twortung - Michael Wolffsohn
Transcrição
twortung - Michael Wolffsohn
SEITE 2 D I E W E LT M I T T WO C H , 2 9. AU G U S T 2 012 FORUM GENAUER BETRACHTET Vor der Ernte DAPD/MATTHIAS RIETSCHEL Sieht gewaltig aus, dieser Busch. Aber das liegt nur an der Froschperspektive. Salbei ist es, was da im Sommerwind wogt, nicht nur ein Busch, sondern ganze Felder. Das Kraut macht sich nicht nur gut in Käsesoßen, sondern hilft auch gegen Halsschmerzen und Magengrimmen. Weshalb die Salbeitee-Herstellung durchaus ein einträgliches Gewerbe sein kann. Auf dieser Salbeiplantage in Freital nahe Dresden ist alles zur Ernte bereit, doch die Teefirma, der die Felder gehören, ist wenig optimistisch. Zu wenig geregnet habe es, deshalb falle die Ernte diesmal nur mäßig aus: Kleine Teeblätter, weniger Ertrag. apro ESSAY Europas Verantwortung Zu: „Schmidt und Giscard zur Euro-Krise“ vom 25. August D ie „Elder Statesmen“ einer geschichtlich gewachsenen Achse Bonn/Berlin–Paris melden sich vernehmbarer als zuvor zu Wort, das ist gut und keinesfalls zu früh. Werden sie doch offensichtlich schon allein dafür gebraucht, um dem verzagten Europa klarzumachen, dass es sich in einer Sinn- und Wertekrise befindet und dass es sich bei dem europäischen Staatenverbund wie bei der Euro-Zone um viel mehr als um ein Politabstraktum handelt. Das in der Geschichte der europäischen Integration manch fehlerhafte Entscheidung getroffen worden ist, sollte uns, die wir glücklicherweise seit beinahe sieben Jahrzehnten in Frieden und relativem Wohlstand leben dürfen, auf keinen Fall dazu verleiten, nun den vermeintlich einfacheren Weg zu gehen. Es kann nicht ernsthaft unsere Überzeugung sein, dass sich Europa mit dem Ver- oder Entlassen Griechenlands aus der Euro-Zone auch nur im geringsten Umfang seiner (derzeitigen) Achillesferse und seiner humanen und sozialökoMatthias Bartsch, Lichtenau-Herbram nomischen Verantwortung entledigen würde. Mutige Konservative Zu: „Konservativ oder nicht“ vom 27. August Progressiv gilt heute konkurrenzlos als gesellschaftliche Modefarbe. Der Streit von Rede und Gegenrede, den die Theoretiker des Liberalismus im 19. und 20. Jahrhundert bei Karl Popper als Motor von Fortschritt und Aufklärung sahen, wird heute häufig nur zum Zwecke des Spektakels inszeniert. Die Macht der Fortschrittsparolen scheint sich derart durchgesetzt zu haben, dass niemand mehr wagt, konservative Positionen zu formulieren. So sei Alexander Gauland Dank, dass er aus der Deckung geht. Es ist schade, dass bei uns konservatives Denken immer als reaktionär verstanden wird. Beim Lösen unserer Schwierigkeiten brauchen wir auch konservatives Denken. Eckhard Krause, Borkum Mittel zum Zweck Zu: „Schuld in Syrien“ vom 27. August In der Tat kochen zu viele ihr eigenes Süppchen in Syrien. Bei der Aufzählung der Mitwirkenden beschreibt Ihr Autor aber quasi nur die ,,Stammmannschaften“ dieses schmutzigen Konflikts. Russland verteidigt seinen Einflussbereich und seinen Marinestützpunkt, auch will es einen starken Iran. Die USA und Israel wollen ein schwaches Syrien, ohne Einfluss auf den Libanon und einen schwachen Iran ohne Nuklearwaffen. Deshalb ist der plötzlich ausgebrochene Syrien-Konflikt nur Mittel zum Zweck der Machtpolitik in dieser Region. Und deshalb unterstützen auch die USA die IHRE POST AN . . . DIE WELT, Brieffach 2410, 10888 Berlin, Fax: (030) 2591-71608, E-Mail: [email protected] Wir twittern live aus dem Newsroom: Diskutieren Sie mit uns auf Facebook: facebook.com/weltonline twitter.com/weltonline Rebellen mit Logistik. Mit moralischen Werten haben die offenen und verdeckten Eingriffe, wie man am bisherigen Verlauf sehen