Was sagt mir „Gott“? - Christ in der Gegenwart

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Was sagt mir „Gott“? - Christ in der Gegenwart
Was sagt mir „Gott“?
eine Aktion von Christ in der Gegenwart
2. Motiv:
„Das kann doch nicht wahr sein!“ –
Der gekreuzigte Gott
Motiv für eine Kurzeinheit in den
Klassenstufen 10 – 13
von Christian Heidrich
Ziel: Die Schüler sollen die so selbstverständliche wie „unbekannte“ Grundaussage des christlichen
Gottesglaubens wahrnehmen, die in der Menschwerdung des Gottessohnes eine radikale Zuspitzung
erfährt: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich
und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,6f).
Impulse für den Unterricht:
a) Stiller Impuls:
Bildbetrachtung / Bildvergleich: Christus am Kreuz
A. „Christus am Kreuz“ von Mathis Gothart Nithart „Grünewald“ (um 1525)
B. dasselbe Bild (Ausschnitt)
C. Kreuz der Stiftskirche Innichen (13. Jh.)
(Abbildungen am Schluss)
Medium: 3 Overheadfolien
b) Bildbetrachtung:
Die einzelnen Schritte und die Intensität der Betrachtung werden davon abhängen, inwieweit die
Lerngruppe mit der Methodik der Bildbetrachtung vertraut ist. Hinsichtlich der thematischen
Intention der Stunde sollten die folgenden Aspekte in den Mittelpunkt gestellt werden:
– Grünewalds „Christus am Kreuz“ (um 1525; ganzes Bild und Bildausschnitt) stellt Christi Leiden
in seiner ganzen Drastik und Grausamkeit dar („Realismus“!). Von Schönheit und Würde des Erlösers ist zunächst nichts zu entdecken. Ein Opfer der Inhumanität wird gezeigt.
– Natürlich „wissen“ wir, daß die gemarterte Gestalt nicht eines der „beliebigen“, zahllosen Opfer
der menschlichen Verrohung darstellt. Der Maler übernimmt die Symbole der neutestamentlichen
Passionsschilderungen, die uns den Gekreuzigten als Jesus von Nazareth identifizieren lassen:
Die Dornenkrone, das sorgfältig gestaltete INRI-Schild über seinem Haupt.
– Unterhalb des Kreuzes finden sich ein Jünger und Maria. Während Maria im Schmerz versunken
ist, richtet sich der Blick des Jüngers auf das Todesantlitz Christi.
– Bei genauerer Betrachtung des Gekreuzigten lassen sich Zeichen der Hoffnung, ja der Erlösung
ausmachen: Die Hände des Gekreuzigten sind nach oben geöffnet (Lk 24,46!); die die Szene
umgebende Finsternis wird durch das Licht, in das der Korpus eingehüllt ist, gewissermaßen
„aufgehoben“; nicht zufällig überragt der Korpus die Umstehenden an Größe.
– Klingen die Zeichen der Hoffnung und Erlösung inmitten der Brutalität der Kreuzigung bei
Grünewald nur verhalten an, so müßen wir im Blick auf die Holzskulptur des Gekreuzigten aus der
Stiftskirche zu Innichen (Südtirol, 13. Jahrhundert) fast schon von einem „schönen“, zumindest sehr
würdigen Christus sprechen. Sein Haupt ist nicht nach unten geneigt, sein Antlitz ist klar, seine
Augen blicken in die Ferne, sind gleichzeitig wissend und für den Betrachter erreichbar.
– Nicht das Leid und der Tod stehen hier im Vordergrund, sondern die Überwindung des Todes und
die – gekrönte, königliche – Herrlichkeit des Erlösers.
– Stellt die Skulptur eine Verharmlosung des historischen Geschehens dar? Ist es „legitim“, die
Glaubensaussage über Jesus, den Christus (= Messias!) so in den Vordergrund zu stellen?
c) Die „Besonderheit“ der christlichen Gottesvorstellung:
Im Rahmen dieser Kurzeinheit kann es nicht darum gehen, die christliche Gottesvorstellung präzise
herauszuarbeiten. Im Blick auf die künstlerischen Darstellungen kann und muß jedoch auf die nur
scheinbar selbstverständliche, vielmehr „skandalöse“ Glaubensaussage eingegangen werden:
„Im“ Lebensweg des Jesus von Nazareth, in seinem Wort wie in seinem Tod am Kreuz, kommt Gott
uns nahe, erkennen wir seine Leidenschaft für den Menschen, seine Liebe zu uns.
Eine „Theologie“, die hier ansetzt, hat es nicht leicht, ist auch nicht „logisch“ – und doch legen
Christen seit zwei Jahrtausenden ihre Hoffnung auf dieses historische Geschehen, auf eine solche
„christologische“ Deutung.
