argumente 2/2009

Transcrição

argumente 2/2009
ARGUMENTE
2/2009
ARGUMENTE 2/2009 Feminismus
Feminismus
Bei Unzustellbarkeit wegen Adressänderung erfolgt die Rücksendung an
den Herausgeber unter Angabe der gültigen Empfängeranschrift
Postvertriebsstück G 61797
Gebühr bezahlt
Juso-Bundesverband
Willy-Brandt-Haus, 10911 Berlin
April 2009
ISSN 1439-9784
Gefördert aus Mitteln des Bundesjugendplanes
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 1
ARGUMENTE
2/2009
Feminismus
Impressum
Herausgeber Bundesverband der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD beim
SPD-Parteivorstand
Verantwortlich Franziska Drohsel und Katrin Münch
Redaktion Simone Burger, Kai Burmeister, Ralf Höschele und Robert Spönemann
Redaktionsanschrift SPD-Parteivorstand, Juso-Bundesbüro, Willy-Brandt-Haus,
10911 Berlin
Tel: 030 25991-366, Fax: 030 25991-415, www.jusos.de
Verlag Eigenverlag
Druck Druckhaus Dresden GmbH
Die Artikel geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder
des Herausgebers wieder.
..........4
..........7
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 2
INHALT
Intro – I’m not here for your entertainment!............................................................4
Von Simone Burger, stellv. Juso-Bundesvorsitzende
Magazin
Feministischer Richtungsverband .............................................................................6
Von Sonja Pellin und Katie Baldschun, stellv. Juso Bundesvorsitzenden
Immer wieder für Gleichheit und Freiheit.
Eine kleine Geschichte der Frauenbewegung .........................................................9
Von Beate Schmid-Janssen, Historikerin LV Hamburg
Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. ...............12
Von Katharina Oerder, Juso UB-Vorsitzende Bonn
Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming...........................17
Von Lissy Gröner, Europaabgeordnete und Koordinatorin im Frauenausschuss
des Europaparlaments für die Sozialdemokratische Fraktion Europa (SPE)
Weil wir Mädchen sind...10 Fakten zur internationalen Situation von Frauen .....21
Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende
.......22
idat
.......26
2
Inhalt Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 3
Schwerpunkt
„The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“
Oder: Warum Frauen auch zum 90. Geburtstag des Frauenwahlrechts
noch weit von Gleichstellung entfernt sind. ..........................................................22
Von Claudia Bogedan, Referat Arbeitsmarktpolitik am Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung
Lieber Zicke als Freiwild..........................................................................................28
Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende
Frauen und Familie..................................................................................................31
Von Hilde Mattheis, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstands
Und ewig währt die Quotendiskussion..................................................................34
Von Ariane Giesler und Jennifer Rodenbeck, Landesverband Berlin
Gender Training statt Body Building? –
Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen............................................................38
Von Daniel Hard, Jusos Rheinland-Pfalz
Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos...............................................44
Von Katrin Münch, Bundesgeschäftsführerin der Jusos, und
Sonja Pellin, stellv. Juso- Bundesvorsitzende
Ihr Alphamädchen...so kommen wir auch nicht weiter!.........................................47
Von Antje Trosien (39), aus Hersbruck, war von 2001 bis 2005
stv. Juso-Bundesvorsitzende und arbeitet als Gewerkschaftssekretärin am Bodensee.
Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur ........50
Von Mithu Sanyal, Autorin von Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts
„Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ – August Bebel ..............53
Über Haupt- und Nebenwidersprüche... auf dem Weg zur Emanzipation
Von Karin Luttmann, Vorsitzende der ASF Dresden und
Tamara Breitbach, Sprecherin der Jusos Trier
3
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 4
I’M NOT HERE FOR YOUR
ENTERTAINMENT!
Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende
In bestimmten Wellen entdeckt das
Feuilleton immer wieder aufs Neue –
uns Frauen und vor allem die Frage
der Gleichberechtigung. Egal ob das
SZ-Magazin warnt, dass erfolgreiche
Frauen keinen Partner finden. Oder ob
die „neuen Übermütter“ Thema sind
und die Überforderung der „OttoNormal-Mutter“ ohne Kindermädchen.
Mal freundlich, mal mehr als feindlich
– die wahren Opfer dieser Zeit sind
nun mal die Männer und die müssten
jetzt endlich gefördert werden.
Dabei zeigt sich bei all den Wellen
eine erstaunliche Kontinuität – die
Debatte bewegt sich nicht weiter.
Die Versatzstücke bleiben dieselben.
Gibt jemand das Versprechen ab, dass Feminismus und Glamour oder wahlweise
auch Feminismus und Waffen zusammen
gehen, wird das freudig aufgenommen und
diskutiert. Auch der Feminismus braucht
ein Stück Sexiness, um sich in den Medien
4
Intro Argumente 2/2009
wieder zu finden. Der öffentliche feministische Diskurs wird zu einem wohldosierten
Brei, aus Sex, persönlicher Betroffenheit
und der im Alltag immer wieder erlebten
Ungerechtigkeit, der auch ohne Probleme
in der Gala veröffentlicht werden kann.
Provokationen kommen in diesem Diskurs oftmals von Frauen, die niemand verdächtigen würde Feministinnen zu sein:
„Ich habe viel Arbeit in meinem Körper gesteckt
damit er so aussieht. Eine Schwangerschaft
würde alles kaputt machen.“ Mariah Carey
Denn trotz der ausgerufenen Tabulosigkeit, bleiben viele Tabus unangetastet.
Nämlich die negativen Seiten. Seit in den
90er Jahren „mit weil ich ein Mädchen bin“
die Vorteile eine Frau zu sein in den Vordergrund gestellt wurden – wird alles in
wunderschöne comichafte Farben getaucht
und weichgezeichnet:
• Alle Feministinnen sind heute hübsch –
was ist mit all den Frauen passiert, die
IH_Argumente_2_09
•
•
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 5
nicht dem allgemeinen Schönheitsideal
entsprechen?
Wann hat eine Frau zum letzten Mal gesagt, dass sie unter keinen Umständen
ein Kind will?
Ständig wird davon gesprochen, dass
Feminismus Spaß machen muss (Es ist
nicht meine Revolution, wenn ich nicht
dazu tanzen kann) – wann hat jemand
mal wieder gesagt, dass Feminismus eine
ernste Angelegenheit ist (die Zahlen
verleiten eigentlich nicht zum Lachen)?
Unausgesprochen – denn heute betonen
alle, wie wichtig die frühere Frauenbewegung war – wird dennoch versucht, sich von
ihnen abzugrenzen. Nur nicht in den Verdacht geraten, zu denen zu gehören. Man
will nicht die Zicke in diesem Spiel sein.
Das neue Versprechen ist: du kannst auch
Feministin sein, ohne zur Außenseiterin,
zur Spinnerin zu werden.
Doch Feminismus ist vor allem eins –
ein Kampf um Macht. Wer die Gleichstellung der Geschlechter will, muss den Männern ein Stück davon wegnehmen, und das
wird nicht einfach und nicht schmerzfrei.
Und bei all dieser Hippness, die einem
da entgegen strahlt, wenn man mal zur Recherche das Wort Feminismus bei google
eingibt, wird es vielleicht Zeit für neue
Statements:
Ich möchte grantig, zornig und hässlich sein!
Ich werde auch an der Revolution arbeiten,
wenn im Hintergrund Karl Moik singt –
von so etwas lass ich mich doch nicht abbringen!
Du bist unzufrieden mit der Analyse
bis jetzt? Das ist gut so, denn du stehst gerade erst am Anfang dieses Argumente-
Hefts. Dies ist das Editorial und wie wikipedia berichtet:
„In angelsächsischen, besonders amerikanischen
Medien gibt das Editorial meist dezidiert die
Meinung der oder des Herausgeber(s) und/
oder der Chefredaktion wieder,...“
In diesem Fall meine Meinung. Bilde dir
deine eigene!
Auf den nun folgenden Seiten haben
wir versucht, unterschiedliche Vertreterinnen und Vertreter des Feminismus zu Wort
kommen zu lassen, um damit auch die Pluralität der unterschiedlichen feministischen
Entwürfe im Verband wieder zu spiegeln.
Wir wollten noch einmal genauer hinschauen:
Wie sieht es aus mit dem feministischen
Richtungsverband bei den Jusos und was
macht die Quote? Welche feministischen
Theorien gibt es? Was bewegt sich auf europäischer und internationaler Ebene? Erzielt
die Gleichberechtigung in Punkto Arbeitsmarkt, Familie und Sexualität Fortschritte?
Wo stehen wir eigentlich und was müssen
wir noch erkämpfen?
Beim Feminismus geht es aber nicht
nur um die Theorie, sondern (auch) um die
Praxis. In diesem Argumente-Heft findest
du deshalb zwei Artikel zum Thema Gender Training und zur Arbeit im Verband.
Wir wollten aber auch aktuelle Diskussionen aufgreifen: Welche Ansichten gibt
es zu den Alphamädchen? Gibt es Neuigkeiten im Bereich Kultur? Wie sieht es aus
im Verhältnis zwischen Mann und Feminismus?
.
Dann bleibt mir nur eins übrig, euch
viel Spaß beim Lesen zu wünschen!
5
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 6
FEMINISTISCHER
RICHTUNGSVERBAND
Von Sonja Pellin und Katie Baldschun, stellv. Juso Bundesvorsitzenden
Magazin
„Unter Feminisierung verstehen wir,
Frauenpolitik zum integralen Bestandteil jedes Politikfeldes zu machen, die
Zusammenarbeit mit der Frauenbewegung zu suchen und in der Verbandsreform den frauenorientierten Umbau
zu bewerkstelligen, der Frauen eigene
Zugänge und bessere Eingriffschancen
in die Politik des Verbandes ermöglicht.“
Aus der Potsdamer Grundsatzerklärung der Jusos, 1991
Richtungsverband nicht zur Worthülse verkommen zu lassen. Die Realitäten im Verband zeigen, dass häufig weder Feminismus
als politischer Ansatz noch das Problem der
geringeren Repräsentanz von Frauen in der
Struktur der Gliederungen als Arbeitsfeld,
geschweige denn als Schwerpunkt, definiert
werden. Feministischer Richtungsverband
im 21. Jahrhundert – welche Ansprüche
verbergen sich dahinter, und sind oder werden sie in der Realität eingelöst?
Jusos sind ein feministischer Richtungsverband. Der Satz ist wahr und beschreibt
nach wie vor das Selbstverständnis des gesamten Verbandes. Wahr ist, dass sich der
Juso-Bundesverband seit der Potsdamer
Grundsatzerklärung von 1991 in vielen
Teilen weiterentwickelt hat. Vieles, was damals noch erkämpft und durchgefochten
werden musste, ist heute – fast immer –
selbstverständlich. Wahr ist allerdings auch,
dass es eine konstante Herausforderung
bleibt, die Aussage über den feministischen
Richtungsverband – Perspektive und
Richtung bestimmen
6
Feministischer Richtungsverband Argumente 2/2009
Feministischer Richtungsverband zu sein,
heißt für uns Jusos, die Verhältnisse in der
Gesellschaft aus feministischer Perspektive
in den Blick zu nehmen. Feminismus ist
dabei für uns eine Theorie, die alle Bereiche des Menschlichen betrifft und den patriarchalen Gehalt aller gesellschaftlichen
Entwicklungen aufdeckt und kritisiert. Feminismus heißt damit also Wissenschafts-
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 7
und Kulturkritik – an Sexismus und Patriachat. Feminismus heißt dabei aber auch,
Gegenentwürfe anzubieten und die Ungleichbehandlung der Geschlechter abzuschaffen.
Die Forderung nach gleichen Rechten
für Frauen und Männer ist schon über hundert Jahre alt. Doch die Machtverhältnisse
sind auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts
noch ungleich zugunsten der Männer verteilt. Die zentralen Positionen von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht sind
ganz überwiegend von Männern besetzt,
und das gilt auch bei globaler Betrachtung
in der Regel ganz unabhängig von Staatsform und Wirtschaftsweise. Auch in Gesellschaften, in denen Frauen formal die
gleichen Rechte haben wie Männer, ist echte Gleichstellung noch nicht erreicht. Dass
wir noch in einer männlich strukturierten
Gesellschaft leben, zeigt sich auf vielen
Ebenen: Daran, welchen Anteil Frauen an
leitenden Positionen in Wirtschaft, Politik,
Wissenschaft und an sonstigen gesellschaftlich relevanten Stellen haben. Daran, dass
eine Lücke in der Entlohnung von Männern und Frauen klafft und überdurchschnittlich häufig Frauen in prekärer Beschäftigung arbeiten. Daran, dass Erwerbsund Familienarbeit ungleich verteilt ist und
die Frage der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf überwiegend von Frauen gelöst
werden muss. Daran, wie Steuer- und Sozialsystem ausgestaltet sind. Und daran,
dass vor allem Frauen Opfer von Gewalt
und Unterdrückung sind. Feministisch zu
sein heißt für uns, diesen Zustand und diese Struktur zu überwinden: Wir erstreben
eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleich, frei und solidarisch miteinander
leben. Wir wollen eine Gesellschaft, in der
das Geschlecht keine Rolle mehr spielt, in
der alle Menschen die gleiche Freiheit le-
ben können. Die Gleichheit der Geschlechter ist dabei für uns die grundlegende Idee
einer auf Emanzipation angelegten Strategie, in der viele Lebensentwürfe möglich
sind. Nur die Gleichheit von Lebenschancen und Voraussetzungen schafft erst die
Bedingung, um Verschiedenartiges leben
zu können.
Frauenpolitik auf jedem Politikfeld
Solange echte Gleichstellung nicht erreicht
ist, hat Frauenpolitik als eigenes Politikfeld
nicht nur eine Daseinsberechtigung, sondern sie ist unverzichtbar. Zugleich ist für
jeden Politikbereich und jede politische
Handlung die Frage entscheidend, inwieweit patriarchale Strukturen dadurch gefestigt werden bzw. ob und wodurch sie aufgebrochen werden und werden können. Wenn
wir unsere Vorstellungen von Guter Arbeit
und Ausbildung entwickeln, dann sind ein
geschlechtergerechter Arbeitsmarkt und diskriminierungsfreie Arbeitsverhältnisse notwendige Bestandteile. Wenn wir die Zukunft der Sozialsysteme reden, dann wollen
wir unter der Perspektive der Gleichstellung vor allem die Abhängigkeit der
Frauen von den Männern bei der Frage der
Absicherung abschaffen. Wenn wir das
Bildungssystem in den Blick nehmen, fordern wir eine frühkindliche, schulische und
berufliche Bildung, in der Schluss ist mit
Rollenbildern und ihren Fortschreibungen.
Kurzum: Feministischer Richtungsverband
zu sein heißt, in jedem Politikbereich die
Frauenfrage zu stellen.
Frauenorientierter Umbau
Feministischer Richtungsverband heißt,
den frauenorientierten Umbau zu wollen.
Wir fangen damit im eigenen Verband an.
7
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 8
Die Zahlen der letzten Jahre zeigen: Wir
könnten damit schon weiter sein. Denn sowohl im Hinblick auf die Mitgliederzahl
als auch auf die Führungspositionen ist der
Verband in der Gesamtschau männlich
geprägt. An vielen Stellen entwickelt sich
etwas, so zeigt etwa ein Geschlechter-Rotations-System auf dem Vorsitzposten Wirkung. Das Mentoring-Programm, von der
Bundesebene im Jahr 2006 aufgelegt, wird
auch auf anderen Gliederungsebenen umgesetzt und weiterentwickelt. In vielen Bezirken und Landesverbänden wird regelmäßig
zu frauen- und gleichstellungspolitischen
Themen getagt, und es gibt feste Institutionen und Programme (Gender- und
Gleichstellungsarbeitskreise, Frauen- und
Sexismuskommission,
Frauennetzwerk,
Mentoringprogramm). Gleichstellungsberichte zeigen auf Bundesebene Erfolge und
Schwachstellen auf, etwa auch bezüglich
der Beteiligung von Frauen an Veranstaltungen. An diesen Schwachstellen gilt es
weiter zu arbeiten, denn sie zeigen, dass wir
unser Ziel noch nicht erreicht haben.
Wir machen weiter, denn eines haben
die Jahre (auch seit der Grundsatzerklärung) vor allem für den frauenorientierten
Umbau gezeigt: Nachlassen kommt nicht
in Frage.
Doppelstrategie
Unsere Verbündeten finden wir überall da,
wo die Frauenfrage das politische Handeln
mitbestimmt. Deshalb spielt auch für unseren feministischen Diskurs und unsere frauenpolitischen Vorhaben die Doppelstrategie eine wichtige Rolle. Denn wir wollen
Anstöße aus den gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, gewerkschaftlichen und kulturellen Debatten aufnehmen und (gemeinsam) weiterentwickeln. Und wir tragen
8
Feministischer Richtungsverband Argumente 2/2009
unsere Forderungen gemeinsam mit unseren PartnerInnen in die Sozialdemokratie
hinein, um daraus konkrete Politik zu machen und Gesellschaft zu verändern.
Für uns gilt noch immer:
Wer die menschliche Gesellschaft will,
muss die männliche überwinden.
.
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 9
IMMER WIEDER FÜR
GLEICHHEIT UND FREIHEIT.
EINE KLEINE GESCHICHTE
DER FRAUENBEWEGUNG
Von Beate Schmid-Janssen, Historikerin LV Hamburg
Magazin
Die Forderungen nach Gleichheit und
Freiheit ziehen sich durch die verschiedenen Stränge einer Geschichte der
Frauenbewegung, wie sie heute vorrangig dargestellt wird. So verwundert
es nicht, wenn ihr ideengeschichtlicher
Ursprung eng mit der Französischen
Revolution und der Zeit der Aufklärung
verbunden ist. In deren Kontext forderten Mary Wollstonecraft und Olympe
de Gouges als prominenteste Vertreterinnen Ende des 18. Jahrhunderts
die Gültigkeit der Revolutionsforderungen Gleichheit und Freiheit auch
für Frauen.
Der Blick auf Deutschland
Den Beginn der deutschen praxisgeschichtlichen Frauenbewegung markiert die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) 1865. Bis 1933 wird von
der ersten Frauenbewegung gesprochen,
wobei sich eine bürgerliche von einer pro-
letarischen Frauenbewegung unterscheiden
lässt. 1968 gilt als das Geburtsjahr der
Neuen oder zweiten Frauenbewegung. Die
Darstellung ihrer Ausprägungen und ein
Blick auf die ostdeutsche Frauenbewegung
schließen diesen knappen Überblick ab.
Die erste Frauenbewegung
Als Protagonistin der ersten Frauenbewegung, die im Zusammenhang mit der
1848er Revolution entstand, ist Louise
Otto-Peters zu nennen. Sie verschaffte sich
ab 1849 mit ihrer „Frauen-Zeitung“ Gehör
und wurde 1865 erste Vorsitzende des
ADF. Mit dem Ruf nach Gerechtigkeit
und Freiheit für alle BürgerInnen begründeten die AnhängerInnen des Vereins eine
ihrer obersten Forderungen: das Recht auf
Arbeit und auf bessere Bildung. Hier wird
klar, dass der ADF eine Stimme der Frauen der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht war, denn für Fabrikarbeiterinnen,
Köchinnen und Dienstmädchen stellte sich
9
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
die Frage nach dem Recht auf Arbeit nicht.
Sie hatten keine andere Wahl. Doch darüber hinaus hatte die bürgerliche Frauenbewegung auch Ziele, die mit denen der
proletarischen Bewegung übereinstimmten:
die Forderung nach gleichem Lohn für
gleiche Arbeit zum Beispiel. Als Dachverband der Frauenvereine wurde 1894 der
„Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF)
gegründet. Die Mitgliederzahl des BDF
schwoll um 1900 auf 70.000 und bis zum
Ersten Weltkrieg auf 250.000 an.
Das Jahr 1908 kann als erster Wendepunkt bezüglich der politischen Beteiligung
gelten, denn von da an galt die Vereinsfreiheit auch für Frauen. Damit konnten Frauen Parteimitglieder werden – jedoch ohne
aktives und passives Stimmrecht. Die Haltung des BDF zum politischen Wahlrecht
war lange Zeit zurückhaltend. Vom radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung schon länger gefordert, äußerte der
BDF erstmals 1917 lautstark die Forderung
nach einer vollen politischen Mitbestimmung für Frauen.
Vertreter der SPD und der USPD waren es, die nach Kriegsende am 12.11.1918
per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das Frauenwahlrecht einführten. In der
Weimarer Verfassung hatten Männer und
Frauen dann gleiche Rechte und Pflichten.
