argumente 2/2009
Transcrição
argumente 2/2009
ARGUMENTE 2/2009 ARGUMENTE 2/2009 Feminismus Feminismus Bei Unzustellbarkeit wegen Adressänderung erfolgt die Rücksendung an den Herausgeber unter Angabe der gültigen Empfängeranschrift Postvertriebsstück G 61797 Gebühr bezahlt Juso-Bundesverband Willy-Brandt-Haus, 10911 Berlin April 2009 ISSN 1439-9784 Gefördert aus Mitteln des Bundesjugendplanes IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 1 ARGUMENTE 2/2009 Feminismus Impressum Herausgeber Bundesverband der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD beim SPD-Parteivorstand Verantwortlich Franziska Drohsel und Katrin Münch Redaktion Simone Burger, Kai Burmeister, Ralf Höschele und Robert Spönemann Redaktionsanschrift SPD-Parteivorstand, Juso-Bundesbüro, Willy-Brandt-Haus, 10911 Berlin Tel: 030 25991-366, Fax: 030 25991-415, www.jusos.de Verlag Eigenverlag Druck Druckhaus Dresden GmbH Die Artikel geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder. ..........4 ..........7 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 2 INHALT Intro – I’m not here for your entertainment!............................................................4 Von Simone Burger, stellv. Juso-Bundesvorsitzende Magazin Feministischer Richtungsverband .............................................................................6 Von Sonja Pellin und Katie Baldschun, stellv. Juso Bundesvorsitzenden Immer wieder für Gleichheit und Freiheit. Eine kleine Geschichte der Frauenbewegung .........................................................9 Von Beate Schmid-Janssen, Historikerin LV Hamburg Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. ...............12 Von Katharina Oerder, Juso UB-Vorsitzende Bonn Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming...........................17 Von Lissy Gröner, Europaabgeordnete und Koordinatorin im Frauenausschuss des Europaparlaments für die Sozialdemokratische Fraktion Europa (SPE) Weil wir Mädchen sind...10 Fakten zur internationalen Situation von Frauen .....21 Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende .......22 idat .......26 2 Inhalt Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 3 Schwerpunkt „The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Oder: Warum Frauen auch zum 90. Geburtstag des Frauenwahlrechts noch weit von Gleichstellung entfernt sind. ..........................................................22 Von Claudia Bogedan, Referat Arbeitsmarktpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung Lieber Zicke als Freiwild..........................................................................................28 Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende Frauen und Familie..................................................................................................31 Von Hilde Mattheis, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstands Und ewig währt die Quotendiskussion..................................................................34 Von Ariane Giesler und Jennifer Rodenbeck, Landesverband Berlin Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen............................................................38 Von Daniel Hard, Jusos Rheinland-Pfalz Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos...............................................44 Von Katrin Münch, Bundesgeschäftsführerin der Jusos, und Sonja Pellin, stellv. Juso- Bundesvorsitzende Ihr Alphamädchen...so kommen wir auch nicht weiter!.........................................47 Von Antje Trosien (39), aus Hersbruck, war von 2001 bis 2005 stv. Juso-Bundesvorsitzende und arbeitet als Gewerkschaftssekretärin am Bodensee. Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur ........50 Von Mithu Sanyal, Autorin von Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ – August Bebel ..............53 Über Haupt- und Nebenwidersprüche... auf dem Weg zur Emanzipation Von Karin Luttmann, Vorsitzende der ASF Dresden und Tamara Breitbach, Sprecherin der Jusos Trier 3 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 4 I’M NOT HERE FOR YOUR ENTERTAINMENT! Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende In bestimmten Wellen entdeckt das Feuilleton immer wieder aufs Neue – uns Frauen und vor allem die Frage der Gleichberechtigung. Egal ob das SZ-Magazin warnt, dass erfolgreiche Frauen keinen Partner finden. Oder ob die „neuen Übermütter“ Thema sind und die Überforderung der „OttoNormal-Mutter“ ohne Kindermädchen. Mal freundlich, mal mehr als feindlich – die wahren Opfer dieser Zeit sind nun mal die Männer und die müssten jetzt endlich gefördert werden. Dabei zeigt sich bei all den Wellen eine erstaunliche Kontinuität – die Debatte bewegt sich nicht weiter. Die Versatzstücke bleiben dieselben. Gibt jemand das Versprechen ab, dass Feminismus und Glamour oder wahlweise auch Feminismus und Waffen zusammen gehen, wird das freudig aufgenommen und diskutiert. Auch der Feminismus braucht ein Stück Sexiness, um sich in den Medien 4 Intro Argumente 2/2009 wieder zu finden. Der öffentliche feministische Diskurs wird zu einem wohldosierten Brei, aus Sex, persönlicher Betroffenheit und der im Alltag immer wieder erlebten Ungerechtigkeit, der auch ohne Probleme in der Gala veröffentlicht werden kann. Provokationen kommen in diesem Diskurs oftmals von Frauen, die niemand verdächtigen würde Feministinnen zu sein: „Ich habe viel Arbeit in meinem Körper gesteckt damit er so aussieht. Eine Schwangerschaft würde alles kaputt machen.“ Mariah Carey Denn trotz der ausgerufenen Tabulosigkeit, bleiben viele Tabus unangetastet. Nämlich die negativen Seiten. Seit in den 90er Jahren „mit weil ich ein Mädchen bin“ die Vorteile eine Frau zu sein in den Vordergrund gestellt wurden – wird alles in wunderschöne comichafte Farben getaucht und weichgezeichnet: • Alle Feministinnen sind heute hübsch – was ist mit all den Frauen passiert, die IH_Argumente_2_09 • • 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 5 nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen? Wann hat eine Frau zum letzten Mal gesagt, dass sie unter keinen Umständen ein Kind will? Ständig wird davon gesprochen, dass Feminismus Spaß machen muss (Es ist nicht meine Revolution, wenn ich nicht dazu tanzen kann) – wann hat jemand mal wieder gesagt, dass Feminismus eine ernste Angelegenheit ist (die Zahlen verleiten eigentlich nicht zum Lachen)? Unausgesprochen – denn heute betonen alle, wie wichtig die frühere Frauenbewegung war – wird dennoch versucht, sich von ihnen abzugrenzen. Nur nicht in den Verdacht geraten, zu denen zu gehören. Man will nicht die Zicke in diesem Spiel sein. Das neue Versprechen ist: du kannst auch Feministin sein, ohne zur Außenseiterin, zur Spinnerin zu werden. Doch Feminismus ist vor allem eins – ein Kampf um Macht. Wer die Gleichstellung der Geschlechter will, muss den Männern ein Stück davon wegnehmen, und das wird nicht einfach und nicht schmerzfrei. Und bei all dieser Hippness, die einem da entgegen strahlt, wenn man mal zur Recherche das Wort Feminismus bei google eingibt, wird es vielleicht Zeit für neue Statements: Ich möchte grantig, zornig und hässlich sein! Ich werde auch an der Revolution arbeiten, wenn im Hintergrund Karl Moik singt – von so etwas lass ich mich doch nicht abbringen! Du bist unzufrieden mit der Analyse bis jetzt? Das ist gut so, denn du stehst gerade erst am Anfang dieses Argumente- Hefts. Dies ist das Editorial und wie wikipedia berichtet: „In angelsächsischen, besonders amerikanischen Medien gibt das Editorial meist dezidiert die Meinung der oder des Herausgeber(s) und/ oder der Chefredaktion wieder,...“ In diesem Fall meine Meinung. Bilde dir deine eigene! Auf den nun folgenden Seiten haben wir versucht, unterschiedliche Vertreterinnen und Vertreter des Feminismus zu Wort kommen zu lassen, um damit auch die Pluralität der unterschiedlichen feministischen Entwürfe im Verband wieder zu spiegeln. Wir wollten noch einmal genauer hinschauen: Wie sieht es aus mit dem feministischen Richtungsverband bei den Jusos und was macht die Quote? Welche feministischen Theorien gibt es? Was bewegt sich auf europäischer und internationaler Ebene? Erzielt die Gleichberechtigung in Punkto Arbeitsmarkt, Familie und Sexualität Fortschritte? Wo stehen wir eigentlich und was müssen wir noch erkämpfen? Beim Feminismus geht es aber nicht nur um die Theorie, sondern (auch) um die Praxis. In diesem Argumente-Heft findest du deshalb zwei Artikel zum Thema Gender Training und zur Arbeit im Verband. Wir wollten aber auch aktuelle Diskussionen aufgreifen: Welche Ansichten gibt es zu den Alphamädchen? Gibt es Neuigkeiten im Bereich Kultur? Wie sieht es aus im Verhältnis zwischen Mann und Feminismus? . Dann bleibt mir nur eins übrig, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen! 5 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 6 FEMINISTISCHER RICHTUNGSVERBAND Von Sonja Pellin und Katie Baldschun, stellv. Juso Bundesvorsitzenden Magazin „Unter Feminisierung verstehen wir, Frauenpolitik zum integralen Bestandteil jedes Politikfeldes zu machen, die Zusammenarbeit mit der Frauenbewegung zu suchen und in der Verbandsreform den frauenorientierten Umbau zu bewerkstelligen, der Frauen eigene Zugänge und bessere Eingriffschancen in die Politik des Verbandes ermöglicht.“ Aus der Potsdamer Grundsatzerklärung der Jusos, 1991 Richtungsverband nicht zur Worthülse verkommen zu lassen. Die Realitäten im Verband zeigen, dass häufig weder Feminismus als politischer Ansatz noch das Problem der geringeren Repräsentanz von Frauen in der Struktur der Gliederungen als Arbeitsfeld, geschweige denn als Schwerpunkt, definiert werden. Feministischer Richtungsverband im 21. Jahrhundert – welche Ansprüche verbergen sich dahinter, und sind oder werden sie in der Realität eingelöst? Jusos sind ein feministischer Richtungsverband. Der Satz ist wahr und beschreibt nach wie vor das Selbstverständnis des gesamten Verbandes. Wahr ist, dass sich der Juso-Bundesverband seit der Potsdamer Grundsatzerklärung von 1991 in vielen Teilen weiterentwickelt hat. Vieles, was damals noch erkämpft und durchgefochten werden musste, ist heute – fast immer – selbstverständlich. Wahr ist allerdings auch, dass es eine konstante Herausforderung bleibt, die Aussage über den feministischen Richtungsverband – Perspektive und Richtung bestimmen 6 Feministischer Richtungsverband Argumente 2/2009 Feministischer Richtungsverband zu sein, heißt für uns Jusos, die Verhältnisse in der Gesellschaft aus feministischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Feminismus ist dabei für uns eine Theorie, die alle Bereiche des Menschlichen betrifft und den patriarchalen Gehalt aller gesellschaftlichen Entwicklungen aufdeckt und kritisiert. Feminismus heißt damit also Wissenschafts- IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 7 und Kulturkritik – an Sexismus und Patriachat. Feminismus heißt dabei aber auch, Gegenentwürfe anzubieten und die Ungleichbehandlung der Geschlechter abzuschaffen. Die Forderung nach gleichen Rechten für Frauen und Männer ist schon über hundert Jahre alt. Doch die Machtverhältnisse sind auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch ungleich zugunsten der Männer verteilt. Die zentralen Positionen von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht sind ganz überwiegend von Männern besetzt, und das gilt auch bei globaler Betrachtung in der Regel ganz unabhängig von Staatsform und Wirtschaftsweise. Auch in Gesellschaften, in denen Frauen formal die gleichen Rechte haben wie Männer, ist echte Gleichstellung noch nicht erreicht. Dass wir noch in einer männlich strukturierten Gesellschaft leben, zeigt sich auf vielen Ebenen: Daran, welchen Anteil Frauen an leitenden Positionen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und an sonstigen gesellschaftlich relevanten Stellen haben. Daran, dass eine Lücke in der Entlohnung von Männern und Frauen klafft und überdurchschnittlich häufig Frauen in prekärer Beschäftigung arbeiten. Daran, dass Erwerbsund Familienarbeit ungleich verteilt ist und die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf überwiegend von Frauen gelöst werden muss. Daran, wie Steuer- und Sozialsystem ausgestaltet sind. Und daran, dass vor allem Frauen Opfer von Gewalt und Unterdrückung sind. Feministisch zu sein heißt für uns, diesen Zustand und diese Struktur zu überwinden: Wir erstreben eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleich, frei und solidarisch miteinander leben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt, in der alle Menschen die gleiche Freiheit le- ben können. Die Gleichheit der Geschlechter ist dabei für uns die grundlegende Idee einer auf Emanzipation angelegten Strategie, in der viele Lebensentwürfe möglich sind. Nur die Gleichheit von Lebenschancen und Voraussetzungen schafft erst die Bedingung, um Verschiedenartiges leben zu können. Frauenpolitik auf jedem Politikfeld Solange echte Gleichstellung nicht erreicht ist, hat Frauenpolitik als eigenes Politikfeld nicht nur eine Daseinsberechtigung, sondern sie ist unverzichtbar. Zugleich ist für jeden Politikbereich und jede politische Handlung die Frage entscheidend, inwieweit patriarchale Strukturen dadurch gefestigt werden bzw. ob und wodurch sie aufgebrochen werden und werden können. Wenn wir unsere Vorstellungen von Guter Arbeit und Ausbildung entwickeln, dann sind ein geschlechtergerechter Arbeitsmarkt und diskriminierungsfreie Arbeitsverhältnisse notwendige Bestandteile. Wenn wir die Zukunft der Sozialsysteme reden, dann wollen wir unter der Perspektive der Gleichstellung vor allem die Abhängigkeit der Frauen von den Männern bei der Frage der Absicherung abschaffen. Wenn wir das Bildungssystem in den Blick nehmen, fordern wir eine frühkindliche, schulische und berufliche Bildung, in der Schluss ist mit Rollenbildern und ihren Fortschreibungen. Kurzum: Feministischer Richtungsverband zu sein heißt, in jedem Politikbereich die Frauenfrage zu stellen. Frauenorientierter Umbau Feministischer Richtungsverband heißt, den frauenorientierten Umbau zu wollen. Wir fangen damit im eigenen Verband an. 7 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 8 Die Zahlen der letzten Jahre zeigen: Wir könnten damit schon weiter sein. Denn sowohl im Hinblick auf die Mitgliederzahl als auch auf die Führungspositionen ist der Verband in der Gesamtschau männlich geprägt. An vielen Stellen entwickelt sich etwas, so zeigt etwa ein Geschlechter-Rotations-System auf dem Vorsitzposten Wirkung. Das Mentoring-Programm, von der Bundesebene im Jahr 2006 aufgelegt, wird auch auf anderen Gliederungsebenen umgesetzt und weiterentwickelt. In vielen Bezirken und Landesverbänden wird regelmäßig zu frauen- und gleichstellungspolitischen Themen getagt, und es gibt feste Institutionen und Programme (Gender- und Gleichstellungsarbeitskreise, Frauen- und Sexismuskommission, Frauennetzwerk, Mentoringprogramm). Gleichstellungsberichte zeigen auf Bundesebene Erfolge und Schwachstellen auf, etwa auch bezüglich der Beteiligung von Frauen an Veranstaltungen. An diesen Schwachstellen gilt es weiter zu arbeiten, denn sie zeigen, dass wir unser Ziel noch nicht erreicht haben. Wir machen weiter, denn eines haben die Jahre (auch seit der Grundsatzerklärung) vor allem für den frauenorientierten Umbau gezeigt: Nachlassen kommt nicht in Frage. Doppelstrategie Unsere Verbündeten finden wir überall da, wo die Frauenfrage das politische Handeln mitbestimmt. Deshalb spielt auch für unseren feministischen Diskurs und unsere frauenpolitischen Vorhaben die Doppelstrategie eine wichtige Rolle. Denn wir wollen Anstöße aus den gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, gewerkschaftlichen und kulturellen Debatten aufnehmen und (gemeinsam) weiterentwickeln. Und wir tragen 8 Feministischer Richtungsverband Argumente 2/2009 unsere Forderungen gemeinsam mit unseren PartnerInnen in die Sozialdemokratie hinein, um daraus konkrete Politik zu machen und Gesellschaft zu verändern. Für uns gilt noch immer: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. . IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 9 IMMER WIEDER FÜR GLEICHHEIT UND FREIHEIT. EINE KLEINE GESCHICHTE DER FRAUENBEWEGUNG Von Beate Schmid-Janssen, Historikerin LV Hamburg Magazin Die Forderungen nach Gleichheit und Freiheit ziehen sich durch die verschiedenen Stränge einer Geschichte der Frauenbewegung, wie sie heute vorrangig dargestellt wird. So verwundert es nicht, wenn ihr ideengeschichtlicher Ursprung eng mit der Französischen Revolution und der Zeit der Aufklärung verbunden ist. In deren Kontext forderten Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouges als prominenteste Vertreterinnen Ende des 18. Jahrhunderts die Gültigkeit der Revolutionsforderungen Gleichheit und Freiheit auch für Frauen. Der Blick auf Deutschland Den Beginn der deutschen praxisgeschichtlichen Frauenbewegung markiert die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) 1865. Bis 1933 wird von der ersten Frauenbewegung gesprochen, wobei sich eine bürgerliche von einer pro- letarischen Frauenbewegung unterscheiden lässt. 