Leseprobe - Nicolai Verlag
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Leseprobe - Nicolai Verlag
Death sells: Vanitas en vogue Totenköpfe, wohin man schaut, in allen erdenklichen Formen und Farben. Kaum ein Bekleidungshersteller, der das uralte Symbol der Vanitas nicht für sich entdeckt hat und es in seine Kollektionen – ob nun auf Shirts, Tüchern, Taschen, auf Schuhen, Socken oder Pullovern – einarbeitet. Vor allem die großen Anbieter sogenannter Streetwear, also sportlicher Massenware für ein vorrangig jüngeres Publikum, setzen nun schon seit einigen Jahren auf den Schädel, mindestens als großen T-Shirt-Aufdruck. Und kaum ein angesagter Designer, der nicht die letzten Überreste des Menschen im Programm hat. Damit folgen sie kleineren Bekleidungsherstellern und eher unbekannten Labels, die das Motiv schon länger einsetzen, sich aber an enger gefasste Käuferschichten der Jugend-Subkulturen richten, etwa Skateboarder, Goths, Rocker. Insbesondere Christian Audigier ist es in Verbindung mit dem Tattoo-Künstler Don Ed Hardy zu verdanken, dass der Totenkopf auf den Körpern modebewusster Menschen seit der Mitte der letzten Dekade ständig präsent ist. Der aus Frankreich stammende Modemacher begeistert zuerst prominente Stars und Sternchen in den USA, dann geradezu zwangsläufig das breite Publikum weltweit. Eines der zentralen Motive seiner bunten Kleidungsstücke ist der Totenkopf, der sich in seiner Darstellung an den populären Varianten des archetypischen Tattoo-Motivs orientiert. Nach dem Erfolg von Audigiers Modelabels findet der Schädel schnell seinen Weg auf die textile Ware der großen, weltweit operierenden Massen-Modeketten. Auch in aktuellen Kollektionen findet er sich dort weiterhin an prominenter Stelle. Den Trend schufen indes andere. Neben Audigier waren es Modemacher wie Vivienne Westwood und Alexander McQueen, die dem Totenkopf huldigen und ihn quasi zu ihrem Markenzeichen machten. Inspiriert vom Punk und der Gothic-Kultur 43 Der Tod steht uns gut.indd 43 21.09.12 12:59 schufen sie glamouröse Klassiker für ein zahlungskräftiges Publikum. Neben Textilien wie Schals und Mützen kreiert Westwood auch eine Fülle von Totenkopf-Schmuckstücken, von Ketten über Ringe bis hin anschettenknöpfen. Selbst auf Schuhen der Marke findet sich das zu M morbide Motiv. Ähnlich umfangreich findet der Totenkopf bei dem im Jahr 2010 verstorbenen Alexander McQueen seinen Auftritt, egal ob auf T-Shirts, Taschen oder Schuhen. Die nach dem Tod des Designers weitergeführte Marke bleibt dem Motiv ungebrochen treu. Insbesondere im Schmucksegment dominiert der Totenkopf auf Armbändern, Ringen, an Ketten und Gürteln. Bekanntes Markenzeichen sind die »scull scarves« des Designers, jene Schals und Halstücher in verschiedenen Farben und aus unterschiedlichen Materialien, die allesamt mit Totenköpfen bedruckt sind. In der Herrenlinie, denn der Totenkopf wird nicht geschlechtsspezifisch konnotiert, wird McQueens Schädel-Kollektion neben T-Shirts und Schals ergänzt durch Totenköpfe auf Manschetten, Krawatten, Fliegen und Brieftaschen. Der Schädel wird zum stringenten Markenzeichen, zu wirklich jedem Anlass tragbar. Dem Luxus-Kunden scheint es zu gefallen. So setzt auch der deutsche Designer Phillip Plein weiter auf den Totenkopf, der sich in seiner Kollektion an vielen Stellen