Die proletarische Frauenbewegung
Im Unterschied zur bürgerlichen Bewegung
verfolgte die proletarische Frauenbewegung als Teil der sozialistischen Bewegung
keine Reformen der bestehenden Verhältnisse, sondern ihre Revolution. Clara Zetkin und Emma Ihrer sind herausragende
Frauen dieses Teils der ersten Frauenbewegung, die aus einer anderen Perspektive für
das „Recht auf Arbeit“ für Frauen inner-
10
Seite 10
halb der ArbeiterInnenbewegung kämpfen
mussten. Frauen wurden durchaus auch als
konkurrierende Arbeitskräfte gesehen, ein
Verbot der Arbeit war mit der Aussicht der
Lohnverbesserung für Männer verbunden.
Zudem waren bürgerliche Familienvorstellungen auch innerhalb der ArbeiterInnenschaft verbreitet. Die proletarische Frauenbewegung hatte also sowohl nach innen, als
auch nach außen zu kämpfen. Rückenwind
erhielt die feministische ArbeiterInnenbewegung durch das 1878 erschienene Buch
August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“, in dem er sowohl der Lohn- als auch
der „Geschlechtssklaverei“ den Kampf ansagte. Die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschärfenden Auseinandersetzungen innerhalb der ArbeiterInnenbewegung
um Reformismus und Krieg spaltete auch
die proletarische Frauenbewegung. Der Anteil der Frauen in der kommunistischen
Partei blieb gering, die sozialdemokratischen Frauen blieben in ihrer Tätigkeit
meist auf die Wohlfahrtspflege beschränkt.
Die Zeit des Nationalsozialismus
Lange Zeit wurde postuliert, dass der patriarchalische Nationalsozialismus die Frauenbewegung unterdrückt habe. Erst mit einer späten wissenschaftlichen Aufarbeitung
seit Mitte der 1980er hat sich dieses Bild
gewandelt. Der BDF löste sich zwar 1933
selbst auf, antisemitische und nationalistische Anteile wurden jedoch bei Vertreterinnen des bürgerlichen Feminismus in deren Schriften vor 1933 herausgearbeitet. So
ist zum Beispiel die politische Überhöhung
der Mutterschaft im Nationalsozialismus
ein bekanntes Bild aus Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung. Gertrud Bäumer,
eine wichtige Vertreterin auf deren gemäßigtem Flügel, arrangierte sich zum Bei-
Immer wieder für Gleichheit und Freiheit. Eine kleine Geschichte der Frauenbewegung Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 11
spiel mit dem Nationalsozialismus und
fand Verständnis für die Rücknahme frauenpolitischer Errungenschaften.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
... wurde 1949 die Gleichberechtigung von
Männern und Frauen als dritter Artikel im
bundesrepublikanischen Grundgesetz verankert. Auch in der ersten Verfassung der
DDR wurde 1949 das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter festgeschrieben.
In Westdeutschland gründete sich in jenem Jahr der Deutsche Frauenrat als neuer
Dachverband der Frauenverbände. Die Neue
Frauenbewegung entstand jedoch erst 1968
im Zuge der Studentenbewegung. Im SDS
organisierte Studentinnen gründeten im Januar 1968 in West-Berlin den „Aktionsrat
zur Befreiung der Frau“, um gegen die
patriarchalischen Strukturen innerhalb der
Studentenbewegung agieren zu können.
Die Neue Frauenbewegung pluralisierte
sich, gespeist durch das sich allgemein verändernde politische Bewusstsein, die veränderten sexuellen Einstellungen und durch
die Kampagnen gegen den § 218. Ein
Dachverband wurde nie gegründet, es entstanden aber in vielen deutschen Städten
Frauenzentren und vielerlei feministische
Projekte: Frauenhäuser, Beratungsstellen
für Mädchen, Anlaufstellen bei sexueller
Gewalt, Frauenverlage, Frauenkneipen und
vieles mehr. Sie zeigen vor allem eine körperliche, geistige und intellektuelle Selbstverständigung. In den 80er Jahren engagierten sich Feministinnen verstärkt in der
Ökologiebewegung und in diesem Jahrzehnt wird auch eine politische Institutionalisierung der Frauenbewegung erkennbar:
Rita Süssmuth wird als erste Bundesfrauenministerin vereidigt, Grüne und SPD führen die Frauenquote ein.
Die ostdeutsche Frauenbewegung
In der DDR fungierte der Demokratische
Frauenbund Deutschlands (DFD) als Massenorganisation für Frauen. Ende der 80er
kann im Rahmen der neuen Friedens- und
Alternativbewegung von einer Neuen Frauenbewegung in der DDR die Rede sein.
1982 kamen erstmals „Frauen für den Frieden“ zusammen. Gleichnamige Gruppen
wurden in vielen größeren Städten gebildet.
In der Umbruchzeit schlossen sich die
vielen verschiedenen Frauengruppierungen
1990 zum Unabhängigen Frauenverband
(UFV) zusammen. Dieser nahm zusammen mit der „Grünen Partei“ an der Volkskammerwahl statt – jedoch ohne einen Sitz
zu erlangen. 1991 entschied sich der UFV
gegen eine Partei und für eine Vereinsgründung. 1998 löste er sich auf. Zwischen
west- und ostdeutschem Feminismus kam
es nicht zum erhofften Erneuerungsschub,
die Differenzen waren zu groß.
.
11
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 12
UM ZU WISSEN, WOHIN
MAN WILL, MUSS MAN
WISSEN, WOHER MAN
KOMMT.
Von Katharina Oerder, Juso UB-Vorsitzende Bonn
Magazin
Ist ein Recht auf Telearbeit die perfekte
Möglichkeit, sich auf die Bedürfnisse
gerade junger Mütter einzustellen und
damit ein feministisches Instrument?
Oder ist Telearbeit, eine Position, aus
der so gut wie nie jemand befördert
wird, eine so genannte „Frauenfalle“?
Sind es unterschiedliche Bedürfnisse,
gar die Gene, die Frauen für Heimund Herdarbeit prädestinieren? Frauen
haben einen besseren Überblick, Männer können besser im Dunkeln sehen,
deshalb sollten auf langen Autofahrten
Frauen tagsüber und Männer nachts
fahren. Ist doch schön, wenn jeder seine Rolle hat. Blöd nur, wenn die eine
oder andere Rolle einen gesellschaftlich höher anerkannten Status hat.
Und blöd, wenn Menschen eine Rolle
zugeschrieben bekommen, die ihrer
selbst nicht entspricht.
Das Nature/Nurtur-Problem treibt nicht
nur FeministInnen um, ist aber für uns
von besonderer Bedeutung.
12
Oder ist an dem Argument, dass ein
Habitus, der sich aus sich selbst heraus
beforscht, zu nichts anderem führen
kann, als zur Bestätigung seiner selbst,
etwa doch etwas dran?
Dass wir Jusos ein feministischer Richtungsverband sind, wissen wir alle. Was das
bedeutet, und vor allem welche konkreten
Positionen sich daraus ergeben, ist hingegen schon schwieriger abzuleiten. Dazu ist
es sinnvoll, sich die verschiedenen feministischen Strömungen genauer anzuschauen
und auf ihre Anschlussfähigkeit für jungsozialistische Politiken zu prüfen.
Um zu wissen, wo mensch hin will,
muss mensch wissen, woher mensch
kommt.
Biologismus
In ihrem allumfassenden und deterministischen Erklärungsanspruch werfen Biolo-
Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 13
gismen große erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Probleme auf. Schwerwiegende weltanschauliche, politische und
gesellschaftliche Folgen erwachsen hier aus
einer unzureichend reflektierten und einseitigen Betrachtung.
Biologistische Ideen werden immer wieder gerne gegen Gleichstellung und Feminismus ins Feld geführt. Die Steinzeit sei
schuld. Mit evolutionspsychologischen oder
-biologischen Argumenten und (vermeintlich) steinharten Fakten wird erklärt, warum Frauen keine Karten lesen können und
Männer die Butter im Kühlschrank nicht
finden.
Männer suchen sich jüngere Frauen, da
diese reproduktionsfähiger sind. Es sei ihre
biologische Aufgabe, möglichst viele Nachfahren zu zeugen. Frauen hingegen produzieren wenig Nachwuchs. Zur eigenen und
der Sicherheit ihrer Kinder versuchten sie,
einen Mann langfristig an sich zu binden.
Biologistisch durchaus einleuchtend. Neuere Studien zeigen jedoch, dass es sich viel
mehr um vorhandene Ressourcen handelt,
die den Unterschied machen. Sind nämlich
Frauen selbst erfolgreich, und in Besitz von
Macht und Geld, um sich eingeständig
versorgen zu können, leisten sie sich gerne
auch mal einen jüngeren, mittellosen
Mann. Populärwissenschaftlich eingängig
sind diese Überlegungen durchaus, empirisch seriös und haltbar allerdings nicht.
Es ist ein Treppenwitz des Feminismus,
dass ausgerechnet Biologistinnen wie Helen Fisher aktuell das Jahrhundert der Frauen ausrufen. Weibliche Hirnstrukturen seien besser miteinander vernetzt und deshalb
für die Ökonomie der Zukunft besser gerüstet. So verlockend dieses rhetorische
Oberwasser wirkt, sind biologistische Argumentationen, egal für welche geschlechtliche Überlegenheit sie auch sprechen mö-
gen, wissenschaftlich nicht haltbar und
werden der Vielfalt der Menschen, sei es
bezüglich Geschlecht, Ethnie, sozialer Rolle oder Hormonspiegel nicht gerecht.1
Differenz-Feminismus
AnhängerInnen dieser Strömung gehen
von einer grundsätzlichen Verschiedenheit
der Geschlechter aus. Dieser Unterschied
sei zeitlos und naturgegeben. Differenzfeministinnen rücken aber, anders als im
Biologismus, Frauen in ein betont positives
Licht. In ihrer Selbstbeschreibung proklamieren sie einen „Befreiungsprozess aus der
Unterwürfigkeit des femininen Geschlechts“
und strebten nicht nur, wie der liberal geprägte Universalismus, „eine Angleichung
an den Mann“ an. Diese Theorie des Feminismus unterstützt die Idee, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern
und Frauen gibt. Häufig werden jedoch
Frauen als die „besseren Menschen“ dargestellt. So zum Beispiel in der weit verbreiteten Ansicht, wenn Frauen die Welt beherrschen würden, gäbe es keine Kriege, da
sie empathischer und konfliktscheuer seien.
Diese Ansicht hat mitunter etwas Esoterisches oder gar Mystisches mit Themen
wie Göttinnenkult, Matriarchatsforschung
und Hexenkult. Der Differenzfeminismus
wiederum untergliedert sich in verschiedene eigene Strömungen, so zum Beispiel in
den Ökofeminismus oder auch den Anarchafeminismus.2
1 Prominente VertreterInnen sind z. B. Eva Herrmann und Allen & Barbara Peace in ihren Ratgeberbüchern wie „Warum Männer nicht zuhören
und Frauen schlecht einparken“.
2 Prominente Vertreterinnen: Maria Mies, Dorothy
Smith und Luisa Francia
13
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 14
Radikalfeminismus
Dekonstruktivismus
Der Radikalfeminismus geht im Gegensatz
zum Differenzfeminismus von einer grundsätzlichen Gleichheit, einer Universalität der
Geschlechter aus. Nach dieser Philosophie
gibt es keine „typisch männlichen“ oder „typisch weiblichen“ Eigenschaften, sondern
nur durch die geschlechtsspezifische Sozialisation und Arbeitsteilung begründete
Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Die AnhängerInnen dieser Strömung kämpfen für die Aufhebung sämtlicher
geschlechtsspezifischer gesellschaftlichen
Ungleichheiten, um so den Menschen zu
ermöglichen, sich im Sinne seiner individuellen Fähigkeiten und Vorlieben zu entfalten, anstatt gesellschaftlich vorgegebene
Geschlechterrollen zu reproduzieren.
Analytisch wird hierbei vor allem mit
dem Gender-Konzept gearbeitet. Dieser Begriff wird seit den 1980/90er Jahren in der
Debatte um Geschlechter und Geschlechtergerechtigkeit genutzt, um sprachlich zwischen Sex als biologischem und Gender als
sozialem bzw. kulturellem Geschlecht zu unterscheiden. Während der „Sex“ oder „Sexus“
bestimmt, ob wir als Mann oder Frau geboren werden, bestimmt „Gender“, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein. Da
es eine solche sprachliche Trennung im
Deutschen nicht gibt, wird an den englischen Begriffen festgehalten. Gender wird
also gesellschaftlich erschaffen – „Doing
Gender“ so zu sagen – und ist somit nicht
naturgesetzlich, sondern kann durch
menschliches Handeln verändert werden.3
Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Idee
der Differenz zwischen Menschen, nicht
zwischen Geschlechtern. Geschlecht wird
auch hier universalistisch verstanden. Das
bedeutet, angenommene originäre geschlechtliche Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede werden aufgelöst: „dekonstruiert“. Der Dekonstruktivismus, oder
auch Postfeminismus, geht dabei jedoch
einen Schritt weiter als die Radikalfeministinnen: sowohl das biologische Geschlecht
(sex) als auch das soziale Geschlecht (gender) seien gesellschaftliche Konstrukte. Entsprechend gibt es vor allem gegenüber jenen Ansätzen massive Kritik, die an der
sprachlichen Trennung in Sex und Gender,
festhalten. Die Unterscheidung in biologisches und kulturelles Geschlecht suggeriere, dass zumindest ein Teil des Geschlechts
determiniert und damit nicht konstruiert
sei. Auch Körpermerkmale wie z. B. Körperbau oder Genitalien seien jedoch geschlechtstypischen Erwartungen unterlegen.
Ein prominentes Beispiel für diese Argumentation ist der weibliche Körperhaarwuchs, hierbei vor allem der im Gesicht,
der bei manchen Frauen auftritt, jedoch als
geschlechtsuntypisch empfunden und damit kosmetisch entfernt oder mit Hormonen behandelt wird.
In der Konsequenz wird Zweigeschlechtlichkeit durch den Begriff der
Vielgeschlechtlichkeit ersetzt. Mit diesen
Überzeugungen geht einher, konkrete
gleichstellungspolitische Maßnahmen abzulehnen, da diese die Dichotomie der Geschlechter weiter verfestigten anstatt sie
aufzulösen.
Die viel beachteten Queer-Theories
lassen sich unter feministischer Perspektive
unter den Ansatz des Dekonstruktivismus
3 Prominente Vertreterinnen: Hauptwerk dieser Strömung ist „Das andere Geschlecht“ von Simone de
Beauvoir. Im deutschsprachigen Raum ist „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ von Alice
Schwarzer eines der wichtigsten theoretischen Werke. Eine weitere relevante Autorin ist Mary Daly.
14
Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 15
fassen. Ziele sind hier ebenfalls die Auflösung von biologischer Geschlechtlichkeit
und Heteronormativität mittels Dekonstruktion. Sie beziehen sich ebenfalls auf das
Hauptwerk Judith Butlers. Der Ursprung
der „Queer“-Bewegung liegt in den lesbisch-schwulen Organisationen der 1980er
Jahre und ihren Anti-Aids-Kampagnen.
Die Autorinnen bauen auf den beauvoirschen universalistischen Ideen auf. Das
bedeutet aber nicht, dass sich AnhängerInnen dieser beiden Strömungen immer wohl
gesonnen sind. Häufig gibt es Uneinigkeiten darüber, wer der oder die „bessere“ FeministIn ist.4
Der Biologismus und der Differenzfeminismus werden von den Jusos nicht als
feministische Strategie verfolgt. Einigkeit
besteht darin, Geschlechtsunterschiede als
gesellschaftliche Machtstrukturen zu begreifen, wie wir Jusos sie, nicht zuletzt im
Hamburger-Programm manifestiert, in der
prominenten Aussage „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche
überwinden“, ebenfalls verstehen.
Bei einer Unterscheidung dieser beiden
Ansätze ist für uns die gemeinsame politische Implikation eine entscheidende. Eine
Antwort auf gleichstellungspolitische Fragestellungen und Herausforderungen geben
wir universalistisch ohne dabei schon auf
Gleichstellungspolitische Maßnahmen verzichten zu können. Im Sinne der auf dem
letzten Buko beschlossenen 63 Thesen bedeutet dies:
„Die Gleichheit der Geschlechter ist
grundlegende Idee einer auf Emanzipation
angelegten Strategie. Dabei geht es nicht
um Negierung von Individualität oder das
Ignorieren unterschiedlicher Betroffenheiten. Nur die Gleichheit von Lebenschancen
und Voraussetzungen schafft jedoch überhaupt erst die Bedingung, um Verschiedenartiges leben zu können. Die Demokratisierung aller Lebensbereiche und die
Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung sind unsere grundlegenden Ziele. Dazu bedarf es der Veränderung von
Strukturen. Solange die patriarchalen Strukturen nicht überwunden sind, bedarf es zudem gezielter Instrumente, die die Benachteiligung von Frauen ausgleichen.“
.
4 Prominenteste Vertreterin: Judith Butler, die Autorin des dekonstruktivistischen Hauptwerks „Das
Unbehagen der Geschlechter“.
15
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Infokasten:
Alice Schwarzer (* 3. Dezember 1942 in Wuppertal-Elberfeld) Die deutsche Publizistin legte
mit dem Sachbuch „Der kleine Unterschied und
seine großen Folgen“ (1975) ihren ersten Bestseller vor, woraufhin sie zur bekanntesten Feministin der bundesdeutschen Frauenbewegung
aufstieg. Davor veröffentlichte Alice Schwarzer,
noch als freie Korrespondentin in Paris (1970 –
1974), provozierende Titel wie „Frauen gegen
den § 218“. Mit ihrem publizistischen Kampf
gegen das Abtreibungsverbot nahm die streitbare Autorin eine zentrale Rolle in der Durchsetzung des straffreien Schwangerschaftsabbruchs
ein. 1977 wurde sie Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift „Emma“. 1987 initiierte
sie die PorNO-Kampagne gegen Pornografie.
Simone de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris;
† 14. April 1986 Paris) französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin. Die politisch
engagierte Verfasserin zahlreicher Romane, Erzählungen, Essays und Memoiren gilt als Vertreterin des Existentialismus. Den Durchbruch als
Schriftstellerin schaffte Simone de Beauvoir mit
ihren beiden existentialistischen Romanen Sie
kam und blieb (1943) und Das Blut der Anderen
(1945). Ihr Welterfolg Das andere Geschlecht erschien im Jahr 1949 und machte sie zur Vorzeigeintellektuellen Frankreichs und Vorreiterin
nahezu aller modernen Feminismus-Theorien.
Bekannt ist de Beauvoir auch durch ihre lebenslange Beziehung zu Jean-Paul Satré, mit dem sie
viel, aber nie eine Ehe verband.
Judith Butler (* 24. Februar 1956 in Cleveland).
Sie studierte ursprünglich Philosophie – u. a.
auch ein Jahr an der Heidelberger Universität –
seitdem spricht sie fast akzentfrei deutsch. Inzwischen ist Judith Butler Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften und Rhetorik in Berkeley; im Schweizer Saas-Fee
unterrichtet sie Philosophie. 1991 erschien ihr
für den Dekonstruktivismus und die QueerTheories wichtiges Werk „Das Unbehagen der
Geschlechter“ auf Deutsch.
Seite 16
Eva Herman (* 9. November 1958 in Emden)
ist eine deutsche Autorin und ehemalige Fernsehmoderatorin. Sie agierte von 1989 bis 2006
als Nachrichtensprecherin der Tagesschau und
moderierte bis September 2007 verschiedene
Fernsehsendungen für den Norddeutschen
Rundfunk (NDR). Drei von ihr veröffentlichte
Bücher zum Selbstverständnis von Frauen über
die Rollen von Mann und Frau und über Familienpolitik führten zu Kontroversen und heftigen
Reaktionen in den Medien. Das erste und prominenteste, „Das Eva Prinzip“, erschien 2006.
Maria Mies (* 1931) ist deutsche Soziologin.
Sie hat feministische, ökologische und entwicklungspolitische Bücher verfasst, die international
beachtet wurden. Bekannt ist sie vor allem als
Globalisierungskritikerin. Sie gehört zu feminist
Attac, einem Frauennetz von Attac und gilt als
prominente Vertreterin des gynozentrischen
Ökofeminismus.
Dorothy Smith (* 1926 in Großbritannien) ist
eine in Kanada lebende Soziologin und Feministin. Sie ist Professorin an der Universität Toronto mit einem Lehrstuhl im Department of Sociology in Education des Ontario Institute for Studies
in Education.
Luisa Francia (* 2. August 1949) ist deutsche
Autorin, Filmemacherin und Malerin. Sie lebt in
München. Francia vertritt die magische Seite
des Feminismus und ist bekannt für ihre Performances, verfasste aber auch ein Buch über Bergsteigerinnen.
Links zum Thema:
http://www.jusos.de/uploads/media/
Beschlussbuch_2008_Weimar.pdf
http://www.spd.de/de/pdf/parteiprogramme/
Hamburger-Programm_final.pdf
http://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus
www.fzs.de/themen/gleichstellung/frauen_
geschlechterpolitik/feministische_theorien/
index.html – 39k
16
Um zu wissen, wohin man will, muss man wissen, woher man kommt. Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 17
EUROPA – MOTOR FÜR
GLEICHSTELLUNG UND
GENDER MAINSTREAMING
Von Lissy Gröner, Europaabgeordnete und Koordinatorin im Frauenausschuss des
Europaparlaments für die Sozialdemokratische Fraktion Europa (SPE)
Magazin
Die Gleichstellungspolitik für Frauen
und Männer ist in der Geschichte der
Europäischen Union fest verankert.
