Suizid unter die Arme griffen. Nicht einmal
das ärztliche Standesrecht, das dem entgegensteht, erwies sich als brauchbar, um
Ärzte aus dem Verkehr zu ziehen, die Patienten bei der Selbsttötung assistierten.
Obgleich es mehrere Ärzte gab, die
sich öffentlich dazu bekannten, wiederholt Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben, wurde keinem einzigen die Zulassung
entzogen noch wurde auch nur einer von
ihnen von einem deutschen Gericht verurteilt. Im Gegenteil: Im März 2012 gab
die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts
Berlin einer Klage des Urologen UweChristian Arnold statt. Der hatte gegen
die Ärztekammer Berlin geklagt, die ihm
5
TITEL
6
selbst beinhalte. »Der Wunsch, das eigene Leben zu beenden, und dessen Vollzug durch Selbsttötung« falle unter die
»Ausübung grundrechtlicher Freiheit«
und sei vom »allgemeinen Persönlichkeitsrecht« (Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1
Abs. 1 GG) gedeckt.
Wer bislang geglaubt hatte, der Staat
missbillige grundsätzlich den Suizid und
habe es nur unterlassen, dem auch unmissverständlichen Ausdruck zu verleihen, unterlag also offensichtlich einer
Täuschung. So christlich, wie die Präambel des Grundgesetzes (»Im Bewusstsein
seiner Verantwortung vor Gott und den
Anders als der weltanschaulich neutrale
Staat ist für die Kirche daher auch allein
Gott, der den Menschen das Leben als
Gabe schenkt und über deren Gebrauch
er einst von ihnen Rechenschaft fordern
wird, auch »Herr über Leben und Tod«.
Wenn nun Sterbehelfer und kämpferische Atheisten, wie etwa der Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), Erwin Kress,
dem Bundestag gleichermaßen vorwerfen, er habe sich mehrheitlich in das
»Fahrwasser« katholischer Moraltheologen und protestantischer Sozialethiker
begeben, dann ist dies gleich in doppelWWW.CSU-TRAUNSTEIN.DE
WOLFGANG ROUCKA/WIPKIPEDIA.ORG
untersagen wollte, »Substanzen, die allein oder in Verbindung mit anderen dazu
geeignet sind, den Tod eines Menschen
herbeizuführen, an (…) Patienten abzugeben oder in sonstiger Weise zum Gebrauch für deren Suizid zu überlassen«,
und im Falle der Zuwiderhandlung ein
Zwangsgeld in Höhe von 50.000 Euro
angedroht hatte.
In ihrem Urteil (Az.: VG 9K 63.09)
führten die Richter aus, zwar könne das
Standesrecht auch ein Verhalten verbieten, das nicht strafbar ist. Als Rechtsgrundlage reiche es aber nicht aus, um
ein zwangsgeldbewährtes Verbot für ein
Verhalten auszusprechen, dessen »ethische Zulässigkeit in bestimmten Fallkonstellationen auch innerhalb der Ärzteschaft äußerst kontrovers diskutiert«
werde und dessen Verbot in diesen Fällen »intensiv in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes und seine Gewissensfreiheit« eingreife.
Dabei könne es, so die Richter damals
weiter, offen bleiben, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, wenn der Staat
die Beihilfe zum Suizid unter Strafe stelle oder die ärztliche Beihilfe zum Suizid
gesetzlich verböte. »Solange dies aber
nicht geschehen ist und auch die ärztliche Ethik in dieser Frage keine eindeutige Antwort gibt, ist kein Grund ersichtlich, weshalb das ärztliche Gewissen in
den genannten Ausnahmefällen hinter
der Auffassung der Ärztekammer zurückstehen sollte.« Im Ergebnis erklärten die Richter die Verfügung der Berliner Ärztekammer daher für »rechtswidrig« und das angedrohte Zwangsgeld für
»hinfällig«.
Auch wenn die Mehrheit der Bürger
die Rechtslage ganz anders eingeschätzt
hat, Fakt ist: Das bisher geltende Recht
bot nicht einmal einer Ärztekammer, die
nicht die Augen davor verschließen wollte, dass ein ihr angehörender Arzt Patienten beim Suizid assistierte, eine rechtliche Handhabe, diesem derartige Handlungen zu untersagen.
Erschwerend kommt hinzu, dass selbst
namhafte Juristen, die dem Schutz des
Lebens höchste Priorität beimessen, mit
anderen darin übereinstimmen, dass das
Grundgesetz den Suizid selbst nicht nur
nicht missbilligt, sondern dass ein gesetzliches Verbot desselben sogar verfassungswidrig wäre. So vertreten sowohl der
Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber, Vorsitzender der »Juristen-Vereinigung Lebensrecht« (JVL), als auch sein
Stellvertreter, Klaus-Ferdinand Gärditz,
die Ansicht, dass auch das Grundrecht
auf Leben (Art. 2, Abs. 2, Satz 1 GG)
nicht den Schutz des Menschen vor sich
Kardinal Marx
Alois Glück, CSU
Menschen ...«) suggerieren mag, waren
die Mütter und Väter des Grundgesetzes eben nicht. Bei genauerer Prüfung
der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zeigt sich vielmehr: Weder der
Menschenwürdebegriff der Verfassung
noch das Grundrecht auf Leben lässt sich,
trotz großer Schnittmengen, mit der Sittenlehre der Katholischen Kirche vollumfänglich zur Deckung bringen.
ter Weise falsch. Zunächst weil es auch
dem weltanschaulich neutralen Staat jederzeit möglich bleiben muss, zu exakt
denselben Ergebnissen zu kommen wie
eine Religionsgemeinschaft; jedenfalls so
lange, wie der Staat dies anders als religiös zu begründen vermag. Zum anderen aber, weil dies hier gar nicht der Fall
ist. Auf die Seite der Kirchen hätte sich
der Staat nicht einmal dann geschlagen,
wenn er jede Form der Beihilfe zum Suizid statt »nur« die geschäftsmäßige verboten hätte. Dies wäre erst dann der Fall,
wenn er auch den Suizid selbst untersagt
und dieses Verbot obendrein religiös begründet hätte.
Umso mehr müssen die überschwänglichen Reaktionen wundern, die der Bundestagsbeschluss bei maßgeblichen Repräsentanten beider christlicher Konfessionen hervorgerufen hat. In einer gemeinsamen Erklärung priesen der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, der Präsident des
Zentralkomitees der deutschen Katholi-
»Lebensrechtler müssen sich die
Augen gerieben haben.«
So wendet sich aus Sicht der Katholischen Kirche der Suizident bei der Selbsttötung denn auch gar nicht gegen sein
eigenes, sondern gegen ein ihm anvertrautes Gut. Für die Katholische Kirche ist der Mensch nicht »Eigentümer«,
sondern bloß »Verwalter« seines Lebens.
LebensForum 116
ken, Alois Glück, sowie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich BedfordStrohm, und die Präses der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland,
Irmgard Schwaetzer, geradezu enthusiastisch das neue Gesetz. Mit der Entscheidung für ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung hätten
die Abgeordneten »ein starkes Zeichen
für den Lebensschutz und damit für die
Zukunft unserer Gesellschaft und ihren
Zusammenhalt gesetzt«. Das neue Gesetz schütze »schwerkranke und ältere
Menschen vor einem zunehmenden sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben
zu scheiden«. Auch Ärzte und Pflegekräfte würden »vor der Erwartungshaltung geschützt, im Rahmen der gesund-
heitlichen Versorgung Suizidassistenz zu
leisten«. Weiter heißt es, das neue Gesetz
setze »klare rechtliche Rahmenbedingungen, achtet das persönliche Arzt-PatientVerhältnis und stärkt die Selbstbestimmung der durch Krankheit geschwächten Menschen, indem diesen Menschen
die solidarische Zuwendung bis zum letzten Atemzug garantiert wird«.
Lebensrechtler müssen sich die Augen
gerieben haben, als sie diese Erklärung
lasen. Denn der einzige Gesetzentwurf,
der all das tatsächlich hätte leisten können, wäre der Entwurf der Gruppe um
die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert
Hüppe gewesen. Er allein sah vor, Anstiftung und jede Form der Beihilfe zum Suizid ausnahmslos bei Strafe zu verbieten.
Dieses Verbot sollte in einem neuen § 217 StGB wie folgt gefasst werden:
»(1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu
Hilfe leistet, wird mit Freiheitstrafe bis
zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.«
Leider hatte dieser Gesetzentwurf große Mühe, überhaupt ausreichend Unterstützer zu finden, um in den Bundestag
eingebracht werden zu können. Erfreulicherweise gelang es den Initiatoren auf
den letzten Metern, Abgeordnete, die bereits den Brand/Griese/Frieser-Entwurf
unterstützten, auch noch zur parallelen
Zeichnung ihres Entwurfs zu bewegen, so
dass dieser wenigstens zur Abstimmung
gestellt werden und seine Initiatoren bei
den Plenardebatten im Parlament für ihn
INFO
Auszug aus der Debatte
Eine der bemerkenswerten Reden in der Bundestags-Debatte am 6. November hielt die grüne Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg, obwohl sie nicht den Sensburg/Dörflinger/Hüppe-Entwurf unterstützte, sondern zu den Initiatoren des
Brand/Griese/Frieser-Entwurfs gehörte:
In unseren Diskussionen und Reden ist viel
von Selbstbestimmung die Rede. Selbstbestimmung ist aber keine Einbahnstraße.
Selbstbestimmung braucht Bedingungen,
unter denen eine freie Entscheidung möglich ist.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich bezweifle, dass das bei den meisten Suiziden – assistiert oder nicht – der Fall ist.
Wenn wir genauer hinschauen, warum vor
allem ältere Menschen aus dem Leben
scheiden wollen, dann sehen wir, dass sie
niemandem zur Last fallen wollen. Sie haben Angst, Dinge nicht mehr allein tun zu
können. Sie haben Angst, dement zu werden. Sie haben Angst vor Pflegebedürftigkeit. Viele leiden unter chronischen Schmerzen, unter versteckten Altersdepressionen,
und viele sind einfach nur sehr, sehr einsam.
LebensForum 116
(...) Oft ist das Verlangen nach einem Suizid
ein Hilferuf, der an uns gerichtet ist: Wende dich doch endlich mir zu! Siehst du denn
überhaupt nicht, wie ich leide? – Diese Menschen wollen nicht um jeden Preis sterben.
Diese Menschen befinden sich einmalig in
einer Situation, aus der sie in dieser Situation keinen Ausweg wissen. (...) Suizid ist
nicht eine Option im Leben, die gleichberechtigt neben anderen steht. Und genau darum
geht es in unserem Gesetzentwurf: Suizidbeihilfe darf keine normale Dienstleistung werden. Suizidbeihilfe darf nicht alltäglich oder
normal für unsere Gesellschaft sein.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wir fürchten: Wo es ein Angebot gibt, gibt
es auch eine Nachfrage, und wenn etwas
gesetzlich geregelt ist und häufiger praktiziert wird, erweckt es den Eindruck von Normalität, von Unbedenklichkeit. (...)
Die steigende Zahl der assistierten Suizide
in den Niederlanden zeigt: Das sind keine
vagen Vermutungen. Die organisierte Sterbehilfe suggeriert uns: Wir haben eine ganz
einfache Lösung für all eure Probleme; das
Erbe für die Kinder und die Enkel muss nicht
für die teure Pflege aufgebracht werden.
Woher das Zweifeln am Leben kommt, darum muss sich dann keiner mehr kümmern,
da muss keiner mehr nachforschen. In der
aktuellen Debatte wird häufig das Gefühl
vermittelt, dass Alter, Schwäche, Demenz
oder Pflegebedürftigkeit Zustände sind, die
einem Menschen die Würde nehmen. Das
möchte ich ganz klar zurückweisen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
SVEN TESCHKE/CREATIVE COMMONS CC-BY-SA-3.0 DE
»(...) In unserer Gesellschaft leben immer
mehr ältere und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen, die alleine leben, Menschen, die durch ihre Lebensumstände sehr
verletzlich geworden sind und deshalb unseren besonderen Schutz brauchen. Wie
aufgehoben sich diese Menschen in unserer
Gesellschaft fühlen, das ist auch vom Ausgang der heutigen Debatte abhängig.
Elisabeth Scharfenberg, B90/Grüne
Es gibt kein würdeloses Leben, auch nicht
in der Demenz. Wir machen es nur würdelos, wenn wir den Menschen nicht verstehen, wenn wir den Menschen degradieren,
wenn wir über ihn reden anstatt mit ihm. Es
ist nicht würdelos, auf Hilfe angewiesen zu
sein. Es ist nicht würdelos, sich von anderen
Menschen pflegen zu lassen. (…)«
7
TITEL
8
Beraubten. Bei einem assistierten Suizid ist dies aber nicht der Fall. Aus Sicht
des Staates richtet sich die Tat des Suizidenten lediglich gegen dessen eigenes
Gut. Die Beihilfe des Suizidhelfers aber
richtet sich gegen ein ihm fremdes Gut,
nämlich gegen das Leben des Suizidenten. Aus diesem Grund müsste es dem
Gesetzgeber völlig unbenommen bleiben, die Beihilfe zum Suizid rechtlich
völlig anders zu bewerten als die Beihilfe zu irgendeiner anderen Tat. Wer wie
die 150 Strafrechtler dagegen meint, zur
Dagegen sorgen sich Lebensrechtler
mit Recht darum, welche Folgen der vom
Bundestag angenommene Gesetzentwurf
entfalten wird. Wie auch der Sensburg/
Dörflinger/Hüppe-Entwurf fügt er dem
Strafgesetzbuch einen neuen § 217 hinzu, fasst ihn jedoch wie folgt:
»(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
WWW.EKD.DE
MICHAEL LUCAN, LIZENZ: CC-BY-SA 3.0
werben konnten. Wie sich im Verlauf dieser Debatten herausstellen sollte, erwiesen sich letztlich vor allem zwei Hürden
als zu hoch, um erfolgreich überwunden
zu werden. Hürden, die – wie sich bei genauer Betrachtung feststellen lässt – allerdings lediglich in den Köpfen der Volksvertreter bestanden und kein Fundament
in der Wirklichkeit besaßen.
Die erste Hürde bestand darin, dass
der Gesetzentwurf das vollständige Verbot einer Praxis forderte, die hierzulande
seit mehr als 140 Jahren mit dem Verzicht
auf Strafe verbunden war, worauf zahlreiche Abgeordnete in den Bundestagsdebatten denn auch immer wieder mit
Nachdruck hinwiesen. Auch wer grundsätzlich begrüßt, dass der Gesetzgeber im
Strafrecht das »schärfste Schwert« des
Staates erblickt und seinen Einsatz daher
nur im äußersten Fall für angezeigt hält,
wird nicht umhin können, festzustellen,
dass der Verweis auf eine fast 150-jährige
Tradition noch kein Argument, sondern
nur die Beschreibung einer Tatsache ist.
Dass etwas von einer gewissen Dauer ist,
belegt noch lange nicht dessen Richtigkeit. So war das »T4« genannte Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten ja
auch nicht deshalb falsch, weil das Dritte
Reich »nur« zwölf statt der von seinen
Anhängern erhofften 1.000 Jahre währte.
Die zweite Hürde war – noch bevor
die Gesetzentwürfe vorlagen – von Juristen errichtet worden. Ohne Kenntnis der einzelnen Entwürfe hatten 150
»deutsche Strafrechtslehrerinnen und
Strafrechtslehrer« eine Stellungnahme
»zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe« unterzeichnet.
Darin hieß es unter anderem: »Aus der
Straflosigkeit des Suizids ergibt sich nach
bewährten strafrechtsdogmatischen Regeln, dass auch die Beihilfe zum Suizid
nicht strafbar ist. Dies zu ändern, würde zu einem Systembruch führen, dessen
Auswirkungen nicht absehbar sind.« Auch
wenn vernünftigen Menschen durchaus
einleuchtet, dass die Beihilfe zu einer Tat
grundsätzlich nicht schwerer bestraft werden kann als die Tat selbst, so muss die
völlig blinde Anwendung dieses Prinzips durch 150 Strafrechtler hier doch
sehr verwundern. Denn die Beihilfe zur
Selbsttötung unterscheidet sich ja schon
formal signifikant von der Beihilfe zu jeder anderen Tat, wie etwa ein Vergleich
mit einem Raubüberfall sofort einsichtig machen kann.
So richten sich bei einem Raubüberfall sowohl die Haupttat als auch die Beihilfe dazu (z. B. Beschaffung des Fluchtautos oder der Tatwaffe) jeweils gegen
ein fremdes Gut, nämlich gegen das des
Heinrich Bedford-Strohm
Irmgard Schwaetzer
Wahrung der Systematik des deutschen
Strafrechts dürfe auch bei der Selbsttötung die Beihilfe zu dieser nicht schwerer bestraft werden als diese selbst, begeht entweder einen Kategorienfehler
oder vergleicht in der Hoffnung, anderen fiele dies nicht auf, absichtlich Äpfel mit Birnen.
Was in diesem Fall den Ausschlag
gab, lässt sich kaum zweifelsfrei klären.
Dass in Gestalt des Würzburger Strafrechtsprofessors Eric Hilgendorf aber einer der beiden Initiatoren der Erklärung
der Strafrechtler auch im wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) sitzt, wo auch der Urologe
Uwe-Christian Arnold Platz genommen
hat, ist mehr als bloß ein interessantes
Detail. Die Tatsache, dass die GBS zusammen mit anderen Atheisten-Bünden
die Kampagne »Letzte Hilfe« schulterte, die für die Legalisierung des ärztlich
assistierten Suizids warb, gibt immerhin
Anlass zu der Hoffnung, dass es um das
logische Denkvermögen deutscher Strafrechtler nicht generell besorgniserregend
bestellt sein muss.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer
selbst nicht geschäftsmäßig handelt und
entweder Angehöriger des in Absatz 1
genannten ist oder diesem nahesteht.«
Auch wenn unter Juristen insoweit Einigkeit besteht, dass unter »geschäftsmäßigem« Handeln »das nachhaltige
(...) Betreiben oder Anbieten (...) gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht« zu verstehen ist, gehen
die Meinungen darüber auseinander, was
als »nachhaltig« gelten kann. Sollte der
Verein »Sterbehilfe Deutschland« vor
dem Bundesverfassungsgericht mit seiner angekündigten Klage scheitern, werden womöglich andere Gerichte klären,
wann die von Angehörigen oder Ärzten
geleistete Beihilfe zur Selbsttötung als
ein nachhaltiges Betreiben oder Anbieten
von Suizidhilfe betrachtet werden muss.
Je nachdem, wie solche Urteile ausfallen, werden diese eine abschreckende oder aber ermutigende Wirkung entfalten. Fest steht derzeit nur: Sollte das
Bundesverfassungsgericht das neue Gesetz für mit dem Grundgesetz vereinbar
erklären, müssen nur Vereine wie »SterLebensForum 116
behilfe Deutschland« und Mediziner wie
der Urologe Uwe-Christian Arnold fürchten, weggesperrt zu werden.
