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Hintergründe
Pauschalreisen
„Wo sind die Weiber?“
Von Martin Wittmann
Ballermann am Balaton:
Bierselige Busreise an
den Plattensee
13. August 2007
Die meisten sind schon betrunken, als ich am frühen Abend in Frankfurt
einsteige. Nur drei Mädchen scheinen noch halbwegs nüchtern - es sind
die einzigen Mädchen im ganzen Bus. Der Fahrer, ein bulliger Kerl um
die fünfzig, will was sagen und brüllt erst mal „Schnauze!“ den Gang
runter. Tatsächlich herrscht danach für einen Moment Ruhe. „Ihr sauft
viel, ihr pisst viel, aber haltet mir das Klo sauber!“ Die Meute hört kurz
hin und säuft ungerührt weiter.
Billig-Wodka wird in Pepsi geschüttet, einer entkorkt eine Flasche
Rotwein, neben den Sitzen türmen sich grüne Beck's-Dosen und weiße
Plastikbecher. Älter als Anfang zwanzig ist kaum jemand an Bord. So ungefähr muss man
sich wohl eine Klassenfahrt vorstellen, wenn kein Lehrer dabei ist. „Ficken“ schreit einer
aus der letzten Reihe, „Porno“ ruft ein anderer. Knapp zwei Stunden nach der Durchsage
des Busfahrers ist die Toilette vollgekotzt.
„Dann reiß ich mir eben eine Ungarin auf!“
Die letzte Station auf dem Weg nach Ungarn ist ein S-Bahnhof bei
Nürnberg; eine junge Familie steigt zu. Dem Paar mit seinen beiden
Kleinkindern schlägt außer dem Alkoholdunst eine Mischung aus Mitleid
und Entsetzen entgegen. „Mit so was wie uns würde ich nicht in den
Urlaub fahren“, flüstert mir mein benebelter Sitznachbar zu.
Mit dem Bus zum
Er klingt ernsthaft besorgt und beendet diesen kurzen Moment der
Plattensee: Wie auf
Selbstreflexion mit einem Schluck Rotwein. „Und wo sind die Weiber?“ Klassenfahrt ohne Lehrer
ereifert sich ein schmächtiger Frankfurter mit übergroßer Baseballmütze
auf dem Kopf, als sich auch noch eine halbe Fußballmannschaft auf die letzten Plätze im
Bus verteilt. „Die sind in Rimini“, schreit der Busfahrer zurück. Antwort: „Dann reiß ich mir
eben eine Ungarin auf!“
Wodka-Flaschen machen die Runde
Türme von Bierdosen,
Billig-Wodka in
Plastikbechern: "Und wo
sind die Weiber?"
Es geht weiter. Wodka-Flaschen machen die Runde, der Alkoholpegel
steigt, das Bedürfnis nach Geselligkeit auch: „Hi, ich bin der Michi. Wo
kommst du denn her? Prost erstmal!“ Hinter der österreichischen
Grenze, so gegen Mitternacht, ein überraschender Halt an einer
Tankstelle. Pinkelpause? Ein paar Jungs krakeelen rum: „Ey, nicht
schon wieder anhalten!“ Aber es muss sein, denn die Bremslichter am
Bus sind kaputt.
Der Busfahrer steigt aus und weiß auch nicht weiter. Zum Glück ist ein
Elektriker an Bord. Der schwankt zwar schon gewaltig, aber es reicht
noch, um den Fahrer in die Geheimnisse des Sicherungskastens einzuweisen. Mit Erfolg:
Nach ein paar Minuten funktionieren die Lichter wieder. Wer ausgestiegen war, tritt jetzt
seine Kippe aus und schlurft zurück zu seinem Sitz. Der Rest der Nacht ist ruhiger als
erwartet - irgendwann macht Alkohol zum Glück auch müde.
„Seit wann ist denn hier der Krieg aus?“
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Am frühen Morgen passieren wir die Grenze nach Ungarn. Ein
Uniformierter steigt in den Bus, geht durch die Reihen und lässt sich
kurz die Ausweise zeigen. Irgendwie ein schönes Ritual, das tatsächlich
so etwas wie Urlaubsstimmung weckt. Die Landschaft weniger:
verdörrte Maisfelder, vertrocknete Sonnenblumen, dazwischen immer
wieder ein paar alte Häuser, von denen der Putz bröckelt.
„Seit wann ist denn hier der Krieg aus?“, murmelt ein neunzehnjähriger Trinkspiele: Wer gewinnt
muss trinken, wer
Kölner mit Kurzhaarschnitt und Baggy-Pants. Die anderen sind
verliert auch
entweder verkatert, schon wieder betrunken oder zumindest damit
beschäftigt, es bald wieder zu sein. Wie übrigens die ganzen Zeit
während des 159-Euro-Urlaubs mit „Rainbow Tours“ („Für kleines Geld viel erleben“) am
Balaton.