1968 gilt als das Geburtsjahr der Neuen oder zweiten Frauenbewegung. Die Darstellung ihrer Ausprägungen und ein Blick auf die ostdeutsche Frauenbewegung schließen diesen knappen Überblick ab. Die erste Frauenbewegung Als Protagonistin der ersten Frauenbewegung, die im Zusammenhang mit der 1848er Revolution entstand, ist Louise Otto-Peters zu nennen. Sie verschaffte sich ab 1849 mit ihrer „Frauen-Zeitung“ Gehör und wurde 1865 erste Vorsitzende des ADF. Mit dem Ruf nach Gerechtigkeit und Freiheit für alle BürgerInnen begründeten die AnhängerInnen des Vereins eine ihrer obersten Forderungen: das Recht auf Arbeit und auf bessere Bildung. Hier wird klar, dass der ADF eine Stimme der Frauen der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht war, denn für Fabrikarbeiterinnen, Köchinnen und Dienstmädchen stellte sich 9 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr die Frage nach dem Recht auf Arbeit nicht. Sie hatten keine andere Wahl. Doch darüber hinaus hatte die bürgerliche Frauenbewegung auch Ziele, die mit denen der proletarischen Bewegung übereinstimmten: die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zum Beispiel. Als Dachverband der Frauenvereine wurde 1894 der „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) gegründet. Die Mitgliederzahl des BDF schwoll um 1900 auf 70.000 und bis zum Ersten Weltkrieg auf 250.000 an. Das Jahr 1908 kann als erster Wendepunkt bezüglich der politischen Beteiligung gelten, denn von da an galt die Vereinsfreiheit auch für Frauen. Damit konnten Frauen Parteimitglieder werden – jedoch ohne aktives und passives Stimmrecht. Die Haltung des BDF zum politischen Wahlrecht war lange Zeit zurückhaltend. Vom radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung schon länger gefordert, äußerte der BDF erstmals 1917 lautstark die Forderung nach einer vollen politischen Mitbestimmung für Frauen. Vertreter der SPD und der USPD waren es, die nach Kriegsende am 12.11.1918 per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das Frauenwahlrecht einführten. In der Weimarer Verfassung hatten Männer und Frauen dann gleiche Rechte und Pflichten. Die proletarische Frauenbewegung Im Unterschied zur bürgerlichen Bewegung verfolgte die proletarische Frauenbewegung als Teil der sozialistischen Bewegung keine Reformen der bestehenden Verhältnisse, sondern ihre Revolution. Clara Zetkin und Emma Ihrer sind herausragende Frauen dieses Teils der ersten Frauenbewegung, die aus einer anderen Perspektive für das „Recht auf Arbeit“ für Frauen inner- 10 Seite 10 halb der ArbeiterInnenbewegung kämpfen mussten. Frauen wurden durchaus auch als konkurrierende Arbeitskräfte gesehen, ein Verbot der Arbeit war mit der Aussicht der Lohnverbesserung für Männer verbunden. Zudem waren bürgerliche Familienvorstellungen auch innerhalb der ArbeiterInnenschaft verbreitet. Die proletarische Frauenbewegung hatte also sowohl nach innen, als auch nach außen zu kämpfen. Rückenwind erhielt die feministische ArbeiterInnenbewegung durch das 1878 erschienene Buch August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“, in dem er sowohl der Lohn- als auch der „Geschlechtssklaverei“ den Kampf ansagte. Die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschärfenden Auseinandersetzungen innerhalb der ArbeiterInnenbewegung um Reformismus und Krieg spaltete auch die proletarische Frauenbewegung. Der Anteil der Frauen in der kommunistischen Partei blieb gering, die sozialdemokratischen Frauen blieben in ihrer Tätigkeit meist auf die Wohlfahrtspflege beschränkt. Die Zeit des Nationalsozialismus Lange Zeit wurde postuliert, dass der patriarchalische Nationalsozialismus die Frauenbewegung unterdrückt habe. Erst mit einer späten wissenschaftlichen Aufarbeitung seit Mitte der 1980er hat sich dieses Bild gewandelt. Der BDF löste sich zwar 1933 selbst auf, antisemitische und nationalistische Anteile wurden jedoch bei Vertreterinnen des bürgerlichen Feminismus in deren Schriften vor 1933 herausgearbeitet. So ist zum Beispiel die politische Überhöhung der Mutterschaft im Nationalsozialismus ein bekanntes Bild aus Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung. Gertrud Bäumer, eine wichtige Vertreterin auf deren gemäßigtem Flügel, arrangierte sich zum Bei- Immer wieder für Gleichheit und Freiheit. Eine kleine Geschichte der Frauenbewegung Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 11 spiel mit dem Nationalsozialismus und fand Verständnis für die Rücknahme frauenpolitischer Errungenschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg ... wurde 1949 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als dritter Artikel im bundesrepublikanischen Grundgesetz verankert. Auch in der ersten Verfassung der DDR wurde 1949 das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter festgeschrieben. In Westdeutschland gründete sich in jenem Jahr der Deutsche Frauenrat als neuer Dachverband der Frauenverbände. Die Neue Frauenbewegung entstand jedoch erst 1968 im Zuge der Studentenbewegung. Im SDS organisierte Studentinnen gründeten im Januar 1968 in West-Berlin den „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“, um gegen die patriarchalischen Strukturen innerhalb der Studentenbewegung agieren zu können. Die Neue Frauenbewegung pluralisierte sich, gespeist durch das sich allgemein verändernde politische Bewusstsein, die veränderten sexuellen Einstellungen und durch die Kampagnen gegen den § 218. Ein Dachverband wurde nie gegründet, es entstanden aber in vielen deutschen Städten Frauenzentren und vielerlei feministische Projekte: Frauenhäuser, Beratungsstellen für Mädchen, Anlaufstellen bei sexueller Gewalt, Frauenverlage, Frauenkneipen und vieles mehr. Sie zeigen vor allem eine körperliche, geistige und intellektuelle Selbstverständigung. In den 80er Jahren engagierten sich Feministinnen verstärkt in der Ökologiebewegung und in diesem Jahrzehnt wird auch eine politische Institutionalisierung der Frauenbewegung erkennbar: Rita Süssmuth wird als erste Bundesfrauenministerin vereidigt, Grüne und SPD führen die Frauenquote ein. Die ostdeutsche Frauenbewegung In der DDR fungierte der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) als Massenorganisation für Frauen. Ende der 80er kann im Rahmen der neuen Friedens- und Alternativbewegung von einer Neuen Frauenbewegung in der DDR die Rede sein. 1982 kamen erstmals „Frauen für den Frieden“ zusammen. Gleichnamige Gruppen wurden in vielen größeren Städten gebildet. In der Umbruchzeit schlossen sich die vielen verschiedenen Frauengruppierungen 1990 zum Unabhängigen Frauenverband (UFV) zusammen. Dieser nahm zusammen mit der „Grünen Partei“ an der Volkskammerwahl statt – jedoch ohne einen Sitz zu erlangen. 1991 entschied sich der UFV gegen eine Partei und für eine Vereinsgründung. 1998 löste er sich auf. Zwischen west- und ostdeutschem Feminismus kam es nicht zum erhofften Erneuerungsschub, die Differenzen waren zu groß. . 11 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 12 UM ZU WISSEN, WOHIN MAN WILL, MUSS MAN WISSEN, WOHER MAN KOMMT. Von Katharina Oerder, Juso UB-Vorsitzende Bonn Magazin Ist ein Recht auf Telearbeit die perfekte Möglichkeit, sich auf die Bedürfnisse gerade junger Mütter einzustellen und damit ein feministisches Instrument? Oder ist Telearbeit, eine Position, aus der so gut wie nie jemand befördert wird, eine so genannte „Frauenfalle“? Sind es unterschiedliche Bedürfnisse, gar die Gene, die Frauen für Heimund Herdarbeit prädestinieren? Frauen haben einen besseren Überblick, Männer können besser im Dunkeln sehen, deshalb sollten auf langen Autofahrten Frauen tagsüber und Männer nachts fahren. Ist doch schön, wenn jeder seine Rolle hat. Blöd nur, wenn die eine oder andere Rolle einen gesellschaftlich höher anerkannten Status hat. Und blöd, wenn Menschen eine Rolle zugeschrieben bekommen, die ihrer selbst nicht entspricht. Das Nature/Nurtur-Problem treibt nicht nur FeministInnen um, ist aber für uns von besonderer Bedeutung. 12 Oder ist an dem Argument, dass ein Habitus, der sich aus sich selbst heraus beforscht, zu nichts anderem führen kann, als zur Bestätigung seiner selbst, etwa doch etwas dran? Dass wir Jusos ein feministischer Richtungsverband sind, wissen wir alle. Was das bedeutet, und vor allem welche konkreten Positionen sich daraus ergeben, ist hingegen schon schwieriger abzuleiten. Dazu ist es sinnvoll, sich die verschiedenen feministischen Strömungen genauer anzuschauen und auf ihre Anschlussfähigkeit für jungsozialistische Politiken zu prüfen. Um zu wissen, wo mensch hin will, muss mensch wissen, woher mensch kommt. Biologismus In ihrem allumfassenden und deterministischen Erklärungsanspruch werfen Biolo- Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 13 gismen große erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Probleme auf. Schwerwiegende weltanschauliche, politische und gesellschaftliche Folgen erwachsen hier aus einer unzureichend reflektierten und einseitigen Betrachtung. Biologistische Ideen werden immer wieder gerne gegen Gleichstellung und Feminismus ins Feld geführt. Die Steinzeit sei schuld. Mit evolutionspsychologischen oder -biologischen Argumenten und (vermeintlich) steinharten Fakten wird erklärt, warum Frauen keine Karten lesen können und Männer die Butter im Kühlschrank nicht finden. Männer suchen sich jüngere Frauen, da diese reproduktionsfähiger sind. Es sei ihre biologische Aufgabe, möglichst viele Nachfahren zu zeugen. Frauen hingegen produzieren wenig Nachwuchs. Zur eigenen und der Sicherheit ihrer Kinder versuchten sie, einen Mann langfristig an sich zu binden. Biologistisch durchaus einleuchtend. Neuere Studien zeigen jedoch, dass es sich viel mehr um vorhandene Ressourcen handelt, die den Unterschied machen. Sind nämlich Frauen selbst erfolgreich, und in Besitz von Macht und Geld, um sich eingeständig versorgen zu können, leisten sie sich gerne auch mal einen jüngeren, mittellosen Mann. Populärwissenschaftlich eingängig sind diese Überlegungen durchaus, empirisch seriös und haltbar allerdings nicht. Es ist ein Treppenwitz des Feminismus, dass ausgerechnet Biologistinnen wie Helen Fisher aktuell das Jahrhundert der Frauen ausrufen. Weibliche Hirnstrukturen seien besser miteinander vernetzt und deshalb für die Ökonomie der Zukunft besser gerüstet. So verlockend dieses rhetorische Oberwasser wirkt, sind biologistische Argumentationen, egal für welche geschlechtliche Überlegenheit sie auch sprechen mö- gen, wissenschaftlich nicht haltbar und werden der Vielfalt der Menschen, sei es bezüglich Geschlecht, Ethnie, sozialer Rolle oder Hormonspiegel nicht gerecht.1 Differenz-Feminismus AnhängerInnen dieser Strömung gehen von einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Geschlechter aus. Dieser Unterschied sei zeitlos und naturgegeben. Differenzfeministinnen rücken aber, anders als im Biologismus, Frauen in ein betont positives Licht. In ihrer Selbstbeschreibung proklamieren sie einen „Befreiungsprozess aus der Unterwürfigkeit des femininen Geschlechts“ und strebten nicht nur, wie der liberal geprägte Universalismus, „eine Angleichung an den Mann“ an. Diese Theorie des Feminismus unterstützt die Idee, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Häufig werden jedoch Frauen als die „besseren Menschen“ dargestellt. So zum Beispiel in der weit verbreiteten Ansicht, wenn Frauen die Welt beherrschen würden, gäbe es keine Kriege, da sie empathischer und konfliktscheuer seien. Diese Ansicht hat mitunter etwas Esoterisches oder gar Mystisches mit Themen wie Göttinnenkult, Matriarchatsforschung und Hexenkult. Der Differenzfeminismus wiederum untergliedert sich in verschiedene eigene Strömungen, so zum Beispiel in den Ökofeminismus oder auch den Anarchafeminismus.2 1 Prominente VertreterInnen sind z. B. Eva Herrmann und Allen & Barbara Peace in ihren Ratgeberbüchern wie „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. 2 Prominente Vertreterinnen: Maria Mies, Dorothy Smith und Luisa Francia 13 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 14 Radikalfeminismus Dekonstruktivismus Der Radikalfeminismus geht im Gegensatz zum Differenzfeminismus von einer grundsätzlichen Gleichheit, einer Universalität der Geschlechter aus. Nach dieser Philosophie gibt es keine „typisch männlichen“ oder „typisch weiblichen“ Eigenschaften, sondern nur durch die geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung begründete Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Die AnhängerInnen dieser Strömung kämpfen für die Aufhebung sämtlicher geschlechtsspezifischer gesellschaftlichen Ungleichheiten, um so den Menschen zu ermöglichen, sich im Sinne seiner individuellen Fähigkeiten und Vorlieben zu entfalten, anstatt gesellschaftlich vorgegebene Geschlechterrollen zu reproduzieren. Analytisch wird hierbei vor allem mit dem Gender-Konzept gearbeitet. Dieser Begriff wird seit den 1980/90er Jahren in der Debatte um Geschlechter und Geschlechtergerechtigkeit genutzt, um sprachlich zwischen Sex als biologischem und Gender als sozialem bzw. kulturellem Geschlecht zu unterscheiden. Während der „Sex“ oder „Sexus“ bestimmt, ob wir als Mann oder Frau geboren werden, bestimmt „Gender“, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein. Da es eine solche sprachliche Trennung im Deutschen nicht gibt, wird an den englischen Begriffen festgehalten. Gender wird also gesellschaftlich erschaffen – „Doing Gender“ so zu sagen – und ist somit nicht naturgesetzlich, sondern kann durch menschliches Handeln verändert werden.3 Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Idee der Differenz zwischen Menschen, nicht zwischen Geschlechtern. Geschlecht wird auch hier universalistisch verstanden. Das bedeutet, angenommene originäre geschlechtliche Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede werden aufgelöst: „dekonstruiert“. Der Dekonstruktivismus, oder auch Postfeminismus, geht dabei jedoch einen Schritt weiter als die Radikalfeministinnen: sowohl das biologische Geschlecht (sex) als auch das soziale Geschlecht (gender) seien gesellschaftliche Konstrukte. Entsprechend gibt es vor allem gegenüber jenen Ansätzen massive Kritik, die an der sprachlichen Trennung in Sex und Gender, festhalten. Die Unterscheidung in biologisches und kulturelles Geschlecht suggeriere, dass zumindest ein Teil des Geschlechts determiniert und damit nicht konstruiert sei. Auch Körpermerkmale wie z. B. Körperbau oder Genitalien seien jedoch geschlechtstypischen Erwartungen unterlegen. Ein prominentes Beispiel für diese Argumentation ist der weibliche Körperhaarwuchs, hierbei vor allem der im Gesicht, der bei manchen Frauen auftritt, jedoch als geschlechtsuntypisch empfunden und damit kosmetisch entfernt oder mit Hormonen behandelt wird. In der Konsequenz wird Zweigeschlechtlichkeit durch den Begriff der Vielgeschlechtlichkeit ersetzt. Mit diesen Überzeugungen geht einher, konkrete gleichstellungspolitische Maßnahmen abzulehnen, da diese die Dichotomie der Geschlechter weiter verfestigten anstatt sie aufzulösen. Die viel beachteten Queer-Theories lassen sich unter feministischer Perspektive unter den Ansatz des Dekonstruktivismus 3 Prominente Vertreterinnen: Hauptwerk dieser Strömung ist „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir. Im deutschsprachigen Raum ist „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ von Alice Schwarzer eines der wichtigsten theoretischen Werke. Eine weitere relevante Autorin ist Mary Daly. 14 Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 15 fassen. Ziele sind hier ebenfalls die Auflösung von biologischer Geschlechtlichkeit und Heteronormativität mittels Dekonstruktion. Sie beziehen sich ebenfalls auf das Hauptwerk Judith Butlers. Der Ursprung der „Queer“-Bewegung liegt in den lesbisch-schwulen Organisationen der 1980er Jahre und ihren Anti-Aids-Kampagnen. Die Autorinnen bauen auf den beauvoirschen universalistischen Ideen auf. Das bedeutet aber nicht, dass sich AnhängerInnen dieser beiden Strömungen immer wohl gesonnen sind. Häufig gibt es Uneinigkeiten darüber, wer der oder die „bessere“ FeministIn ist.4 Der Biologismus und der Differenzfeminismus werden von den Jusos nicht als feministische Strategie verfolgt. Einigkeit besteht darin, Geschlechtsunterschiede als gesellschaftliche Machtstrukturen zu begreifen, wie wir Jusos sie, nicht zuletzt im Hamburger-Programm manifestiert, in der prominenten Aussage „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“, ebenfalls verstehen. Bei einer Unterscheidung dieser beiden Ansätze ist für uns die gemeinsame politische Implikation eine entscheidende. Eine Antwort auf gleichstellungspolitische Fragestellungen und Herausforderungen geben wir universalistisch ohne dabei schon auf Gleichstellungspolitische Maßnahmen verzichten zu können. Im Sinne der auf dem letzten Buko beschlossenen 63 Thesen bedeutet dies: „Die Gleichheit der Geschlechter ist grundlegende Idee einer auf Emanzipation angelegten Strategie. Dabei geht es nicht um Negierung von Individualität oder das Ignorieren unterschiedlicher Betroffenheiten. Nur die Gleichheit von Lebenschancen und Voraussetzungen schafft jedoch überhaupt erst die Bedingung, um Verschiedenartiges leben zu können. Die Demokratisierung aller Lebensbereiche und die Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung sind unsere grundlegenden Ziele. Dazu bedarf es der Veränderung von Strukturen. Solange die patriarchalen Strukturen nicht überwunden sind, bedarf es zudem gezielter Instrumente, die die Benachteiligung von Frauen ausgleichen.“ . 4 Prominenteste Vertreterin: Judith Butler, die Autorin des dekonstruktivistischen Hauptwerks „Das Unbehagen der Geschlechter“. 15 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Infokasten: Alice Schwarzer (* 3. Dezember 1942 in Wuppertal-Elberfeld) Die deutsche Publizistin legte mit dem Sachbuch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ (1975) ihren ersten Bestseller vor, woraufhin sie zur bekanntesten Feministin der bundesdeutschen Frauenbewegung aufstieg. Davor veröffentlichte Alice Schwarzer, noch als freie Korrespondentin in Paris (1970 – 1974), provozierende Titel wie „Frauen gegen den § 218“. Mit ihrem publizistischen Kampf gegen das Abtreibungsverbot nahm die streitbare Autorin eine zentrale Rolle in der Durchsetzung des straffreien Schwangerschaftsabbruchs ein. 1977 wurde sie Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift „Emma“. 1987 initiierte sie die PorNO-Kampagne gegen Pornografie. Simone de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 Paris) französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin. Die politisch engagierte Verfasserin zahlreicher Romane, Erzählungen, Essays und Memoiren gilt als Vertreterin des Existentialismus. Den Durchbruch als Schriftstellerin schaffte Simone de Beauvoir mit ihren beiden existentialistischen Romanen Sie kam und blieb (1943) und Das Blut der Anderen (1945). Ihr Welterfolg Das andere Geschlecht erschien im Jahr 1949 und machte sie zur Vorzeigeintellektuellen Frankreichs und Vorreiterin nahezu aller modernen Feminismus-Theorien. Bekannt ist de Beauvoir auch durch ihre lebenslange Beziehung zu Jean-Paul Satré, mit dem sie viel, aber nie eine Ehe verband. Judith Butler (* 24. Februar 1956 in Cleveland). Sie studierte ursprünglich Philosophie – u. a. auch ein Jahr an der Heidelberger Universität – seitdem spricht sie fast akzentfrei deutsch. Inzwischen ist Judith Butler Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften und Rhetorik in Berkeley; im Schweizer Saas-Fee unterrichtet sie Philosophie. 