wiederfindet. In der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2012 schmückt er Jogginghosen, Kleider, Taschen, T-Shirts, Handy-Hüllen, Gürtel, Handtücher. Und neben der Damen- und Herrenlinie müssen auch die Kids bei Plein nicht auf das ungebrochen angesagte Motiv verzichten. Für die schwedische Spirituosenmarke Absolut Vodka kreiert der deutsche Designer indes eine limitierte Wodkaflasche, besetzt mit Swarovski-Kristallen, mit dem Motiv eines grinsenden, glitzernden Totenkopfes auf einer Seite. Modeschöpfer wie Westwood oder McQueen, aber auch andere bekannte Labels wie Gucci oder Dior lehnen sich an eine Subkultur an, die den Totenkopf als Ausdruck des Nonkonformismus zelebriert. Damit sorgen sie, unterstützt von Christian Audigiers ausgeklügelter Forcierung des Trends für das breitere Publikum, schließlich mit dafür, dass der Schädel als modisches Motiv für die Massen auf den Einkaufmeilen onformismus einen festen Stammplatz erhält – und damit Zeichen des K 44 Der Tod steht uns gut.indd 44 21.09.12 12:59 wird. Im März 2004 erblickt etwa die Jeansmarke Cheap Monday das Licht der Welt. Zuerst verkaufen die Macher ihre textile Ware, für die Totenkopf-Knöpfe charakteristisch sind, im eigenen Stockholmer Laden. Dann erweitern sie Anfang 2005 das Angebot zu einer ausgefeilten Kollektion, die schnell über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt wird. Heute findet sich das eingängige Schädel-Label in rund 35 Ländern und bedient ein mittleres Preissegment. Der Totenkopf vollführt dergestalt einen ungebremsten Siegeszug durch die Mode aller Einkommens- und Käuferschichten. Selbst die Hunde-Couture kommt nicht ohne ihn aus, so dass auch der vierbeinige Freund des Menschen mit Totenkopf-Jäckchen und glitzernden Schädel-Halsbändern herausgeputzt werden kann. Kaum ein Stoff, kaum ein Schmuckstück, das von der Totenkopf-Flut verschont bleibt. Und ein Abebben ist nicht abzusehen. Heute schmücken sich ganze Labels, Unternehmen und Produkte unterschiedlichster Wirtschaftszweige mit dem »skull«, dem menschlichen Schädel. Die Firma Skullcandy etwa bietet vor allem bunte Kopfhörer mit ihrem Schädel-Logo für ein junges Publikum an. Es gibt ein aus Berlin stammendes Getränk namens Skull nebst passendem Logo. Und der FC St. Pauli ist bereits seit den späten 1980 er-Jahren untrennbar mit dem Totenkopf verbunden. Der Fanshop lässt kaum Wünsche offen, möchte man sich und sein Heim mit dem Emblem des Hamburger Traditionsvereins schmücken, ob Zahnbürste mit Totenkopf, Bettwäsche oder Aschenbecher. Als trendiger Hochprozenter in gläserner Schädelflasche präsentiert sich Crystal Head Vodka, eine kanadische Spirituose. Weniger Prozente, aber einen nicht weniger eindrucksvollen Schädel weist Pistonhead auf. Mit Feuerschweif und je nach Alkohol gehalt mit einem anderen Symbol auf der Stirn verziert, schmückt der Totenkopf die vor allem in Skandinavien vertriebene Biermarke. Wer es etwas süßer mag, dem verspricht chocolateskulls.com eine besondere Gaumenfreude: Die handgemachten, anatomisch korrekten Toten schädel aus Schokolade gibt es in drei Geschmacksrichtungen. Der 2009 gegründete und in London ansässige Verlag My Dance The Skull möchte zeitgenössische Künstler fördern, deren »Arbeit durch die 45 Der Tod steht uns gut.indd 45 21.09.12 12:59 g efährliche und erschütternde