Ungarn und Billig-Touristen aus Deutschland
Nach 17 Stunden Fahrt kommt Unruhe auf. Verschwitzte Arme kleben
am schwarzen Kunstleder der Sitze, Zähneputzen könnte nicht schaden
- aber das Klo ist immer noch vollgereiert. Egal, denn wir sind endlich
am Ziel: Siófok. Der Ferienort am Plattensee („geniale Partys zu
unschlagbaren Preisen“), von meinen Mitreisenden „Siófuck“ genannt,
zählt etwa 20.000 Einwohner. Dazu gesellen sich jeden Sommer rund
Beim Frühstück schien
der Hunger nicht so groß 150.000 Urlauber: vor allem Ungarn und Billig-Touristen aus
Deutschland. „Rainbow Tours“ trägt sein Scherflein mit bis zu
gewesen zu sein...
vierhundert Gästen pro Woche dazu bei.
Der erste Eindruck: Kioske, Imbissbuden, Stände mit massenweise Sonnenbrillen. Und
Restaurants, die sich mit Sonderangeboten zu übertrumpfen versuchen: „Bier ein Euro!“,
„Gulasch zwei Euro!“, „Pizza drei Euro!“ Dass die Preise auch in der Landeswährung Forint
angegeben werden, gehört genauso zum Lokalkolorit wie die vielen Werbeplakate für
Striptease-Bars mit „Lesbi-Shows“ und Tabledance.
Plattenbau der Kategorie „Touristenklasse“
Unser Bus parkt vor einem Hotel namens „Lido“. Wieso heißen solche
Läden eigentlich überall auf der Welt gleich? Bei diesem „Lido“ handelt
es sich jedenfalls um einen Plattenbau der Kategorie „Touristenklasse“.
„Tourist“ muss hier so etwas wie ein Schimpfwort sein: Vor dem Hotel
stehen weiße Plastiktische voller leerer Bierdosen, sofort bildet sich
eine meterlange Schlange vor dem Check-in. Die meisten Gäste
...wie beim Mittagessen
vertreiben sich die Wartezeit mit einem Bierchen in der Hand. Sie
tragen weite Jogginghosen, sind müde und rufen nach Betten.
Dazwischen stehen die Reisebegleiter in roten Poloshirts und telefonieren hektisch in der
Gegend herum - das „Lido“ ist nämlich überbucht. Kaum ein Guide ist älter als die
Urlauber, dafür sind sie nüchtern. Flüchtlingslageratmosphäre. Zwei All-inclusive-Gäste
laufen vorbei und begrüßen die Neuankömmlinge mit den Worten: „Willkommen im Club!
Freut euch schon mal auf die tägliche Ration Spaghetti.“ Beide tragen das gleiche T-Shirt.
Aufschrift vorne: „Unser letzter Wille“. Auf der Rückseite: „4,5 Promille“. Immerhin scheint
die Sonne.
Rosa All-inclusive-Bändchen am Handgelenk
Weil das „Lido“ voll ist, werde ich ins Hotel „Olivia“ umgebucht, es liegt
gleich gegenüber. Glück gehabt: kein Plattenbau, nur dreistöckig. Und
zumindest von außen trotz der riesigen Werbetafeln für Badehosen und
Luftmatratzen irgendwie gemütlicher als das „Lido“. Um nichts
auszulassen, hatte ich „Mehrbettzimer“ gebucht. „Mehrbettzimmer“
bedeutet: Zweibettzimmer plus Zustellbett. Der Raum ist gut zwanzig
Kioske und Imbissbuden
überall: Die kleinen Orte Quadratmeter groß, von der Liegefläche abgesehen, bleibt also gerade
noch Platz zum Umziehen auf einem abgetretenen Teppich in der
werden von Touristen
überschwemmt
Ursprungsfarbe Grau.
Meine Zimmergenossen sind zwei soeben volljährig gewordene Berliner: ein kleiner
Blonder und ein Größerer mit schwarzem Haar und dunklen Augenringen, die auch
während der nächsten Tage nicht verschwinden werden. Freundliche Jungs mit einer
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Vorliebe für Paprikachips, die sich die fettigen Finger an der Jogginghose abwischen, bevor
sie mir die Hand geben. Jeder räumt sein Zeug in das schmale Schränkchen - wie bei der
Bundeswehr. Weil ich zu müde bin, kann ich mir ihre Namen nicht merken. Gegenseitig
nennen sie sich „Alter“ oder „du Sack“. Um die dünnen Handgelenke tragen sie rosa
All-inclusive-Bändchen. Und die Club-Card haben sie auch. Ich lege mich auf das
Zustellbett und schlafe ein.
Schaum-Partys, Beach-Clubs und Single-Feten
Die Club-Card! Das Eintrittsticket in die Welt der immerwährenden
Urlaubsfreuden. 35 Euro kostet das Plastikkärtchen, und es verspricht
verbilligten oder sogar kostenlosen Zutritt zu Schaum-Partys,
Beach-Clubs und Single-Feten. Das Ding wird den Gästen schon im Bus
angedreht wie Heizdecken auf einer Butterfahrt. Und natürlich lässt sich
niemand diese einmalige Chance entgehen. Auch ich habe die
Club-Card gekauft und meinen Namen hintendrauf geschrieben - so,
wie es sich gehört. Heute Abend soll sie sich bewähren. Aber jetzt muss
ich erst mal schlafen.