Ohne sie ist die Lissabon Strategie in
Europa zu Wachstum und steigender
Beschäftigung nicht zu bewältigen. In
Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitiken kann es nur Fortschritt geben, wenn die Frauen voll einbezogen
sind. Die Geschichte der Gleichstellungspolitik in Europa hat ihre Wurzeln
bereits im Vertrag von Rom aus dem
Jahr 1957. Artikel 119 schreibt gleiche
Entlohnung von Frauen und Männern
bei gleicher Arbeit fest.
Seit den 70er Jahren wurde eine Reihe von
Richtlinien verabschiedet, die heute einen
gesicherten Rechtsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern bieten.
1984 wurde mit dem ständigen Ausschuss
für die Rechte der Frauen und Chancengleichheit auch das politische Gremium
geschaffen, das sich permanent mit allen
Gleichstellungsaspekten befasst. Auf Grund
der Kompetenzen der EU liegt der Schwerpunkt bei Frauenpolitik im Bereich Arbeitsmarkt – hier in einer klar umrissenen
Definition von direkter und indirekter Diskriminierung und sexueller Belästigung sowie der Beschreibung von positiven Maßnahmen und dem eindeutig verankertem
Grundsatz der gleichen Bezahlung für
gleiche und gleichwertige Arbeit.
Europa hat eine klare politische Tradition bei der Förderung der Geschlechtergleichstellung entwickelt und die rechtlichen Grundlagen durch das Prinzip des
Gender Mainstreaming, also die Einbeziehung der Auswirkung von Politik auf Frauen und Männer in alle politischen Bereichen und Aktivitäten der Gemeinschaft,
eingeführt. Es gilt der duale Ansatz mit
dem Prinzip des Gender Mainstreaming
auf der einen, und der gezielten Frauenförderung auf der anderen Seite. Dennoch
bleiben erhebliche Unterschiede bei der
gesellschaftspolitischen Realität von Frau-
17
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
en und Männern bestehen. Weder im Erwerbsleben noch im sozialen oder kulturellen Bereich ist in irgendeinem Land der
EU Geschlechterparität erreicht. Deutschland schneidet im EU-Durchschnitt dabei
eher schlecht ab. Rollenklischees und traditionelle Aufgabenfestlegung der Frauen auf
Familie und Erziehung und der Männer
auf Erwerbsarbeit halten sich hartnäckiger
als in unseren Nachbarländern. Dabei lebt
vor allem die jüngere Generation andere
Lebensentwürfe. Nie gab es so eine gut
ausgebildete Frauengeneration wie heute.
Frauen erobern sich durch Fleiß und Hartnäckigkeit immer mehr Felder, jedoch stoßen sie irgendwann an die Gläserne Deck
und in Führungspositionen bleiben die
Old Boys Networks unter sich.
Gender Mainstreaming will die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig in politische
Entscheidungen einarbeiten, da es keine
geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.
Gender Mainstreaming wurde erstmalig
1985 auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz
in Nairobi diskutiert und später auf der 4.
Weltfrauenkonferenz in Peking zu einem
Politik-Prinzip weiterentwickelt.
Der Amsterdamer Vertrag erhob das
Konzept zum offiziellen Ziel der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union
und legte im Artikel 13 fest, dass niemand
aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder
Weltanschauung, des Alters einer Behinderung oder der sexuellen Identität diskriminiert werden dürfe.
Aus diesen Gründen zählen folgende
EU-Maßnahmen zu den Prioritäten für
mehr Gleichstellung: gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen und
Männer; Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben; ausgewogene Repräsentanz in
18
Seite 18
Entscheidungsprozessen; Beseitigung aller
Formen geschlechterbezogener Gewalt und
Menschenhandels; Beseitigung von Geschlechterstereotypen und Förderung der
Gleichstellung in Außen- und Entwicklungspolitik.
Mit der EU-Rahmenstrategie zum
Gender Mainstreaming 2001-2006 wurde
ein Aktionsprogramm verknüpft, das insgesamt über 50 Millionen Euro verfügte.
Es wirkte in Arbeits- und Wirtschaftsleben, sorgte für gleichen Zugang und volle
Ausübung der sozialen Rechte, zivilem Leben sowie Geschlechterrollen und Stereotypen. Das Sozial- und Beschäftigungsprogramm „Progress 2007-2013“ übernimmt
die Ziele des Gleichstellungsprogramms
und ist ein neues Aktionsprogramm für die
Bereiche Beschäftigung, Sozialschutz und
soziale Einbeziehung, Arbeitsbedingungen,
Bekämpfung von Diskriminierungen und
Förderung der Gleichstellung. Damit verliert Gleichstellung an Sichtbarkeit und ist
dem Einfluss des Frauenausschusses entzogen.
Das Gender Institut – kein Spielball für
den EU Rat
Ein Meilenstein für die Geschlechtergleichstellung auf europäischer Ebene wird
das Europäische Gleichstellungsinstitut,
das „Gender Institut“. Es soll im April
2009 seine Arbeit aufnehmen. Um breite
politische Unterstützung im Europäischen
Parlament zu garantieren wurde ich gemeinsam mit der Fraktionssprecherin der
EVP im Frauenausschuss als Ko-Berichterstatterinnen benannt. Das Institut soll
unabhängig entlang der EU-Agenda arbeiten und bestehende Geschlechter-Forschung zusammentragen, analysieren und
verbreiten. Des Weiteren soll durch das In-
Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 19
stitut der Erfahrungsaustausch zwischen
PolitikerInnen, Forschungs- und SozialpartnerInnen, ExpertInnen und anderen
Stakeholdern angeregt und vertieft werden.
Ein Konflikt entbrannte aus der Frage des
Standortes Vilnius in Litauen und bei der
Besetzung der Direktorin. Nach einer öffentlichen Anhörung im Frauenausschuss
wurde die Schwedin Langbakk berufen.
Aktuelle Herausforderungen im
Jahr 2009
Aktuell berät der Frauenausschuss im Europäischen Parlament in erster Lesung die
Überarbeitung der Mutterschutzrichtlinie.
Wir SozialdemokratInnen unterstützen
den Kommissionsvorschlag. Die SPE-Berichterstatterin Edite Estrela (Portugal)
fordert eine Ausweitung des Mutterschutzes auf 20 Wochen und zwei obligatorische
Wochen für Väter und die Einbeziehung
von gleichgeschlechtlichen PartnerInnen.
Widerstand kommt von den Konservativen, vor allem von CDU/CSU und FDP.
Sie argumentieren auf Linie der Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände gegen eine
Verbesserung des Mutterschutzes aus Kostengründen.
Darüber hinaus fordern wir SozialdemokratInnen eine geschlechtergerechte Verteilung von Frauen und Männern auf allen
Wahllisten und in politischen Entscheidungspositionen und Ämtern. Daher haben wir die „50:50 Kampagne für Demokratie“ mitinitiiert. Bei den Europawahlen
im Juni 2009 sowie bei der Besetzung der
Europäischen Kommission und anderer
Top-Positionen auf EU-Ebene 2009 müssen Frauen und Männer ausgewogen vertreten sein.
Mit Sorge haben wir SozialdemokratInnen die Lohnunterschiede von europa-
weit 15 Prozent aufgegriffen und zur Fraktionspriorität gemacht.
Frauen verdienen in Deutschland weiterhin 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dies ist ein Armutszeugnis
für den Exportweltmeister und eine Diskriminierung der Frauen. Bis Ende 2009
will deshalb EU-Kommissar Spidla neue
gesetzliche Vorschläge unterbreiten und hat
im März eine europaweite Infokampagne
zum Pay Gap „Gleicher Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit zwischen Frauen
und Männern“ lanciert.
In Deutschland ist der 20. März der
Equal Pay Day, welcher den Zeitraum markiert, den Frauen in Deutschland über das
Jahresende hinaus arbeiten müssen, um auf
das Gehalt ihrer männlichen Kollegen zu
kommen. Das sind 79 Tage Arbeit ohne
Bezahlung – Frauen verdienen mehr. Der
Skandal ist darüber hinaus, dass sich die
Einkommensschere weiter öffnet. Das belegt der Jahresbericht 2009 zur Gleichstellung der EU Kommission.
Wir wollen auch, dass Frauen und
Männer in der privaten Wirtschaft gleichgestellt sind. Wir fordern, dass wie im Norwegischen Modell mindestens 40 Prozent
Frauen in den Aufsichtsräten der börsennotierten Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Europäische Union soll
ein diskriminierungsfreier Raum der
Chancengleichheit für alle werden. Deshalb freut es besonders, dass SPD Chef
Müntefering diese Forderung ins Regierungsprogramm aufnehmen will.
Der Kampf um wirkliche Gleichstellung und gleiche Chancen bleibt eine Herausforderung, die nicht alleine in Brüssel
zu erledigen ist. Aber Europa hat wesentliche Grundlagen dafür geschaffen. Die
Hausaufgaben müssen genauso sorgfältig
in Bund, Ländern und Kommunen erledigt
19
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 20
werden. Dort bestehen in vielen Bereichen
erhebliche Defizite im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn.
Gleichstellung von Frauen und Männern bedeutet auch wirtschaftlichen Erfolg. Bleibt die Frage, wie lange sich das
größte Mitgliedsland der EU es politisch
und ökonomisch noch erlauben kann und
auch will, das Potenzial der Frauen als Verschiebemasse zu nutzen.
Wir Frauen in Europa wollen die Hälfte der Erde, die Hälfte des Himmels und
die Hälfte der Macht.
.
20
Europa – Motor für Gleichstellung und Gender Mainstreaming Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 21
WEIL WIR MÄDCHEN SIND...
10 FAKTEN ZUR INTERNATIONALEN SITUATION
VON FRAUEN
Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende
1 alle Zahlen von Unifem und Unicef
1. Als letztes Land in Europa führte 1984
das Fürstentum Lichtenstein das Frauenwahlrecht ein. Noch später war nur
der Schweizer Kanton Appenzell-Innerhoden dran. Hier wurde das Frauenwahlrecht 1990 per Gerichtsbeschluss
eingeführt, nachdem wenige Wochen
zuvor noch die Männer auf dem Marktplatz gegen eine Beteiligung von Frauen gestimmt hatten.
2. Das erste europäische Land, das den
Frauen das Wahlrecht gab, war Finnland 1906.
3. In Indien wurden 2006 schätzungsweise 500 000 Mädchen abgetrieben, weil
Mädchen unerwünscht sind. Seit 1994
ist es in Indien offiziell verboten, vor
der Geburt per Ultraschall das Geschlecht zu bestimmen.
4. 65 Millionen Mädchen gehen weltweit
nicht zur Schule und 2/3 der AnalphabetInnen sind Frauen. Auf 100 Jungen,
die in Niger eine Schule besuchen,
kommen gerade einmal 67 Mädchen.
5. Häusliche Gewalt gilt in 79 Ländern
nicht als Straftatbestand.
6. 2001 mussten sich zum ersten Mal Soldaten vor dem Internationalen Kriegs-
Magazin
verbrechertribunal in Den Haag wegen
organisierter sexueller Gewalt im Krieg
verantworten. Seit 1949 sind mit der 4.
Genfer Konvention Vergewaltigungen
im Krieg offiziell geächtet.
7. 1996 wurde in Irland das letzte Magdalenen Heim geschlossen. In diesen Einrichtungen der katholischen Kirche
sollten gefallene Frauen ihre Sünden
beim Wäsche waschen abarbeiten.
8. 52.000 Vergewaltigungen werden jährlich in Südafrika registriert, die Dunkelziffer liegt weit höher. 40% der Opfer sind keine 18 Jahre alt.
9. In Bangladesch erhalten 42% der Frauen ein Gehalt unterhalb des Mindestlohns (bei den Männern sind es 17%).
Von den Frauen, die in der Textilindustrie arbeiten, haben nur 50% einen Arbeitsvertrag und können damit Mindestrechte einklagen.
10. In der Textilindustrie arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen, insbesondere in den so genanten Manquilas.
Ihr Lohn macht zwischen 0,5-1% des
Verkaufspreises aus, die Kosten für
Werbung und Marketing machen ca.
25 – 30% des Verkaufpreises aus.1
.
21
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 22
„THE SAME PROCEDURE
AS LAST YEAR?“ „THE
SAME PROCEDURE AS
EVERY YEAR, JAMES.“
ODER: WARUM FRAUEN
AUCH ZUM 90. GEBURTSTAG DES FRAUENWAHLRECHTS NOCH WEIT
VON GLEICHSTELLUNG
ENTFERNT SIND.
Von Claudia Bogedan, Referat Arbeitsmarktpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung
Schwerpunkt
Zum 90. Geburtstag des Frauenwahlrechts ist alles beim Alten. Landauf,
landab erklingt am Equal Pay Day erneut die Forderung nach mehr Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern.
Die Gründe für die in Deutschland
anhaltend große Lohnlücke – Frauen
verdienen pro Stunde zwischen einem
Fünftel und einem Viertel weniger als
Männer1 – sind vielfältig: Frauen sind
seltener in Führungspositionen und
22
arbeiten überdurchschnittlich in Branchen mit einem niedrigen Lohnniveau
oder in prekären Arbeitsverhältnissen.
Denn auch 90 Jahre nach Einführung des
Frauenwahlrechts ist es noch immer nicht
gelungen, den politischen Rechten auch in
geeignetem Maße soziale Rechte an die
1 Daten des WSI Frauenlohnspiegels
(www.frauenlohnspiegel.de)
„The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 23
Seite zu stellen, die Frauen Autonomie und
Wahlfreiheit ermöglichen. Berufswahl und
Erwerbsverläufe sind dabei nicht selten individuell „rational“ gewählt. Denn solange
Frauen die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen tragen (Bogedan 2008, Bogedan et al.
2008), wird Teilzeit oder Erwerbsunterbrechung zur Entlastungsstrategie.2
Politische Rechte – wie das Recht auf
gleichen Lohn – bleiben daher ohne sie begleitende soziale Rechte ohne Wirkung.
Das wusste bereits Clara Zetkin vor 110
Jahren:
„Wir erwarten unsere volle Emanzipation
weder von der Zulassung der Frau zu dem,
was man freie Gewerbe nennt, und von einem
dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur
natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in
denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das
Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht
mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der
keinen Kurs hat. Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren.“
Freiwillige Selbstverpflichtungen, wie
jüngst von Bundesfrauenministerin von der
Leyen gefordert, aber auch gesetzgeberische
Maßnahmen zur Gleichbehandlung und
Gleichstellung im Arbeitsmarkt haben daher bislang ihr Ziel nicht erreicht. Die Politik zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung
2 An dieser Stelle soll bewusst nicht die männliche
Erwerbsbiografie als Maßstab oder gar Leitbild
propagiert werden, da diese zwar besser in Bezug
auf die Existenzsicherung abschneidet, aber nicht
hinsichtlich einer autonomen Lebensführung
(vgl. http://www.dgb-index-gute-arbeit.de).
von Frauen in den vergangenen zehn Jahren offenbart vielmehr ein gespaltenes Bild:
Einerseits wurde über den Ausbau der
Kinderbetreuung und die Einführung des
Elterngeldes bewusst die Erwerbsbeteiligung von hoch qualifizierten Frauen gefördert. Andererseits haben die bewusste
Ausweitung des Niedriglohnsektors, der
Lohndruck und die Kürzungen von Sozialleistungen Frauen in besonderer Weise getroffen. Vom Aufbrechen alter Rollenbilder
in den vergangenen Jahren haben daher
nur einige Frauen profitiert.
Weibliche Erwerbsarbeit – meist prekär
Ab Mitte der 1990er Jahre hat insgesamt
die atypische Beschäftigung zugenommen.
Die häufigsten Formen sind die Teilzeitbeschäftigung, geringfügige und befristete Beschäftigungsverhältnisse sowie Zeit- oder
Leiharbeit. 2005 waren gut ein Drittel aller
abhängig Beschäftigten in atypischen Beschäftigungsformen tätig; bei den Frauen
lag der Anteil sogar bei knapp 54 Prozent.
(Brehmer/Seifert 2007). Der Zuwachs der
Beschäftigung von Frauen im Niedriglohnsektor ist besonders erschreckend. 64,1 Prozent der Frauen in sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung arbeiten
zu Niedriglöhnen, der Frauenanteil unter
Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten ist
überproportional hoch (vgl. Abbildung 1).
Werden alle Beschäftigungsverhältnisse zusammengerechnet, also auch Teilzeit- und
geringfügige Beschäftigung, beträgt der
Frauenanteil am Niedriglohnbereich insgesamt 69,6 Prozent. 75 Prozent der Betroffenen verfügen über einen qualifizierten Berufsabschluss (Kalina/Weinkopf
2008).
23
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 24
Abbildung 1
Der Arbeitsmarkt ist folglich in dreierlei Hinsicht geschlechtlich segregiert: Erstens entlang der Arbeitszeiten, denn Teilzeit bildet bei Männern nur die Ausnahme
(siehe Abbildung 1). Zweitens hat sich an
der horizontalen Segregation des Arbeitsmarktes in Frauen- und Männerbranchen
in den vergangenen Jahren nichts geändert
(Männer arbeiten in den besser zahlenden
Branchen wie Industrie, Handwerk und industrienahen Dienstleistungen, Frauen finden sich eher in niedriger entlohnenden
Branchen, wie den sozialpflegerischen oder
Erziehungsberufe). Drittens wirkt auch die
vertikale Segregation ungebrochen: Wäh-
24
rend von den Studienanfänger/innen im
Jahre 2007 fast die Hälfte weiblich waren,
lag der Anteil von Frauen im Topmanagement der größten deutschen Unternehmen
Anfang 2008 bei 5,5 Prozent (Hoppenstedt 2008).
Die neuen Familienernährerinnen
Ein anderer Trend ist neu und nicht weniger besorgniserregend als das Niedriglohnwachstum: Frauen tragen heute einen größeren Anteil zum Familieneinkommen bei
als noch vor 15 Jahren (Klenner/Klammer
2008). In Ostdeutschland hatte 2006 in
„The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 25
Abbildung 2
22,3 Prozent aller Familien die Frau die
Rolle als Familienernährerin inne, im
Westen waren es 18,5 Prozent. Etwa jede
Fünfte erwirtschaftete sogar den Löwenanteil des Einkommens: In Ostdeutschland
hatte 2006 sogar in 22,3 Prozent aller Familien die Frau die Rolle als Familienernährerin inne, im Westen waren es 18,5 Prozent. Ihr Einkommen überstieg das ihres
Partners oder sie erwirtschafteten als Alleinerziehende den Hauptteil des Familieneinkommens. Dabei wächst nicht nur der Anteil der alleinerziehenden Mütter, sondern
auch jener der Familienernährerinnen mit
Partner. Diese machen im Osten inzwischen 13,1 Prozent der Familienernährerinnenhaushalte aus, in Westdeutschland
9,5 Prozent.
Doch nicht überall, wo Frauen nicht
mehr abhängig vom Einkommen des Fa-
milienernährers oder lediglich Zuverdienerin sind, hat sich ihre Lage dadurch verbessert. Denn der Trend bedeutet nicht, dass
Frauen heute mehr Karriere machen oder
mehr Männer sich aus freien Stücken ausschließlich um Familie und Haushalt kümmern. Frauen werden häufig unfreiwillig zu
Familienernährerinnen: 42,1 Prozent der
Partner von Familienernährerinnen sind
arbeitslos. Aufgrund des oben skizzierten
niedrigeren Lohnniveaus von Frauen liegt
das Einkommen von Familienernährerinnen-Haushalten eher im unteren Bereich
wie Abbildung 2 verdeutlicht.
Die Niedriglohnproblematik spiegelt
sich auch in einem zweiten neuen Trend,
den sogenannten „SGBII-Aufstockerinnen“.
25
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Frauen in der Grundsicherung
Bekanntlich wurde mit Inkrafttreten des
SGB II die bisherige Arbeitslosen- und
Sozialhilfe für Erwerbsfähige durch eine
einheitliche Grundsicherung für Arbeitsuchende abgelöst. Weniger bekannt ist, dass
damit flächendeckend ein Kombilohn eingeführt wurde, da Erwerbstätige mit einem
Einkommen unterhalb der Bedürftigkeitsgrenzen („working poor“) Anspruch auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung
haben.
Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die ergänzend zu ihrer Erwerbstätigkeit Leistungen des SGB II erhielten,
ist seit der Einführung im Januar 2005
rapide angestiegen: von 14,7 Prozent aller
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf 20,9
Prozent im Oktober 2006.
Grundsätzlich ist Aufstocken ein temporäres Phänomen (IAB-Kurzbericht2008).