Katholiken können damit nicht zufrieden sein. Für sie wird, wie für andere vernünftig denkende Menschen auch,
eine Handlung moralisch nicht erst dann
verwerflich, wenn sie auf Wiederholung
angelegt ist. Ist sie es, dann ist es die erste und einzige genauso wie die dreihundertste – so oft will allein Arnold Medienberichten zufolge Patienten bei einem
Suizid assistiert haben. Kritisch hinterfragen wird man auch müssen, wie weit in
der Praxis der Schutz vor Sterbehilfevereinen und Medizinern reicht, die mit tödlichem Handgepäck durch die Republik
touren, wenn ihnen weder die Werbung
für den Missbrauch der ärztlichen Kunst
noch die Suizidberatung verboten ist.
Wenn trotz alldem dennoch einige
Lebensrechtler erleichtert darüber sind,
dass der Brand/Griese/Frieser-Entwurf
und nicht etwa der Hintze/Reimann/
Lauterbach-Entwurf das Rennen gemacht hat, bedeutet dies keineswegs, dass
sie die Beihilfe zum Suizid auch nur in
einem einzigen Fall gutheißen. Es bedeutet nur, dass sie der Auffassung sind,
dass mit Ausnahme des Sensburg/Dörflinger/Hüppe-Entwurfs, der als einziger
Lebensrechtler wie Katholiken zufrieden
gestellt hätte, jede der verbliebenen Optionen noch schlechter gewesen wäre als
die, die der Bundestag am Ende mehrheitlich beschloss.
Das gilt sowohl für die bislang geltende Rechtlage, die jede Form der Suizidhilfe gestattet und die dann fortbestanden hätte, wenn keiner der vier Gesetzentwürfe eine Mehrheit erhalten hätte,
als auch für den Hintze/Reimann/Lauterbach-Entwurf, der als einziger neben
dem Brand/Griese/Frieser-Entwurf eine Aussicht auf eine Mehrheit im Parlament besaß.
Während der Brand/Griese/FrieserEntwurf nämlich eine Verschärfung der
bisher geltenden Rechtslage bedeutet, indem nun erstmals all jene mit Strafe bedroht werden, die aus der Suizidhilfe ein
Regelangebot gemacht haben, hätte der
Hintze/Reimann/Lauterbach-Entwurf ein
solches von Staatswegen etabliert. Wenn
auch unter Auflagen – die freilich ihrerseits jederzeit verschiebbar gewesen wären – hätte der Staat den ärztlich assistierten Suizid nicht länger bloß mehr toleriert, sondern erstmals tatsächlich positiv goutiert. Schon der Titel »Entwurf
eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich
begleiteten Lebensbeendigung« zeigt an,
um was es seinen Initiatoren ging. Nämlich um die Schaffung und OrganisatiLebensForum 116
on einer Form, vorzeitig aus dem Leben
zu scheiden.
Auch wer mit dem Brand/Griese/Frieser-Entwurf zu Recht unzufrieden ist,
kann einsehen, dass es noch einmal einen Unterschied macht, ob ein Staat
nicht sämtliche Formen der Suizidhilfe
verbietet oder ob er stattdessen die Assistenz bei einer Selbsttötung durch einen Arzt per Gesetz zu einer ärztlichen
Tätigkeit erklärt und das ärztliche Standesrecht, das dem bislang entgegensteht,
auf diese Weise gewissermaßen im Vorbeigehen auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass der
Brand/Griese/Frieser-Entwurf entgegen
der auch sonst erstaunlich kenntnisfreien
Beurteilung durch DBK und EKD Patienten, die fürchten, anderen zur Last zu
fallen, nicht den Druck nimmt, sich unter Umständen nicht doch für einen Suizid zu entscheiden. Der Hintze/Reimann/
»Was war politisch mehrheitsfähig
und was maximal zu erhoffen?«
Lauterbach-Entwurf hätte diesen Druck
aber durch die Schaffung eines staatlich
legalisierten und organisierten Regelangebotes noch ungleich erhöht.
Lebensrechtler mögen darüber streiten
können, ob der Brand/Griese/Frieser-Entwurf Anleihen an dem skandalösen Gesetzentwurf nahm, den vier Hochschullehrer
im Sommer des vergangenen Jahres präsentiert hatten (vgl. LF 111, S. 10f.). Für
jeden offensichtlich ist das jedenfalls nicht.
Worüber sich aber – weil tatsächlich für
jedermann offensichtlich – nicht streiten
lässt, ist, dass eine Annahme des Hintze/
Reimann/Lauterbach-Entwurfs im Ergebnis eine nahezu vollumfängliche Umsetzung dieses Entwurfs bedeutet hätte.
Das Abstimmungsergebnis des deutschen Bundestages vom 6. November
müsse »differenziert betrachtet werden«,
befand denn auch der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Zu fragen sei:
»Was war politisch möglich und mehrheitsfähig? Und was war unter der Rücksicht eines umfassenden Lebensschutzes
maximal zu erhoffen?« Der mehrheitlich
verabschiedete Gesetzentwurf stelle die
geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe und sorge dafür, dass »›SuizidbeihilfeFirmen‹, wie wir sie aus der Schweiz kennen, in Deutschland keine Arbeitsgrundlage haben. Insofern ist das Gesetz zu begrüßen«, so Voderholzer.
»Was aber den Lebensschutz insgesamt betrifft«, müsse befürchtet werden, »dass das neue Gesetz nur eine sehr
schwache Hürde auf einer insgesamt abschüssigen Bahn« sei. Er sehe nicht, wie
mit der vom Bundestag verabschiedeten
Gesetzgebung verhindert werden könne,
»dass der innere und äußere Druck auf
alle Alten, Schwerkranken und Pflegebedürftigen zunimmt«, so der Regensburger Oberhirte, der besorgt fragt: »Werden sich alte, bedürftige und schwerkranke
Menschen wirklich noch von einer selbstverständlichen Solidarität und Hilfe ihrer Mitmenschen getragen wissen oder
müssen sie sich nicht doch eher als Last
und als unnütz empfinden, wenn sie ihren Platz nicht legal und unter straffreier Mithilfe eines Angehörigen oder Nahestehenden räumen?«
Lebensrechtler wären keine Lebensrechtler, wenn sie keinen umfassenden
Schutz des Lebens einforderten und Gesetze nicht zuerst danach beurteilten, inwieweit sie ihn gewährleisten. In Politik
und Gesellschaft hineinwirken werden
sie aber auf Dauer nur können, wenn sie
darüber hinaus bereit sind, berechtigte
Kritik auch differenziert statt pauschal
zu adressieren. Wer etwa in der Frage
der rechtlichen Neuregelung des Suizids
mit dem vom Bundestag beschlossenen
Gesetz unzufrieden ist, zugleich aber Erleichterung darüber verspürt, dass noch
schlechtere Alternativen verhindert wurden, der verrät nicht den Lebensschutz,
sondern stellt lediglich die Realität einer
inzwischen weitgehend entchristianisierten Gesellschaft in Rechnung.
IM PORTRAIT
Stefan Rehder, M.A.
Der Autor, geboren 1967, ist »Chef vom
Dienst« der überregionalen, katholischen
Tageszeitung »Die Tagespost«, Redaktionsleiter von »LebensForum« und
Leiter der Rehder
Medienagentur. Er
studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Köln und
München und hat mehrere bioethische
Bücher verfasst, darunter »Grauzone
Hirntod. Organspende verantworten«
und »Die Todesengel. Euthanasie auf
dem Vormarsch.« Sankt Ulrich Verlag,
Augsburg 2010 bzw. 2009. Stefan Rehder ist verheiratet und Vater von drei
Kindern.
9
T ITEL
Genau hinsehen
Viele Lebensrechtler sind verunsichert, was der von einer Gruppe um die Abgeordneten
Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) und vom Bundestag verabschiedete
Gesetzentwurf leistet und was nicht. Wie der Autor dieses Beitrags fragen sie zum Beispiel:
Wer oder was kann nach der Bundestagsentscheidung sicherstellen, dass die Grenze zwischen
Beihilfe zum Suizid und Sterben auf Verlangen nicht überschritten wird?
Von Professor Dr. med. Paul Cullen
A
10
gründung dazu war explizit von Ärzten
die Rede. Dennoch war es im Vorfeld
allen Beteiligten klar, dass auch diese als
»nahestehende Teilnehmer« gelten sollen. Gelegentlich sickerte hier und dort
etwas durch. So zum Beispiel bei dem
nüge, da nicht klar sei, »ob (…) sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit
Sterbehilfe leisten, strafbar machen«, weil
davon auszugehen sei, dass viele Ärzte,
etwa im Krankenhaus oder in der hausärztlichen Versorgung, sich wiederholt
DANIEL RENNEN
lea iacta sunt: Am 6. November
2015 hat der Deutsche Bundestag mit klarer Mehrheit bestimmt,
dass zukünftig Beihilfe zur Selbsttötung
von Angehörigen und »Nahestehenden«
per Gesetz erlaubt sein soll, sofern diese
nicht »geschäftsmäßig«, also »auf Wiederholung angelegt« ist. Der Text der
neuen Regelung enthält einiges an Ungenauigkeiten, die nun durch die Gerichte
zu klären sein werden. Wann übersteigt
beispielsweise eine Serie von Einzelfällen
die Grenze zur »Geschäftsmäßigkeit«?
Ab dem wievielten Fall in welchem Zeitraum ist eine Wiederholungsabsicht anzunehmen? Einmal im Jahr? Zweimal im
Monat? Auch der Begriff »Angehöriger«
und erst recht der eines »Teilnehmer[s]«,
der dem Suizidenten »nahesteht«, eröffnen ungeahnte Perspektiven. In der Begründung zum Gesetzestext wird »Angehöriger« mit Verweis auf § 11 Absatz 1
Nummer 1 des Strafgesetzbuches (StGB)
erläutert. Hiernach trifft diese Bezeichnung unter anderem auf den ehemaligen Lebenspartner eines Geschwisters
des Sterbewilligen zu. Auch eine »enge
Freundschaft« zum Sterbewilligen reiche
aus, um ihm im Sinne des Gesetzes nahezustehen, sofern »dem Angehörigenverhältnis entsprechende Solidaritätsgefühle« existieren. Dass die Solidarität unter Angehörigen manchmal zu wünschen
übrig lässt, wissen wir allerdings mindestens, seit Kain seinen Bruder Abel auf
dem Acker erschlug.
Im Folgenden möchte ich mich jedoch ausschließlich mit der Bedeutung
dieses Gesetzes für die Ärztinnen und
Ärzte in Deutschland befassen. Wie wir
sehen werden, kommt diesen eine ganz
zentrale Rolle aus der Sicht des Gesetzgebers zu. Auf den ersten Blick hätte man
anderer Meinung sein können, denn nirgendwo im Gesetzestext oder in der Be-
Aus ärztlicher Sicht ist größte Wachsamkeit geboten
SPD-Abgeordneten René Röspel, der
als Sprecher des Brand-Entwurfs am 2.
Juli 2015 im Bundestag sagte: »Sie (die
Ärzte, Anmerkung des Verfassers) müssen über das Ende von Leben entscheiden. Sie müssen loslassen und am Ende
vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt
gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.« (Plenarprotokoll 18/115).
Auch der Wissenschaftliche Dienst
des Bundestags ging davon aus, dass Ärzte dem Suizidwilligen im Sinne des Gesetzes »nahestehen«, und sah darin kein
Problem. Der Wissenschaftliche Dienst
fragte lediglich, ob der Entwurf dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes ge-
mit der Frage nach Suizidbeihilfe konfrontiert sehen mit der Folge, dass diese
grundsätzlich als »geschäftsmäßig« eingestuft werden könnte.
Spätestens bei der Bundestagsdebatte am 6. November wurde aber dann die
wahre Intention des Gesetzentwurfs restlos klar. Nicht weniger als ein Drittel der
Redebeiträge von Michael Brand (CDU)
und Kerstin Griese (SPD) war dem Thema der ärztlichen Suizidbeihilfe gewidmet. So sollte nach Brand die Suizidbeihilfe Ärzten erlaubt sein, »die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen
handeln«, während Frau Griese betonte, dass »der Fall, in dem ein Arzt in einem ethisch begründeten Einzelfall aufLebensForum 116
grund einer Gewissensentscheidung dem
Wunsch des Patienten nachkommt, ihm
zu helfen, aus dem Leben zu scheiden,
(…) straffrei [bleibt]«. Frau Griese ging
sogar weiter und erklärte, dass ein Arzt
nur dann geschäftsmäßige Suizidbeihilfe
leiste, wenn diese »im Mittelpunkt seiner Tätigkeit« stehe. Diese wichtige Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht.
So berichtete der »Deutschlandfunk« am
Abend des 6. November, dass laut den Initiatoren des Brand/Griese-Entwurfs das
Verbot der Suizidbeihilfe nur dann gelte, wenn jemand diese »wissentlich und
willentlich zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit mache«. Eine Beschreibung, die
durch den Zusatz »wissentlich und willentlich« die Hürde zum etwaigen gerichtlichen Beweis der Geschäftsmäßigkeit nochmal erhöht.
Es kann also zweifelsfrei festgehalten
werden, dass Ärzte durch dieses Gesetz
gerade nicht, wie etwa eine gemeinsame
Erklärung der katholischen und evangelischen Kirchen unmittelbar nach der
Bundestagsabstimmung glauben machen
will, »vor der Erwartungshaltung (…),
im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung, Suizidassistenz zu leisten«, geschützt werden. Vielmehr muss befürchtet werden, dass exakt das Gegenteil passiert, nämlich, dass durch das Gesetz der
Druck auf Ärzte beziehungsweise auf ihre Kammer im Bund und in den Ländern
steigt, genau dies zu tun beziehungsweise dies zu erlauben.
Viele sehen durch dieses Gesetz den
Lebensschutz gestärkt. Bisher war nämlich die Beihilfe zum Suizid nicht verboten (obwohl fast keiner das wusste), und
nun habe man ein solches Verbot eingeführt. Zwar sei dieses Verbot auf Wiederholungstäter beschränkt, aber immerhin.
Man muss aber sehr genau hinschauen, was hier gerade passiert. Es stimmt,
dass der Suizid und somit die Suizidbeihilfe in der deutschen Rechtsordnung bisher nicht verboten waren, aber sie waren
auch nicht erlaubt. Wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bemerkte, »schweigt (…) unsere Rechtsordnung
zu dem persönlichen Drama eines Suizids«. Nun ist aber das Schweigen gebrochen. Zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit wird die Selbsttötung wie die Beihilfe dazu nun ausdrücklich gebilligt. Hier
verschiebt sich eine tektonische Platte
des Rechts, zwar nur um wenige Millimeter, aber mit gewaltiger Auswirkung.
Wir haben nun den ersten Schritt auf einer sehr glatten, schiefen Ebene genommen. Denn wer kann sicherstellen, dass
in jedem Fall die Grenze zwischen BeiLebensForum 116
hilfe zum Suizid und Sterben auf Verlangen nicht überschritten wird?
Ein zentraler Aspekt des Arztseins ist
das Vertrauensverhältnis zum Patienten.
Dieses Verhältnis wird zutiefst erschüttert
in einer Welt, wo der Arzt mit gesetzlicher Billigung an das Bett eines kranken,
auch eines todkranken Menschen herantreten darf mit dem expliziten Ziel, dass
dieser Mensch hinterher tot ist. Diese
Handlung ist mit dem Arztsein nach der
herkömmlichen, durch das hippokratische Ethos festgelegten Tradition nicht
vereinbar. Wo eine Lockerung hinführt,
sehen wir ja, in der deutschen Vergangenheit und in der niederländischen Gegenwart. Aber gerade diese Konstellation
wurde durch das neue Gesetz geschaffen.
Aus diesem Grund ist aus ärztlicher
Sicht größte Wachsamkeit geboten und
»Viele sehen durch dieses Gesetz
den Lebensschutz gestärkt«
die Begrüßung der Abstimmung im Bundestag durch die Bundesärztekammer nur
schwer verständlich. Vielmehr müssen wir
nun darauf achten, dass das in der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer ausgesprochene Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe seine Gültigkeit behält und zur Grundlage der Berufsordnungen der einzelnen Landesärztekammern wird.
Diese Gesetzesinitiative hat nämlich
eine interessante und zutiefst beunruhigende Vorgeschichte. Vorläufer des Brand/
Griese-Gesetzentwurfs war ein im Jahr
2014 vorgestellter Vorschlag des Schweizer Palliativmediziners Gian Domenico
Borasio, der deutschen Medizinethiker
Ralf Jox und Urban Wiesing sowie des
deutschen Medizinrechtlers und stellvertretenden Vorsitzenden des deutschen
Ethikrats Jochen Taupitz. Wie der Medizinhistoriker Axel Bauer von der Universität Mannheim erkannte, lag der »strategische Schachzug« dieses Vorschlags in
einer Ergänzung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Nach dem BtMG darf
das für den assistierten Suizid gerne verwendete Pentobarbital nicht für die Tötung oder Selbsttötung eines Menschen
benutzt werden. Jox und Kollegen schlugen vor, im BtMG auch eine Nutzung
nach § 217 StGB (Beihilfe zur Selbsttötung) zu erlauben. »Damit«, notierte
Prof. Bauer, »würde der Tod auf Rezept
Wirklichkeit, das Traumziel der Todeshelfer erreicht. Ärzte könnten ihren Pa-
tienten ganz legal jenes Gift verordnen,
das man bislang nur in der Veterinärmedizin zum Einschläfern alter oder kranker
Tiere verwendet.« In dem Brand/Griese-Entwurf wird das Betäubungsmittelgesetzt nicht erwähnt. Aber auch hier ist
höchste Vorsicht geboten.
»Wir haben den ersten Schritt auf
einer schiefen Ebene genommen«
In einer Rede bei der Bundesärztekammer in Dezember 2014 sagte deren
Präsident Frank Ulrich Montgomery in
Bezug auf die Suizidbeihilfe: »Lassen Sie
es doch den Klempner oder den Apotheker oder den Tierarzt machen, aber eben
nicht den Arzt.« Hierfür hat Montgomery
viel Prügel einstecken müssen. Dabei hat
er lediglich unserem Grundverständnis
als Ärztinnen und Ärzte Ausdruck verliehen. Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, betrifft die Frage der Beihilfe
zur Selbsttötung den Kern unserer Berufung. Wir Ärzte sind nicht bloße Medizintechniker, die spezialisierte Lösungen für gesundheitliche Probleme anbieten. Unsere Aufgabe als Ärzte ist es vielmehr, neben dem Heilungsauftrag das
Leid unserer Patienten zu mindern und
dem Leidenden Beistand, Zuwendung
und Fürsorge zu bieten. Auf keinen Fall
dürfen wir uns dafür hergeben, den Leidenden zu beseitigen, indem wir Beihilfe
zum Suizid leisten. Mit dem neuen Gesetz sind wir Ärzte - trotz anderslautenden Behauptungen auf fast allen Kanälen - diesem Zustand leider einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
IM PORTRAIT
Professor Dr. med. Paul Cullen
Der 1960 in Dublin geborene Autor ist
Labormediziner, Internist und Molekularbiologe. Er leitet
ein großes medizinisches Labor in
Münster und ist
außerordentlicher
Professor für Laboratoriumsmedizin
an der dortigen Universität. Seit vier
Jahren ist er zudem Vorsitzender des
Vereins »Ärzte für das Leben«, der sich
dem Schutz des menschlichen Lebens
von der Empfängnis bis zum natürlichen
Tod widmet. Mehr Infos:
www.aerztefuerdasleben.de.