kann, meines Erachtens wenig zu tun. Leonhard Irion, per E-Mail Heiße Luft Zu: „Ökostrom auch 2050 nicht marktfähig“ vom 23. August Nach Fukushima war allen Politikern klar, dass wegen der unüberwindlichen Angst der Deutschen die Energiewende unausweichlich war. Diese Entscheidung folgte keinerlei physikalischen Gesetzen und war reine Symbolpolitik. Darin waren sich alle Parteien einig. Das Problem war nur: Wer sich zuerst bewegte, hatte verloren. Somit konnte man den Entscheidern die auf der Hand liegenden Folgeprobleme als „Politikersagen beziehungsweise Unfähigkeit“ in die Schuhe schieben, und man selbst war fein raus. Jetzt haftet also Merkel der Makel an, die Energiewende nicht vernünftig betrieben zu haben. Studien, die zu einem kritischen Ergebnis kommen, werden von den Umweltverbänden als Frontalangriff tituliert, Umweltschäden bei Wind- und Wasserstromerzeugung werden in Kauf genommen. Alles halb so schlimm, wenn es nur einem vermeintlich höheren Zweck dient. Wenn man schon die Physik auf den Kopf stellen möchte, dann kann man ja auch getrost die heiße Luft, die die Politiker und Verbände erzeugen, für die Energieerzeugung nutzen. Günter Fontius, Malente Seltsame Debatte Zu: „Die Vorhaut als Vorhut“ vom 24. August Mit argem Befremden las ich den Artikel, in dem die Kleingeistigkeit über Ja oder Nein zur Knabenbeschneidung angeprangert wird. Seit gut 25 Jahren erstmals wieder in Deutschland zu Besuch, erinnert mich der neue Mangel an Hygienebedarf an Zeiten meiner Kindheit, als deutsche Frauen noch das Rasieren ihrer Haare unter den Achselhöhlen bei ihren Geschlechtsgenossinnen in den USA verhöhnten. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Ulrich Lewerentz, Jacksonville, FL - USA Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage, jede einzelne Zuschrift zu beantworten. Impressum Verleger AXEL SPRINGER (1985 †) Herausgeber Thomas Schmid Sie erreichen die Redaktion unter Tel.: 030 – 25 91 0 Fax: 030 – 259171606 E-Mail: [email protected] Chefredakteur: Jan-Eric Peters Stellvertretende Chefredakteure: Dr. Ulf Poschardt; Thomas Exner, Oliver Michalsky, Frank Schmiechen, Andrea Seibel, Cornelius Tittel Chefreporter Investigativteam: Jörg Eigendorf Chefkommentator: Torsten Krauel Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner Die Vorhaut des Herzens Die Bibel verrät, dass der Brauch der Beschneidung von Knaben durchaus umstritten war. Und vermutlich eine Zeitlang durch das Ritual der Taufe ersetzt wurde N MICHAEL WOLFFSOHN icht von der Vorhaut hängt das Judentum ab. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, ist eindeutig: Ein unbeschnittener Jude ist Jude, sofern er Sohn einer jüdischen Mutter ist. Zwar erweckten die meisten deutsch-jüdischen und israelischen Debattenbeiträge den gegenteiligen Eindruck, doch Wortmeldungen ersetzen keine Wissenschaft. Dass einige politisch-jüdische und rabbinische Repräsentanten den Bogen zum Holocaust schlugen oder mit Auswanderung drohten, war, bezogen auf die bewährte bundesdeutsche Demokratie, substanz- und taktlos. Dass, wie es heißt, „ausgerechnet Deutsche“ sich nicht an dieser Debatte beteiligen sollten, vermag ich als jüdischer Deutscher nicht einzusehen. Sind „ausgerechnet deutsche“ Demokraten weniger demokratisch als wir Juden, als ich? Man mag das Kölner Beschneidungsurteil so oder anders bewerten, es wäre gerade für uns Juden eine Gelegenheit gewesen, jüdische Inhalte zu überdenken und, mit neuer innerer Kraft, beizubehalten – oder zu ändern. Symbole und Rituale sind Brücken bzw. Krücken auf dem Weg zu Gott oder, nicht religiös formuliert, auf dem Weg zur Erfüllung ethischer Prinzipien. Die