Für alle Grundsicherungsbeziehende (Erwerbslose und AufstockerInnen) ist daher
die Ausstiegsperspektive entscheidend. Allerdings haben Alleinerziehende die geringsten Ausstiegschancen. 55 Prozent sind
nach 21 Monaten noch im Leistungsbezug
(vgl. Graf 2007: 4). Hierbei handelt es sich
weit überwiegend um Frauen: Im Mai 2007
waren 94,3 Prozent der Alleinerziehenden
im SGBII-Bezug weiblich.
Das Beispiel der Alleinerziehenden
verdeutlicht, dass die geschlechtsneutralen
Regelungen auf eine geschlechtsspezifisch
segmentierte Arbeits- und Lebenswelt treffen. In der Vermittlung müssen diese unterschiedlichen Lebensrealitäten erkannt und
überwunden werden – eine große Herausforderung für die VermittlerInnen. Zumal
der Gesetzgeber selbst nicht konsequent
das Ziel der Überwindung der tradierten
Rollenbilder verfolgt ( Jaehrling 2009),
26
Seite 26
denn bis zum dritten Lebensjahr des Kindes ist die Zumutbarkeit einer jeden Arbeit
eingeschränkt. Folglich wurden die Möglichkeiten einer autonomen Lebensführung
für Frauen in der Grundsicherung eher geschwächt als gestärkt. Denn der Zwang zur
Aufnahme einer auch schlecht entlohnten
Beschäftigung, wenn der Partner arbeitslos
oder frau alleinerziehend ist, befördert zwar
das „adult worker model“, aber führt nicht
zu einer Gleichstellung der Geschlechter.
Das Recht auf Grundsicherung entspricht
daher nicht einem sozialen Recht im Sinne
Clara Zetkins.
Fazit
Mit den Sozialstaatsreformen wurden soziale Rechte für Frauen eher geschwächt
als gestärkt. Dies zeigt sich im gestiegenen
Armutsrisiko von Frauen. Das Ziel einer
eigenständigen Existenzsicherung ist aufgrund fehlender arbeitspolitischer Maßnahmen trotz der gestiegenen Erwerbsorientierung von Frauen nicht realisiert.
Fraglich ist, wie sich in folge der Finanzkrise der Verteilungsspielraum für eine
Ausdehnung sozialer Rechte entwickelt.
Eins steht jedoch fest: Die derzeit bedrohten Jobs befinden sich überwiegend in den
exportorientierten, männlich dominierten
Branchen. Der Trend weiblicher Familienernährerinnen dürfte daher zukünftig steigen. Umso wichtiger ist es zu fragen, unter
und zu welchen Bedingungen arbeiten
Frauen? Existenzsichernde Bezahlung durch
einen Mindestlohn sowie aktive Bekämpfung von Lohndiskriminierung durch sanktionsbewehrte Erfassungsinstrumente sind
kurzfristig umsetzbare soziale Rechte. Diese könnten (vielleicht) zum (über)nächsten
Equal Pay Day die „same procedure as every
year“ überwinden und die gleichstellungs-
„The same procedure as last year?“ „The same procedure as every year, James.“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 27
politische Debatte erweitern, z. B. um die
Forderung einer neuen Arbeitszeitkultur
(inspiriert durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in Fortsetzung der aktuell
praktizierten Kurzarbeit).
.
Literatur
Bogedan, C. (2008): Pflegeverantwortung zwischen
Familie und Staat – Ein deutsch-dänischer Vergleich.
In: WSI-Mitteilungen 04/2008, S.212-218.
Bogedan, C./Drautz, C./Ingenschay, C./König, B.
(2008) Who cares about care? In spw- Zeitschrift für
sozialistische Politik und Wirtschaft, H. 162, März
2008, S. 14-16.
Bogedan, C./Rasner, A. (2008)
Arbeitsmarkt x Rentenreformen = Altersarmut?
In: WSI Mitteilungen 3/2008, S. 133-138
Brehmer, W./Seifert, H. (2007) Wie prekär sind atypische Beschäftigungsverhältnisse? Eine empirische
Analyse. WSI-Diskussionspapier Nr. 156, Düsseldorf.
IAB Kurzbericht Nr. 22 – 207
Jaehrling, K. (2009) Neue Chancen für Frauen?
In: Bothfeld, S./Sesselmeier, W./Bogedan, C. (Hrsg.)
Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft
– Vom Arbeitsförderungsgesetz zu Sozialgesetzbuch
II und III (in Vorbereitung)
Kalina, T./Weinkopf, C. (2008)
IAQ-Report 2008-01
Klenner, C./Klammer, U. (2008) Weibliche Familienernährerinnen in West- und Ostdeutschland –
Wunschmodell oder neue Prekarität?, Vortrag im
Centro Italo-Tedesco Villa Vigoni am 21. Oktober
2008; Projekt gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung
Wirtschaftsinformationsdienst Hoppenstedt (2008),
Hoppenstedt-Kurzauswertung: „Frauen im Management“.
27
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 28
LIEBER ZICKE
ALS FREIWILD
Von Simone Burger, stellv. Juso Bundesvorsitzende
Schwerpunkt
„...Frauen scheißt auf Banden!
Bildet Puffs und Bordelle,
da gibt’s viel für euch zu tun...“
(King Kool Savas, deutscher Rapper
und 2005 Teil der Bertelsmann Kampagne „du bist Deutschland“)
Laut Definition ist sexuelle Belästigung
allein, was für eine der beteiligten Seiten
unfreiwillig passiert. Hierzu zählen nicht
nur körperliche Berührungen, sondern
auch verbale Attacken.
Sexuelle Belästigung ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die
Würde von Menschen verletzt.
Soviel zur Theorie. Die Praxis ist oftmals komplizierter. Sind anzügliche Witze
sexuelle Belästigung? Liegt sexuelle Belästigung vor, wenn der betrunkene Kollege
einen bei der Betriebsfeier heftig umarmt?
In 99 % der Fälle geschieht dies unfreiwillig, ist durchaus sexuell motiviert und ist
einem unangenehm, fällt also unter sexuelle Belästigung. Doch was kann man tun?
28
Lieber Zicke als Freiwild Argumente 2/2009
Ignorieren? Wegen solcher „Kleinigkeiten“
will kaum jemand den Aufstand proben.
Vor allem, weil man dann selbst als Spielverderberin oder Zicke dasteht.
Eine Frage allerdings drängt sich auf:
Darf mich jeder Mann angrabschen,
bloß, weil er betrunken ist? Muss ich mich
geehrt fühlen, weil mir Männer hinterher
pfeifen und rufen, was für einen geilen
Arsch ich doch habe?
So leicht und lustig, wie es auf den ersten Blick erscheint, sind diese Beispiele
nicht, vor allem, wenn sie gehäuft auftreten.
Frauen fühlen sich bei sexueller Belästigung meist hilflos, ohnmächtig und angeekelt. Viele empfinden es als eigene Niederlage, sich nicht richtig gewehrt zu haben.
Betroffene berichten über Depressionen,
Konzentrationsschwächen, Allergien oder
Schlafstörungen. Dazu kommt die Angst
vor Wiederholungen, die Angst z. B. davor,
dass der Kollege von der Betriebsfeier auch
in Zukunft wieder versuchen wird, anhänglich zu werden.
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 29
Bei einer repräsentativen Befragung des
BMFSFJ (Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend) gaben 58%
aller Frauen an, schon einmal sexuell Belästigung erfahren zu haben. 27% aller Frauen
fühlten sich dabei ernsthaft bedroht und
9% aller Frauen wurden Opfer sexueller
oder körperlicher Gewalt. Sexuelle Belästigung ist kein Randgruppenphänomen, sondern passiert täglich in der Mitte unserer
Gesellschaft. Frauen werden am häufigsten
Opfer von sexueller Belästigung an öffentlichen Orten, doch am zweithäufigsten in
der Schule, in der Ausbildung und am Arbeitsplatz. Bei sexueller und körperlicher
Gewalt ergibt sich ein anderes Bild, hier gaben 49% der Frauen an, dass der Täter ihr
(Ex-) Partner war und 19,8% ein Freund,
ein Bekannter oder Nachbar. Frauen werden nicht am häufigsten Opfer einer Vergewaltigung in dunklen Ecken durch einen
Unbekannten (14,5%), sondern in ihren eigenen vier Wänden (71%).1
Dennoch fehlt trotz Antidiskriminierungsgesetz, das die rechtliche Situation
von Frauen verbessert hat, in unserer Gesellschaft die Sensibilität für dieses Problem. Frauen, die den Mut aufbringen z. B.
ihren Vorgesetzten auf sexuelle Belästigung
anzusprechen, werden oftmals rüde abgewiesen, man solle sich nicht so anstellen.
Und ein falsches Dogma von der heilen Familie schützt noch heute in vielen Fällen
den Täter vor der Strafverfolgung.
Die Würde des Menschen beinhaltet
auch die Freiheit, über die eigene Sexualität
selbst zu bestimmen. Das bedeutet: Wer als
Jungfrau durchs Leben gehen will, hat das
Recht dazu, und wer mehr als drei Part1 Zahlen aus „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ erschienen
2005
nerInnen im Monat hat, behält trotzdem
das Recht, Nein zu sagen.
Und dennoch landet man früher oder
später bei der Frage, wie offen man mit
dem Thema Sex umgehen soll. Viele der
„neuen Feministinnen“ oder „Alphamädchen“ sprechen lautstark über Sex, Sexualpraktiken und Pornos – Charlotte Roche
dürfte mit dem Buch Feuchtgebiete die
Bekannteste sein. Viele Seiten in ihren Büchern sind diesem Thema gewidmet. Führt
dies zu einer endgültigen Befreiung der Frau
von Zwängen oder degradiert das Frauen
noch weiter zu Sexualobjekten?
Dabei sind sie nicht die ersten, welche
die Sex-Frage auf machen. Schon in den
60er und 70er Jahren war das Thema heiß
diskutiert. Ziel war es zu zeigen, dass das
Private politisch ist. Doch ist die Bilanz der
Studierendenbewegung in Sachen Gleichstellung vor allem in den Anfangsjahren
sehr kümmerlich. Frauen waren oftmals
nur nett im Bett und praktisch, wenn es um
das Abtippen der seitenlangen Flugblätter
ging. Die sexuelle Befreiung zahlte sich für
die Frauen nicht in dem Maße aus, wie für
die Männer. Die Frauenbewegung stellte
dem eine neue Radikalität gegenüber, es
wurden Thesen diskutiert, z. B. ob jeder Geschlechtsverkehr eine Vergewaltigung ist.
Doch wie sieht es heute aus, brauchen
wir noch eine „PorNo“ Kampagne der
Emma? Oder können wir individuell entscheiden, ob wir darauf Lust haben oder
eben nicht? Brauchen wir Frauen eine
zweite sexuelle Befreiung?
Zum einen die These stimmt: das Private ist politisch! Doch individuelle Lösungen werden uns nicht weiterhelfen. Denn
wer verhindern will, dass Frauen zum Sexualobjekt reduziert werden, muss das Bild
der Frau und die damit verbundene Wertschätzung verändern. Man muss bestim-
29
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
men, nach welchen Kriterien Frauen beurteilt werden. Und das können wir nur gemeinsam erreichen. Es reicht nicht, die Sexualität neu zu bewerten, wie dies viele der
„neuen Feministinnen“ versuchen, sondern
man muss das Problem an der Wurzel anpacken: die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft verändern.
Die vielen Bücher, die in letzter Zeit
zum Thema Feminismus erschienen sind,
und die das Feuilleton gerne als Pornfeminismus bezeichnet, stellen keine geschlossene neue feministische Theorie dar – und
viele erheben auch nicht den Anspruch dies
zu tun. Vielmehr sind viele von ihnen eher
als Reaktion auf den aufkommenden Konservativismus zu sehen. Und sind dem Gefühl geschuldet, dass das Leben in den modern eingerichteten Wohnungen in den
hippen Stadtvierteln, mit dem perfekten
Käsehobel und biologischen Produkten im
Kühlschrank den selben Regeln gehorcht
wie in den Reihenhäusern mit Gartenzäunen und Schrankwand, die man mit dem
Auszug verlassen hat. Feuchtgebiete ist vor
allem eines besonders: eine Provokation
der Mit30er und 40er, die sich selbst für so
liberal gehalten haben.
Und deshalb bleibt es dabei, lasst uns
dafür kämpfen, dass jeder sein Leben selbst
gestalten kann – auch wenn es um die Sexualität geht.
.
30
Lieber Zicke als Freiwild Argumente 2/2009
Seite 30
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 31
FRAUEN UND FAMILIE
Von Hilde Mattheis, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstands
Schwerpunkt
Frauen und Familie – dieses Wortpaar
löst auch heute noch intensive Diskussionen aus. Denn es geht nur vordergründig um die Tatsache, dass für die
meisten Frauen Familie wichtig ist und
dies ihr Lebensmodell ist, wie übrigens auch für die meisten Männer.
Vielmehr geht es um den entscheidenden Punkt, wie die Verteilung von
Macht, Zeit und Geld für Frauen, die
Familie wollen oder haben, aussieht.
War für die Generation meiner Mutter
Familiengründung einzige Alternative zum
Leben als „Fräulein“, kann die Generation
meiner Töchter ihr Leben in der Regel frei
und unabhängig gestalten. Die bisher bestausgebildete junge Frauengeneration kann
selbstverständlich auf dem aufbauen, was
Frauen der Generationen vor ihnen erstritten haben. Das ist gut.
Und trotzdem: 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, 60 Jahre nach
Einführung des Grundgesetzes mit Art. 3
Abs. 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ und 30 Jahre nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Diskriminierung der Frau
erleben heute Frauen, dass für sie „Frau und
Familie“ – sprich Kinder – ein Karrierehindernis sind.
Natürlich sind hierzulande die Zeiten
längst vorbei, in denen Ehemänner nach
gerichtlicher Genehmigung den Job ihrer
Ehefrau kündigen konnten, wenn die Berufstätigkeit die ehelichen Interessen zu
stören drohte. Vorbei die Zeiten, in denen
„dem Manne (...) die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben
betreffenden Angelegenheiten“ zustand,
„insbesondere Wohnort und Wohnung“, wie
bis 1958 in Paragraf 1354 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs nachzulesen. Und vorbei auch
die Zeiten, in denen Ehemänner das Geld
ihrer Ehefrauen allein verwalten durften.
Natürlich haben Frauen, was Ausbildung anbelangt, längst mit den Männern
gleichgezogen, das ist nicht zuletzt ein Er-
31
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
folg sozialdemokratischer Bildungspolitik.
Natürlich stehen Frauen heute längst ehemals traditionelle Männerberufe offen, und
natürlich können Frauen heute jede beliebige Sprosse auf der Karriereleiter erklimmen.
Aber immer noch ist Karriere tendenziell
Männer-Sache und Kindererziehung tendenziell Frauen-Sache, und sollte eine Frau
Kinder und Karriere unter einen Hut bringen wollen, ist immer noch sie diejenige,
die in der Regel beruflich zurücksteckt.
Und nach der Familienphase weiter unter
ihrem Ausbildungsniveau wieder in den
Beruf einsteigt.
Und so sieht es in Deutschland aus:
2006 lag die Erwerbsquote von Frauen in
Deutschland mit 66 Prozent 11 Prozentpunkte unter der Erwerbsquote von Männern. Frauen verdienen im Schnitt 23 Prozent weniger als Männer. Der Grund:
Frauen arbeiten häufig Teilzeit und in weniger gut bezahlten und geringer bewerteten Berufen. Und: Frauen unterbrechen
ihre Erwerbstätigkeit wegen der Familie
häufiger und länger als Männer. Je länger
die Erwerbsunterbrechungen, desto größer
die Gehaltseinbußen und desto geringer die
Aufstiegsmöglichkeiten. Die meisten Chefetagen sind fest in Männerhand – der
Frauenanteil in Vorständen beträgt gerade
einmal 2,5 Prozent. 400-Euro-Jobs sind
fest in „Frauenhand“ und Alleinerziehende
tragen mit das höchste Armutsrisiko.
Und was sagen die Frauen dazu?
Bei der vom Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung und infas durchgeführten Studie „Frauen auf dem Sprung –
Die Brigitte-Studie 2008“ wurden Frauen
im Alter zwischen 17 und 29 Jahren be-
32
Frauen und Familie Argumente 2/2009
Seite 32
fragt. Ein Ergebnis der Studie: Frauen wollen beruflich auf eigenen Beinen stehen.
Und Frauen wollen Kinder. Was den Frauen zu schaffen macht ist, beides unter einen
Hut zu bringen. Lediglich 5% der befragten Frauen sind der Meinung, Beruf und
Kinder ließen sich voll und ganz vereinbaren. Der Aussage „in Betrieben wird viel
Rücksicht auf die Belange von Kindern genommen“, stimmen lediglich 2% der Frauen voll und ganz zu. Dabei wollen 90 % der
befragten Frauen nach der Geburt wieder
zurück in den Beruf: 36% der Frauen spätestens nach einem Jahr, weitere 24%, sobald ein Krippenplatz gefunden wurde, und
weitere 28% nach 36 Monaten.
Frauen können sich in ihrer beruflichen
Entwicklung nur dann entfalten, wenn sie
ihre Kinder gut betreut wissen. Würden die
oben befragten Frauen ihre Kinder also Kitas und Horten anvertrauen wollen? Die
Antwort ist ganz eindeutig „Ja!“: 92% der
Frauen mit erwerbstätigen Müttern fühlten
sich als Kind von ihrer Mutter geliebt (85%
der Frauen, deren Mütter zu Hause sind),
91% fühlten sich beschützt (gegenüber
84%) – ein ähnliches Bild ergibt sich bei
den Männern.
Die Frauen können mit ihrem Wunsch
nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die Väter zählen. Nur noch 13 Prozent der Deutschen halten es für das Beste,
wenn allein der Mann erwerbstätig ist und
die Frau gar nicht. Fast die Hälfte der
Deutschen hingegen glauben, das Beste sei,
wenn Mann und Frau gleichermaßen berufstätig sind und sich Kindererziehung
und Haushalt teilen. Und einer neuen Generation von Männern sind Frau und Kind
zunehmend genauso wichtig wie Karriere:
Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, ist von 3,5 Prozent im Jahr 2006 auf
jetzt 16 Prozent gestiegen.
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 33
Dass Frauen Kinder haben UND voll
arbeiten, ist möglich. Das zeigen Länder
wie Schweden, Dänemark, Finnland oder
Norwegen, in denen Frauen vorwiegend
ganztags arbeiten und in denen sich die
Frauenerwerbsquote der 80-Prozent-Marke nähert: Sie liegen an der Spitze der internationalen Geburtenstatistik. Das Mittel: Ganztagsschulen, Kinderkrippen und
eine Lohnersatzleistung für diejenigen Mütter oder Väter, die sich nach der Geburt zu
Hause um das Baby kümmern.
Frauen werden in Zukunft nicht nur
arbeiten KÖNNEN und WOLLEN, sie
werden arbeiten MÜSSEN: Wegen der
sich verändernden Altersstruktur wird die
deutsche Wirtschaft auf gut ausgebildete
Arbeitskräfte in Zukunft nicht verzichten
können. Und wegen der sich weiter veränderten Familienkonstellationen und der
damit zusammenhängenden Gesetzgebung
(z. B. zum Unterhaltsrecht) werden Frauen
materiell auf eigenen Beinen stehen müssen.
Was also brauchen Frauen (und Männer), um Familie und Beruf problemlos zu
vereinbaren?
Die Zutaten sind so einfach wie effizient: Zeit, Geld und die Macht, für die
entsprechende Infra-Struktur zu sorgen:
Flächendeckend ausgebaute und qualitativ
hochwertige Kindergärten, Horte und
Ganztagschulen sind die absolute Voraussetzung für wirklich gelebte Gleichberechtigung.
Vieles ist schon erreicht, so z. B.:
Ab 2013 wird es bundesweit den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Geburtstag geben. Bis dahin wird die
Zahl der Krippenplätze auf bundesweit
dann 750.000 verdreifacht werden. Unser
Programm „Zukunft Bildung und Betreuung“ hat den Startschuss für den Ausbau
der Ganztagsschulen gegeben. Bisher ha-
ben rund 7.000 Ganztagsschulen von den
dafür vom Bund zur Verfügung gestellten
4 Milliarden Euro profitiert.
Was steht an?
Der Arbeitsmarkt für Männer ist nach wie
vor besser als der Arbeitsmarkt für Frauen.
Deshalb wollen wir gleiche Löhne für
gleichwertige Arbeit. Deshalb wollen wir,
dass jede Beschäftigung Existenz sichernd
ist. Deshalb fordern wir die Abschaffung
des Ehegattensplittings und eine individuelle Steuererhebung. Und deshalb wollen
wir ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, damit mehr Frauen in Aufsichtsratsgremien und Führungspositionen
kommen können. Und, damit Frauen den
sich verbessernden Arbeitsmarkt nutzen
können, mehr Ganztagsplätze in Kitas.