11
MAKRODEPECHER/PIXELIO.DE
DOKUMENTAT I O N
Vom Ausland lernen
Die Zahl der Redner, die in der Debatte an das Rednerpult traten und für einen der vier zur
Abstimmung gestellten Gesetzentwürfe warben, wurde proportional zu der Anzahl der Unterzeichner ermittelt, mit denen die Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht wurden. Im Fall des Entwurfs der Abgeordneten Sensburg/Dörflinger/Hüppe waren dies drei. Der CDU-Abgeordnete und
ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe,
entschied daher, diese Rede zu Protokoll zu geben und einer Kollegin den Vortritt zu lassen.
Von Hubert Hüppe
V
on Suizid besonders gefährdet
sind generell Menschen, die depressiv, alt, behindert, chronisch
krank, pflegebedürftig, verwitwet, arbeitslos oder alleinstehend und einsam sind.
Oft treten alle diese Merkmale gemeinsam auf. Viele treffen oft auf Menschen
mit Behinderung zu.
Wir wissen, dass schon aus demographischen Gründen die Gruppe der Älteren in den nächsten Jahren stark anwachsen wird. Die Babyboom-Generation kommt ins Rentenalter, während immer weniger junge Leute nachkommen.
Es ist daher schon hinterfragt worden, ob
es ein reiner Zufall ist, dass wir die Debatte über den assistierten Suizid zu einem Zeitpunkt führen, an dem der demographische Wandel intensiv wie nie zuvor
in Politik und Medien behandelt wird.
12
Aus der Suizidforschung wissen wir,
dass es jährlich etwa hunderttausend Suizidversuche in Deutschland gibt, von de-
»Das Kriterium der Tatherrschaft
ist eine hauchdünne Grenze.«
nen zehn Prozent tödlich enden. Zugleich
weist uns die Forschung darauf hin, dass
hinter fast allen Suiziden und Suizidversuchen eine psychische Erkrankung oder
soziale Probleme wie Vereinsamung stehen. Hiergegen kann man mit medizinischer, psychologischer und sozialer Hilfe
angehen – die Fachleute der Suizidprävention haben wirksame Konzepte er-
arbeitet. Vor wenigen Wochen, am 10.
September, war der Welt-Suizidpräventionstag. Er sollte uns diese Zusammenhänge in Bewusstsein rufen. Dieser WeltSuizidpräventionstag ist übrigens keine
Veranstaltung von Außenseitern, dahinter steht neben der Internationalen Vereinigung für Suizidprävention (Association for Suicide Prevention – IASP) die
Weltgesundheitsorganisation (WHO)!
Dass echte Hilfe bei Suizidgefährdung
möglich und erfolgreich ist, erkennen Sie
daran, dass die wenigsten Menschen, die
nach einem Suizidversuch professionelle
Hilfe erhalten, jemals wieder einen Suizidversuch machen.
Ein Kernpunkt der Debatte um assistierten Suizid ist: Wenn es erst einmal
gesellschaftlich akzeptiert ist, erst recht,
wenn es ein gesetzlich festgeschriebeLebensForum 116
LebensForum 116
und bei gesunden Lebensmüden, so eine
im Frühjahr 2015 veröffentlichte Studie.
Ende 2012 bekamen zwei belgische
Zwillinge, die von Geburt an gehörlos waren, tödliche Injektionen. Der Grund war,
CDU/CSU
nes Recht darauf gibt, dass ich mit Hilfe eines Arztes oder einer Organisation
aus dem Leben scheiden kann, und wenn
das als meine autonome, verantwortungsbewusste Entscheidung gilt, dann trage
schließlich ich selbst die Verantwortung
dafür, wenn ich weiterleben und die Ressourcen der Allgemeinheit weiter in Anspruch nehmen oder meinen Angehörigen zur Last fallen will.
Wenn die unterstützte Selbsttötung
eine legitime Entscheidung des Einzelnen ist, werden kranke und behinderte
und pflegebedürftige Menschen unter Erwartungsdruck kommen. Es reicht übrigens, wenn sie diesen Erwartungsdruck
nur empfinden.
Davon werden nicht in erster Linie
prominente Fernseh-Intendanten oder
bekannte Schauspieler mit hohem Einkommen und guter sozialer Vernetzung
betroffen sein. Es wird vielmehr die Bezieher kleiner Renten, Alleinstehende
und vor allem Menschen mit Behinderungen betreffen.
Ich habe kürzlich mit einem pensionierten Arzt gesprochen, der deutschlandweit Beihilfe zum Suizid leistet. Er
hat mir als Beispiel seinen jüngsten Fall
geschildert: Eine Frau Mitte siebzig ist
durch einen Schlaganfall gelähmt und
pflegebedürftig, sie kommt in ein Heim.
Ihr Sohn hat eine sechsstellige Summe
für den geplanten Hauskauf angespart.
Er muss monatlich einen Anteil von über
1500 Euro für das Pflegeheim zahlen. Die
Mutter wolle Sterbehilfe – aber kommuniziert hatte der pensionierte Arzt bisher
nur mit dem Sohn, er hatte die Mutter
noch nie gesehen.
Die unterstützte Selbsttötung ist – so
sagen die Befürworter – angeblich dauerhaft begrenzbar auf Menschen, die im
Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte – also
»einwilligungsfähig« – und psychisch
gesund sind. Wie lange würden solche
Grenzen dem Diskussionsdruck standhalten? Was wäre mit Menschen, die einwilligungsunfähig geworden sind (durch
Unfall, Krankheit oder Altersdemenz)?
Was wäre mit Menschen, die aufgrund
einer Behinderung nie einwilligungsfähig waren? Wäre es nicht naheliegend,
einem aus der Außenperspektive aussichtslos leidenden Menschen, der nicht
selbst um Sterbehilfe bitten kann, auch
ohne diese Bitte zu »helfen«?
Wir können von der Erfahrung des
Auslandes lernen: In den Niederlanden,
wo Euthanasie ausschließlich für einwilligungsfähige, unheilbar körperlich Kranke
eingeführt wurde, befürwortet heute jeder dritte niederländische Arzt Euthanasie bei Dementen, bei psychisch Kranken
ten geheilt«, oder wäre es korrekt zu sagen »der Patient hat sich selbst geheilt,
der Arzt hat nur geholfen«?
Jetzt stellen Sie sich vor, der Arzt verschreibt ein tödliches Mittel, das der Patient einnimmt und stirbt. Wie würden
wir hier den Beitrag des Arztes bewerten?
Ich will damit unterstreichen, dass die
Tatherrschaft des Patienten – das juristische Kriterium, das den assistierten Suizid von der aktiven Sterbehilfe trennt –
eine hauchdünne Grenze ist. Sie würde
nicht auf Dauer halten.
»Schauen wir genau hin, was
sich in Oregon entwickelt hat.«
Hubert Hüppe, CDU
dass sie befürchteten zu erblinden. 2013
ließ sich ein ansonsten gesunder 44-jähriger Belgier nach einer missglückten Geschlechtsumwandlung wegen unerträglicher psychischer Leiden töten. 2014 legalisierte das belgische Parlament Euthanasie auch an Kindern. Ebenfalls 2014 wurde der Euthanasieantrag des körperlich
gesunden, aber psychisch leidenden belgischen Sexualstraftäters Frank Van Den
Bleeken akzeptiert. Als man ihm spezielle Therapie anbot, ließ er die Tötung
absetzen. Das Ausland zeigt, dass die angeblich strenge Eingrenzbarkeit nicht
dauerhaft hält.
»2014 legalisierte Belgien die
Euthanasie auch an Kindern.«
In der aktuellen Diskussion spielt die
Tatherrschaft des Sterbewilligen eine zentrale Rolle. Der Arzt leiste nur Beihilfe,
die Haupttat werde vom Suizidenten ausgeführt. Lassen Sie mich die Tragfähigkeit
dieser Vorstellung einmal hinterfragen.
Bitte stellen Sie sich vor, Ihr Arzt verschreibt Ihnen ein Antibiotikum, das Sie
vorschriftsmäßig einnehmen, und Sie werden wieder gesund. Wäre es jetzt richtig zu sagen, »der Arzt hat den Patien-
Selbst Urban Wiesing – einer der vier
Autoren des Sterbehilfe-Entwurfes nach
dem Vorbild von Oregon – sagte in einem
taz-Interview 2014 zur Tatherrschaft des
Patienten: »Wir würden andernfalls eine
Grenze überschreiten, die wir im Augenblick politisch nicht überschreiten können und sollten, weil sie überhaupt nicht
zur Debatte steht.« Offensichtlich wird
bereits an das Überschreiten gedacht.
Das liegt auch in der Logik der Argumentation. Wenn das Leiden und die
Selbstbestimmung des Sterbewilligen
die entscheidenden Kriterien sind – wird
man ihm dann die vermeintlich moralisch
geschuldete »Hilfe« verweigern, weil er
selbst das Glas nicht mehr leeren kann?
Der Deutsche Ärztetag 2011 hat mit
einer Dreiviertel-Mehrheit beschlossen,
dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche
Aufgabe ist: eine große Mehrheit der Ärzteschaft lehnt das ab. Das hat aber auch
eine absehbare praktische Konsequenz:
Wer sich selbst töten will, der hat also mit
hoher Wahrscheinlichkeit einen Hausarzt,
der Beihilfe zur Selbsttötung ablehnt.
Es ist daher nicht realistisch – wie Befürworter des ärztlich assistierten Suizids sagen – dass ich denjenigen Arzt
um »letzte Hilfe« bitte, der mich schon
viele Jahre kennt. Typischerweise müsste ich anderen Arzt finden, der dazu bereit ist und der mich noch nie zuvor gesehen hat. Es könnte wieder auf reisende
Suizid-Ärzte wie den pensionierten Urologen Uwe Christian Arnold hinauslaufen, der mit Gasflasche und Kaffeemühle durch Deutschland reist und bis heute bei etwa 300 Suiziden assistiert hat.
In Oregon – das uns von manchen als
Vorbild hingestellt wird – ist es typischerweise so, dass dort über 90 Prozent der
ärztlich assistierten Suizide mit Hilfe von
13
DOKUMENTAT I O N
tungsrate nachweislich höher als in Staaten ohne Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids. Dies belegt eine kürzlich veröffentlichte aufwändige statistische Analyse des Medizinethikers David
Jones aus Oxford und des Wirtschaftswissenschaftlers David Paton aus Nottingham, die unter anderem die Daten
aus Oregon, Washington, Montana und
Vermont untersucht und mit anderen
US-Bundesstaaten verglichen haben. Die
Ergebnisse widerlegen die »Oregon-LeDANIEL RENNEN
solchen Ärzten stattfinden, die von einem
Sterbehilfe-Verein vermittelt werden.
In Oregon gibt es eine weitere brisante Entwicklung, auf die ich hinweisen
will: Ich habe hier die aktuelle sogenannte Priorisierungsliste aus Oregon. Darin
stehen die medizinischen Leistungen, die
diejenigen bekommen, die nur die soziale Mindestkrankenversorgung »Medicaid« haben. Die von Medicaid noch finanzierten Therapien werden nach ihrer
»Kosten-Effektivität« aufgelistet. Inter-
Wir sollten den verhängnisvollen Weg
nicht beschreiten, den Arzt zum Todeshelfer zu machen, denn der Arzt repräsentiert dem Patienten gegenüber die Bejahung seiner Existenz durch die Solidargemeinschaft der Lebenden.
Christoph Wilhelm Hufeland (1762–
1836) hat das vor fast 200 Jahren so formuliert:
»Er [der Arzt] soll und darf nichts anderes thun, als Leben erhalten; ob es ein
Glück oder Unglück sei, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und
maaßt er sich einmal an, diese Rücksicht
mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind
die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird
der gefährlichste Mensch im Staate.«
Und wir sollten uns in der aktuellen
Debatte bewusst sein, dass Begründun-
»Wir dürfen uns nicht auf diese
schiefe Ebene begeben.«
Hinter fast allen Suiziden stehen eine psychische Erkrankung oder soziale Probleme
essant ist, dass assistierter Suizid von der
Rationierung ausdrücklich nicht betroffen ist und auch in Zukunft nicht sein
soll. Therapie wird rationiert, assistierter Suizid bleibt garantiert.
Interessant ist auch, dass in Oregon
inzwischen die Mehrheit der ärztlich as-
»In Oregon betrifft die Mehrzahl
der Suizide sozial Schwache.«
sistierten Suizide sozial schwache Menschen betrifft, die nur den sozialen Mindestkrankenversicherungsschutz »Medicaid« haben. Ihr Anteil ist 2014 auf 60,2
Prozent angestiegen, viel höher als ihr
Bevölkerungsanteil.
Wo es wie im US-Staat Oregon ein
gesetzliches Recht auf ärztlich assistierten Suizid gibt, ist die Gesamt-Selbsttö14
gende«, der zufolge die ausdrückliche gesetzliche Gestattung der ärztlichen Suizidassistenz suizidpräventiv wirken, also zu niedrigeren Selbstmordraten führen soll. Im Gegenteil geht legalisierter
ärztlich assistierter Suizid mit steigenden
Raten aller Suizide einher.
Wenn wir also hören, wir sollten uns
Oregon zum Vorbild nehmen, dann bitte schauen wir auch genau hin, was sich
in Oregon entwickelt hat!
Warum soll gerade ein Arzt bei der
Selbsttötung »helfen«? Doch wegen seiner Sachkunde, und damit es »sicher funktioniert«. Was aber macht der Arzt, wenn
etwas schiefgeht – z. B. spontanes Erbrechen durch den Suizidenten, in Oregon in
2,5 Prozent der Fälle offiziell als »Komplikation« registriert – und in welche Richtung greift der Arzt dann ein? Würde er
riskieren, dass der Suizident mit weiteren
Schädigungen wieder aufwacht? Immerhin
hat er den Patienten aufgesucht mit dem
Ziel, ihm zum Tod zu verhelfen.
gen und Voraussetzungen des ärztlich assistierten Suizids wie Selbstbestimmung
über das eigene Leben, aussichtsloses
Leiden und Tatherrschaft des Suizidenten nicht dauerhaft halten.
Die Argumente werden teilweise heute
schon vorgetragen: Mit Udo Reiter plädieren manche für die tödliche Selbstbestimmung über das eigene Leben, auch wenn
kein aussichtsloses Leiden vorliegt – solange der Suizident die Tatherrschaft hat.
Mit Urban Wiesing ist die Tatherrschaft des Patienten »im Augenblick«
noch eine nicht zu überschreitende politische Grenze – woraus man schließen
kann, dass für ihn letztlich Selbstbestimmung und Leiden genügen könnte. Das
wäre Tötung auf Verlangen.
Für besonders gefährlich halte ich eine Argumentation, die jedes Leiden für
sinnlos erklärt. Damit wird offensichtlich auch das Leiden des einwilligungsunfähigen Behinderten, der auch zur Tatherrschaft unfähig ist, für sinnlos erklärt.
Das betrifft ebenso den Patienten, der
die Tatherrschaft nicht mehr ausüben
kann, der vielleicht genau deshalb zusätzlich leidet, der aber einwilligungsfähig, psychisch gesund und volljährig ist?
Wird man ihn »sinnlos leiden« lassen?
Wir dürfen uns nicht auf diese schiefe Ebene begeben. Daher schlagen wir in
unserem Gesetzentwurf die grundsätzliche Strafbarkeit jeder Beihilfe zum Suizid vor – wie es beispielsweise in Österreich, Italien, Finnland, Spanien, Polen
und England gilt.
LebensForum 116
DOKUMENTATI O N
So haben die Abgeordneten gestimmt
Nachfolgend dokumentiert »LebensForum« die namentliche Abstimmung der 2. Lesung aller vier
Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe. Dazu lag den Parlamentariern ein Stimmzettel vor,
auf dem sie für einen der vier Gesetzentwürfe oder mit Nein gegen alle stimmen
oder sich der Stimme enthalten konnten.
134. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Freitag, 6. November 2015
Namentliche Abstimmung/2. Lesung
• Abgegebene Stimmen insgesamt: 602
• Ungültige Stimmen: 3
• Gültige Stimmen: 599 (entfielen auf die
vier nachfolgenden Gesetzentwürfe mittels Stimmzettelverfahren)
• Nein-Stimmen: 70
• Enthaltungen: 3
Auf den »Entwurf eines Gesetzes zur
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« der Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese,
Michael Frieser u. a. (BT-Drucksache
18/5373) entfielen 309 Stimmen:
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Ralph Brinkhaus
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Dr. Bernd Fabritius
Dirk Fischer (Hamburg)
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
LebensForum 116
Hans Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Anja Kaliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Günther Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günther Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
15
DOKUMENTAT I O N
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Lothar Riebsamen
Dr. Heinz Riesenhuber
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)
Gabriele Schmidt (Ühlingen)
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster (Weil am Rhein)
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Johannes Steiniger
Dieter Stier
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
16
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil (Peine)
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Oliver Kaczmarek
Arno Klare
Lars Klingbeil
Birgit Kömpel
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Aydan Özoguz
Detlev Pilger
Achim Post (Minden)
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Annette Sawade
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Elfi Scho-Antwerpes
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Peer Steinbrück
Gabi Weber
Die Linke
Jan van Aken
Annette Groth
Heike Hänsel
Andrej Hunko
Martina Renner
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Bündnis90/Die Grünen
Volker Beck (Köln)
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Maria Klein-Schmeink
Stephan Kühn (Dresden)
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Claudia Roth (Augsburg)
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Kordula Schulz-Asche
Dr. Harald Terpe
Auf den »Entwurf eines Gesetzes zur
Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung« der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr.
Karl Lauterbach u. a. (BT-Drucksache
18/5374) entfielen 128 Stimmen:
CDU/CSU
Norbert Brackmann
Cajus Caesar
Enak Ferlemann
LebensForum 116
Klaus-Dieter Gröhler
Olav Gutting
Jürgen Hardt
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Peter Hintze
Sylvia Jörrißen
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Andreas G. Lämmel
Dr. Ursula von der Leyen
Thomas Mahlberg
Carsten Müller (Braunschweig)
Dr. Philipp Murmann
Helmut Nowak
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Tankred Schipanski
Christina Schwarzer
Tino Sorge
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christel Voßbeck-Kayser
Kai Wegner
Ingo Wellenreuther
Heinz Wiese (Ehingen)
Dagmar G. Wöhrl
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Lothar Binding (Heidelberg)
Edelgard Bulmahn
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
LebensForum 116
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Frank Junge
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Susanne Mittag
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Dr. Carola Reimann
Petra Rode-Bosse
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Matthias Schmidt (Berlin)
Carsten Schneider (Erfurt)
Swen Schulz (Spandau)
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Stefan Zierke
Die Linke
Michael Schlecht
Bündnis 90/Die Grünen
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)
Agnieszka Brugger
Katharina Dröge
Anja Hajduk
Lisa Paus
Dr. Frithjof Schmidt
Auf den »Entwurf eines Gesetzes über
die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung« der Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring u. a.