1991 erschien ihr für den Dekonstruktivismus und die QueerTheories wichtiges Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“ auf Deutsch. Seite 16 Eva Herman (* 9. November 1958 in Emden) ist eine deutsche Autorin und ehemalige Fernsehmoderatorin. Sie agierte von 1989 bis 2006 als Nachrichtensprecherin der Tagesschau und moderierte bis September 2007 verschiedene Fernsehsendungen für den Norddeutschen Rundfunk (NDR). Drei von ihr veröffentlichte Bücher zum Selbstverständnis von Frauen über die Rollen von Mann und Frau und über Familienpolitik führten zu Kontroversen und heftigen Reaktionen in den Medien. Das erste und prominenteste, „Das Eva Prinzip“, erschien 2006. Maria Mies (* 1931) ist deutsche Soziologin. Sie hat feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher verfasst, die international beachtet wurden. Bekannt ist sie vor allem als Globalisierungskritikerin. Sie gehört zu feminist Attac, einem Frauennetz von Attac und gilt als prominente Vertreterin des gynozentrischen Ökofeminismus. Dorothy Smith (* 1926 in Großbritannien) ist eine in Kanada lebende Soziologin und Feministin. Sie ist Professorin an der Universität Toronto mit einem Lehrstuhl im Department of Sociology in Education des Ontario Institute for Studies in Education. Luisa Francia (* 2. August 1949) ist deutsche Autorin, Filmemacherin und Malerin. Sie lebt in München. Francia vertritt die magische Seite des Feminismus und ist bekannt für ihre Performances, verfasste aber auch ein Buch über Bergsteigerinnen. Links zum Thema: http://www.jusos.de/uploads/media/ Beschlussbuch_2008_Weimar.pdf http://www.spd.de/de/pdf/parteiprogramme/ Hamburger-Programm_final.pdf http://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus www.fzs.de/themen/gleichstellung/frauen_ geschlechterpolitik/feministische_theorien/ index.html – 39k 16 Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 17 EUROPA – MOTOR FÜR GLEICHSTELLUNG UND GENDER MAINSTREAMING Von Lissy Gröner, Europaabgeordnete und Koordinatorin im Frauenausschuss des Europaparlaments für die Sozialdemokratische Fraktion Europa (SPE) Magazin Die Gleichstellungspolitik für Frauen und Männer ist in der Geschichte der Europäischen Union fest verankert. Ohne sie ist die Lissabon Strategie in Europa zu Wachstum und steigender Beschäftigung nicht zu bewältigen. In Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitiken kann es nur Fortschritt geben, wenn die Frauen voll einbezogen sind. Die Geschichte der Gleichstellungspolitik in Europa hat ihre Wurzeln bereits im Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957. Artikel 119 schreibt gleiche Entlohnung von Frauen und Männern bei gleicher Arbeit fest. Seit den 70er Jahren wurde eine Reihe von Richtlinien verabschiedet, die heute einen gesicherten Rechtsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern bieten. 1984 wurde mit dem ständigen Ausschuss für die Rechte der Frauen und Chancengleichheit auch das politische Gremium geschaffen, das sich permanent mit allen Gleichstellungsaspekten befasst. Auf Grund der Kompetenzen der EU liegt der Schwerpunkt bei Frauenpolitik im Bereich Arbeitsmarkt – hier in einer klar umrissenen Definition von direkter und indirekter Diskriminierung und sexueller Belästigung sowie der Beschreibung von positiven Maßnahmen und dem eindeutig verankertem Grundsatz der gleichen Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit. Europa hat eine klare politische Tradition bei der Förderung der Geschlechtergleichstellung entwickelt und die rechtlichen Grundlagen durch das Prinzip des Gender Mainstreaming, also die Einbeziehung der Auswirkung von Politik auf Frauen und Männer in alle politischen Bereichen und Aktivitäten der Gemeinschaft, eingeführt. Es gilt der duale Ansatz mit dem Prinzip des Gender Mainstreaming auf der einen, und der gezielten Frauenförderung auf der anderen Seite. Dennoch bleiben erhebliche Unterschiede bei der gesellschaftspolitischen Realität von Frau- 17 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr en und Männern bestehen. Weder im Erwerbsleben noch im sozialen oder kulturellen Bereich ist in irgendeinem Land der EU Geschlechterparität erreicht. Deutschland schneidet im EU-Durchschnitt dabei eher schlecht ab. Rollenklischees und traditionelle Aufgabenfestlegung der Frauen auf Familie und Erziehung und der Männer auf Erwerbsarbeit halten sich hartnäckiger als in unseren Nachbarländern. Dabei lebt vor allem die jüngere Generation andere Lebensentwürfe. Nie gab es so eine gut ausgebildete Frauengeneration wie heute. Frauen erobern sich durch Fleiß und Hartnäckigkeit immer mehr Felder, jedoch stoßen sie irgendwann an die Gläserne Deck und in Führungspositionen bleiben die Old Boys Networks unter sich. Gender Mainstreaming will die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig in politische Entscheidungen einarbeiten, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Gender Mainstreaming wurde erstmalig 1985 auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert und später auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking zu einem Politik-Prinzip weiterentwickelt. Der Amsterdamer Vertrag erhob das Konzept zum offiziellen Ziel der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union und legte im Artikel 13 fest, dass niemand aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder Weltanschauung, des Alters einer Behinderung oder der sexuellen Identität diskriminiert werden dürfe. Aus diesen Gründen zählen folgende EU-Maßnahmen zu den Prioritäten für mehr Gleichstellung: gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen und Männer; Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben; ausgewogene Repräsentanz in 18 Seite 18 Entscheidungsprozessen; Beseitigung aller Formen geschlechterbezogener Gewalt und Menschenhandels; Beseitigung von Geschlechterstereotypen und Förderung der Gleichstellung in Außen- und Entwicklungspolitik. Mit der EU-Rahmenstrategie zum Gender Mainstreaming 2001-2006 wurde ein Aktionsprogramm verknüpft, das insgesamt über 50 Millionen Euro verfügte. Es wirkte in Arbeits- und Wirtschaftsleben, sorgte für gleichen Zugang und volle Ausübung der sozialen Rechte, zivilem Leben sowie Geschlechterrollen und Stereotypen. Das Sozial- und Beschäftigungsprogramm „Progress 2007-2013“ übernimmt die Ziele des Gleichstellungsprogramms und ist ein neues Aktionsprogramm für die Bereiche Beschäftigung, Sozialschutz und soziale Einbeziehung, Arbeitsbedingungen, Bekämpfung von Diskriminierungen und Förderung der Gleichstellung. Damit verliert Gleichstellung an Sichtbarkeit und ist dem Einfluss des Frauenausschusses entzogen. Das Gender Institut – kein Spielball für den EU Rat Ein Meilenstein für die Geschlechtergleichstellung auf europäischer Ebene wird das Europäische Gleichstellungsinstitut, das „Gender Institut“. Es soll im April 2009 seine Arbeit aufnehmen. Um breite politische Unterstützung im Europäischen Parlament zu garantieren wurde ich gemeinsam mit der Fraktionssprecherin der EVP im Frauenausschuss als Ko-Berichterstatterinnen benannt. Das Institut soll unabhängig entlang der EU-Agenda arbeiten und bestehende Geschlechter-Forschung zusammentragen, analysieren und verbreiten. Des Weiteren soll durch das In- Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 19 stitut der Erfahrungsaustausch zwischen PolitikerInnen, Forschungs- und SozialpartnerInnen, ExpertInnen und anderen Stakeholdern angeregt und vertieft werden. Ein Konflikt entbrannte aus der Frage des Standortes Vilnius in Litauen und bei der Besetzung der Direktorin. Nach einer öffentlichen Anhörung im Frauenausschuss wurde die Schwedin Langbakk berufen. Aktuelle Herausforderungen im Jahr 2009 Aktuell berät der Frauenausschuss im Europäischen Parlament in erster Lesung die Überarbeitung der Mutterschutzrichtlinie. Wir SozialdemokratInnen unterstützen den Kommissionsvorschlag. Die SPE-Berichterstatterin Edite Estrela (Portugal) fordert eine Ausweitung des Mutterschutzes auf 20 Wochen und zwei obligatorische Wochen für Väter und die Einbeziehung von gleichgeschlechtlichen PartnerInnen. Widerstand kommt von den Konservativen, vor allem von CDU/CSU und FDP. Sie argumentieren auf Linie der Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände gegen eine Verbesserung des Mutterschutzes aus Kostengründen. Darüber hinaus fordern wir SozialdemokratInnen eine geschlechtergerechte Verteilung von Frauen und Männern auf allen Wahllisten und in politischen Entscheidungspositionen und Ämtern. Daher haben wir die „50:50 Kampagne für Demokratie“ mitinitiiert. Bei den Europawahlen im Juni 2009 sowie bei der Besetzung der Europäischen Kommission und anderer Top-Positionen auf EU-Ebene 2009 müssen Frauen und Männer ausgewogen vertreten sein. Mit Sorge haben wir SozialdemokratInnen die Lohnunterschiede von europa- weit 15 Prozent aufgegriffen und zur Fraktionspriorität gemacht. Frauen verdienen in Deutschland weiterhin 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dies ist ein Armutszeugnis für den Exportweltmeister und eine Diskriminierung der Frauen. Bis Ende 2009 will deshalb EU-Kommissar Spidla neue gesetzliche Vorschläge unterbreiten und hat im März eine europaweite Infokampagne zum Pay Gap „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit zwischen Frauen und Männern“ lanciert. In Deutschland ist der 20. März der Equal Pay Day, welcher den Zeitraum markiert, den Frauen in Deutschland über das Jahresende hinaus arbeiten müssen, um auf das Gehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen. Das sind 79 Tage Arbeit ohne Bezahlung – Frauen verdienen mehr. Der Skandal ist darüber hinaus, dass sich die Einkommensschere weiter öffnet. Das belegt der Jahresbericht 2009 zur Gleichstellung der EU Kommission. Wir wollen auch, dass Frauen und Männer in der privaten Wirtschaft gleichgestellt sind. Wir fordern, dass wie im Norwegischen Modell mindestens 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten der börsennotierten Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Europäische Union soll ein diskriminierungsfreier Raum der Chancengleichheit für alle werden. Deshalb freut es besonders, dass SPD Chef Müntefering diese Forderung ins Regierungsprogramm aufnehmen will. Der Kampf um wirkliche Gleichstellung und gleiche Chancen bleibt eine Herausforderung, die nicht alleine in Brüssel zu erledigen ist. Aber Europa hat wesentliche Grundlagen dafür geschaffen. Die Hausaufgaben müssen genauso sorgfältig in Bund, Ländern und Kommunen erledigt 19 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 20 werden. Dort bestehen in vielen Bereichen erhebliche Defizite im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn. Gleichstellung von Frauen und Männern bedeutet auch wirtschaftlichen Erfolg. Bleibt die Frage, wie lange sich das größte Mitgliedsland der EU es politisch und ökonomisch noch erlauben kann und auch will, das Potenzial der Frauen als Verschiebemasse zu nutzen. Wir Frauen in Europa wollen die Hälfte der Erde, die Hälfte des Himmels und die Hälfte der Macht. . 20 Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 21 WEIL WIR MÄDCHEN SIND... 10 FAKTEN ZUR INTERNATIONALEN SITUATION VON FRAUEN Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende 1 alle Zahlen von Unifem und Unicef 1. Als letztes Land in Europa führte 1984 das Fürstentum Lichtenstein das Frauenwahlrecht ein. Noch später war nur der Schweizer Kanton Appenzell-Innerhoden dran. Hier wurde das Frauenwahlrecht 1990 per Gerichtsbeschluss eingeführt, nachdem wenige Wochen zuvor noch die Männer auf dem Marktplatz gegen eine Beteiligung von Frauen gestimmt hatten. 2. Das erste europäische Land, das den Frauen das Wahlrecht gab, war Finnland 1906. 3. In Indien wurden 2006 schätzungsweise 500 000 Mädchen abgetrieben, weil Mädchen unerwünscht sind. Seit 1994 ist es in Indien offiziell verboten, vor der Geburt per Ultraschall das Geschlecht zu bestimmen. 4. 65 Millionen Mädchen gehen weltweit nicht zur Schule und 2/3 der AnalphabetInnen sind Frauen. Auf 100 Jungen, die in Niger eine Schule besuchen, kommen gerade einmal 67 Mädchen. 5. Häusliche Gewalt gilt in 79 Ländern nicht als Straftatbestand. 6. 2001 mussten sich zum ersten Mal Soldaten vor dem Internationalen Kriegs- Magazin verbrechertribunal in Den Haag wegen organisierter sexueller Gewalt im Krieg verantworten. Seit 1949 sind mit der 4. Genfer Konvention Vergewaltigungen im Krieg offiziell geächtet. 7. 1996 wurde in Irland das letzte Magdalenen Heim geschlossen. In diesen Einrichtungen der katholischen Kirche sollten gefallene Frauen ihre Sünden beim Wäsche waschen abarbeiten. 8. 52.000 Vergewaltigungen werden jährlich in Südafrika registriert, die Dunkelziffer liegt weit höher. 40% der Opfer sind keine 18 Jahre alt. 9. In Bangladesch erhalten 42% der Frauen ein Gehalt unterhalb des Mindestlohns (bei den Männern sind es 17%). Von den Frauen, die in der Textilindustrie arbeiten, haben nur 50% einen Arbeitsvertrag und können damit Mindestrechte einklagen. 10. In der Textilindustrie arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen, insbesondere in den so genanten Manquilas. Ihr Lohn macht zwischen 0,5-1% des Verkaufspreises aus, die Kosten für Werbung und Marketing machen ca. 25 – 30% des Verkaufpreises aus.1 . 21 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 22 „THE SAME PROCEDURE AS LAST YEAR?“ „THE SAME PROCEDURE AS EVERY YEAR, JAMES.“ ODER: WARUM FRAUEN AUCH ZUM 90. GEBURTSTAG DES FRAUENWAHLRECHTS NOCH WEIT VON GLEICHSTELLUNG ENTFERNT SIND. Von Claudia Bogedan, Referat Arbeitsmarktpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung Schwerpunkt Zum 90. Geburtstag des Frauenwahlrechts ist alles beim Alten. Landauf, landab erklingt am Equal Pay Day erneut die Forderung nach mehr Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern. Die Gründe für die in Deutschland anhaltend große Lohnlücke – Frauen verdienen pro Stunde zwischen einem Fünftel und einem Viertel weniger als Männer1 – sind vielfältig: Frauen sind seltener in Führungspositionen und 22 arbeiten überdurchschnittlich in Branchen mit einem niedrigen Lohnniveau oder in prekären Arbeitsverhältnissen. Denn auch 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist es noch immer nicht gelungen, den politischen Rechten auch in geeignetem Maße soziale Rechte an die 1 Daten des WSI Frauenlohnspiegels (www.frauenlohnspiegel.de) „The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 23 Seite zu stellen, die Frauen Autonomie und Wahlfreiheit ermöglichen. Berufswahl und Erwerbsverläufe sind dabei nicht selten individuell „rational“ gewählt. Denn solange Frauen die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen tragen (Bogedan 2008, Bogedan et al. 2008), wird Teilzeit oder Erwerbsunterbrechung zur Entlastungsstrategie.2 Politische Rechte – wie das Recht auf gleichen Lohn – bleiben daher ohne sie begleitende soziale Rechte ohne Wirkung. Das wusste bereits Clara Zetkin vor 110 Jahren: „Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat. Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren.“ Freiwillige Selbstverpflichtungen, wie jüngst von Bundesfrauenministerin von der Leyen gefordert, aber auch gesetzgeberische Maßnahmen zur Gleichbehandlung und Gleichstellung im Arbeitsmarkt haben daher bislang ihr Ziel nicht erreicht. Die Politik zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung 2 An dieser Stelle soll bewusst nicht die männliche Erwerbsbiografie als Maßstab oder gar Leitbild propagiert werden, da diese zwar besser in Bezug auf die Existenzsicherung abschneidet, aber nicht hinsichtlich einer autonomen Lebensführung (vgl. http://www.dgb-index-gute-arbeit.de). von Frauen in den vergangenen zehn Jahren offenbart vielmehr ein gespaltenes Bild: Einerseits wurde über den Ausbau der Kinderbetreuung und die Einführung des Elterngeldes bewusst die Erwerbsbeteiligung von hoch qualifizierten Frauen gefördert. Andererseits haben die bewusste Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Lohndruck und die Kürzungen von Sozialleistungen Frauen in besonderer Weise getroffen. Vom Aufbrechen alter Rollenbilder in den vergangenen Jahren haben daher nur einige Frauen profitiert. Weibliche Erwerbsarbeit – meist prekär Ab Mitte der 1990er Jahre hat insgesamt die atypische Beschäftigung zugenommen. Die häufigsten Formen sind die Teilzeitbeschäftigung, geringfügige und befristete Beschäftigungsverhältnisse sowie Zeit- oder Leiharbeit. 2005 waren gut ein Drittel aller abhängig Beschäftigten in atypischen Beschäftigungsformen tätig; bei den Frauen lag der Anteil sogar bei knapp 54 Prozent. (Brehmer/Seifert 2007). Der Zuwachs der Beschäftigung von Frauen im Niedriglohnsektor ist besonders erschreckend. 64,1 Prozent der Frauen in sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung arbeiten zu Niedriglöhnen, der Frauenanteil unter Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten ist überproportional hoch (vgl. Abbildung 1). Werden alle Beschäftigungsverhältnisse zusammengerechnet, also auch Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung, beträgt der Frauenanteil am Niedriglohnbereich insgesamt 69,6 Prozent. 75 Prozent der Betroffenen verfügen über einen qualifizierten Berufsabschluss (Kalina/Weinkopf 2008). 23 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 24 Abbildung 1 Der Arbeitsmarkt ist folglich in dreierlei Hinsicht geschlechtlich segregiert: Erstens entlang der Arbeitszeiten, denn Teilzeit bildet bei Männern nur die Ausnahme (siehe Abbildung 1). Zweitens hat sich an der horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes in Frauen- und Männerbranchen in den vergangenen Jahren nichts geändert (Männer arbeiten in den besser zahlenden Branchen wie Industrie, Handwerk und industrienahen Dienstleistungen, Frauen finden sich eher in niedriger entlohnenden Branchen, wie den sozialpflegerischen oder Erziehungsberufe). Drittens wirkt auch die vertikale Segregation ungebrochen: Wäh- 24 rend von den Studienanfänger/innen im Jahre 2007 fast die Hälfte weiblich waren, lag der Anteil von Frauen im Topmanagement der größten deutschen Unternehmen Anfang 2008 bei 5,5 Prozent (Hoppenstedt 2008). Die neuen Familienernährerinnen Ein anderer Trend ist neu und nicht weniger besorgniserregend als das Niedriglohnwachstum: Frauen tragen heute einen größeren Anteil zum Familieneinkommen bei als noch vor 15 Jahren (Klenner/Klammer 2008). In Ostdeutschland hatte 2006 in „The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 25 Abbildung 2 22,3 Prozent aller Familien die Frau die Rolle als Familienernährerin inne, im Westen waren es 18,5 Prozent. Etwa jede Fünfte erwirtschaftete sogar den Löwenanteil des Einkommens: In Ostdeutschland hatte 2006 sogar in 22,3 Prozent aller Familien die Frau die Rolle als Familienernährerin inne, im Westen waren es 18,5 Prozent. Ihr Einkommen überstieg das ihres Partners oder sie erwirtschafteten als Alleinerziehende den Hauptteil des Familieneinkommens. Dabei wächst nicht nur der Anteil der alleinerziehenden Mütter, sondern auch jener der Familienernährerinnen mit Partner. Diese machen im Osten inzwischen 13,1 Prozent der Familienernährerinnenhaushalte aus, in Westdeutschland 9,5 Prozent. Doch nicht überall, wo Frauen nicht mehr abhängig vom Einkommen des Fa- milienernährers oder lediglich Zuverdienerin sind, hat sich ihre Lage dadurch verbessert. Denn der Trend bedeutet nicht, dass Frauen heute mehr Karriere machen oder mehr Männer sich aus freien Stücken ausschließlich um Familie und Haushalt kümmern. Frauen werden häufig unfreiwillig zu Familienernährerinnen: 42,1 Prozent der Partner von Familienernährerinnen sind arbeitslos. Aufgrund des oben skizzierten niedrigeren Lohnniveaus von Frauen liegt das Einkommen von Familienernährerinnen-Haushalten eher im unteren Bereich wie Abbildung 2 verdeutlicht. Die Niedriglohnproblematik spiegelt sich auch in einem zweiten neuen Trend, den sogenannten „SGBII-Aufstockerinnen“. 