Mit Club-Card in die
Diskothek "Flört": Der
"Indoor-Pool" ist nur ein
Planschbecken
Als ich am Nachmittag wieder aufwache, bin ich allein. Meine Mitbewohner haben zwei
Mädchen vom Stockwerk über uns kennengelernt und sind mit ihnen an den Strand
gelaufen. Das Zimmer stinkt nach menschlichen Ausdünstungen. Ich reiße das Fenster auf,
aber es hilft nichts: Draußen riecht es genauso - nur, dass da noch Baulärm herrscht. Am
Strand ist es besser, trotz dezenter weißer Schaumkrönchen auf dem Wasser und
gestrandetem Plastikmüll. Es ist hell und heiß und windstill. Bierselige Stimmung. Eine
Wolke schiebt sich vor die Sonne und wird von einem der Frankfurter beschimpft: „Hey, du
dumme Schwuchtel, verzieh dich!“ Gelächter.
Testosterongeladene Abwehrspieler in der Pubertät
See und Strand sind
schmutziger als die
überall angebotenen
Sex-Shows
Dann kommen die Animateure in ihren roten Shirts und machen auf
Stimmung: irgendwelche Strandspielchen, die alle irgendwie mit
Sangria zu tun haben. Entweder man muss trinken, um zu gewinnen,
oder man muss trinken, wenn man gewonnen hat. Wer nicht mitspielt,
trinkt trotzdem. Am liebsten Bier. Dann kündigt ein Reiseleiter das
Abendprogramm an und erinnert bei dieser Gelegenheit noch mal an
die Segnungen der Club-Card. „Damit wird die Party heute Abend noch
günstiger!“ „Lügner“, brüllt ihm ein Gast entgegen, der offenbar schon
die eine oder andere Club-Card-Party miterlebt hat. Diesmal lacht
niemand.
Siófok für 159 Euro die Woche, das bedeutet vor allem: morgens
Chlorgeruch im Frühstückssaal, ein „Dreher“-Six-Pack nach der
Mittagspizza und Abende mit viel Bier und der immer geringer
werdenden Hoffnung auf Sex. Mann spricht Deutsch, Frau Ungarisch. Allerdings scheinen
nur die allerwenigsten Ungarinnen Appetit auf testosterongeladene Abwehrspieler
mittelfränkischer Fußballvereine zu haben, die gerade in der Spätphase ihrer Pubertät
stecken. „Sollen wir jetzt wirklich jeden Morgen mit Kopfweh aufwachen und so lange
saufen, bis wir einschlafen?“, fragt irgendwann einer der verkaterten Nürnberger Kicker in
die Runde, als man sich gerade auf dem schmalen Grünstreifen des hoteleigenen Strands
niedergelegt hat. Die anderen starren in den Himmel, einer hebt die Dose, rülpst laut und
sagt: „Prost!“
Lauwarmer, nach Hustensaft schmeckender Likör
In meinem Zimmer wachsen derweil die Kleiderberge bis fast unter die Decke, neben den
Nachbarbetten stapeln sich die Pizzakartons, und der allabendliche Spaziergang auf der
Partymeile von Siófok führt an den immergleichen Orten vorbei: „Havanna Bar“,
„Castello“, „Coke Beach“, dazwischen Pizzastände und Döner-Läden. Eine Frau malt jungen
Mädchen mit Henna Arschgeweihe auf die sonnenbrandroten Rücken, im Hintergrund
singen Guns N' Roses von „November Rain“. Deutsche Jungs sitzen an Freilufttischen,
kratzen die Aufkleber von ihren „Dreher“-Bierflaschen und malen sich aus, wer von ihnen
wohin ausweichen müsste, falls tatsächlich mal einer ein Mädchen aufs Mehrbettzimmer
abschleppen sollte.
Aber am Ende landen doch wieder alle im „Flört“, einer mehrstöckigen Disko mit
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„Beach-Party am Indoor-Pool, Welcome Drink und Getränkeaction“. Die Anschaffung der
Club-Card muss sich ja irgendwann lohnen. „Beach-Party“ im „Flört“ bedeutet, dass
zwischen den Stockwerken ein Windsurfingsegel rumhängt, die Besucher in einem
knietiefen Planschbecken von der Größe einer Badewanne („Indoor-Pool“) tanzen und
dabei einen lauwarmen, nach Hustensaft schmeckenden Likör („Welcome Drink“) in sich
hineinschütten.
Als ich gegen drei Uhr morgens ins Hotel zurückkomme, liegen die beiden Berliner im Bett
und schauen „Ungeklärte Morde“ auf RTL II. Im Halbschlaf bekomme ich noch mit, wie der
mit den Augenringen zu dem Kleinen sagt: „Weeßte, wat ick letzte Nacht jeträumt hab,
Alter? Dat die Keule von oben hier runter in mein Bett kommt und ick sie so richtig
jehämmert hab.“
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.08.2007, Nr. 32 / Seite 51
Bildmaterial: Martin Wittmann
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