(BT-Drucksache 18/5375) entfielen 52
Stimmen:
CDU/CSU
–
SPD
Detlef Müller (Chemnitz)
Sonja Steffen
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Die Linke
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)
Thomas Nord
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Alexander Ulrich
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Bündnis 90/Die Grünen
Kerstin Andreae
Dr. Franziska Brantner
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Renate Künast
Steffi Lemke
Nicole Maisch
17
DOKUMENTAT I O N
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Ulle Schauws
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Auf den »Entwurf eines Gesetzes über
die Strafbarkeit der Teilnahme an der
Selbsttötung« der Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger,
Hubert Hüppe u. a. (BT-Drucksache
18/5376) entfielen 37 Stimmen:
CDU/CSU
Thomas Bareiß
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Klaus Brähmig
Heike Brehmer
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Iris Eberl
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Josef Göppel
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann (Dortmund)
Bettina Hornhues
Hubert Hüppe
Dr. Egon Jüttner
Alois Karl
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Marlene Mortler
Julia Obermeier
Martin Patzelt
Kerstin Radomski
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Johannes Röring
Uwe Schummer
Detlef Seif
Johannes Selle
Dr. Patrick Sensburg
Rita Stockhofe
Marian Wendt
SPD
–
Die Linke
–
Bündnis90/Die Grünen
–
18
Mit Nein und damit gegen alle vier zur
Abstimmung gestellten Gesetzentwürfe stimmten 70 Abgeordnete:
CDU/CSU
Alexandra Dinges-Dierig
Jutta Eckenbach
Ingrid Fischbach
Dr. Herlind Gundelach
Mark Helfrich
Steffen Kanitz
Kordula Kovac
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Norbert Röttgen
Sebastian Steineke
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
SPD
Niels Annen
Sören Bartol
Dr. Karl-Heinz Brunner
Petra Crone
Sabine Dittmar
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Dr. Edgar Franke
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Gabriela Heinrich
Gustav Herzog
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Klaus Mindrup
Joachim Poß
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
Sarah Ryglewski
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
Ursula Schulte
Frank Schwabe
Martina Stamm-Fibich
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Die Linke
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dagdelen
Klaus Ernst
Inge Höger
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Richard Pitterle
Dr. Axel Troost
Harald Weinberg
Sabine Zimmermann (Zwickau)
Bündnis90/Die Grünen
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn (Tübingen)
Monika Lazar
Tabea Rößner
Dr. Gerhard Schick
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Der Stimme enthielten sich:
CDU/CSU
Peter Altmaier
Jana Schimke
SPD
–
Die Linke
Thomas Lutze
Bündnis 90/Die Grünen
–
Nicht teil an der 134. Sitzung des Bundestags nahmen:
CDU/CSU
Uwe Feiler
Jürgen Klimke
Dr. Thomas de Maizière
Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden)
SPD
Marco Bülow
Sigmar Gabriel
Angelika Glöckner
Ulrich Kelber
Daniela Kolbe
Franz Thönnes
Andrea Wicklein
Die Linke
Heidrun Bluhm
Caren Lay
Harald Petzold (Havelland)
Bündnis 90/Die Grünen
Sven-Christian Kindler
Doris Wagner
Quelle: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll
18/134, Seiten 13136-13150
LebensForum 116
BIOETHIK-SPLIT T E R
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++
Lebensrechtler siegt vor
Menschenrechtsgerichtshof
Straßburg (ALfA). Nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) sind die Protestaktionen des Lebensrechtlers Klaus Günter
Annen vor Frauenarztpraxen und im Internet von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Der Deutsche sei in seinen Grundrechten verletzt worden, als deutsche Gerichte seine Flugblatt-Proteste verboten, entschieden die Straßburger Richter Ende
November. Der EGMR sprach Annen
wegen Verletzung der Meinungsfreiheit
eine Entschädigungszahlung von rund
13.700 Euro zu.
Annen kämpft seit Jahren bundesweit
vor Arztpraxen und im Internet gegen Mediziner, die Abtreibungen vornehmen. Er
rückt die massenhaften vorgeburtlichen
Kindstötungen in die Nähe der Morde
der Nationalsozialisten und spricht analog zum Holocaust vom »Babycaust«. Bei
dem vor dem EGMR verhandelten Fall
ging es um Annens Proteste in Ulm, die
letztlich zur Schließung einer Tagesklinik
führten. Vor der Arztpraxis hatte Annen
Flugblätter verteilt, die Abtreibungen als
»rechtswidrig« bezeichneten und darauf
verwiesen, dass vorgeburtliche Kindstötungen in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei blieben. Auf der
Rückseite des Flugblatts schrieb er: »Die
Ermordung der Menschen in Auschwitz
war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene NS-Staat hatte den Mord an
den unschuldigen Menschen erlaubt und
nicht unter Strafe gestellt.« Auf seiner
Internetseite »Babycaust« stellte Annen
zudem eine bundesweite Liste von »Abtreibungsärzten« ein.
Das Landgericht Ulm und das Oberlandesgericht Stuttgart hatten ihm sowohl
die Flugblattaktionen direkt vor der Tagesklinik als auch die Nennung der Namen der Mediziner und der Adressen ihrer Praxis in seiner Internetliste untersagt. Das Bundesverfassungsgericht hatte Annens Klage gegen die beiden Urteile nicht zur Entscheidung angenommen.
Der EGMR entschied nun, die deutschen
Gerichte hätten Annens Recht auf Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der Mediziner nicht angemessen
gegeneinander abgewogen. Annen habe die deutsche Abtreibungsgesetzgebung auf seinem Flugblatt korrekt dargestellt. Auch kritisierte der EGMR die
Einschätzung der Gerichte, wonach Annen die Persönlichkeitsrechte der Gynäkologen verletzt habe, indem er ihre medizinische Tätigkeit indirekt mit den nationalsozialistischen Massenmorden verglich. Annens Flugblatt könne vielmehr als
Appell verstanden werden, sich bewusst
zu machen, dass Moral und Recht nicht
gleichzusetzen seien, so die Richter. Die
Flugblattaktion sei als Beitrag zu einer für
die Öffentlichkeit wichtigen, kontroversen Debatte zu werten. Schließlich hätten die deutschen Gerichte Annens Internetseite nicht detailliert analysiert. So
sei nicht geprüft worden, ob die von Annen aufgeführten Ärzte nicht selbst auf
ihren Internetseiten Abtreibungen anböten. Das Urteil erging mit fünf gegen
zwei Stimmen. Die zwei Richter lehnten
Kampagnen-Seite www.babycaust.de
in einem Minderheitenvotum die Mehrheitsentscheidung der Kammer ab: Es gebe kein öffentliches Interesse daran, dass
Annen die Mediziner derart hart kritisiere und an den öffentlichen Pranger stelle.
Durch Verweise auf die NS-Zeit, Holocaust und Auschwitz habe Annen die Ärzte in unzulässiger Weise »dämonisiert«.
Bei seiner Klage »Annen gegen
Deutschland« war der Deutsche vor dem
EGMR von der »Aktion Lebensrecht für
Alle« (ALfA) und der »ADF International« als sogenannter »dritter intervenierender Partei« unterstützt worden. ADF
International setzt sich weltweit für die
Verteidigung der Religionsfreiheit, des
Rechts auf Leben sowie von Ehe und Familie ein. »Klaus Annens Fall ist ein Sieg
für Aktivisten und Anwälte der Meinungsfreiheit auf dem gesamten europäischen
Kontinent. In einer freien Gesellschaft
müssen Menschen nicht zum Schweigen
gebracht werden, nur weil anderen nicht
gefällt, was sie zu sagen haben«, kommentierte der Jurist Paul Coleman, Rechtsexperte von ADF International, das Urteil gegenüber der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«. reh
ALfA reicht Klage gegen
Lucke-Partei ein
Augsburg/Köln (ALfA). Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. hat beim
Landgericht Augsburg Klage gegen die
von Bernd Lucke gegründete Partei »Allianz für Fortschritt und Aufbruch« (ALFA) eingereicht. Die ALfA wirft der Partei
vor, durch den widerrechtlichen Gebrauch
der Kurzbezeichnung ALFA ihre Rechte
zu verletzen und gegen das Namensrecht
zu verstoßen. Ein rascher erster Versuch
im Eilverfahren scheiterte an der Auffassung der Augsburger Gerichte, es könnte eine »Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung« drohen. »Die noch unverbindlichen Äußerungen der Augsburger
Richter zu den Sach- und Rechtsfragen
stimmen uns aber für die Hauptsacheklage zuversichtlich. Als überparteiliche und
überkonfessionelle Lebensrechtsorganisation legen wir Wert darauf, nicht mit
der von Herrn Professor Lucke gegründeten Partei und den von ihr vertretenen
Ansichten und Positionen in Verbindung
gebracht zu werden«, erklärte dazu die
Bundesvorsitzende der ALfA, Dr. med.
Claudia Kaminski, in Köln. »Als eine der
größten Lebensrechtsorganisationen in
Europa beteiligt sich die ALfA seit Jahrzehnten wie selbstverständlich auf vielfältige Weise am politischen Meinungsbildungsprozess. Ich habe überhaupt nichts
dagegen, wenn mit der von Professor Lucke gegründeten Partei nun noch jemand
im selben Stadion spielt. Aber im Interesse
unserer Mitglieder sowie für die Bürger
und die Medien in unserem Land wollen
wir unterscheidbar bleiben. Das halte ich
durch die unglückliche Namenswahl der
kürzlich gegründeten Partei nicht mehr
für gegeben. Die ALfA hat deshalb die
renommierte Münchner Kanzlei Romatka & Collegen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt«, so Kaminski
weiter.
reh
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++
LebensForum 116
19
BIOETHIK-SP L I T T E R
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++
Urteil: Fünf Jahre Haft für
Reproduktionsmediziner
Hof (ALfA). Wegen mehrerer Straftaten hat das Landgericht Hof einen Reproduktionsmediziner aus Oberfranken
zu insgesamt fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Richter betrachteten es als erwiesen, dass der 57-jährige Arzt für Frauen, die unbedingt ein Kind wollten, die Eizellen fremder Frauen befruchtet und ihnen eingesetzt hat. Die Eizellspende ist in
Deutschland verboten. Der Arzt habe sich
über das Verbot hinweggesetzt, um sich
eine weitere Einnahmequelle zu sichern,
sagte der Vorsitzende Richter. Zudem habe
der Mediziner mehr als eine Million Euro Steuern hinterzogen. Auch bei den Abrechnungen für die Kassenärztliche Vereinigung soll er betrogen haben.
reh
Mutter von in Krippe
ausgesetztem Baby gefunden
New York (ALfA). Die Polizei von New
York hat die Identität der jungen Mutter
festgestellt, die Ende November ihr neugeborenes Baby in der Weihnachtskrippe
einer Kirche des New Yorker Stadtteils
Queens ausgesetzt hatte. US-Medien zitieren einen Behördensprecher mit den
einer Person übergeben oder wenigstens
jemanden auf das Kind aufmerksam machen müssen.
reh
Haftpflicht für Hebammen
steigt erneut
Berlin (ALfA). Die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen steigt
erneut. Wie der Deutsche Hebammenverband (DHV) Ende November in Berlin mitteilte, steigt die Haftpflicht ab dem
kommenden Juli um 9 Prozent auf jährlich 6.843 Euro und im Juli 2017 erneut
um über elf Prozent auf dann 7.639 Euro.
Dieser Haftpflichtschutz für weitere zwei
Jahre werde von einem Konsortium aus
mehreren Versicherern abgedeckt. Abhilfe solle ein sogenannter Sicherstellungszuschlag schaffen, hieß es. Dieser könne
jedoch nicht alle betroffenen Hebammen
ausreichend entlasten. Erst kürzlich habe
eine Schiedsstelle über dessen Ausgestal-
Ein vom Aussterben bedrohter Beruf
Mutter, verzweifelt gesucht
Worten: »Sie ist wohl davon ausgegangen, dass das Kind in der Kirche sicher
gefunden würde.« Die Behörden wollen
nun das Gespräch mit der Frau suchen
und herausfinden, ob es ihr gut gehe. Eine Strafe drohe ihr nicht. In New York
können Eltern wie in vielen anderen USBundesstaaten auch neugeborene Kinder
ohne Angst vor Strafverfolgung an sogenannten »safe havens« (dt.: sichere Orte) abgeben. Dazu gehören neben Krankenhäusern und Feuerwehrwachen auch
Kirchen. Allerdings schreibt das Gesetz
vor, dass die Eltern den Säugling direkt
tung entschieden. Gegen diesen Schiedsbeschluss bereite der Verband eine Klage
vor. Damit sei klar, dass die bisher verabschiedeten politischen Maßnahmen nicht
ausreichend griffen, so der Verband weiter. Auch von dem im Juni beschlossenen
Regressverzicht der Kranken- und Pflegekassen erwartet der DHV keine Auswirkungen auf den Versicherungsmarkt.
Einen alternativen Versicherer zum Konsortium gebe es nicht. Der DHV fordert
deshalb eine langfristige Regelung. Eine
mögliche Lösung sei ein Haftungsfonds,
der bei Schäden einspringt, die über eine Haftungsobergrenze hinausgingen. In
den vergangenen Jahren sind immer mehr
freiberufliche Hebammen aufgrund der
hohen Haftpflichtprämien aus dem Beruf und insbesondere aus der Geburtshilfe ausgestiegen. Eine ausreichende Versorgung mit Hebammenhilfe sei deshalb
in vielen Regionen in Deutschland nicht
mehr gegeben, so die Kritik. Hebammen
und gesetzliche Krankenkassen hatten sich
im vergangenen Jahr auf eine entsprechende Regelung zu den umstrittenen Haftpflichtprämien geeinigt. Zunächst hatte
der Verband das Angebot der Krankenkassen aber abgelehnt und damit ein Schiedsstellenverfahren gefordert. Später betonte der Verband jedoch, dass ein schneller Ausgleich durch die Krankenkassen
jedoch notwendig sei, um nicht weitere
Hebammen aus dem Beruf zu drängen.
Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte sich in den
Streit um die Versicherungsbeiträge eingeschaltet.
san
Kommission lobt
Transplantationsmedizin
Berlin (ALfA). Eine medizinische Prüfkommission hat der Transplantationsmedizin in Deutschland verbesserte Transparenz bescheinigt. In dem Ende November in Berlin vorgestellten Bericht der
Prüfungskommission und der Überwachungskommission, die in gemeinsamer
Trägerschaft von Bundesärztekammer,
Deutscher Krankenhausgesellschaft und
GKV-Spitzenverband arbeiten, wurden
jedoch insgesamt 88 Manipulationen bei
Herz-Spenden und 47 bei Lungentransplantationen dokumentiert. Überprüft
wurden alle 46 Transplantationszentren
beziehungsweise 126 Transplantationsprogramme für die Jahre 2010 bis 2012.
Zuvor hatte ein Prüfbericht Unregelmäßigkeiten aus den Jahren 2010 und 2011
an vier Zentren für Lebertransplantationen festgestellt. »In vielen Transplantationszentren ist ein Struktur- und Kulturwandel erkennbar«, sagte die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret
Rinder, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2014/2015.
Bündnis90/Die Grünen und die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderten
demgegenüber eine stärkere staatliche
Aufsicht. »Es ging offenkundig drunter
und drüber bei der Organspende«, kommentierte Patientenschützer Eugen Brysch
die Zahlen. »Das kann nicht toleriert werden in einem System, in dem es um Leben oder Tod geht.« Systematische Manipulationen und Richtlinienverstöße gab es
laut Bericht insbesondere bei Herztransplantationen an Kliniken in Berlin, München, Heidelberg, Jena und Köln.
san
+++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++
20
LebensForum 116
GESELLSCHAFT
Gegen den Strom schwimmen
Bereits zum siebten Mal bildeten sich junge Erwachsene auf der »Akademie Bioethik« in Fragen des
Lebensschutzes weiter und diskutierten mit Politikern, Ärzten und Medienfachleuten.
Dabei lag der lebensrechtsspezifische Fokus diesmal ganz auf der Beihilfe zum Suizid, über die der
Deutsche Bundestag kurz darauf abschließend befinden sollte.
Von Lioba Müller
P
ro Choice«, »Pro Life« – was verbirgt sich hinter diesen Standpunkten? Was bedeutet Lebensschutz
in einer Welt des Perfektionismus und
der Selbstbestimmung? Lebensschutz
und Medien – geht das überhaupt? Diese und andere Fragen stellten sich sechs
Experten aus Politik, Medizin und Medien bei der siebten »Akademie Bioethik«
in Aachen.
Den Auftakt zur diesjährigen »Akademie Bioethik«, die unter dem Motto »Warum sich Lebensschutz lohnt« stand, bildete ein Vortrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Patrick Sensburg. Im gut gefüllten Saal der katholischen Studentenverbindung K. D. St. V.
Kaiserpfalz zu Aachen referierte Sensburg vor etwa 90 Zuhörern zum Thema
»Politiker im Spannungsfeld zwischen
Lebensschutz und aktuellen Fragestellungen«. Organisiert wurde die »Akademie Bioethik« von den »Jungen Christdemokraten für das Leben«, der »Konrad-Adenauer-Stiftung« und der »Jugend
für das Leben«. Für die Auftaktveranstaltung zeichneten auch der Aachener RCDS
und die JU Aachen mitverantwortlich.
Die stand ganz im Fokus der inzwischen abgeschlossenen Bundestagsdebatte über Sterbehilfe. Bis zu der mittlerweile ergangenen Entscheidung des Parlaments war die Beihilfe zum Suizid, der
selbst straflos ist, in Deutschland völlig
straffrei gestellt. Drei von vier Gesetzentwürfen, über die der Bundestag am
6. November in Zweiter und Dritter Lesung entschied, wollten dies in sehr unterschiedlichem Umfang ändern. Der
weitreichendste war der, den Sensburg
gemeinsam mit anderen Abgeordneten
selbst erarbeitet hatte.
Dieser sah vor, Anstiftung und Beihilfe
zum Suizid umfassend zu verbieten, wohl
wissend, dass in sehr extremen Einzelfällen
Gerichte auch von Strafe absehen könnten. Dadurch wäre es zwar zu einem erhöhten Risiko für Ärzte und NahestehenLebensForum 116
de gekommen, sich auf der Anklagebank
wiederzufinden. Sensburgs Ansicht nach
sei dies jedoch in Relation zum bedrohten Rechtsgut des Lebens gerechtfertigt.
In seinem Vortrag nahm Sensburg
auch Stellung zu den Entwürfen, die mit
seinem eigenen konkurrierten. Der Gesetzentwurf der Gruppe um den CDUAbgeordneten Michael Brand habe im
Vorfeld breite Zustimmung der Öffentlichkeit erhalten. Er verbiete die Beihilfe
zum Suizid Sterbehilfevereinen und geschäftsmäßig agierenden Sterbehelfern.
