Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am Beispiel - VIAS-arch

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Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am Beispiel - VIAS-arch
Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am Beispiel von Grab 298 des
awarischen Gräberfeldes von Frohsdorf, NÖ
Zum archäologischen Kontext, Befund und der Interpretation
GABRIELE SCHARRER-LIŠKA1 & ANNE-KATHRIN KLATZ2
1
Interdisziplinäre Forschungsplattform Archäologie (VIAS), Univ. Wien, Franz Kleingasse 1,
A-1190 Wien, +43-(0)1-4277-40303, [email protected]
2
Österreich, Steiermark, +(43)-(0)664-1322114, [email protected]
Fundort
Das awarische Gräberfeld von Frohsdorf (MG Lanzenkirchen, VB Wr. Neustadt) befindet sich im südlichen
Wiener Becken, dem Steinfeld, westlich der Leitha an der Grenze zum Rosaliengebirge. Es liegt auf einer
Flussterrasse der Leitha. Der Bereich des Gräberfeldes und seine Umgebung waren ehemals von Altarmen
des Flusses durchzogen und zählten zu dessen Überschwemmungsgebiet. In die dadurch entstandenen Ablagerungen, welche aus Grobkies- und Sandschichten über Konglomerat bestehen, wurden die Gräber eingetieft.
Fundgeschichte
Die Fundstelle wurde im Mai 2000 bei luftbildarchäologischen Prospektionsflügen entdeckt. Wie anhand der
Luftbilder erkennbar, zieht sich das Gräberfeld mit einer Längserstreckung von etwa 100m von Nordosten
nach Südwesten und misst an seiner breitesten Stelle ca. 60m. Insgesamt erstreckt es sich über eine Fläche
von ca. 4000m². Aufgrund der luftbildarchäologischen Interpretation (Doneus & Scharrer 2003) und der
bisherigen Grabungsergebnisse sind in dieser Fläche ca. 600 Körpergräber zu erwarten.
Aufgrund der im Luftbild erkennbaren Gräberfeldstruktur und siedlungsarchäologischer Vorarbeiten (Kühtreiber 1993, 61ff) im Umland der Fundstelle war ein awarischer oder slawischer Bestattungsplatz zu erwarten. Erste kleinflächige Verifizierungsgrabungen 2001 und 2002 (Daim & Scharrer 2001; Daim & Scharrer
2002) ergaben eine der awarischen Kultur zuzuordnenden Fundstelle. Im Rahmen eines vom FWF finanzierten Forschungsprojektes (P16593) konnte 2004–2006 ungefähr die Hälfte des Gräberfeldes ausgegraben
werden (Scharrer-Liška 2005; Scharrer-Liška 2006; Scharrer-Liška 2007). Die verbleibenden Bestattungen
sollen 2009–2011 im vom FWF finanzierten Nachfolgeprojekt (P21181) untersucht werden. Die bisher ausgegrabenen Befunde sind hauptsächlich in das 8. bis in das frühe 9. Jahrhundert zu datieren.
Der archäologische Befund von Grab 298
Grab 298 befand sich ungefähr in der Mitte des Gräberfeldes, war 2,50m lang, 0,80m breit, 1,90m tief und
enthielt eine NW-SO orientierte Bestattung eines ca. 30–40 Jahre alten Mannes in einem Holzsarg. In der
Ostecke der Grabgrube, direkt auf dem Sarg, war ein Hund deponiert. Das Skelett des Bestatteten befand
sich in gestreckter Rückenlage, die Arme lagen parallel zum Oberkörper. Der Tote war unter anderem mit
bronzenen Fingerringen, Pfeilspitzen (vermutlich in einem Köcher), einer vielteiligen, gegossenen Gürtelgarnitur mit Greifenmotiv und Speisebeigaben in Form von Geflügel und Eiern ausgestattet. Aufgrund der
Grabausstattung kann die Bestattung in die Periode SPA II datiert werden.
