Beihilfe zum Suizid
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Beihilfe zum Suizid
Nr. 116 | 4. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Titel Die Rede des Hubert Hüppe Dokumentation So haben unsere Politiker gestimmt Medizin Die Atombombe der Molekularbiologie Beihilfe zum Suizid Die Würfel sind gefallen LebensForum 116 In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) 1 INHALT DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR LEBENSFORUM 116 EDITORIAL Unzufrieden, aber dankbar Dr. med. Claudia Kaminski 3 4-9 TITEL Wie steht es um den Lebensschutz? Stefan Rehder Genau hinsehen Prof. Dr. med. Paul Cullen 4 10 DOKUMENTATION 12 So haben die Abgeordneten gestimmt 15 Namentliche Abstimmung zur Suizidhilfe 19 GESELLSCHAFT Gegen den Strom schwimmen Lioba Müller 21 Ars Moriendi statt Lizenz zum Töten Lars Schäfers 27 Der Marsch in den Medien Stefan Rehder 28 DANIEL RENNEN BIOETHIK-SPLITTER Der Deutsche Bundestag hat die bislang erlaubte Beihilfe zum Suizid teilweise verboten und damit höchst unterschiedliche Reaktionen ausgelöst – »LebensForum« unternimmt den Versuch einer Verständigung. 23 - 26 »Genome Editing« erlaubt Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Eine höchst gefährliche und furchterregende Technologie. MEDIZIN Die Waffenkammer der Bio-Hacker Stefan Rehder 23 BÜCHERFORUM 30 KURZ VOR SCHLUSS 32 LESERBRIEFE 34 IMPRESSUM 35 LETZTE SEITE 36 2 15 - 18 »LebensForum« dokumentiert die namentliche Abstimmung zu den Gesetzentwürfen zur Suizidhilfe. LebensForum 116 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR Vom Ausland lernen Hubert Hüppe E D I TO R I A L CDU/CSU 12 - 14 Zu Protokoll gegeben: Rede des CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Sensburg/Dörflinger/Hüppe zur Suizidhilfe. 28 - 29 Trotz hoher Teilnehmerzahlen berichten die Medien kaum über den »Marsch für das Leben«. Und wenn doch, dann oft tendenziös und einseitig aus Sicht der Gegenbewegung. LebensForum 116 Unzufrieden, aber dankbar um Sensburg, Dörflinger und Hüppe unterstützt und für ihn geworben. Leider wurde jedoch schon früh deutlich, dass es im Parlament Liebe Leserin, lieber Leser, für ihn keine Mehrheit geben und aus als Lebensrechtlerin, Ärztin und dem Vierkampf der ALfA-Bundesvorsitzende werde ich oft miteinander konkurgefragt, was ich persönlich von der Entrierenden Entwürfe scheidung des Bundestags halte, die »geein Zweikampf werschäftsmäßige Suizidhilfe« bei Strafe zu den würde. verbieten, alle anderen Formen aber strafWer nicht bloß über, sondern mit den frei zu lassen. Abgeordneten sprach, wusste früh, dass Meine Antwort fällt dann etwa so aus: das »ethisch Gebotene« und »politisch »Ich bin unzufrieden, aber dankbar.« Das Erreichbare«, wie es ein Kommentator klingt sicher merkwürdig. Dankbar sind kürzlich auf den Punkt brachte, in der zur wir ja meist für die Dinge, die auch zufrieEntscheidung anstehenden Frage Lichtden stellen. Ein Lebensjahre auseinanderlagen. rechtler kann aber mit Die politisch erreichdem, was das Parlament bare Alternative zum »Aus dem Vierkampf beschlossen hat, unmögBrand/Griese-Entwurf lich zufrieden sein. bestand eben leider nicht wurde ein Zweikampf« Um zu begründen, im Sensburg/Dörflinwarum ich dennoch ger/Hüppe-Entwurf, dankbar bin, muss ich sondern im Hintze/Lauein wenig ausholen. Die Beihilfe zum Suterbach-Entwurf. Letzterer hätte nicht izid ist in Deutschland – hier haben un»nur« – wie das bisher geltende Recht – sere Gegner einmal Recht – seit mehr jede Suizidhilfe toleriert, sondern auch als 140 Jahren straffrei. Das heißt nicht noch das Standesrecht der Ärzte über den – und hier haben unsere Gegner schon Haufen geworfen und die Legalisierung wieder Unrecht –, dass der Staat die Beides ärztlich assistierten Suizids im Bürhilfe zur Selbsttötung gutgeheißen hätte. gerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. Wohl aber hat er sie toleriert, was auch Man kann sicher – und Lebensrechtler daran erkennbar ist, dass bis heute kein tun dies ja auch längst – darüber streiten, einziger Arzt wegen Beihilfe zum Suizid wie umfangreich und gravierend die neverurteilt wurde. gativen Auswirkungen sein werden, die Das neue Gesetz ermöglicht es nun dem Lebensschutz daraus erwachsen, erstmals, »Ärzte« wie den Urologen Uwedass der Brand/Griese-Entwurf das VerChristian Arnold, der bei rund 300 Suibot der Suizidhilfe auf die geschäftsmäziden assistiert haben soll, sowie die Verßig durchgeführte beschränkt. Zur Fairantwortlichen von Vereinen wie »Sterbeness gehört aber dann auch, sich Rechenhilfe Deutschland« vor Gericht zu stellen schaft darüber abzulegen, ob der Hintze/ und aus dem Verkehr zu ziehen. Dies wird, Lauterbach-Entwurf oder die Beibehalund dafür bin ich dankbar, vielen suizidtung der völligen Straffreiheit für jedwegefährdeten Menschen das Leben retten. de Suizidhilfe nicht noch schlechter geDennoch hätte auch ich mir ein strenwesen wären. geres Gesetz gewünscht. Eines, das wie der Entwurf der CDU-Abgeordneten Patrick Eine erhellende Lektüre wünscht Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert Hüppe ein Verbot jedweder Suizidhilfe Ihre ermöglicht hätte. Die Beihilfe zum Suizid ist moralisch immer verwerflich und wird es nicht erst, wenn sie »geschäftsmäßig« ausgeübt wird, also auf Wiederholung angelegt ist. Die ALfA hat deshalb von AnClaudia Kaminski fang an den Entwurf der Abgeordneten Bundesvorsitzende der ALfA 3 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR TITEL Wie steht es um den Lebensschutz? Am 6. November hat der Deutsche Bundestag die Beihilfe zum Suizid rechtlich neu geregelt. Die Reaktionen reichen von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Mitunter werden dieselben Einschätzungen sogar von jenen geteilt, die in der Debatte zwar an derselben Barrikade kämpften, jedoch auf entgegengesetzten Seiten standen. Wie passt all das noch zusammen, fragt sich nicht nur der Redaktionsleiter von »LebensForum«, der hier den Versuch einer Verständigung unternimmt. Von Stefan Rehder H amburgs ehemaliger Justizminister Roger Kusch und Gründer des Vereins »Sterbehilfe Deutschland« hat gegen die vom Deutschen Bundestag beschlossene Neuregelung der Suizidhilfe in Deutschland Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelischen Kir4 chen in Deutschland (EKD) priesen den vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwurf in höchsten Tönen. Einzelne katholische Hirten äußerten sich dagegen deutlich kritischer und weigerten sich, in den ökumenischen Lobgesang einzustimmen. Die Bundesärztekammer begrüßte »sehr, dass der Deutsche Bundestag den Anträgen einiger Parlamentarier für ei- ne Liberalisierung der Sterbehilfegesetzgebung nicht gefolgt ist«, bezeichnete es aber nur als »gute Nachricht«, dass der Gesetzgeber der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe »nun endlich einen Riegel vorgeschoben« habe. Bei Lebensrechtlern reichten die Reaktionen von vehementer Ablehnung des neuen Gesetzes über tiefe Sorge bis hin zur ErleichLebensForum 116 LebensForum 116 ckenden Debatte, noch den in ihr handelnden Akteuren gerecht werden, wenn man zunächst – und zwar völlig unabhängig vom jeweiligen Standpunkt – zwei Dinge nicht in Rechnung stellt: Nämlich die bislang geltende Rechtslage und deren sich davon noch einmal – zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung – unterscheidenden Rezeption. Umfragen zufolge war nämlich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der irrigen Ansicht, der Staat verbiete die Beihilfe zur Selbsttötung. Tatsächlich waren aber bis zur jetzt erfolgten Regelung durch den Bundestag, die mittlerweile auch die Zustimmung des Bundesrats erhielt, weder die Selbsttötung noch irgendeine Form der Beihilfe dazu EVELIN FRERK ner Gruppe um die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert Hüppe (Bundestagsdrucksache 18/5376), der ein Verbot jedweder Beihilfe zur Selbsttötung vorsah, erhielt 37 Stimmen. Üblicherweise pflegt der Deutsche Bundestag über miteinander konkurrierende Gesetzentwürfe nacheinander abzustimmen, wobei dann über den weitreichendsten zuerst und über den am wenigsten weitreichenden zum Schluss abgestimmt wird. Sobald einer der zur Abstimmung stehenden Entwürfe die absolute Mehrheit erreicht, ist die Abstimmung zu Ende. Erreicht keiner der Entwürfe die absolute Mehrheit, kommt es zur Stichwahl. ARCHIV terung darüber, dass Schlimmeres verhindert worden sei. Selten hat ein Gesetzentwurf selbst unter denen, die sich eingehend mit ihm befassten, eine derart heftige Kontroverse über dessen angemessene Bewertung ausgelöst. Klar ist eigentlich nur: Auch wer bemüht ist, die verschiedenen Standpunkte in Rechnung zu stellen, von denen aus die Kommentatoren auf das neue Gesetz blicken, kommt nicht umhin festzustellen: Es scheint unmöglich, dass alle Einschätzungen in gleicher Weise richtig sind. Was allerdings nicht notwendig heißen muss, dass auch gleich alle Positionen derart unversöhnlich sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Daher soll hier nachfolgend der Versuch einer Verständigung unternommen werden. Doch zunächst ein Szenenwechsel: Berlin, 6. November, Reichstagsgebäude, Plenarsaal: Kurz nach 13.00 Uhr verkündet Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Dritten Lesung des einer Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD) und Michael Frieser (CSU) eingebrachten Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache 18/5373): 360 der 630 gewählten Volksvertreter stimmten für den Gesetzentwurf. 233 lehnten ihn ab. Neun Abgeordnete enthielten sich der Stimme. 28 hatten an der Abstimmung gar nicht erst teilgenommen. Zuvor hatte sich der Gesetzentwurf in Zweiter Lesung gegen drei weitere Gesetzentwürfe durchgesetzt. Weil die Initiatoren aller vier Gesetzentwürfe sich auf keine Reihenfolge hatten einigen können, in der diese im Parlament zur Abstimmung zu stellen seien, wurde über sie – abweichend von der üblichen Geschäftsordnung des Bundestags – im sogenannten Stimmzettelverfahren abgestimmt. Dabei entfielen auf den Gesetzentwurf der Abgeordneten Brand, Griese, Frieser und anderer 309 der 599 gültig abgegebenen Stimmen. Der Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD), der unter gewissen Auflagen die Einführung des ärztlich assistierten Suizids in Deutschland zur Folge gehabt hätte (Bundestagsdrucksache 18/5374), erhielt 128 Stimmen. 52 Parlamentarier stimmten für den Gesetzentwurf der Gruppe um die frühere Verbraucherministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte (Bundestagsdrucksache 18/5375). Der vor allem von Lebensrechtlern favorisierte Gesetzentwurf ei- Roger Kusch Uwe-Christian Arnold In diesem Fall kam jedoch das Stimmzettelverfahren zur Anwendung. Dabei lag den Abgeordneten ein Stimmzettel vor, der alle vier Gesetzentwürfe auflistete, verbunden mit der weiteren Möglichkeit, sich mit »Nein« gegen alle vier Gesetzentwürfe zu entscheiden oder aber sich der Stimmabgabe ganz zu enthalten. (Das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung dokumentiert »LebensForum« ab Seite 15.) Auf dem Stimmzettel durfte jeder Parlamentarier nur ein Kreuz machen. Zuvor hatten die Abgeordneten mehr als drei Stunden lang mit mitunter harten Bandagen miteinander debattiert, für die von ihnen präferierten Entwürfe geworben und die der anderen heftig attackiert: Manche schreckten dabei selbst vor Panikmache und Desinformation nicht zurück (siehe Kasten auf Seite 7). Man kann weder der gesamten, sich über mehr als eineinhalb Jahre erstre- verboten. Der Staat hatte, auch wenn er die Beihilfe zur Selbsttötung nicht ausdrücklich erlaubte, sie doch auch nicht verboten und damit toleriert. Weder Ärzte noch Privatpersonen mussten eine strafrechtliche Verfolgung fürchten, wenn sie einem »Sterbewilligen« bei einem Suizid unter die Arme griffen. Nicht einmal das ärztliche Standesrecht, das dem entgegensteht, erwies sich als brauchbar, um Ärzte aus dem Verkehr zu ziehen, die Patienten bei der Selbsttötung assistierten. Obgleich es mehrere Ärzte gab, die sich öffentlich dazu bekannten, wiederholt Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben, wurde keinem einzigen die Zulassung entzogen noch wurde auch nur einer von ihnen von einem deutschen Gericht verurteilt. Im Gegenteil: Im März 2012 gab die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin einer Klage des Urologen UweChristian Arnold statt. Der hatte gegen die Ärztekammer Berlin geklagt, die ihm 5 TITEL 6 selbst beinhalte. »Der Wunsch, das eigene Leben zu beenden, und dessen Vollzug durch Selbsttötung« falle unter die »Ausübung grundrechtlicher Freiheit« und sei vom »allgemeinen Persönlichkeitsrecht« (Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) gedeckt. Wer bislang geglaubt hatte, der Staat missbillige grundsätzlich den Suizid und habe es nur unterlassen, dem auch unmissverständlichen Ausdruck zu verleihen, unterlag also offensichtlich einer Täuschung. So christlich, wie die Präambel des Grundgesetzes (»Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Anders als der weltanschaulich neutrale Staat ist für die Kirche daher auch allein Gott, der den Menschen das Leben als Gabe schenkt und über deren Gebrauch er einst von ihnen Rechenschaft fordern wird, auch »Herr über Leben und Tod«. Wenn nun Sterbehelfer und kämpferische Atheisten, wie etwa der Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), Erwin Kress, dem Bundestag gleichermaßen vorwerfen, er habe sich mehrheitlich in das »Fahrwasser« katholischer Moraltheologen und protestantischer Sozialethiker begeben, dann ist dies gleich in doppelWWW.CSU-TRAUNSTEIN.DE WOLFGANG ROUCKA/WIPKIPEDIA.ORG untersagen wollte, »Substanzen, die allein oder in Verbindung mit anderen dazu geeignet sind, den Tod eines Menschen herbeizuführen, an (…) Patienten abzugeben oder in sonstiger Weise zum Gebrauch für deren Suizid zu überlassen«, und im Falle der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000 Euro angedroht hatte. In ihrem Urteil (Az.: VG 9K 63.09) führten die Richter aus, zwar könne das Standesrecht auch ein Verhalten verbieten, das nicht strafbar ist. Als Rechtsgrundlage reiche es aber nicht aus, um ein zwangsgeldbewährtes Verbot für ein Verhalten auszusprechen, dessen »ethische Zulässigkeit in bestimmten Fallkonstellationen auch innerhalb der Ärzteschaft äußerst kontrovers diskutiert« werde und dessen Verbot in diesen Fällen »intensiv in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes und seine Gewissensfreiheit« eingreife. Dabei könne es, so die Richter damals weiter, offen bleiben, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, wenn der Staat die Beihilfe zum Suizid unter Strafe stelle oder die ärztliche Beihilfe zum Suizid gesetzlich verböte. »Solange dies aber nicht geschehen ist und auch die ärztliche Ethik in dieser Frage keine eindeutige Antwort gibt, ist kein Grund ersichtlich, weshalb das ärztliche Gewissen in den genannten Ausnahmefällen hinter der Auffassung der Ärztekammer zurückstehen sollte.« Im Ergebnis erklärten die Richter die Verfügung der Berliner Ärztekammer daher für »rechtswidrig« und das angedrohte Zwangsgeld für »hinfällig«. Auch wenn die Mehrheit der Bürger die Rechtslage ganz anders eingeschätzt hat, Fakt ist: Das bisher geltende Recht bot nicht einmal einer Ärztekammer, die nicht die Augen davor verschließen wollte, dass ein ihr angehörender Arzt Patienten beim Suizid assistierte, eine rechtliche Handhabe, diesem derartige Handlungen zu untersagen. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst namhafte Juristen, die dem Schutz des Lebens höchste Priorität beimessen, mit anderen darin übereinstimmen, dass das Grundgesetz den Suizid selbst nicht nur nicht missbilligt, sondern dass ein gesetzliches Verbot desselben sogar verfassungswidrig wäre. So vertreten sowohl der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber, Vorsitzender der »Juristen-Vereinigung Lebensrecht« (JVL), als auch sein Stellvertreter, Klaus-Ferdinand Gärditz, die Ansicht, dass auch das Grundrecht auf Leben (Art. 2, Abs. 2, Satz 1 GG) nicht den Schutz des Menschen vor sich Kardinal Marx Alois Glück, CSU Menschen ...«) suggerieren mag, waren die Mütter und Väter des Grundgesetzes eben nicht. Bei genauerer Prüfung der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zeigt sich vielmehr: Weder der Menschenwürdebegriff der Verfassung noch das Grundrecht auf Leben lässt sich, trotz großer Schnittmengen, mit der Sittenlehre der Katholischen Kirche vollumfänglich zur Deckung bringen. ter Weise falsch. Zunächst weil es auch dem weltanschaulich neutralen Staat jederzeit möglich bleiben muss, zu exakt denselben Ergebnissen zu kommen wie eine Religionsgemeinschaft; jedenfalls so lange, wie der Staat dies anders als religiös zu begründen vermag. Zum anderen aber, weil dies hier gar nicht der Fall ist. Auf die Seite der Kirchen hätte sich der Staat nicht einmal dann geschlagen, wenn er jede Form der Beihilfe zum Suizid statt »nur« die geschäftsmäßige verboten hätte. Dies wäre erst dann der Fall, wenn er auch den Suizid selbst untersagt und dieses Verbot obendrein religiös begründet hätte. Umso mehr müssen die überschwänglichen Reaktionen wundern, die der Bundestagsbeschluss bei maßgeblichen Repräsentanten beider christlicher Konfessionen hervorgerufen hat. In einer gemeinsamen Erklärung priesen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholi- »Lebensrechtler müssen sich die Augen gerieben haben.« So wendet sich aus Sicht der Katholischen Kirche der Suizident bei der Selbsttötung denn auch gar nicht gegen sein eigenes, sondern gegen ein ihm anvertrautes Gut. Für die Katholische Kirche ist der Mensch nicht »Eigentümer«, sondern bloß »Verwalter« seines Lebens. LebensForum 116 ken, Alois Glück, sowie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich BedfordStrohm, und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Irmgard Schwaetzer, geradezu enthusiastisch das neue Gesetz. Mit der Entscheidung für ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung hätten die Abgeordneten »ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhalt gesetzt«. Das neue Gesetz schütze »schwerkranke und ältere Menschen vor einem zunehmenden sozialen Druck, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden«. Auch Ärzte und Pflegekräfte würden »vor der Erwartungshaltung geschützt, im Rahmen der gesund- heitlichen Versorgung Suizidassistenz zu leisten«. Weiter heißt es, das neue Gesetz setze »klare rechtliche Rahmenbedingungen, achtet das persönliche Arzt-PatientVerhältnis und stärkt die Selbstbestimmung der durch Krankheit geschwächten Menschen, indem diesen Menschen die solidarische Zuwendung bis zum letzten Atemzug garantiert wird«. Lebensrechtler müssen sich die Augen gerieben haben, als sie diese Erklärung lasen. Denn der einzige Gesetzentwurf, der all das tatsächlich hätte leisten können, wäre der Entwurf der Gruppe um die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert Hüppe gewesen. Er allein sah vor, Anstiftung und jede Form der Beihilfe zum Suizid ausnahmslos bei Strafe zu verbieten. Dieses Verbot sollte in einem neuen § 217 StGB wie folgt gefasst werden: »(1) Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.