Im Einzelfall erlaube er jedoch weiterhin
die Suizidhilfe durch Angehörige, Nahestehende, Ärzte und Pflegende. Voraussetzung für eine solche Suizidassistenz
seien große Schmerzen des Patienten.
Da aber das Schmerzempfinden subjektiv sei, sei für Außenstehende schwer zu
beurteilen, wann sie sich strafbar machten und wann nicht. Das sei ein Nachteil des Gesetzentwurfs.
An dem Entwurf der Gruppe um die
Abgeordnete Renate Künast (Bündnis
90/Die Grünen) bemängelte Sensburg
die geringe Reichweite des Verbotes. Die
gewerbsmäßige, auf kommerziellen Gewinn zielende Sterbehilfe, die der Entwurf lediglich verbieten wollte, sei in
Deutschland nicht weit verbreitet. Wenig Verständnis zeigte Sensburg für den
Entwurf der Gruppe um den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Hintze. Dessen Verfechter redeten zwar viel von
Schmerz und Leid in der letzten Lebensphase, für die Gewährung der Suizidhilfe werde dies im Gesetzentwurf aber gar
nicht vorausgesetzt.
Hilfe zur Selbsttötung zur Beendigung von Leid könne er nicht unterstützen, stellte Sensburg klar. Menschen würden dabei vor falsche Alternativen gestellt. Wenn ein Mensch sage, »Ich will
so nicht mehr leben«, meine er eigentlich: »Ich will so nicht mehr leben.« Laut
Sensburg sollte die Gesellschaft diesen
Menschen hoffnungsspendende Wege
aufzeigen. Hotlines sollten ohne Warteschleife funktionieren und Hospize und
Palliativmedizin besser unterstützt werden. »Begleitung, Therapie und Aufopferung« seien »Alternativen zu dem Mittel«, mit dem sich der Suizidwillige umbringe, befand Sensburg.
Auf der dreitägigen »Akademie Bioethik« hielt auch Professor Dr. med.
Christoph von Ritter einen Vortrag. Mit
klaren Worten führte der Berater des
Päpstlichen Gesundheitsrates die 20 Teilnehmer in die Grundlagen und aktuelle
Fragestellungen der Bioethik ein. Gleich
am Anfang stellte er sich der Frage, warum er sich für den Lebensschutz einsetze: »Zum Schutz der Schwachen lohnt es
sich immer, gegen den Strom zu schwimmen.« Als Chefarzt der Medizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Prien am
Chiemsee sei es für ihn besonders wichtig, sich Zeit für die Schwachen, für seine Patienten, zu nehmen. Das Problem
sei, dass die Mediziner in ein Zeitraster
verfielen und versuchten, alles möglichst
effizient zu gestalten. Doch hätten es die
Ärzte selbst in der Hand, wie sie mit ihrer
Zeit umgingen. »Es ist unsere Aufgabe,
dass wir unsere Zeit patientenorientiert
einsetzen«, betonte von Ritter. Zudem
habe die Medizin heute genügend Mittel gegen Schmerzen: »Palliativmedizin
nimmt Verzweiflung, nicht das Leben.«
Im Hinblick auf die Debatte um den §
217 StGB forderte von Ritter auch einen Schutz der Ärzte. Dieser sei nur bei
dem Gesetzentwurf von Sensburg in vollem Umfang garantiert.
Im weiteren Verlauf des Vortrags gab
von Ritter einen Überblick über die unterschiedlichen Strömungen in der Bioethik, den Utilitarismus und die Deontologie. Utilitarismus bezeichnet die Beurteilung einer Handlung nach ihrem Ziel,
wobei letztlich der Zweck die Mittel heiligt. Kritikwürdig sei hieran vor allem,
dass für das Wohl der Allgemeinheit ohne Relation und in unverhältnismäßiger
21
GESELLSCHA F T
de auch die gesamtgesellschaftliche Relevanz bioethischer Themen weiter zunehmen, prognostizierte Hüppe.
Dies konnte auch Stefan Rehder, Ressortleiter Politik der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«,
bestätigen. Der Journalist gab den Teilnehmern der »Akademie Bioethik« einen Überblick über die Entwicklung von
»Lebensrechts-Themen« in den Medien. Bis zum Ende der 90er Jahre sei Abtreibung das einzige Thema gewesen,
das in der medialen Öffentlichkeit präsent gewesen sei. Eine Pro-Life-Position zu vertreten, sei damals nur in einer
Handvoll Medien möglich gewesen. Inzwischen habe sich sowohl Themenvielfalt als auch Meinungsvielfalt erheblich
gewandelt.
Heute reiche die biopolitische Agenda von der Abtreibung über die künstliche Befruchtung, Genetische DiagnosWWW.JUGENDHERBERGE.DE
Weise in die Rechte des Einzelnen eingegriffen werden könne. Anderes gelte
für die deontologische Sichtweise, welche die Gutheit einer Handlung an sich
beurteile, die Konsequenzen, die sich daraus ergäben, seien nicht das Entscheidende. Einen Einblick ermöglichte von
Ritter auch in die Thematik der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der Abtreibung. Als Mediziner gehe er bereits
ab der Gametenfusion, der Verschmelzung von Samen und Eizelle, von einem
Individuum aus. Zur Begründung referierte er die sogenannten SKIP-Argumente (Spezies-, Kontinuitäts-, Identitäts-, Individualitäts- und Potenzialitätskriterium).
Die Thematik der Abtreibung griff
Prof. Dr. Holm Schneider in seinem
Vortrag »Genetisch nicht perfekte Kinder – eine Zumutung?« auf. Mit zahlreichen persönlich erlebten Gegenbeispie-
Beherbergte die Teilnehmer der diesjährigen »Bioethik Akademie«
len stellte er das Menschsein dieser Personen in den Mittelpunkt. Wie durch ein
Wunder schien es für manche Zuhörer,
dass für Kinder mit schwersten genetischen Erbkrankheiten ein erfülltes Leben möglich ist, eine Diagnose über wenige Stunden außerhalb des Mutterleibes
muss demnach nicht zwangsweise eintreten. Vergessen darf man auch nicht, dass
jeder Mensch, der eine früher, der andere später, mit seiner eigenen »Behinderung« oder »Schwäche« zu kämpfen hat.
Dass es sich lohnt, gerade für die
Schwachen zu kämpfen, brachte auch
Hubert Hüppe den Akademieteilnehmern
näher. Dem CDU-Gesundheitspolitiker
und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen liegt das (politische) Engagement junger Menschen für
den Lebensschutz besonders am Herzen.
Mit großer Sorge betrachtet er die Debatte um Suizid- und Sterbehilfe. Weil
die Gesellschaft immer älter werde, wer22
tik und Organtransplantation bis zur
Stammzellforschung und der Sterbehilfe. Zu ihnen hätten sich »Unter«- und
»Einzelthemen« wie Babyklappe, Eizellspende, Enhancement, Fetozid, Genome
Editing, Hirntod, In-vitro-Fertilisation,
Intraczytoplasmatische Spermieninjektion, Keimbahntherapie, Leihmutterschaft, Lebendspende, Pränatale Diagnostik, Präimplantationsdiagnostik, Patente auf Leben, Rettungsgeschwister, Somatische Gentherapie, Therapeutisches
Klonen und Xenotransplantation dazugesellt. »Inzwischen scheint es, als würden selbst die Buchstaben des Alphabets
nicht mehr ausreichen, um all die Fragen
zu bezeichnen, mit denen Lebensrechtler sich heute auseinandersetzen müssen
und zu denen sie eine Position besitzen
sollten«, so Rehder.
Er selbst sei froh und dankbar, dass er
mit diesen Themen noch habe mitwachsen können. Inzwischen sei es nahezu unmöglich geworden, sich alle diese The-
men gleichzeitig zu erarbeiten. Wer sich
als Neuling journalistisch mit ihnen auseinandersetzen wolle, dem riet Rehder,
sich zunächst ein Thema vorzuknöpfen,
bei dem die eigene Motivation am stärksten sei, und dieses zumindest so lange zu
vertiefen, bis man die wichtigsten Forscher mit Namen und ihre wichtigsten
Arbeiten kenne.
Insgesamt sei das von großer Distanz
geprägte Verhältnis von Medien und Lebensschutz aber einfacher geworden. Heute würden Journalisten auch die Handynummern von Lebensrechtlern in ihren
Handys speichern und selbst um Statements nachsuchen. Das sei lange undenkbar gewesen.
Der Journalist versorgte die Teilnehmer
der Akademie Bioethik auch mit praktischen Ratschlägen, um künftig noch bessere mediale Erfolg zu erzielen. So sollten Lebensrechtsorganisationen versuchen, ihre Reaktionszeiten zu verkürzen.
Pressemitteilungen kämen oft zu spät und
seien oftmals zu lang. »Aussicht darauf, in
einem Bericht mit einem Statement mitzulaufen, hat heute nur der, der vorgearbeitet hat«, merkte Rehder an. Wichtig sei
auch, »sich unangreifbar zu machen«, um
Journalisten keinen Vorwand zu bieten,
aus dem »Konzert der Meinungen« ausgesondert zu werden. Zitate der Gegner
dürften weder sinnentstellend verwandt
noch selektiv ausgewählt werden. Auch
der richtige Gebrauch von Fachvokabular sei wichtig. Wer etwa nicht zwischen
»Tötung auf Verlangen« und »Beihilfe zum Suizid« unterscheide, werde von
Journalisten nicht ernst genommen.
Rehder warnte auch vor Illusionen.
Das Verhältnis von Medien und Lebensschutz werde ein schwieriges bleiben.
Wahr sei auch, dass die meisten Medien
Lebensrechtlern gegenüber überaus kritisch eingestellt seien und diese oft ungerecht behandelten. Das gelte ganz besonders beim Thema Abtreibung. Dennoch
könnten auch Lebensrechtler selbst eine
Menge dazu beitragen, das Verhältnis zu
den Medien zu verbessern, befand Rehder, der großen Respekt vor der Arbeit
der vielen ehrenamtlich Tätigen in den
Lebensschutzorganisationen bekundete
und hervorhob, dass diese in der Vergangenheit auch schon Vieles erreicht hätten.
Durch diese konstruktive Kritik angespornt, begannen die Akademieteilnehmer mit dem Kommunikationsexperten Andreas Söntgerath ein Konzept
zur Darstellung in den Medien zu entwickeln. Gestärkt durch die exzellenten
Vorträge freuen sich die Akademieteilnehmer schon auf Diskussionen im öffentlichen und privaten Leben.
LebensForum 116
MEDIZIN
Die Waffenkammer
der Bio-Hacker
Die gefährlichste Technologie seit der Entwicklung der Atombombe kommt eher schlicht gewandet daher. »Genome Editing« nennt sich das Verfahren, das mittels der CRISPR-Cas9-Technologie
Eingriffe in die menschliche Keimbahn erlaubt, die schneller, einfacher und präziser
zu bewerkstelligen sind als jemals zuvor. Die neue Technologie ist so furchterregend, dass sogar die
Wissenschaftler jetzt selbst über ein Moratorium diskutieren.
Von Stefan Rehder
E
s ist der Traum der Biologen, die
DNA-Sequenz, den Programmiercode des Lebens zu besitzen und ihn bearbeiten zu können, wie
ein Dokument in einem Textverarbeitungsprogramm«, bekannte zu Beginn
des 21. Jahrhunderts der US-Stammzellforscher, Gründer und CEO mehrerer BioTech-Schmieden, Michael David
West, der selbst mittlerweile mehr als
140 Patente hält oder zumindest an ihLebensForum 116
nen beteiligt ist. Heute, kaum mehr als
eine Dekade später, ist »der Traum der
Biologen« längst in greifbare Nähe gerückt. So nahe, dass unter den Forschern
selbst ein Streit darüber entbrannt ist, ob
sie seiner Verwirklichung eher eilig oder
eher behutsam nachjagen sollten.
In Washington trafen Anfang Dezember 800 Genforscher aus aller Welt zusammen, um darüber zu diskutieren, ob
Wissenschaft und Gesellschaft für eine
der folgenreichsten Entdeckungen seit
der Erfindung der Atombombe reif seien.
Zur Debatte steht, ob sich die Forscher
selbst verpflichten werden, das auch als
»Genome Editing« bekannte Verfahren
für eine zeitlich befristete Dauer zumindest beim Menschen nicht anzuwenden.
Im Gespräch ist ein Moratorium, das
fünf Jahre dauern könnte. Nicht davon
betroffen sein sollen allerdings dem Vernehmen nach die Behandlungen von
23
MEDIZIN
»Apell: ›Greift nicht in die
menschliche Keimbahn ein!‹«
ken werde, bereit vielen Sorge. Die Ergebnisse der Umfrage sollen auf einer
Konferenz in London vorgestellt werden, die sich ebenfalls mit dem »Genome Editing« und der unter dem Namen
CRISPR-Cas9 firmierenden Technologie befassen wird.
Mit dieser Technologie ist es Wissenschaftlern seit ein paar Jahren prinzipiell möglich, den genetischen Code eines
jeden Lebewesens – und damit auch des
Menschen – gezielt zu verändern. Und
zwar wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, Buchstabe für Buchstabe.
Während im März dieses Jahres erstmals fünf US-Wissenschaftler im Wissenschaftsmagazin »Nature« unter der
Überschrift »Don‘t edit the human germ
line« ein Moratorium für derartige Eingriffe in die menschliche Keimbahn forderten, treiben andere solche Projekte massiv voran. Mitte September stell24
dauer von maximal 14 Tagen. So schreiben es die in Großbritannien geltenden
Regeln vor. Die Chance, dass die durch
Eingriffe der Forscher um Niakan genetisch veränderten Embryonen ihre neu gewonnenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen vererben, besteht – auch wenn
die HFEA Niakan grünes Licht erteilte
– daher nur theoretisch.
BIANCA FIORETTI, HALLBAUER & FIORETTI
te die Stammzellforscherin Kathy Niakan vom Francis-Crick-Institute in London bei der britischen Aufsichtsbehörde
HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) einen Antrag, der an
ethischer Brisanz schwer zu überbieten
ist. Denn Niakan will von der HFEA
die Genehmigung erhalten, das Erbgut
menschlicher Embryonen zu verändern,
HTTPS://NSF.GOV
Krebspatienten, denen anders nicht geholfen werden kann. Wissenschaftler auf
der ganzen Welt schauen jetzt gespannt
nach Washington, wo die Wissenschaftsakademien aus den USA, Großbritannien
und China offiziell vertreten sein werden.
Ein Moratorium wäre, unabhängig davon,
ob es am Ende auch eingehalten würde,
ein bislang einmaliges Signal.
In vielen Wissenschaftsblogs ist die
Konferenz in Washington und das »Genome Editing« in diesen Tagen denn
auch das beherrschende Thema. Anders
als bei früheren bioethisch hochsensiblen Fragestellungen scheint das Problembewusstsein diesmal weit verbreitet
zu sein, wie etwa der Zwischenbericht
einer noch nicht abgeschlossenen Online-Umfrage zeigt.
Unter der Überschrift »Was Washington wissen muss« referieren dort Silvia
Camporesi und Lara Marks erste Ergebnisse. Danach assoziieren viele Teilnehmer
das »Genome Editing« beim Menschen
nicht nur mit Begriffen wie »Rassenhygiene«, »Designer-Babys« und »Macht«,
sondern stellen die Technologie auch
grundsätzlich in Frage. Dass niemand
wissen könne, welche Auswirkungen die
Freisetzung genetisch veränderter Insekten und Pflanzen auf das Biosystem und
die Biosphäre hätten, besorgt viele noch
viel mehr. Auch dass diese Technologie
die Ungleichheit auf der Welt verstär-
Jennifer Doudna
Emmanuelle Charpentier
die ursprünglich zum Zwecke künstlicher
Befruchtung erzeugt wurden, von ihren
Auftraggebern aber zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft nicht mehr benötigt werden und der Forschung zur Verfügung gestellt wurden.
Durch gezielte Manipulation, bei der
einzelne Abschnitte des Genoms der
Embryonen herausgeschnitten und andere eingefügt werden sollen, will Niakan herausfinden, welche Gene die Zellund Organentwicklung früher Embryonen regulieren. Die Klärung dieser Vorgänge sei nicht nur von grundlegender
biologischer Bedeutung. Auch könne das
bei den Experimenten gewonnene Wissen unter Umständen helfen, Methoden
der künstlichen Befruchtung zu verbessern und Unfruchtbarkeit erfolgreicher
zu behandeln, heißt es in Niakans Antrag.
»Wichtig« sei außerdem, versichert
die Forscherin, dass »alle gespendeten
Embryonen im Einklang mit den Vorschriften der HFEA, nur zu Forschungszwecken verwendet werden«. Mit anderen Worten: Jeder der ursprünglich zu
einem Zweck künstlich erzeugten Embryonen, der Niakans Experimente überlebt, wird die Petrischale nicht verlassen. »Forschungsembryonen« haben eine gesetzlich streng limitierte Lebens-
Bereits im April dieses Jahres hatten
chinesische Forscher die CRISPR-Cas9Technologie erstmals an nicht überlebensfähigen menschlichen Embryonen getestet. Dabei wurde vielen sehr deutlich gemacht, welche Gefahren die neue Technologie birgt. Denn nur vier der 86 mit
der CRISPR-Cas9-Technologie »behandelten« Embryonen wiesen anschließend
ein Gen auf, das wie gewünscht modifiziert wurde. Stattdessen fanden die Wissenschaftler heraus, dass sie mit der Technologie – unbeabsichtigt – auch ganz andere Stellen im Erbgut der menschlichen
Embryonen verändert hatten als die gewünschten.
Ȁhnliche Genscheren werden
schon seit 40 Jahren genutzt.«
Dass das Hacken des genetischen
Codes, für das Wissenschaftler den viel
würdevoller klingenden Begriff des »Genome Editing« ersonnen haben, auch
beim Menschen nicht mehr nur ein sehr
gefährlicher Wunsch, sondern inzwischen
ein völlig realistisches Szenario ist, verLebensForum 116
Fachzeitschrift »Science« gemeinsam eine Arbeit, die es Forschern heute überall
auf der Welt ermöglicht, die DNA eines
jeden Lebewesens – und damit prinzipiell auch die von Menschen – gezielt zu
verändern. Denn die unter dem Namen
»Der leichte Zugang und die einfache
Handhabe von CRISPR gibt Forschern
die Möglichkeit, überall auf der Welt jeden Versuch zu machen, den sie wollen«,
warnt denn auch Edward Lanphier, CEO
der Biotech-Firma Sangmo BioSciences
DANIEL RENNEN
dankt die »scientific community«, wie
sich die Gilde der Wissenschaftler voller
Stolz gerne selber nennt, vor allem zwei
Frauen: Jennifer Doudna von der Universität von Kalifornien in Berkeley und
Emmanuelle Charpentier, die seit Oktober die Abteilung »Regulation in der Infektionsbiologie« des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin leitet. Die US-Amerikanerin und die Französin, die unter Experten als Anwärter
auf den Nobelpreis gehandelt werden,
zumindest in diesem Jahr aber leer ausgingen, leiteten beide Arbeitsgruppen,
»Methode ermöglichte gezielte
Veränderungen des Erbguts.«
die auf der Suche nach mächtigen molekularbiologischen Werkzeugen der Frage nachgingen, wie sich Bakterien gegen
Viren verteidigen.