Die steigenden Zahlen beim Elterngeld zeigen: Auch Männer wollen weg vom
Klischee des Alleinernährers. Auch sie wollen miterleben, wie ihre Kinder aufwachsen
– nicht nur abends und am Wochenende.
Gleichberechtigung heißt nicht Gleichmacherei von Männern und Frauen. Gleichberechtigung heißt, die Freiheit der Wahl
zu besitzen – ob Voll- oder Teilzeit, ob ganz
zu Hause bei den Kindern oder ganz berufstätig,oder alle Möglichkeiten hintereinander.
Meine Mutter wollte gern Hebamme
werden und durfte nicht, weil Mädchen
heirateten. Heute lebt sie von Witwenrente. Meine Töchter haben selbstverständlich
studiert. Sie werden kämpfen müssen, um
auch den nächsten Schritt zu erreichen, bei
dem „Frau und Familie und Karriere“
selbstverständlich sind. Unsere Unterstützung haben sie, denn Gleichstellung ist
eine Frage der Gerechtigkeit.
.
33
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 34
UND EWIG WÄHRT DIE
QUOTENDISKUSSION...
Von Ariane Giesler und Jennifer Rodenbeck, Landesverband Berlin
Schwerpunkt
Die Jusos haben eine Bundesvorsitzende, Deutschland eine Kanzlerin,
Mädchen sind statistisch gesehen
Bildungsgewinnerinnen und teilweise
wirkt es so, als hätten Mädchen und
Frauen inzwischen erfolgreicher Rollenzuschreibungen abgelegt als Jungen
und Männer. Mittlerweile erscheint es
vielen jungen Frauen möglich, genau
so an Gesellschaft und Macht partizipieren zu können, wie ihre männlichen
Altersgenossen. Aber auch wenn wir
sicherlich viel im Bereich der Gleichstellung erreicht haben – es bleibt
noch viel zu tun!
Setzte früher die Ungleichbehandlung häufig schon bei der Frage um den Besuch einer weiterführenden Schule ein, so ist sie
heute häufig erst viel später zu spüren. Ein
Problem mit dem sich ein politischer Jugendverband auseinandersetzen muss. Denn
immer häufiger tritt die Frage auf, warum
soll gegen Ungleichheiten und geschlechts-
34
bezogene Diskriminierung gekämpft werden, wenn sie zunächst einmal nicht spürbar ist und von SchülerInnen und jungen
StudentInnen nicht wahrgenommen wird?
Brauchen die toughen „Alphamädchen“
wirklich noch Instrumente wie die Quote,
um ihre Ansprüche geltend zu machen?
An die so genannte „Gläserne Decke“,
also dort wo Ungleichbehandlungen deutlich spürbar werden, stößt Mensch immer
später im Lebenslauf. Oft dann, wenn es
um Beförderungen und Spitzenpositionen
in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik,
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
oder von der Realisierung nicht geschlechtsstereotyper Lebensentwürfe geht. Die noch
immer in unserer Gesellschaft bestehenden
Ungleichheiten sind eindeutig auf die strukturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Diese Ungleichheiten können durch
die Anwendung struktureller Mechanismen
bekämpft werden, um eine echte Gleichstellung zu gewährleisten, müssen diese
verbindlich und sanktionsfähig sein.
Und ewig währt die Quotendiskussion... Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 35
Quote als strukturelles Instrument
Eines der dafür zur Verfügung stehenden
und gleichzeitig umstrittensten Instrumente ist die Quote. Kaum eine Parteiwahl vor
der nicht ein Satz in derart fällt wie
„Gleichstellungspolitik und Frauenförderung
finde ich richtig und wichtig, ABER die Quote...“ – was folgt ist eine lange Argumentation gegen die Quote, zu meist mit den immer wiederkehrenden Argumenten.
In allen großen Parteien – bis auf CSU
und FDP – existieren inzwischen Quotenregelungen, die sich jedoch in ihrem Umfang und vor allem in ihrer Verbindlichkeit
stark unterscheiden. Eine Form der Ausgestaltung ist die „harte Frauenquote“, wie sie
teilweise auch von den Jusos praktiziert wird.1
Ziel dieser ist es, dass in einem Vorstand oder einer Delegation mindestens
40% Frauen sind. Ein Vorstand kann nur so
groß sein, wie es offene Plätze zu den, in
ihm vertretenden 40% Frauen gibt. Ähnlich verhält es sich auch bei Delegationen:
die auf einem Kongress anwesende Delegation sollte aus mindestens 40% Frauen
bestehen, tut sie es nicht, werden bei absoluter Anwendung der harten Quote so viele männliche Mandate von der Delegation
zurückgezogen, bis die 40%-Quote erreicht
ist. Die absolute Einhaltung der Quote garantiert so, dass Entscheidungen paritätisch
von beiden Geschlechtern getroffen werden. Das ist der entscheidende Vorteil gegenüber der weichen Quote. Denn im Gegensatz zur harten Quotenregelung hat die
weiche Quote nur zum Ziel, dass für mindestens 40% der Plätze in einem Vorstand
bzw. einer Delegation nur Frauen kandi1 Siehe: „Richtlinie für die Tätigkeiten der Arbeitsgemeinschaften“, beschlossen vom SPD-Parteivorstand am 23.Juni 2008
dieren dürfen. Sollte dies nicht möglich
sein, so müssen die Frauenplätze zwar frei
bleiben und können nicht durch männliche
Kandidaten nach besetzt werden. Die Möglichkeit ausschließlich männlich besetzte
Vorstände zu wählen und mit einer stark
männlich dominierten bzw. ausschließlich
männlich besetzten Delegation zu Kongressen anzureisen, wird damit allerdings
nicht verhindert. Manche gehen soweit, die
weiche Quote so zu interpretieren, dass die
freien Plätze in „Ermangelung“ von Frauen
mit Männern besetzt werden. Unabhängig
von der Auslegung: von gleichen Gestaltungsspielräumen und gleicher Teilhabe
von Männern und Frauen kann hier nicht
mehr gesprochen werden.
Daher gilt noch immer: nur eine harte
Quote ist eine echte Quote! Denn nur eine
harte Quote garantiert, dass Entscheidungen auch wirklich gleichberechtigt von
Männern und Frauen getroffen werden.
Auswirkungen der Quote auf die Politik
Die viel gescholtene Quote hat in den letzten zwanzig Jahren vor allem in der Politik
einiges verändert. Seit der Aufhebung des
Reichsvereinsgesetz 1908 durften sich Frauen offiziell in politischen Parteien engagieren, seit 1918 besitzen sie das passive und
aktive Wahlrecht, 1919 konnten sie dies
das erste Mal nutzen – bei der Betrachtung
ihrer Repräsentanz im Deutschen Bundestag wurde dies jedoch kaum deutlich. Der
Anteil der Frauen im Deutschen Bundestag blieb bis 1987 einstellig. Dann stieg der
Anteil der Parlamentarierinnen sprunghaft
an – auf heute noch nicht zufriedenstellende 32%.
Diese Steigerung ist sicherlich nicht nur
der Quote zu verdanken, aber wäre ohne sie
nicht möglich gewesen! Die Quote kann
35
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
nur ein Instrument – und das nicht nur in
der Politik – neben vielen sein, um Frauen
zu fördern. Ziel muss es sein, dass sie sich
irgendwann einmal selbst überwindet, nämlich dann, wenn Teilhabe an Macht nicht
mehr geschlechtsabhängig ist! Doch dieses
Ziel erreichen wir nur mit dem Weg über
die Quote.
Die Quotendiskussion mit eben diesen
wiederkehrenden Argumenten wird uns daher wohl noch etwas länger erhalten bleiben:
... „Gleichstellung ist erreicht –
wer braucht da noch Quoten?“
Knapp 10 % der C4-Professuren sind mit
Frauen besetzt, in nur 15 Vorständen der
160 Aktiengesellschaften in den wichtigsten deutschen Börsenindizes ist mindestens eine Frau vertreten, Frauen verdienen
noch rund ein Viertel weniger als Männer,
Frauen leisten überwiegend die Reproduktionsarbeit – die Aufzählung könnte endlos
weitergeführt werden. In unserer Gesellschaft stoßen Frauen und Männer, die nicht
dem Männlichkeitsideal entsprechen, noch
immer an große Hürden. Dies ist kein individuelles Problem, sondern strukturell
und muss daher mit einem Maßnahmenpaket in Angriff genommen werden. Ein
Instrument ist hier die Quote.
... „Dann können jetzt alle Minderheiten eine Quote fordern.“
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Frauen. Von gesamtgesellschaftlichen Minderheiten kann also hier nicht
gesprochen werden. Ziel ist es, gesamtgesellschaftliche Realitäten zu repräsentieren
und nicht die Verbandsrealität!
36
Seite 36
.... „Gute Frauen setzen sich auch so
durch!“
Die Realität ist der Gegenbeweis. Gab es
beispielsweise wirklich erst 1987 qualifizierte Frauen, die in die Politik wollten?
Die Quote hat bisher eine deutlich stärkere Repräsentanz von Frauen in der Politik
gebracht, in Spitzenpositionen sind sie
noch immer schlechter vertreten. So steht
nur in fünf von 20 Juso-Landesverbänden
und -Bezirken eine Frau an der Spitze. Ziel
darf es nicht sein, den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe zu individualisieren,
sondern wir müssen solidarisch gemeinsam
dafür sorgen, dass das Geschlecht egalitär
wird und eine jede bzw. ein jeder gleichgestellt diese Gesellschaft gestalten kann.
... „Wegen der Quote kann ein qualifizierter Mann nicht gewählt werden.“
Ohne Quote würden viele qualifizierte
Frauen nicht gewählt werden.
... „Aber wir haben doch keine Frauen.“
Die Quote hat nicht primär zum Ziel,
Frauen anzuwerben und zu qualifizieren.
Sie legt jedoch Schwachstellen offen und
fordert zum Umdenken auf. Nur mit einer
verbindlichen Quote, die Missstände in
diesem Bereich immer wieder offen legt,
stellt sich der Zwang ein, an den Strukturen zu arbeiten, die die Partizipation verhindern bzw. einschränken.
... „Ich will doch nicht nur gewählt
werden, weil ich eine Frau bin.“
Die Kompetenz, dass frau zu Recht die Position innehat, kann sich meist erst in der
aktiven Arbeit zeigen. Die Quote sorgt
Und ewig währt die Quotendiskussion... Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 37
auch dafür, dass geschaut wird, welche Frau
die Kompetenzen bzw. das Potenzial hat
diese Position auszuführen. Ein Blick der
sonst viel zu oft nicht riskiert wird. Frauen
sind politisch ebenso kompetent wie Männer. Nicht weil sie – sozialisationsbedingt –
andere Eigenschaften hätten als Männer
müssen sie auch in Führungspositionen,
sondern weil es nicht sein kann, dass der
Großteil der Gesellschaft diese nicht maßgeblich mitgestalten kann.
... „Ich will keine Quotenfrau sein!“
Dass es noch immer nötig ist, über die
Quote Frauen in Führungspositionen zu
bringen, ist keineswegs ein individuelles
Problem. Was nützt es, wenn frau ihren
Gestaltungsanspruch aufgibt, weil sie keine
„Quotenfrau“ sein möchte? „Quotenfrauen“ tragen dazu bei, dass Macht und Gestaltungsspielräume gleichberechtigt verteilt werden.
Infokasten quotierte Redeliste:
Viele Juso-Gremien arbeiten mit einer quotierten Redeliste. Hier gibt es verschiedene
Regelungen. Ihnen gemeinsam ist, dass die
RednerInnen nicht in der Reihenfolge ihrer
Meldung aufgerufen werden, sondern immer
abwechselnd eine Frau und ein Mann. Ansonsten gibt es unterschiedliche Handhabungen, z. B. steht gerade keine Frau (oder
kein Mann) auf der Liste, darf auch ein
Mitglied des anderen Geschlechts reden.
Wenn die Redeliste bereits geschlossen
wurde (um zum Ende einer Diskussion zu
kommen), dürfen noch Frauen (bzw. Männer) nachrücken, bis eine Quotierung erreicht ist.
... „Wenn schon Quote, dann wenigstens eine Geschlechterquote.“
Anders als die Frauenquote lenkt die Geschlechterquote von der realen Ungleichheit ab. Fakt ist, dass wir in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben. Wir
brauchen keine Quote, die besagt, es müssten überall vierzig Prozent Männer vertreten sein, sondern es muss deutlich gemacht
werden, wer strukturell benachteiligt und
diskriminiert wird und das sind nicht beide
Geschlechter, sondern häufig Frauen.
.
37
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 38
GENDER TRAINING STATT
BODY BUILDING? – GENDER-KOMPETENZ FÜR
JUNGSOZIALISTINNEN
Von Daniel Hard, Jusos Rheinland-Pfalz
Schwerpunkt
Was ist Gender Training?
Gender-Training ist einerseits Ausdruck
von Erfolgen des Feminismus und der
Frauen- und Gleichstellungsbewegung und
andererseits Ausdruck ihrer Institutionalisierung und Etablierung. Eine solche Entwicklung hat Vor- und Nachteile.
Gender-Trainings sind Veranstaltungen, die Angehörigen von Organisationen
oder Unternehmen „Gender-Kompetenz“
vermitteln sollen. Damit wird das Ziel verfolgt, ein gerechtes Geschlechterverhältnis
mit gleichen Chancen für alle zu erreichen.
Diskriminierungen sollen abgebaut werden, weil das gut für die Organisation ist,
weil man annimmt, so Effektivität, Produktivität, Effizienz, Profit, Mitgliederzahlen
etc. steigern zu können. Das Schlagwort des
„Diversity Management“ gehört in diesen
Kontext.
Zu den theoretischen Grundlagen des
Gender-Trainings gehört zunächst der Begriff „Gender“ als „soziales Geschlecht“, das
38
vom „biologischen Geschlecht“ als „Sex“
abgegrenzt wird. Einem unveränderbaren
natürlichen Geschlecht steht demnach ein
veränderbares, ansozialisiertes Verhalten,
Denken und Empfinden als Mann oder
Frau gegenüber. Die Herstellung (Konstruktion) und Bestätigung (Reproduktion)
von Gender findet täglich statt, getragen
auch durch unser eigenes Handeln („Doing
Gender“). Damit ist Gender-Training, auch
wenn es zur Profitmaximierung durchgeführt wird, deutlich anti-biologistisch, d. h.
die Rechtfertigung von Rollenmustern
aufgrund der Biologie kann in Frage gestellt werden.
Zum anderen richtet Gender-Training
den Blick auf die Geschlechterverhältnisse
insgesamt und nicht auf reine „Frauenpolitik“. Es arbeitet gezielt mit gemischten
TeilnehmerInnen-Gruppen, bezieht Männer mit ein und nimmt sie in die Verantwortung. Beide (bzw. alle) Geschlechter
haben die Aufgabe, Geschlechterverhältnisse gerecht zu gestalten.
Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 39
Wie kann ich das im Unterbezirk
durchführen?
Zur Vorbereitung für das Team, die TrainerInnen, gehört es, sich über das organisatorische Umfeld (z. B. Jusos vor Ort) und
über die Zusammensetzung der Seminargruppe zu informieren. Die Gruppe sollte
möglichst durchmischt sein, Männer und
Frauen sollten zu mindestens je einem
Drittel vertreten sein.
Die Leitung des Seminars sollte gemischtgeschlechtlich besetzt werden, also
von einem Mann und einer Frau. Wichtiger ist jedoch im Zweifel die fachliche und
methodische Kompetenz der Leitung. Diese zeigt sich auch in einem bewussten
Sprachgebrauch, der beide Geschlechter
einbezieht, und einer Diskussionsmoderation, die allen TeilnehmerInnen Raum zur
Beteiligung gibt.
dem Thema aktiv sind, und mit diesen
und/oder mit einem ehrenamtlichen Team,
ein Konzept zu entwickeln. Dort, wo es
Arbeitsgruppen, Kommissionen o. ä. zu
Gleichstellung, Gender, Feminismus etc.
gibt, ist es nahe liegend, dass die Impulse
dazu von diesen ausgehen.
Die folgenden Methoden stammen
zum Teil aus der Literatur zum GenderTraining, zum Teil aus eigenen Erfahrungen in der Seminararbeit. Es handelt sich
um Beispiele, wie die oben genannten Ziele in Seminaren erreicht werden könnten,
ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Weiter
gehende Informationen und Anregungen
finden sich in der angegebenen Literatur.
Was sind geeignete Methoden?
Im Gender-Training kann mit vielfältigen Methoden gearbeitet werden. Die Methoden lassen sich folgenden Grobzielen
zuordnen:
• Bewusstmachung/Sensibilisierung: z. B.
für Geschlechterverhältnisse, Rollenzuschreibungen, die eigene Sozialisation.
• Vermittlung theoretischer Informationen und Konzepte
• Analyse der Geschlechterverhältnisse
in der eigenen Institution/Organisation:
• Alternativen und Handlungsmöglichkeiten entwickeln: Wie kann ich mit
meinem Verhalten Veränderung herbeiführen? Was kann/muss strukturell
in der Organisation verändert werden?
Gender-Quiz
Ziel: TN sind für Thema und ihre Wissenslücken sensibilisiert (Einstiegsmethode)
Kann in Paar-Arbeit, AG oder Plenum gemacht werden
Fragen z. B. „wie hoch ist die Lohndifferenz in Deutschland?“, „in wie viel EUStaaten ist sie höher als in Deutschland?“,
„Für wie viel % der unter 3-Jährigen stehen
Betreuungsplätze zur Verfügung?“, „Seit
wann darf der Ehemann in Deutschland
seiner Frau nicht mehr die Berufstätigkeit
verbieten?“
Fragen je nach Gruppenzusammensetzung
auswählen.
Dauer: variabel, je nach Zahl der gewählten
Fragen flexibel einsetzbar.
Material: ggf. Handout mit Fragen, kombinierbar mit Bildern, Karikaturen etc.
Für Unterbezirke und ehrenamtliche
Strukturen ist es nahe liegend, mit TrainerInnen zu arbeiten, die bei den Jusos
oder bei befreundeten Organisationen zu
Gender an der Wäscheleine (Einstiegsmethode):
Ziel: TN werden für Thema und seine
Aspekte sensibilisiert
39
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Leine spannen. Auswahl an Bildern mit
Klammer aufhängen. JedeR TeilnehmerIn
wählt ein Bild aus, dass ihm besonders auffällt. Dann erklärt jedeR, warum er/sie das
Bild gewählt hat. Wenn alle vorgestellt,
kurze Diskussion und Überleitung.
Material: Wäscheleine/Seil, Klammern, Bilder, Zeitschriftenausschnitte, Internetausdrucke etc.
Bildersammlung kann über längere Zeit
erstellt werden. Auswahl treffen je nach
Gruppe.
Ecken-Spiel: „ich – ich nicht“
Ziel: TN haben sich mit der Bedeutung
von Rollenzuweisungen auseinander gesetzt und erkannt, dass viele Eigenschaften
sich nicht in die Schubladen „männlichweiblich“ aufteilen lassen.
Ablauf: Es werden zwei Pole im Raum
markiert mit „ich“ und „ich nicht“. Team
liest fragen vor, Teilnehmende verteilen
sich auf die beiden Pole.
Fragen z. B. ich bin eine Frau/ein Mann,
ich koche gern, ich bin handwerklich begabt, ich rede manchmal zu viel, ich kann
gut einparken, ich fahre gern Auto, ich
kann gut zuhören ... .
Eckenspiel: Standpunkt einnehmen:
Hier werden jeweils zwei (oder mehr) entgegen gesetzte Meinungen/Aussagen vorgegeben (z. B. „Frauen sind für die Politik
nicht geeignet“, „Frauen sind die besseren
Politiker“). Die TeilnehmerInnen positionieren sich. Die Leute in den Ecken können jeweils befragt werden.
Ecken-Spiel: Barometer
Methode kann zur Begriffsklärung, aber
auch zur Anregung von Diskussion dienen.
Es werden zwei Ecken im Raum definiert,
z. B. „Sexismus – Kein Sexismus“ oder
40
Seite 40
„Diskriminierung – Keine Diskriminierung“. Es werden Karten mit Situationsbeschreibungen verteilt. Die Teilnehmenden
ordnen diese auf der Skala ein.
Referate zu Theorie und Hintergrund:
Ziel: TN erweitern ihr Wissen und haben
Diskussionsgrundlage für Weiterarbeit
Themen können z. B. sein: Grundbegriffe
Gender/Sex, Sozialisation, Kommunikationsverhalten, Historische Entwicklung der
Geschlechterverhältnisse, Potenzialanalyse
unter Gender-Aspekt (Institutionsanalyse)
Wichtig: Kurz halten, strukturieren, visualisieren (Medien, Bilder nutzen), Handout
verteilen
Analyse von Bildern
z. B. Bilder mit Männer und Frauen in Interaktion/Bilder mit uneindeutigen, irritierenden Darstellungen der Geschlechter/
historische Darstellungen der Geschlechter (z. B. auf Gemälden).