« Leider hatte dieser Gesetzentwurf große Mühe, überhaupt ausreichend Unterstützer zu finden, um in den Bundestag eingebracht werden zu können. Erfreulicherweise gelang es den Initiatoren auf den letzten Metern, Abgeordnete, die bereits den Brand/Griese/Frieser-Entwurf unterstützten, auch noch zur parallelen Zeichnung ihres Entwurfs zu bewegen, so dass dieser wenigstens zur Abstimmung gestellt werden und seine Initiatoren bei den Plenardebatten im Parlament für ihn INFO Auszug aus der Debatte Eine der bemerkenswerten Reden in der Bundestags-Debatte am 6. November hielt die grüne Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg, obwohl sie nicht den Sensburg/Dörflinger/Hüppe-Entwurf unterstützte, sondern zu den Initiatoren des Brand/Griese/Frieser-Entwurfs gehörte: In unseren Diskussionen und Reden ist viel von Selbstbestimmung die Rede. Selbstbestimmung ist aber keine Einbahnstraße. Selbstbestimmung braucht Bedingungen, unter denen eine freie Entscheidung möglich ist. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich bezweifle, dass das bei den meisten Suiziden – assistiert oder nicht – der Fall ist. Wenn wir genauer hinschauen, warum vor allem ältere Menschen aus dem Leben scheiden wollen, dann sehen wir, dass sie niemandem zur Last fallen wollen. Sie haben Angst, Dinge nicht mehr allein tun zu können. Sie haben Angst, dement zu werden. Sie haben Angst vor Pflegebedürftigkeit. Viele leiden unter chronischen Schmerzen, unter versteckten Altersdepressionen, und viele sind einfach nur sehr, sehr einsam. LebensForum 116 (...) Oft ist das Verlangen nach einem Suizid ein Hilferuf, der an uns gerichtet ist: Wende dich doch endlich mir zu! Siehst du denn überhaupt nicht, wie ich leide? – Diese Menschen wollen nicht um jeden Preis sterben. Diese Menschen befinden sich einmalig in einer Situation, aus der sie in dieser Situation keinen Ausweg wissen. (...) Suizid ist nicht eine Option im Leben, die gleichberechtigt neben anderen steht. Und genau darum geht es in unserem Gesetzentwurf: Suizidbeihilfe darf keine normale Dienstleistung werden. Suizidbeihilfe darf nicht alltäglich oder normal für unsere Gesellschaft sein. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir fürchten: Wo es ein Angebot gibt, gibt es auch eine Nachfrage, und wenn etwas gesetzlich geregelt ist und häufiger praktiziert wird, erweckt es den Eindruck von Normalität, von Unbedenklichkeit. (...) Die steigende Zahl der assistierten Suizide in den Niederlanden zeigt: Das sind keine vagen Vermutungen. Die organisierte Sterbehilfe suggeriert uns: Wir haben eine ganz einfache Lösung für all eure Probleme; das Erbe für die Kinder und die Enkel muss nicht für die teure Pflege aufgebracht werden. Woher das Zweifeln am Leben kommt, darum muss sich dann keiner mehr kümmern, da muss keiner mehr nachforschen. In der aktuellen Debatte wird häufig das Gefühl vermittelt, dass Alter, Schwäche, Demenz oder Pflegebedürftigkeit Zustände sind, die einem Menschen die Würde nehmen. Das möchte ich ganz klar zurückweisen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) SVEN TESCHKE/CREATIVE COMMONS CC-BY-SA-3.0 DE »(...) In unserer Gesellschaft leben immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen, die alleine leben, Menschen, die durch ihre Lebensumstände sehr verletzlich geworden sind und deshalb unseren besonderen Schutz brauchen. Wie aufgehoben sich diese Menschen in unserer Gesellschaft fühlen, das ist auch vom Ausgang der heutigen Debatte abhängig. Elisabeth Scharfenberg, B90/Grüne Es gibt kein würdeloses Leben, auch nicht in der Demenz. Wir machen es nur würdelos, wenn wir den Menschen nicht verstehen, wenn wir den Menschen degradieren, wenn wir über ihn reden anstatt mit ihm. Es ist nicht würdelos, auf Hilfe angewiesen zu sein. Es ist nicht würdelos, sich von anderen Menschen pflegen zu lassen. (…)« 7 TITEL 8 Beraubten. Bei einem assistierten Suizid ist dies aber nicht der Fall. Aus Sicht des Staates richtet sich die Tat des Suizidenten lediglich gegen dessen eigenes Gut. Die Beihilfe des Suizidhelfers aber richtet sich gegen ein ihm fremdes Gut, nämlich gegen das Leben des Suizidenten. Aus diesem Grund müsste es dem Gesetzgeber völlig unbenommen bleiben, die Beihilfe zum Suizid rechtlich völlig anders zu bewerten als die Beihilfe zu irgendeiner anderen Tat. Wer wie die 150 Strafrechtler dagegen meint, zur Dagegen sorgen sich Lebensrechtler mit Recht darum, welche Folgen der vom Bundestag angenommene Gesetzentwurf entfalten wird. Wie auch der Sensburg/ Dörflinger/Hüppe-Entwurf fügt er dem Strafgesetzbuch einen neuen § 217 hinzu, fasst ihn jedoch wie folgt: »(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. WWW.EKD.DE MICHAEL LUCAN, LIZENZ: CC-BY-SA 3.0 werben konnten. Wie sich im Verlauf dieser Debatten herausstellen sollte, erwiesen sich letztlich vor allem zwei Hürden als zu hoch, um erfolgreich überwunden zu werden. Hürden, die – wie sich bei genauer Betrachtung feststellen lässt – allerdings lediglich in den Köpfen der Volksvertreter bestanden und kein Fundament in der Wirklichkeit besaßen. Die erste Hürde bestand darin, dass der Gesetzentwurf das vollständige Verbot einer Praxis forderte, die hierzulande seit mehr als 140 Jahren mit dem Verzicht auf Strafe verbunden war, worauf zahlreiche Abgeordnete in den Bundestagsdebatten denn auch immer wieder mit Nachdruck hinwiesen. Auch wer grundsätzlich begrüßt, dass der Gesetzgeber im Strafrecht das »schärfste Schwert« des Staates erblickt und seinen Einsatz daher nur im äußersten Fall für angezeigt hält, wird nicht umhin können, festzustellen, dass der Verweis auf eine fast 150-jährige Tradition noch kein Argument, sondern nur die Beschreibung einer Tatsache ist. Dass etwas von einer gewissen Dauer ist, belegt noch lange nicht dessen Richtigkeit. So war das »T4« genannte Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten ja auch nicht deshalb falsch, weil das Dritte Reich »nur« zwölf statt der von seinen Anhängern erhofften 1.000 Jahre währte. Die zweite Hürde war – noch bevor die Gesetzentwürfe vorlagen – von Juristen errichtet worden. Ohne Kenntnis der einzelnen Entwürfe hatten 150 »deutsche Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer« eine Stellungnahme »zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe« unterzeichnet. Darin hieß es unter anderem: »Aus der Straflosigkeit des Suizids ergibt sich nach bewährten strafrechtsdogmatischen Regeln, dass auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Dies zu ändern, würde zu einem Systembruch führen, dessen Auswirkungen nicht absehbar sind.« Auch wenn vernünftigen Menschen durchaus einleuchtet, dass die Beihilfe zu einer Tat grundsätzlich nicht schwerer bestraft werden kann als die Tat selbst, so muss die völlig blinde Anwendung dieses Prinzips durch 150 Strafrechtler hier doch sehr verwundern. Denn die Beihilfe zur Selbsttötung unterscheidet sich ja schon formal signifikant von der Beihilfe zu jeder anderen Tat, wie etwa ein Vergleich mit einem Raubüberfall sofort einsichtig machen kann. So richten sich bei einem Raubüberfall sowohl die Haupttat als auch die Beihilfe dazu (z. B. Beschaffung des Fluchtautos oder der Tatwaffe) jeweils gegen ein fremdes Gut, nämlich gegen das des Heinrich Bedford-Strohm Irmgard Schwaetzer Wahrung der Systematik des deutschen Strafrechts dürfe auch bei der Selbsttötung die Beihilfe zu dieser nicht schwerer bestraft werden als diese selbst, begeht entweder einen Kategorienfehler oder vergleicht in der Hoffnung, anderen fiele dies nicht auf, absichtlich Äpfel mit Birnen. Was in diesem Fall den Ausschlag gab, lässt sich kaum zweifelsfrei klären. Dass in Gestalt des Würzburger Strafrechtsprofessors Eric Hilgendorf aber einer der beiden Initiatoren der Erklärung der Strafrechtler auch im wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) sitzt, wo auch der Urologe Uwe-Christian Arnold Platz genommen hat, ist mehr als bloß ein interessantes Detail. Die Tatsache, dass die GBS zusammen mit anderen Atheisten-Bünden die Kampagne »Letzte Hilfe« schulterte, die für die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids warb, gibt immerhin Anlass zu der Hoffnung, dass es um das logische Denkvermögen deutscher Strafrechtler nicht generell besorgniserregend bestellt sein muss. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten ist oder diesem nahesteht.« Auch wenn unter Juristen insoweit Einigkeit besteht, dass unter »geschäftsmäßigem« Handeln »das nachhaltige (...) Betreiben oder Anbieten (...) gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht« zu verstehen ist, gehen die Meinungen darüber auseinander, was als »nachhaltig« gelten kann. Sollte der Verein »Sterbehilfe Deutschland« vor dem Bundesverfassungsgericht mit seiner angekündigten Klage scheitern, werden womöglich andere Gerichte klären, wann die von Angehörigen oder Ärzten geleistete Beihilfe zur Selbsttötung als ein nachhaltiges Betreiben oder Anbieten von Suizidhilfe betrachtet werden muss. Je nachdem, wie solche Urteile ausfallen, werden diese eine abschreckende oder aber ermutigende Wirkung entfalten. Fest steht derzeit nur: Sollte das Bundesverfassungsgericht das neue Gesetz für mit dem Grundgesetz vereinbar erklären, müssen nur Vereine wie »SterLebensForum 116 behilfe Deutschland« und Mediziner wie der Urologe Uwe-Christian Arnold fürchten, weggesperrt zu werden. Katholiken können damit nicht zufrieden sein. Für sie wird, wie für andere vernünftig denkende Menschen auch, eine Handlung moralisch nicht erst dann verwerflich, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist. Ist sie es, dann ist es die erste und einzige genauso wie die dreihundertste – so oft will allein Arnold Medienberichten zufolge Patienten bei einem Suizid assistiert haben. Kritisch hinterfragen wird man auch müssen, wie weit in der Praxis der Schutz vor Sterbehilfevereinen und Medizinern reicht, die mit tödlichem Handgepäck durch die Republik touren, wenn ihnen weder die Werbung für den Missbrauch der ärztlichen Kunst noch die Suizidberatung verboten ist. Wenn trotz alldem dennoch einige Lebensrechtler erleichtert darüber sind, dass der Brand/Griese/Frieser-Entwurf und nicht etwa der Hintze/Reimann/ Lauterbach-Entwurf das Rennen gemacht hat, bedeutet dies keineswegs, dass sie die Beihilfe zum Suizid auch nur in einem einzigen Fall gutheißen. Es bedeutet nur, dass sie der Auffassung sind, dass mit Ausnahme des Sensburg/Dörflinger/Hüppe-Entwurfs, der als einziger Lebensrechtler wie Katholiken zufrieden gestellt hätte, jede der verbliebenen Optionen noch schlechter gewesen wäre als die, die der Bundestag am Ende mehrheitlich beschloss. Das gilt sowohl für die bislang geltende Rechtlage, die jede Form der Suizidhilfe gestattet und die dann fortbestanden hätte, wenn keiner der vier Gesetzentwürfe eine Mehrheit erhalten hätte, als auch für den Hintze/Reimann/Lauterbach-Entwurf, der als einziger neben dem Brand/Griese/Frieser-Entwurf eine Aussicht auf eine Mehrheit im Parlament besaß. Während der Brand/Griese/FrieserEntwurf nämlich eine Verschärfung der bisher geltenden Rechtslage bedeutet, indem nun erstmals all jene mit Strafe bedroht werden, die aus der Suizidhilfe ein Regelangebot gemacht haben, hätte der Hintze/Reimann/Lauterbach-Entwurf ein solches von Staatswegen etabliert. Wenn auch unter Auflagen – die freilich ihrerseits jederzeit verschiebbar gewesen wären – hätte der Staat den ärztlich assistierten Suizid nicht länger bloß mehr toleriert, sondern erstmals tatsächlich positiv goutiert. Schon der Titel »Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung« zeigt an, um was es seinen Initiatoren ging. Nämlich um die Schaffung und OrganisatiLebensForum 116 on einer Form, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. Auch wer mit dem Brand/Griese/Frieser-Entwurf zu Recht unzufrieden ist, kann einsehen, dass es noch einmal einen Unterschied macht, ob ein Staat nicht sämtliche Formen der Suizidhilfe verbietet oder ob er stattdessen die Assistenz bei einer Selbsttötung durch einen Arzt per Gesetz zu einer ärztlichen Tätigkeit erklärt und das ärztliche Standesrecht, das dem bislang entgegensteht, auf diese Weise gewissermaßen im Vorbeigehen auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Brand/Griese/Frieser-Entwurf entgegen der auch sonst erstaunlich kenntnisfreien Beurteilung durch DBK und EKD Patienten, die fürchten, anderen zur Last zu fallen, nicht den Druck nimmt, sich unter Umständen nicht doch für einen Suizid zu entscheiden. Der Hintze/Reimann/ »Was war politisch mehrheitsfähig und was maximal zu erhoffen?« Lauterbach-Entwurf hätte diesen Druck aber durch die Schaffung eines staatlich legalisierten und organisierten Regelangebotes noch ungleich erhöht. Lebensrechtler mögen darüber streiten können, ob der Brand/Griese/Frieser-Entwurf Anleihen an dem skandalösen Gesetzentwurf nahm, den vier Hochschullehrer im Sommer des vergangenen Jahres präsentiert hatten (vgl. LF 111, S. 10f.). Für jeden offensichtlich ist das jedenfalls nicht. Worüber sich aber – weil tatsächlich für jedermann offensichtlich – nicht streiten lässt, ist, dass eine Annahme des Hintze/ Reimann/Lauterbach-Entwurfs im Ergebnis eine nahezu vollumfängliche Umsetzung dieses Entwurfs bedeutet hätte. Das Abstimmungsergebnis des deutschen Bundestages vom 6. November müsse »differenziert betrachtet werden«, befand denn auch der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Zu fragen sei: »Was war politisch möglich und mehrheitsfähig? Und was war unter der Rücksicht eines umfassenden Lebensschutzes maximal zu erhoffen?« Der mehrheitlich verabschiedete Gesetzentwurf stelle die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe und sorge dafür, dass »›SuizidbeihilfeFirmen‹, wie wir sie aus der Schweiz kennen, in Deutschland keine Arbeitsgrundlage haben. Insofern ist das Gesetz zu begrüßen«, so Voderholzer. »Was aber den Lebensschutz insgesamt betrifft«, müsse befürchtet werden, »dass das neue Gesetz nur eine sehr schwache Hürde auf einer insgesamt abschüssigen Bahn« sei. Er sehe nicht, wie mit der vom Bundestag verabschiedeten Gesetzgebung verhindert werden könne, »dass der innere und äußere Druck auf alle Alten, Schwerkranken und Pflegebedürftigen zunimmt«, so der Regensburger Oberhirte, der besorgt fragt: »Werden sich alte, bedürftige und schwerkranke Menschen wirklich noch von einer selbstverständlichen Solidarität und Hilfe ihrer Mitmenschen getragen wissen oder müssen sie sich nicht doch eher als Last und als unnütz empfinden, wenn sie ihren Platz nicht legal und unter straffreier Mithilfe eines Angehörigen oder Nahestehenden räumen?« Lebensrechtler wären keine Lebensrechtler, wenn sie keinen umfassenden Schutz des Lebens einforderten und Gesetze nicht zuerst danach beurteilten, inwieweit sie ihn gewährleisten. In Politik und Gesellschaft hineinwirken werden sie aber auf Dauer nur können, wenn sie darüber hinaus bereit sind, berechtigte Kritik auch differenziert statt pauschal zu adressieren. Wer etwa in der Frage der rechtlichen Neuregelung des Suizids mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz unzufrieden ist, zugleich aber Erleichterung darüber verspürt, dass noch schlechtere Alternativen verhindert wurden, der verrät nicht den Lebensschutz, sondern stellt lediglich die Realität einer inzwischen weitgehend entchristianisierten Gesellschaft in Rechnung. IM PORTRAIT Stefan Rehder, M.A. Der Autor, geboren 1967, ist »Chef vom Dienst« der überregionalen, katholischen Tageszeitung »Die Tagespost«, Redaktionsleiter von »LebensForum« und Leiter der Rehder Medienagentur. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Köln und München und hat mehrere bioethische Bücher verfasst, darunter »Grauzone Hirntod. Organspende verantworten« und »Die Todesengel. Euthanasie auf dem Vormarsch.« Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2010 bzw. 2009. Stefan Rehder ist verheiratet und Vater von drei Kindern. 9 T ITEL Genau hinsehen Viele Lebensrechtler sind verunsichert, was der von einer Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) und vom Bundestag verabschiedete Gesetzentwurf leistet und was nicht. Wie der Autor dieses Beitrags fragen sie zum Beispiel: Wer oder was kann nach der Bundestagsentscheidung sicherstellen, dass die Grenze zwischen Beihilfe zum Suizid und Sterben auf Verlangen nicht überschritten wird? Von Professor Dr. med. Paul Cullen A 10 gründung dazu war explizit von Ärzten die Rede. Dennoch war es im Vorfeld allen Beteiligten klar, dass auch diese als »nahestehende Teilnehmer« gelten sollen. Gelegentlich sickerte hier und dort etwas durch. So zum Beispiel bei dem nüge, da nicht klar sei, »ob (…) sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Sterbehilfe leisten, strafbar machen«, weil davon auszugehen sei, dass viele Ärzte, etwa im Krankenhaus oder in der hausärztlichen Versorgung, sich wiederholt DANIEL RENNEN lea iacta sunt: Am 6. November 2015 hat der Deutsche Bundestag mit klarer Mehrheit bestimmt, dass zukünftig Beihilfe zur Selbsttötung von Angehörigen und »Nahestehenden« per Gesetz erlaubt sein soll, sofern diese nicht »geschäftsmäßig«, also »auf Wiederholung angelegt« ist. Der Text der neuen Regelung enthält einiges an Ungenauigkeiten, die nun durch die Gerichte zu klären sein werden. Wann übersteigt beispielsweise eine Serie von Einzelfällen die Grenze zur »Geschäftsmäßigkeit«? Ab dem wievielten Fall in welchem Zeitraum ist eine Wiederholungsabsicht anzunehmen? Einmal im Jahr? Zweimal im Monat? Auch der Begriff »Angehöriger« und erst recht der eines »Teilnehmer[s]«, der dem Suizidenten »nahesteht«, eröffnen ungeahnte Perspektiven. In der Begründung zum Gesetzestext wird »Angehöriger« mit Verweis auf § 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches (StGB) erläutert. Hiernach trifft diese Bezeichnung unter anderem auf den ehemaligen Lebenspartner eines Geschwisters des Sterbewilligen zu. Auch eine »enge Freundschaft« zum Sterbewilligen reiche aus, um ihm im Sinne des Gesetzes nahezustehen, sofern »dem Angehörigenverhältnis entsprechende Solidaritätsgefühle« existieren. Dass die Solidarität unter Angehörigen manchmal zu wünschen übrig lässt, wissen wir allerdings mindestens, seit Kain seinen Bruder Abel auf dem Acker erschlug. Im Folgenden möchte ich mich jedoch ausschließlich mit der Bedeutung dieses Gesetzes für die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland befassen. Wie wir sehen werden, kommt diesen eine ganz zentrale Rolle aus der Sicht des Gesetzgebers zu. Auf den ersten Blick hätte man anderer Meinung sein können, denn nirgendwo im Gesetzestext oder in der Be- Aus ärztlicher Sicht ist größte Wachsamkeit geboten SPD-Abgeordneten René Röspel, der als Sprecher des Brand-Entwurfs am 2. Juli 2015 im Bundestag sagte: »Sie (die Ärzte, Anmerkung des Verfassers) müssen über das Ende von Leben entscheiden. Sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.