Wie heute längst jeder Gymnasiast im
Biologieunterricht lernt, gibt es Viren,
sogenannte Bakteriophagen, die mangels eines eigenen Stoffwechsels einen
Wirt benötigen, um sich zu vermehren. Dazu »kapern« sie ein Bakterium,
schleusen ihre DNA in die Wirtszelle
ein und »zwingen« diese, statt der Bakterien-DNA die Phagen-DNA zu replizieren. Doudna und Charpentier fanden
nicht nur heraus, dass Bakterien, die einen solchen »Hackerangriff« von Bakteriophagen überlebten, kurze Fragmente
der Phagen-DNA in ihre eigene einbauten, sondern auch, wo.
Der Einbau erfolgt jeweils zwischen
sogenannten CRISPR-Sequenzen, die japanische Forscher bereits Ende der 80er
Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckt hatten. Auf diese Weise legen sich
die Bakterien ein ganzes »Archiv« von
Viren-DNA an, das ihnen im Falle einer
neuerlichen Attacke hilft, einmal besiegte
Angreifer wiederzuerkennen und ein Protein herzustellen, das die Phagen-DNA
aus der eigenen herausschneidet und deren Reparatur ermöglicht.
Zwar nutzen Molekularbiologen ähnliche »Genscheren«, mit denen sich der
genetische Code von Lebewesen gezielt verändern lässt, bereits seit rund 40
Jahren, doch stellt die von Doudna und
Charpentier entschlüsselte und modifizierte Technologie alle bislang verwandten Werkzeuge in den Schatten. Nachdem sie 2011 damit begonnen hatten,
zusammenzuarbeiten, veröffentlichten
sie im August 2012 in der renommierten
LebensForum 116
»Genome Editing« stellt alles in den Schatten, was Molekularbiologen bislang ersonnen
CRISPR-Cas9 firmierenden Genscheren
sind so programmierbar, dass sie nahezu
jeden beliebigen Ort der DNA-Sequenz
eines Genoms ansteuern und dort einen
Schnitt setzen können. Schadhaft mutierte oder auch nur unliebsame Gene können mittels dieser Technologie herausgeschnitten und durch gesunde oder auch
nur für besser befundene ersetzt werden.
Bei Pflanzen und Tieren geschieht das im
Labor heute täglich, und das weltweit.
Auch Niakan will ihre Experimente
mit CRISPR-Cas9-Systemen durchführen. Was das von Doudna und Charpentier in der Natur aufgefundene und fortentwickelte Werkzeug aber so potent und
zugleich gefährlicher macht als alle bisherigen Genscheren, ist etwas ganz anderes: Sie sind nicht nur preiswert zu haben – im Internet werden CRISPR-Cas9Systeme für 55 US-Dollar zzgl. Versandkosten offeriert –, sondern auch so einfach zu handhaben, dass jeder ordentlich
ausgebildete Laborant mit ihnen arbeiten könnte.
und einer der fünf US-Wissenschaftler,
die die »scientific community« für ein
Moratorium zu gewinnen suchen.
Auch in Deutschland mahnen Wissenschaftsorganisationen längst zu Vorsicht und Bedacht. Das ist durchaus be-
»CRISPR/Cas9: Leichter Zugang
und einfache Handhabe.«
merkenswert. Bedenkt man, dass es den
Wissenschaftsfunktionären in Deutschland beinah schon traditionell gar nicht
schnell genug gehen kann, Forschern in
Deutschland den Weg auf internationales
Parkett zu ebnen, müssen die neuen Töne aufhorchen lassen. »Die DFG und die
Akademien sprechen sich im Hinblick auf
sämtliche Formen der künstlichen Keimbahnintervention beim Menschen, bei der
Veränderungen des Genoms an Nachkom25
MEDIZIN
freundlichkeit damals an puren Opportunismus grenzte, nicht zu Maschinenstürmern mutieren. »Das Moratorium«,
heißt es in der Stellungnahme weiter,
»sollte aber nicht dazu beitragen, die methodische Fortentwicklung und damit die
aussichtsreichen neuen Einsatzmöglichkeiten des genome editings für die Forschung und Anwendung generell einzuschränken«. Vielmehr besäßen diese darunter subsumierten Technologien »ein
hohes wissenschaftliches Potenzial«, das
»in vielen Bereichen ethisch und rechtDPA
men weitergegeben werden können, für
ein internationales Moratorium aus, um
offene Fragen transparent und kritisch zu
diskutieren, den Nutzen und potenzielle Risiken der Methoden beurteilen zu
können und Empfehlungen für zukünftige Regelungen zu erarbeiten«, heißt es
in einer gemeinsamen Stellungnahme der
Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Bei der Debatte um die embryonale
Stammzellforschung klang das noch ganz
Lukas Kenner
Edward Lanphier
anders. Damals hielten Wissenschaftsfunktionäre ethisch argumentierenden
Politikern und Bürgern vor, Deutschland sei »keine Insel«. Heimische Wissenschaftler dürften international nicht
ins Abseits gestellt werden. Sogar von
einer »Doppelmoral« war die Rede. Da
Deutschland sich nicht Therapien oder
Medikamenten verschließen werde, die
ausländische Forscher im Zuge embryonaler Stammzellforschung entwickelten,
sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass
deutsche Wissenschaftler bei der Vergabe der damals sprudelnden Forschungsgelder mit ausländischen Forschern kon-
lich unbedenklich ist«. Und weiter: »Die
Methoden des genome editing sind nicht
automatisch mit vereinzelten potenziell
missbräuchlich beziehungsweise ethisch
und rechtlich noch zu bewertenden Anwendungen gleichzusetzen.«
Das stimmt, hilft aber allenfalls bedingt weiter. »Das Gefahrenpotenzial der CRISPR-Cas9-Technologie kann
gar nicht überschätzt werden«, sagt Lukas Kenner im Gespräch mit der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«. Der Universitätsprofessor und
Krebsforscher, der am Ludwig BoltzmannInstitut für Krebsforschung in Wien eine Arbeitsgruppe leitet, die selbst seit
gut einem Jahr mit der CRISPR-Cas9Technologie arbeitet, ist von der Effizienz der neuartigen Methode begeistert.
Die CRISPR-Cas9-Technologie sei eine
»wahre Revolution für den Fortschritt in
der Medizin«, sagt Kenner. Ergebnisse,
für die er und sein Team früher ein Jahr
und mehr benötigt hätten, ließen sich mit
der CRISPR-Cas9-Technologie heute in
zwölf Wochen erzielen.
Ein Grund: Mit der CRISPR-Cas9Technologie lassen sich mehrere Ge-
»Das Gefahrenpotenzial kann
gar nicht überschätzt werden.«
kurrieren und sich einen Teil des Kuchens
sichern konnten.
Auch das »Genome Editing« lässt
die deutschen Wissenschaftsorganisationen, deren verständliche Forschungs26
ne gleichzeitig ansteuern. Dies ermögliche Forschern nicht nur die Klärung
der Funktionen einzelner Gene, sondern ganzer Kombinationen. Doch damit
nicht genug: Nicht nur die »Effizienz«,
auch die Aussagekraft der mit CRISPRCas9 erzielten Ergebnisse sei höher als
mit herkömmlichen Methoden. Ein wesentlicher Vorteil der »fast brandneuen
Technologie« sei, dass man mit ihr »ganze Gene komplett ausschalten« könne,
während man mit anderen Technologien
deren »Expression« bislang nur »verhindern« oder auch nur »reduzieren« konnte. »Bislang Unmögliches« werde nun
»möglich«, schwärmt der Krebsforscher,
der Krebserkrankungen mit transgenen,
gentechnisch veränderten Mäusen sowie
an menschlichen Tumorzelllinien in der
Petrischale erforscht.
Doch der Katholik weigert sich, die
Augen vor den Gefahren zu verschließen, die gegeben seien, »sobald eine solche Technologie in die falschen Hände
gerät«. Schon allein aufgrund ihrer globalen Verbreitung stelle die CRISPRCas9-Technologie »eine extreme Herausforderung an die Bioethik« dar, meint
Kenner. Dabei sind es zunächst weniger
gentechnisch veränderte Menschen, die
dem Krebsforscher Sorge bereiten, auch
wenn er ein solches Szenario »für die Zukunft keineswegs ausschließen« will, als
vielmehr die »Produktion von Biowaffen«.
In den Händen von Terroristen stelle die
CRISPR-Cas9-Technologie »eine Bedrohung der gesamten Menschheit« dar.
Auch kann niemand wirklich abschätzen, welche – womöglich verheerenden –
Folgen genetisch veränderte Organismen
in Ökosystemen entfalten, sobald sie frei-
»Eine extreme Herausforderung
für die Bioethik.«
gesetzt werden. In Deutschland und im
übrigen Europa, wo sich eine wachsende
Zahl von Politikern und Bürgern derzeit
vor ein paar Millionen Flüchtlingen aus
Syrien, Afrika und Einwanderern aus dem
Westbalkan fürchtet, scheint man diese
immense Bedrohung noch gar nicht registriert zu haben.
Immerhin will sich auch der Deutsche
Ethikrat im Dezember auf einer Tagung
mit dem »Genome Editing« beschäftigen.
Man darf gespannt sein. Vorausgesetzt,
Bio-Terroristen haben bis dahin noch
keinen ordentlich ausgebildeten Laboranten rekrutieren können.
LebensForum 116
GESELLSCHAFT
Ars Moriendi statt
Lizenz zum Töten
Lange vor der Entscheidung des Bundestags am 6. November plädierte der Kölner Erzbischof
Rainer Kardinal Woelki im Rahmen der 13. Joseph-Höffner-Vorlesung in Bonn
für die Wiederentdeckung der christlichen Kunst zu sterben. Ein Petitum von zeitloser Bedeutung.
Von Lars Schäfers
G
ott, sie muss so viel leiden. Nimm
sie zu Dir«, betete Joseph Höffner, später Kardinal und Erzbischof von Köln, mit neun Jahren am Sterbebett seiner Mutter. »Helft mir beten,
dass auch die letzte Spanne meines Lebens zum Heil werde, denn man stirbt
nicht an einem Leiden, sondern dann,
wenn nach Gottes Willen ein irdisches
Leben zu Ende geht«, so formulierte er
seine eigenen Abschiedsworte auf dem
Sterbebett. Ja, so möchte man sterben
können. Und mit diesem Beispiel aus
dem Leben und Sterben Kardinal Höffners leitete der Vorsitzende der JosephHöffner-Gesellschaft, Professor Dr. Lothar Roos, die 13. Joseph-Höffner-Vorlesung ein, welche gemeinsam mit dem
Bonner Universitätsclub veranstaltet wurde. Die Vorlesung hält der zweite Nachfolger Höffners, der Erzbischof von Köln,
Rainer Kardinal Woelki, der vor vollbesetztem Publikum der Frage nachgeht:
»Wie wollen wir sterben?«
Der Kardinal betont zunächst, dass
auch die Frage »Wie wollen wir leben?«
eng mit der Frage nach dem Sterben verknüpft sei. Es gehe um würdevolles Leben. »Ist nur ein Leben in Jugendlichkeit, Schönheit und Sportlichkeit würdig, wie es heutzutage vielfach propagiert wird?« Es gehöre auch zur Würde, schwach sein zu dürfen, so Woelki.
Der Erzbischof verweist auf Artikel 1
des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen – jedes Menschen – ist unantastbar. Keiner dürfe also zum anderen sagen: »Es ist nicht gut, dass es dich gibt.«
Gerade Christen müssen, um der Würde
auch derjenigen Menschen willen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, »zeigen, dass wir diesen Menschen mehr lieben, als sich dieser gerade selbst liebt«,
so der Erzbischof. Ferner weist er darLebensForum 116
auf hin, dass die Menschenwürde gerade deshalb an erster Stelle unserer Verfassung steht, weil sie während der Zeit
des Nationalsozialismus so massenhaft
und schwerwiegend missachtet wurde.
Kardinal Woelki lässt den Begriff der
Euthanasie dabei nicht unerwähnt. Dieser Begriff aus der Antike, der später euphemistisch die Tötung von Menschen
rechtfertigen sollte, wurde von den Nationalsozialisten vollends diskreditiert. Viele Propagandisten der aktiven Sterbehilfe
wehren sich vehement gegen diesen geschichtlichen Vergleich. Woelki aber sagt
deutlich: »Es ist erschreckend zu sehen,
wie sehr die Tabuisierung der Sterbehilfe,
die nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten jahrzehntelang Konsens war,
in den aktuellen Debatten fällt.«
Im voll besetzten Saal herrscht Stille.
Viele im Publikum nicken schweigend.
Woelki verweist auf die Niederlande, wo
die Praxis der aktiven Sterbehilfe bereits
legalisiert wurde. Sie wird dort emanzipatorisch und mit der Selbstbestimmung des
Menschen begründet. Der Erzbischof betont, dass auch für ihn Selbstbestimmung
ein ganz wichtiger Wert sei, doch wird er
im Kontext der Frage nach dem eigenen
Tod und nach aktiver Sterbehilfe überhaupt angemessen verwendet? »Wie frei
kann ein Tod in einer Gesellschaft sein,
die den Tod derart tabuisiert?«, fragt er
weiter. Einerseits sei der Tod in den Medien permanent präsent, andererseits aber
werde das persönliche Sterben öffentlich
ausgeblendet. Mit Selbstbestimmung habe die Phase des Lebensendes wenig zu
tun. Vor allem, wenn ein Suizid in etwa
90 Prozent der Fälle Folge einer schweren psychischen Erkrankung, meist einer
Depression, ist.
Dabei verweist Woelki auf den Kölner Arzt und Psychiater Manfred Lütz,
der – wie viele seiner Kollegen – vor einer Grenzüberschreitung durch eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe warnt. Das
Leid kranker Menschen zu lindern und
ihr Leben zu erhalten, gehöre hingegen
zum Berufsethos der Ärzte. »Wird ärztliches Ethos aber nicht pervertiert, wenn
sie das Leben ihrer Patienten vernichten?
Seit wann haben Ärzte eine Lizenz zum
Töten?«, fragt der Erzbischof unumwunden. Ebenfalls mit klaren Worten konstatiert er, dass Sterben und Tod heutzutage so stillos geworden seien und aus
dem Zuhause verbannt worden sind. Der
Erzbischof plädiert für die Wiederentdeckung einer Ars Moriendi, einer Kunst
des würdevollen Sterbens, wie sie in der
christlichen Tradition jahrhundertelang
gepflegt und entfaltet wurde.
Wie wollen wir also sterben? Notwendig seien eine palliativmedizinische Versorgung, intensive Begleitung und seelsorgliche Angebote für Sterbende. Daher gibt es bundesweit allein 58 stationäre Hospize in kirchlicher Trägerschaft.
Kardinal Woelki weiß, dass das noch lange nicht genug ist. Auch das Engagement
der Gemeinden müsse beispielsweise mehr
eingebunden und Menschen dazu motiviert werden, sich ehrenamtlich in der
Sterbebegleitung zu engagieren.
Wie wollen wir sterben? Eine Frage, die wohl jeden bewegt. Dementsprechend lebhaft und außergewöhnlich lang
war die anschließende, von der Privatdozentin und Lehrstuhlvertreterin für das
Fach Moraltheologie an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität
Bonn, Dr. Katharina Westerhorstmann,
moderierte Aussprache. Für Kardinal Woelki ist klar: Keiner soll durch die Hand
eines anderen, sondern an der Hand eines anderen Menschen würdevoll sterben können.
27
GESELLSCHA F T
Der Marsch in den Medien
Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste der »Marsch für das Leben« eigentlich ein Medienereignis
ersten Ranges sein. Nur der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bringt noch mehr Menschen auf
die Straße als der Bundesverband Lebensrecht. Und selbst das nicht jedes Mal. Erschwerend hinzu
kommt: Lebensrechtler erhalten für ihre Teilnahme am Marsch durch die Bundeshauptstadt keinen
Sonderurlaub. Und auch Bahn-Tickets sind nicht umsonst.
Von Stefan Rehder
I
m Kopf der Internetseite der in Berlin editierten »tageszeitung« blinkt
ein Werbebanner: »›Kunst ist mehr
wert als Wahrheit‹ – Friedrich Nietzsche«. Immerhin – so könnte man meinen – warnt die »Taz« ihre Online-Leser auf diese Weise davor, den darunterstehenden Bericht über den diesjährigen
»Marsch für das Leben« für bare Münze
zu nehmen. Doch leider ist dem nicht so.
Denn die Werbeinsel ist eine rotierende.
Wer die Seite zu einem anderen Zeitpunkt aufruft, dem wird im Seitenkopf
nicht die Kunstzeitschrift »Blau«, sondern ein Bausparvertrag, ein Girokonto
oder ein Eau de Toilette offeriert. Recht
bürgerliche Werbung für einen Beitrag,
der sich mit der Überschrift »Die Bibelstunde hilft nicht weiter« und einem
Bild, das ein am Boden liegendes Flugblatt zeigt, auf dem »Ficken statt Beten« steht, erkennbar an ein nicht ganz
so bürgerliches Publikum wendet. »Pe28
cunia non olet« – dass Geld nicht stinkt,
wussten schon die Römer.
Der Text, der dann folgt, ist freilich nur
ein Beispiel für einen Journalismus, der mit
Schere im Kopf recherchiert und schreibt.
Ausführlich kommt darin die Sprecherin
der Gegendemonstranten zu Wort, die
sich darüber freut, dass es gelungen sei,
»Von den Veranstaltern kommt in
dem Bericht niemand zu Wort.«
»der gefährlichen Mischung aus christlichen FundamentalistInnen, extrem Konservativen und Rechtspopulisten den Tag
zu vermiesen«, um dann zu kritisieren,
dass die Polizei »mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen« sei.
Von den Veranstaltern des Marsches
lässt der Bericht dagegen niemanden zu
Wort kommen. Dass mehrere Polizisten
verletzt wurden, wird ebenso tapfer verschwiegen, wie dass rund ein Dutzend
der Gegendemonstranten festgenommen
und von etlichen weiteren die Personalien aufgenommen wurden. Während der
»Taz«-Bericht für die Zahl der Gegendemonstranten zwei Quellen liefert – Veranstalter: 2.500 und Polizei: rund 1.700 –
lässt er gänzlich unerwähnt, dass die Veranstalter des Marsches rund 7.000 Teilnehmer zählten, rund 2.000 mehr als im
Jahr zuvor. Dabei lautet ein journalistischer Grundsatz, der unabhängig von politischer Couleur oder gar Ideologie gilt:
»Nachricht ist, was sich unterscheidet.«
Doch offenbar muss in der »Taz«, was
nicht sein darf, lautstark beschwiegen
werden. Von den Marsch-Teilnehmern
zitiert der Bericht allein eine Frau, »die
ihren Namen nicht in der Zeitung lesen
LebensForum 116
will« und sich die Zeit, die die Polizei benötigt, um die Sitzblockade zu räumen,
mit einer Bibelstunde vertrieben haben
»Selektiver Umgang mit der
journalistischen Sorgfaltspflicht.«
die konfessionellen – scheint die Nachricht des vergangenen Samstages die Zahl
der Gegendemonstranten zu sein. Die ist
gegenüber den Vorjahren zwar tatsächlich gestiegen, doch reicht das als Erklärung kaum aus.