Im Beckenbereich bzw. Bereich der Gürtelgarnitur (Abb. 1) waren Textil- und Lederfragmente in größerem
Umfang erhalten. Um ein Maximum an Informationen zu gewinnen, wurde der Beckenbereich im Block
geborgen und in der Restaurierungswerkstatt dokumentiert.
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Abbildung 1
Zum Erhaltungszustand der Textil- und Lederfragmente
Die in Grab 298 in Frohsdorf größeren Mengen Textil und Lederreste waren sehr fragil. Sie lagen lose oder
an Metallfunden anhaftend vor und waren daher größtenteils mineralisiert. Die Faserstruktur der Leder- und
Textilfragmente war dadurch weiterhin erkennbar, die ursprüngliche Elastizität hingegen nicht mehr vorhanden (Klatz 2009).
Zum Forschungsstand awarenzeitlicher Textil- und Lederfragmente
Aus Ungarn, der Slowakei und Österreich liegen bisher ca. 60000 awarische Grabinventare vor (Szentpéteri
2002). Vielfach finden sich darin Textil- und/oder Lederfragmente. Aufgrund des oft sehr schlechten Erhaltungszustandes dieser organischen Funde ging deren Auswertung über die Feststellung ihrer Existenz bisher
kaum hinaus. Eine systematische Aufarbeitung oder gar ihre Publikation ist weitgehend ausständig.
Sofern Analysen von Textilfragmenten aus awarenzeitlichen Gräbern vorliegen, beschränken sie sich vorwiegend auf die Bestimmung der Gewebeart, selten auch der Faserart. Die Ergebnisse dieser wenigen
Untersuchungen zeigen Gewebe in Leinwandbindung und mehrheitlich die Verwendung pflanzlicher Fasern
(Grömer & Müller 2008). Der Forschungsstand zu awarenzeitlichen Lederfragmenten ist noch schlechter als
jener zu Textilfragmenten und es liegen keine Publikationen vor.
Sowohl im Falle von Textil- wie auch Lederfragmenten stellt sich die Frage nach Rohmaterial und Verarbeitung sowie deren Funktion.
Textilfragmente aus Grab 298 in Frohsdorf
Die Textilfragmente liegen in unterschiedlichen Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. An diesen Zustandstypen wurden Fadendichte, -drehung und -stärke sowie die Webart bestimmt. Dies sind die Kriterien für die Definition von Textiltypen.
In Grab 298 konnten vier Textiltypen – je zwei Leinwandgewebe und Köpergewebe in je einer feineren und
gröberen Ausführung – festgestellt werden. Dabei fällt auf, dass feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) (Abb.
2) sehr häufig und als körpernahe Textillage, direkt auf dem Knochen bzw. an der Beschlagunterseite vor-
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kommen. Gröbere Leinwandgewebe (Textiltyp 3) (Abb. 4) kommen deutlich seltener vor und haften – soweit bestimmbar – an der Schauseite von Beschlägen an. Zudem ließ sich mehrfach eine Kombination von
Textiltyp 3 mit Laub beobachten. Eine mögliche Interpretation der Fundsituation ist, dass der Tote innerhalb
des Sarges auf einer Laubschicht lag. Hinsichtlich des feinen (Textiltyp 2) (Abb. 3) und groben (Textiltyp 4)
(Abb. 5) Köpers ist zu bemerken, dass Textiltyp 4 ebenfalls als an der Schauseite von Beschlägen anhaftend
beobachtet wurde.
Bei einer Probe des Textiltyps 3 konnte Alizarin als roter Farbstoff ermittelt werden. Weiter wurde festgestellt, dass alle untersuchten Textilien (Proben von Textiltyp 1, 2 und 3) aus pflanzlichen Fasern hergestellt
wurden. Bei Textiltyp 3 konnten diese noch eingeschränkt werden, es handelt sich um Flachs- bzw. Hanffasern.