25 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Frauen in der Grundsicherung Bekanntlich wurde mit Inkrafttreten des SGB II die bisherige Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Erwerbsfähige durch eine einheitliche Grundsicherung für Arbeitsuchende abgelöst. Weniger bekannt ist, dass damit flächendeckend ein Kombilohn eingeführt wurde, da Erwerbstätige mit einem Einkommen unterhalb der Bedürftigkeitsgrenzen („working poor“) Anspruch auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung haben. Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die ergänzend zu ihrer Erwerbstätigkeit Leistungen des SGB II erhielten, ist seit der Einführung im Januar 2005 rapide angestiegen: von 14,7 Prozent aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf 20,9 Prozent im Oktober 2006. Grundsätzlich ist Aufstocken ein temporäres Phänomen (IAB-Kurzbericht2008). Für alle Grundsicherungsbeziehende (Erwerbslose und AufstockerInnen) ist daher die Ausstiegsperspektive entscheidend. Allerdings haben Alleinerziehende die geringsten Ausstiegschancen. 55 Prozent sind nach 21 Monaten noch im Leistungsbezug (vgl. Graf 2007: 4). Hierbei handelt es sich weit überwiegend um Frauen: Im Mai 2007 waren 94,3 Prozent der Alleinerziehenden im SGBII-Bezug weiblich. Das Beispiel der Alleinerziehenden verdeutlicht, dass die geschlechtsneutralen Regelungen auf eine geschlechtsspezifisch segmentierte Arbeits- und Lebenswelt treffen. In der Vermittlung müssen diese unterschiedlichen Lebensrealitäten erkannt und überwunden werden – eine große Herausforderung für die VermittlerInnen. Zumal der Gesetzgeber selbst nicht konsequent das Ziel der Überwindung der tradierten Rollenbilder verfolgt ( Jaehrling 2009), 26 Seite 26 denn bis zum dritten Lebensjahr des Kindes ist die Zumutbarkeit einer jeden Arbeit eingeschränkt. Folglich wurden die Möglichkeiten einer autonomen Lebensführung für Frauen in der Grundsicherung eher geschwächt als gestärkt. Denn der Zwang zur Aufnahme einer auch schlecht entlohnten Beschäftigung, wenn der Partner arbeitslos oder frau alleinerziehend ist, befördert zwar das „adult worker model“, aber führt nicht zu einer Gleichstellung der Geschlechter. Das Recht auf Grundsicherung entspricht daher nicht einem sozialen Recht im Sinne Clara Zetkins. Fazit Mit den Sozialstaatsreformen wurden soziale Rechte für Frauen eher geschwächt als gestärkt. Dies zeigt sich im gestiegenen Armutsrisiko von Frauen. Das Ziel einer eigenständigen Existenzsicherung ist aufgrund fehlender arbeitspolitischer Maßnahmen trotz der gestiegenen Erwerbsorientierung von Frauen nicht realisiert. Fraglich ist, wie sich in folge der Finanzkrise der Verteilungsspielraum für eine Ausdehnung sozialer Rechte entwickelt. Eins steht jedoch fest: Die derzeit bedrohten Jobs befinden sich überwiegend in den exportorientierten, männlich dominierten Branchen. Der Trend weiblicher Familienernährerinnen dürfte daher zukünftig steigen. Umso wichtiger ist es zu fragen, unter und zu welchen Bedingungen arbeiten Frauen? Existenzsichernde Bezahlung durch einen Mindestlohn sowie aktive Bekämpfung von Lohndiskriminierung durch sanktionsbewehrte Erfassungsinstrumente sind kurzfristig umsetzbare soziale Rechte. Diese könnten (vielleicht) zum (über)nächsten Equal Pay Day die „same procedure as every year“ überwinden und die gleichstellungs- „The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 27 politische Debatte erweitern, z. B. um die Forderung einer neuen Arbeitszeitkultur (inspiriert durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in Fortsetzung der aktuell praktizierten Kurzarbeit). . Literatur Bogedan, C. (2008): Pflegeverantwortung zwischen Familie und Staat – Ein deutsch-dänischer Vergleich. In: WSI-Mitteilungen 04/2008, S.212-218. Bogedan, C./Drautz, C./Ingenschay, C./König, B. (2008) Who cares about care? In spw- Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, H. 162, März 2008, S. 14-16. Bogedan, C./Rasner, A. (2008) Arbeitsmarkt x Rentenreformen = Altersarmut? In: WSI Mitteilungen 3/2008, S. 133-138 Brehmer, W./Seifert, H. (2007) Wie prekär sind atypische Beschäftigungsverhältnisse? Eine empirische Analyse. WSI-Diskussionspapier Nr. 156, Düsseldorf. IAB Kurzbericht Nr. 22 – 207 Jaehrling, K. (2009) Neue Chancen für Frauen? In: Bothfeld, S./Sesselmeier, W./Bogedan, C. (Hrsg.) Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft – Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch II und III (in Vorbereitung) Kalina, T./Weinkopf, C. (2008) IAQ-Report 2008-01 Klenner, C./Klammer, U. (2008) Weibliche Familienernährerinnen in West- und Ostdeutschland – Wunschmodell oder neue Prekarität?, Vortrag im Centro Italo-Tedesco Villa Vigoni am 21. Oktober 2008; Projekt gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung Wirtschaftsinformationsdienst Hoppenstedt (2008), Hoppenstedt-Kurzauswertung: „Frauen im Management“. 27 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 28 LIEBER ZICKE ALS FREIWILD Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende Schwerpunkt „...Frauen scheißt auf Banden! Bildet Puffs und Bordelle, da gibt’s viel für euch zu tun...“ (King Kool Savas, deutscher Rapper und 2005 Teil der Bertelsmann Kampagne „du bist Deutschland“) Laut Definition ist sexuelle Belästigung allein, was für eine der beteiligten Seiten unfreiwillig passiert. Hierzu zählen nicht nur körperliche Berührungen, sondern auch verbale Attacken. Sexuelle Belästigung ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Menschen verletzt. Soviel zur Theorie. Die Praxis ist oftmals komplizierter. Sind anzügliche Witze sexuelle Belästigung? Liegt sexuelle Belästigung vor, wenn der betrunkene Kollege einen bei der Betriebsfeier heftig umarmt? In 99 % der Fälle geschieht dies unfreiwillig, ist durchaus sexuell motiviert und ist einem unangenehm, fällt also unter sexuelle Belästigung. Doch was kann man tun? 28 Lieber Zicke als Freiwild Argumente 2/2009 Ignorieren? Wegen solcher „Kleinigkeiten“ will kaum jemand den Aufstand proben. Vor allem, weil man dann selbst als Spielverderberin oder Zicke dasteht. Eine Frage allerdings drängt sich auf: Darf mich jeder Mann angrabschen, bloß, weil er betrunken ist? Muss ich mich geehrt fühlen, weil mir Männer hinterher pfeifen und rufen, was für einen geilen Arsch ich doch habe? So leicht und lustig, wie es auf den ersten Blick erscheint, sind diese Beispiele nicht, vor allem, wenn sie gehäuft auftreten. Frauen fühlen sich bei sexueller Belästigung meist hilflos, ohnmächtig und angeekelt. Viele empfinden es als eigene Niederlage, sich nicht richtig gewehrt zu haben. Betroffene berichten über Depressionen, Konzentrationsschwächen, Allergien oder Schlafstörungen. Dazu kommt die Angst vor Wiederholungen, die Angst z. B. davor, dass der Kollege von der Betriebsfeier auch in Zukunft wieder versuchen wird, anhänglich zu werden. IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 29 Bei einer repräsentativen Befragung des BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) gaben 58% aller Frauen an, schon einmal sexuell Belästigung erfahren zu haben. 27% aller Frauen fühlten sich dabei ernsthaft bedroht und 9% aller Frauen wurden Opfer sexueller oder körperlicher Gewalt. Sexuelle Belästigung ist kein Randgruppenphänomen, sondern passiert täglich in der Mitte unserer Gesellschaft. Frauen werden am häufigsten Opfer von sexueller Belästigung an öffentlichen Orten, doch am zweithäufigsten in der Schule, in der Ausbildung und am Arbeitsplatz. Bei sexueller und körperlicher Gewalt ergibt sich ein anderes Bild, hier gaben 49% der Frauen an, dass der Täter ihr (Ex-) Partner war und 19,8% ein Freund, ein Bekannter oder Nachbar. Frauen werden nicht am häufigsten Opfer einer Vergewaltigung in dunklen Ecken durch einen Unbekannten (14,5%), sondern in ihren eigenen vier Wänden (71%).1 Dennoch fehlt trotz Antidiskriminierungsgesetz, das die rechtliche Situation von Frauen verbessert hat, in unserer Gesellschaft die Sensibilität für dieses Problem. Frauen, die den Mut aufbringen z. B. ihren Vorgesetzten auf sexuelle Belästigung anzusprechen, werden oftmals rüde abgewiesen, man solle sich nicht so anstellen. Und ein falsches Dogma von der heilen Familie schützt noch heute in vielen Fällen den Täter vor der Strafverfolgung. Die Würde des Menschen beinhaltet auch die Freiheit, über die eigene Sexualität selbst zu bestimmen. Das bedeutet: Wer als Jungfrau durchs Leben gehen will, hat das Recht dazu, und wer mehr als drei Part1 Zahlen aus „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ erschienen 2005 nerInnen im Monat hat, behält trotzdem das Recht, Nein zu sagen. Und dennoch landet man früher oder später bei der Frage, wie offen man mit dem Thema Sex umgehen soll. Viele der „neuen Feministinnen“ oder „Alphamädchen“ sprechen lautstark über Sex, Sexualpraktiken und Pornos – Charlotte Roche dürfte mit dem Buch Feuchtgebiete die Bekannteste sein. Viele Seiten in ihren Büchern sind diesem Thema gewidmet. Führt dies zu einer endgültigen Befreiung der Frau von Zwängen oder degradiert das Frauen noch weiter zu Sexualobjekten? Dabei sind sie nicht die ersten, welche die Sex-Frage auf machen. Schon in den 60er und 70er Jahren war das Thema heiß diskutiert. Ziel war es zu zeigen, dass das Private politisch ist. Doch ist die Bilanz der Studierendenbewegung in Sachen Gleichstellung vor allem in den Anfangsjahren sehr kümmerlich. Frauen waren oftmals nur nett im Bett und praktisch, wenn es um das Abtippen der seitenlangen Flugblätter ging. Die sexuelle Befreiung zahlte sich für die Frauen nicht in dem Maße aus, wie für die Männer. Die Frauenbewegung stellte dem eine neue Radikalität gegenüber, es wurden Thesen diskutiert, z. B. ob jeder Geschlechtsverkehr eine Vergewaltigung ist. Doch wie sieht es heute aus, brauchen wir noch eine „PorNo“ Kampagne der Emma? Oder können wir individuell entscheiden, ob wir darauf Lust haben oder eben nicht? Brauchen wir Frauen eine zweite sexuelle Befreiung? Zum einen die These stimmt: das Private ist politisch! Doch individuelle Lösungen werden uns nicht weiterhelfen. Denn wer verhindern will, dass Frauen zum Sexualobjekt reduziert werden, muss das Bild der Frau und die damit verbundene Wertschätzung verändern. Man muss bestim- 29 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr men, nach welchen Kriterien Frauen beurteilt werden. Und das können wir nur gemeinsam erreichen. Es reicht nicht, die Sexualität neu zu bewerten, wie dies viele der „neuen Feministinnen“ versuchen, sondern man muss das Problem an der Wurzel anpacken: die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft verändern. Die vielen Bücher, die in letzter Zeit zum Thema Feminismus erschienen sind, und die das Feuilleton gerne als Pornfeminismus bezeichnet, stellen keine geschlossene neue feministische Theorie dar – und viele erheben auch nicht den Anspruch dies zu tun. Vielmehr sind viele von ihnen eher als Reaktion auf den aufkommenden Konservativismus zu sehen. Und sind dem Gefühl geschuldet, dass das Leben in den modern eingerichteten Wohnungen in den hippen Stadtvierteln, mit dem perfekten Käsehobel und biologischen Produkten im Kühlschrank den selben Regeln gehorcht wie in den Reihenhäusern mit Gartenzäunen und Schrankwand, die man mit dem Auszug verlassen hat. Feuchtgebiete ist vor allem eines besonders: eine Provokation der Mit30er und 40er, die sich selbst für so liberal gehalten haben. Und deshalb bleibt es dabei, lasst uns dafür kämpfen, dass jeder sein Leben selbst gestalten kann – auch wenn es um die Sexualität geht. . 30 Lieber Zicke als Freiwild Argumente 2/2009 Seite 30 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 31 FRAUEN UND FAMILIE Von Hilde Mattheis, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstands Schwerpunkt Frauen und Familie – dieses Wortpaar löst auch heute noch intensive Diskussionen aus. Denn es geht nur vordergründig um die Tatsache, dass für die meisten Frauen Familie wichtig ist und dies ihr Lebensmodell ist, wie übrigens auch für die meisten Männer. Vielmehr geht es um den entscheidenden Punkt, wie die Verteilung von Macht, Zeit und Geld für Frauen, die Familie wollen oder haben, aussieht. War für die Generation meiner Mutter Familiengründung einzige Alternative zum Leben als „Fräulein“, kann die Generation meiner Töchter ihr Leben in der Regel frei und unabhängig gestalten. Die bisher bestausgebildete junge Frauengeneration kann selbstverständlich auf dem aufbauen, was Frauen der Generationen vor ihnen erstritten haben. Das ist gut. Und trotzdem: 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, 60 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes mit Art. 3 Abs. 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ und 30 Jahre nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau erleben heute Frauen, dass für sie „Frau und Familie“ – sprich Kinder – ein Karrierehindernis sind. Natürlich sind hierzulande die Zeiten längst vorbei, in denen Ehemänner nach gerichtlicher Genehmigung den Job ihrer Ehefrau kündigen konnten, wenn die Berufstätigkeit die ehelichen Interessen zu stören drohte. Vorbei die Zeiten, in denen „dem Manne (...) die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ zustand, „insbesondere Wohnort und Wohnung“, wie bis 1958 in Paragraf 1354 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nachzulesen. Und vorbei auch die Zeiten, in denen Ehemänner das Geld ihrer Ehefrauen allein verwalten durften. Natürlich haben Frauen, was Ausbildung anbelangt, längst mit den Männern gleichgezogen, das ist nicht zuletzt ein Er- 31 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr folg sozialdemokratischer Bildungspolitik. Natürlich stehen Frauen heute längst ehemals traditionelle Männerberufe offen, und natürlich können Frauen heute jede beliebige Sprosse auf der Karriereleiter erklimmen. Aber immer noch ist Karriere tendenziell Männer-Sache und Kindererziehung tendenziell Frauen-Sache, und sollte eine Frau Kinder und Karriere unter einen Hut bringen wollen, ist immer noch sie diejenige, die in der Regel beruflich zurücksteckt. Und nach der Familienphase weiter unter ihrem Ausbildungsniveau wieder in den Beruf einsteigt. Und so sieht es in Deutschland aus: 2006 lag die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland mit 66 Prozent 11 Prozentpunkte unter der Erwerbsquote von Männern. Frauen verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als Männer. Der Grund: Frauen arbeiten häufig Teilzeit und in weniger gut bezahlten und geringer bewerteten Berufen. Und: Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit wegen der Familie häufiger und länger als Männer. Je länger die Erwerbsunterbrechungen, desto größer die Gehaltseinbußen und desto geringer die Aufstiegsmöglichkeiten. Die meisten Chefetagen sind fest in Männerhand – der Frauenanteil in Vorständen beträgt gerade einmal 2,5 Prozent. 400-Euro-Jobs sind fest in „Frauenhand“ und Alleinerziehende tragen mit das höchste Armutsrisiko. Und was sagen die Frauen dazu? Bei der vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und infas durchgeführten Studie „Frauen auf dem Sprung – Die Brigitte-Studie 2008“ wurden Frauen im Alter zwischen 17 und 29 Jahren be- 32 Frauen und Familie Argumente 2/2009 Seite 32 fragt. Ein Ergebnis der Studie: Frauen wollen beruflich auf eigenen Beinen stehen. Und Frauen wollen Kinder. Was den Frauen zu schaffen macht ist, beides unter einen Hut zu bringen. Lediglich 5% der befragten Frauen sind der Meinung, Beruf und Kinder ließen sich voll und ganz vereinbaren. Der Aussage „in Betrieben wird viel Rücksicht auf die Belange von Kindern genommen“, stimmen lediglich 2% der Frauen voll und ganz zu. Dabei wollen 90 % der befragten Frauen nach der Geburt wieder zurück in den Beruf: 36% der Frauen spätestens nach einem Jahr, weitere 24%, sobald ein Krippenplatz gefunden wurde, und weitere 28% nach 36 Monaten. Frauen können sich in ihrer beruflichen Entwicklung nur dann entfalten, wenn sie ihre Kinder gut betreut wissen. Würden die oben befragten Frauen ihre Kinder also Kitas und Horten anvertrauen wollen? Die Antwort ist ganz eindeutig „Ja!“: 92% der Frauen mit erwerbstätigen Müttern fühlten sich als Kind von ihrer Mutter geliebt (85% der Frauen, deren Mütter zu Hause sind), 91% fühlten sich beschützt (gegenüber 84%) – ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Männern. Die Frauen können mit ihrem Wunsch nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die Väter zählen. Nur noch 13 Prozent der Deutschen halten es für das Beste, wenn allein der Mann erwerbstätig ist und die Frau gar nicht. Fast die Hälfte der Deutschen hingegen glauben, das Beste sei, wenn Mann und Frau gleichermaßen berufstätig sind und sich Kindererziehung und Haushalt teilen. Und einer neuen Generation von Männern sind Frau und Kind zunehmend genauso wichtig wie Karriere: Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, ist von 3,5 Prozent im Jahr 2006 auf jetzt 16 Prozent gestiegen. IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 33 Dass Frauen Kinder haben UND voll arbeiten, ist möglich. Das zeigen Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland oder Norwegen, in denen Frauen vorwiegend ganztags arbeiten und in denen sich die Frauenerwerbsquote der 80-Prozent-Marke nähert: Sie liegen an der Spitze der internationalen Geburtenstatistik. Das Mittel: Ganztagsschulen, Kinderkrippen und eine Lohnersatzleistung für diejenigen Mütter oder Väter, die sich nach der Geburt zu Hause um das Baby kümmern. Frauen werden in Zukunft nicht nur arbeiten KÖNNEN und WOLLEN, sie werden arbeiten MÜSSEN: Wegen der sich verändernden Altersstruktur wird die deutsche Wirtschaft auf gut ausgebildete Arbeitskräfte in Zukunft nicht verzichten können. Und wegen der sich weiter veränderten Familienkonstellationen und der damit zusammenhängenden Gesetzgebung (z. B. zum Unterhaltsrecht) werden Frauen materiell auf eigenen Beinen stehen müssen. Was also brauchen Frauen (und Männer), um Familie und Beruf problemlos zu vereinbaren? Die Zutaten sind so einfach wie effizient: Zeit, Geld und die Macht, für die entsprechende Infra-Struktur zu sorgen: Flächendeckend ausgebaute und qualitativ hochwertige Kindergärten, Horte und Ganztagschulen sind die absolute Voraussetzung für wirklich gelebte Gleichberechtigung. Vieles ist schon erreicht, so z. B.: Ab 2013 wird es bundesweit den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Geburtstag geben. Bis dahin wird die Zahl der Krippenplätze auf bundesweit dann 750.000 verdreifacht werden. Unser Programm „Zukunft Bildung und Betreuung“ hat den Startschuss für den Ausbau der Ganztagsschulen gegeben. Bisher ha- ben rund 7.000 Ganztagsschulen von den dafür vom Bund zur Verfügung gestellten 4 Milliarden Euro profitiert. Was steht an? Der Arbeitsmarkt für Männer ist nach wie vor besser als der Arbeitsmarkt für Frauen. Deshalb wollen wir gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit. Deshalb wollen wir, dass jede Beschäftigung Existenz sichernd ist. Deshalb fordern wir die Abschaffung des Ehegattensplittings und eine individuelle Steuererhebung. Und deshalb wollen wir ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, damit mehr Frauen in Aufsichtsratsgremien und Führungspositionen kommen können. Und, damit Frauen den sich verbessernden Arbeitsmarkt nutzen können, mehr Ganztagsplätze in Kitas. Die steigenden Zahlen beim Elterngeld zeigen: Auch Männer wollen weg vom Klischee des Alleinernährers. Auch sie wollen miterleben, wie ihre Kinder aufwachsen – nicht nur abends und am Wochenende. Gleichberechtigung heißt nicht Gleichmacherei von Männern und Frauen. Gleichberechtigung heißt, die Freiheit der Wahl zu besitzen – ob Voll- oder Teilzeit, ob ganz zu Hause bei den Kindern oder ganz berufstätig,oder alle Möglichkeiten hintereinander. Meine Mutter wollte gern Hebamme werden und durfte nicht, weil Mädchen heirateten. Heute lebt sie von Witwenrente. Meine Töchter haben selbstverständlich studiert. Sie werden kämpfen müssen, um auch den nächsten Schritt zu erreichen, bei dem „Frau und Familie und Karriere“ selbstverständlich sind. Unsere Unterstützung haben sie, denn Gleichstellung ist eine Frage der Gerechtigkeit. . 