Denn selbst in den Anfängen des Marsches, der in diesem Jahr bereits zum elften Mal stattfand, brachte das Anliegen
der Lebensrechtler mehr Menschen auf
die Straßen, ohne dass die säkularen Medien darüber überhaupt berichtet hätten.
Und auch jetzt wird Vieles einfach unterschlagen.
könnten, sich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden zu müssen, kommt so
nicht ins Bild. »Was nicht sein darf, das
nicht sein kann«, war offenbar auch hier
das Leitmotiv.
Doch damit nicht genug: Dass nicht irgendein politischer Hinterbänkler, sondern
mit der Bundestagsabgeordneten und Chefin der Partei »Die Linke«, Katja Kipping,
eine der mächtigsten gewählten Volksvertreterinnen öffentlich zur Blockade einer
friedlichen Meinungskundgebung und damit zur Beschneidung von Grundrechten
der Bürgerinnen und Bürgern aufruft, ist
soll, um gleich darauf mit den Worten
wiedergegeben zu werden: »Wir haben
schon mehrfach von der Polizei gefordert, die nächste Eskalationsstufe einzuleiten und uns den
Weg freizumachen.«
Schwer zu sagen, ob hier
die Wahrheit oder eher die
Kunst hochgehalten wird. Ist
auch nicht so wichtig, denn repräsentativ für die Teilnehmer
des Marsches ist diese Frau,
selbst wenn sie nicht der Phantasie der Autorin entsprungen
sein sollte, ohnehin nicht. Wer
dabei war, weiß, dass die Suche nach einer Stecknadel im
Heuhaufen nicht anstrengender sein könnte, als unter den
friedlich demonstrierenden Lebensrechtlern jemanden zu finden, der erst die Bibel teilt und
gleich darauf die Polizei zum
Einsatz von Gewalt auffordert.
Doch der Bericht der »Taz«
ist keinesfalls der einzige, in
dem ein selektiver Umgang
mit der journalistischen Sorgfaltspflicht gepflegt wird. Auch
in der »Sozialistischen Tages- Dieses Bild zeigt recht genau, wie es um die Teilnehmer des Marsches bestellt ist
zeitung – Neues Deutschland«
(ND) und in der »Jungen Welt« lesen sich
So etwa, dass mit dem Regensburger
eigentlich ein demokratiepolitischer Skandie Beiträge eher wie Pressemitteilungen
Bischof Rudolf Voderholzer erstmals auch
dal. Dennoch war dies allein der »B.Z.«
der Gegendemonstranten denn als unabein Diözesanbischof an dem Marsch teileinen kritischen Kommentar wert.
hängige Berichterstattung.
nahm oder dass der Vorsitzende der DeutMann stelle sich einmal vor, ein C-Po»Am Nachmittag hatte sich der Aufschen Bischofskonferenz, Reinhard Karlitiker würde zur Blockade einer Demonszug von christlichen Abtreibungsgegnern,
dinal Marx, ein Grußwort sandte. Selbst
tration von Atomkraftgegnern oder gar
Fundamentalisten und anderen Reaktiodie Illustration der Beiträge muss tendes Zugs beim Christopher Street Day
nären kaum vorwärtsbewegen können«,
denziös genannt werden. Wo statt der
in Köln aufrufen. Nicht nur, dass der Beschreibt etwa ein ND-Autor, der offenGegendemonstranten Marsch-Teilnehtreffende von allen Ämtern zurücktreten
bar keine Hemmungen hat, sich das Vomüsste. Der Blätterwald würde derart
kabular der Gegendemonstranten zu ei»rauschen«, dass nicht wenige sich fragen zu machen. Und der Berliner »Tagen würden, ob die Festen der Republik
»Rief zur Beschneidung von
gesspiegel« spricht – wie andere auch –
dies heil überstehen würden.
statt von Lebensrechtlern von »selbsterFazit: Wenn Journalisten einen derart
Grundrechten auf: ›Die Linke‹.«
nannten Lebensschützern«, aber natürlich
selektiven Umgang mit Ereignissen an
nicht von »selbsternannten Feministen«
den Tag legen, die tausende Menschen
oder »selbsternannten Abtreibungsbeganz anders erleben, dürfen sie sich nicht
fürwortern«.
mer gezeigt wurden, wurden meist Mänwundern, wenn das böse Wort von der
Wer sämtliche Berichte über den diesner abgelichtet. Dass der Marsch aber zu
»Lügenpresse« – auch jenseits der bejährigen »Marsch für das Leben« gelesen
großen Teilen aus Frauen, darunter auch
schämenden Vorgänge in Dresden – in
hat, dem fällt generell auf: Für nahezu alvielen jungen und damit jenen besteht,
den sozialen Netzwerken einfach nicht
le Medien – Ausnahmen bilden hier nur
die selbst einmal in die Lage kommen
verstummen will.
LebensForum 116
29
BÜCHERFORU M
D
as ist Lektüre zur rechten Zeit.
Sie ist überzeitlich humanökologisch ausgerichtet, deshalb
glaubwürdig und topaktuell. Am 19.
September 2015 hat die
Öffentlichkeit von dem
diesjährigen »Marsch für
das Leben« in Berlin, an
dem mehr als 7.000 Menschen engagiert teilnahmen, und dessen massiver
Störung in diversen Attacken und kruden
Parolen vor Ort und über die Medien erfahren. Menschen, die an das Menschenrecht auf Leben erinnerten und – nicht in
lauten Sprechchören, sondern schweigend
mittels Schildern – die Achtung vor der
Würde des Menschen
einforderten, wurden
als Rechtspopulisten
und Rassisten verunglimpft, ja vereinzelt
mit Pferdekot beworfen. Selbst die als neutrale Berichterstatter
von gängigen Journalen eingesetzten und
vor allem von ihrer Leserschaft als objektiv
wahrgenommenen
Presseleute verstiegen sich unmittelbar
oder später zu Häme
und Diffamierung. Offenbart sich hier Unkenntnis der Sachlage, politische Ideologie, gar bewusste Demagogie?
Prinzipiell wird in »Hänssler kurz
und bündig« für jeden Interessierten
Grundlagenwissen vermittelt und kontrovers diskutiert. Ute Buth und Thomas
Schirrmacher geben darüber hinaus auf
etwa 100 Seiten praktische Hinweise zur
sachlichen Aufarbeitung einer Thematik,
auch dann, wenn es sich um Problematiken mit Justiz und Ethik handelt. Es geht
um Sachlichkeit.
Eindrücklich dargestellt wird im vorliegenden Band das »rasante Wachstum«
des ungeborenen Menschen von der Eibefruchtung bis zu seiner Geburt. Danach wird der begriffliche und zahlenmäßige Umfang des Problems »Schwangerschaftsabbruch« auf der internationalen Ebene (einschl. der »Pille danach«)
vermittelt, ferner die jeweilige diesbezügliche Rechtslage in deutschsprachigen Ländern. Aufgeklärt wird über die
Methoden und Folgen des »Schwangerschaftsabbruchs«, welche dieses staunenswerte Heranreifen des Menschen abrupt
beenden. Man erfährt von den vielfältigen Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnostik und von der ethischen Anfrage
an den ärztlich bindenden hippokratischen Eid, der sich doch
dem menschlichen Leben von seinem Anfang
bis zum natürlichen Ende
verpflichtet weiß. Nach
medizin- und rechtsgeschichtlichen Aussagen
werden der Leserschaft die religiösen beziehungsweise theologischen Beurteilungen solcher medizinischer Handlungen
in den Weltreligionen vorgestellt.
Gibt es ein »Nein« zum todbringenden Handeln? Das gab es immer schon:
In der langen jüdischchristlichen Tradition
sind »Kinder … ein
Segen«. Der »Mensch
im Mutterleib« ist –
so Psalm 139, Hiob
31,15, Lukas 1,15 und
weitere biblischer Texte – eine »persönliche
Schöpfung Gottes«.
Nach dem Katechismus der Katholischen
Kirche (§§ 2270-2273)
»ist das menschliche
Leben vom Augenblick der Empfängnis
an absolut zu achten
und zu schützen«. Eine
Aussage unter vielen!
Und heute? Kann
nicht die Sexualerziehung vorbeugen, indem sie recht früh verdeutlicht, dass der
ungeborene Mensch lebt, dass er »kein
unsystematischer Zellhaufen« ist, »sondern einem genialen Bauplan folgt«, »dass
er viele Fähigkeiten wie du und ich beherrscht«! Nach der Verschmelzung der
Keimzellen »gibt es keinen Einschnitt,
der in seiner Bedeutung diesem Ereignis auch nur nahe käme«. Doch allein in
Deutschland geschehen täglich 292 Abtreibungen, gesetzwidrig, aber straffrei –
und (noch immer) mittels staatlicher Unterstützung (vgl. Kritik v. Herbert Tröndle 1991). Ein umfangreiches Register zu
Einstiegs- und Fortbildungsliteratur sowie für Beratungsdienste beschließt den
empfehlenswerten Band.
Rasantes
Wachstum
30
Dr. med. Maria Overdick-Gulden
Ute Buth/Frank Schirrmacher: Schwangerschaftsabbruch. Fakten und Entscheidungshilfen. Reihe
kurz und bündig. Verlag SCM Hänssler, Holzgerlingen
2013. 112 Seiten. 3,95 EUR.
Im Schaufenster
Die Pille und ich
Obgleich das Thema
Abtreibung in diesem
Buch – unverständlicherweise – völlig
ausgeblendet wird, ist
es doch auch für Lebensrechtler von einigem Gewinn. Denn in
ihm zeichnet die Autorin Katrin Wegner, eine Filmemacherin, die
Psychologie, Erziehungswissenschaften und
Soziologie studiert hat, den Siegeszug nach,
den die Anti-Baby-Pille, nachdem sie 1961 in
Deutschland auf den Markt gekommen war,
im Westen wie im Osten des Landes antrat,
und beschreibt ihre Wandlung zu einer der
wirkmächtigsten Lifestyle-Drogen der Gegenwart. Vom Kontrazeptivum und Symbol der
sexuellen Befreiung der Frau avancierte das
Präparat, das in dem Buch – ebenfalls unverständlicherweise – auch als Medikament bezeichnet wird, binnen fünf Jahrzehnten zu einem Produkt, von dem sich Frauen heute vielfach vor allem eine schönere Haut, volleres Haar und eine größere Oberweite versprechen. Eingearbeitet finden sich Aussagen aus Interviews, welche die Autorin mit
mehr als 250 Frauen geführt hat. Ausführlich
geht Wegner auf medizinische Risiken und
Nebenwirkungen der unterschiedlichen Pillen-Präparate ein und nimmt auch den Wandel des Selbst- und Fremdbildes von Frauen
in den Blick.
Fazit: Trotz merkwürdiger Mängel, empfehlenswert.
reh
Katrin Wegner: Die Pille und ich. Vom Symbol der
sexuellen Befreiung zur Lifestyle-Droge. Verlag
C. H. Beck, München 2015. Klappbroschur. 204 Seiten.
14,95 EUR.
Die letzte Freiheit
So viel schön geschriebene Dummheit
ist selten zwischen
zwei Buchdeckel gepresst worden. Georg
Diez, Autor des Magazins »Der Spiegel« und
Kolumnist auf »Spiegel online«, gehört
zweifellos zu den raren Edelfedern in diesem
Land. Zu den hellsten Köpfen zählt er offenLebensForum 116
bar nicht. Bar jeglichen Problembewusstseins
für die Natur des Menschen und seelische
Krisen, in die dieser geraten kann, fabuliert
er sich ein Plädoyer für ein Recht auf Selbstmord zusammen, welches – zumindest in der
aktuellen Debatte – gar nicht in Rede steht.
Die Frage, über die Deutschland seit langem
diskutiert, lautet gar nicht, ob der Staat Menschen verbieten sollte, sich selbst zu töten,
sondern ob er Ärzten und Sterbehilfeorganisationen ausdrücklich erlauben oder aber
bei Strafe verbieten sollte, andere bei einer
Selbsttötung zu unterstützen. Diez, Jahrgang
1969, ist ein linker Ästhet. Gegen Ästhetik ist
überhaupt nichts zu sagen. Jedenfalls so lange nicht, wie sie nicht mit Ethik verwechselt
wird. Wer das dennoch tut, begeht einen unverzeihlichen Kategorienfehler.
Fazit: Thema verfehlt. Sechs. Setzen. reh
Georg Diez: Die letzte Freiheit. Vom Recht, sein Ende selbst zu bestimmen. 124 Seiten. 10,00 EUR.
Die andere Seite
der Organspende
Das vorliegende
Buch geht auf ein
Symposium zurück,
das sich kritisch mit
der Hirntod-Theorie
und dem System der
Organspende beschäftigte. In ihm versammelt der Herausgeber Stephan Holzhaus vehemente Kritiker der
Hirntod-Theorie wie die ehemalige Chirurgin
Regina Breul oder das Ehepaar Renate und
Gebhard Focke von der Organisation KAO
(Kritische Aufklärung über Organtransplantation). Kritik üben diese und andere Autoren nicht nur an der Hirntod-Theorie, sondern
auch an der Haltung von Politik, Kirchen und
Medien, welche die Organspende bewerben
und als Akt der Nächstenliebe adeln. Um den
Furor zu verstehen, den viele der Autoren dabei an den Tag legen, hilft es, sich klarzumachen: Nach Ansicht der Autoren sind Hirntote Sterbende, die durch die Explantation lebenswichtiger Organe auf dem OP-Tisch getötet werden.
Auch wenn man sich sicher eine sorgfältigere Aufbereitung der im Eigenverlag erschienenen Publikation gewünscht hätte, so thematisiert dieses Buch doch viele Fragen, die
woanders nicht einmal gestellt werden (dürfen).
Fazit: Ein Alarm-Buch.
reh
Stephan Holzhaus (Hrsg.): Die andere Seite der Organspende. Portemonnaies aus Menschenhaut.
Garte-Verlag, Göttingen-Diemarden 2015. 226 Seiten. 12,00 EUR.
LebensForum 116
T
empora mutantur, die Zeiten ändern sich, et nos mutamur in illis, und wir in ihnen, wussten unsere Vorfahren. Gilt das nun nicht mehr?
Gönnt man sich in
unserer Moderne das
Altern nicht? Ist zum
Beispiel Demenz das,
was etwa im Mittelalter die Pest war: ansteckend – abschreckend – personale Vernichtung – Unheil pur? Solchen Fragen im Trend unserer Zeit geht Peter Wißmann, stellvertretender Vorsitzender der Aktion
Demenz e. V., in seinem Buch »Nebelwelten« im Hinblick
auf deren Abwege
und den damit verbundenen Selbstbetrug in der Demenz-Szene nach.
Er fordert die Gesellschaft zur Verwirklichung dessen
auf, was Inklusion
wesentlich ist und
erfordert.
Längst haben
sich die lautstarken Versprechungen der Pharmaforschung für eine
Therapie des Alterns als Luftblasen erwiesen; manche hochgelobte
Aktion hat sich als
Un-Sinn entpuppt,
indem sie nicht die
»selbst-verständliche« Integration von Altern als NaturGegebenheit jeglichen Lebens verstehen
will und deswegen alt gewordene Mitbürger in die Isolation zum »Leben in Anderland« drängt. Ist indes nur eine »eingekästelte Welt« eine gute Welt? Wie viele
Therapien wurden (und werden) konzipiert, angefangen vom »therapeutischen
Kochen« über »Humortherapien« zur
»Ergotherapie«, »Aromatherapie«, »Musiktherapie« und anderes mehr. Einiges
hat sich in praxi bewährt. Aber steckt dahinter nicht auch grobe »Anmaßung« der
Initiatoren und verbale »Augenwischerei«? Wie viele Forscher suchten bisher
mit viel finanziellem Aufwand und breiter
Publizität nach der Ursache des »Morbus
Alzheimer« und dessen möglicher Ätiologie im Genom, in Botenstoffen, Proteinen, Neuronen etc.? Doch bisher ohne
Einwirkung auf dieses sogenannte »gesellschaftliche Übel«!
Die Konsequenzen? »Der Therapiewahn fügt sich nahtlos in eine unheilige
Allianz mit der zunehmenden Pathologisierung des Alterns und der Gehirnalterung«, so der Autor. Wo ist Inklusion
als Ziel wahrgenommen, wenn Hospizvereine und Pflegeheime Finanzmittel
für »unsere Demenzkranken«, »unsere »Alzheimerpatienten«
anfordern? Haben sich die damit benannten Mitbürger denn selbständig zu solcher
Art Fürsorge äußern können (dürfen)?
Sind die von Alterung Beeinträchtigten
nicht zu fragen und
in ihre Versorgung
einzubeziehen? Sie
sind Mit-Menschen
von gleicher Würde
wie alle Bürger. Weder Medizin noch
Justiz oder Politik haben Definitionsmacht darüber,
wer zum Kreis der
Träger von Menschenwürde, also zum MenschSein, gehört. Vielmehr stützt sich der
Staat selbst auf diese Einmaligkeit der
Menschenwürde als
Korrektiv gegenüber allzu freiheitlicher Anmaßung,
nicht zuletzt auch
in der »Überversorgung« des Nächsten! Stets von »Alzheimer« und »Demenz« zu sprechen ist »Gift« im Umgang
miteinander, so der Autor. Ein überbordender Diagnosewahn führt zu »Parallelwelten« und schadet unserer Gemeinschaft. Deshalb muss unsere Sprache
ebenso »barrierefrei« werden wie unsere
Wege und Straßen. Sollten da nicht die
Mitglieder eines »Alzheimercafés« selbständig zu ihren Gesprächsrunden und ihrer vielfältigen Thematik einladen? Die
Sache in die eigene Hand nehmen? Nur
so lernen wir alle. Diese Lektüre lädt ihre Leser zum Mitmachen ein. Denn es
ist hohe Zeit zur wahrhaft praktizierten
Inklusion: Wir wollen zusammen leben.
Ist Demenz
ansteckend?
Dr. med. Maria Overdick-Gulden
Peter Wißmann: Nebelwelten. Abwege und Selbstbetrug in der Demenz-Szene. Mabuse-Verlag,
Frankfurt am Main 2015. 144 Seiten. 16,90 EUR.