« (Plenarprotokoll 18/115). Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ging davon aus, dass Ärzte dem Suizidwilligen im Sinne des Gesetzes »nahestehen«, und sah darin kein Problem. Der Wissenschaftliche Dienst fragte lediglich, ob der Entwurf dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes ge- mit der Frage nach Suizidbeihilfe konfrontiert sehen mit der Folge, dass diese grundsätzlich als »geschäftsmäßig« eingestuft werden könnte. Spätestens bei der Bundestagsdebatte am 6. November wurde aber dann die wahre Intention des Gesetzentwurfs restlos klar. Nicht weniger als ein Drittel der Redebeiträge von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) war dem Thema der ärztlichen Suizidbeihilfe gewidmet. So sollte nach Brand die Suizidbeihilfe Ärzten erlaubt sein, »die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen handeln«, während Frau Griese betonte, dass »der Fall, in dem ein Arzt in einem ethisch begründeten Einzelfall aufLebensForum 116 grund einer Gewissensentscheidung dem Wunsch des Patienten nachkommt, ihm zu helfen, aus dem Leben zu scheiden, (…) straffrei [bleibt]«. Frau Griese ging sogar weiter und erklärte, dass ein Arzt nur dann geschäftsmäßige Suizidbeihilfe leiste, wenn diese »im Mittelpunkt seiner Tätigkeit« stehe. Diese wichtige Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht. So berichtete der »Deutschlandfunk« am Abend des 6. November, dass laut den Initiatoren des Brand/Griese-Entwurfs das Verbot der Suizidbeihilfe nur dann gelte, wenn jemand diese »wissentlich und willentlich zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit mache«. Eine Beschreibung, die durch den Zusatz »wissentlich und willentlich« die Hürde zum etwaigen gerichtlichen Beweis der Geschäftsmäßigkeit nochmal erhöht. Es kann also zweifelsfrei festgehalten werden, dass Ärzte durch dieses Gesetz gerade nicht, wie etwa eine gemeinsame Erklärung der katholischen und evangelischen Kirchen unmittelbar nach der Bundestagsabstimmung glauben machen will, »vor der Erwartungshaltung (…), im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung, Suizidassistenz zu leisten«, geschützt werden. Vielmehr muss befürchtet werden, dass exakt das Gegenteil passiert, nämlich, dass durch das Gesetz der Druck auf Ärzte beziehungsweise auf ihre Kammer im Bund und in den Ländern steigt, genau dies zu tun beziehungsweise dies zu erlauben. Viele sehen durch dieses Gesetz den Lebensschutz gestärkt. Bisher war nämlich die Beihilfe zum Suizid nicht verboten (obwohl fast keiner das wusste), und nun habe man ein solches Verbot eingeführt. Zwar sei dieses Verbot auf Wiederholungstäter beschränkt, aber immerhin. Man muss aber sehr genau hinschauen, was hier gerade passiert. Es stimmt, dass der Suizid und somit die Suizidbeihilfe in der deutschen Rechtsordnung bisher nicht verboten waren, aber sie waren auch nicht erlaubt. Wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bemerkte, »schweigt (…) unsere Rechtsordnung zu dem persönlichen Drama eines Suizids«. Nun ist aber das Schweigen gebrochen. Zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit wird die Selbsttötung wie die Beihilfe dazu nun ausdrücklich gebilligt. Hier verschiebt sich eine tektonische Platte des Rechts, zwar nur um wenige Millimeter, aber mit gewaltiger Auswirkung. Wir haben nun den ersten Schritt auf einer sehr glatten, schiefen Ebene genommen. Denn wer kann sicherstellen, dass in jedem Fall die Grenze zwischen BeiLebensForum 116 hilfe zum Suizid und Sterben auf Verlangen nicht überschritten wird? Ein zentraler Aspekt des Arztseins ist das Vertrauensverhältnis zum Patienten. Dieses Verhältnis wird zutiefst erschüttert in einer Welt, wo der Arzt mit gesetzlicher Billigung an das Bett eines kranken, auch eines todkranken Menschen herantreten darf mit dem expliziten Ziel, dass dieser Mensch hinterher tot ist. Diese Handlung ist mit dem Arztsein nach der herkömmlichen, durch das hippokratische Ethos festgelegten Tradition nicht vereinbar. Wo eine Lockerung hinführt, sehen wir ja, in der deutschen Vergangenheit und in der niederländischen Gegenwart. Aber gerade diese Konstellation wurde durch das neue Gesetz geschaffen. Aus diesem Grund ist aus ärztlicher Sicht größte Wachsamkeit geboten und »Viele sehen durch dieses Gesetz den Lebensschutz gestärkt« die Begrüßung der Abstimmung im Bundestag durch die Bundesärztekammer nur schwer verständlich. Vielmehr müssen wir nun darauf achten, dass das in der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer ausgesprochene Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe seine Gültigkeit behält und zur Grundlage der Berufsordnungen der einzelnen Landesärztekammern wird. Diese Gesetzesinitiative hat nämlich eine interessante und zutiefst beunruhigende Vorgeschichte. Vorläufer des Brand/ Griese-Gesetzentwurfs war ein im Jahr 2014 vorgestellter Vorschlag des Schweizer Palliativmediziners Gian Domenico Borasio, der deutschen Medizinethiker Ralf Jox und Urban Wiesing sowie des deutschen Medizinrechtlers und stellvertretenden Vorsitzenden des deutschen Ethikrats Jochen Taupitz. Wie der Medizinhistoriker Axel Bauer von der Universität Mannheim erkannte, lag der »strategische Schachzug« dieses Vorschlags in einer Ergänzung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Nach dem BtMG darf das für den assistierten Suizid gerne verwendete Pentobarbital nicht für die Tötung oder Selbsttötung eines Menschen benutzt werden. Jox und Kollegen schlugen vor, im BtMG auch eine Nutzung nach § 217 StGB (Beihilfe zur Selbsttötung) zu erlauben. »Damit«, notierte Prof. Bauer, »würde der Tod auf Rezept Wirklichkeit, das Traumziel der Todeshelfer erreicht. Ärzte könnten ihren Pa- tienten ganz legal jenes Gift verordnen, das man bislang nur in der Veterinärmedizin zum Einschläfern alter oder kranker Tiere verwendet.« In dem Brand/Griese-Entwurf wird das Betäubungsmittelgesetzt nicht erwähnt. Aber auch hier ist höchste Vorsicht geboten. »Wir haben den ersten Schritt auf einer schiefen Ebene genommen« In einer Rede bei der Bundesärztekammer in Dezember 2014 sagte deren Präsident Frank Ulrich Montgomery in Bezug auf die Suizidbeihilfe: »Lassen Sie es doch den Klempner oder den Apotheker oder den Tierarzt machen, aber eben nicht den Arzt.« Hierfür hat Montgomery viel Prügel einstecken müssen. Dabei hat er lediglich unserem Grundverständnis als Ärztinnen und Ärzte Ausdruck verliehen. Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe, betrifft die Frage der Beihilfe zur Selbsttötung den Kern unserer Berufung. Wir Ärzte sind nicht bloße Medizintechniker, die spezialisierte Lösungen für gesundheitliche Probleme anbieten. Unsere Aufgabe als Ärzte ist es vielmehr, neben dem Heilungsauftrag das Leid unserer Patienten zu mindern und dem Leidenden Beistand, Zuwendung und Fürsorge zu bieten. Auf keinen Fall dürfen wir uns dafür hergeben, den Leidenden zu beseitigen, indem wir Beihilfe zum Suizid leisten. Mit dem neuen Gesetz sind wir Ärzte - trotz anderslautenden Behauptungen auf fast allen Kanälen - diesem Zustand leider einen entscheidenden Schritt näher gekommen. IM PORTRAIT Professor Dr. med. Paul Cullen Der 1960 in Dublin geborene Autor ist Labormediziner, Internist und Molekularbiologe. Er leitet ein großes medizinisches Labor in Münster und ist außerordentlicher Professor für Laboratoriumsmedizin an der dortigen Universität. Seit vier Jahren ist er zudem Vorsitzender des Vereins »Ärzte für das Leben«, der sich dem Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod widmet. Mehr Infos: www.aerztefuerdasleben.de. 11 MAKRODEPECHER/PIXELIO.DE DOKUMENTAT I O N Vom Ausland lernen Die Zahl der Redner, die in der Debatte an das Rednerpult traten und für einen der vier zur Abstimmung gestellten Gesetzentwürfe warben, wurde proportional zu der Anzahl der Unterzeichner ermittelt, mit denen die Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht wurden. Im Fall des Entwurfs der Abgeordneten Sensburg/Dörflinger/Hüppe waren dies drei. Der CDU-Abgeordnete und ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, entschied daher, diese Rede zu Protokoll zu geben und einer Kollegin den Vortritt zu lassen. Von Hubert Hüppe V on Suizid besonders gefährdet sind generell Menschen, die depressiv, alt, behindert, chronisch krank, pflegebedürftig, verwitwet, arbeitslos oder alleinstehend und einsam sind. Oft treten alle diese Merkmale gemeinsam auf. Viele treffen oft auf Menschen mit Behinderung zu. Wir wissen, dass schon aus demographischen Gründen die Gruppe der Älteren in den nächsten Jahren stark anwachsen wird. Die Babyboom-Generation kommt ins Rentenalter, während immer weniger junge Leute nachkommen. Es ist daher schon hinterfragt worden, ob es ein reiner Zufall ist, dass wir die Debatte über den assistierten Suizid zu einem Zeitpunkt führen, an dem der demographische Wandel intensiv wie nie zuvor in Politik und Medien behandelt wird. 12 Aus der Suizidforschung wissen wir, dass es jährlich etwa hunderttausend Suizidversuche in Deutschland gibt, von de- »Das Kriterium der Tatherrschaft ist eine hauchdünne Grenze.« nen zehn Prozent tödlich enden. Zugleich weist uns die Forschung darauf hin, dass hinter fast allen Suiziden und Suizidversuchen eine psychische Erkrankung oder soziale Probleme wie Vereinsamung stehen. Hiergegen kann man mit medizinischer, psychologischer und sozialer Hilfe angehen – die Fachleute der Suizidprävention haben wirksame Konzepte er- arbeitet. Vor wenigen Wochen, am 10. September, war der Welt-Suizidpräventionstag. Er sollte uns diese Zusammenhänge in Bewusstsein rufen. Dieser WeltSuizidpräventionstag ist übrigens keine Veranstaltung von Außenseitern, dahinter steht neben der Internationalen Vereinigung für Suizidprävention (Association for Suicide Prevention – IASP) die Weltgesundheitsorganisation (WHO)! Dass echte Hilfe bei Suizidgefährdung möglich und erfolgreich ist, erkennen Sie daran, dass die wenigsten Menschen, die nach einem Suizidversuch professionelle Hilfe erhalten, jemals wieder einen Suizidversuch machen. Ein Kernpunkt der Debatte um assistierten Suizid ist: Wenn es erst einmal gesellschaftlich akzeptiert ist, erst recht, wenn es ein gesetzlich festgeschriebeLebensForum 116 LebensForum 116 und bei gesunden Lebensmüden, so eine im Frühjahr 2015 veröffentlichte Studie. Ende 2012 bekamen zwei belgische Zwillinge, die von Geburt an gehörlos waren, tödliche Injektionen. Der Grund war, CDU/CSU nes Recht darauf gibt, dass ich mit Hilfe eines Arztes oder einer Organisation aus dem Leben scheiden kann, und wenn das als meine autonome, verantwortungsbewusste Entscheidung gilt, dann trage schließlich ich selbst die Verantwortung dafür, wenn ich weiterleben und die Ressourcen der Allgemeinheit weiter in Anspruch nehmen oder meinen Angehörigen zur Last fallen will. Wenn die unterstützte Selbsttötung eine legitime Entscheidung des Einzelnen ist, werden kranke und behinderte und pflegebedürftige Menschen unter Erwartungsdruck kommen. Es reicht übrigens, wenn sie diesen Erwartungsdruck nur empfinden. Davon werden nicht in erster Linie prominente Fernseh-Intendanten oder bekannte Schauspieler mit hohem Einkommen und guter sozialer Vernetzung betroffen sein. Es wird vielmehr die Bezieher kleiner Renten, Alleinstehende und vor allem Menschen mit Behinderungen betreffen. Ich habe kürzlich mit einem pensionierten Arzt gesprochen, der deutschlandweit Beihilfe zum Suizid leistet. Er hat mir als Beispiel seinen jüngsten Fall geschildert: Eine Frau Mitte siebzig ist durch einen Schlaganfall gelähmt und pflegebedürftig, sie kommt in ein Heim. Ihr Sohn hat eine sechsstellige Summe für den geplanten Hauskauf angespart. Er muss monatlich einen Anteil von über 1500 Euro für das Pflegeheim zahlen. Die Mutter wolle Sterbehilfe – aber kommuniziert hatte der pensionierte Arzt bisher nur mit dem Sohn, er hatte die Mutter noch nie gesehen. Die unterstützte Selbsttötung ist – so sagen die Befürworter – angeblich dauerhaft begrenzbar auf Menschen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte – also »einwilligungsfähig« – und psychisch gesund sind. Wie lange würden solche Grenzen dem Diskussionsdruck standhalten? Was wäre mit Menschen, die einwilligungsunfähig geworden sind (durch Unfall, Krankheit oder Altersdemenz)? Was wäre mit Menschen, die aufgrund einer Behinderung nie einwilligungsfähig waren? Wäre es nicht naheliegend, einem aus der Außenperspektive aussichtslos leidenden Menschen, der nicht selbst um Sterbehilfe bitten kann, auch ohne diese Bitte zu »helfen«? Wir können von der Erfahrung des Auslandes lernen: In den Niederlanden, wo Euthanasie ausschließlich für einwilligungsfähige, unheilbar körperlich Kranke eingeführt wurde, befürwortet heute jeder dritte niederländische Arzt Euthanasie bei Dementen, bei psychisch Kranken ten geheilt«, oder wäre es korrekt zu sagen »der Patient hat sich selbst geheilt, der Arzt hat nur geholfen«? Jetzt stellen Sie sich vor, der Arzt verschreibt ein tödliches Mittel, das der Patient einnimmt und stirbt. Wie würden wir hier den Beitrag des Arztes bewerten? Ich will damit unterstreichen, dass die Tatherrschaft des Patienten – das juristische Kriterium, das den assistierten Suizid von der aktiven Sterbehilfe trennt – eine hauchdünne Grenze ist. Sie würde nicht auf Dauer halten. »Schauen wir genau hin, was sich in Oregon entwickelt hat.« Hubert Hüppe, CDU dass sie befürchteten zu erblinden. 2013 ließ sich ein ansonsten gesunder 44-jähriger Belgier nach einer missglückten Geschlechtsumwandlung wegen unerträglicher psychischer Leiden töten. 2014 legalisierte das belgische Parlament Euthanasie auch an Kindern. Ebenfalls 2014 wurde der Euthanasieantrag des körperlich gesunden, aber psychisch leidenden belgischen Sexualstraftäters Frank Van Den Bleeken akzeptiert. Als man ihm spezielle Therapie anbot, ließ er die Tötung absetzen. Das Ausland zeigt, dass die angeblich strenge Eingrenzbarkeit nicht dauerhaft hält. »2014 legalisierte Belgien die Euthanasie auch an Kindern.« In der aktuellen Diskussion spielt die Tatherrschaft des Sterbewilligen eine zentrale Rolle. Der Arzt leiste nur Beihilfe, die Haupttat werde vom Suizidenten ausgeführt. Lassen Sie mich die Tragfähigkeit dieser Vorstellung einmal hinterfragen. Bitte stellen Sie sich vor, Ihr Arzt verschreibt Ihnen ein Antibiotikum, das Sie vorschriftsmäßig einnehmen, und Sie werden wieder gesund. Wäre es jetzt richtig zu sagen, »der Arzt hat den Patien- Selbst Urban Wiesing – einer der vier Autoren des Sterbehilfe-Entwurfes nach dem Vorbild von Oregon – sagte in einem taz-Interview 2014 zur Tatherrschaft des Patienten: »Wir würden andernfalls eine Grenze überschreiten, die wir im Augenblick politisch nicht überschreiten können und sollten, weil sie überhaupt nicht zur Debatte steht.« Offensichtlich wird bereits an das Überschreiten gedacht. Das liegt auch in der Logik der Argumentation. Wenn das Leiden und die Selbstbestimmung des Sterbewilligen die entscheidenden Kriterien sind – wird man ihm dann die vermeintlich moralisch geschuldete »Hilfe« verweigern, weil er selbst das Glas nicht mehr leeren kann? Der Deutsche Ärztetag 2011 hat mit einer Dreiviertel-Mehrheit beschlossen, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist: eine große Mehrheit der Ärzteschaft lehnt das ab. Das hat aber auch eine absehbare praktische Konsequenz: Wer sich selbst töten will, der hat also mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Hausarzt, der Beihilfe zur Selbsttötung ablehnt. Es ist daher nicht realistisch – wie Befürworter des ärztlich assistierten Suizids sagen – dass ich denjenigen Arzt um »letzte Hilfe« bitte, der mich schon viele Jahre kennt. Typischerweise müsste ich anderen Arzt finden, der dazu bereit ist und der mich noch nie zuvor gesehen hat. Es könnte wieder auf reisende Suizid-Ärzte wie den pensionierten Urologen Uwe Christian Arnold hinauslaufen, der mit Gasflasche und Kaffeemühle durch Deutschland reist und bis heute bei etwa 300 Suiziden assistiert hat. In Oregon – das uns von manchen als Vorbild hingestellt wird – ist es typischerweise so, dass dort über 90 Prozent der ärztlich assistierten Suizide mit Hilfe von 13 DOKUMENTAT I O N tungsrate nachweislich höher als in Staaten ohne Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids. Dies belegt eine kürzlich veröffentlichte aufwändige statistische Analyse des Medizinethikers David Jones aus Oxford und des Wirtschaftswissenschaftlers David Paton aus Nottingham, die unter anderem die Daten aus Oregon, Washington, Montana und Vermont untersucht und mit anderen US-Bundesstaaten verglichen haben. Die Ergebnisse widerlegen die »Oregon-LeDANIEL RENNEN solchen Ärzten stattfinden, die von einem Sterbehilfe-Verein vermittelt werden. In Oregon gibt es eine weitere brisante Entwicklung, auf die ich hinweisen will: Ich habe hier die aktuelle sogenannte Priorisierungsliste aus Oregon. Darin stehen die medizinischen Leistungen, die diejenigen bekommen, die nur die soziale Mindestkrankenversorgung »Medicaid« haben. Die von Medicaid noch finanzierten Therapien werden nach ihrer »Kosten-Effektivität« aufgelistet. Inter- Wir sollten den verhängnisvollen Weg nicht beschreiten, den Arzt zum Todeshelfer zu machen, denn der Arzt repräsentiert dem Patienten gegenüber die Bejahung seiner Existenz durch die Solidargemeinschaft der Lebenden. Christoph Wilhelm Hufeland (1762– 1836) hat das vor fast 200 Jahren so formuliert: »Er [der Arzt] soll und darf nichts anderes thun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und maaßt er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate.« Und wir sollten uns in der aktuellen Debatte bewusst sein, dass Begründun- »Wir dürfen uns nicht auf diese schiefe Ebene begeben.