Abbildung 2 (Rastergröße 1mm)
Abbildung 3 (Rastergröße 1mm)
Abbildung 4 (Rastergröße 1mm)
Abbildung 5 (Rastergröße 1mm)
Lederfragmente aus Grab 298 in Frohsdorf
Wie die Textilreste liegt auch Leder in verschiedenen Zustandstypen vor, die von nicht mineralisiert bis mineralisiert reichen. Dennoch gibt es einige vage Hinweise auf die Verwendung von Rinds- oder Kalbsleder.
Manchmal lassen sich Hinweise zur ursprünglichen Form des Leders feststellen. So sind z.B. Ränder und/
oder parallel dazu verlaufenden Lochreihen erkennbar (Abb. 6). In diesen Fällen handelt es sich höchstwahrscheinlich um Lederriemen des Gürtels (Klatz 2009).
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Abbildung 6a
Abbildung 6b (Rastergröße 1mm)
Zur Rekonstruktion awarischer Kleidung
Zur Rekonstruktion awarischer Kleidung können Schriftquellen, ikonographische und archäologische Quellen herangezogen werden. Die ersten beiden sind selten und verfolgen bestimmte Intentionen. Die wenigen
bildlichen Darstellungen (Nagyszentmiklós, Mödling) von Awaren zeigen Krieger, die Hosen, Wadenbinden
und hüft- bis knielange, kaftanartige Jacken tragen. Insgesamt weisen diese Darstellungen auf eine mehrlagige Kleidung hin.
Hinweise auf diese Mehrlagigkeit der Kleidung ergeben sich auch aus archäologischen Funden. So liegen im
Fall von Grab 298 in Frohsdorf grobe Gewebe in Leinwandbindung (Textiltyp 3) meist direkt an der Schauseite der Gürtelbeschläge auf, was für eine Interpretation als Obergewand spricht (auch wenn eine Deutung
als Leichentuch nicht völlig auszuschließen ist). Weitaus häufiger auftretende feine Leinwandgewebe (Textiltyp 1) finden sich hingegen in der Regel an der Unterseite der Beschläge bzw. direkt am Knochen aufliegend, was eine Interpretation als Untergewand erlaubt.
Ausblick
Die Analyseergebnisse organischer Fragmente aus Grab 298 in Frohsdorf zeigen das Potential und damit
die Notwendigkeit von Untersuchungen von Leder- und Textilfragmenten. Die systematische Aufarbeitung
vorhandener Funde sowie besonderes Augenmerk darauf im Rahmen neuer Grabungen lassen nähere Aufschlüsse zu awarenzeitlicher Kleidung – ein Thema, das bislang wenig beachtet wurde – erwarten. Darüber
hinaus scheinen Erkenntnissen zu Bestattungsritualen möglich. Ist die Laubschicht, auf der der Tote lag
Zufall oder Absicht? Weitere Befunde und Funde werden dazu möglicherweise Aufschlüsse liefern.
Zusammenfassung
Grab 298 des awarischen Gräberfeldes von Frohsdorf enthielt die Bestattung eines ca. 30-40 Jahre alten
Mannes, der mit einer vielteiligen, gegossenen Gürtelgarnitur ausgestattet war, welche in die zweite Hälfte
des 8. Jahrhunderts datiert werden kann. Im Gürtelgarniturbereich waren Textil- und Lederfragmente in größerem Umfang erhalten, die höchstwahrscheinlich Bestandteile der Kleidung waren und detailliert untersucht wurden.
Textil- und/oder Lederfragmente finden sich vielfach in awarischen Gräbern. Aufgrund ihres oft sehr
schlechten Erhaltungszustandes sind systematische Aufarbeitungen und Publikationen weitgehend ausständig. Sowohl im Falle von Textil- wie auch Lederfragmenten stellt sich jedoch die Frage nach deren
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Rohmaterial, Verarbeitung und Funktion.