Die künstlerischen Versuche setzen jeweils einen eigenen Akzent, sei es, indem sie den Schmerzensmann, der gleichwohl „König“ ist, darstellen (Grünewald), sei es, indem sie im Kreuzesgeschehen
bereits den Verherrlichten erblicken (Skulptur aus dem 13. Jahrhundert).
d) Aufgabe:
In einer kurzen Übung fassen die Schüler die Ergebnisse der Bildbetrachtung zusammen. Die Aufgabenstellung könnte etwa lauten:
Für einen Christen von heute erscheint die Darstellung von Grünewald / die Darstellung aus dem
13. Jahrhundert hilfreicher, weil …
e) Die Konsequenz:
Daß sich die Glaubwürdigkeit des christlichen Bekenntnisses nicht so sehr im worthaften Credo,
vielmehr in der lebenspraktischen Konsequenz erweist, ist eine so unbestreitbare wie anspruchsvolle
Wahrheit.
Der folgende Text des schweizerischen Pfarrers und Dichters Kurt Marti (* 1921) faßt diese Einsicht
höchst pointiert und anregend zusammen:
Zuschauer gibt es nicht
Die Vorstellung eines Welttheaters mit Gott und eventuell seinem himmlischen Hofstaat als
Zuschauern reproduziert ein monarchisch feudales Weltbild, vor allem behauptet sie eine erhabene
Distanz Gottes zum irdischen Leiden. Diese erhabene Distanz zum Leiden ist immer schon ein
Wunschtraum sterblicher Menschen gewesen, den sie auf unsterbliche Zuschauergötter oder in die
erhoffte Zukunft eigener Unsterblichkeit und Schmerzlosigkeit projizierten. Mit dem christlichen
Gott hat diese Vorstellungsweise nichts zu schaffen. Sein Verhältnis zur Welt ist bestimmt durch den
Schmerz seiner Liebe. „Der Schmerz Gottes ist der tiefste Hintergrund des geschichtlichen Jesus.
Ohne diesen Hintergrund haben alle Lehren über Jesus keine Tiefe.“ (Kazoh Kitamori) Den Schmerz
Gottes bezeugt zentral die Hinrichtung auf Golgatha, wo „die Welt“ schließlich nur mehr zuschaut
und – im öffentlich zu Tode gefolterten Jesus – Gott das Drama ist. Ist Gott aber das Gegenteil eines
Zuschauers, so wird die Position dessen, der Gott zuschaut, ebenfalls eine unmögliche, irreale, trotz
unserer Versuche, gerade diese Position einzunehmen und zu halten. Auch die Zuschauer der Agonie
Jesu waren nicht, was sie zu sein meinten, nämlich eben: Zuschauer. Sie waren, wie es die evangelischen Zeugnisse darstellen, Betroffene, Beteiligte, Akteure. Gerade der Schmerz Gottes, gerade
Golgatha zeigt: den Zuschauer Gott gibt es so wenig wie den Zuschauer Gottes. Deshalb dulden die
Auferstehung Jesu und seine Erscheinungen danach keine Zuschauer im theatralischen Sinn dieses
Wortes. Wer dem Auferstandenen begegnet, stirbt als Zuschauer Gottes, um als dessen Zeuge und
Akteur zu auferstehen. Das lange anhaltende Mißtrauen des Christentums gegenüber dem Theater
wird von da her verständlich. Es richtet sich (zum mindesten auch) gegen die Rolle und Haltung des
sich nicht engagierenden Zuschauers. Ein christlicher Wand- und Warnspruch in Zuschauerräumen
und Theaterfoyers, als Kleber auch für Fernsehapparate zu empfehlen, müßte lauten: „Zuschauer
gibt es nicht.“
Kurt Marti, Unter der Hintertreppe der Engel. Wortstücke und Notizen. Werke Band 2
© 1996 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München - Wien
Mögliche Aufgabenstellung:
– Da der Text sehr dicht ist, empfiehlt sich zunächst eine Zusammenfassung der Kernaussagen.
– Es mag günstig sein, die Überschrift und den Text des „Klebers“ (vgl. letzte Zeile) nicht abzudrucken. Die Schüler selbst sollen eine Überschrift sowie den „christlichen Wand- und Warnspruch“ formulieren.
Weiterführende Aufgabe (evtl. als Hausaufgabe): Inwieweit lassen sich Kurt Martis Aussagen durch
„Szenen“ (Worte, Ereignisse, Handlungen) aus dem Leben Jesu stützen?
A. „Christus am Kreuz“ von Mathis Gothart Nithart „Grünewald“ (um 1525)
B. „Christus am Kreuz“ von Mathis Gothart Nithart „Grünewald“ (Ausschnitt)
C. Kreuz der Stiftskirche Innichen (13. Jh.)