33 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 34 UND EWIG WÄHRT DIE QUOTENDISKUSSION... Von Ariane Giesler und Jennifer Rodenbeck, Landesverband Berlin Schwerpunkt Die Jusos haben eine Bundesvorsitzende, Deutschland eine Kanzlerin, Mädchen sind statistisch gesehen Bildungsgewinnerinnen und teilweise wirkt es so, als hätten Mädchen und Frauen inzwischen erfolgreicher Rollenzuschreibungen abgelegt als Jungen und Männer. Mittlerweile erscheint es vielen jungen Frauen möglich, genau so an Gesellschaft und Macht partizipieren zu können, wie ihre männlichen Altersgenossen. Aber auch wenn wir sicherlich viel im Bereich der Gleichstellung erreicht haben – es bleibt noch viel zu tun! Setzte früher die Ungleichbehandlung häufig schon bei der Frage um den Besuch einer weiterführenden Schule ein, so ist sie heute häufig erst viel später zu spüren. Ein Problem mit dem sich ein politischer Jugendverband auseinandersetzen muss. Denn immer häufiger tritt die Frage auf, warum soll gegen Ungleichheiten und geschlechts- 34 bezogene Diskriminierung gekämpft werden, wenn sie zunächst einmal nicht spürbar ist und von SchülerInnen und jungen StudentInnen nicht wahrgenommen wird? Brauchen die toughen „Alphamädchen“ wirklich noch Instrumente wie die Quote, um ihre Ansprüche geltend zu machen? An die so genannte „Gläserne Decke“, also dort wo Ungleichbehandlungen deutlich spürbar werden, stößt Mensch immer später im Lebenslauf. Oft dann, wenn es um Beförderungen und Spitzenpositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder von der Realisierung nicht geschlechtsstereotyper Lebensentwürfe geht. Die noch immer in unserer Gesellschaft bestehenden Ungleichheiten sind eindeutig auf die strukturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Diese Ungleichheiten können durch die Anwendung struktureller Mechanismen bekämpft werden, um eine echte Gleichstellung zu gewährleisten, müssen diese verbindlich und sanktionsfähig sein. Und ewig währt die Quotendiskussion... Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 35 Quote als strukturelles Instrument Eines der dafür zur Verfügung stehenden und gleichzeitig umstrittensten Instrumente ist die Quote. Kaum eine Parteiwahl vor der nicht ein Satz in derart fällt wie „Gleichstellungspolitik und Frauenförderung finde ich richtig und wichtig, ABER die Quote...“ – was folgt ist eine lange Argumentation gegen die Quote, zu meist mit den immer wiederkehrenden Argumenten. In allen großen Parteien – bis auf CSU und FDP – existieren inzwischen Quotenregelungen, die sich jedoch in ihrem Umfang und vor allem in ihrer Verbindlichkeit stark unterscheiden. Eine Form der Ausgestaltung ist die „harte Frauenquote“, wie sie teilweise auch von den Jusos praktiziert wird.1 Ziel dieser ist es, dass in einem Vorstand oder einer Delegation mindestens 40% Frauen sind. Ein Vorstand kann nur so groß sein, wie es offene Plätze zu den, in ihm vertretenden 40% Frauen gibt. Ähnlich verhält es sich auch bei Delegationen: die auf einem Kongress anwesende Delegation sollte aus mindestens 40% Frauen bestehen, tut sie es nicht, werden bei absoluter Anwendung der harten Quote so viele männliche Mandate von der Delegation zurückgezogen, bis die 40%-Quote erreicht ist. Die absolute Einhaltung der Quote garantiert so, dass Entscheidungen paritätisch von beiden Geschlechtern getroffen werden. Das ist der entscheidende Vorteil gegenüber der weichen Quote. Denn im Gegensatz zur harten Quotenregelung hat die weiche Quote nur zum Ziel, dass für mindestens 40% der Plätze in einem Vorstand bzw. einer Delegation nur Frauen kandi1 Siehe: „Richtlinie für die Tätigkeiten der Arbeitsgemeinschaften“, beschlossen vom SPD-Parteivorstand am 23.Juni 2008 dieren dürfen. Sollte dies nicht möglich sein, so müssen die Frauenplätze zwar frei bleiben und können nicht durch männliche Kandidaten nach besetzt werden. Die Möglichkeit ausschließlich männlich besetzte Vorstände zu wählen und mit einer stark männlich dominierten bzw. ausschließlich männlich besetzten Delegation zu Kongressen anzureisen, wird damit allerdings nicht verhindert. Manche gehen soweit, die weiche Quote so zu interpretieren, dass die freien Plätze in „Ermangelung“ von Frauen mit Männern besetzt werden. Unabhängig von der Auslegung: von gleichen Gestaltungsspielräumen und gleicher Teilhabe von Männern und Frauen kann hier nicht mehr gesprochen werden. Daher gilt noch immer: nur eine harte Quote ist eine echte Quote! Denn nur eine harte Quote garantiert, dass Entscheidungen auch wirklich gleichberechtigt von Männern und Frauen getroffen werden. Auswirkungen der Quote auf die Politik Die viel gescholtene Quote hat in den letzten zwanzig Jahren vor allem in der Politik einiges verändert. Seit der Aufhebung des Reichsvereinsgesetz 1908 durften sich Frauen offiziell in politischen Parteien engagieren, seit 1918 besitzen sie das passive und aktive Wahlrecht, 1919 konnten sie dies das erste Mal nutzen – bei der Betrachtung ihrer Repräsentanz im Deutschen Bundestag wurde dies jedoch kaum deutlich. Der Anteil der Frauen im Deutschen Bundestag blieb bis 1987 einstellig. Dann stieg der Anteil der Parlamentarierinnen sprunghaft an – auf heute noch nicht zufriedenstellende 32%. Diese Steigerung ist sicherlich nicht nur der Quote zu verdanken, aber wäre ohne sie nicht möglich gewesen! Die Quote kann 35 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr nur ein Instrument – und das nicht nur in der Politik – neben vielen sein, um Frauen zu fördern. Ziel muss es sein, dass sie sich irgendwann einmal selbst überwindet, nämlich dann, wenn Teilhabe an Macht nicht mehr geschlechtsabhängig ist! Doch dieses Ziel erreichen wir nur mit dem Weg über die Quote. Die Quotendiskussion mit eben diesen wiederkehrenden Argumenten wird uns daher wohl noch etwas länger erhalten bleiben: ... „Gleichstellung ist erreicht – wer braucht da noch Quoten?“ Knapp 10 % der C4-Professuren sind mit Frauen besetzt, in nur 15 Vorständen der 160 Aktiengesellschaften in den wichtigsten deutschen Börsenindizes ist mindestens eine Frau vertreten, Frauen verdienen noch rund ein Viertel weniger als Männer, Frauen leisten überwiegend die Reproduktionsarbeit – die Aufzählung könnte endlos weitergeführt werden. In unserer Gesellschaft stoßen Frauen und Männer, die nicht dem Männlichkeitsideal entsprechen, noch immer an große Hürden. Dies ist kein individuelles Problem, sondern strukturell und muss daher mit einem Maßnahmenpaket in Angriff genommen werden. Ein Instrument ist hier die Quote. ... „Dann können jetzt alle Minderheiten eine Quote fordern.“ Mehr als die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Frauen. Von gesamtgesellschaftlichen Minderheiten kann also hier nicht gesprochen werden. Ziel ist es, gesamtgesellschaftliche Realitäten zu repräsentieren und nicht die Verbandsrealität! 36 Seite 36 .... „Gute Frauen setzen sich auch so durch!“ Die Realität ist der Gegenbeweis. Gab es beispielsweise wirklich erst 1987 qualifizierte Frauen, die in die Politik wollten? Die Quote hat bisher eine deutlich stärkere Repräsentanz von Frauen in der Politik gebracht, in Spitzenpositionen sind sie noch immer schlechter vertreten. So steht nur in fünf von 20 Juso-Landesverbänden und -Bezirken eine Frau an der Spitze. Ziel darf es nicht sein, den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe zu individualisieren, sondern wir müssen solidarisch gemeinsam dafür sorgen, dass das Geschlecht egalitär wird und eine jede bzw. ein jeder gleichgestellt diese Gesellschaft gestalten kann. ... „Wegen der Quote kann ein qualifizierter Mann nicht gewählt werden.“ Ohne Quote würden viele qualifizierte Frauen nicht gewählt werden. ... „Aber wir haben doch keine Frauen.“ Die Quote hat nicht primär zum Ziel, Frauen anzuwerben und zu qualifizieren. Sie legt jedoch Schwachstellen offen und fordert zum Umdenken auf. Nur mit einer verbindlichen Quote, die Missstände in diesem Bereich immer wieder offen legt, stellt sich der Zwang ein, an den Strukturen zu arbeiten, die die Partizipation verhindern bzw. einschränken. ... „Ich will doch nicht nur gewählt werden, weil ich eine Frau bin.“ Die Kompetenz, dass frau zu Recht die Position innehat, kann sich meist erst in der aktiven Arbeit zeigen. Die Quote sorgt Und ewig währt die Quotendiskussion... Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 37 auch dafür, dass geschaut wird, welche Frau die Kompetenzen bzw. das Potenzial hat diese Position auszuführen. Ein Blick der sonst viel zu oft nicht riskiert wird. Frauen sind politisch ebenso kompetent wie Männer. Nicht weil sie – sozialisationsbedingt – andere Eigenschaften hätten als Männer müssen sie auch in Führungspositionen, sondern weil es nicht sein kann, dass der Großteil der Gesellschaft diese nicht maßgeblich mitgestalten kann. ... „Ich will keine Quotenfrau sein!“ Dass es noch immer nötig ist, über die Quote Frauen in Führungspositionen zu bringen, ist keineswegs ein individuelles Problem. Was nützt es, wenn frau ihren Gestaltungsanspruch aufgibt, weil sie keine „Quotenfrau“ sein möchte? „Quotenfrauen“ tragen dazu bei, dass Macht und Gestaltungsspielräume gleichberechtigt verteilt werden. Infokasten quotierte Redeliste: Viele Juso-Gremien arbeiten mit einer quotierten Redeliste. Hier gibt es verschiedene Regelungen. Ihnen gemeinsam ist, dass die RednerInnen nicht in der Reihenfolge ihrer Meldung aufgerufen werden, sondern immer abwechselnd eine Frau und ein Mann. Ansonsten gibt es unterschiedliche Handhabungen, z. B. steht gerade keine Frau (oder kein Mann) auf der Liste, darf auch ein Mitglied des anderen Geschlechts reden. Wenn die Redeliste bereits geschlossen wurde (um zum Ende einer Diskussion zu kommen), dürfen noch Frauen (bzw. Männer) nachrücken, bis eine Quotierung erreicht ist. ... „Wenn schon Quote, dann wenigstens eine Geschlechterquote.“ Anders als die Frauenquote lenkt die Geschlechterquote von der realen Ungleichheit ab. Fakt ist, dass wir in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben. Wir brauchen keine Quote, die besagt, es müssten überall vierzig Prozent Männer vertreten sein, sondern es muss deutlich gemacht werden, wer strukturell benachteiligt und diskriminiert wird und das sind nicht beide Geschlechter, sondern häufig Frauen. . 37 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 38 GENDER TRAINING STATT BODY BUILDING? – GENDER-KOMPETENZ FÜR JUNGSOZIALISTINNEN Von Daniel Hard, Jusos Rheinland-Pfalz Schwerpunkt Was ist Gender Training? Gender-Training ist einerseits Ausdruck von Erfolgen des Feminismus und der Frauen- und Gleichstellungsbewegung und andererseits Ausdruck ihrer Institutionalisierung und Etablierung. Eine solche Entwicklung hat Vor- und Nachteile. Gender-Trainings sind Veranstaltungen, die Angehörigen von Organisationen oder Unternehmen „Gender-Kompetenz“ vermitteln sollen. Damit wird das Ziel verfolgt, ein gerechtes Geschlechterverhältnis mit gleichen Chancen für alle zu erreichen. Diskriminierungen sollen abgebaut werden, weil das gut für die Organisation ist, weil man annimmt, so Effektivität, Produktivität, Effizienz, Profit, Mitgliederzahlen etc. steigern zu können. Das Schlagwort des „Diversity Management“ gehört in diesen Kontext. Zu den theoretischen Grundlagen des Gender-Trainings gehört zunächst der Begriff „Gender“ als „soziales Geschlecht“, das 38 vom „biologischen Geschlecht“ als „Sex“ abgegrenzt wird. Einem unveränderbaren natürlichen Geschlecht steht demnach ein veränderbares, ansozialisiertes Verhalten, Denken und Empfinden als Mann oder Frau gegenüber. Die Herstellung (Konstruktion) und Bestätigung (Reproduktion) von Gender findet täglich statt, getragen auch durch unser eigenes Handeln („Doing Gender“). Damit ist Gender-Training, auch wenn es zur Profitmaximierung durchgeführt wird, deutlich anti-biologistisch, d. h. die Rechtfertigung von Rollenmustern aufgrund der Biologie kann in Frage gestellt werden. Zum anderen richtet Gender-Training den Blick auf die Geschlechterverhältnisse insgesamt und nicht auf reine „Frauenpolitik“. Es arbeitet gezielt mit gemischten TeilnehmerInnen-Gruppen, bezieht Männer mit ein und nimmt sie in die Verantwortung. Beide (bzw. alle) Geschlechter haben die Aufgabe, Geschlechterverhältnisse gerecht zu gestalten. Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 39 Wie kann ich das im Unterbezirk durchführen? Zur Vorbereitung für das Team, die TrainerInnen, gehört es, sich über das organisatorische Umfeld (z. B. Jusos vor Ort) und über die Zusammensetzung der Seminargruppe zu informieren. Die Gruppe sollte möglichst durchmischt sein, Männer und Frauen sollten zu mindestens je einem Drittel vertreten sein. Die Leitung des Seminars sollte gemischtgeschlechtlich besetzt werden, also von einem Mann und einer Frau. Wichtiger ist jedoch im Zweifel die fachliche und methodische Kompetenz der Leitung. Diese zeigt sich auch in einem bewussten Sprachgebrauch, der beide Geschlechter einbezieht, und einer Diskussionsmoderation, die allen TeilnehmerInnen Raum zur Beteiligung gibt. dem Thema aktiv sind, und mit diesen und/oder mit einem ehrenamtlichen Team, ein Konzept zu entwickeln. Dort, wo es Arbeitsgruppen, Kommissionen o. ä. zu Gleichstellung, Gender, Feminismus etc. gibt, ist es nahe liegend, dass die Impulse dazu von diesen ausgehen. Die folgenden Methoden stammen zum Teil aus der Literatur zum GenderTraining, zum Teil aus eigenen Erfahrungen in der Seminararbeit. Es handelt sich um Beispiele, wie die oben genannten Ziele in Seminaren erreicht werden könnten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Weiter gehende Informationen und Anregungen finden sich in der angegebenen Literatur. Was sind geeignete Methoden? Im Gender-Training kann mit vielfältigen Methoden gearbeitet werden. Die Methoden lassen sich folgenden Grobzielen zuordnen: • Bewusstmachung/Sensibilisierung: z. B. für Geschlechterverhältnisse, Rollenzuschreibungen, die eigene Sozialisation. • Vermittlung theoretischer Informationen und Konzepte • Analyse der Geschlechterverhältnisse in der eigenen Institution/Organisation: • Alternativen und Handlungsmöglichkeiten entwickeln: Wie kann ich mit meinem Verhalten Veränderung herbeiführen? Was kann/muss strukturell in der Organisation verändert werden? Gender-Quiz Ziel: TN sind für Thema und ihre Wissenslücken sensibilisiert (Einstiegsmethode) Kann in Paar-Arbeit, AG oder Plenum gemacht werden Fragen z. B. „wie hoch ist die Lohndifferenz in Deutschland?“, „in wie viel EUStaaten ist sie höher als in Deutschland?“, „Für wie viel % der unter 3-Jährigen stehen Betreuungsplätze zur Verfügung?“, „Seit wann darf der Ehemann in Deutschland seiner Frau nicht mehr die Berufstätigkeit verbieten?“ Fragen je nach Gruppenzusammensetzung auswählen. Dauer: variabel, je nach Zahl der gewählten Fragen flexibel einsetzbar. Material: ggf. Handout mit Fragen, kombinierbar mit Bildern, Karikaturen etc. Für Unterbezirke und ehrenamtliche Strukturen ist es nahe liegend, mit TrainerInnen zu arbeiten, die bei den Jusos oder bei befreundeten Organisationen zu Gender an der Wäscheleine (Einstiegsmethode): Ziel: TN werden für Thema und seine Aspekte sensibilisiert 39 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Leine spannen. Auswahl an Bildern mit Klammer aufhängen. JedeR TeilnehmerIn wählt ein Bild aus, dass ihm besonders auffällt. Dann erklärt jedeR, warum er/sie das Bild gewählt hat. Wenn alle vorgestellt, kurze Diskussion und Überleitung. Material: Wäscheleine/Seil, Klammern, Bilder, Zeitschriftenausschnitte, Internetausdrucke etc. Bildersammlung kann über längere Zeit erstellt werden. Auswahl treffen je nach Gruppe. Ecken-Spiel: „ich – ich nicht“ Ziel: TN haben sich mit der Bedeutung von Rollenzuweisungen auseinander gesetzt und erkannt, dass viele Eigenschaften sich nicht in die Schubladen „männlichweiblich“ aufteilen lassen. Ablauf: Es werden zwei Pole im Raum markiert mit „ich“ und „ich nicht“. Team liest fragen vor, Teilnehmende verteilen sich auf die beiden Pole. Fragen z. B. ich bin eine Frau/ein Mann, ich koche gern, ich bin handwerklich begabt, ich rede manchmal zu viel, ich kann gut einparken, ich fahre gern Auto, ich kann gut zuhören ... . Eckenspiel: Standpunkt einnehmen: Hier werden jeweils zwei (oder mehr) entgegen gesetzte Meinungen/Aussagen vorgegeben (z. B. „Frauen sind für die Politik nicht geeignet“, „Frauen sind die besseren Politiker“). Die TeilnehmerInnen positionieren sich. Die Leute in den Ecken können jeweils befragt werden. Ecken-Spiel: Barometer Methode kann zur Begriffsklärung, aber auch zur Anregung von Diskussion dienen. Es werden zwei Ecken im Raum definiert, z. B. „Sexismus – Kein Sexismus“ oder 40 Seite 40 „Diskriminierung – Keine Diskriminierung“. Es werden Karten mit Situationsbeschreibungen verteilt. Die Teilnehmenden ordnen diese auf der Skala ein. Referate zu Theorie und Hintergrund: Ziel: TN erweitern ihr Wissen und haben Diskussionsgrundlage für Weiterarbeit Themen können z. B. sein: Grundbegriffe Gender/Sex, Sozialisation, Kommunikationsverhalten, Historische Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, Potenzialanalyse unter Gender-Aspekt (Institutionsanalyse) Wichtig: Kurz halten, strukturieren, visualisieren (Medien, Bilder nutzen), Handout verteilen Analyse von Bildern z. B. Bilder mit Männer und Frauen in Interaktion/Bilder mit uneindeutigen, irritierenden Darstellungen der Geschlechter/ historische Darstellungen der Geschlechter (z. B. auf Gemälden). Diskussion anhand von Leitfragen: z. B. welche Zuordnungen finden statt? Wie wird Männlichkeit/Weiblichkeit dargestellt? Nehme ich Geschlechter auch so wahr, wie sie hier dargestellt werden? Was sagt die Körpersprache aus? Finde ich mich als Mann/Frau in diesen Darstellungen wieder? Welche Darstellungen fördern traditionelle, welche alternative, flexible Wahrnehmung der Geschlechter? Welches Bild verkörpert Weiblichkeit? Welches Bild verkörpert Männlichkeit? Wie konstruieren wir selbst Geschlecht? Analyse von Elementen der Popkultur Analog zur Bildanalyse können Filmausschnitte, Musikvideos, Liedtexte etc. betrachtet werden. Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 41 Analyse von Zeitungsartikeln z. B. Berichterstattung/Kommentierung von Frauen in Führungspositionen z. B. über Heide Simonis, Angela Merkel, Andrea Ypsilanti, Hillary Clinton, Ségolène Royal. Diskussion: Wie und worüber wird berichtet? Welche Erwartungen werden formuliert? Welche Eigenschaften der Politikerin wurden nicht betrachtet? Wäre ein ähnlicher Artikel über einen Mann denkbar? Typisch Mann / Typisch Frau? Ziel:Rollenzuschreibungen bewusst machen. Überleitung zur Institutionsanalyse möglich. Material: Wandzeitung, Stifte Ablauf: Bildung einer Männer- und einer Frauengruppe. Beide sammeln auf einer Wandzeitung (großes Papier, Tapete geht auch), was „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ ist. Dann werden die Papiere beider Gruppen im Plenum vorgestellt. Dann Diskussion im Plenum: Fallen Unterschiede auf? Was stimmt? Was nicht? Wie werden bestimmte Zuschreibungen begründet? Wie stark sind bestimmte Zuschreibungen verbreitet in unserer Gesellschaft? Welche Folgen haben diese Zuschreibungen? Gibt es diese Zuschreibungen auch in unserem Verband? Welche Folgen haben sie hier? (Kommunikations-) Typentest: Kann aufbauen auf Methode „Typisch ...“ (s. o.). Team formuliert Aussagen um in Selbsteinschätzungsaussagen. z. B. „ich kann gut zuhören“, „ich rede manchmal sehr viel“, „ich fahre gern Auto“, „ich kann gut einparken“, etc. Es werden Ecken im Raum markiert wie Ecken-Spiel: „ich – ich nicht“. Teilnehmende stehen in der Mitte. Bei jeder Frage gehen sie einen Schritt in die zutreffende Richtung. Wenn alle Fragen durch, bleiben alle Stehen. Auswertung: Wer steht wo? Stehen alle Frauen auf der einen, Männer auf der anderen Seite? Wenn ja: warum? Wenn nein: Unterschied Stereotype und Wirklichkeit? Wem nützen Stereotype? Welche Folgen haben sie? Peter und Petra: Lebenslauf gestalten: Bildung gemischter Kleingruppen Jede Gruppe gestaltet auf einer Wandzeitung 2 Lebensläufe, von Peter und Petra, bis zum 40. Lebensjahr. Die Gruppe muss sich auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten einigen. Vorstellung im Plenum. Auswertung: Welche Unterschiede fallen auf? Warum wurden diese Unterschiede einbezogen? Wie ist es im wirklichen Leben? Spiel in Gesamtgruppe, mit Teilnehmenden als Spielfiguren: z. B. angelehnt an Gender Ralley, www. gender-rally.de, von EQUAL Ostbayern GmbH, Passau. „Bei der Gender-Rally wird mit den Vorurteilen und Klischees, die zwischen bzw. über Frauen und Männer bestehen, gespielt. Gleichzeitig wird aber auch aufgezeigt, wie man vom Kampf der Geschlechter zu einer chancengleichen Beziehung zwischen Männern und Frauen kommt“. Material: Spielfeld nachgezeichnet auf mehreren Wandzeitungen auf dem Boden, Ereigniskarten zu bestellen über www.gender-rally.de oder selbst erstellt. Rollenspiele: Die TeilnehmerInnen stellen in Kleingruppen Szenen dar, in denen die Geschlechter miteinander agieren. Möglich als spontane Darstellung (z. B. Szene „Anbaggern im Zug“) oder nach Anleitung mit Vorbereitungszeit (z. B. Juso-Sitzung). Auswertung anhand von Leitfragen: Welches Verhalten 41 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr war typisch Mann/Frau? Welches nicht? Welche Folgen hatte das? War das realistisch? Was passiert in Realität? Warum beteiligen sich Männer und Frauen unterschiedlich? Welches Redeverhalten fällt auf? Woran liegt das? Was kann man tun, damit alle sich einbringen können? Was müsste sich ändern? Wie kann man als EinzelneR in der Situation alternativ agieren? Institutionsanalyse, subjektiv: Zunächst Einzelarbeit an Leitfrage: Welches Geschlechterverhältnis erlebe ich am Arbeitsplatz/in dem Verband, in dem ich engagiert bin? Welche Rolle spielt mein Geschlecht, welche das von anderen? Wo wird das deutlich? Welche Nach- und ggf. Vorteile hat das? Wie müssten sich die Verhältnisse ändern, damit die Zusammenarbeit mir besser gefällt? Nach Einzelarbeitsphase Austausch je in getrennter Männer- und Frauengruppe. Institutionsanalyse, objektiv: Zunächst Einzelarbeit anhand eines Arbeitsblatts: Bitte zeichne ein Organigramm deiner Organisation. Welche Strukturen, Positionen, Hierarchien gibt es? Welche wichtigen informellen Beziehungen? Wie sind auf den unterschiedlichen Ebenen Frauen und Männer vertreten? Was sind wichtige Leitbilder, Regeln, Umgangsformen in der Organisation? Welche Rollen spielen Männer und Frauen dabei? Wer hat diese Regeln geprägt? Wer hat mehr Einfluss darauf? Welche Auswirkungen haben sie auf das Geschlechterverhältnis? Austausch in Kleingruppe (gemischt). Institutionsanalyse: Arbeitsblatt mit Fragen Austeilung von Arbeitsblättern mit Fragen über ihre Organisation/ihren Verband, die 42 Seite 42 Teilnehmende beantworten sollen. Besprechung der Ergebnisse in Kleingruppen. Wichtigste Ergebnisse werden festgehalten. Fragen z. B. zu Aufbau der Organisation, zur den Rollen, die Männer und Frauen darin einnehmen, zu den Führungspersonen in der Organisation, zu den Rollenbildern, Verhaltensregeln, die in der Organisation herrschen, dazu wie man persönlich das Geschlechterverhältnis empfindet. Wenn Männer und Frauen auf allen Ebenen zu je 50% vertreten wären, hätte das für die Organisation folgende Folgen: ... (bzw. folgende Vorteile ...). Vorbilder? Lernen von anderen Organisationen: Ziel: Die Teilnehmenden setzen sich mit dem auseinander, was andere Organisationen unternommen haben, um ihre Geschlechtergerechtigkeit zu erhöhen. Sie überlegen, was davon für ihre Organisation übertragen werden kann und entwickeln eigene Ideen. Beispiele: Gender-Leitlinien der Evangelischen Jugend Niedersachsen, in: http://www.ljr.de/uploads/media/GENDER2007.pdf , Leitbild Gender Mainstreaming der Katholischen Jugend Gemeinde: http://www.kjg.de/fileadmin/user_upload/04_positionen/Geschlechterpolitik/gen der_rz_01.pdf (weitere siehe Links am Ende des Textes). Lesepause, dann Diskussion anhand von Leitfragen: Was haltet ihr davon? Wäre das für eure Organisation auch sinnvoll? Was ja, was nicht? Warum? Habt ihr weitere Ideen? Ergebnisse werden festgehalten. Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 43 Argumente gegen Sexismus sammeln: Auf orangefarbenen Karten werden sexistische (geschlechterdiskriminierende, in der Regel frauenfeindliche) Aussagen/Behauptungen gesammelt. Sie werden auf der linken Seite einer Pinnwand untereinander aufgehängt. Jetzt werden Gegenargumente und Reaktionsmöglichkeiten gesammelt, auf gelbe Karten geschrieben und jeweils rechts daneben gehängt. Die TrainerInnen können ggf. Argumente und Tipps ergänzen. . Wo bekomme ich Hinweise? Das Gender-Manifest. Plädoyer für eine kritisch reflektierende Praxis in der genderorientierten Bildung und Beratung, Berlin 2006. www.gender-mainstreaming.org IG-Metall: Vielfalt sichtbar machen Geschlechergerechtigkeit in der Bildungsarbeit. Arbeitshilfe für die Planung und Durchführung regionaler und zentrale Seminare, 2007. http://www.igmetall.de/cps/rde/ xbcr/SID-0A456501-661B4FEC/internet/docs_ig_ metall_xcms_29114__2.pdf Katholische Junge Gemeinde, Bereich GenderPolitik: http://www.kjg.de/index.php?id=54 Landesjugendring Niedersachsen: Gender-Mainstreaming in der Jugendarbeit: http://www.ljr.de/uploads/media/GENDER2007.pdf Positionspapier des Deutschen Bundesjugendrings zu Gender Mainstreaming. Beschluss der 76. Vollversammlung von 2003: http://www.dbjr.de/index.php?m=10&id=119 Deutscher Naturschutzring (Hg.): Handreichung: Gestaltung einer gendersensiblen Bildungs- und Gruppenarbeit in den Natur- und Umweltschutzverbänden, Berlin, Bonn und Lüneburg, 2006. http://www.dnr.de/dnr/projekte/userdata/13/13_ bildung_gender.pdf Rothe, Andrea/Bönold, Fritjof: Geschlecht bewusst gemacht – Ein Training für Jugendliche, München 2006. http://www.frauenakademie.de/dokument/ img/Geschlecht-bewusst-gemacht_2006.pdf Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit des DGB-Bildungswerks, insbesondere Kapitel „Diskriminierung“: http://baustein.dgb-bwt.de/Inhalt/index.html Burbach, Christine/Schlottau, Heike (Hg.): Abenteuer Fairness. Ein Arbeitsbuch zum Gender-Training, Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (39,90 Euro) Netzwerk Gender Training (Hg.): Geschlechterverhältnisse bewegen. Erfahrungen mit Gender Training, Königstein/Taunus, 2004 (19,90 Euro) Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Gemeinschaftsaufgabe Demokratie – Gendertraining als Instrument zur Umsetzung der Gemeinschaftsaufgabe und Profilentwicklung von Einrichtungen, Berlin. DGB Bundesvorstand, Abteilung Gleichstellungsund Frauenpolitik (Hrsg.): Bildungsbausteine. Arbeitszeit/Vereinbarkeit von Beruf und Familie/ Entgeltgleichheit, Berlin 2003. http://www.familie.dgb.de/bildungsangebote/ 01_01_bildungsbausteine_html/ 43 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 44 ACTION FOR FEMINISM – JUNGE FRAUEN BEI DEN JUSOS Von Katrin Münch, Bundesgeschäftsführerin der Jusos, und Sonja Pellin, stellv. Juso- Bundesvorsitzende Schwerpunkt Junge Frauen1 sehen die Freiheit der Welt vor sich, ziehen selbstbewusst ihr Ding durch und scheren sich längst nicht mehr um die großen Aufreger einer Alice Schwarzer. Die Zeiten haben sich geändert, zum Glück. Das Lebensgefühl, die Dinge zu ändern, ist da. Zumindest privat. In der Politik ist dieses revolutionäre Element aber noch nicht angekommen. Obwohl sich junge Frauen genauso für Politik interessieren wie junge Männer, organisieren sie sich nicht bei uns. Selbst in den hochpolitisierten Zeiten des Wahlkampfes strömen junge Männer in die Unterbezirke, doch die jungen Frauen bleiben weg. 1 Natürlich sind nicht alle jungen Frauen so und klar ist auch,dass auch junge Männer genau die beschriebenen Verhaltensweisen zeigen oder diese Einstellung haben. Dennoch kann man Tendenzen ausmachen, dass junge Frauen eher so sind wie hier beschrieben und junge Männer eben anders. Auch hier zeigt sich wieder das Dilemma, dass durch Gesellschaftsbeschreibung Geschlechterunterschiede reproduziert werden, aber beschrieben werden müssen sie nun mal und ein anderes Instrumentarium als dies so zu tun, steht uns leider noch nicht zur Verfügung. 44 Warum eigentlich? Grund ist ein selbsterfahrener Gegensatz. Der Wille nach Veränderung widerspricht den Tatsachen, wie Politik zu funktionieren vorgibt. Wenn man die junge Frauen zu ihrer politischen Erlebniswelt befragt, dann hört man viel über langwierige Diskussionen ohne Ergebnisse, von VielrednerInnen, die nie auf den Punkt kommen und alles immer lieber dreimal sagen, von belehrenden Mitgenossen, zu wenig Transparenz und wenig Gestaltungsraum. Beim Einblick in die Politik fühlen sich junge Frauen manchmal an das kindliche Spiel mit der Schneekugel erinnert. Egal, wie man diese Kugel auch schüttelt und wendet, der Schnee stürmt, doch die Figuren bleiben stehen und machen einfach weiter, als sei nichts geschehen. Wie jetzt verändern? Junge Frauen stellen hohe Ansprüche an ihre Zeitgestaltung. Wenn sie sich dafür entscheiden, politisch aktiv zu sein, dann wollen sie politische Prozesse mitgestalten und konkret miterleben. Junge Frauen sind Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 45 kritische Zuhörerinnen, die miterleben wollen, wie ein Problem aufgegriffen, thematisiert, diskutiert und einer Lösung näher gebracht wird. Die Diskussion muss zielgerichtet sein. Auf den Punkt kommen Frauen dabei sehr gern, das erwarten sie auch von ihren männlichen Genossen. Doppelt quotierte Redelisten2 helfen dabei, dass Frauen zum Zuge kommen und den VielrednerInnen die Puste ausgeht. Frauen wollen nicht belehrt werden, schon gar nicht von Männern. Sie wollen einbezogen werden und nicht mit fertigen Ergebnissen konfrontiert werden, sondern den Entstehungsprozess miterleben dürfen. Es gibt nicht DIE Frau, deshalb gibt es auch nicht DEN Kriterienkatalog für die frauenspezifische Ansprache. Aber es gibt Maßnahmen, die dabei helfen, Frauen für die Juso-Arbeit zu begeistern. Frauenseminare oder Mentoringprogramme, in denen Frauen sich untereinander austauchen und vernetzen, sind ein Beispiel. Mehr Informationen finden sich unter der Rubrik „Gleichstellung“ auf www.jusos.de. Sprache entscheidet, Bilder auch Und es gibt Mechanismen, auf die man achten kann. Zum Beispiel die Sprache. Studien belegen, dass man sich beim Lesen männlicher Formen auch Männer vorstellt. Das Bild, das beim Lesen entsteht, ist entscheidend für die Ansprache junger Frauen. In den Juso-Broschüren, Flyern, Pressetexten und Konzeptskizzen sollte deshalb immer die weibliche Form verwendet werden. 2 Doppelt quotiert heißt, dass nicht nur nach Frauen und Männern getrennte Redelisten geführt werden und die Geschlechter abwechselnd zu Wort kommen, sondern dass ErstrednerInnen auch vor denjenigen dran sind, die sich schon zu Wort gemeldet haben. Das große Binnen-I ist nach wie vor eine gute Möglichkeit, um Texte nicht zu lang werden zu lassen. Auch bei der mündlichen Ansprache der Jusos vor Ort sowie bei politischen Reden ist es wichtig, die Sensibilität für die geschlechtergerechte Sprache zu beachten. Auch bei der Bilderauswahl der Homepage- oder Flyergestaltung lohnt stets ein selbstkritischer Blick: Sind die Männer wieder als die Handelnden und die Frauen als Zuhörenderen dargestellt? Themen für die frauenspezifische Ansprache Gleichstellung kann sich auf jedes politische Themenfeld beziehen. Anregungen dazu geben sicherlich die übrigen Artikel der Broschüre oder auch die Links, die zu weiteren Diskussionen führen. Wenn man aber die Zielgruppe junge Frauen im Blick hat, kann man sie grob in drei Gruppen unterteilen: • Junge gebildete Frauen im Beruf • junge gebildete Frauen mit dem Wunsch nach Beruf und Familie, teilweise bereits Mütter • junge Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Gerade für die letzte Zielgruppe ist das Thema Mindestlohn von entscheidender Bedeutung, aber auch unsere Modelle zur Verhinderung von prekärer Beschäftigung und die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit. Das Thema Arbeitszeitverkürzung ist eines, von dem alle profitieren, nicht nur junge Frauen. Aber gerade die Menschen mit einer Doppel- oder Dreifachbelastung durch Beruf, Familie, Ehrenamt bspw., oder auch „nur diejenigen“ die einen Anspruch auf mehr selbstbestimmte Zeit haben, können wir damit begeistern. Gerade wenn es jedoch um die 45 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr erste Zielgruppe geht, aber auch darum, allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen anzusprechen, dann müssen wir das Thema „Gleiche Macht für Frauen und Männer“ stärker besetzen. Dazu zählt die Forderung für den Bereich der Politik ebenso wie für die Wirtschaft, wo wir beispielsweise Quoten für die Besetzung von Aufsichtsräten fordern. Gerade wenn wir mit diesen Themen nach außen gehen, können wir auf der einen Seite junge Frauen direkt in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeit ansprechen, aber auch insgesamt unser gleichstellungspolitisches und feministisches Profil stärken. Das unterscheidet uns auch zum Beispiel von der Jungen Union, die noch meilenweit von einem gleichgestellten Geschlechterbild entfernt ist. Web 2.0 Ein neues Wirkungsfeld ist das Web 2.0, denn die feministische Netzkultur geht einen neuen direkten Weg. Das Blog Feministing.com aus den USA hat vorgemacht, wie es geht: Themen, die von den traditionellen Medien größtenteils ignoriert werden, werden plötzlich gesetzt und diskutiert. Begeisterte der Gleichstellung schaffen so ihren ganz eigene Community mit Ausstrahlungscharakter. Wer bloggt und Traffic generiert, wird auch in der Google-Suchmaske schnell gefunden. Die Debatten finden dank web 2.0 nun endlich im (halb)öffentlichen Raum statt und sind fast ohne Barrieren erreichbar. Die Debatten finden nicht im Hinterzimmer, sondern auf großer Bühne statt. Feministische Blogs können so ungleich viel mehr Menschen erreichen als es jede Demo oder jeder Flyer es je könnte. Sehr zu empfehlen auf deutscher Seite ist das Blog Maedchenmannschaft.net der Alphamädchen, wo man 46 Seite 46 sich viele Anregungen holen kann. Das Web 2.0 birgt allerdings auch Gefahren. In den Profilen der Social Networks verfallen junge Frauen freiwillig oft in alte Rollenklischees: die Lippen werden zur Schnute gepresst und bei der Auswahl der Fotos spielt das Zeigen stereotyper Weiblichkeitsideale eine überproportionale Rolle. Wenn wir mit unseren Themen jedoch nicht nach „außen“ gehen, bekommt niemand unsere Ideen mit. Deswegen findet ihr im Kasten einige Aktionsideen. Mehr erfahrt ihr unter www.jusos.de/Gleichstellung. Viel Spaß beim ausprobieren! . Aktionsideen „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ Dieser Spruch ist so alt, wie er richtig ist. Für die Ansprache neuer junger Frauen ist es deshalb ratsam, auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen nach draußen – in die Wirklichkeit – zu gehen. Es gibt die verschiedensten Aktionsideen, wie ihr auf politische Missstände in der Gleichstellung aufmerksam machen könnt. Hier eine kleine Auswahl: A: „Frau ärgere dich nicht – Spiel“: Auf einem 4mx4m großen Transparent wird ein überdimensionales „Mensch ärgere dich nicht“ aufgezeichnet. An bestimmten Feldern stehen „Ereignisse“, wie z. B. deine Mutter, die sonst deinen Sohn aus dem Kindergarten abholt ist krank, du musst einen dienstlichen Termin absagen, um früher nach Hause gehen zu können. Rücke 3 Felder zurück... B: Das Kneipenquiz: In Kneipen kommt man mit Menschen gut über ein Quiz ins Gespräch. Frage: Wie groß sind die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in einzelnen Bereichen? Wer richtig liegt, bekommt einen Juso-Pin. C: Barbiepuppen-Plakat: Um die geltenden Schönheitsideale zu hinterfragen, werden Umrisse von Menschen auf Packpapierrollen gemalt. Auf ein anderes Plakat werden die Barbiemaße auf Echtgröße übertragen. Alle Plakate als Wandzeitung auf den Boden aufkleben und als Anlass nutzen, um mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 47 IHR ALPHAMÄDCHEN… SO KOMMEN WIR AUCH NICHT WEITER! Von Antje Trosien (39), aus Hersbruck, war von 2001 bis 2005 stellv. Juso Bundesvorsitzende und arbeitet als Gewerkschaftssekretärin am Bodensee. Schwerpunkt Ob mit einem Beitrag zu dem Buch „Was ist heute links?