Beschneidung ist ein Ritual. Juden, Christen, sogar Atheisten hätten die Grundsatzfrage stellen sollen: Wie viel Krücken braucht der Mensch, um zu Gott zu gelangen? Die Bibel kleidet Glauben und Gedanken in Geschichten, Gebote und Gesetze. Liberale Leser, durchaus auch gläubige, klammern sich nicht an Buchstaben und Wort, sie fragen nach dem Geist der Gesetze. Orthodoxe Juden (und Christen) verstehen die Bibel wörtlich, weil für sie die Bibel „Gottes Wort“ ist. Ohne Glaubensgrundlagen zu zerstören, kann man es auch so sehen: Gott hat bestimmte Menschen zu diesem Wort inspiriert, jene haben es dann fixiert, später kanonisiert. Man kann es auch so sehen: Die Bibel sei Menschenwerk. Wie auch immer. Tatsache ist, dass die biblische Erzählung über die Beschneidung nicht so eindeutig ist, wie behauptet. (Die genauen Belege kann, wer will, unter www.wolffsohn.de finden.) Das Fazit lautet: Das Beschneidungsbrauchtum war in den biblischen Geschichten durchaus umstritten. Die alttestamentlich biblische Erzählung von der Beschneidung finden wir in der Abraham-Geschichte. In Genesis 17 gebietet Gott dem Stammvater, die Vorhaut seiner Nachfahren als Zeichen des Bundes mit dem Ewigen zu beschneiden. Scheinbar fehlt jegliche Begründung. Tatsächlich findet man sie in der Darstellung der (nicht erfolgten) Opferung Isaaks in Genesis 22. Diese Geschichte von der Opferung Isaaks ist die meisterhafte literarische Übertragung eines menschheitsgeschichtlichen Vorgangs: des Übergangs vom Menschen- zum Tieropfer. Das Produktionschef: Torsten Kroop Artdirektion: Barbara Krämer Politik: Jochen Gaugele, Marcus Heithecker, Stv. Claus Christian Malzahn, Fabian Wolff Außenpolitik: Clemens Wergin, Stv. Dietrich Alexander Forum: Andrea Seibel, Stv. Rainer Haubrich Wirtschaft/Finanzen/Immobilien: Thomas Exner, Olaf Gersemann, Stv. Jan Dams, Michael Fabricius Kultur/Stil: Corne- lius Tittel, Stv. Annemarie Ballschmiter, Andreas Rosenfelder, Dr. Berthold Seewald, Dr. Ulrich Weinzierl, Inga Griese (Senior Editor) Literarische Welt: Dr. Rachel Salamander (Herausgeberin), Dr. Jacques Schuster (verantwortlicher Redakteur) Sport: Stefan Frommann, Stv. Volker Zeitler Reportagen/Vermischtes: Wolfgang Scheida, Stv. Heike Vowinkel Wissen: Dr. Norbert Lossau, Stv. Dr. Pia Heinemann + PA / DPA LESERBRIEFE Die Urgeschichte: Stammvater Abraham will seinen Sohn Isaak, wie von Gott befohlen, opfern Selbst Moses, der „größte jüdische Prophet“, hat seinen ältesten Sohn nicht beschnitten Reise/Motor: Sönke Krüger, Stv. Kira Hanser, Chefreporter: Stefan Anker Boot: Reinhold Schnupp Autoren: Henryk M. Broder, Elke Heidenreich, Cora Stephan, Benjamin von Stuckrad-Barre, Leon de Winter, Hans Zippert Chefkorrespondentin Wirtschaftspolitik: Dr. Dorothea Siems Korrespondent Politik/ Gesellschaft: Alan Posener Politischer Korrespon- war der Grundgedanke: Man opfert Gott sein Liebstes. Da Entwicklung meistens auch Verfeinerung durch Symbolisierung bedeutet, begnügte sich der Großteil der Menschheit mit einer menschenschonenden Alternative. Der Urgedanke des Menschenopfers liegt auch der Beschneidung zugrunde: Sie ist der Ersatz für das „Ganzkörperopfer“. Ein Stück des dem Manne liebsten und zur Menschheitsvermehrung notwendigen Körperteiles wird geopfert. Nach der nicht erfolgten Opferung Isaaks erzählt die Bibel weder von weiteren Begegnungen oder Wortwechseln zwischen Vater und Sohn, Abraham und seiner Frau Sara. Angesichts der intellektuellen Genialität der BibelDichter dürfte das kein Zufall und die Botschaft leicht erkennbar sein: Opferungen sind dem inneren Frieden der Familie nicht unbedingt förderlich. Der Grundgedanke lautet: Dieses