31
KURZ VOR SC H LU S S
»
Offensichtlich kriminelle Organisationen haben im Europaparlament nichts verloren.«
Der Europaabgeordnete Arne Gericke (Familienpartei) über die Organisation »International Planned Parenthood Federation« (IPPF)
»
Die Bewegung hat Zulauf, die Teilnehmendenzahlen steigen kontinuierlich. Papst Franziskus hat seine Unterstützung ausgesprochen, zahlreiche Bischöfe und Abgeordnete
senden jährlich Grußworte. Die meisten von
ihnen gehören der CDU/CSU an, aber auch
AfD-Mitglieder unterstützen den ›Marsch für
das Leben‹. Die Menge ist auffallend durchmischt: Menschen verschiedener Altersstufen und Geschlechter finden sich unter den
Demonstrierenden, Geistliche in ihren Priestergewändern ebenso wie junge Paare, Familien mit kleinen Kindern und Gruppen von
Jugendlichen mit Dreadlocks. Auch viele
junge Frauen sind dabei.«
Auszug aus einem gar nicht wohlwollenden Beitrag des Magazins »jetzt.de« der Süddeutschen
Zeitung
»
Während seit der Einführung von pränataler
Feindiagnostik als Regelleistung der Kassen
kaum noch deutsche Kinder mit Trisomie 21
geboren werden, sind vor allem die Muslime in diesem Punkt echte Integrationsverweigerer. Sie passen sich einfach nicht der
deutschen Abtreibungsgesellschaft an.«
»
Tops & Flops
Mit dem Regensburger
Oberhirten Rudolf Voderholzer nahm in diesem Jahr
erstmals auch ein deutscher
Diözesanbischof an dem »Marsch für das
Leben« in Berlin teil. Die Website seines
Bistums schildert, wie es dazu kam: »Die
Idee zur Teilnahme
am Marsch für das
Leben wuchs während des Regensburger Katholikentages.
Dort betonten Vertreter von ›Donum
Vitae‹ die Bedeutung des unverfügbaren Lebensrechts, Rudolf Voderholzer
das sie als gemeinsames Ziel mit der Katholischen Kirche teilten.« Um das gemeinsame Ziel zu unterstreichen und deutlich werden zu lassen,
hätte die Kirche Vertreter Donum Vitaes eingeladen, gemeinsam am »Marsch
für das Leben 2015« teilzunehmen. Bischof Rudolf Voderholzer habe zugesagt,
dabei zu sein, und sein Versprechen eingelöst. Dass Vertreter von »Donum Vitae« an dem Marsch teilgenommen oder
die Initiative mit einem Grußwort unterstützt hätten, sei dagegen nicht bekannt
geworden. reh
STAGIAIREMGIMO
Expressis verbis
Klaus Ruppert, Präsident
der Deutschen Gesellschaft
für Seniorenrecht und Medizin und Rechtsanwalt in
Bad Nauheim, hält laut einem Bericht
der »Oberhessischen Zeitung« auch eine kommerzielle Sterbehilfe für sinnvoll.
Wenn es Regeln für
die gewerbsmäßige Sterbehilfe gebe, könne ein hohes Maß an Sicherheit erreicht werden. Eine gute Beratung werde möglich
und Sterbetourismus in Nachbarlän- Klaus Ruppert
der wie die Schweiz
oder die Niederlande überflüssig, schreibt
das Blatt in einem Bericht über eine Podiumsdiskussion im hessischen Friedberg. Wörtlich zitiert die Zeitung Ruppert mit den Worten: »Jeder Komapatient ist auch ein Geschäft.« Im Monat
koste die Rundumversorgung eines solchen Menschen rund 21.000 Euro. Geld,
so sollen wir das wohl verstehen, das man
auch sparen könne, statt es Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen in den
Rachen zu werfen. Hat man da noch Worte?
reh
wir nehmen dann den weiblichen
embryo,
..
meine frau kleidet lieber madchen ein.
Auszug aus einem Beitrag der Zeitung »Die
Welt« mit dem Titel: »Auch für Babys brauchen
wir eine Willkommenskultur«
Mittlerweile ist für mich aber die Frage,
ob es überhaupt Kriterien geben kann, die
Missbrauch vorzubeugen vermögen und etwa eine Ausdehnung auf neue Patientengruppen und andere Leidenszustände verhindern könnten.«
Der niederländische Medizinethiker Theo Boer in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Boer war bis 2014 Mitglied einer der fünf Kontrollkommissionen, die in den
Niederlanden die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltskriterien bei der Durchführung des ärztlich assistierten Suizids und der
Tötung auf Verlangen überprüfen.
32
LebensForum 116
»›Das hier sind die Brutöfen‹, sagte er
mit einer schwungvollen Bewegung. Er öffnete eine abgedichtete Tür und zeigte ihnen die vielen Gestelle voll bezifferter Reagenzgläser. ›Der wöchentliche Eingang an Ovarien.
Ständig bei Körpertemperatur gehalten. Die männlichen Gameten‹, hier öffnete
er eine andere Tür, ›müssen
dagegen bei fünfunddreißig statt bei siebenunddreißig Grad gehalten werden.
Normale Körpertemperatur
macht unfruchtbar. (…)‹ An
die Brutöfen gelehnt, gab
er den wild über die Seiten hastenden Bleistiften eine kurze Beschreibung des
modernen Befruchtungsvorgangs, sprach selbstverständlich zuerst vom operativen Eingriff –
›eine freiwillig zum Gemeinwohl auf sich
genommene Operation, die überdies mit
einer Prämie in Höhe von sechs Monatsgehältern verbunden ist‹ –, beschrieb hierauf das Verfahren, mit dem der entnommene Eierstock am Leben und funktionstüchtig gehalten wurde, ging dann auf die
Frage nach der optimalen Temperatur,
des Salzgehalts und der Viskosität über,
erwähnte die Nährlösung (...) Dann kamen die befruchteten Eier zurück in die
Brutöfen, wo die Alphas
und Betas bis zur endgültigen Abfüllung in den Flaschen blieben, während die
Gammas, Deltas und Epsilons schon nach sechsunddreißig Stunden herausgenommen und dem Bokanowskyverfahren unterzogen wurden. ›Bokanowskyverfahren‹, wiederholte der
Direktor, und die Studenten unterstrichen das Wort
in ihren Heftchen. Ein Ei –
ein Embryo – ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Ein bokanowskysiertes Ei dagegen knospt und sproßt und teilt
sich. (....) Sechsundneunzig Menschenleben entstehen zu lassen, wo früher nur ein
einziges entstand: Fortschritt.«
Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Fischer Verlag.
4. Aufl., Frankfurt am Main 2014. Taschenbuch. 368 Seiten. 9,99 EUR.
»Die Welt. Die von morgen« (28)
In der Welt von morgen ist alles noch
schwerer als in der von heute. Das gilt
besonders für das Verfassen biopolitischer Glossen. Denn in einer Welt, die
so gut wie alles bereits auf die Spitze
getrieben hat, bleibt kaum noch etwas
übrig, das derart übertrieben werden
könnte, das es ein Problem aufzeigte, über das ansonsten hinweggesehen
würde. Wenn sich zum Beispiel heute
Wissenschaftler mit dem Gedanken
tragen, Organe in Schweinen genetisch
so zu manipulieren, dass sie sich für die
Transplantation beim Menschen eignen, kann in der Welt von heute noch
eine Glosse von rosafarbenen Menschen
handeln, die sich mit Steckdosennasen
und Ringelschwänzen im Dreck der
Welt von morgen suhlen. In der Welt
von morgen ist das unmöglich. Denn
LebensForum 116
in ihr regt Menschen der Anblick von
rosafarbenen Menschen mit Steckdosennasen und Ringelschwänzchen gar
nicht auf. Es sei denn, sie haben sich
gerade beim Rasieren geschnitten. Gut
möglich also, dass es in der Welt von
morgen überhaupt keine Glossen geben
wird, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Welt von übermorgen aussehen könnte. Das wird, wenn wir uns
die Welt von morgen heute anschauen,
aber auch gar nicht schlimm sein. Denn
über die Gestalt der Zukunft nachzudenken lohnt sich nur dort, wo es so
etwas wie Zukunft auch geben kann.
Und das ist in der Welt von morgen
sehr wahrscheinlich unwahrscheinlich.
Jedenfalls wenn die Welt, die von heute, bleibt, wie sie ist.
Stefan Rehder
München (ALfA). Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will 2017 ein
neues Zentrum für Stammzellenforschung
in München ansiedeln. Das Ziel von CARE
sei, die Grundlagenforschung im Bereich
Stammzellen für die Medizin nutzbar zu
machen. »Damit läuten wir eine neue Ära
der Wirkstoffforschung ein, mit einem
gewaltigen Potenzial
zur Heilung zahlreicher, heute noch nicht
therapierbarer Krankheiten«, sagte Aigner
in München. Hinter
dem Projekt steht der
deutsche Stammzellenforscher Hans
Schöler, Direktor am
Max-Planck-Institut
für molekulare Biomedizin in Münster.
Die CSU-Politikerin
hofft, dass CARE
weitere Pharma- und
Ilse Aigner, CSU
Biotechnologieunternehmen anlockt. »So
machen wir Bayern zu
einem internationalen
Zentrum der Stammzellenforschung.«
Allerdings gebe es
noch eine finanzielle
Hürde zu überspringen. Das Projekt
hänge noch von der
Verabschiedung des
Nachtragshaushalts
für 2016 im Landtag
ab, hieß es aus dem
Ministerium. Dabei
Prof. Hans Schöler
geht es freilich nicht
um »Peanuts«, sondern um Fördermittel in
Höhe von 15 Millionen Euro. CARE steht
für Centrum für Angewandte Regenerative
Entwicklungstechnologien und war zunächst
in Münster geplant. Das Land NordrheinWestfalen zog 2013 seine früher erteilte
Finanzierungszusage wegen mangelnder
wirtschaftlicher Perspektiven zurück. Die
rot-grüne Landesregierung verwies unter
anderem darauf, dass CARE auch nach zehn
Jahren noch keine schwarzen Zahlen in Aussicht stellen könne. Schöler hatte daraufhin
Bayern als alternativen Standort ins Spiel
gebracht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in allen Bundesländern die
gleichen, erklärte Aigner dazu. »Entscheidend ist aber auch der politische Wille, ein
Projekt umzusetzen. Und da bin ich in Bayern
zuversichtlich.«
san
CSU
Aldous Huxley: Schöne neue Welt (1932)
Gesucht: Bayerische Millionen
MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR MOLEKULARE BIOMEDIZIN, MÜNSTER
Aus der Bibliothek
KURZ & BÜNDIG
33
LESERFORUM
Vielen Dank für den
Beitrag »Leber gefällig«
von Alexandra Linder.
Über diesen Skandal
muss weiter informiert
werden. Bleiben Sie
deshalb da bitte unbedingt dran.
Waltraud Weber, Straubing
Erfolg für den Lebensschutz
Dass sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig schützend vor die Caritas-Schwangerenberatung der katholischen Kirche gestellt hat, bei der keine
Scheine ausgestellt werden, die Paare zu
einer straffreien Abtreibung berechtigen,
ist nicht nur lobenswert, sondern auch
bundesweit bedeutsam. Man kann die
Kirche nur ermutigen, von diesem Urteil
in allen jenen Bundesländern Gebrauch
zu machen, wo eine ähnliche Politik betrieben wird wie bei uns in Brandenburg.
Dr. Hermann Sawatzki, Cottbus
Weitere Eskalation
Mit viel Gewinn habe ich den Beitrag
von Professor Dr. med. Cullen über die
Folgen gelesen, die eine Ausweitung des
sogenannten Pränatestes mit sich brächte (vgl. LF Nr. 115, S. 21ff.). Ich bin bestimmt nicht dafür, Kinder vor der Geburt
auszusortieren, nur weil sie nicht gesund
sind. Jeder von uns kann sich jederzeit –
etwa durch einen Unfall – eine Behinderung zuziehen! Wenn Behinderung ein
akzeptabler Grund wäre, Menschen das
Recht auf Leben zu bestreiten, müssten
streng genommen alle, die nach einem
Unfall eine Behinderung davontrügen,
getötet werden. Ich hoffe, Sie verstehen
das nicht falsch: Aber dass die Anbieter
solcher Tests offenbar bereit sind, viele
gesunde Kinder zu opfern, um den wenigen mit Behinderung »auf die Spur« zu
kommen, empfinde ich als eine weitere
Eskalation. Geht es am Ende vielleicht
34
gar nicht um Gesundheit, sondern bloß
um’s Geld? Und muss dann nicht wenigstens hier der Gesetzgeber einschreiten?
Patricia Hagendorn, Hamburg
Gesellschaftliches Klima
(Anm. d. Red.: Zum Beitrag »Der weite Weg der Inklusion«, LF 115, S. 8ff.):
Als Mutter eines Kindes mit Behinderung
möchte ich Ihnen ausdrücklich für das ausführliche Interview mit Herrn Professor
Dr. med. Holm Schneider danken. Das hat
mir gut getan. Es stimmt natürlich, dass
heute Menschen mit Behinderungen staatliche Hilfen erfahren, von denen früher
niemand zu träumen wagte. Als betroffe-
ne Mutter weiß ich das auch zu schätzen.
Unser Leben könnte viel schwieriger sein.
Trotzdem muss ich Ihnen sagen: Ich würde sofort auf jede dieser Hilfen verzichten,
wenn das gesellschaftliche Klima dadurch
anders würde. Während die Behinderung
meines Sohnes für seine Klassenkameraden in aller Regel kein Problem ist, manche kommen sogar zum Spielen zu uns
nach Hause, ist der gemeinsame Einkauf
oder selbst der Arztbesuch oft furchtbar.
Wildfremde Menschen, die einen anstarren, als hätte man ein Monster geboren
und Ihnen persönlich Schaden zugefügt.
Es hilft mir sehr, dass Herr Professor Dr.
Schneider – so verstehe ich es jedenfalls
– viel davon auf die eigene Unsicherheit
derjenigen zurückführt, die noch nie mit
einer Behinderung konfrontiert wurden.
(...) Trotzdem meine ich, hier müssen wir
noch zulegen. (...) Mit Rücksicht auf meinen Sohn möchte ich Sie bitten, meinen
Namen und meine Anschrift nicht zu veröffentlichen.
Der Name der Autorin ist der Red. bekannt.
Geschichte
(Anm. der Red.: Zum Beitrag »In memoriam«, LF 115, S. 27ff.): Auch wenn
der Anlass traurig ist, habe ich mich doch
gefreut, auch einmal etwas über die Geschichte der ALfA zu erfahren. Für den
Fall, dass ich damit nicht allein sein sollte, schlage ich vor, dass Sie einen ähnlichen Text auch auf Ihre Homepage stellen, die sich übrigens ähnlich sehen lassen kann wie Ihre Zeitschrift.
Ferdinand Hausmann, Dingolfing
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LebensForum 116
IMPRESSUM
IMPRESSUM
LEBENSFORUM
Ausgabe Nr. 116, 4. Quartal 2015
ISSN 0945-4586
Verlag
Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07
www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected]
Herausgeber
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)
Kooperation
Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle
z.H. Dr. med. Karl Renner
Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf
Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected]
www.aerzte-fuer-das-leben.de
Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V.
Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin
Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax
Internet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected]
Redaktionsleitung
Stefan Rehder, M.A.
Redaktion
Matthias Lochner, Alexandra Linder M.A.,
Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen
(Ärzte für das Leben e.V.)
Anzeigenverwaltung
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Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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LETZTE SEITE
Gelebte
Inklusion
Der FC Bayern München
erhält den Medienpreis
der Lebenshilfe
Von Stefan Rehder
E
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und begeistert Menschen mit und ohne
Behinderung wie keine andere Sportart.«
Am 7. November fand vor dem Heimspiel, zu dem FC Bayern München den
VfB Stuttgart empfing, nun die Übergabe des BOBBY statt. Vorstandschef KarlHeinz Rummenigge nahm den Preis aus
Schmidt lobte: »Der FC Bayern hat mit
seiner Aktion zum Welt-Down-SyndromTag 2015 ein weit sichtbares Zeichen für
Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen gesetzt.«
Mit dem BOBBY, benannt nach Bobby Brederlow, einem Schauspieler mit
BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE, HANS D. BEYER
inmal in der Allianz-Arena einlaufen oder gar vor vollbesetzten Stadionrängen einen Elfmeter im Tor zu versenken: Für viele Fußballbegeisterte ist das ein unüberbietbarer
Traum. Einen, den der FC Bayern München in diesem Jahr 24 besonderen Gästen erfüllte und deshalb mit dem »BOBBY«, dem Medienpreis der Bundesvereinigung Lebenshilfe, ausgezeichnet wurde.
Anlässlich des Welt-Down-SyndromTages hatte der deutsche Rekordmeister in diesem Jahr 24 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom zum Bundesliga-Heimspiel gegen
Borussia Mönchengladbach eingeladen
(vgl. LF 113, S. 32). Die besonderen Gäste liefen mit den Mannschaften aufs Feld
und schossen in der Halbzeitpause auf das
Tor von Bayern-Ersatztorwart Tom Starke. Der 16-jährige Michael Freudlsperger
war dabei als Torschütze erfolgreich und
wurde anschließend von der ARD für das
»Tor des Monats« der ARD-Sportschau
nominiert. Mit 31 Prozent gewann er
schließlich mit seinem Treffer auch noch
die Zuschauerabstimmung.
FC Bayern-Kapitän Philipp Lahm sagte
damals zu der Aktion: »Down-SyndromKinder sind wunderbare Menschen, voll
mit Emotionen, Freude und Liebenswürdigkeit. Wir möchten allen zeigen, dass
sie wichtiger und beschützenswerter Bestandteil unserer Gesellschaft sind.« Die
Lebenshilfe lobte: Der FC Bayern habe
»mit seiner vorbildlichen, öffentlichkeitswirksamen Aktion zum Welt-Down-Syndrom-Tag, der jährlich am 21. März begangen wird, ein Zeichen für Vielfalt und
den unvoreingenommenen Umgang mit
Menschen mit einer geistigen Behinderung gesetzt«. Die ARD-Sportschau habe »diesen Ball mit der Nominierung von
Michael Freudlsperger für das ›Tor des
Monats‹ aufgefangen und für ein Millionenpublikum ins Bild gesetzt. Fußball
weckt Emotionen, beflügelt das Wir-Gefühl, also den Gedanken der Inklusion,
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt
Deutsche Post AG (DPAG)
Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg
Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge erhält den Lebenshilfe-Medienpreis
BOBBY 2015 von der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt. Von links nach rechts:
Michael Freudlsperger, Ulla Schmidt, Karl-Heinz Rummenigge und Bobby Brederlow.
den Händen von Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, entgegen. »Im Namen des FC Bayern München möchte ich mich herzlich für den
BOBBY 2015 bedanken«, sagte Rummenigge. »Unsere Mannschaft, wir alle bei
Bayern München wollten in der Öffentlichkeit ein deutliches Zeichen für Inklusion setzen und das großartige Engagement der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung unterstützen«, so Rummenigge weiter. Ulla
Down-Syndrom, würdigt die Lebenshilfe seit 1999 vorbildliches Engagement
für Menschen mit Behinderung, das aufklärt und Vorurteile gegenüber Menschen
mit Behinderung abbaut. Der Lebenshilfe-Preis wurde zum 16. Mal verliehen. Er
ist nicht mit einem Preisgeld verbunden.
Zu den bisherigen Preisträgern zählen u.
a. Günther Jauch und der ARD-Tatort
Münster. Unterstützt wurde der Medienpreis der Lebenshilfe auch in diesem Jahr
von Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge,
dem Versicherer im Raum der Kirchen.
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