“ oder als Diskutantin beim SPD-Zukunftskonvent im vergangenen Jahr in Nürnberg in der Runde „Power-Frau versus Opferrolle?“: Meredith Haaf, Mitautorin von „Wir Alphamädchen,“ ist in der sozialdemokratischen Öffentlichkeit angekommen. Allerdings müssten viele ihrer Aussagen aus Juso-Sicht als unvollständig oder theoretisch unfundiert bzw. als schlicht realitätsfremd bewertet werden. Was die kritische Auseinandersetzung erschwert, ist allerdings die wilde Mixtur aus richtigen und falschen Annahmen und Betrachtungsweisen. Beispiel 1: da gibt es das Kapitelchen „Quoten sind sinnvoll“, wo es heißt: „Vor allem müssen wir uns selbst wieder zur Quote bekennen. Frauen lehnen sie oft mit einer Empörung ab, als würde man ihnen nur dann einen Job geben, wenn sie eine Maus bei lebendigem Leibe verspeisen. Sie fürchten, jemand wolle sie nur aus einem Grund fördern: weil sie Frauen sind und nicht weil sie was können.“ (S. 219) Ja, da freut sich doch auch die traditionelle Feministin, wenn sie so was lesen darf. Und denkt sich insgeheim, ja klasse, diese jungen neuen Feministinnen, die haben’s ja doch kapiert, dann wird schon auch alles andere nicht so verkehrt sein. Und außerdem ist’s doch auch so nett und frech geschrieben, Beispiel 2: „Da draußen passieren viele Dinge, die uns jungen Frauen ordentlich stinken: schlechtere Bezahlung, Sexismus im Alltag und die angeblich ganz normale Angst, wenn wir nachts allein durch die Straße laufen.“ (S. 8) Zwar lauert die Gefahr der Gewalt gegen Frauen nicht primär auf der Straße, sondern im engsten familiären und sozialen Umfeld, aber dass uns schlechte Bezahlung aufregt, ist ja immerhin noch richtig, also wollen wir mal nicht so sein. Schließlich bezeichnet sie sich ja als Feministin, und zwar in Abgrenzung zu den 47 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr alten Feministinnen, „dabei ist der Feminismus laut Definition der Encyclopaedia Britannica nur: „the belief in the social, economic and political equality of the sexes““ 1 (S. 13/14), was allerdings nicht ganz die Definition ist, mit der andere durchs Leben rennen. Meyers bietet nämlich an: „Der schon Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommene Begriff Feminismus steht heute für den von der »Neuen Frauenbewegung« initiierten Kampf gegen die gesellschaftlich definierte Frauenrolle und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Feministische Aktivitäten erschöpften sich nicht in Theoriedebatten, sondern es entstand eine autonome weibliche Subkultur. Im akademischen Bereich verschob sich die Perspektive von der Frauenforschung zur Genderforschung.“ 2 Deutlich hier immerhin der Unterschied, dass Feminismus auch eine systemüberwindende Strategie beinhaltet und ein gewisses kämpferisches Element. Ohne Zweifel ganz besonders interessant sind aber die Erkenntnisse übers Erwerbsleben. Alle drei Buchautorinnen sind übrigens studiert und freie Journalistinnen und bestätigen die (traditionelle) Analyse von Karl Marx: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Eines meiner beiden Lieblingszitate aus „Wir Alphamädchen“ ist: „Vor allem große, global gemanagte Firmen bieten ihren Angestellten die beste sogenannte Work-Life-Balance, also ein individuelles, ausgewogenes Verhältnis zwischen Privatund Arbeitsleben.“ (S. 217) Dies widerspricht allen Erfahrungen und Studien zum Thema „Arbeitszeit“, die in den letzten Jahren gemacht worden sind. Es sei 1 Also „der Glaube in die soziale, wirtschaftliche und politische Gleichheit der Geschlechter“ 2 http://lexikon.meyers.de/wissen/Feminismus 48 Seite 48 denn natürlich, damit wäre etwa die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit gemeint. Die meist nicht existenzsichernd ist. Aus gewerkschaftlicher Sicht ungelogen am besten ist: „Auch im Beruf hat es keinen Sinn, allen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Wir sollten hart über eine Gehaltserhöhung verhandeln, auch wenn wir Angst haben, dass der Chef das als unangemessen empfinden könnte. Diese Angst ist so falsch! Wer sie überwindet, ist meistens selbst überrascht, wie leicht man über Geld sprechen kann. Und dass sich der ein oder andere Chef zu einem richtig guten Gehalt überzeugen lässt. Und hier geht es keineswegs nur um Geld, sondern auch um Anerkennung und wieder: um Teilhabe im Unternehmen.“ (S. 230) Ja. Hinfort mit lästigen Tarifverhandlungen und dem Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Wir sind jung, Feministinnen, wenn auch nach einer Weichspüldefinition, und wir gehen jetzt mal zum Boss, und sagen ihm, dass er uns loben muss und dass wir mehr Geld brauchen. Das können wir auch gar nicht verstehen, dass andere Leute für Lohnerhöhungen streiken. Lässt sich doch alles ganz friedlich im Gespräch regeln. Insgesamt verbirgt sich in „Wir Alphamädchen“ hinter einer locker und gut lesbaren Schreibweise ein strategisch völlig verfehlter Ansatz. Individuelle Lösungen werden als Nonplusultra betrachtet, und wenn im sprachlich appellativen Charakter auch ständig von „wir müssen, wir sollen“ die Rede ist, wird doch nie ganz klar gefasst, wer „wir“ ist. Allenfalls ergibt sich das vielleicht noch aus der künstlichen Abgrenzung zur institutionellen „alten“ Frauenbewegung. Scheinbar richtet sich das Buch nur an die aktuell junge Generation. Bloß, was haben „wir Frauen“ von einem generationsspezifischen „Feminismus“? Was Ihr Alphamädchen… so kommen wir auch nicht weiter! Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 49 ist mit den altersarmen Rentnerinnen? Was ist mit den (hochqualifizierten) Müttern um die 35-40, die schon in der Betreuungsfalle stecken? Was ist mit den Frauen, die zwar jung sind, aber gerade eine geschlechtsspezifische Ausbildung gemacht haben (und nicht freie Journalistinnen geworden sind)? Viele der aufgegriffenen Themen wie Pornographie, Sexismus, Sprache, Macht sind wichtig, aber insgesamt werden zu wenig oder die falschen Lösungen angeboten. Aus der Verzweiflung heraus, dass die Gleichstellung der Geschlechter noch nicht umgesetzt ist, wird versucht, eine neue nette Taktik (Strategie wäre ja zuviel gesagt) zu entwickeln – mit dem erkennbaren Risiko, dass sie auch nicht funktioniert. Zielführender wäre es, die bisherige endlich mal umzusetzen. Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Ganz klassisch und traditionell. . Literatur: Meredith Haaf/Susanne Klingner/Barbara Streidl „Wir Alpha-Mädchen – warum Feminismus das Leben schöner macht“, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2008. 49 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 50 DER NEUE NEBENWIDERSPRUCH – NACHDENKEN ÜBER FEMINISTISCHE POPKULTUR Von Mithu Sanyal, Autorin von Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts Schwerpunkt Anfang der 1990er Jahre arbeitete ich bei einem autonomen Stadtzeitungsprojekt. Aus einem Grund, den ich für Zufall hielt, verteilten sich die Geschlechter umgekehrt proportional auf die Redaktionen. 90% Männer in der Politik, 90% Frauen in der Kultur. Ich war die verantwortliche Literaturredakteurin, bis die Politredaktion beschloss, ein Haus zu besetzen und dazu eine Sondernummer zu drucken. Das Problem war nicht die illegale Aktion, sondern dass wir nicht gefragt wurden, ob wir mitmachen wollten. Weil wir schließlich nur Kultur machten. Mit Betonung auf nur. Da hatte ich gedacht, es wäre offensichtlich, dass sich niemand die Nächte mit dem Schreiben, Korrekturlesen und Drucken von unbezahlten Artikeln um die Ohren schlug, der oder die nicht ein höheres Ziel damit verfolgte. Aber offensichtlich war es das nicht. 50 Wenn ich heute Vorträge über die neuen Entwicklungen und Strategien des neuen Feminismus halte, kann ich mich ebenfalls des Gefühls nicht erwehren, dass der gute alte Nebenwiderspruch wieder da ist und das dritte K (von Kinder, Küche, Kirche) durch Kultur ersetzt wurde. So wie früher die Frauenfrage wird Kultur heute in im weitesten Sinne linken Kreisen häufig mit Selbstverwirklichung, Egoismus und Privatheit gleichgesetzt und ist insgesamt etwas, was sich nach der Revolution (die nicht mehr so genannt wird) von selbst regeln soll. Interessanterweise sprechen nahezu nur noch Kulturaktivistinnen von Revolution und wie wir spätestens seit der zweiten Welle der Frauenbewegung wissen, ist das Private politisch. Fangen wir von vorne an. Die großen Verdienste der Frauenbewegung in der Bundesrepublik sind an Gesetzesänderungen ermessbar, die Gleichberechtigung in diesem Land überhaupt erst ermöglichen. Angefangen bei dem berühmten Artikel 3 Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 51 des Grundgesetzes, in dem es unter anderem heißt „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Zwei Sätze, die mit einem Schlag eine Reihe anderer Gesetze verfassungswidrig machten und die Basis bildeten, auf der Feministinnen in den 1970er Jahren durchsetzen konnten, dass Ehemänner nicht mehr den Arbeitsvertrag ihrer Frauen kündigen dürfen, Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist und Frauen ihren Kindern ihre eigene Staatsangehörigkeit geben können, um nur drei von zahlreichen Beispielen zu nennen, die belegen, dass Politik das Leben direkt und gewaltig verändert. Nur ... ja, es gibt immer ein nur. Nur, dass es damit eben noch nicht getan war. Ebenso wie das Sein das Bewusstsein bestimmt, bestimmt nämlich auch das Bewusstsein das Sein. Und das, was wir uns nicht vorstellen können, können wir dummerweise auch nicht leben. Von daher reicht es noch lange nicht, dass Mädchen inzwischen beispielsweise die selben Berufe ergreifen dürfen wie Jungs, wenn die Welt – und damit sind Eltern, Freunde, Bücher, Filme und Werbung gemeint – diesen Mädchen nach wie vor spiegelt, dass sie Friseurin, Verkäuferin oder Arzthelferin werden können. Und eben da setzt der Bereich der feministischen (Pop)Kultur an. Popkultur hier verstanden als Alltagskultur in Wechselbeziehung zur Subkultur. (Alles ausführlicher in Publikationen wie Sonja Eismanns „Hot Topic – Popfeminismus heute“ oder dem ersten popfeministischen Hochglanzmagazin auf dem deutschen Markt, dem „Missy Magazine“.) Feministische (Pop)Kultur ist das Medium, mit dem die feministische Subkultur sich nicht nur sich selbst erklärt, sondern auch emanzipatorische Lebensentwürfe ausprobiert und auslotet. Ein Beispiel: Seit Beginn des neuen Jahrtausends werden weltweit Ladyfeste organisiert, die gegen den strukturellen Ausschluss von Frauen, Mädchen und Transgendern aus der Subkulturproduktion mit ein bis mehrtägigen Festivals vorgehen, auf denen feministische Bands spielen, in Workshops Geschlechteridentitäten dekonstruiert werden und Vorträge und Panels zu allen möglichen Themen stattfinden. Denn da die Ladyfeste in der Tradition der DoIt-Yourself-Bewegung stehen – also selbstorganisiert, dezentral und nichtkommerziell sind – entscheiden die Organisatorinnen in den jeweiligen Städten selbst, was sie machen wollen. Doch nahezu immer gibt es Drag-King Workshops, in denen (meist) Frauen einen Tag lang am eigenen Leib erleben können, was es bedeutet, ein Mann zu sein – oder auch mit Schnauzbart und Minirock durch die Stadt spazieren dürfen. Darüber hinaus gibt es meist Veranstaltungen zu feministischem Porno („PorNo, PorYes? PorJein?“), weil – so der Stand der Analyse – es bei Pornographie nicht um die Darstellung von Sexualität geht, sondern von sexuellen Phantasien. Und auf der Ebene der Phantasie werden Geschlechterrollen verhandelt. Und außerdem werden abgewertete Fertigkeiten wie Stricken, Sticken, Nähen in „radical crafting“ Workshops neu begangen, das bedeutet, anti-Sweatshop und in Größen, die echten Frauen passen und nicht nur Models – aber auch, dass die Irritation von Materialien und Techniken, die traditionell mit Heim und Privatheit verbunden sind, in einem politischen Kontext zu nutzen, wie zum Beispiel durch gestickte Graffitis etc. Es mag im einzelnen Fall nicht unmittelbar einleuchten, was das mit Fragen wie 51 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 52 „gleichem Lohn für gleiche Arbeit“ zu tun hat. Und unmittelbar hat es das auch nicht. Doch ist unser kultureller Ausdruck das, was uns von Ihnen unterscheidet, wer auch immer Sie sind. (Vielleicht diejenigen, die den ungleichen Lohn verteidigen?) Denn das, was häufig abwertend Lifestyle genannt wird und die Kulturkritikerin Kerstin Grether als „jene unbezahlbare Währung der Subkultur“ bezeichnet, ist der Versuch, sich körperlich erkennbar zu machen, den eigenen Leib als das Mittel zu nutzen, durch das eine im besten Fall utopische Gesellschaft gebildet wird (gesünder essen, inspirierende Musik hören, gesellschaftliche Normen abwerfen, wertschätzender miteinander umgehen etc.). Dadurch schafft Lifestyle den Dreischritt: Das Bewusstsein bestimmt das Sein, bestimmt das Bewusstsein. Kultur ist, wenn sie gut ist, ein Stück gelebte Utopie, ein Stück Revolution im Hier und Jetzt, ein Stück körperlich erlebbare Zukunft. Wodurch bekommt man und in diesem Fall natürlich frau Massen von Menschen dazu, sich an einer gesellschaftlichen Bewegung zu beteiligen? Indem man sexy und cool und hip ist und einfach den größeren Spaß am Leben hat. Oder um mit Emma Goldmann zu sprechen: Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution! . 52 Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 53 „EIN SOZIALIST IST EIN FEMINIST ODER ER IST KEIN SOZIALIST“ AUGUST BEBEL ÜBER HAUPT- U. NEBENWIDERSPRÜCHE AUF DEM WEG ZUR EMANZIPATION Von Karin Luttmann, Vorsitzende der ASF Dresden und Tamara Breitbach, Sprecherin der Jusos Trier Schwerpunkt August Bebel hat in seinem theoretischen Wirken ein Beispiel für eine Synthese aus Marxismus und Feminismus geliefert. „Die Frau und der Sozialismus“ ist das wichtigste theoretische Werk des langjährigen SPD-Vorsitzenden und „Arbeiterkaisers“.1 Darin stellt August Bebel seine Sicht auf die Geschlechterverhältnisse im Verlauf der Geschichte, von Urgesellschaft über Antike und Mittelalter bis in seine kapitalistische, von kleinbürgerlicher Moral geprägten, Gegenwart und schließlich seine utopische sozialistische Zukunftsvision dar. 1 Das Werk wurde zu Bebels Lebzeiten allein auf Deutsch 53mal neu aufgelegt (und in 20 Sprachen übersetzt). Es war mit eineinhalb Millionen verkauften Exemplaren das meist gelesene marxistische Buch diesen Umfangs der Frühzeit (um Wiederholungen zu vermeiden) der SPD. 2 Neben Bebel z. B. Luxemburg, Kautzky, Zetkin etc. Zum Verständnis seiner Thesen ist es notwendig, sich den ideologischen und historischen Kontext bewusst zu machen, in dem er dachte und schrieb (1879 erschien die erste, 1909 die 50. Auflage). Dieser war von einem Geschichtsoptimismus geprägt, der Weltkriege und Faschismus nicht kannte und nicht für möglich hielt. Die Emanzipationsgeschichte hatte eine klare Richtung: links. Die Sozialdemokratie war ihre Hauptakteurin, denn sie allein schien die Einsicht in die richtige Analyse der Gesellschaft zu haben. Die marxistischen TheoretikerInnen2 beanspruchten für sich, im Besitz der Wahrheit zu sein. Sie waren voller optimistischer Gewissheit, dass es bald eine bessere Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Abhängigkeiten, mit verwirklichter Selbstbestimmung aller Individuen, Männern wie Frauen jeglicher sozialer und geographischer Herkunft, geben werde. Eine neue Gesellschaft mit ganz anderer Funktionsweise werde die alte ersetzen. 53 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Für August Bebel war die revolutionäre Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unausweichlich bevorstehend. Er bezeichnete sich selbst gern als „Todfeind“ der bestehenden Ordnung und war ein unerbittlicher Kritiker des „falschen Bewusstseins“. Bebels Geschlechtergeschichte folgt einer klassisch materialistischen Erklärungslogik, kurz zusammengefasst zu sozialen Normen: „Sittlich ist, was Sitte ist, und Sitte ist wieder nur, was dem innersten Wesen, das heißt den sozialen Bedürfnissen einer bestimmten Periode, entspricht.“3 Die Ehe ist für ihn die Institutionalisierung der gesellschaftlichen Norm der Monogamie der Frau. Die Institution Ehe wurde erst durch das Privateigentum und dessen Vererbung sozial notwendig: In einer vaterrechtlichen Gesellschaft, in der Eigentum ausschließlich den Männern gehört und an deren leibliche Söhne vererbt werden soll, müssen Männer sich ihrer Vaterschaft versichern. Dies geschieht durch die Ehe und das Gebot sexueller Treue der Frauen gegenüber ihren Ehemännern. Ohne Eigentum, Erben und Vaterrecht wäre die Ehe/die Norm der weiblichen Monogamie, materialistisch gesehen, nicht entstanden. Sie ist also unnatürlich und die Ideologie von der „Liebesheirat“ ist ein Deckmantel für diesen harten Interessenbestimmten Kern. Die in der Ehe und vor allem in der patriarchalen (vaterrechtlichen) Ordnung begründete Hierarchie ist eine Säule der bürgerlichen Gesellschaft, die Bebel angreift: „Die monogamische Ehe ist, wie zur Genüge bewiesen wurde, Ausfluss der bürgerlichen Erwerbs- und Eigentumsordnung, sie bildet also unbestreitbar eine der wichtigsten Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, ob sie aber den natür- 54 Seite 54 lichen Bedürfnissen und einer gesunden Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entspricht, ist eine andere Frage. Wir werden zeigen, dass diese auf den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen beruhende Ehe mehr oder weniger Zwangsehe ist, die viele Übelstände aufweist und vielfach ihren Zweck nur unvollkommen oder gar nicht erreicht.“4 Im seinem Kapitel über die Ehe stekken aber auch positive Einstellungen zur Ehe, da Bebel ja auch selbst verheiratet war, steht er dem idealistischen Sinn und Zweck von Ehe prinzipiell positiv gegenüber. Für ihn ist dieser positive Zweck ein harmonisches solidarisches Miteinander und das gemeinsame Aufziehen von Nachkommen. Er bestreitet aber die Möglichkeit der Verwirklichung dieses Anspruchs – in der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung – aufgrund der materiellen Zwänge: „Die Freude an der Nachkommenschaft und die Verpflichtung gegen diese machen das Liebesverhältnis zweier Menschen zu einem länger dauernden. [...] Die schwere Sorge, der harte Kampf um das Dasein sind der erste Nagel zum Sarge ehelicher Zufriedenheit und ehelichen Glückes. Die Sorge wird aber um so größer, je fruchtbarer sich die eheliche Gemeinschaft erweist, also in je höherem Grade sie ihren Zweck erfüllt.“5 „Die Frau und der Sozialismus“ widmet sich auch intensiv den Tabu-Themen, um die sich auch die radikaleren VertreterInnen seiner zeitgenössischen Frauenbewe3 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, erstes Kapitel. 