Schönheit des Alltagslebens inspiriert ist«. Sein Signet: ein künstlerisch gestalteter Schädel. Eine deutsche Firma hingegen hat den Totenkopf in den Tauchsport gebracht und verwendet ihn dort als Label, bietet auch gleich die passenden T-Shirts, Mützen und Jacken an. Statt Knochen überkreuzen sich hier Schnorchel unter dem Schädel. Wenn sich in den vergangenen Jahren schon nicht der Einsatz des Totenkopfes merklich reduziert hat, so sind die Kreativen als Ausdruck notwendiger Abgrenzung zu Mitbewerbern und verkaufsfördernder Innovation dazu übergegangen, die Schädel fantasievoll und vor allem bunt zu gestalten. Das kann dazu führen, dass man ihn bisweilen erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt. Etwa, wenn er sich auf einem T-Shirt bildlich aus Satzfragmenten und Buchstaben oder kunterbunten Schmetterlingen zusammensetzt. Oder einsam und klein als glitzernder Anhänger an einem Mobiltelefon baumelt. Gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends kommt in einzelnen Medien die leise Frage auf, ob der Totenkopf-Trend, der auch vor Kinderkleidung und Accessoires für Kinder nicht haltmacht, vielleicht doch geschmacklos, weil makaber sei. Hier drückt sich augenscheinlich ein Unwohlsein aus, junges, bisweilen gar neugeborenes Leben durch den Totenkopf mit dem Tod zu konnotieren – ein Anzeichen dafür, dass bei aller Verniedlichung und bunter Farbgestaltung das Motiv des Totenkopfes immer noch, wenigstens grundlegend, als Symbol für Sterblichkeit und Tod erkannt wird. Der Tod steht doch nicht jedem gut. Einer Verbreitung des Schädels auch im Kindersegment hat dies jedoch keinen merklichen Abbruch getan. Im Gegenteil: Skelett und Schädel sind heute eine feste Größe im Spielwaren- und Kindersegment geworden. Ob auf der Pirateninsel von Playmobil oder als Skelett-Ritter bei Lego, bleiche Gebeine sind bei vielen Herstellern im Sortiment. Bei dem elektronischen Spiel Johnny The Skull projiziert ein Totenkopf Gespenster an Wand und Decke des Zimmers, die man mit einer Laserpistole abschießen soll. In Australien zum Beispiel ist dieses Spiel im Angebot des Discounters Aldi. Für die Allerkleinsten bietet das Label 46 Der Tod steht uns gut.indd 46 21.09.12 12:59 Rock Star Baby eine ganze Produktpalette mit Totenköpfen: Schnuller, Badeenten, Kinderwagen. Daneben eine Auswahl an Kleidungsstücken, von der Badehose bis zum Hemdchen. Hier herausgewachsen, richtet sich die Produktserie Monster High von Mattel vor allem an Mädchen. Das Markenzeichen der Serie, ein Totenkopf mit Wimpern, trägt eine rosafarbene Schleife. Diesem weiblichen Schädel begegnet man in dem umfangreichen Sortiment immer wieder. Wie etwa dem Set Monster Styling, das sich an »angesagte Mädels von heute« richtet. Oder dem Inliner, bei dem selbst die Rollen mit dem Symbol überzogen sind. In der dazugehörenden TV-Comicserie wimmelt es selbstverständlich von den Skelett-Accessoires, die sich die Fans anschaffen können, um ihren Monsterschüler-Vorbildern vermeintlich nahezukommen. Barbie ist im 21. Jahrhundert angekommen. Bevor der Schädel Massentrend wurde, war er insbesondere in der Gothic-Szene verbreitet. In dieser Kultur, die sich in den 1980er-Jahren herausbildet, ist der Totenkopf ein fester Bestandteil des subkulturellen Zeichensystems. Die Beschäftigung der