Brauchtum war umstritten. Sogar in der Familie Abrahams. Selbst Moses, der „größte jüdische Prophet“, hatte seinen ältesten Sohn nicht beschnitten. Die Bibel verrät es unumwunden. Die Beschneidung holte seine nichtjüdische (!) Frau, Zippora, nach (Exodus 4, 24-26). In Josua 5, 2-9 verrät uns die Bibel, dass die während der 40-jährigen Wüstenwanderung geborenen Männer nicht beschnitten waren. Dieses Brauchtum blieb umstritten, und zwar bis zur Zeit der Bibeldichter in der Epoche des Zweiten Tempels. Die Bibelschreiber flochten auch die religiös-gesellschaftlichen Spannungen ihrer Gegenwart in den Text ein. „Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein“, heißt es in Deuteronomium 10, 16. Die Botschaft ist eindeutig: Die Beschneidung – als Gebot, nicht als Ritual – ist rein symbolisch, nicht körperlich zu verstehen. Die Bestätigung folgt bei Jeremias 4, 4: „Beschneidet euch für den Herrn und entfernt die Vorhaut eures Herzens.“ Womit wir zu der für die meisten wohl unerwarteten Brücke vom Jüdischen zum Christlichen Testament gelangen, zu Paulus (Römer 2,25): „Die Beschneidung ist nützlich, wenn du das Gesetz befolgst; übertrittst du jedoch das Gesetz, so bist du trotz deiner Beschneidung zum Unbeschnittenen geworden.“ Sollte nicht auch diese paulinische Variante von Juden bedacht werden? Beschneidung sei „was am Herzen durch den Geist, nicht durch den Buchstaben geschieht.“ Nicht die Beschneidung macht den Juden. Der jüdische Pharisäer Paulus mahnt (1 Kor 7, 19): „Es kommt nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, die Gebote Gottes zu halten.“ Das war nicht nur paulinische Mission, sondern im ersten Jahrhundert nach Christus rabbinisch talmudische Diskussion um die Circumcision. Ihren Ausgang kennen wir. Beschneidung? Ja! Doch die Rabbinen waren gespalten. In einer kommentierenden Erzählung lassen sie Gott und Abraham über das Pro und Contra diskutieren. Historisch einwandfrei belegt ist zudem, dass Juden außerhalb Judäas bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert von Konvertiten keine Beschneidung verlangten. Sie wurden – getauft. Die Wissenschaft streitet darüber, ob die Taufe die Beschneidung ersetzte – was anzunehmen ist. Die Taufe ist kein urchristlicher, sondern ein älterer, auch jüdischer Brauch. Man bedenke, dass Johannes der Täufer Jude war und den Juden Jesus im Jordan taufte. Erst das von Kaiser Hadrian um 130 n. Chr. verhängte Beschneidungsverbot verwandelte das innerjüdisch nicht unumstrittene Beschneidungsbrauchtum in ein scheinbar unumstößliches Gesetz. Ja, so viel Judentum steckt im Christentum und so viel Christentum im Judentum. Vielleicht hilft diese Einsicht zu einer Versachlichung der Diskussion sowie zu jüdischer und christlicher Selbstkenntnis, Selbstbesinnung, Selbstbestimmung. Der Autor ist Professor i. R. an der Bundeswehruniversität München und Autor verschiedener Bücher wie „Juden und Christen“ dent: Dr. Richard Herzinger Korrespondent Kultur/ Gesellschaft: Eckhard Fuhr Korrespondent Norddeutschland: Ulrich Exner Leitender Redakteur Zeitgeschichte: Sven Felix Kellerhoff Ständige Mitarbeit: Prof. Michael Stürmer CvD Produktion: Patricia Plate, Stv. Dr. Jörg Forbricht Foto: Michael Dilger, Stv. Kirsten Johannsen, Stefan A. Runne Grafik: Karin Sturm Auslandskorrespondenten: Brüssel: Stefanie Bolzen, Florian Eder Istanbul: Boris Kalnoky Jerusalem: Michael Borgstede Kapstadt: Christian Putsch London: Thomas Kielinger, Tina Kaiser (Wirtschaft) Madrid: Ute Müller Moskau: Julia Smirnova New York: Martin Greive Paris: Dr. Sascha Lehnartz Peking: Johnny Erling Prag: Hans-Jörg Schmidt Rom: Paul Badde Singapur: Sophie Mühlmann