« Hinter fast allen Suiziden stehen eine psychische Erkrankung oder soziale Probleme essant ist, dass assistierter Suizid von der Rationierung ausdrücklich nicht betroffen ist und auch in Zukunft nicht sein soll. Therapie wird rationiert, assistierter Suizid bleibt garantiert. Interessant ist auch, dass in Oregon inzwischen die Mehrheit der ärztlich as- »In Oregon betrifft die Mehrzahl der Suizide sozial Schwache.« sistierten Suizide sozial schwache Menschen betrifft, die nur den sozialen Mindestkrankenversicherungsschutz »Medicaid« haben. Ihr Anteil ist 2014 auf 60,2 Prozent angestiegen, viel höher als ihr Bevölkerungsanteil. Wo es wie im US-Staat Oregon ein gesetzliches Recht auf ärztlich assistierten Suizid gibt, ist die Gesamt-Selbsttö14 gende«, der zufolge die ausdrückliche gesetzliche Gestattung der ärztlichen Suizidassistenz suizidpräventiv wirken, also zu niedrigeren Selbstmordraten führen soll. Im Gegenteil geht legalisierter ärztlich assistierter Suizid mit steigenden Raten aller Suizide einher. Wenn wir also hören, wir sollten uns Oregon zum Vorbild nehmen, dann bitte schauen wir auch genau hin, was sich in Oregon entwickelt hat! Warum soll gerade ein Arzt bei der Selbsttötung »helfen«? Doch wegen seiner Sachkunde, und damit es »sicher funktioniert«. Was aber macht der Arzt, wenn etwas schiefgeht – z. B. spontanes Erbrechen durch den Suizidenten, in Oregon in 2,5 Prozent der Fälle offiziell als »Komplikation« registriert – und in welche Richtung greift der Arzt dann ein? Würde er riskieren, dass der Suizident mit weiteren Schädigungen wieder aufwacht? Immerhin hat er den Patienten aufgesucht mit dem Ziel, ihm zum Tod zu verhelfen. gen und Voraussetzungen des ärztlich assistierten Suizids wie Selbstbestimmung über das eigene Leben, aussichtsloses Leiden und Tatherrschaft des Suizidenten nicht dauerhaft halten. Die Argumente werden teilweise heute schon vorgetragen: Mit Udo Reiter plädieren manche für die tödliche Selbstbestimmung über das eigene Leben, auch wenn kein aussichtsloses Leiden vorliegt – solange der Suizident die Tatherrschaft hat. Mit Urban Wiesing ist die Tatherrschaft des Patienten »im Augenblick« noch eine nicht zu überschreitende politische Grenze – woraus man schließen kann, dass für ihn letztlich Selbstbestimmung und Leiden genügen könnte. Das wäre Tötung auf Verlangen. Für besonders gefährlich halte ich eine Argumentation, die jedes Leiden für sinnlos erklärt. Damit wird offensichtlich auch das Leiden des einwilligungsunfähigen Behinderten, der auch zur Tatherrschaft unfähig ist, für sinnlos erklärt. Das betrifft ebenso den Patienten, der die Tatherrschaft nicht mehr ausüben kann, der vielleicht genau deshalb zusätzlich leidet, der aber einwilligungsfähig, psychisch gesund und volljährig ist? Wird man ihn »sinnlos leiden« lassen? Wir dürfen uns nicht auf diese schiefe Ebene begeben. Daher schlagen wir in unserem Gesetzentwurf die grundsätzliche Strafbarkeit jeder Beihilfe zum Suizid vor – wie es beispielsweise in Österreich, Italien, Finnland, Spanien, Polen und England gilt. LebensForum 116 DOKUMENTATI O N So haben die Abgeordneten gestimmt Nachfolgend dokumentiert »LebensForum« die namentliche Abstimmung der 2. Lesung aller vier Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe. Dazu lag den Parlamentariern ein Stimmzettel vor, auf dem sie für einen der vier Gesetzentwürfe oder mit Nein gegen alle stimmen oder sich der Stimme enthalten konnten. 134. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Freitag, 6. November 2015 Namentliche Abstimmung/2. Lesung • Abgegebene Stimmen insgesamt: 602 • Ungültige Stimmen: 3 • Gültige Stimmen: 599 (entfielen auf die vier nachfolgenden Gesetzentwürfe mittels Stimmzettelverfahren) • Nein-Stimmen: 70 • Enthaltungen: 3 Auf den »Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« der Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Michael Frieser u. a. (BT-Drucksache 18/5373) entfielen 309 Stimmen: CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Ralph Brinkhaus Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Dr. Bernd Fabritius Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs LebensForum 116 Hans Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Charles M. Huber Anette Hübinger Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Anja Kaliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Markus Koob Hartmut Koschyk Gunther Krichbaum Dr. Günther Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günther Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner 15 DOKUMENTAT I O N Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Sibylle Pfeiffer Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Lothar Riebsamen Dr. Heinz Riesenhuber Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Armin Schuster (Weil am Rhein) Reinhold Sendker Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Johannes Steiniger Dieter Stier Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel 16 Annette Widmann-Mauz Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer SPD Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Dr. Matthias Bartke Bärbel Bas Burkhard Blienert Willi Brase Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Kerstin Griese Uli Grötsch Sebastian Hartmann Hubertus Heil (Peine) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Dr. Eva Högl Christina Jantz Oliver Kaczmarek Arno Klare Lars Klingbeil Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Thomas Oppermann Aydan Özoguz Detlev Pilger Achim Post (Minden) Dr. Sascha Raabe Martin Rabanus Stefan Rebmann Andreas Rimkus Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Annette Sawade Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Elfi Scho-Antwerpes Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Peer Steinbrück Gabi Weber Die Linke Jan van Aken Annette Groth Heike Hänsel Andrej Hunko Martina Renner Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Bündnis90/Die Grünen Volker Beck (Köln) Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bärbel Höhn Maria Klein-Schmeink Stephan Kühn (Dresden) Markus Kurth Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Kordula Schulz-Asche Dr. Harald Terpe Auf den »Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung« der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach u. a. (BT-Drucksache 18/5374) entfielen 128 Stimmen: CDU/CSU Norbert Brackmann Cajus Caesar Enak Ferlemann LebensForum 116 Klaus-Dieter Gröhler Olav Gutting Jürgen Hardt Uda Heller Jörg Hellmuth Peter Hintze Sylvia Jörrißen Axel Knoerig Jens Koeppen Carsten Körber Michael Kretschmer Andreas G. Lämmel Dr. Ursula von der Leyen Thomas Mahlberg Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Helmut Nowak Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Dr. Peter Ramsauer Tankred Schipanski Christina Schwarzer Tino Sorge Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christel Voßbeck-Kayser Kai Wegner Ingo Wellenreuther Heinz Wiese (Ehingen) Dagmar G. Wöhrl Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Lothar Binding (Heidelberg) Edelgard Bulmahn Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Ulrich Freese Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi LebensForum 116 Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Matthias Ilgen Frank Junge Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Dr. Bärbel Kofler Anette Kramme Dr. Karl Lauterbach Burkhard Lischka Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Sabine Poschmann Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Dr. Carola Reimann Petra Rode-Bosse Johann Saathoff Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Matthias Schmidt (Berlin) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Norbert Spinrath Svenja Stadler Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Bernd Westphal Dirk Wiese Stefan Zierke Die Linke Michael Schlecht Bündnis 90/Die Grünen Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Agnieszka Brugger Katharina Dröge Anja Hajduk Lisa Paus Dr. Frithjof Schmidt Auf den »Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung« der Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring u. a. (BT-Drucksache 18/5375) entfielen 52 Stimmen: CDU/CSU – SPD Detlef Müller (Chemnitz) Sonja Steffen Rüdiger Veit Dirk Vöpel Die Linke Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Sigrid Hupach Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Alexander Ulrich Katrin Werner Birgit Wöllert Bündnis 90/Die Grünen Kerstin Andreae Dr. Franziska Brantner Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Tom Koenigs Oliver Krischer Renate Künast Steffi Lemke Nicole Maisch 17 DOKUMENTAT I O N Peter Meiwald Irene Mihalic Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Ulle Schauws Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Auf den »Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung« der Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Hubert Hüppe u. a. (BT-Drucksache 18/5376) entfielen 37 Stimmen: CDU/CSU Thomas Bareiß Maik Beermann Veronika Bellmann Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Klaus Brähmig Heike Brehmer Gitta Connemann Thomas Dörflinger Iris Eberl Hermann Färber Dr. Thomas Feist Josef Göppel Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Bettina Hornhues Hubert Hüppe Dr. Egon Jüttner Alois Karl Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Marlene Mortler Julia Obermeier Martin Patzelt Kerstin Radomski Eckhardt Rehberg Josef Rief Johannes Röring Uwe Schummer Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Rita Stockhofe Marian Wendt SPD – Die Linke – Bündnis90/Die Grünen – 18 Mit Nein und damit gegen alle vier zur Abstimmung gestellten Gesetzentwürfe stimmten 70 Abgeordnete: CDU/CSU Alexandra Dinges-Dierig Jutta Eckenbach Ingrid Fischbach Dr. Herlind Gundelach Mark Helfrich Steffen Kanitz Kordula Kovac Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Norbert Röttgen Sebastian Steineke Dr. Sabine Sütterlin-Waack Astrid Timmermann-Fechter SPD Niels Annen Sören Bartol Dr. Karl-Heinz Brunner Petra Crone Sabine Dittmar Saskia Esken Dr. Johannes Fechner Dr. Edgar Franke Gabriele Groneberg Michael Groß Gabriela Heinrich Gustav Herzog Thomas Jurk Johannes Kahrs Klaus Mindrup Joachim Poß Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Sönke Rix Sarah Ryglewski Dr. Hans-Joachim Schabedoth Ursula Schulte Frank Schwabe Martina Stamm-Fibich Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Die Linke Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Sevim Dagdelen Klaus Ernst Inge Höger Kerstin Kassner Jutta Krellmann Ralph Lenkert Birgit Menz Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Richard Pitterle Dr. Axel Troost Harald Weinberg Sabine Zimmermann (Zwickau) Bündnis90/Die Grünen Uwe Kekeritz Katja Keul Sylvia Kotting-Uhl Christian Kühn (Tübingen) Monika Lazar Tabea Rößner Dr. Gerhard Schick Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Der Stimme enthielten sich: CDU/CSU Peter Altmaier Jana Schimke SPD – Die Linke Thomas Lutze Bündnis 90/Die Grünen – Nicht teil an der 134. Sitzung des Bundestags nahmen: CDU/CSU Uwe Feiler Jürgen Klimke Dr. Thomas de Maizière Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) SPD Marco Bülow Sigmar Gabriel Angelika Glöckner Ulrich Kelber Daniela Kolbe Franz Thönnes Andrea Wicklein Die Linke Heidrun Bluhm Caren Lay Harald Petzold (Havelland) Bündnis 90/Die Grünen Sven-Christian Kindler Doris Wagner Quelle: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/134, Seiten 13136-13150 LebensForum 116 BIOETHIK-SPLIT T E R +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++ Lebensrechtler siegt vor Menschenrechtsgerichtshof Straßburg (ALfA). Nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) sind die Protestaktionen des Lebensrechtlers Klaus Günter Annen vor Frauenarztpraxen und im Internet von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Deutsche sei in seinen Grundrechten verletzt worden, als deutsche Gerichte seine Flugblatt-Proteste verboten, entschieden die Straßburger Richter Ende November. Der EGMR sprach Annen wegen Verletzung der Meinungsfreiheit eine Entschädigungszahlung von rund 13.700 Euro zu. Annen kämpft seit Jahren bundesweit vor Arztpraxen und im Internet gegen Mediziner, die Abtreibungen vornehmen. Er rückt die massenhaften vorgeburtlichen Kindstötungen in die Nähe der Morde der Nationalsozialisten und spricht analog zum Holocaust vom »Babycaust«. Bei dem vor dem EGMR verhandelten Fall ging es um Annens Proteste in Ulm, die letztlich zur Schließung einer Tagesklinik führten. Vor der Arztpraxis hatte Annen Flugblätter verteilt, die Abtreibungen als »rechtswidrig« bezeichneten und darauf verwiesen, dass vorgeburtliche Kindstötungen in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei blieben. Auf der Rückseite des Flugblatts schrieb er: »Die Ermordung der Menschen in Auschwitz war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene NS-Staat hatte den Mord an den unschuldigen Menschen erlaubt und nicht unter Strafe gestellt.« Auf seiner Internetseite »Babycaust« stellte Annen zudem eine bundesweite Liste von »Abtreibungsärzten« ein. Das Landgericht Ulm und das Oberlandesgericht Stuttgart hatten ihm sowohl die Flugblattaktionen direkt vor der Tagesklinik als auch die Nennung der Namen der Mediziner und der Adressen ihrer Praxis in seiner Internetliste untersagt. Das Bundesverfassungsgericht hatte Annens Klage gegen die beiden Urteile nicht zur Entscheidung angenommen. Der EGMR entschied nun, die deutschen Gerichte hätten Annens Recht auf Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der Mediziner nicht angemessen gegeneinander abgewogen. Annen habe die deutsche Abtreibungsgesetzgebung auf seinem Flugblatt korrekt dargestellt. Auch kritisierte der EGMR die Einschätzung der Gerichte, wonach Annen die Persönlichkeitsrechte der Gynäkologen verletzt habe, indem er ihre medizinische Tätigkeit indirekt mit den nationalsozialistischen Massenmorden verglich. Annens Flugblatt könne vielmehr als Appell verstanden werden, sich bewusst zu machen, dass Moral und Recht nicht gleichzusetzen seien, so die Richter. Die Flugblattaktion sei als Beitrag zu einer für die Öffentlichkeit wichtigen, kontroversen Debatte zu werten. Schließlich hätten die deutschen Gerichte Annens Internetseite nicht detailliert analysiert. So sei nicht geprüft worden, ob die von Annen aufgeführten Ärzte nicht selbst auf ihren Internetseiten Abtreibungen anböten. Das Urteil erging mit fünf gegen zwei Stimmen. Die zwei Richter lehnten Kampagnen-Seite www.babycaust.de in einem Minderheitenvotum die Mehrheitsentscheidung der Kammer ab: Es gebe kein öffentliches Interesse daran, dass Annen die Mediziner derart hart kritisiere und an den öffentlichen Pranger stelle. Durch Verweise auf die NS-Zeit, Holocaust und Auschwitz habe Annen die Ärzte in unzulässiger Weise »dämonisiert«. Bei seiner Klage »Annen gegen Deutschland« war der Deutsche vor dem EGMR von der »Aktion Lebensrecht für Alle« (ALfA) und der »ADF International« als sogenannter »dritter intervenierender Partei« unterstützt worden. ADF International setzt sich weltweit für die Verteidigung der Religionsfreiheit, des Rechts auf Leben sowie von Ehe und Familie ein. »Klaus Annens Fall ist ein Sieg für Aktivisten und Anwälte der Meinungsfreiheit auf dem gesamten europäischen Kontinent. In einer freien Gesellschaft müssen Menschen nicht zum Schweigen gebracht werden, nur weil anderen nicht gefällt, was sie zu sagen haben«, kommentierte der Jurist Paul Coleman, Rechtsexperte von ADF International, das Urteil gegenüber der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«. reh ALfA reicht Klage gegen Lucke-Partei ein Augsburg/Köln (ALfA). Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. hat beim Landgericht Augsburg Klage gegen die von Bernd Lucke gegründete Partei »Allianz für Fortschritt und Aufbruch« (ALFA) eingereicht. Die ALfA wirft der Partei vor, durch den widerrechtlichen Gebrauch der Kurzbezeichnung ALFA ihre Rechte zu verletzen und gegen das Namensrecht zu verstoßen. Ein rascher erster Versuch im Eilverfahren scheiterte an der Auffassung der Augsburger Gerichte, es könnte eine »Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung« drohen. »Die noch unverbindlichen Äußerungen der Augsburger Richter zu den Sach- und Rechtsfragen stimmen uns aber für die Hauptsacheklage zuversichtlich. Als überparteiliche und überkonfessionelle Lebensrechtsorganisation legen wir Wert darauf, nicht mit der von Herrn Professor Lucke gegründeten Partei und den von ihr vertretenen Ansichten und Positionen in Verbindung gebracht zu werden«, erklärte dazu die Bundesvorsitzende der ALfA, Dr. med. Claudia Kaminski, in Köln. »Als eine der größten Lebensrechtsorganisationen in Europa beteiligt sich die ALfA seit Jahrzehnten wie selbstverständlich auf vielfältige Weise am politischen Meinungsbildungsprozess. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn mit der von Professor Lucke gegründeten Partei nun noch jemand im selben Stadion spielt. Aber im Interesse unserer Mitglieder sowie für die Bürger und die Medien in unserem Land wollen wir unterscheidbar bleiben. Das halte ich durch die unglückliche Namenswahl der kürzlich gegründeten Partei nicht mehr für gegeben. Die ALfA hat deshalb die renommierte Münchner Kanzlei Romatka & Collegen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt«, so Kaminski weiter. reh +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++ LebensForum 116 19 BIOETHIK-SP L I T T E R +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++ Urteil: Fünf Jahre Haft für Reproduktionsmediziner Hof (ALfA). Wegen mehrerer Straftaten hat das Landgericht Hof einen Reproduktionsmediziner aus Oberfranken zu insgesamt fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Richter betrachteten es als erwiesen, dass der 57-jährige Arzt für Frauen, die unbedingt ein Kind wollten, die Eizellen fremder Frauen befruchtet und ihnen eingesetzt hat. Die Eizellspende ist in Deutschland verboten. Der Arzt habe sich über das Verbot hinweggesetzt, um sich eine weitere Einnahmequelle zu sichern, sagte der Vorsitzende Richter. Zudem habe der Mediziner mehr als eine Million Euro Steuern hinterzogen. Auch bei den Abrechnungen für die Kassenärztliche Vereinigung soll er betrogen haben. reh Mutter von in Krippe ausgesetztem Baby gefunden New York (ALfA). Die Polizei von New York hat die Identität der jungen Mutter festgestellt, die Ende November ihr neugeborenes Baby in der Weihnachtskrippe einer Kirche des New Yorker Stadtteils Queens ausgesetzt hatte. US-Medien zitieren einen Behördensprecher mit den einer Person übergeben oder wenigstens jemanden auf das Kind aufmerksam machen müssen. reh Haftpflicht für Hebammen steigt erneut Berlin (ALfA). Die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen steigt erneut. Wie der Deutsche Hebammenverband (DHV) Ende November in Berlin mitteilte, steigt die Haftpflicht ab dem kommenden Juli um 9 Prozent auf jährlich 6.843 Euro und im Juli 2017 erneut um über elf Prozent auf dann 7.639 Euro. Dieser Haftpflichtschutz für weitere zwei Jahre werde von einem Konsortium aus mehreren Versicherern abgedeckt. Abhilfe solle ein sogenannter Sicherstellungszuschlag schaffen, hieß es. Dieser könne jedoch nicht alle betroffenen Hebammen ausreichend entlasten. Erst kürzlich habe eine Schiedsstelle über dessen Ausgestal- Ein vom Aussterben bedrohter Beruf Mutter, verzweifelt gesucht Worten: »Sie ist wohl davon ausgegangen, dass das Kind in der Kirche sicher gefunden würde.