meist Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Tod und Vergänglichkeit bedingt geradezu die Verwendung des zentralen Vanitas-Symbols. Auch die vielfältigen Rückgriffe der Goths auf das späte 18. und vor allem 19. Jahrhundert erklären das Interesse am Schädel. Musik, Kleidung, Literatur – die Ästhetik verweist auf eine Zeit, in der Todessymbole Melancholie und S ehnsucht ausdrücken. Mit einem Hang zum Düsteren und M ythischen unterstreicht diese Subkultur, die sich aus dem Punk entwickelt hat, den Tod als grundlegend für das menschliche Leben. Dies geschieht jedoch als bewusstes Mittel der Abgrenzung zur Gesellschaft und dem Establishment, also nicht mehr im traditionellen christlichen Sinn der Vanitas. So sind Kleidung und äußeres Auftreten häufig totenähnlich, etwa durch geschminkte Leichenblässe. Die Affinität zum fantastischen Vampir-Kult erklärt sich von selbst. Auch der Totenkopf als Schmuckstück, ob als Ring, Kette oder Piercing, ist beliebter Bestandteil des inszenierten Outfits. Alles unterstreicht die Abgrenzung, das intendierte Anderssein. Mit der Aufnahme 47 Der Tod steht uns gut.indd 47 21.09.12 12:59 und Kommerzialisierung einzelner, vor allem optischer Aspekte der Subkultur in den Mainstream fällt diese Abgrenzung jedoch schwerer. Die Kritik an Bürgertum und Materialismus der 1980er kann sich heute im Todessymbol nicht mehr ausdrücken. Tod ist chic. Vergleichbar trendorientiert stellt sich die Entwicklung des Schädels als Motiv für Tätowierungen dar. Ursprünglich ist der Totenkopf bei Seeleuten beliebt, die sich so der Todesangst auf der unberechenbaren See stellen. In den 60er-Jahren wird er dann in der Rocker-Bewegung beliebt, auch als stolzer Ausdruck von der Zugehörigkeit zu einzelnen Gangs. Hier steht der Schädel dann für Rebellion, Gewalt und Härte. Er wird zum Zeichen für Gefahr; ähnlich, wenn auch kunstvoller, dem Zeichen für toxische Stoffe in der Chemie. Ansonsten werden Tätowier ungen lange Zeit neben Seeleuten vorrangig mit Kriminellen und Inhaftierten in Verbindung gebracht. Spätestens mit dem gesellschaftsübergreifenden Tattoo-Trend, der seit den 90er-Jahren anhält, ist der Totenkopf jedoch ein Mainstream-Motiv aller sozialen Schichten geworden. Wo anfangs durchaus eine inhaltliche Nähe zur Vergänglichkeit des Lebens besteht, geht das Mode-Tattoo des Totenkopfes nicht mehr über das Basiswissen hinaus, dass es etwas mit dem Tod zu tun hat. Es ist vielmehr Ausdruck von erhoffter Abgrenzung und Individualität, das durch seine Verbindung zum Tod provozieren will. Es ist der vermeintliche Tabubruch, dem bösen Tod ein lebenslanges Bild zu geben, der für die nötige Portion Schaudern sorgt. Hinter der Manifestierung des Todes im symbolischen Abbild steht der versteckte Wunsch, ihn dergestalt gleich zu bannen. So, wie das Tattoo in einer vergänglichen Existenz die Möglichkeit gibt, etwas vermeintlich zu verewigen. Einen Namen, ein Bild, ein Gefühl – für »immer« in die Haut gestochen. Das latente Schaudern, der arrogante, weil distanzierte Blick auf das Todessymbol dienen darüber hinaus heute vielleicht auch dazu, sich unterbewusst seiner eigenen Lebendigkeit zu erinnern. Hier liegt seine prickelnde Anziehungskraft in einer Alltagwelt, die sich für viele durch Routine, Konformität und Langeweile auszeichnet. 48 Der Tod steht uns gut.indd 48 21.09.12 12:59