Die Textilfragmente aus Grab 298 liegen in verschiedenen Zustandstypen vor (nicht mineralisiert bis mineralisiert), an welchen Fadendichte, -drehung und -stärke sowie Webart bestimmt wurden. Anhand dieser
Kriterien wurden vier Textiltypen – je zwei Leinwandgewebe und Köpergewebe – definiert, welche auf eine
Mehrlagigkeit der Kleidung schließen lassen. Zudem gibt es Hinweise auf die Verwendung pflanzlicher
Fasern. Auch die Lederfragmente liegen in verschiedenen Zustandstypen vor. Anhaltspunkte zur ursprünglichen Form des Leders lassen auf die Verwendung als Gürtel schließen, wofür vermutlich Rinds- oder
Kalbsleder verarbeitet wurde. Die systematische Aufarbeitung solcher Funde lassen nähere Aufschlüsse zu
awarenzeitlicher Kleidung – ein Thema, das bislang wenig beachtet wurde – erwarten.
Abstract
Grave 298 of the Avar graveyard of Frohsdorf, the inhumation burial of an approx. 30-40 year-old man who
was equipped with a belt set, consisting of a belt buckle, various strap-ends and other mountings, can be dated in the 2nd half of the 8th century. In the belt set area textile fragments and leather fragments were preserved to a bigger extent. They were most probably components of the clothes and were examined in detail.
Textile fragments and/or leather fragments are often found in Avar graves. According to their usually bad
condition systematic examination and publications are rare. Nevertheless in case of textile fragments as well
as leather fragments there are questions concerning raw material, processing and function.
The textile fragments from grave 298 are preserved in different state types (not mineralized to mineralized).
Thread density, thread rotation and thread strength as well as weave were determined. With the help of
these criteria four textile types (two canvas fabrics and two twill fabrics) were defined. The fabrics allow
the conclusion that Avar clothing consisted of different layers. The identified fibres are usually plant fibres,
presumably flax. Also the leather fragments are preserved in different state types. Different hints allow the
conclusion, that the leather was used as a belt for which presumably cattle leather was processed.
Systematic examination of textile- and leather finds – a subject which was neglected up to now – allow expecting new knowledge on Avar clothing.
Literatur
Daim F. & Scharrer G. 2001, Frohsdorf, Fundberichte aus Österreich 40, 683.
Daim F. & Scharrer G. 2002, Frohsdorf, Fundberichte aus Österreich 41, 691–692.
Doneus M. & Scharrer G. 2003, Archaeological feedback of arial archaeological interpretation of an Early Medieval graveyard at
Frohsdorf, Lower Austria, Archaeologia Polona 41, 146–149.
Grömer K. & Müller S. 2008, Textiles from the Avar graveyard Zwölfaxing II, Austria, Archaeological Textiles Newsletter 46,
17–21.
Kühtreiber Th. 1993, Siedlungsarchäologische Aspekte im südöstlichen Niederösterreich von der römischen Kaiserzeit bis zum
Spätmittelalter, ungedruckte Proseminararbeit Univ. Wien.
Klatz A.-K. 2009, Awarenzeitliche Textil- und Lederfragmente am Beispiel von Grab 298 des awarischen Gräberfeldes von Frohsdorf, NÖ. Zu den Untersuchungen und der Methode der Erfassung, in diesem Band.
Scharrer-Liška G. 2005, Frohsdorf, Fundberichte aus Österreich 43, 954–957.
Scharrer-Liška G. 2006, Frohsdorf, Fundberichte aus Österreich 44, 582–584.
Scharrer-Liška G. 2007, Frohsdorf, Fundberichte aus Österreich 45, 716–718.
Szentpéteri J. 2002, Archäologische Denkmäler der Awarenzeit in Mitteleuropa, Varia Archaeologica Hungarcia 13, Budapest.
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