Diskussion anhand von Leitfragen: z. B.
welche Zuordnungen finden statt? Wie
wird Männlichkeit/Weiblichkeit dargestellt?
Nehme ich Geschlechter auch so wahr, wie
sie hier dargestellt werden? Was sagt die
Körpersprache aus? Finde ich mich als
Mann/Frau in diesen Darstellungen wieder? Welche Darstellungen fördern traditionelle, welche alternative, flexible Wahrnehmung der Geschlechter? Welches Bild
verkörpert Weiblichkeit? Welches Bild verkörpert Männlichkeit? Wie konstruieren
wir selbst Geschlecht?
Analyse von Elementen der Popkultur
Analog zur Bildanalyse können Filmausschnitte, Musikvideos, Liedtexte etc. betrachtet werden.
Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 41
Analyse von Zeitungsartikeln
z. B. Berichterstattung/Kommentierung
von Frauen in Führungspositionen
z. B. über Heide Simonis, Angela Merkel,
Andrea Ypsilanti, Hillary Clinton, Ségolène Royal.
Diskussion: Wie und worüber wird berichtet? Welche Erwartungen werden formuliert? Welche Eigenschaften der Politikerin
wurden nicht betrachtet? Wäre ein ähnlicher Artikel über einen Mann denkbar?
Typisch Mann / Typisch Frau?
Ziel:Rollenzuschreibungen bewusst machen.
Überleitung zur Institutionsanalyse möglich.
Material: Wandzeitung, Stifte
Ablauf: Bildung einer Männer- und einer
Frauengruppe. Beide sammeln auf einer
Wandzeitung (großes Papier, Tapete geht
auch), was „typisch weiblich“ und „typisch
männlich“ ist. Dann werden die Papiere
beider Gruppen im Plenum vorgestellt.
Dann Diskussion im Plenum: Fallen Unterschiede auf? Was stimmt? Was nicht?
Wie werden bestimmte Zuschreibungen
begründet? Wie stark sind bestimmte Zuschreibungen verbreitet in unserer Gesellschaft? Welche Folgen haben diese Zuschreibungen? Gibt es diese Zuschreibungen auch in unserem Verband? Welche
Folgen haben sie hier?
(Kommunikations-) Typentest:
Kann aufbauen auf Methode „Typisch ...“
(s. o.). Team formuliert Aussagen um in
Selbsteinschätzungsaussagen. z. B. „ich
kann gut zuhören“, „ich rede manchmal
sehr viel“, „ich fahre gern Auto“, „ich kann
gut einparken“, etc. Es werden Ecken im
Raum markiert wie Ecken-Spiel: „ich – ich
nicht“. Teilnehmende stehen in der Mitte.
Bei jeder Frage gehen sie einen Schritt in
die zutreffende Richtung. Wenn alle Fragen
durch, bleiben alle Stehen. Auswertung:
Wer steht wo? Stehen alle Frauen auf der
einen, Männer auf der anderen Seite?
Wenn ja: warum? Wenn nein: Unterschied
Stereotype und Wirklichkeit? Wem nützen
Stereotype? Welche Folgen haben sie?
Peter und Petra: Lebenslauf gestalten:
Bildung gemischter Kleingruppen
Jede Gruppe gestaltet auf einer Wandzeitung 2 Lebensläufe, von Peter und Petra,
bis zum 40. Lebensjahr. Die Gruppe muss
sich auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten einigen. Vorstellung im Plenum. Auswertung: Welche Unterschiede fallen auf?
Warum wurden diese Unterschiede einbezogen? Wie ist es im wirklichen Leben?
Spiel in Gesamtgruppe, mit Teilnehmenden als Spielfiguren:
z. B. angelehnt an Gender Ralley, www.
gender-rally.de, von EQUAL Ostbayern
GmbH, Passau.
„Bei der Gender-Rally wird mit den Vorurteilen und Klischees, die zwischen bzw.
über Frauen und Männer bestehen, gespielt. Gleichzeitig wird aber auch aufgezeigt, wie man vom Kampf der Geschlechter zu einer chancengleichen Beziehung
zwischen Männern und Frauen kommt“.
Material: Spielfeld nachgezeichnet auf
mehreren Wandzeitungen auf dem Boden,
Ereigniskarten zu bestellen über www.gender-rally.de oder selbst erstellt.
Rollenspiele:
Die TeilnehmerInnen stellen in Kleingruppen Szenen dar, in denen die Geschlechter
miteinander agieren. Möglich als spontane
Darstellung (z. B. Szene „Anbaggern im
Zug“) oder nach Anleitung mit Vorbereitungszeit (z. B. Juso-Sitzung). Auswertung
anhand von Leitfragen: Welches Verhalten
41
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
war typisch Mann/Frau? Welches nicht?
Welche Folgen hatte das? War das realistisch? Was passiert in Realität? Warum
beteiligen sich Männer und Frauen unterschiedlich? Welches Redeverhalten fällt auf?
Woran liegt das? Was kann man tun, damit
alle sich einbringen können? Was müsste
sich ändern? Wie kann man als EinzelneR
in der Situation alternativ agieren?
Institutionsanalyse, subjektiv:
Zunächst Einzelarbeit an Leitfrage: Welches Geschlechterverhältnis erlebe ich am
Arbeitsplatz/in dem Verband, in dem ich
engagiert bin? Welche Rolle spielt mein
Geschlecht, welche das von anderen? Wo
wird das deutlich? Welche Nach- und ggf.
Vorteile hat das? Wie müssten sich die
Verhältnisse ändern, damit die Zusammenarbeit mir besser gefällt?
Nach Einzelarbeitsphase Austausch je in
getrennter Männer- und Frauengruppe.
Institutionsanalyse, objektiv:
Zunächst Einzelarbeit anhand eines Arbeitsblatts: Bitte zeichne ein Organigramm
deiner Organisation. Welche Strukturen,
Positionen, Hierarchien gibt es? Welche
wichtigen informellen Beziehungen? Wie
sind auf den unterschiedlichen Ebenen
Frauen und Männer vertreten? Was sind
wichtige Leitbilder, Regeln, Umgangsformen in der Organisation? Welche Rollen
spielen Männer und Frauen dabei? Wer hat
diese Regeln geprägt? Wer hat mehr Einfluss darauf? Welche Auswirkungen haben
sie auf das Geschlechterverhältnis?
Austausch in Kleingruppe (gemischt).
Institutionsanalyse:
Arbeitsblatt mit Fragen
Austeilung von Arbeitsblättern mit Fragen
über ihre Organisation/ihren Verband, die
42
Seite 42
Teilnehmende beantworten sollen. Besprechung der Ergebnisse in Kleingruppen.
Wichtigste Ergebnisse werden festgehalten.
Fragen z. B. zu Aufbau der Organisation,
zur den Rollen, die Männer und Frauen
darin einnehmen, zu den Führungspersonen in der Organisation, zu den Rollenbildern, Verhaltensregeln, die in der Organisation herrschen, dazu wie man persönlich
das Geschlechterverhältnis empfindet. Wenn
Männer und Frauen auf allen Ebenen zu je
50% vertreten wären, hätte das für die Organisation folgende Folgen: ... (bzw. folgende Vorteile ...).
Vorbilder?
Lernen von anderen Organisationen:
Ziel: Die Teilnehmenden setzen sich mit
dem auseinander, was andere Organisationen unternommen haben, um ihre Geschlechtergerechtigkeit zu erhöhen. Sie
überlegen, was davon für ihre Organisation
übertragen werden kann und entwickeln
eigene Ideen.
Beispiele:
Gender-Leitlinien der Evangelischen Jugend Niedersachsen, in:
http://www.ljr.de/uploads/media/GENDER2007.pdf ,
Leitbild Gender Mainstreaming der Katholischen Jugend Gemeinde:
http://www.kjg.de/fileadmin/user_upload/04_positionen/Geschlechterpolitik/gen
der_rz_01.pdf (weitere siehe Links am
Ende des Textes).
Lesepause, dann Diskussion anhand von
Leitfragen: Was haltet ihr davon? Wäre das
für eure Organisation auch sinnvoll? Was
ja, was nicht? Warum? Habt ihr weitere
Ideen? Ergebnisse werden festgehalten.
Gender Training statt Body Building? – Gender-Kompetenz für JungsozialistInnen Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 43
Argumente gegen Sexismus sammeln:
Auf orangefarbenen Karten werden sexistische (geschlechterdiskriminierende, in der
Regel frauenfeindliche) Aussagen/Behauptungen gesammelt. Sie werden auf der linken Seite einer Pinnwand untereinander
aufgehängt. Jetzt werden Gegenargumente
und Reaktionsmöglichkeiten gesammelt,
auf gelbe Karten geschrieben und jeweils
rechts daneben gehängt. Die TrainerInnen
können ggf. Argumente und Tipps ergänzen.
.
Wo bekomme ich Hinweise?
Das Gender-Manifest. Plädoyer für eine kritisch reflektierende Praxis in der genderorientierten Bildung
und Beratung, Berlin 2006. www.gender-mainstreaming.org
IG-Metall: Vielfalt sichtbar machen Geschlechergerechtigkeit in der Bildungsarbeit. Arbeitshilfe für die
Planung und Durchführung regionaler und zentrale
Seminare, 2007. http://www.igmetall.de/cps/rde/
xbcr/SID-0A456501-661B4FEC/internet/docs_ig_
metall_xcms_29114__2.pdf
Katholische Junge Gemeinde, Bereich GenderPolitik: http://www.kjg.de/index.php?id=54
Landesjugendring Niedersachsen:
Gender-Mainstreaming in der Jugendarbeit:
http://www.ljr.de/uploads/media/GENDER2007.pdf
Positionspapier des Deutschen Bundesjugendrings
zu Gender Mainstreaming.
Beschluss der 76. Vollversammlung von 2003:
http://www.dbjr.de/index.php?m=10&id=119
Deutscher Naturschutzring (Hg.): Handreichung:
Gestaltung einer gendersensiblen Bildungs- und
Gruppenarbeit in den Natur- und Umweltschutzverbänden, Berlin, Bonn und Lüneburg, 2006.
http://www.dnr.de/dnr/projekte/userdata/13/13_
bildung_gender.pdf
Rothe, Andrea/Bönold, Fritjof: Geschlecht bewusst
gemacht – Ein Training für Jugendliche, München
2006. http://www.frauenakademie.de/dokument/
img/Geschlecht-bewusst-gemacht_2006.pdf
Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit
des DGB-Bildungswerks, insbesondere Kapitel
„Diskriminierung“:
http://baustein.dgb-bwt.de/Inhalt/index.html
Burbach, Christine/Schlottau, Heike (Hg.): Abenteuer Fairness. Ein Arbeitsbuch zum Gender-Training, Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (39,90 Euro)
Netzwerk Gender Training (Hg.): Geschlechterverhältnisse bewegen. Erfahrungen mit Gender
Training, Königstein/Taunus, 2004 (19,90 Euro)
Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Gemeinschaftsaufgabe Demokratie – Gendertraining als Instrument
zur Umsetzung der Gemeinschaftsaufgabe und
Profilentwicklung von Einrichtungen, Berlin.
DGB Bundesvorstand, Abteilung Gleichstellungsund Frauenpolitik (Hrsg.): Bildungsbausteine.
Arbeitszeit/Vereinbarkeit von Beruf und Familie/
Entgeltgleichheit, Berlin 2003.
http://www.familie.dgb.de/bildungsangebote/
01_01_bildungsbausteine_html/
43
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 44
ACTION FOR FEMINISM –
JUNGE FRAUEN
BEI DEN JUSOS
Von Katrin Münch, Bundesgeschäftsführerin der Jusos, und
Sonja Pellin, stellv. Juso- Bundesvorsitzende
Schwerpunkt
Junge Frauen1 sehen die Freiheit der
Welt vor sich, ziehen selbstbewusst ihr
Ding durch und scheren sich längst
nicht mehr um die großen Aufreger
einer Alice Schwarzer. Die Zeiten
haben sich geändert, zum Glück. Das
Lebensgefühl, die Dinge zu ändern,
ist da. Zumindest privat.
In der Politik ist dieses revolutionäre Element aber noch nicht angekommen. Obwohl sich junge Frauen genauso für Politik
interessieren wie junge Männer, organisieren sie sich nicht bei uns. Selbst in den
hochpolitisierten Zeiten des Wahlkampfes
strömen junge Männer in die Unterbezirke, doch die jungen Frauen bleiben weg.
1 Natürlich sind nicht alle jungen Frauen so und klar
ist auch,dass auch junge Männer genau die beschriebenen Verhaltensweisen zeigen oder diese Einstellung haben. Dennoch kann man Tendenzen ausmachen, dass junge Frauen eher so sind wie hier beschrieben und junge Männer eben anders. Auch hier
zeigt sich wieder das Dilemma, dass durch Gesellschaftsbeschreibung Geschlechterunterschiede reproduziert werden, aber beschrieben werden müssen sie
nun mal und ein anderes Instrumentarium als dies
so zu tun, steht uns leider noch nicht zur Verfügung.
44
Warum eigentlich?
Grund ist ein selbsterfahrener Gegensatz.
Der Wille nach Veränderung widerspricht
den Tatsachen, wie Politik zu funktionieren
vorgibt. Wenn man die junge Frauen zu ihrer politischen Erlebniswelt befragt, dann
hört man viel über langwierige Diskussionen ohne Ergebnisse, von VielrednerInnen,
die nie auf den Punkt kommen und alles
immer lieber dreimal sagen, von belehrenden Mitgenossen, zu wenig Transparenz
und wenig Gestaltungsraum.
Beim Einblick in die Politik fühlen sich
junge Frauen manchmal an das kindliche
Spiel mit der Schneekugel erinnert. Egal,
wie man diese Kugel auch schüttelt und
wendet, der Schnee stürmt, doch die Figuren bleiben stehen und machen einfach
weiter, als sei nichts geschehen.
Wie jetzt verändern?
Junge Frauen stellen hohe Ansprüche an
ihre Zeitgestaltung. Wenn sie sich dafür
entscheiden, politisch aktiv zu sein, dann
wollen sie politische Prozesse mitgestalten
und konkret miterleben. Junge Frauen sind
Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 45
kritische Zuhörerinnen, die miterleben
wollen, wie ein Problem aufgegriffen, thematisiert, diskutiert und einer Lösung näher gebracht wird. Die Diskussion muss
zielgerichtet sein. Auf den Punkt kommen
Frauen dabei sehr gern, das erwarten sie
auch von ihren männlichen Genossen.
Doppelt quotierte Redelisten2 helfen dabei,
dass Frauen zum Zuge kommen und den
VielrednerInnen die Puste ausgeht. Frauen
wollen nicht belehrt werden, schon gar
nicht von Männern. Sie wollen einbezogen
werden und nicht mit fertigen Ergebnissen
konfrontiert werden, sondern den Entstehungsprozess miterleben dürfen.
Es gibt nicht DIE Frau, deshalb gibt es
auch nicht DEN Kriterienkatalog für die
frauenspezifische Ansprache. Aber es gibt
Maßnahmen, die dabei helfen, Frauen für
die Juso-Arbeit zu begeistern. Frauenseminare oder Mentoringprogramme, in denen
Frauen sich untereinander austauchen und
vernetzen, sind ein Beispiel. Mehr Informationen finden sich unter der Rubrik
„Gleichstellung“ auf www.jusos.de.
Sprache entscheidet, Bilder auch
Und es gibt Mechanismen, auf die man
achten kann. Zum Beispiel die Sprache.
Studien belegen, dass man sich beim Lesen
männlicher Formen auch Männer vorstellt.
Das Bild, das beim Lesen entsteht, ist entscheidend für die Ansprache junger Frauen.
In den Juso-Broschüren, Flyern, Pressetexten und Konzeptskizzen sollte deshalb immer die weibliche Form verwendet werden.
2 Doppelt quotiert heißt, dass nicht nur nach Frauen und Männern getrennte Redelisten geführt
werden und die Geschlechter abwechselnd zu
Wort kommen, sondern dass ErstrednerInnen
auch vor denjenigen dran sind, die sich schon zu
Wort gemeldet haben.
Das große Binnen-I ist nach wie vor eine
gute Möglichkeit, um Texte nicht zu lang
werden zu lassen.
Auch bei der mündlichen Ansprache
der Jusos vor Ort sowie bei politischen Reden ist es wichtig, die Sensibilität für die
geschlechtergerechte Sprache zu beachten.
Auch bei der Bilderauswahl der Homepage- oder Flyergestaltung lohnt stets ein
selbstkritischer Blick: Sind die Männer
wieder als die Handelnden und die Frauen
als Zuhörenderen dargestellt?
Themen für die frauenspezifische
Ansprache
Gleichstellung kann sich auf jedes politische
Themenfeld beziehen. Anregungen dazu geben sicherlich die übrigen Artikel der Broschüre oder auch die Links, die zu weiteren
Diskussionen führen. Wenn man aber die
Zielgruppe junge Frauen im Blick hat, kann
man sie grob in drei Gruppen unterteilen:
• Junge gebildete Frauen im Beruf
• junge gebildete Frauen mit dem
Wunsch nach Beruf und Familie, teilweise bereits Mütter
• junge Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Gerade für die letzte Zielgruppe ist das
Thema Mindestlohn von entscheidender
Bedeutung, aber auch unsere Modelle zur
Verhinderung von prekärer Beschäftigung
und die Forderung nach gleichem Lohn für
gleichwertige Arbeit. Das Thema Arbeitszeitverkürzung ist eines, von dem alle profitieren, nicht nur junge Frauen. Aber gerade die Menschen mit einer Doppel- oder
Dreifachbelastung durch Beruf, Familie,
Ehrenamt bspw., oder auch „nur diejenigen“ die einen Anspruch auf mehr selbstbestimmte Zeit haben, können wir damit
begeistern. Gerade wenn es jedoch um die
45
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
erste Zielgruppe geht, aber auch darum,
allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen anzusprechen, dann müssen wir das Thema
„Gleiche Macht für Frauen und Männer“
stärker besetzen. Dazu zählt die Forderung
für den Bereich der Politik ebenso wie für
die Wirtschaft, wo wir beispielsweise Quoten für die Besetzung von Aufsichtsräten
fordern. Gerade wenn wir mit diesen Themen nach außen gehen, können wir auf der
einen Seite junge Frauen direkt in Bezug
auf ihre Lebenswirklichkeit ansprechen,
aber auch insgesamt unser gleichstellungspolitisches und feministisches Profil stärken. Das unterscheidet uns auch zum Beispiel von der Jungen Union, die noch
meilenweit von einem gleichgestellten Geschlechterbild entfernt ist.
Web 2.0
Ein neues Wirkungsfeld ist das Web 2.0,
denn die feministische Netzkultur geht
einen neuen direkten Weg. Das Blog Feministing.com aus den USA hat vorgemacht,
wie es geht: Themen, die von den traditionellen Medien größtenteils ignoriert werden, werden plötzlich gesetzt und diskutiert. Begeisterte der Gleichstellung
schaffen so ihren ganz eigene Community
mit Ausstrahlungscharakter. Wer bloggt
und Traffic generiert, wird auch in der
Google-Suchmaske schnell gefunden. Die
Debatten finden dank web 2.0 nun endlich
im (halb)öffentlichen Raum statt und sind
fast ohne Barrieren erreichbar. Die Debatten finden nicht im Hinterzimmer, sondern auf großer Bühne statt. Feministische
Blogs können so ungleich viel mehr Menschen erreichen als es jede Demo oder jeder
Flyer es je könnte. Sehr zu empfehlen auf
deutscher Seite ist das Blog Maedchenmannschaft.net der Alphamädchen, wo man
46
Seite 46
sich viele Anregungen holen kann. Das
Web 2.0 birgt allerdings auch Gefahren. In
den Profilen der Social Networks verfallen
junge Frauen freiwillig oft in alte Rollenklischees: die Lippen werden zur Schnute
gepresst und bei der Auswahl der Fotos
spielt das Zeigen stereotyper Weiblichkeitsideale eine überproportionale Rolle.
Wenn wir mit unseren Themen jedoch
nicht nach „außen“ gehen, bekommt niemand unsere Ideen mit. Deswegen findet
ihr im Kasten einige Aktionsideen. Mehr
erfahrt ihr unter www.jusos.de/Gleichstellung. Viel Spaß beim ausprobieren!
.
Aktionsideen
„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ Dieser
Spruch ist so alt, wie er richtig ist. Für die Ansprache neuer junger Frauen ist es deshalb ratsam, auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen nach draußen – in die Wirklichkeit – zu
gehen. Es gibt die verschiedensten Aktionsideen,
wie ihr auf politische Missstände in der Gleichstellung aufmerksam machen könnt. Hier eine
kleine Auswahl:
A: „Frau ärgere dich nicht – Spiel“: Auf einem
4mx4m großen Transparent wird ein überdimensionales „Mensch ärgere dich nicht“ aufgezeichnet. An bestimmten Feldern stehen „Ereignisse“,
wie z. B. deine Mutter, die sonst deinen Sohn aus
dem Kindergarten abholt ist krank, du musst einen
dienstlichen Termin absagen, um früher nach
Hause gehen zu können. Rücke 3 Felder zurück...