4 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, achtes Kapitel. 5 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, achtes Kapitel. „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 55 gung verdient machten. Bebel knüpft an deren praktische Kritik an und ordnete sie in seine Theorie und Gesellschaftsanalyse ein, so zum Beispiel die Prostitution: Ehe und Prostitution sind für Bebel die zwei „Seite[n] des Geschlechtslebens der bürgerlichen Welt[...] Die Ehe ist der Avers, die Prostitution der Revers der Medaille.“6 Für Bebel ist die Prostitution notwendiges Element der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Bebel kritisierte den Versuch staatlicher Regulierung im Bereich der Prostitution und zeigte, wie dadurch die Hierarchisierung der Geschlechter noch verstärkt wird: „Jedes System offizieller Regelung der Prostitution hat Polizeiwillkür zur Folge sowie Verletzung gerichtlicher Garantien, die jedem Individuum, selbst dem größten Verbrecher, gegen willkürliche Verhaftung und Einsperrung zugesichert sind. Da diese Rechtsverletzung nur zum Nachteil der Frau geschieht, so folgt daraus eine widernatürliche Ungleichheit zwischen ihr und dem Manne. Die Frau wird zum bloßen Mittel herabgewürdigt und nicht mehr als Person behandelt. Sie steht außerhalb des Gesetzes.“7 Auch das Vorhandensein nur der weiblichen Prostitution ist für Bebel ein Ausdruck der bestehenden Geschlechterhierarchie – nicht etwa Ausdruck unterschiedlich ausgeprägter sexueller Triebe bei Männern und Frauen: „Daß die Frau die gleichen Triebe hat wie der Mann, ja daß diese in gewissen Zeiten ihres Lebens sich heftiger als sonst geltend machen, beirrt ihn nicht. Kraft seiner Herrschaftsstellung zwingt sie der Mann, ihre heftigsten Triebe gewaltsam zu unterdrücken und macht von ihrer Keuschheit ihr gesellschaftliches Ansehen und die Eheschließung abhängig. Durch nichts kann drastischer, aber auch in empörenderer Weise die Abhängigkeit der Frau von dem Manne dargetan werden als durch diese grundverschiedene Auffassung und Beurteilung der Befriedigung desselben Naturtriebs. Die Verhältnisse liegen für den Mann besonders günstig. Die Natur hat die Folgen des Zeugungsaktes der Frau zugewiesen, der Mann hat außer dem Genuß weder Mühe noch Verantwortung.“8 August Bebel sah die Prostitution mit der bestehenden Gesellschaftsordnung verbunden an, deren Überwindung wird demnach auch die Prostitution überwinden: „Dr. F.S. Hügel sagt: „Die fortschreitende Zivilisation wird die Prostitution allmählich in gefälligere Formen hüllen, aber nur mit dem Untergang der Welt wird sie vom Erdball vertilgt werden können.“ Das ist eine kühne Behauptung, aber wer nicht über die bürgerliche Form der Gesellschaft hinaus denken kann, nicht anerkennt, daß sich die Gesellschaft umwandeln wird, um zu gesunden und natürlichen Zuständen zu kommen, muß Dr. Hügel zustimmen.“9 Feminist auch in der politischen Praxis Aus der theoretischen Analyse ergaben sich für Bebel politische Forderungen und praktische Schritte für sein politisches Handeln: Für ihn war die Frauenfrage nicht allenfalls ein Nebenwiderspruch. Er war nicht, wie 6 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 12. Kapitel. 7 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 12. Kapitel. 8 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 12. Kapitel. 9 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 12. Kapitel. 55 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr später Zetkin und andere, für eine Abgrenzung von der bürgerlichen Frauenbewegung. Denn auch Nichtproletarierinnen sind Unterdrückte: „Ganz unabhängig von der Frage, ob die Frau als Proletarierin unterdrückt ist, sie ist es in der Welt des Privateigentums als Geschlechtswesen. Eine Menge Hemmnisse und Hindernisse, die der Mann nicht kennt, bestehen für sie auf Schritt und Tritt.“10 August Bebel versuchte, die Forderung nach dem Frauenwahlrecht schon in das Gothaer Programm zu schreiben, scheiterte damals am Parteitag (knapp, mit 55 zu 62 Stimmen) und setzte die Forderung 1891 für das Erfurter Programm durch. Es war das erste Parteiprogramm, dass diese Forderung aufnahm und da es den marxistischen Parteien der II. Internationale als Vorbild diente, hatte es eine starke internationale Vorbildwirkung in die Arbeiterparteien. Bebel erklärte zudem die politische Forderung nach der Berufstätigkeit von Frauen zur sozialistischen Selbstverständlichkeit: „Der klassenbewußte Arbeiter weiß, daß die gegenwärtige ökonomische Entwicklung die Frau zwingt, sich zum Konkurrenten des Mannes aufzuwerfen, er weiß aber auch, daß die Frauenarbeit zu verbieten ebenso unsinnig wäre wie ein Verbot der Anwendung von Maschinen, und so trachtet er danach, die Frau über ihre Stellung in der Gesellschaft aufzuklären und sie zur Mitkämpferin in dem Befreiungskampf des Proletariats gegen den Kapitalismus zu erziehen.“11 Den falschen Vorstellungen von Sexualmoral forderte er mit Aufklärung zu begegnen: „Die so genannten tierischen Bedürfnisse nehmen keine andere Stufe ein als die so genannten geistigen. Die einen und die anderen sind Wirkung desselben Or- 56 Seite 56 ganismus und sind die einen von den anderen beeinflußt. Das gilt für den Mann wie für die Frau. Daraus folgt, daß die Kenntnis der Eigenschaften der Geschlechtsorgane ebenso notwendig ist wie die aller anderen Organe und der Mensch ihrer Pflege die gleiche Sorge angedeihen lassen muß. Er muß wissen, daß Organe und Triebe, die jedem Menschen eingepflanzt sind und einen sehr wesentlichen Teil seiner Natur ausmachen, ja in gewissen Lebensperioden ihn vollständig beherrschen, nicht Gegenstand der Geheimnistuerei, falscher Scham und kompletter Unwissenheit sein dürfen. Daraus folgt weiter, daß Kenntnis der Physiologie und Anatomie der verschiedenen Organe und ihrer Funktionen bei Männern und Frauen ebenso verbreitet sein sollte als irgendein anderer Zweig menschlichen Wissens.“12 Wir können abschließend festhalten, dass die politische und wissenschaftliche Geschichte des Feminismus nie nur aus Sicht des weiblichen Geschlechts beschrieben werden kann, sondern, dass zu jeder Zeit immer auch männliche Theoretiker und Praktiker13 den feministischen Diskurs bereichert und forciert haben. Es verwundert deshalb, dass dem „Neuen Feminismus“ unterstellt wird, das Neue an ihm sei die Einbeziehung der männlichen Perspektive. Hier sollte ein differenzierter Blick auf den wesentlichen sozialistischen Feministen August Bebel ausreichen, um diese These zu widerlegen. 10 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, siebtes Kapitel. 11 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, achtes Kapitel. 12 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, siebtes Kapitel. 13 z. B. Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 57 Viel wichtiger erscheint allerdings, dass die 1879 von Bebel skizzierten Probleme heute noch die politische Diskussion um Gleichberechtigung bestimmen. Zum Beispiel durch die Bewusstmachung der strukturellen Diskriminierung durch das Nutzen einer geschlechterbewusste Sprache, dadurch, dass er die Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen im Kampf gegen die kapitalistische Ordnung ansah und durch die Bekämpfung der Prostitution und die Brandmarkung der Ehe als bürgerliches Unterdrückungsinstrument gegen die Selbstbestimmung der Frau, zeigen Bebels Analysen sich auf der Höhe der Zeit. Hier hat die Beschäftigung mit den historischen Wurzeln des „männlichen Feminismus“ August Bebels zwei praktische Konsequenzen. Erstens kann bewiesen werden, dass es eine inhaltliche und konzeptionelle Kontinuität gibt. Und zweitens kann männlichen und weiblichen Jusos, die den Nutzen feministischer Debatten in Zweifel ziehen, erhobenen Hauptes entgegnet werden: „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist.“ . Bücherliste: August Bebel: „Die Frau und der Sozialismus“ Dietz-Verlag, Berlin, 1946 Ja, ja auch sozialdemokratische Männer beschäftigten sich mit dem Thema „Frau“. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts machte sich z. B. August Bebel Gedanken, auf die so manche heutigen Genossen noch immer nicht gekommen sind. Paul Fröhlich: „Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat“ Dietz-Verlag Wer schon immer mal wissen wollte, wie man zu leben hat, um eine Ikone der Sozialdemokratie zu werden und was für starke Frauen es schon in der Weimarer Republik gab, dem sei diese Rosa Luxemburg-Biographie ans Herz gelegt. Simone de Beauvoir: „Das andere Geschlecht“ Rororo-Verlag, ISBN 3-49919319-1 Der zweite große Klassiker für alle, die sich über die Gleichstellung von Frauen informieren wollen. Erstaunlich treffsicher analysierte de Beauvoir anhand von zahlreichen Quellen bereits 1949 die Faktoren, die Frauen zum „anderen“, zum „schwachen“ Geschlecht machen. Alice Schwarzer: „Der kleine Unterschied und seine Folgen“ Berühmt berüchtigtes Buch aus den späten 70er Jahren. Heute vor allem deshalb lesenswert, da es ein interessantes Gegenbild zum allgegenwärtigen „Supersex“ in Frauenzeitschriften bietet. Zarte Gemüter sollten dieses Buch allerdings mit Vorsicht genießen. Anette Baldauf, Katharina Weingartner: „Lips, Tits, Power? Popkultur und Feminismus“ ISBN 3-85256-077-2 Verschafft einen Überblick darüber, was sich in Sachen Jugendkultur und Mädchen getan hat. Testcard, Beiträge zur Popkultur „Gender“ ISBN-3930555-07-0 Mit der gleichen Thematik beschäftigt sich diese Ausgabe der Testcard. Hier findet ihr Beiträge zu den Fragen: „Warum gibt es so wenige weibliche DJs? oder „Welches Frauenbild wird in Musikvideos vermittelt?“. Erhältlich auch über die Homepage: http://www.testcard.de 57 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 58 Pease, Allan / Pease, Barbara: Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen Hier ist richtig wer mehr über Feminismus und Biologismus und die Folgen dieser Kombination wissen möchte. (Ullstein Taschenbuch Verlag) ISBN: 978-3-548-36994-5 Paperback ca. 400 S. Websites: Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter Der Klassiker des Dekonstruktivismus. (Suhrkamp) ISBN: 978-3-518-11722-4 236 S. www.un.org/womenwatch/ Informationsseite der UN zum Thema Gleichberechtigung Herman, Eva: Das Eva-Prinzip Für eine neue Weiblichkeit Oder warum wir die Familie retten müssen? Hier gilt, man muss nicht alles lesen, aber wer zielgenau Eva Hermann kritisieren will, sollte es tun. (Goldmann Verlag) ISBN: 978-3-442-15462-3 Paperback, 256 S. Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun A: Feministische Theorien zur Einführung Verschafft einen guten Überblick über verschiedenste Theorien. Denn im Singular ist feministische Theorie nicht zu haben. ( Junius Hamburg) ISBN: 978-3-88506-648-4 Paperback Haaf, Meredith/Klinger, Susanne/Streidel, Barbara: Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht. Für alle, die sich selbst eine Meinung über den „neuen“ Feminismus bilden wollen.. (Hoffmann und Campe Verlag) ISBN 978-3-455-50075-2 www.bmfsfj.de Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend www.unifem.org Der Fonds der Vereinten Nationen für Frauen (Hier finden sich Informationen zur Situation von Frauen weltweit.) www.terredesfemmes.de Menschenrechtsorganisation, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen einsetzt www.entgeltgleichheit.de/ ein Projekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Thema gleiche Arbeit gleicher Lohn. www.dgb-frauen.de Seite der Frauen des DGB www.fes.de/gender Seite der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Gender www.zwd.de Seite der Zweiwochendienstes, der aktuelle Informationen rund um das Thema Gleichstellung bereit hält. www.sjoe.at/frauen Frauenseite unserer Schwesterorganisation in Österreich (Sozialistische Jugend Österreichs) unter „Themen“ www.maedchenmannschaft.net hier schreiben die Alphamädchen. Bothfeld, Silke u. a.: WSI FrauenDatenReport 2005. Handbuch zur wirtschaftlichen und sozialen Situation von Frauen. Ein Handbuch mit vielen Zahlen und Statistiken, Ansätzen von Erklärungsversuchen und damit auch ein Ansatz für die politischen Lösungsmöglichkeiten (edition sigma) ISBN 3-89404-997-9 58 „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009 IH_Argumente_2_09 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 59 Geschichte der Frauenbewegung – eine kleine Übersicht Jahr Beschreibung 1775 wird in Kempten im Allgäu Anna Schwegelin wegen Hexerei zum Tode verurteilt. Sie war die letzte verurteilte „Hexe“ in Deutschland. 1791 veröffentlicht Olympe de Gouges die „Declaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne“ (Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin) und protestierte damit gegen die einseitige Ausrichtung der Französischen Revolution auf den männlichen Teil der Bevölkerung. Artikel 1 lautet „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten.“ Dies wird als Geburtsstunde des modernen Feminismus bezeichnet. 1792 veröffentlichte Mary Wollstonecraft A Vindication oft he Rights of Women (Ein Plädoyer für die Rechte der Frau), in dem sie für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen eintritt und die Situation der Frauen mit aufklärerischem Gedankengut in Verbindung bringt. Sie entlarvt in ihrem Werk das Haupthindernis der Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung: die häusliche Unterdrückung und Erziehung und dass die Verehrung der Frauen durch die Männer lediglich ein Herrschaftsinstrument ist. Auch stellt sie die natürlichen Unterschiede von Männern und Frauen in Frage. 1848 Veröffentlichung der „Declaration of Sentiment/ Die Erklärung der Gefühle“ in den USA „Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte wiederholter Schädigungen und Übergriffe von Seiten des Mannes gegenüber der Frau, die zum unmittelbaren Zweck die Begründung einer Tyrannei über sie haben.“ Dieses Dokument wurde zum Gründungsdokument des Feminismus in den USA. Der ersten weltweiten Frauenbewegung, die sich letztendlich in Seneca Falls gründete. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts Erste Frauenbewegung im Zuge der franz. Revolution, weiter in den USA, England; in Deutschland: sozialistische, bürgerlich-radikale, bürgerlich-gemäßigte Feministinnen mit Forderungen nach dem Recht auf Erwerbsarbeit, Recht auf Bildung und dem Recht auf Politik. Suffragetten kämpften für das Wahlrecht der Frauen. 1880 taucht das Wort Feminismus (feminism) zum ersten Mal in Frankreich auf. 1879 erschien August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“. 1889 veröffentlichte Clara Zetkin „Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart“ und analysiert darin die Gesellschaft. Sie macht den Kapitalismus dafür verantwortlich, dass Frauen nicht nur mehr Haussklavinnen sind, sondern sich in wirtschaftlicher Selbstständigkeit und damit in Lohnsklaverei befänden. Dem müssten politische Rechte und Pflichten folgen. Damit postulierte Zetkin die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter als einen Nebenwiderspruch der herrschenden sozialen und ökonomischen Bedingungen, den sie dem Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit unterordnete. Ihre Verschiebung der formalpolitischen Emanzipation der Frau auf die Zeit nach der Revolution vertiefte die Konflikte der deutschen Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg und führte zu langwierigen Auseinandersetzungen mit anderen, gemäßigteren Protagonistinnen auch innerhalb der sozialdemokratischen Frauenbewegung. 1890 erschien die erste proletarische Frauenzeitschrift „Die Arbeiterin“ Herausgeberin war Emma Ihrer. Sie war auch das erste weibliche Mitglied der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. 1900 wurde die erste reichsweite sozialdemokratische Frauenorganisation gegründet. 59 IH_Argumente_2_09 Jahr 11.05.2009 21:54 Uhr Seite 60 Beschreibung 1910/11 Beschlossen wurde der Internationale Frauentag auf der zweiten Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen in Kopenhagen 1910. Eingebracht haben den Antrag Käthe Duncker und Clara Zetkin, das Hauptziel war das Frauenwahlrecht durchzusetzen. Am 19. März 1911 fand dann zum ersten Mal der Internationaler Frauentag statt. 1918 erlangten am 12. November die Frauen durch den Erlass der Regierung und der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland. 1946 erkennt die UNO bei ihrer Gründung das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau an. 1951 veröffentlicht Simone de Beauvoir „Le deuxième sexe“ (Das andere Geschlecht). 1955 löste in der DDR das Zerrüttungsprinzip das Schulprinzip bei Scheidungen ab. 1961 war die Pille in Deutschland käuflich zu erwerben, 1965 in der DDR. 1977 Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch mussten bis 1977 Frauen ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie einer beruflichen Tätigkeit nachgehen wollten. Außerdem wurde die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe aufgehoben. Ab 1968 Zweite Frauenbewegung (im engen Zusammenhang mit der 68erRevolte und den Forderungen nach Demokratiesierung) • Politische, sexuelle und soziale Emanzipation • Nicht nur Teilhabe an Institutionen, sondern auch Infragestellung der Institutionen • Neue Themen: Missbrauch, Abtreibung (Kampf gegen §218) • Infragestellung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung • „Das Private ist politisch“ Im Gegensatz zur ersten Frauenbewegung, die sich hauptsächlich in Vereinen organisierte, war die zweite Frauenbewegung stark individualisiert. 70er Von Kiel bis Konstanz entstanden Frauengruppen und Frauenzentren. Sie alle nahmen gemeinsam den Kampf gegen den Paragrafen 218, den Abtreibungsparagrafen, auf. Der Schwangerschaftsabbruch war verboten, er musste heimlich durchgeführt werden, war teuer, erniedrigend und manchmal lebensgefährlich. Männer entschieden darüber, ob eine Frau ein Kind bekommen sollte oder nicht. Die Frauenbewegung aber sagte: Weder Richter, noch Ärzte, geschweige denn Theologen haben das Recht, über den Körper und das Leben einer Frau zu bestimmen. Und sie forderten: Der Paragraph 218 muss ersatzlos gestrichen werden. 1971 Aktion „Ich habe abgetrieben“ im Stern. 1975 1. UN-Weltfrauenkonferenz 1976 Erstes Frauenhaus 1987 PorNo-Kampagne der EMMA 1988 beschließt der SPD Parteitag in Münster die Einführung einer Geschlechterquote. 1990 Judith Butler veröffentlicht Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter) und begründet damit den Dekonstruktivismus. 1990 Erster Gesamtdeutscher Frauenkongress 1995 weckt die Weltfrauenkonferenz in Peking große Hoffnungen. Es wird beschlossen, dass die Regierungen nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau vorlegen müssen. 60 „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009