« Die Behörden wollen nun das Gespräch mit der Frau suchen und herausfinden, ob es ihr gut gehe. Eine Strafe drohe ihr nicht. In New York können Eltern wie in vielen anderen USBundesstaaten auch neugeborene Kinder ohne Angst vor Strafverfolgung an sogenannten »safe havens« (dt.: sichere Orte) abgeben. Dazu gehören neben Krankenhäusern und Feuerwehrwachen auch Kirchen. Allerdings schreibt das Gesetz vor, dass die Eltern den Säugling direkt tung entschieden. Gegen diesen Schiedsbeschluss bereite der Verband eine Klage vor. Damit sei klar, dass die bisher verabschiedeten politischen Maßnahmen nicht ausreichend griffen, so der Verband weiter. Auch von dem im Juni beschlossenen Regressverzicht der Kranken- und Pflegekassen erwartet der DHV keine Auswirkungen auf den Versicherungsmarkt. Einen alternativen Versicherer zum Konsortium gebe es nicht. Der DHV fordert deshalb eine langfristige Regelung. Eine mögliche Lösung sei ein Haftungsfonds, der bei Schäden einspringt, die über eine Haftungsobergrenze hinausgingen. In den vergangenen Jahren sind immer mehr freiberufliche Hebammen aufgrund der hohen Haftpflichtprämien aus dem Beruf und insbesondere aus der Geburtshilfe ausgestiegen. Eine ausreichende Versorgung mit Hebammenhilfe sei deshalb in vielen Regionen in Deutschland nicht mehr gegeben, so die Kritik. Hebammen und gesetzliche Krankenkassen hatten sich im vergangenen Jahr auf eine entsprechende Regelung zu den umstrittenen Haftpflichtprämien geeinigt. Zunächst hatte der Verband das Angebot der Krankenkassen aber abgelehnt und damit ein Schiedsstellenverfahren gefordert. Später betonte der Verband jedoch, dass ein schneller Ausgleich durch die Krankenkassen jedoch notwendig sei, um nicht weitere Hebammen aus dem Beruf zu drängen. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte sich in den Streit um die Versicherungsbeiträge eingeschaltet. san Kommission lobt Transplantationsmedizin Berlin (ALfA). Eine medizinische Prüfkommission hat der Transplantationsmedizin in Deutschland verbesserte Transparenz bescheinigt. In dem Ende November in Berlin vorgestellten Bericht der Prüfungskommission und der Überwachungskommission, die in gemeinsamer Trägerschaft von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband arbeiten, wurden jedoch insgesamt 88 Manipulationen bei Herz-Spenden und 47 bei Lungentransplantationen dokumentiert. Überprüft wurden alle 46 Transplantationszentren beziehungsweise 126 Transplantationsprogramme für die Jahre 2010 bis 2012. Zuvor hatte ein Prüfbericht Unregelmäßigkeiten aus den Jahren 2010 und 2011 an vier Zentren für Lebertransplantationen festgestellt. »In vielen Transplantationszentren ist ein Struktur- und Kulturwandel erkennbar«, sagte die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret Rinder, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2014/2015. Bündnis90/Die Grünen und die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderten demgegenüber eine stärkere staatliche Aufsicht. »Es ging offenkundig drunter und drüber bei der Organspende«, kommentierte Patientenschützer Eugen Brysch die Zahlen. »Das kann nicht toleriert werden in einem System, in dem es um Leben oder Tod geht.« Systematische Manipulationen und Richtlinienverstöße gab es laut Bericht insbesondere bei Herztransplantationen an Kliniken in Berlin, München, Heidelberg, Jena und Köln. san +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter +++ Bioethik-Splitter ++ 20 LebensForum 116 GESELLSCHAFT Gegen den Strom schwimmen Bereits zum siebten Mal bildeten sich junge Erwachsene auf der »Akademie Bioethik« in Fragen des Lebensschutzes weiter und diskutierten mit Politikern, Ärzten und Medienfachleuten. Dabei lag der lebensrechtsspezifische Fokus diesmal ganz auf der Beihilfe zum Suizid, über die der Deutsche Bundestag kurz darauf abschließend befinden sollte. Von Lioba Müller P ro Choice«, »Pro Life« – was verbirgt sich hinter diesen Standpunkten? Was bedeutet Lebensschutz in einer Welt des Perfektionismus und der Selbstbestimmung? Lebensschutz und Medien – geht das überhaupt? Diese und andere Fragen stellten sich sechs Experten aus Politik, Medizin und Medien bei der siebten »Akademie Bioethik« in Aachen. Den Auftakt zur diesjährigen »Akademie Bioethik«, die unter dem Motto »Warum sich Lebensschutz lohnt« stand, bildete ein Vortrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Patrick Sensburg. Im gut gefüllten Saal der katholischen Studentenverbindung K. D. St. V. Kaiserpfalz zu Aachen referierte Sensburg vor etwa 90 Zuhörern zum Thema »Politiker im Spannungsfeld zwischen Lebensschutz und aktuellen Fragestellungen«. Organisiert wurde die »Akademie Bioethik« von den »Jungen Christdemokraten für das Leben«, der »Konrad-Adenauer-Stiftung« und der »Jugend für das Leben«. Für die Auftaktveranstaltung zeichneten auch der Aachener RCDS und die JU Aachen mitverantwortlich. Die stand ganz im Fokus der inzwischen abgeschlossenen Bundestagsdebatte über Sterbehilfe. Bis zu der mittlerweile ergangenen Entscheidung des Parlaments war die Beihilfe zum Suizid, der selbst straflos ist, in Deutschland völlig straffrei gestellt. Drei von vier Gesetzentwürfen, über die der Bundestag am 6. November in Zweiter und Dritter Lesung entschied, wollten dies in sehr unterschiedlichem Umfang ändern. Der weitreichendste war der, den Sensburg gemeinsam mit anderen Abgeordneten selbst erarbeitet hatte. Dieser sah vor, Anstiftung und Beihilfe zum Suizid umfassend zu verbieten, wohl wissend, dass in sehr extremen Einzelfällen Gerichte auch von Strafe absehen könnten. Dadurch wäre es zwar zu einem erhöhten Risiko für Ärzte und NahestehenLebensForum 116 de gekommen, sich auf der Anklagebank wiederzufinden. Sensburgs Ansicht nach sei dies jedoch in Relation zum bedrohten Rechtsgut des Lebens gerechtfertigt. In seinem Vortrag nahm Sensburg auch Stellung zu den Entwürfen, die mit seinem eigenen konkurrierten. Der Gesetzentwurf der Gruppe um den CDUAbgeordneten Michael Brand habe im Vorfeld breite Zustimmung der Öffentlichkeit erhalten. Er verbiete die Beihilfe zum Suizid Sterbehilfevereinen und geschäftsmäßig agierenden Sterbehelfern. Im Einzelfall erlaube er jedoch weiterhin die Suizidhilfe durch Angehörige, Nahestehende, Ärzte und Pflegende. Voraussetzung für eine solche Suizidassistenz seien große Schmerzen des Patienten. Da aber das Schmerzempfinden subjektiv sei, sei für Außenstehende schwer zu beurteilen, wann sie sich strafbar machten und wann nicht. Das sei ein Nachteil des Gesetzentwurfs. An dem Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) bemängelte Sensburg die geringe Reichweite des Verbotes. Die gewerbsmäßige, auf kommerziellen Gewinn zielende Sterbehilfe, die der Entwurf lediglich verbieten wollte, sei in Deutschland nicht weit verbreitet. Wenig Verständnis zeigte Sensburg für den Entwurf der Gruppe um den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Hintze. Dessen Verfechter redeten zwar viel von Schmerz und Leid in der letzten Lebensphase, für die Gewährung der Suizidhilfe werde dies im Gesetzentwurf aber gar nicht vorausgesetzt. Hilfe zur Selbsttötung zur Beendigung von Leid könne er nicht unterstützen, stellte Sensburg klar. Menschen würden dabei vor falsche Alternativen gestellt. Wenn ein Mensch sage, »Ich will so nicht mehr leben«, meine er eigentlich: »Ich will so nicht mehr leben.« Laut Sensburg sollte die Gesellschaft diesen Menschen hoffnungsspendende Wege aufzeigen. Hotlines sollten ohne Warteschleife funktionieren und Hospize und Palliativmedizin besser unterstützt werden. »Begleitung, Therapie und Aufopferung« seien »Alternativen zu dem Mittel«, mit dem sich der Suizidwillige umbringe, befand Sensburg. Auf der dreitägigen »Akademie Bioethik« hielt auch Professor Dr. med. Christoph von Ritter einen Vortrag. Mit klaren Worten führte der Berater des Päpstlichen Gesundheitsrates die 20 Teilnehmer in die Grundlagen und aktuelle Fragestellungen der Bioethik ein. Gleich am Anfang stellte er sich der Frage, warum er sich für den Lebensschutz einsetze: »Zum Schutz der Schwachen lohnt es sich immer, gegen den Strom zu schwimmen.« Als Chefarzt der Medizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Prien am Chiemsee sei es für ihn besonders wichtig, sich Zeit für die Schwachen, für seine Patienten, zu nehmen. Das Problem sei, dass die Mediziner in ein Zeitraster verfielen und versuchten, alles möglichst effizient zu gestalten. Doch hätten es die Ärzte selbst in der Hand, wie sie mit ihrer Zeit umgingen. »Es ist unsere Aufgabe, dass wir unsere Zeit patientenorientiert einsetzen«, betonte von Ritter. Zudem habe die Medizin heute genügend Mittel gegen Schmerzen: »Palliativmedizin nimmt Verzweiflung, nicht das Leben.« Im Hinblick auf die Debatte um den § 217 StGB forderte von Ritter auch einen Schutz der Ärzte. Dieser sei nur bei dem Gesetzentwurf von Sensburg in vollem Umfang garantiert. Im weiteren Verlauf des Vortrags gab von Ritter einen Überblick über die unterschiedlichen Strömungen in der Bioethik, den Utilitarismus und die Deontologie. Utilitarismus bezeichnet die Beurteilung einer Handlung nach ihrem Ziel, wobei letztlich der Zweck die Mittel heiligt. Kritikwürdig sei hieran vor allem, dass für das Wohl der Allgemeinheit ohne Relation und in unverhältnismäßiger 21 GESELLSCHA F T de auch die gesamtgesellschaftliche Relevanz bioethischer Themen weiter zunehmen, prognostizierte Hüppe. Dies konnte auch Stefan Rehder, Ressortleiter Politik der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«, bestätigen. Der Journalist gab den Teilnehmern der »Akademie Bioethik« einen Überblick über die Entwicklung von »Lebensrechts-Themen« in den Medien. Bis zum Ende der 90er Jahre sei Abtreibung das einzige Thema gewesen, das in der medialen Öffentlichkeit präsent gewesen sei. Eine Pro-Life-Position zu vertreten, sei damals nur in einer Handvoll Medien möglich gewesen. Inzwischen habe sich sowohl Themenvielfalt als auch Meinungsvielfalt erheblich gewandelt. Heute reiche die biopolitische Agenda von der Abtreibung über die künstliche Befruchtung, Genetische DiagnosWWW.JUGENDHERBERGE.DE Weise in die Rechte des Einzelnen eingegriffen werden könne. Anderes gelte für die deontologische Sichtweise, welche die Gutheit einer Handlung an sich beurteile, die Konsequenzen, die sich daraus ergäben, seien nicht das Entscheidende. Einen Einblick ermöglichte von Ritter auch in die Thematik der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der Abtreibung. Als Mediziner gehe er bereits ab der Gametenfusion, der Verschmelzung von Samen und Eizelle, von einem Individuum aus. Zur Begründung referierte er die sogenannten SKIP-Argumente (Spezies-, Kontinuitäts-, Identitäts-, Individualitäts- und Potenzialitätskriterium). Die Thematik der Abtreibung griff Prof. Dr. Holm Schneider in seinem Vortrag »Genetisch nicht perfekte Kinder – eine Zumutung?« auf. Mit zahlreichen persönlich erlebten Gegenbeispie- Beherbergte die Teilnehmer der diesjährigen »Bioethik Akademie« len stellte er das Menschsein dieser Personen in den Mittelpunkt. Wie durch ein Wunder schien es für manche Zuhörer, dass für Kinder mit schwersten genetischen Erbkrankheiten ein erfülltes Leben möglich ist, eine Diagnose über wenige Stunden außerhalb des Mutterleibes muss demnach nicht zwangsweise eintreten. Vergessen darf man auch nicht, dass jeder Mensch, der eine früher, der andere später, mit seiner eigenen »Behinderung« oder »Schwäche« zu kämpfen hat. Dass es sich lohnt, gerade für die Schwachen zu kämpfen, brachte auch Hubert Hüppe den Akademieteilnehmern näher. Dem CDU-Gesundheitspolitiker und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen liegt das (politische) Engagement junger Menschen für den Lebensschutz besonders am Herzen. Mit großer Sorge betrachtet er die Debatte um Suizid- und Sterbehilfe. Weil die Gesellschaft immer älter werde, wer22 tik und Organtransplantation bis zur Stammzellforschung und der Sterbehilfe. Zu ihnen hätten sich »Unter«- und »Einzelthemen« wie Babyklappe, Eizellspende, Enhancement, Fetozid, Genome Editing, Hirntod, In-vitro-Fertilisation, Intraczytoplasmatische Spermieninjektion, Keimbahntherapie, Leihmutterschaft, Lebendspende, Pränatale Diagnostik, Präimplantationsdiagnostik, Patente auf Leben, Rettungsgeschwister, Somatische Gentherapie, Therapeutisches Klonen und Xenotransplantation dazugesellt. »Inzwischen scheint es, als würden selbst die Buchstaben des Alphabets nicht mehr ausreichen, um all die Fragen zu bezeichnen, mit denen Lebensrechtler sich heute auseinandersetzen müssen und zu denen sie eine Position besitzen sollten«, so Rehder. Er selbst sei froh und dankbar, dass er mit diesen Themen noch habe mitwachsen können. Inzwischen sei es nahezu unmöglich geworden, sich alle diese The- men gleichzeitig zu erarbeiten. Wer sich als Neuling journalistisch mit ihnen auseinandersetzen wolle, dem riet Rehder, sich zunächst ein Thema vorzuknöpfen, bei dem die eigene Motivation am stärksten sei, und dieses zumindest so lange zu vertiefen, bis man die wichtigsten Forscher mit Namen und ihre wichtigsten Arbeiten kenne. Insgesamt sei das von großer Distanz geprägte Verhältnis von Medien und Lebensschutz aber einfacher geworden. Heute würden Journalisten auch die Handynummern von Lebensrechtlern in ihren Handys speichern und selbst um Statements nachsuchen. Das sei lange undenkbar gewesen. Der Journalist versorgte die Teilnehmer der Akademie Bioethik auch mit praktischen Ratschlägen, um künftig noch bessere mediale Erfolg zu erzielen. So sollten Lebensrechtsorganisationen versuchen, ihre Reaktionszeiten zu verkürzen. Pressemitteilungen kämen oft zu spät und seien oftmals zu lang. »Aussicht darauf, in einem Bericht mit einem Statement mitzulaufen, hat heute nur der, der vorgearbeitet hat«, merkte Rehder an. Wichtig sei auch, »sich unangreifbar zu machen«, um Journalisten keinen Vorwand zu bieten, aus dem »Konzert der Meinungen« ausgesondert zu werden. Zitate der Gegner dürften weder sinnentstellend verwandt noch selektiv ausgewählt werden. Auch der richtige Gebrauch von Fachvokabular sei wichtig. Wer etwa nicht zwischen »Tötung auf Verlangen« und »Beihilfe zum Suizid« unterscheide, werde von Journalisten nicht ernst genommen. Rehder warnte auch vor Illusionen. Das Verhältnis von Medien und Lebensschutz werde ein schwieriges bleiben. Wahr sei auch, dass die meisten Medien Lebensrechtlern gegenüber überaus kritisch eingestellt seien und diese oft ungerecht behandelten. Das gelte ganz besonders beim Thema Abtreibung. Dennoch könnten auch Lebensrechtler selbst eine Menge dazu beitragen, das Verhältnis zu den Medien zu verbessern, befand Rehder, der großen Respekt vor der Arbeit der vielen ehrenamtlich Tätigen in den Lebensschutzorganisationen bekundete und hervorhob, dass diese in der Vergangenheit auch schon Vieles erreicht hätten. Durch diese konstruktive Kritik angespornt, begannen die Akademieteilnehmer mit dem Kommunikationsexperten Andreas Söntgerath ein Konzept zur Darstellung in den Medien zu entwickeln. Gestärkt durch die exzellenten Vorträge freuen sich die Akademieteilnehmer schon auf Diskussionen im öffentlichen und privaten Leben. LebensForum 116 MEDIZIN Die Waffenkammer der Bio-Hacker Die gefährlichste Technologie seit der Entwicklung der Atombombe kommt eher schlicht gewandet daher. »Genome Editing« nennt sich das Verfahren, das mittels der CRISPR-Cas9-Technologie Eingriffe in die menschliche Keimbahn erlaubt, die schneller, einfacher und präziser zu bewerkstelligen sind als jemals zuvor. Die neue Technologie ist so furchterregend, dass sogar die Wissenschaftler jetzt selbst über ein Moratorium diskutieren. Von Stefan Rehder E s ist der Traum der Biologen, die DNA-Sequenz, den Programmiercode des Lebens zu besitzen und ihn bearbeiten zu können, wie ein Dokument in einem Textverarbeitungsprogramm«, bekannte zu Beginn des 21. Jahrhunderts der US-Stammzellforscher, Gründer und CEO mehrerer BioTech-Schmieden, Michael David West, der selbst mittlerweile mehr als 140 Patente hält oder zumindest an ihLebensForum 116 nen beteiligt ist. Heute, kaum mehr als eine Dekade später, ist »der Traum der Biologen« längst in greifbare Nähe gerückt. So nahe, dass unter den Forschern selbst ein Streit darüber entbrannt ist, ob sie seiner Verwirklichung eher eilig oder eher behutsam nachjagen sollten. In Washington trafen Anfang Dezember 800 Genforscher aus aller Welt zusammen, um darüber zu diskutieren, ob Wissenschaft und Gesellschaft für eine der folgenreichsten Entdeckungen seit der Erfindung der Atombombe reif seien. Zur Debatte steht, ob sich die Forscher selbst verpflichten werden, das auch als »Genome Editing« bekannte Verfahren für eine zeitlich befristete Dauer zumindest beim Menschen nicht anzuwenden. Im Gespräch ist ein Moratorium, das fünf Jahre dauern könnte. Nicht davon betroffen sein sollen allerdings dem Vernehmen nach die Behandlungen von 23 MEDIZIN »Apell: ›Greift nicht in die menschliche Keimbahn ein!