B: Das Kneipenquiz: In Kneipen kommt man
mit Menschen gut über ein Quiz ins Gespräch.
Frage: Wie groß sind die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in einzelnen Bereichen? Wer richtig liegt, bekommt einen Juso-Pin.
C: Barbiepuppen-Plakat: Um die geltenden
Schönheitsideale zu hinterfragen, werden Umrisse
von Menschen auf Packpapierrollen gemalt. Auf
ein anderes Plakat werden die Barbiemaße auf
Echtgröße übertragen. Alle Plakate als Wandzeitung auf den Boden aufkleben und als Anlass nutzen, um mit Passanten ins Gespräch zu kommen.
Action for feminism – Junge Frauen bei den Jusos Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 47
IHR ALPHAMÄDCHEN…
SO KOMMEN WIR AUCH
NICHT WEITER!
Von Antje Trosien (39), aus Hersbruck, war von 2001 bis 2005 stellv. Juso Bundesvorsitzende und arbeitet als Gewerkschaftssekretärin am Bodensee.
Schwerpunkt
Ob mit einem Beitrag zu dem Buch
„Was ist heute links?“ oder als Diskutantin beim SPD-Zukunftskonvent im
vergangenen Jahr in Nürnberg in der
Runde „Power-Frau versus Opferrolle?“: Meredith Haaf, Mitautorin von
„Wir Alphamädchen,“ ist in der sozialdemokratischen Öffentlichkeit angekommen. Allerdings müssten viele
ihrer Aussagen aus Juso-Sicht als
unvollständig oder theoretisch unfundiert bzw. als schlicht realitätsfremd
bewertet werden.
Was die kritische Auseinandersetzung erschwert, ist allerdings die wilde Mixtur aus
richtigen und falschen Annahmen und Betrachtungsweisen.
Beispiel 1: da gibt es das Kapitelchen
„Quoten sind sinnvoll“, wo es heißt: „Vor
allem müssen wir uns selbst wieder zur
Quote bekennen. Frauen lehnen sie oft mit
einer Empörung ab, als würde man ihnen
nur dann einen Job geben, wenn sie eine
Maus bei lebendigem Leibe verspeisen. Sie
fürchten, jemand wolle sie nur aus einem
Grund fördern: weil sie Frauen sind und
nicht weil sie was können.“ (S. 219) Ja, da
freut sich doch auch die traditionelle Feministin, wenn sie so was lesen darf. Und
denkt sich insgeheim, ja klasse, diese jungen
neuen Feministinnen, die haben’s ja doch
kapiert, dann wird schon auch alles andere
nicht so verkehrt sein. Und außerdem ist’s
doch auch so nett und frech geschrieben,
Beispiel 2: „Da draußen passieren viele Dinge, die uns jungen Frauen ordentlich stinken:
schlechtere Bezahlung, Sexismus im Alltag
und die angeblich ganz normale Angst,
wenn wir nachts allein durch die Straße
laufen.“ (S. 8) Zwar lauert die Gefahr der
Gewalt gegen Frauen nicht primär auf der
Straße, sondern im engsten familiären und
sozialen Umfeld, aber dass uns schlechte
Bezahlung aufregt, ist ja immerhin noch
richtig, also wollen wir mal nicht so sein.
Schließlich bezeichnet sie sich ja als Feministin, und zwar in Abgrenzung zu den
47
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
alten Feministinnen, „dabei ist der Feminismus laut Definition der Encyclopaedia
Britannica nur: „the belief in the social,
economic and political equality of the sexes““ 1 (S. 13/14), was allerdings nicht ganz
die Definition ist, mit der andere durchs
Leben rennen. Meyers bietet nämlich an:
„Der schon Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommene Begriff Feminismus steht heute für den von der »Neuen Frauenbewegung«
initiierten Kampf gegen die gesellschaftlich definierte Frauenrolle und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Feministische Aktivitäten erschöpften sich nicht
in Theoriedebatten, sondern es entstand
eine autonome weibliche Subkultur. Im
akademischen Bereich verschob sich die
Perspektive von der Frauenforschung zur
Genderforschung.“ 2 Deutlich hier immerhin der Unterschied, dass Feminismus auch
eine systemüberwindende Strategie beinhaltet und ein gewisses kämpferisches Element.
Ohne Zweifel ganz besonders interessant sind aber die Erkenntnisse übers Erwerbsleben. Alle drei Buchautorinnen sind
übrigens studiert und freie Journalistinnen
und bestätigen die (traditionelle) Analyse
von Karl Marx: „Das Sein bestimmt das
Bewusstsein.“
Eines meiner beiden Lieblingszitate
aus „Wir Alphamädchen“ ist: „Vor allem
große, global gemanagte Firmen bieten
ihren Angestellten die beste sogenannte
Work-Life-Balance, also ein individuelles,
ausgewogenes Verhältnis zwischen Privatund Arbeitsleben.“ (S. 217) Dies widerspricht allen Erfahrungen und Studien
zum Thema „Arbeitszeit“, die in den letzten Jahren gemacht worden sind. Es sei
1 Also „der Glaube in die soziale, wirtschaftliche
und politische Gleichheit der Geschlechter“
2 http://lexikon.meyers.de/wissen/Feminismus
48
Seite 48
denn natürlich, damit wäre etwa die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit gemeint. Die meist
nicht existenzsichernd ist.
Aus gewerkschaftlicher Sicht ungelogen
am besten ist: „Auch im Beruf hat es keinen Sinn, allen Konflikten aus dem Weg zu
gehen. Wir sollten hart über eine Gehaltserhöhung verhandeln, auch wenn wir Angst
haben, dass der Chef das als unangemessen
empfinden könnte. Diese Angst ist so falsch!
Wer sie überwindet, ist meistens selbst
überrascht, wie leicht man über Geld sprechen kann. Und dass sich der ein oder andere Chef zu einem richtig guten Gehalt
überzeugen lässt. Und hier geht es keineswegs nur um Geld, sondern auch um Anerkennung und wieder: um Teilhabe im Unternehmen.“ (S. 230) Ja. Hinfort mit
lästigen Tarifverhandlungen und dem Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Wir
sind jung, Feministinnen, wenn auch nach
einer Weichspüldefinition, und wir gehen
jetzt mal zum Boss, und sagen ihm, dass er
uns loben muss und dass wir mehr Geld
brauchen. Das können wir auch gar nicht
verstehen, dass andere Leute für Lohnerhöhungen streiken. Lässt sich doch alles
ganz friedlich im Gespräch regeln.
Insgesamt verbirgt sich in „Wir Alphamädchen“ hinter einer locker und gut lesbaren Schreibweise ein strategisch völlig
verfehlter Ansatz. Individuelle Lösungen
werden als Nonplusultra betrachtet, und
wenn im sprachlich appellativen Charakter
auch ständig von „wir müssen, wir sollen“
die Rede ist, wird doch nie ganz klar gefasst, wer „wir“ ist. Allenfalls ergibt sich das
vielleicht noch aus der künstlichen Abgrenzung zur institutionellen „alten“ Frauenbewegung. Scheinbar richtet sich das
Buch nur an die aktuell junge Generation.
Bloß, was haben „wir Frauen“ von einem
generationsspezifischen „Feminismus“? Was
Ihr Alphamädchen… so kommen wir auch nicht weiter! Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 49
ist mit den altersarmen Rentnerinnen? Was
ist mit den (hochqualifizierten) Müttern
um die 35-40, die schon in der Betreuungsfalle stecken? Was ist mit den Frauen, die
zwar jung sind, aber gerade eine geschlechtsspezifische Ausbildung gemacht
haben (und nicht freie Journalistinnen geworden sind)?
Viele der aufgegriffenen Themen wie
Pornographie, Sexismus, Sprache, Macht
sind wichtig, aber insgesamt werden zu wenig oder die falschen Lösungen angeboten.
Aus der Verzweiflung heraus, dass die
Gleichstellung der Geschlechter noch
nicht umgesetzt ist, wird versucht, eine
neue nette Taktik (Strategie wäre ja zuviel
gesagt) zu entwickeln – mit dem erkennbaren Risiko, dass sie auch nicht funktioniert.
Zielführender wäre es, die bisherige endlich mal umzusetzen. Wer die menschliche
Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Ganz klassisch und traditionell.
.
Literatur:
Meredith Haaf/Susanne Klingner/Barbara Streidl
„Wir Alpha-Mädchen – warum Feminismus das
Leben schöner macht“, Hoffmann und Campe,
Hamburg, 2008.
49
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 50
DER NEUE NEBENWIDERSPRUCH – NACHDENKEN
ÜBER FEMINISTISCHE
POPKULTUR
Von Mithu Sanyal, Autorin von Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts
Schwerpunkt
Anfang der 1990er Jahre arbeitete ich
bei einem autonomen Stadtzeitungsprojekt. Aus einem Grund, den ich für
Zufall hielt, verteilten sich die Geschlechter umgekehrt proportional auf
die Redaktionen. 90% Männer in der
Politik, 90% Frauen in der Kultur. Ich
war die verantwortliche Literaturredakteurin, bis die Politredaktion beschloss,
ein Haus zu besetzen und dazu eine
Sondernummer zu drucken. Das Problem war nicht die illegale Aktion,
sondern dass wir nicht gefragt wurden,
ob wir mitmachen wollten. Weil wir
schließlich nur Kultur machten. Mit Betonung auf nur. Da hatte ich gedacht,
es wäre offensichtlich, dass sich niemand die Nächte mit dem Schreiben,
Korrekturlesen und Drucken von unbezahlten Artikeln um die Ohren schlug,
der oder die nicht ein höheres Ziel damit verfolgte. Aber offensichtlich war
es das nicht.
50
Wenn ich heute Vorträge über die neuen
Entwicklungen und Strategien des neuen
Feminismus halte, kann ich mich ebenfalls
des Gefühls nicht erwehren, dass der gute
alte Nebenwiderspruch wieder da ist und
das dritte K (von Kinder, Küche, Kirche)
durch Kultur ersetzt wurde. So wie früher
die Frauenfrage wird Kultur heute in im
weitesten Sinne linken Kreisen häufig mit
Selbstverwirklichung, Egoismus und Privatheit gleichgesetzt und ist insgesamt
etwas, was sich nach der Revolution (die
nicht mehr so genannt wird) von selbst regeln soll. Interessanterweise sprechen nahezu nur noch Kulturaktivistinnen von Revolution und wie wir spätestens seit der
zweiten Welle der Frauenbewegung wissen,
ist das Private politisch.
Fangen wir von vorne an. Die großen
Verdienste der Frauenbewegung in der
Bundesrepublik sind an Gesetzesänderungen ermessbar, die Gleichberechtigung in
diesem Land überhaupt erst ermöglichen.
Angefangen bei dem berühmten Artikel 3
Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 51
des Grundgesetzes, in dem es unter anderem heißt „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung zur Gleichberechtigung
von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Zwei Sätze, die mit einem Schlag eine Reihe anderer Gesetze verfassungswidrig machten und die Basis bildeten, auf der Feministinnen in den 1970er Jahren durchsetzen
konnten, dass Ehemänner nicht mehr den
Arbeitsvertrag ihrer Frauen kündigen dürfen, Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist
und Frauen ihren Kindern ihre eigene
Staatsangehörigkeit geben können, um nur
drei von zahlreichen Beispielen zu nennen,
die belegen, dass Politik das Leben direkt
und gewaltig verändert. Nur ... ja, es gibt
immer ein nur. Nur, dass es damit eben
noch nicht getan war. Ebenso wie das Sein
das Bewusstsein bestimmt, bestimmt nämlich auch das Bewusstsein das Sein. Und
das, was wir uns nicht vorstellen können,
können wir dummerweise auch nicht leben. Von daher reicht es noch lange nicht,
dass Mädchen inzwischen beispielsweise die
selben Berufe ergreifen dürfen wie Jungs,
wenn die Welt – und damit sind Eltern,
Freunde, Bücher, Filme und Werbung gemeint – diesen Mädchen nach wie vor
spiegelt, dass sie Friseurin, Verkäuferin oder
Arzthelferin werden können.
Und eben da setzt der Bereich der feministischen (Pop)Kultur an. Popkultur hier
verstanden als Alltagskultur in Wechselbeziehung zur Subkultur. (Alles ausführlicher
in Publikationen wie Sonja Eismanns „Hot
Topic – Popfeminismus heute“ oder dem
ersten popfeministischen Hochglanzmagazin auf dem deutschen Markt, dem „Missy
Magazine“.) Feministische (Pop)Kultur ist
das Medium, mit dem die feministische
Subkultur sich nicht nur sich selbst erklärt,
sondern auch emanzipatorische Lebensentwürfe ausprobiert und auslotet.
Ein Beispiel: Seit Beginn des neuen
Jahrtausends werden weltweit Ladyfeste organisiert, die gegen den strukturellen Ausschluss von Frauen, Mädchen und Transgendern aus der Subkulturproduktion mit
ein bis mehrtägigen Festivals vorgehen, auf
denen feministische Bands spielen, in Workshops Geschlechteridentitäten dekonstruiert werden und Vorträge und Panels zu
allen möglichen Themen stattfinden. Denn
da die Ladyfeste in der Tradition der DoIt-Yourself-Bewegung stehen – also selbstorganisiert, dezentral und nichtkommerziell sind – entscheiden die Organisatorinnen in den jeweiligen Städten selbst, was
sie machen wollen. Doch nahezu immer
gibt es Drag-King Workshops, in denen
(meist) Frauen einen Tag lang am eigenen
Leib erleben können, was es bedeutet, ein
Mann zu sein – oder auch mit Schnauzbart
und Minirock durch die Stadt spazieren
dürfen. Darüber hinaus gibt es meist Veranstaltungen zu feministischem Porno
(„PorNo, PorYes? PorJein?“), weil – so der
Stand der Analyse – es bei Pornographie
nicht um die Darstellung von Sexualität
geht, sondern von sexuellen Phantasien.
Und auf der Ebene der Phantasie werden
Geschlechterrollen verhandelt. Und außerdem werden abgewertete Fertigkeiten wie
Stricken, Sticken, Nähen in „radical crafting“ Workshops neu begangen, das bedeutet, anti-Sweatshop und in Größen, die
echten Frauen passen und nicht nur Models – aber auch, dass die Irritation von
Materialien und Techniken, die traditionell
mit Heim und Privatheit verbunden sind,
in einem politischen Kontext zu nutzen, wie
zum Beispiel durch gestickte Graffitis etc.
Es mag im einzelnen Fall nicht unmittelbar einleuchten, was das mit Fragen wie
51
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 52
„gleichem Lohn für gleiche Arbeit“ zu tun
hat. Und unmittelbar hat es das auch nicht.
Doch ist unser kultureller Ausdruck das,
was uns von Ihnen unterscheidet, wer auch
immer Sie sind. (Vielleicht diejenigen, die
den ungleichen Lohn verteidigen?) Denn
das, was häufig abwertend Lifestyle genannt wird und die Kulturkritikerin Kerstin Grether als „jene unbezahlbare Währung der Subkultur“ bezeichnet, ist der
Versuch, sich körperlich erkennbar zu machen, den eigenen Leib als das Mittel zu
nutzen, durch das eine im besten Fall utopische Gesellschaft gebildet wird (gesünder
essen, inspirierende Musik hören, gesellschaftliche Normen abwerfen, wertschätzender miteinander umgehen etc.). Dadurch
schafft Lifestyle den Dreischritt: Das Bewusstsein bestimmt das Sein, bestimmt das
Bewusstsein. Kultur ist, wenn sie gut ist, ein
Stück gelebte Utopie, ein Stück Revolution
im Hier und Jetzt, ein Stück körperlich erlebbare Zukunft.
Wodurch bekommt man und in diesem
Fall natürlich frau Massen von Menschen
dazu, sich an einer gesellschaftlichen Bewegung zu beteiligen? Indem man sexy und
cool und hip ist und einfach den größeren
Spaß am Leben hat. Oder um mit Emma
Goldmann zu sprechen: Wenn ich nicht
tanzen kann, ist es nicht meine Revolution!
.
52
Der neue Nebenwiderspruch – Nachdenken über feministische Popkultur Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 53
„EIN SOZIALIST IST EIN
FEMINIST ODER ER IST
KEIN SOZIALIST“ AUGUST BEBEL
ÜBER HAUPT- U. NEBENWIDERSPRÜCHE
AUF DEM WEG ZUR EMANZIPATION
Von Karin Luttmann, Vorsitzende der ASF Dresden und
Tamara Breitbach, Sprecherin der Jusos Trier
Schwerpunkt
August Bebel hat in seinem theoretischen Wirken ein Beispiel für eine Synthese aus Marxismus und Feminismus
geliefert. „Die Frau und der Sozialismus“ ist das wichtigste theoretische
Werk des langjährigen SPD-Vorsitzenden und „Arbeiterkaisers“.1 Darin
stellt August Bebel seine Sicht auf die
Geschlechterverhältnisse im Verlauf
der Geschichte, von Urgesellschaft
über Antike und Mittelalter bis in seine kapitalistische, von kleinbürgerlicher Moral geprägten, Gegenwart und
schließlich seine utopische sozialistische Zukunftsvision dar.
1 Das Werk wurde zu Bebels Lebzeiten allein auf
Deutsch 53mal neu aufgelegt (und in 20 Sprachen
übersetzt). Es war mit eineinhalb Millionen verkauften Exemplaren das meist gelesene marxistische Buch diesen Umfangs der Frühzeit (um
Wiederholungen zu vermeiden) der SPD.
2 Neben Bebel z. B. Luxemburg, Kautzky, Zetkin etc.
Zum Verständnis seiner Thesen ist es notwendig, sich den ideologischen und historischen Kontext bewusst zu machen, in
dem er dachte und schrieb (1879 erschien
die erste, 1909 die 50. Auflage). Dieser war
von einem Geschichtsoptimismus geprägt,
der Weltkriege und Faschismus nicht kannte und nicht für möglich hielt. Die Emanzipationsgeschichte hatte eine klare Richtung: links.
Die Sozialdemokratie war ihre Hauptakteurin, denn sie allein schien die Einsicht
in die richtige Analyse der Gesellschaft zu
haben. Die marxistischen TheoretikerInnen2 beanspruchten für sich, im Besitz der
Wahrheit zu sein. Sie waren voller optimistischer Gewissheit, dass es bald eine bessere
Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Abhängigkeiten, mit verwirklichter Selbstbestimmung aller Individuen, Männern wie
Frauen jeglicher sozialer und geographischer Herkunft, geben werde.
Eine neue Gesellschaft mit ganz anderer Funktionsweise werde die alte ersetzen.
53
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Für August Bebel war die revolutionäre
Umgestaltung von Staat, Wirtschaft und
Gesellschaft unausweichlich bevorstehend.
Er bezeichnete sich selbst gern als „Todfeind“ der bestehenden Ordnung und war
ein unerbittlicher Kritiker des „falschen
Bewusstseins“.
Bebels Geschlechtergeschichte folgt einer klassisch materialistischen Erklärungslogik, kurz zusammengefasst zu sozialen
Normen: „Sittlich ist, was Sitte ist, und
Sitte ist wieder nur, was dem innersten
Wesen, das heißt den sozialen Bedürfnissen einer bestimmten Periode, entspricht.“3
Die Ehe ist für ihn die Institutionalisierung der gesellschaftlichen Norm der Monogamie der Frau. Die Institution Ehe
wurde erst durch das Privateigentum und
dessen Vererbung sozial notwendig: In einer vaterrechtlichen Gesellschaft, in der
Eigentum ausschließlich den Männern gehört und an deren leibliche Söhne vererbt
werden soll, müssen Männer sich ihrer Vaterschaft versichern. Dies geschieht durch
die Ehe und das Gebot sexueller Treue der
Frauen gegenüber ihren Ehemännern.
Ohne Eigentum, Erben und Vaterrecht
wäre die Ehe/die Norm der weiblichen
Monogamie, materialistisch gesehen, nicht
entstanden. Sie ist also unnatürlich und die
Ideologie von der „Liebesheirat“ ist ein
Deckmantel für diesen harten Interessenbestimmten Kern.
Die in der Ehe und vor allem in der patriarchalen (vaterrechtlichen) Ordnung begründete Hierarchie ist eine Säule der bürgerlichen Gesellschaft, die Bebel angreift:
„Die monogamische Ehe ist, wie zur
Genüge bewiesen wurde, Ausfluss der
bürgerlichen Erwerbs- und Eigentumsordnung, sie bildet also unbestreitbar eine
der wichtigsten Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, ob sie aber den natür-
54
Seite 54
lichen Bedürfnissen und einer gesunden
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entspricht, ist eine andere Frage.
Wir werden zeigen, dass diese auf den
bürgerlichen Eigentumsverhältnissen beruhende Ehe mehr oder weniger Zwangsehe ist, die viele Übelstände aufweist und
vielfach ihren Zweck nur unvollkommen
oder gar nicht erreicht.“4
Im seinem Kapitel über die Ehe stekken aber auch positive Einstellungen zur
Ehe, da Bebel ja auch selbst verheiratet
war, steht er dem idealistischen Sinn und
Zweck von Ehe prinzipiell positiv gegenüber. Für ihn ist dieser positive Zweck ein
harmonisches solidarisches Miteinander
und das gemeinsame Aufziehen von Nachkommen. Er bestreitet aber die Möglichkeit der Verwirklichung dieses Anspruchs –
in der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung – aufgrund der materiellen Zwänge:
„Die Freude an der Nachkommenschaft und die Verpflichtung gegen diese
machen das Liebesverhältnis zweier Menschen zu einem länger dauernden. [...]
Die schwere Sorge, der harte Kampf um
das Dasein sind der erste Nagel zum Sarge ehelicher Zufriedenheit und ehelichen
Glückes. Die Sorge wird aber um so größer, je fruchtbarer sich die eheliche Gemeinschaft erweist, also in je höherem
Grade sie ihren Zweck erfüllt.“5
„Die Frau und der Sozialismus“ widmet
sich auch intensiv den Tabu-Themen, um
die sich auch die radikaleren VertreterInnen seiner zeitgenössischen Frauenbewe3 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
erstes Kapitel.
4 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
achtes Kapitel.
5 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
achtes Kapitel.
„Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 55
gung verdient machten. Bebel knüpft an
deren praktische Kritik an und ordnete sie
in seine Theorie und Gesellschaftsanalyse
ein, so zum Beispiel die Prostitution: Ehe
und Prostitution sind für Bebel die zwei
„Seite[n] des Geschlechtslebens der bürgerlichen Welt[...] Die Ehe ist der Avers,
die Prostitution der Revers der Medaille.“6 Für Bebel ist die Prostitution notwendiges Element der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.
Bebel kritisierte den Versuch staatlicher
Regulierung im Bereich der Prostitution
und zeigte, wie dadurch die Hierarchisierung der Geschlechter noch verstärkt wird:
„Jedes System offizieller Regelung der
Prostitution hat Polizeiwillkür zur Folge
sowie Verletzung gerichtlicher Garantien, die jedem Individuum, selbst dem
größten Verbrecher, gegen willkürliche
Verhaftung und Einsperrung zugesichert
sind. Da diese Rechtsverletzung nur zum
Nachteil der Frau geschieht, so folgt daraus eine widernatürliche Ungleichheit
zwischen ihr und dem Manne. Die Frau
wird zum bloßen Mittel herabgewürdigt
und nicht mehr als Person behandelt. Sie
steht außerhalb des Gesetzes.“7
Auch das Vorhandensein nur der weiblichen Prostitution ist für Bebel ein Ausdruck der bestehenden Geschlechterhierarchie – nicht etwa Ausdruck unterschiedlich
ausgeprägter sexueller Triebe bei Männern
und Frauen:
„Daß die Frau die gleichen Triebe hat
wie der Mann, ja daß diese in gewissen
Zeiten ihres Lebens sich heftiger als sonst
geltend machen, beirrt ihn nicht. Kraft
seiner Herrschaftsstellung zwingt sie der
Mann, ihre heftigsten Triebe gewaltsam
zu unterdrücken und macht von ihrer
Keuschheit ihr gesellschaftliches Ansehen und die Eheschließung abhängig.
Durch nichts kann drastischer, aber auch
in empörenderer Weise die Abhängigkeit
der Frau von dem Manne dargetan werden als durch diese grundverschiedene
Auffassung und Beurteilung der Befriedigung desselben Naturtriebs. Die Verhältnisse liegen für den Mann besonders
günstig. Die Natur hat die Folgen des
Zeugungsaktes der Frau zugewiesen, der
Mann hat außer dem Genuß weder Mühe
noch Verantwortung.“8
August Bebel sah die Prostitution mit
der bestehenden Gesellschaftsordnung verbunden an, deren Überwindung wird demnach auch die Prostitution überwinden:
„Dr. F.S. Hügel sagt: „Die fortschreitende Zivilisation wird die Prostitution
allmählich in gefälligere Formen hüllen,
aber nur mit dem Untergang der Welt
wird sie vom Erdball vertilgt werden können.“ Das ist eine kühne Behauptung,
aber wer nicht über die bürgerliche Form
der Gesellschaft hinaus denken kann,
nicht anerkennt, daß sich die Gesellschaft
umwandeln wird, um zu gesunden und
natürlichen Zuständen zu kommen, muß
Dr. Hügel zustimmen.“9
Feminist auch in der politischen Praxis
Aus der theoretischen Analyse ergaben sich
für Bebel politische Forderungen und praktische Schritte für sein politisches Handeln:
Für ihn war die Frauenfrage nicht allenfalls
ein Nebenwiderspruch. Er war nicht, wie
6 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
12. Kapitel.
7 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
12. Kapitel.
8 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
12. Kapitel.
9 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
12. Kapitel.
55
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
später Zetkin und andere, für eine Abgrenzung von der bürgerlichen Frauenbewegung. Denn auch Nichtproletarierinnen
sind Unterdrückte: „Ganz unabhängig
von der Frage, ob die Frau als Proletarierin unterdrückt ist, sie ist es in der Welt
des Privateigentums als Geschlechtswesen. Eine Menge Hemmnisse und Hindernisse, die der Mann nicht kennt, bestehen für sie auf Schritt und Tritt.“10
August Bebel versuchte, die Forderung
nach dem Frauenwahlrecht schon in das
Gothaer Programm zu schreiben, scheiterte
damals am Parteitag (knapp, mit 55 zu 62
Stimmen) und setzte die Forderung 1891
für das Erfurter Programm durch. Es war
das erste Parteiprogramm, dass diese Forderung aufnahm und da es den marxistischen
Parteien der II. Internationale als Vorbild
diente, hatte es eine starke internationale
Vorbildwirkung in die Arbeiterparteien. Bebel erklärte zudem die politische Forderung
nach der Berufstätigkeit von Frauen zur sozialistischen Selbstverständlichkeit:
„Der klassenbewußte Arbeiter weiß,
daß die gegenwärtige ökonomische Entwicklung die Frau zwingt, sich zum Konkurrenten des Mannes aufzuwerfen, er
weiß aber auch, daß die Frauenarbeit zu
verbieten ebenso unsinnig wäre wie ein
Verbot der Anwendung von Maschinen,
und so trachtet er danach, die Frau über
ihre Stellung in der Gesellschaft aufzuklären und sie zur Mitkämpferin in dem
Befreiungskampf des Proletariats gegen
den Kapitalismus zu erziehen.“11
Den falschen Vorstellungen von Sexualmoral forderte er mit Aufklärung zu begegnen:
„Die so genannten tierischen Bedürfnisse nehmen keine andere Stufe ein als
die so genannten geistigen. Die einen und
die anderen sind Wirkung desselben Or-
56
Seite 56
ganismus und sind die einen von den anderen beeinflußt. Das gilt für den Mann
wie für die Frau. Daraus folgt, daß die
Kenntnis der Eigenschaften der Geschlechtsorgane ebenso notwendig ist wie
die aller anderen Organe und der Mensch
ihrer Pflege die gleiche Sorge angedeihen
lassen muß. Er muß wissen, daß Organe
und Triebe, die jedem Menschen eingepflanzt sind und einen sehr wesentlichen
Teil seiner Natur ausmachen, ja in gewissen Lebensperioden ihn vollständig
beherrschen, nicht Gegenstand der Geheimnistuerei, falscher Scham und kompletter Unwissenheit sein dürfen. Daraus
folgt weiter, daß Kenntnis der Physiologie und Anatomie der verschiedenen Organe und ihrer Funktionen bei Männern
und Frauen ebenso verbreitet sein sollte
als irgendein anderer Zweig menschlichen Wissens.“12
Wir können abschließend festhalten,
dass die politische und wissenschaftliche
Geschichte des Feminismus nie nur aus
Sicht des weiblichen Geschlechts beschrieben werden kann, sondern, dass zu jeder
Zeit immer auch männliche Theoretiker
und Praktiker13 den feministischen Diskurs
bereichert und forciert haben.
Es verwundert deshalb, dass dem „Neuen Feminismus“ unterstellt wird, das Neue
an ihm sei die Einbeziehung der männlichen
Perspektive. Hier sollte ein differenzierter
Blick auf den wesentlichen sozialistischen
Feministen August Bebel ausreichen, um
diese These zu widerlegen.
10 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
siebtes Kapitel.
11 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
achtes Kapitel.
12 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus,
siebtes Kapitel.
13 z. B. Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft.
„Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 57
Viel wichtiger erscheint allerdings, dass
die 1879 von Bebel skizzierten Probleme
heute noch die politische Diskussion um
Gleichberechtigung bestimmen. Zum Beispiel durch die Bewusstmachung der strukturellen Diskriminierung durch das Nutzen einer geschlechterbewusste Sprache,
dadurch, dass er die Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen im Kampf gegen die
kapitalistische Ordnung ansah und durch
die Bekämpfung der Prostitution und die
Brandmarkung der Ehe als bürgerliches
Unterdrückungsinstrument gegen die
Selbstbestimmung der Frau, zeigen Bebels
Analysen sich auf der Höhe der Zeit.
Hier hat die Beschäftigung mit den
historischen Wurzeln des „männlichen Feminismus“ August Bebels zwei praktische
Konsequenzen. Erstens kann bewiesen
werden, dass es eine inhaltliche und konzeptionelle Kontinuität gibt. Und zweitens
kann männlichen und weiblichen Jusos, die
den Nutzen feministischer Debatten in
Zweifel ziehen, erhobenen Hauptes entgegnet werden: „Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist.“
.
Bücherliste:
August Bebel: „Die Frau und der Sozialismus“
Dietz-Verlag, Berlin, 1946
Ja, ja auch sozialdemokratische Männer beschäftigten
sich mit dem Thema „Frau“. Bereits Ende des
19. Jahrhunderts machte sich z. B. August Bebel
Gedanken, auf die so manche heutigen Genossen
noch immer nicht gekommen sind.
Paul Fröhlich: „Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat“
Dietz-Verlag
Wer schon immer mal wissen wollte, wie man zu leben
hat, um eine Ikone der Sozialdemokratie zu werden
und was für starke Frauen es schon in der Weimarer
Republik gab, dem sei diese Rosa Luxemburg-Biographie ans Herz gelegt.
Simone de Beauvoir: „Das andere Geschlecht“
Rororo-Verlag, ISBN 3-49919319-1
Der zweite große Klassiker für alle, die sich über die
Gleichstellung von Frauen informieren wollen. Erstaunlich treffsicher analysierte de Beauvoir anhand
von zahlreichen Quellen bereits 1949 die Faktoren,
die Frauen zum „anderen“, zum „schwachen“ Geschlecht machen.
Alice Schwarzer: „Der kleine Unterschied und
seine Folgen“
Berühmt berüchtigtes Buch aus den späten 70er Jahren. Heute vor allem deshalb lesenswert, da es ein interessantes Gegenbild zum allgegenwärtigen „Supersex“ in Frauenzeitschriften bietet. Zarte Gemüter
sollten dieses Buch allerdings mit Vorsicht genießen.
Anette Baldauf, Katharina Weingartner:
„Lips, Tits, Power? Popkultur und Feminismus“
ISBN 3-85256-077-2
Verschafft einen Überblick darüber, was sich in
Sachen Jugendkultur und Mädchen getan hat.
Testcard, Beiträge zur Popkultur „Gender“
ISBN-3930555-07-0
Mit der gleichen Thematik beschäftigt sich diese
Ausgabe der Testcard. Hier findet ihr Beiträge zu den
Fragen: „Warum gibt es so wenige weibliche DJs?
oder „Welches Frauenbild wird in Musikvideos vermittelt?“.
Erhältlich auch über die Homepage:
http://www.testcard.de
57
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 58
Pease, Allan / Pease, Barbara: Warum Männer
nicht zuhören und Frauen schlecht einparken
Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen
Hier ist richtig wer mehr über Feminismus und Biologismus und die Folgen dieser Kombination wissen
möchte.
(Ullstein Taschenbuch Verlag) ISBN:
978-3-548-36994-5
Paperback ca. 400 S.
Websites:
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter
Der Klassiker des Dekonstruktivismus.
(Suhrkamp) ISBN: 978-3-518-11722-4
236 S.
www.un.org/womenwatch/
Informationsseite der UN zum Thema Gleichberechtigung
Herman, Eva: Das Eva-Prinzip
Für eine neue Weiblichkeit
Oder warum wir die Familie retten müssen? Hier
gilt, man muss nicht alles lesen, aber wer zielgenau
Eva Hermann kritisieren will, sollte es tun.
(Goldmann Verlag) ISBN: 978-3-442-15462-3
Paperback, 256 S.
Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun A:
Feministische Theorien zur Einführung
Verschafft einen guten Überblick über verschiedenste
Theorien. Denn im Singular ist feministische Theorie nicht zu haben.
( Junius Hamburg) ISBN: 978-3-88506-648-4
Paperback
Haaf, Meredith/Klinger, Susanne/Streidel, Barbara:
Wir Alphamädchen.
Warum Feminismus das Leben schöner macht.
Für alle, die sich selbst eine Meinung über den
„neuen“ Feminismus bilden wollen..
(Hoffmann und Campe Verlag)
ISBN 978-3-455-50075-2
www.bmfsfj.de
Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie
und Jugend
www.unifem.org
Der Fonds der Vereinten Nationen für Frauen (Hier
finden sich Informationen zur Situation von Frauen
weltweit.)
www.terredesfemmes.de
Menschenrechtsorganisation, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen einsetzt
www.entgeltgleichheit.de/
ein Projekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes
zum Thema gleiche Arbeit gleicher Lohn.
www.dgb-frauen.de
Seite der Frauen des DGB
www.fes.de/gender
Seite der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Gender
www.zwd.de
Seite der Zweiwochendienstes, der aktuelle Informationen rund um das Thema Gleichstellung bereit hält.
www.sjoe.at/frauen
Frauenseite unserer Schwesterorganisation in Österreich (Sozialistische Jugend Österreichs) unter „Themen“
www.maedchenmannschaft.net
hier schreiben die Alphamädchen.
Bothfeld, Silke u. a.: WSI FrauenDatenReport
2005. Handbuch zur wirtschaftlichen und sozialen
Situation von Frauen.
Ein Handbuch mit vielen Zahlen und Statistiken,
Ansätzen von Erklärungsversuchen und damit auch
ein Ansatz für die politischen Lösungsmöglichkeiten
(edition sigma) ISBN 3-89404-997-9
58
„Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009
IH_Argumente_2_09
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 59
Geschichte der Frauenbewegung – eine kleine Übersicht
Jahr
Beschreibung
1775
wird in Kempten im Allgäu Anna Schwegelin wegen Hexerei zum Tode verurteilt. Sie war
die letzte verurteilte „Hexe“ in Deutschland.
1791
veröffentlicht Olympe de Gouges die „Declaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne“ (Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin) und protestierte damit gegen
die einseitige Ausrichtung der Französischen Revolution auf den männlichen Teil der Bevölkerung.
Artikel 1 lautet „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten.“
Dies wird als Geburtsstunde des modernen Feminismus bezeichnet.
1792
veröffentlichte Mary Wollstonecraft A Vindication oft he Rights of Women (Ein Plädoyer
für die Rechte der Frau), in dem sie für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen
eintritt und die Situation der Frauen mit aufklärerischem Gedankengut in Verbindung
bringt. Sie entlarvt in ihrem Werk das Haupthindernis der Frauen auf dem Weg zur
Gleichberechtigung: die häusliche Unterdrückung und Erziehung und dass die Verehrung
der Frauen durch die Männer lediglich ein Herrschaftsinstrument ist. Auch stellt sie die
natürlichen Unterschiede von Männern und Frauen in Frage.
1848
Veröffentlichung der „Declaration of Sentiment/ Die Erklärung der Gefühle“ in den USA
„Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte wiederholter Schädigungen und
Übergriffe von Seiten des Mannes gegenüber der Frau, die zum unmittelbaren Zweck die
Begründung einer Tyrannei über sie haben.“ Dieses Dokument wurde zum Gründungsdokument des Feminismus in den USA. Der ersten weltweiten Frauenbewegung, die sich
letztendlich in Seneca Falls gründete.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts
Erste Frauenbewegung im Zuge der franz. Revolution, weiter in den USA, England; in
Deutschland: sozialistische, bürgerlich-radikale, bürgerlich-gemäßigte Feministinnen mit
Forderungen nach dem Recht auf Erwerbsarbeit, Recht auf Bildung und dem Recht auf
Politik. Suffragetten kämpften für das Wahlrecht der Frauen.
1880
taucht das Wort Feminismus (feminism) zum ersten Mal in Frankreich auf.
1879
erschien August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“.
1889
veröffentlichte Clara Zetkin „Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart“ und
analysiert darin die Gesellschaft. Sie macht den Kapitalismus dafür verantwortlich, dass
Frauen nicht nur mehr Haussklavinnen sind, sondern sich in wirtschaftlicher Selbstständigkeit und damit in Lohnsklaverei befänden. Dem müssten politische Rechte und Pflichten folgen. Damit postulierte Zetkin die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter
als einen Nebenwiderspruch der herrschenden sozialen und ökonomischen Bedingungen, den sie dem Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit unterordnete. Ihre Verschiebung der formalpolitischen Emanzipation der Frau auf die Zeit nach der Revolution
vertiefte die Konflikte der deutschen Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg und
führte zu langwierigen Auseinandersetzungen mit anderen, gemäßigteren Protagonistinnen auch innerhalb der sozialdemokratischen Frauenbewegung.
1890
erschien die erste proletarische Frauenzeitschrift „Die Arbeiterin“ Herausgeberin war
Emma Ihrer. Sie war auch das erste weibliche Mitglied der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.
1900
wurde die erste reichsweite sozialdemokratische Frauenorganisation gegründet.
59
IH_Argumente_2_09
Jahr
11.05.2009
21:54 Uhr
Seite 60
Beschreibung
1910/11 Beschlossen wurde der Internationale Frauentag auf der zweiten Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen in Kopenhagen 1910. Eingebracht haben den Antrag Käthe
Duncker und Clara Zetkin, das Hauptziel war das Frauenwahlrecht durchzusetzen.
Am 19. März 1911 fand dann zum ersten Mal der Internationaler Frauentag statt.
1918
erlangten am 12. November die Frauen durch den Erlass der Regierung und der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland.
1946
erkennt die UNO bei ihrer Gründung das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und
Frau an.
1951
veröffentlicht Simone de Beauvoir „Le deuxième sexe“ (Das andere Geschlecht).
1955
löste in der DDR das Zerrüttungsprinzip das Schulprinzip bei Scheidungen ab.
1961
war die Pille in Deutschland käuflich zu erwerben, 1965 in der DDR.
1977
Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch mussten bis 1977 Frauen ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie einer beruflichen Tätigkeit nachgehen wollten. Außerdem wurde die
gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe aufgehoben.
Ab 1968 Zweite Frauenbewegung (im engen Zusammenhang mit der 68erRevolte und den Forderungen nach Demokratiesierung)
• Politische, sexuelle und soziale Emanzipation
• Nicht nur Teilhabe an Institutionen, sondern auch Infragestellung der Institutionen
• Neue Themen: Missbrauch, Abtreibung (Kampf gegen §218)
• Infragestellung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung
• „Das Private ist politisch“
Im Gegensatz zur ersten Frauenbewegung, die sich hauptsächlich in Vereinen organisierte, war die zweite Frauenbewegung stark individualisiert.
70er
Von Kiel bis Konstanz entstanden Frauengruppen und Frauenzentren. Sie alle nahmen
gemeinsam den Kampf gegen den Paragrafen 218, den Abtreibungsparagrafen, auf. Der
Schwangerschaftsabbruch war verboten, er musste heimlich durchgeführt werden, war
teuer, erniedrigend und manchmal lebensgefährlich. Männer entschieden darüber, ob
eine Frau ein Kind bekommen sollte oder nicht. Die Frauenbewegung aber sagte: Weder
Richter, noch Ärzte, geschweige denn Theologen haben das Recht, über den Körper und
das Leben einer Frau zu bestimmen. Und sie forderten: Der Paragraph 218 muss ersatzlos gestrichen werden.
1971
Aktion „Ich habe abgetrieben“ im Stern.
1975
1. UN-Weltfrauenkonferenz
1976
Erstes Frauenhaus
1987
PorNo-Kampagne der EMMA
1988
beschließt der SPD Parteitag in Münster die Einführung einer Geschlechterquote.
1990
Judith Butler veröffentlicht Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter) und begründet damit den Dekonstruktivismus.
1990
Erster Gesamtdeutscher Frauenkongress
1995
weckt die Weltfrauenkonferenz in Peking große Hoffnungen. Es wird beschlossen, dass
die Regierungen nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau vorlegen müssen.
60
„Ein Sozialist ist ein Feminist oder er ist kein Sozialist“ Argumente 2/2009