‹« ken werde, bereit vielen Sorge. Die Ergebnisse der Umfrage sollen auf einer Konferenz in London vorgestellt werden, die sich ebenfalls mit dem »Genome Editing« und der unter dem Namen CRISPR-Cas9 firmierenden Technologie befassen wird. Mit dieser Technologie ist es Wissenschaftlern seit ein paar Jahren prinzipiell möglich, den genetischen Code eines jeden Lebewesens – und damit auch des Menschen – gezielt zu verändern. Und zwar wie mit einem Textverarbeitungsprogramm, Buchstabe für Buchstabe. Während im März dieses Jahres erstmals fünf US-Wissenschaftler im Wissenschaftsmagazin »Nature« unter der Überschrift »Don‘t edit the human germ line« ein Moratorium für derartige Eingriffe in die menschliche Keimbahn forderten, treiben andere solche Projekte massiv voran. Mitte September stell24 dauer von maximal 14 Tagen. So schreiben es die in Großbritannien geltenden Regeln vor. Die Chance, dass die durch Eingriffe der Forscher um Niakan genetisch veränderten Embryonen ihre neu gewonnenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen vererben, besteht – auch wenn die HFEA Niakan grünes Licht erteilte – daher nur theoretisch. BIANCA FIORETTI, HALLBAUER & FIORETTI te die Stammzellforscherin Kathy Niakan vom Francis-Crick-Institute in London bei der britischen Aufsichtsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) einen Antrag, der an ethischer Brisanz schwer zu überbieten ist. Denn Niakan will von der HFEA die Genehmigung erhalten, das Erbgut menschlicher Embryonen zu verändern, HTTPS://NSF.GOV Krebspatienten, denen anders nicht geholfen werden kann. Wissenschaftler auf der ganzen Welt schauen jetzt gespannt nach Washington, wo die Wissenschaftsakademien aus den USA, Großbritannien und China offiziell vertreten sein werden. Ein Moratorium wäre, unabhängig davon, ob es am Ende auch eingehalten würde, ein bislang einmaliges Signal. In vielen Wissenschaftsblogs ist die Konferenz in Washington und das »Genome Editing« in diesen Tagen denn auch das beherrschende Thema. Anders als bei früheren bioethisch hochsensiblen Fragestellungen scheint das Problembewusstsein diesmal weit verbreitet zu sein, wie etwa der Zwischenbericht einer noch nicht abgeschlossenen Online-Umfrage zeigt. Unter der Überschrift »Was Washington wissen muss« referieren dort Silvia Camporesi und Lara Marks erste Ergebnisse. Danach assoziieren viele Teilnehmer das »Genome Editing« beim Menschen nicht nur mit Begriffen wie »Rassenhygiene«, »Designer-Babys« und »Macht«, sondern stellen die Technologie auch grundsätzlich in Frage. Dass niemand wissen könne, welche Auswirkungen die Freisetzung genetisch veränderter Insekten und Pflanzen auf das Biosystem und die Biosphäre hätten, besorgt viele noch viel mehr. Auch dass diese Technologie die Ungleichheit auf der Welt verstär- Jennifer Doudna Emmanuelle Charpentier die ursprünglich zum Zwecke künstlicher Befruchtung erzeugt wurden, von ihren Auftraggebern aber zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht mehr benötigt werden und der Forschung zur Verfügung gestellt wurden. Durch gezielte Manipulation, bei der einzelne Abschnitte des Genoms der Embryonen herausgeschnitten und andere eingefügt werden sollen, will Niakan herausfinden, welche Gene die Zellund Organentwicklung früher Embryonen regulieren. Die Klärung dieser Vorgänge sei nicht nur von grundlegender biologischer Bedeutung. Auch könne das bei den Experimenten gewonnene Wissen unter Umständen helfen, Methoden der künstlichen Befruchtung zu verbessern und Unfruchtbarkeit erfolgreicher zu behandeln, heißt es in Niakans Antrag. »Wichtig« sei außerdem, versichert die Forscherin, dass »alle gespendeten Embryonen im Einklang mit den Vorschriften der HFEA, nur zu Forschungszwecken verwendet werden«. Mit anderen Worten: Jeder der ursprünglich zu einem Zweck künstlich erzeugten Embryonen, der Niakans Experimente überlebt, wird die Petrischale nicht verlassen. »Forschungsembryonen« haben eine gesetzlich streng limitierte Lebens- Bereits im April dieses Jahres hatten chinesische Forscher die CRISPR-Cas9Technologie erstmals an nicht überlebensfähigen menschlichen Embryonen getestet. Dabei wurde vielen sehr deutlich gemacht, welche Gefahren die neue Technologie birgt. Denn nur vier der 86 mit der CRISPR-Cas9-Technologie »behandelten« Embryonen wiesen anschließend ein Gen auf, das wie gewünscht modifiziert wurde. Stattdessen fanden die Wissenschaftler heraus, dass sie mit der Technologie – unbeabsichtigt – auch ganz andere Stellen im Erbgut der menschlichen Embryonen verändert hatten als die gewünschten. »Ähnliche Genscheren werden schon seit 40 Jahren genutzt.« Dass das Hacken des genetischen Codes, für das Wissenschaftler den viel würdevoller klingenden Begriff des »Genome Editing« ersonnen haben, auch beim Menschen nicht mehr nur ein sehr gefährlicher Wunsch, sondern inzwischen ein völlig realistisches Szenario ist, verLebensForum 116 Fachzeitschrift »Science« gemeinsam eine Arbeit, die es Forschern heute überall auf der Welt ermöglicht, die DNA eines jeden Lebewesens – und damit prinzipiell auch die von Menschen – gezielt zu verändern. Denn die unter dem Namen »Der leichte Zugang und die einfache Handhabe von CRISPR gibt Forschern die Möglichkeit, überall auf der Welt jeden Versuch zu machen, den sie wollen«, warnt denn auch Edward Lanphier, CEO der Biotech-Firma Sangmo BioSciences DANIEL RENNEN dankt die »scientific community«, wie sich die Gilde der Wissenschaftler voller Stolz gerne selber nennt, vor allem zwei Frauen: Jennifer Doudna von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Emmanuelle Charpentier, die seit Oktober die Abteilung »Regulation in der Infektionsbiologie« des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin leitet. Die US-Amerikanerin und die Französin, die unter Experten als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelt werden, zumindest in diesem Jahr aber leer ausgingen, leiteten beide Arbeitsgruppen, »Methode ermöglichte gezielte Veränderungen des Erbguts.« die auf der Suche nach mächtigen molekularbiologischen Werkzeugen der Frage nachgingen, wie sich Bakterien gegen Viren verteidigen. Wie heute längst jeder Gymnasiast im Biologieunterricht lernt, gibt es Viren, sogenannte Bakteriophagen, die mangels eines eigenen Stoffwechsels einen Wirt benötigen, um sich zu vermehren. Dazu »kapern« sie ein Bakterium, schleusen ihre DNA in die Wirtszelle ein und »zwingen« diese, statt der Bakterien-DNA die Phagen-DNA zu replizieren. Doudna und Charpentier fanden nicht nur heraus, dass Bakterien, die einen solchen »Hackerangriff« von Bakteriophagen überlebten, kurze Fragmente der Phagen-DNA in ihre eigene einbauten, sondern auch, wo. Der Einbau erfolgt jeweils zwischen sogenannten CRISPR-Sequenzen, die japanische Forscher bereits Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckt hatten. Auf diese Weise legen sich die Bakterien ein ganzes »Archiv« von Viren-DNA an, das ihnen im Falle einer neuerlichen Attacke hilft, einmal besiegte Angreifer wiederzuerkennen und ein Protein herzustellen, das die Phagen-DNA aus der eigenen herausschneidet und deren Reparatur ermöglicht. Zwar nutzen Molekularbiologen ähnliche »Genscheren«, mit denen sich der genetische Code von Lebewesen gezielt verändern lässt, bereits seit rund 40 Jahren, doch stellt die von Doudna und Charpentier entschlüsselte und modifizierte Technologie alle bislang verwandten Werkzeuge in den Schatten. Nachdem sie 2011 damit begonnen hatten, zusammenzuarbeiten, veröffentlichten sie im August 2012 in der renommierten LebensForum 116 »Genome Editing« stellt alles in den Schatten, was Molekularbiologen bislang ersonnen CRISPR-Cas9 firmierenden Genscheren sind so programmierbar, dass sie nahezu jeden beliebigen Ort der DNA-Sequenz eines Genoms ansteuern und dort einen Schnitt setzen können. Schadhaft mutierte oder auch nur unliebsame Gene können mittels dieser Technologie herausgeschnitten und durch gesunde oder auch nur für besser befundene ersetzt werden. Bei Pflanzen und Tieren geschieht das im Labor heute täglich, und das weltweit. Auch Niakan will ihre Experimente mit CRISPR-Cas9-Systemen durchführen. Was das von Doudna und Charpentier in der Natur aufgefundene und fortentwickelte Werkzeug aber so potent und zugleich gefährlicher macht als alle bisherigen Genscheren, ist etwas ganz anderes: Sie sind nicht nur preiswert zu haben – im Internet werden CRISPR-Cas9Systeme für 55 US-Dollar zzgl. Versandkosten offeriert –, sondern auch so einfach zu handhaben, dass jeder ordentlich ausgebildete Laborant mit ihnen arbeiten könnte. und einer der fünf US-Wissenschaftler, die die »scientific community« für ein Moratorium zu gewinnen suchen. Auch in Deutschland mahnen Wissenschaftsorganisationen längst zu Vorsicht und Bedacht. Das ist durchaus be- »CRISPR/Cas9: Leichter Zugang und einfache Handhabe.« merkenswert. Bedenkt man, dass es den Wissenschaftsfunktionären in Deutschland beinah schon traditionell gar nicht schnell genug gehen kann, Forschern in Deutschland den Weg auf internationales Parkett zu ebnen, müssen die neuen Töne aufhorchen lassen. »Die DFG und die Akademien sprechen sich im Hinblick auf sämtliche Formen der künstlichen Keimbahnintervention beim Menschen, bei der Veränderungen des Genoms an Nachkom25 MEDIZIN freundlichkeit damals an puren Opportunismus grenzte, nicht zu Maschinenstürmern mutieren. »Das Moratorium«, heißt es in der Stellungnahme weiter, »sollte aber nicht dazu beitragen, die methodische Fortentwicklung und damit die aussichtsreichen neuen Einsatzmöglichkeiten des genome editings für die Forschung und Anwendung generell einzuschränken«. Vielmehr besäßen diese darunter subsumierten Technologien »ein hohes wissenschaftliches Potenzial«, das »in vielen Bereichen ethisch und rechtDPA men weitergegeben werden können, für ein internationales Moratorium aus, um offene Fragen transparent und kritisch zu diskutieren, den Nutzen und potenzielle Risiken der Methoden beurteilen zu können und Empfehlungen für zukünftige Regelungen zu erarbeiten«, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Bei der Debatte um die embryonale Stammzellforschung klang das noch ganz Lukas Kenner Edward Lanphier anders. Damals hielten Wissenschaftsfunktionäre ethisch argumentierenden Politikern und Bürgern vor, Deutschland sei »keine Insel«. Heimische Wissenschaftler dürften international nicht ins Abseits gestellt werden. Sogar von einer »Doppelmoral« war die Rede. Da Deutschland sich nicht Therapien oder Medikamenten verschließen werde, die ausländische Forscher im Zuge embryonaler Stammzellforschung entwickelten, sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass deutsche Wissenschaftler bei der Vergabe der damals sprudelnden Forschungsgelder mit ausländischen Forschern kon- lich unbedenklich ist«. Und weiter: »Die Methoden des genome editing sind nicht automatisch mit vereinzelten potenziell missbräuchlich beziehungsweise ethisch und rechtlich noch zu bewertenden Anwendungen gleichzusetzen.« Das stimmt, hilft aber allenfalls bedingt weiter. »Das Gefahrenpotenzial der CRISPR-Cas9-Technologie kann gar nicht überschätzt werden«, sagt Lukas Kenner im Gespräch mit der überregionalen katholischen Zeitung »Die Tagespost«. Der Universitätsprofessor und Krebsforscher, der am Ludwig BoltzmannInstitut für Krebsforschung in Wien eine Arbeitsgruppe leitet, die selbst seit gut einem Jahr mit der CRISPR-Cas9Technologie arbeitet, ist von der Effizienz der neuartigen Methode begeistert. Die CRISPR-Cas9-Technologie sei eine »wahre Revolution für den Fortschritt in der Medizin«, sagt Kenner. Ergebnisse, für die er und sein Team früher ein Jahr und mehr benötigt hätten, ließen sich mit der CRISPR-Cas9-Technologie heute in zwölf Wochen erzielen. Ein Grund: Mit der CRISPR-Cas9Technologie lassen sich mehrere Ge- »Das Gefahrenpotenzial kann gar nicht überschätzt werden.« kurrieren und sich einen Teil des Kuchens sichern konnten. Auch das »Genome Editing« lässt die deutschen Wissenschaftsorganisationen, deren verständliche Forschungs26 ne gleichzeitig ansteuern. Dies ermögliche Forschern nicht nur die Klärung der Funktionen einzelner Gene, sondern ganzer Kombinationen. Doch damit nicht genug: Nicht nur die »Effizienz«, auch die Aussagekraft der mit CRISPRCas9 erzielten Ergebnisse sei höher als mit herkömmlichen Methoden. Ein wesentlicher Vorteil der »fast brandneuen Technologie« sei, dass man mit ihr »ganze Gene komplett ausschalten« könne, während man mit anderen Technologien deren »Expression« bislang nur »verhindern« oder auch nur »reduzieren« konnte. »Bislang Unmögliches« werde nun »möglich«, schwärmt der Krebsforscher, der Krebserkrankungen mit transgenen, gentechnisch veränderten Mäusen sowie an menschlichen Tumorzelllinien in der Petrischale erforscht. Doch der Katholik weigert sich, die Augen vor den Gefahren zu verschließen, die gegeben seien, »sobald eine solche Technologie in die falschen Hände gerät«. Schon allein aufgrund ihrer globalen Verbreitung stelle die CRISPRCas9-Technologie »eine extreme Herausforderung an die Bioethik« dar, meint Kenner. Dabei sind es zunächst weniger gentechnisch veränderte Menschen, die dem Krebsforscher Sorge bereiten, auch wenn er ein solches Szenario »für die Zukunft keineswegs ausschließen« will, als vielmehr die »Produktion von Biowaffen«. In den Händen von Terroristen stelle die CRISPR-Cas9-Technologie »eine Bedrohung der gesamten Menschheit« dar. Auch kann niemand wirklich abschätzen, welche – womöglich verheerenden – Folgen genetisch veränderte Organismen in Ökosystemen entfalten, sobald sie frei- »Eine extreme Herausforderung für die Bioethik.« gesetzt werden. In Deutschland und im übrigen Europa, wo sich eine wachsende Zahl von Politikern und Bürgern derzeit vor ein paar Millionen Flüchtlingen aus Syrien, Afrika und Einwanderern aus dem Westbalkan fürchtet, scheint man diese immense Bedrohung noch gar nicht registriert zu haben. Immerhin will sich auch der Deutsche Ethikrat im Dezember auf einer Tagung mit dem »Genome Editing« beschäftigen. Man darf gespannt sein. Vorausgesetzt, Bio-Terroristen haben bis dahin noch keinen ordentlich ausgebildeten Laboranten rekrutieren können. LebensForum 116 GESELLSCHAFT Ars Moriendi statt Lizenz zum Töten Lange vor der Entscheidung des Bundestags am 6. November plädierte der Kölner Erzbischof Rainer Kardinal Woelki im Rahmen der 13. Joseph-Höffner-Vorlesung in Bonn für die Wiederentdeckung der christlichen Kunst zu sterben. Ein Petitum von zeitloser Bedeutung. Von Lars Schäfers G ott, sie muss so viel leiden. Nimm sie zu Dir«, betete Joseph Höffner, später Kardinal und Erzbischof von Köln, mit neun Jahren am Sterbebett seiner Mutter. »Helft mir beten, dass auch die letzte Spanne meines Lebens zum Heil werde, denn man stirbt nicht an einem Leiden, sondern dann, wenn nach Gottes Willen ein irdisches Leben zu Ende geht«, so formulierte er seine eigenen Abschiedsworte auf dem Sterbebett. Ja, so möchte man sterben können. Und mit diesem Beispiel aus dem Leben und Sterben Kardinal Höffners leitete der Vorsitzende der JosephHöffner-Gesellschaft, Professor Dr. Lothar Roos, die 13. Joseph-Höffner-Vorlesung ein, welche gemeinsam mit dem Bonner Universitätsclub veranstaltet wurde. Die Vorlesung hält der zweite Nachfolger Höffners, der Erzbischof von Köln, Rainer Kardinal Woelki, der vor vollbesetztem Publikum der Frage nachgeht: »Wie wollen wir sterben?« Der Kardinal betont zunächst, dass auch die Frage »Wie wollen wir leben?« eng mit der Frage nach dem Sterben verknüpft sei. Es gehe um würdevolles Leben. »Ist nur ein Leben in Jugendlichkeit, Schönheit und Sportlichkeit würdig, wie es heutzutage vielfach propagiert wird?« Es gehöre auch zur Würde, schwach sein zu dürfen, so Woelki. Der Erzbischof verweist auf Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen – jedes Menschen – ist unantastbar. Keiner dürfe also zum anderen sagen: »Es ist nicht gut, dass es dich gibt.« Gerade Christen müssen, um der Würde auch derjenigen Menschen willen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, »zeigen, dass wir diesen Menschen mehr lieben, als sich dieser gerade selbst liebt«, so der Erzbischof. Ferner weist er darLebensForum 116 auf hin, dass die Menschenwürde gerade deshalb an erster Stelle unserer Verfassung steht, weil sie während der Zeit des Nationalsozialismus so massenhaft und schwerwiegend missachtet wurde. Kardinal Woelki lässt den Begriff der Euthanasie dabei nicht unerwähnt. Dieser Begriff aus der Antike, der später euphemistisch die Tötung von Menschen rechtfertigen sollte, wurde von den Nationalsozialisten vollends diskreditiert. Viele Propagandisten der aktiven Sterbehilfe wehren sich vehement gegen diesen geschichtlichen Vergleich. Woelki aber sagt deutlich: »Es ist erschreckend zu sehen, wie sehr die Tabuisierung der Sterbehilfe, die nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten jahrzehntelang Konsens war, in den aktuellen Debatten fällt.« Im voll besetzten Saal herrscht Stille. Viele im Publikum nicken schweigend. Woelki verweist auf die Niederlande, wo die Praxis der aktiven Sterbehilfe bereits legalisiert wurde. Sie wird dort emanzipatorisch und mit der Selbstbestimmung des Menschen begründet. Der Erzbischof betont, dass auch für ihn Selbstbestimmung ein ganz wichtiger Wert sei, doch wird er im Kontext der Frage nach dem eigenen Tod und nach aktiver Sterbehilfe überhaupt angemessen verwendet? »Wie frei kann ein Tod in einer Gesellschaft sein, die den Tod derart tabuisiert?«, fragt er weiter. Einerseits sei der Tod in den Medien permanent präsent, andererseits aber werde das persönliche Sterben öffentlich ausgeblendet. Mit Selbstbestimmung habe die Phase des Lebensendes wenig zu tun. Vor allem, wenn ein Suizid in etwa 90 Prozent der Fälle Folge einer schweren psychischen Erkrankung, meist einer Depression, ist. Dabei verweist Woelki auf den Kölner Arzt und Psychiater Manfred Lütz, der – wie viele seiner Kollegen – vor einer Grenzüberschreitung durch eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe warnt. Das Leid kranker Menschen zu lindern und ihr Leben zu erhalten, gehöre hingegen zum Berufsethos der Ärzte. »Wird ärztliches Ethos aber nicht pervertiert, wenn sie das Leben ihrer Patienten vernichten? Seit wann haben Ärzte eine Lizenz zum Töten?«, fragt der Erzbischof unumwunden. Ebenfalls mit klaren Worten konstatiert er, dass Sterben und Tod heutzutage so stillos geworden seien und aus dem Zuhause verbannt worden sind. Der Erzbischof plädiert für die Wiederentdeckung einer Ars Moriendi, einer Kunst des würdevollen Sterbens, wie sie in der christlichen Tradition jahrhundertelang gepflegt und entfaltet wurde. Wie wollen wir also sterben? Notwendig seien eine palliativmedizinische Versorgung, intensive Begleitung und seelsorgliche Angebote für Sterbende. Daher gibt es bundesweit allein 58 stationäre Hospize in kirchlicher Trägerschaft. Kardinal Woelki weiß, dass das noch lange nicht genug ist. Auch das Engagement der Gemeinden müsse beispielsweise mehr eingebunden und Menschen dazu motiviert werden, sich ehrenamtlich in der Sterbebegleitung zu engagieren. Wie wollen wir sterben? Eine Frage, die wohl jeden bewegt. Dementsprechend lebhaft und außergewöhnlich lang war die anschließende, von der Privatdozentin und Lehrstuhlvertreterin für das Fach Moraltheologie an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Bonn, Dr. Katharina Westerhorstmann, moderierte Aussprache. Für Kardinal Woelki ist klar: Keiner soll durch die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines anderen Menschen würdevoll sterben können. 27 GESELLSCHA F T Der Marsch in den Medien Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste der »Marsch für das Leben« eigentlich ein Medienereignis ersten Ranges sein. Nur der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bringt noch mehr Menschen auf die Straße als der Bundesverband Lebensrecht. Und selbst das nicht jedes Mal. Erschwerend hinzu kommt: Lebensrechtler erhalten für ihre Teilnahme am Marsch durch die Bundeshauptstadt keinen Sonderurlaub. Und auch Bahn-Tickets sind nicht umsonst. Von Stefan Rehder I m Kopf der Internetseite der in Berlin editierten »tageszeitung« blinkt ein Werbebanner: »›Kunst ist mehr wert als Wahrheit‹ – Friedrich Nietzsche«. Immerhin – so könnte man meinen – warnt die »Taz« ihre Online-Leser auf diese Weise davor, den darunterstehenden Bericht über den diesjährigen »Marsch für das Leben« für bare Münze zu nehmen. Doch leider ist dem nicht so. Denn die Werbeinsel ist eine rotierende. Wer die Seite zu einem anderen Zeitpunkt aufruft, dem wird im Seitenkopf nicht die Kunstzeitschrift »Blau«, sondern ein Bausparvertrag, ein Girokonto oder ein Eau de Toilette offeriert. Recht bürgerliche Werbung für einen Beitrag, der sich mit der Überschrift »Die Bibelstunde hilft nicht weiter« und einem Bild, das ein am Boden liegendes Flugblatt zeigt, auf dem »Ficken statt Beten« steht, erkennbar an ein nicht ganz so bürgerliches Publikum wendet. »Pe28 cunia non olet« – dass Geld nicht stinkt, wussten schon die Römer. Der Text, der dann folgt, ist freilich nur ein Beispiel für einen Journalismus, der mit Schere im Kopf recherchiert und schreibt. Ausführlich kommt darin die Sprecherin der Gegendemonstranten zu Wort, die sich darüber freut, dass es gelungen sei, »Von den Veranstaltern kommt in dem Bericht niemand zu Wort.« »der gefährlichen Mischung aus christlichen FundamentalistInnen, extrem Konservativen und Rechtspopulisten den Tag zu vermiesen«, um dann zu kritisieren, dass die Polizei »mehrfach in völlig unverhältnismäßiger Weise auf TeilnehmerInnen der Gegenproteste losgegangen« sei. Von den Veranstaltern des Marsches lässt der Bericht dagegen niemanden zu Wort kommen. Dass mehrere Polizisten verletzt wurden, wird ebenso tapfer verschwiegen, wie dass rund ein Dutzend der Gegendemonstranten festgenommen und von etlichen weiteren die Personalien aufgenommen wurden. Während der »Taz«-Bericht für die Zahl der Gegendemonstranten zwei Quellen liefert – Veranstalter: 2.500 und Polizei: rund 1.700 – lässt er gänzlich unerwähnt, dass die Veranstalter des Marsches rund 7.000 Teilnehmer zählten, rund 2.000 mehr als im Jahr zuvor. Dabei lautet ein journalistischer Grundsatz, der unabhängig von politischer Couleur oder gar Ideologie gilt: »Nachricht ist, was sich unterscheidet.« Doch offenbar muss in der »Taz«, was nicht sein darf, lautstark beschwiegen werden. Von den Marsch-Teilnehmern zitiert der Bericht allein eine Frau, »die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen LebensForum 116 will« und sich die Zeit, die die Polizei benötigt, um die Sitzblockade zu räumen, mit einer Bibelstunde vertrieben haben »Selektiver Umgang mit der journalistischen Sorgfaltspflicht.« die konfessionellen – scheint die Nachricht des vergangenen Samstages die Zahl der Gegendemonstranten zu sein. Die ist gegenüber den Vorjahren zwar tatsächlich gestiegen, doch reicht das als Erklärung kaum aus. Denn selbst in den Anfängen des Marsches, der in diesem Jahr bereits zum elften Mal stattfand, brachte das Anliegen der Lebensrechtler mehr Menschen auf die Straßen, ohne dass die säkularen Medien darüber überhaupt berichtet hätten. Und auch jetzt wird Vieles einfach unterschlagen. könnten, sich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden zu müssen, kommt so nicht ins Bild. »Was nicht sein darf, das nicht sein kann«, war offenbar auch hier das Leitmotiv. Doch damit nicht genug: Dass nicht irgendein politischer Hinterbänkler, sondern mit der Bundestagsabgeordneten und Chefin der Partei »Die Linke«, Katja Kipping, eine der mächtigsten gewählten Volksvertreterinnen öffentlich zur Blockade einer friedlichen Meinungskundgebung und damit zur Beschneidung von Grundrechten der Bürgerinnen und Bürgern aufruft, ist soll, um gleich darauf mit den Worten wiedergegeben zu werden: »Wir haben schon mehrfach von der Polizei gefordert, die nächste Eskalationsstufe einzuleiten und uns den Weg freizumachen.« Schwer zu sagen, ob hier die Wahrheit oder eher die Kunst hochgehalten wird. Ist auch nicht so wichtig, denn repräsentativ für die Teilnehmer des Marsches ist diese Frau, selbst wenn sie nicht der Phantasie der Autorin entsprungen sein sollte, ohnehin nicht. Wer dabei war, weiß, dass die Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen nicht anstrengender sein könnte, als unter den friedlich demonstrierenden Lebensrechtlern jemanden zu finden, der erst die Bibel teilt und gleich darauf die Polizei zum Einsatz von Gewalt auffordert. Doch der Bericht der »Taz« ist keinesfalls der einzige, in dem ein selektiver Umgang mit der journalistischen Sorgfaltspflicht gepflegt wird. Auch in der »Sozialistischen Tages- Dieses Bild zeigt recht genau, wie es um die Teilnehmer des Marsches bestellt ist zeitung – Neues Deutschland« (ND) und in der »Jungen Welt« lesen sich So etwa, dass mit dem Regensburger eigentlich ein demokratiepolitischer Skandie Beiträge eher wie Pressemitteilungen Bischof Rudolf Voderholzer erstmals auch dal. Dennoch war dies allein der »B.Z.« der Gegendemonstranten denn als unabein Diözesanbischof an dem Marsch teileinen kritischen Kommentar wert. hängige Berichterstattung. nahm oder dass der Vorsitzende der DeutMann stelle sich einmal vor, ein C-Po»Am Nachmittag hatte sich der Aufschen Bischofskonferenz, Reinhard Karlitiker würde zur Blockade einer Demonszug von christlichen Abtreibungsgegnern, dinal Marx, ein Grußwort sandte. Selbst tration von Atomkraftgegnern oder gar Fundamentalisten und anderen Reaktiodie Illustration der Beiträge muss tendes Zugs beim Christopher Street Day nären kaum vorwärtsbewegen können«, denziös genannt werden. Wo statt der in Köln aufrufen. Nicht nur, dass der Beschreibt etwa ein ND-Autor, der offenGegendemonstranten Marsch-Teilnehtreffende von allen Ämtern zurücktreten bar keine Hemmungen hat, sich das Vomüsste. Der Blätterwald würde derart kabular der Gegendemonstranten zu ei»rauschen«, dass nicht wenige sich fragen zu machen. Und der Berliner »Tagen würden, ob die Festen der Republik »Rief zur Beschneidung von gesspiegel« spricht – wie andere auch – dies heil überstehen würden. statt von Lebensrechtlern von »selbsterFazit: Wenn Journalisten einen derart Grundrechten auf: ›Die Linke‹.« nannten Lebensschützern«, aber natürlich selektiven Umgang mit Ereignissen an nicht von »selbsternannten Feministen« den Tag legen, die tausende Menschen oder »selbsternannten Abtreibungsbeganz anders erleben, dürfen sie sich nicht fürwortern«. mer gezeigt wurden, wurden meist Mänwundern, wenn das böse Wort von der Wer sämtliche Berichte über den diesner abgelichtet. Dass der Marsch aber zu »Lügenpresse« – auch jenseits der bejährigen »Marsch für das Leben« gelesen großen Teilen aus Frauen, darunter auch schämenden Vorgänge in Dresden – in hat, dem fällt generell auf: Für nahezu alvielen jungen und damit jenen besteht, den sozialen Netzwerken einfach nicht le Medien – Ausnahmen bilden hier nur die selbst einmal in die Lage kommen verstummen will. LebensForum 116 29 BÜCHERFORU M D as ist Lektüre zur rechten Zeit. Sie ist überzeitlich humanökologisch ausgerichtet, deshalb glaubwürdig und topaktuell. Am 19. September 2015 hat die Öffentlichkeit von dem diesjährigen »Marsch für das Leben« in Berlin, an dem mehr als 7.000 Menschen engagiert teilnahmen, und dessen massiver Störung in diversen Attacken und kruden Parolen vor Ort und über die Medien erfahren. Menschen, die an das Menschenrecht auf Leben erinnerten und – nicht in lauten Sprechchören, sondern schweigend mittels Schildern – die Achtung vor der Würde des Menschen einforderten, wurden als Rechtspopulisten und Rassisten verunglimpft, ja vereinzelt mit Pferdekot beworfen. Selbst die als neutrale Berichterstatter von gängigen Journalen eingesetzten und vor allem von ihrer Leserschaft als objektiv wahrgenommenen Presseleute verstiegen sich unmittelbar oder später zu Häme und Diffamierung. Offenbart sich hier Unkenntnis der Sachlage, politische Ideologie, gar bewusste Demagogie? Prinzipiell wird in »Hänssler kurz und bündig« für jeden Interessierten Grundlagenwissen vermittelt und kontrovers diskutiert. Ute Buth und Thomas Schirrmacher geben darüber hinaus auf etwa 100 Seiten praktische Hinweise zur sachlichen Aufarbeitung einer Thematik, auch dann, wenn es sich um Problematiken mit Justiz und Ethik handelt. Es geht um Sachlichkeit. Eindrücklich dargestellt wird im vorliegenden Band das »rasante Wachstum« des ungeborenen Menschen von der Eibefruchtung bis zu seiner Geburt. Danach wird der begriffliche und zahlenmäßige Umfang des Problems »Schwangerschaftsabbruch« auf der internationalen Ebene (einschl. der »Pille danach«) vermittelt, ferner die jeweilige diesbezügliche Rechtslage in deutschsprachigen Ländern. Aufgeklärt wird über die Methoden und Folgen des »Schwangerschaftsabbruchs«, welche dieses staunenswerte Heranreifen des Menschen abrupt beenden. Man erfährt von den vielfältigen Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnostik und von der ethischen Anfrage an den ärztlich bindenden hippokratischen Eid, der sich doch dem menschlichen Leben von seinem Anfang bis zum natürlichen Ende verpflichtet weiß. Nach medizin- und rechtsgeschichtlichen Aussagen werden der Leserschaft die religiösen beziehungsweise theologischen Beurteilungen solcher medizinischer Handlungen in den Weltreligionen vorgestellt. Gibt es ein »Nein« zum todbringenden Handeln? Das gab es immer schon: In der langen jüdischchristlichen Tradition sind »Kinder … ein Segen«. Der »Mensch im Mutterleib« ist – so Psalm 139, Hiob 31,15, Lukas 1,15 und weitere biblischer Texte – eine »persönliche Schöpfung Gottes«. Nach dem Katechismus der Katholischen Kirche (§§ 2270-2273) »ist das menschliche Leben vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen«. Eine Aussage unter vielen! Und heute? Kann nicht die Sexualerziehung vorbeugen, indem sie recht früh verdeutlicht, dass der ungeborene Mensch lebt, dass er »kein unsystematischer Zellhaufen« ist, »sondern einem genialen Bauplan folgt«, »dass er viele Fähigkeiten wie du und ich beherrscht«! Nach der Verschmelzung der Keimzellen »gibt es keinen Einschnitt, der in seiner Bedeutung diesem Ereignis auch nur nahe käme«. Doch allein in Deutschland geschehen täglich 292 Abtreibungen, gesetzwidrig, aber straffrei – und (noch immer) mittels staatlicher Unterstützung (vgl. Kritik v. Herbert Tröndle 1991). Ein umfangreiches Register zu Einstiegs- und Fortbildungsliteratur sowie für Beratungsdienste beschließt den empfehlenswerten Band. Rasantes Wachstum 30 Dr. med. Maria Overdick-Gulden Ute Buth/Frank Schirrmacher: Schwangerschaftsabbruch. Fakten und Entscheidungshilfen. Reihe kurz und bündig. Verlag SCM Hänssler, Holzgerlingen 2013. 112 Seiten. 3,95 EUR. Im Schaufenster Die Pille und ich Obgleich das Thema Abtreibung in diesem Buch – unverständlicherweise – völlig ausgeblendet wird, ist es doch auch für Lebensrechtler von einigem Gewinn. Denn in ihm zeichnet die Autorin Katrin Wegner, eine Filmemacherin, die Psychologie, Erziehungswissenschaften und Soziologie studiert hat, den Siegeszug nach, den die Anti-Baby-Pille, nachdem sie 1961 in Deutschland auf den Markt gekommen war, im Westen wie im Osten des Landes antrat, und beschreibt ihre Wandlung zu einer der wirkmächtigsten Lifestyle-Drogen der Gegenwart. Vom Kontrazeptivum und Symbol der sexuellen Befreiung der Frau avancierte das Präparat, das in dem Buch – ebenfalls unverständlicherweise – auch als Medikament bezeichnet wird, binnen fünf Jahrzehnten zu einem Produkt, von dem sich Frauen heute vielfach vor allem eine schönere Haut, volleres Haar und eine größere Oberweite versprechen. Eingearbeitet finden sich Aussagen aus Interviews, welche die Autorin mit mehr als 250 Frauen geführt hat. Ausführlich geht Wegner auf medizinische Risiken und Nebenwirkungen der unterschiedlichen Pillen-Präparate ein und nimmt auch den Wandel des Selbst- und Fremdbildes von Frauen in den Blick. Fazit: Trotz merkwürdiger Mängel, empfehlenswert. reh Katrin Wegner: Die Pille und ich. Vom Symbol der sexuellen Befreiung zur Lifestyle-Droge. Verlag C. H. Beck, München 2015. Klappbroschur. 204 Seiten. 14,95 EUR. Die letzte Freiheit So viel schön geschriebene Dummheit ist selten zwischen zwei Buchdeckel gepresst worden. Georg Diez, Autor des Magazins »Der Spiegel« und Kolumnist auf »Spiegel online«, gehört zweifellos zu den raren Edelfedern in diesem Land. Zu den hellsten Köpfen zählt er offenLebensForum 116 bar nicht. Bar jeglichen Problembewusstseins für die Natur des Menschen und seelische Krisen, in die dieser geraten kann, fabuliert er sich ein Plädoyer für ein Recht auf Selbstmord zusammen, welches – zumindest in der aktuellen Debatte – gar nicht in Rede steht. Die Frage, über die Deutschland seit langem diskutiert, lautet gar nicht, ob der Staat Menschen verbieten sollte, sich selbst zu töten, sondern ob er Ärzten und Sterbehilfeorganisationen ausdrücklich erlauben oder aber bei Strafe verbieten sollte, andere bei einer Selbsttötung zu unterstützen. Diez, Jahrgang 1969, ist ein linker Ästhet. Gegen Ästhetik ist überhaupt nichts zu sagen. Jedenfalls so lange nicht, wie sie nicht mit Ethik verwechselt wird. Wer das dennoch tut, begeht einen unverzeihlichen Kategorienfehler. Fazit: Thema verfehlt. Sechs. Setzen. reh Georg Diez: Die letzte Freiheit. Vom Recht, sein Ende selbst zu bestimmen. 124 Seiten. 10,00 EUR. Die andere Seite der Organspende Das vorliegende Buch geht auf ein Symposium zurück, das sich kritisch mit der Hirntod-Theorie und dem System der Organspende beschäftigte. In ihm versammelt der Herausgeber Stephan Holzhaus vehemente Kritiker der Hirntod-Theorie wie die ehemalige Chirurgin Regina Breul oder das Ehepaar Renate und Gebhard Focke von der Organisation KAO (Kritische Aufklärung über Organtransplantation). Kritik üben diese und andere Autoren nicht nur an der Hirntod-Theorie, sondern auch an der Haltung von Politik, Kirchen und Medien, welche die Organspende bewerben und als Akt der Nächstenliebe adeln. Um den Furor zu verstehen, den viele der Autoren dabei an den Tag legen, hilft es, sich klarzumachen: Nach Ansicht der Autoren sind Hirntote Sterbende, die durch die Explantation lebenswichtiger Organe auf dem OP-Tisch getötet werden. Auch wenn man sich sicher eine sorgfältigere Aufbereitung der im Eigenverlag erschienenen Publikation gewünscht hätte, so thematisiert dieses Buch doch viele Fragen, die woanders nicht einmal gestellt werden (dürfen). Fazit: Ein Alarm-Buch. reh Stephan Holzhaus (Hrsg.): Die andere Seite der Organspende. Portemonnaies aus Menschenhaut. Garte-Verlag, Göttingen-Diemarden 2015. 226 Seiten. 12,00 EUR. LebensForum 116 T empora mutantur, die Zeiten ändern sich, et nos mutamur in illis, und wir in ihnen, wussten unsere Vorfahren. Gilt das nun nicht mehr? Gönnt man sich in unserer Moderne das Altern nicht? Ist zum Beispiel Demenz das, was etwa im Mittelalter die Pest war: ansteckend – abschreckend – personale Vernichtung – Unheil pur? Solchen Fragen im Trend unserer Zeit geht Peter Wißmann, stellvertretender Vorsitzender der Aktion Demenz e. V., in seinem Buch »Nebelwelten« im Hinblick auf deren Abwege und den damit verbundenen Selbstbetrug in der Demenz-Szene nach. Er fordert die Gesellschaft zur Verwirklichung dessen auf, was Inklusion wesentlich ist und erfordert. Längst haben sich die lautstarken Versprechungen der Pharmaforschung für eine Therapie des Alterns als Luftblasen erwiesen; manche hochgelobte Aktion hat sich als Un-Sinn entpuppt, indem sie nicht die »selbst-verständliche« Integration von Altern als NaturGegebenheit jeglichen Lebens verstehen will und deswegen alt gewordene Mitbürger in die Isolation zum »Leben in Anderland« drängt. Ist indes nur eine »eingekästelte Welt« eine gute Welt? Wie viele Therapien wurden (und werden) konzipiert, angefangen vom »therapeutischen Kochen« über »Humortherapien« zur »Ergotherapie«, »Aromatherapie«, »Musiktherapie« und anderes mehr. Einiges hat sich in praxi bewährt. Aber steckt dahinter nicht auch grobe »Anmaßung« der Initiatoren und verbale »Augenwischerei«? Wie viele Forscher suchten bisher mit viel finanziellem Aufwand und breiter Publizität nach der Ursache des »Morbus Alzheimer« und dessen möglicher Ätiologie im Genom, in Botenstoffen, Proteinen, Neuronen etc.? Doch bisher ohne Einwirkung auf dieses sogenannte »gesellschaftliche Übel«! Die Konsequenzen? »Der Therapiewahn fügt sich nahtlos in eine unheilige Allianz mit der zunehmenden Pathologisierung des Alterns und der Gehirnalterung«, so der Autor. Wo ist Inklusion als Ziel wahrgenommen, wenn Hospizvereine und Pflegeheime Finanzmittel für »unsere Demenzkranken«, »unsere »Alzheimerpatienten« anfordern? Haben sich die damit benannten Mitbürger denn selbständig zu solcher Art Fürsorge äußern können (dürfen)? Sind die von Alterung Beeinträchtigten nicht zu fragen und in ihre Versorgung einzubeziehen? Sie sind Mit-Menschen von gleicher Würde wie alle Bürger. Weder Medizin noch Justiz oder Politik haben Definitionsmacht darüber, wer zum Kreis der Träger von Menschenwürde, also zum MenschSein, gehört. Vielmehr stützt sich der Staat selbst auf diese Einmaligkeit der Menschenwürde als Korrektiv gegenüber allzu freiheitlicher Anmaßung, nicht zuletzt auch in der »Überversorgung« des Nächsten! Stets von »Alzheimer« und »Demenz« zu sprechen ist »Gift« im Umgang miteinander, so der Autor. Ein überbordender Diagnosewahn führt zu »Parallelwelten« und schadet unserer Gemeinschaft. Deshalb muss unsere Sprache ebenso »barrierefrei« werden wie unsere Wege und Straßen. Sollten da nicht die Mitglieder eines »Alzheimercafés« selbständig zu ihren Gesprächsrunden und ihrer vielfältigen Thematik einladen? Die Sache in die eigene Hand nehmen? Nur so lernen wir alle. Diese Lektüre lädt ihre Leser zum Mitmachen ein. Denn es ist hohe Zeit zur wahrhaft praktizierten Inklusion: Wir wollen zusammen leben. Ist Demenz ansteckend? Dr. med. Maria Overdick-Gulden Peter Wißmann: Nebelwelten. Abwege und Selbstbetrug in der Demenz-Szene. Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2015. 144 Seiten. 16,90 EUR. 31 KURZ VOR SC H LU S S » Offensichtlich kriminelle Organisationen haben im Europaparlament nichts verloren.« Der Europaabgeordnete Arne Gericke (Familienpartei) über die Organisation »International Planned Parenthood Federation« (IPPF) » Die Bewegung hat Zulauf, die Teilnehmendenzahlen steigen kontinuierlich. Papst Franziskus hat seine Unterstützung ausgesprochen, zahlreiche Bischöfe und Abgeordnete senden jährlich Grußworte. Die meisten von ihnen gehören der CDU/CSU an, aber auch AfD-Mitglieder unterstützen den ›Marsch für das Leben‹. Die Menge ist auffallend durchmischt: Menschen verschiedener Altersstufen und Geschlechter finden sich unter den Demonstrierenden, Geistliche in ihren Priestergewändern ebenso wie junge Paare, Familien mit kleinen Kindern und Gruppen von Jugendlichen mit Dreadlocks. Auch viele junge Frauen sind dabei.« Auszug aus einem gar nicht wohlwollenden Beitrag des Magazins »jetzt.de« der Süddeutschen Zeitung » Während seit der Einführung von pränataler Feindiagnostik als Regelleistung der Kassen kaum noch deutsche Kinder mit Trisomie 21 geboren werden, sind vor allem die Muslime in diesem Punkt echte Integrationsverweigerer. Sie passen sich einfach nicht der deutschen Abtreibungsgesellschaft an.« » Tops & Flops Mit dem Regensburger Oberhirten Rudolf Voderholzer nahm in diesem Jahr erstmals auch ein deutscher Diözesanbischof an dem »Marsch für das Leben« in Berlin teil. Die Website seines Bistums schildert, wie es dazu kam: »Die Idee zur Teilnahme am Marsch für das Leben wuchs während des Regensburger Katholikentages. Dort betonten Vertreter von ›Donum Vitae‹ die Bedeutung des unverfügbaren Lebensrechts, Rudolf Voderholzer das sie als gemeinsames Ziel mit der Katholischen Kirche teilten.« Um das gemeinsame Ziel zu unterstreichen und deutlich werden zu lassen, hätte die Kirche Vertreter Donum Vitaes eingeladen, gemeinsam am »Marsch für das Leben 2015« teilzunehmen. Bischof Rudolf Voderholzer habe zugesagt, dabei zu sein, und sein Versprechen eingelöst. Dass Vertreter von »Donum Vitae« an dem Marsch teilgenommen oder die Initiative mit einem Grußwort unterstützt hätten, sei dagegen nicht bekannt geworden. reh STAGIAIREMGIMO Expressis verbis Klaus Ruppert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Seniorenrecht und Medizin und Rechtsanwalt in Bad Nauheim, hält laut einem Bericht der »Oberhessischen Zeitung« auch eine kommerzielle Sterbehilfe für sinnvoll. Wenn es Regeln für die gewerbsmäßige Sterbehilfe gebe, könne ein hohes Maß an Sicherheit erreicht werden. Eine gute Beratung werde möglich und Sterbetourismus in Nachbarlän- Klaus Ruppert der wie die Schweiz oder die Niederlande überflüssig, schreibt das Blatt in einem Bericht über eine Podiumsdiskussion im hessischen Friedberg. Wörtlich zitiert die Zeitung Ruppert mit den Worten: »Jeder Komapatient ist auch ein Geschäft.« Im Monat koste die Rundumversorgung eines solchen Menschen rund 21.000 Euro. Geld, so sollen wir das wohl verstehen, das man auch sparen könne, statt es Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen in den Rachen zu werfen. Hat man da noch Worte? reh wir nehmen dann den weiblichen embryo, .. meine frau kleidet lieber madchen ein. Auszug aus einem Beitrag der Zeitung »Die Welt« mit dem Titel: »Auch für Babys brauchen wir eine Willkommenskultur« Mittlerweile ist für mich aber die Frage, ob es überhaupt Kriterien geben kann, die Missbrauch vorzubeugen vermögen und etwa eine Ausdehnung auf neue Patientengruppen und andere Leidenszustände verhindern könnten.« Der niederländische Medizinethiker Theo Boer in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Boer war bis 2014 Mitglied einer der fünf Kontrollkommissionen, die in den Niederlanden die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltskriterien bei der Durchführung des ärztlich assistierten Suizids und der Tötung auf Verlangen überprüfen. 32 LebensForum 116 »›Das hier sind die Brutöfen‹, sagte er mit einer schwungvollen Bewegung. Er öffnete eine abgedichtete Tür und zeigte ihnen die vielen Gestelle voll bezifferter Reagenzgläser. ›Der wöchentliche Eingang an Ovarien. Ständig bei Körpertemperatur gehalten. Die männlichen Gameten‹, hier öffnete er eine andere Tür, ›müssen dagegen bei fünfunddreißig statt bei siebenunddreißig Grad gehalten werden. Normale Körpertemperatur macht unfruchtbar. (…)‹ An die Brutöfen gelehnt, gab er den wild über die Seiten hastenden Bleistiften eine kurze Beschreibung des modernen Befruchtungsvorgangs, sprach selbstverständlich zuerst vom operativen Eingriff – ›eine freiwillig zum Gemeinwohl auf sich genommene Operation, die überdies mit einer Prämie in Höhe von sechs Monatsgehältern verbunden ist‹ –, beschrieb hierauf das Verfahren, mit dem der entnommene Eierstock am Leben und funktionstüchtig gehalten wurde, ging dann auf die Frage nach der optimalen Temperatur, des Salzgehalts und der Viskosität über, erwähnte die Nährlösung (...) Dann kamen die befruchteten Eier zurück in die Brutöfen, wo die Alphas und Betas bis zur endgültigen Abfüllung in den Flaschen blieben, während die Gammas, Deltas und Epsilons schon nach sechsunddreißig Stunden herausgenommen und dem Bokanowskyverfahren unterzogen wurden. ›Bokanowskyverfahren‹, wiederholte der Direktor, und die Studenten unterstrichen das Wort in ihren Heftchen. Ein Ei – ein Embryo – ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Ein bokanowskysiertes Ei dagegen knospt und sproßt und teilt sich. (....) Sechsundneunzig Menschenleben entstehen zu lassen, wo früher nur ein einziges entstand: Fortschritt.« Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Fischer Verlag. 4. Aufl., Frankfurt am Main 2014. Taschenbuch. 368 Seiten. 9,99 EUR. »Die Welt. Die von morgen« (28) In der Welt von morgen ist alles noch schwerer als in der von heute. Das gilt besonders für das Verfassen biopolitischer Glossen. Denn in einer Welt, die so gut wie alles bereits auf die Spitze getrieben hat, bleibt kaum noch etwas übrig, das derart übertrieben werden könnte, das es ein Problem aufzeigte, über das ansonsten hinweggesehen würde. Wenn sich zum Beispiel heute Wissenschaftler mit dem Gedanken tragen, Organe in Schweinen genetisch so zu manipulieren, dass sie sich für die Transplantation beim Menschen eignen, kann in der Welt von heute noch eine Glosse von rosafarbenen Menschen handeln, die sich mit Steckdosennasen und Ringelschwänzen im Dreck der Welt von morgen suhlen. In der Welt von morgen ist das unmöglich. Denn LebensForum 116 in ihr regt Menschen der Anblick von rosafarbenen Menschen mit Steckdosennasen und Ringelschwänzchen gar nicht auf. Es sei denn, sie haben sich gerade beim Rasieren geschnitten. Gut möglich also, dass es in der Welt von morgen überhaupt keine Glossen geben wird, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Welt von übermorgen aussehen könnte. Das wird, wenn wir uns die Welt von morgen heute anschauen, aber auch gar nicht schlimm sein. Denn über die Gestalt der Zukunft nachzudenken lohnt sich nur dort, wo es so etwas wie Zukunft auch geben kann. Und das ist in der Welt von morgen sehr wahrscheinlich unwahrscheinlich. Jedenfalls wenn die Welt, die von heute, bleibt, wie sie ist. Stefan Rehder München (ALfA). Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will 2017 ein neues Zentrum für Stammzellenforschung in München ansiedeln. Das Ziel von CARE sei, die Grundlagenforschung im Bereich Stammzellen für die Medizin nutzbar zu machen. »Damit läuten wir eine neue Ära der Wirkstoffforschung ein, mit einem gewaltigen Potenzial zur Heilung zahlreicher, heute noch nicht therapierbarer Krankheiten«, sagte Aigner in München. Hinter dem Projekt steht der deutsche Stammzellenforscher Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Die CSU-Politikerin hofft, dass CARE weitere Pharma- und Ilse Aigner, CSU Biotechnologieunternehmen anlockt. »So machen wir Bayern zu einem internationalen Zentrum der Stammzellenforschung.« Allerdings gebe es noch eine finanzielle Hürde zu überspringen. Das Projekt hänge noch von der Verabschiedung des Nachtragshaushalts für 2016 im Landtag ab, hieß es aus dem Ministerium. Dabei Prof. Hans Schöler geht es freilich nicht um »Peanuts«, sondern um Fördermittel in Höhe von 15 Millionen Euro. CARE steht für Centrum für Angewandte Regenerative Entwicklungstechnologien und war zunächst in Münster geplant. Das Land NordrheinWestfalen zog 2013 seine früher erteilte Finanzierungszusage wegen mangelnder wirtschaftlicher Perspektiven zurück. Die rot-grüne Landesregierung verwies unter anderem darauf, dass CARE auch nach zehn Jahren noch keine schwarzen Zahlen in Aussicht stellen könne. Schöler hatte daraufhin Bayern als alternativen Standort ins Spiel gebracht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in allen Bundesländern die gleichen, erklärte Aigner dazu. »Entscheidend ist aber auch der politische Wille, ein Projekt umzusetzen. Und da bin ich in Bayern zuversichtlich.« san CSU Aldous Huxley: Schöne neue Welt (1932) Gesucht: Bayerische Millionen MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR MOLEKULARE BIOMEDIZIN, MÜNSTER Aus der Bibliothek KURZ & BÜNDIG 33 LESERFORUM Vielen Dank für den Beitrag »Leber gefällig« von Alexandra Linder. Über diesen Skandal muss weiter informiert werden. Bleiben Sie deshalb da bitte unbedingt dran. Waltraud Weber, Straubing Erfolg für den Lebensschutz Dass sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig schützend vor die Caritas-Schwangerenberatung der katholischen Kirche gestellt hat, bei der keine Scheine ausgestellt werden, die Paare zu einer straffreien Abtreibung berechtigen, ist nicht nur lobenswert, sondern auch bundesweit bedeutsam. Man kann die Kirche nur ermutigen, von diesem Urteil in allen jenen Bundesländern Gebrauch zu machen, wo eine ähnliche Politik betrieben wird wie bei uns in Brandenburg. Dr. Hermann Sawatzki, Cottbus Weitere Eskalation Mit viel Gewinn habe ich den Beitrag von Professor Dr. med. Cullen über die Folgen gelesen, die eine Ausweitung des sogenannten Pränatestes mit sich brächte (vgl. LF Nr. 115, S. 21ff.). Ich bin bestimmt nicht dafür, Kinder vor der Geburt auszusortieren, nur weil sie nicht gesund sind. Jeder von uns kann sich jederzeit – etwa durch einen Unfall – eine Behinderung zuziehen! Wenn Behinderung ein akzeptabler Grund wäre, Menschen das Recht auf Leben zu bestreiten, müssten streng genommen alle, die nach einem Unfall eine Behinderung davontrügen, getötet werden. Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch: Aber dass die Anbieter solcher Tests offenbar bereit sind, viele gesunde Kinder zu opfern, um den wenigen mit Behinderung »auf die Spur« zu kommen, empfinde ich als eine weitere Eskalation. Geht es am Ende vielleicht 34 gar nicht um Gesundheit, sondern bloß um’s Geld? Und muss dann nicht wenigstens hier der Gesetzgeber einschreiten? Patricia Hagendorn, Hamburg Gesellschaftliches Klima (Anm. d. Red.: Zum Beitrag »Der weite Weg der Inklusion«, LF 115, S. 8ff.): Als Mutter eines Kindes mit Behinderung möchte ich Ihnen ausdrücklich für das ausführliche Interview mit Herrn Professor Dr. med. Holm Schneider danken. Das hat mir gut getan. Es stimmt natürlich, dass heute Menschen mit Behinderungen staatliche Hilfen erfahren, von denen früher niemand zu träumen wagte. Als betroffe- ne Mutter weiß ich das auch zu schätzen. Unser Leben könnte viel schwieriger sein. Trotzdem muss ich Ihnen sagen: Ich würde sofort auf jede dieser Hilfen verzichten, wenn das gesellschaftliche Klima dadurch anders würde. Während die Behinderung meines Sohnes für seine Klassenkameraden in aller Regel kein Problem ist, manche kommen sogar zum Spielen zu uns nach Hause, ist der gemeinsame Einkauf oder selbst der Arztbesuch oft furchtbar. Wildfremde Menschen, die einen anstarren, als hätte man ein Monster geboren und Ihnen persönlich Schaden zugefügt. Es hilft mir sehr, dass Herr Professor Dr. Schneider – so verstehe ich es jedenfalls – viel davon auf die eigene Unsicherheit derjenigen zurückführt, die noch nie mit einer Behinderung konfrontiert wurden. (...) Trotzdem meine ich, hier müssen wir noch zulegen. (...) Mit Rücksicht auf meinen Sohn möchte ich Sie bitten, meinen Namen und meine Anschrift nicht zu veröffentlichen. Der Name der Autorin ist der Red. bekannt. Geschichte (Anm. der Red.: Zum Beitrag »In memoriam«, LF 115, S. 27ff.): Auch wenn der Anlass traurig ist, habe ich mich doch gefreut, auch einmal etwas über die Geschichte der ALfA zu erfahren. Für den Fall, dass ich damit nicht allein sein sollte, schlage ich vor, dass Sie einen ähnlichen Text auch auf Ihre Homepage stellen, die sich übrigens ähnlich sehen lassen kann wie Ihre Zeitschrift. Ferdinand Hausmann, Dingolfing ANZEIGE LebensForum 116 IMPRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 116, 4. Quartal 2015 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Dr. med. Karl Renner Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V. Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax Internet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected] Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Matthias Lochner, Alexandra Linder M.A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.) Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Bankverbindung Augusta-Bank eG IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90 BIC: GENODEF1AUB Spenden erwünscht Druck Reiner Winters GmbH Wiesenstraße 11, 57537 Wissen www.rewi.de Satz / Layout Rehder Medienagentur, Würzburg www.rehder-agentur.de Titelbild Dipl.-Des. Daniel Rennen / Rehder Medienagentur www.rehder-agentur.de Auflage 6.500 Exemplare Das LebensForum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 7.10.2014. Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der ALfA wieder und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Erscheinungsweise LebensForum Nr. 117 erscheint am 12.03.2016. Redaktionsschluss ist der 29.01.2016. Jahresbezugspreis 16,– EUR (für ordentliche Mitglieder der ALfA und der Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten) Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Helfen Sie Leben retten! Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de Spendenkonto: Augusta-Bank eG, IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90, BIC: GENODEF1AUB c Ja, ich abonniere die Zeitschrift LebensForum für 16,– E pro Jahr. Herzlich laden wir Sie ein, unsere ALfA-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen. c Ja, ich unterstütze die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. als ordentliches Mitglied mit einem festen Monatsbeitrag. Der Bezug des LebensForums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt: c 12,– E jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose c 24,– E jährlich Mindestbeitrag c _________ E jährlich freiwilliger Beitrag. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig! Meine Adresse Freiwillige Angaben Name Geboren am Straße, Nr. Telefon PLZ, Ort Religion Beruf c Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto einzuziehen: Institut IBAN BIC/SWIFT Datum, Unterschrift LebensForum 116 35 LETZTE SEITE Gelebte Inklusion Der FC Bayern München erhält den Medienpreis der Lebenshilfe Von Stefan Rehder E 36 und begeistert Menschen mit und ohne Behinderung wie keine andere Sportart.« Am 7. November fand vor dem Heimspiel, zu dem FC Bayern München den VfB Stuttgart empfing, nun die Übergabe des BOBBY statt. Vorstandschef KarlHeinz Rummenigge nahm den Preis aus Schmidt lobte: »Der FC Bayern hat mit seiner Aktion zum Welt-Down-SyndromTag 2015 ein weit sichtbares Zeichen für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen gesetzt.« Mit dem BOBBY, benannt nach Bobby Brederlow, einem Schauspieler mit BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE, HANS D. BEYER inmal in der Allianz-Arena einlaufen oder gar vor vollbesetzten Stadionrängen einen Elfmeter im Tor zu versenken: Für viele Fußballbegeisterte ist das ein unüberbietbarer Traum. Einen, den der FC Bayern München in diesem Jahr 24 besonderen Gästen erfüllte und deshalb mit dem »BOBBY«, dem Medienpreis der Bundesvereinigung Lebenshilfe, ausgezeichnet wurde. Anlässlich des Welt-Down-SyndromTages hatte der deutsche Rekordmeister in diesem Jahr 24 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom zum Bundesliga-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach eingeladen (vgl. LF 113, S. 32). Die besonderen Gäste liefen mit den Mannschaften aufs Feld und schossen in der Halbzeitpause auf das Tor von Bayern-Ersatztorwart Tom Starke. Der 16-jährige Michael Freudlsperger war dabei als Torschütze erfolgreich und wurde anschließend von der ARD für das »Tor des Monats« der ARD-Sportschau nominiert. Mit 31 Prozent gewann er schließlich mit seinem Treffer auch noch die Zuschauerabstimmung. FC Bayern-Kapitän Philipp Lahm sagte damals zu der Aktion: »Down-SyndromKinder sind wunderbare Menschen, voll mit Emotionen, Freude und Liebenswürdigkeit. Wir möchten allen zeigen, dass sie wichtiger und beschützenswerter Bestandteil unserer Gesellschaft sind.« Die Lebenshilfe lobte: Der FC Bayern habe »mit seiner vorbildlichen, öffentlichkeitswirksamen Aktion zum Welt-Down-Syndrom-Tag, der jährlich am 21. März begangen wird, ein Zeichen für Vielfalt und den unvoreingenommenen Umgang mit Menschen mit einer geistigen Behinderung gesetzt«. Die ARD-Sportschau habe »diesen Ball mit der Nominierung von Michael Freudlsperger für das ›Tor des Monats‹ aufgefangen und für ein Millionenpublikum ins Bild gesetzt. Fußball weckt Emotionen, beflügelt das Wir-Gefühl, also den Gedanken der Inklusion, Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt Deutsche Post AG (DPAG) Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge erhält den Lebenshilfe-Medienpreis BOBBY 2015 von der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt. Von links nach rechts: Michael Freudlsperger, Ulla Schmidt, Karl-Heinz Rummenigge und Bobby Brederlow. den Händen von Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, entgegen. »Im Namen des FC Bayern München möchte ich mich herzlich für den BOBBY 2015 bedanken«, sagte Rummenigge. »Unsere Mannschaft, wir alle bei Bayern München wollten in der Öffentlichkeit ein deutliches Zeichen für Inklusion setzen und das großartige Engagement der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung unterstützen«, so Rummenigge weiter. Ulla Down-Syndrom, würdigt die Lebenshilfe seit 1999 vorbildliches Engagement für Menschen mit Behinderung, das aufklärt und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung abbaut. Der Lebenshilfe-Preis wurde zum 16. Mal verliehen. Er ist nicht mit einem Preisgeld verbunden. Zu den bisherigen Preisträgern zählen u. a. Günther Jauch und der ARD-Tatort Münster. Unterstützt wurde der Medienpreis der Lebenshilfe auch in diesem Jahr von Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge, dem Versicherer im Raum der Kirchen. LebensForum 116