- Tessa Szyszkowitz | szylog

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- Tessa Szyszkowitz | szylog
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Apic/Getty Images
W & D Downey/Hulton Archive
Royals, 1906 George V. (li.) mit Familie,
Edward VIII. und George VI. (re. außen)
Vererbu
Aristokratie. König George VI. und der Oscar, Prinz William und Kate, Freiherr Guttenberg und der Dok
76 profil 10 • 7. März 2011
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AUDIO.PROFIL.AT
01/305 305 400
Royals, 2004 Queen Elizabeth II.
mit Prinz Philip, Duke of Edinburgh
EPA/Kirsty Wigglesworth
Royals, 1936 George VI. mit Margaret (li.),
Elizabeth II. und seiner Frau Elizabeth
ngsleere
tor: Adel bezaubert mal wieder. Und ist trotzdem nicht besser als sein Ruf.
Von Sebastian Hofer und Tessa Szyszkowitz
7. März 2011 • profil 10 77
coverstory
it strammem Schritt
tritt der Minister ans
Stehpult, ein Oberstabsfeldwebel brüllt
„Meine Damen und
Herren, der Minister“, der Minister sagt
„Grüß Gott“ und verkündet, ganz ohne
Stottern: „Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“ Anschließend erläutert er die
„Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen,
die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann“. Wie hoch
diese Ansprüche auch gewesen sein mögen
– der Minister hat ihnen nicht genügt und
ist zu dem Zeitpunkt deshalb auch schon ein
Ex-Minister. Der vorwöchige Auf- und Abtritt des Freiherrn von und zu Guttenberg
in der Säulenhalle des Berliner Bendlerblocks erschütterte ganz Deutschland, insbesondere aber den „Bild“-Chefredakteur
Kai Diekmann. „Das graue Mittelmaß an
den Hebeln der Macht fühlte sich vom Erfolg des Ausnahmepolitikers bedroht“, erläuterte der passionierte Guttenberg-Gut-
„God save the
Queen / She ain’t
no human being“
Sex Pistols
finder und warnte: „Der
Sturz des Verteidigungsministers markiert eine Zäsur:
die beängstigende Entfremdung zwischen
Regierten und Regierenden, zwischen der
Bevölkerung und der Politik.“
Während sich in Berlin graues Mittelmaß anschickte, die Demokratie zu demolieren, schäumte im Internet blaues Blut:
Alexander zu Schaumburg-Lippe, Oberhaupt eines niedersächsischen Adelsgeschlechts, kommentierte den Rücktritt des
deutschen Verteidigungsministers auf Facebook mit einem erschütterten „Das traurige
Ende einer beispiellosen Menschenhatz“.
Johann Georg Kuefstein, ein österreichischer Standesvertreter, assistierte an selber
Stelle: „Es ist Zeit zu hinterfragen, ob die
Republik der Parteien durch die Republik
der Medien abgelöst worden ist.“
Ob Karl-Theodor zu Guttenberg nicht
doch auch eine Teilschuld am eigenen Abgang trage, wurde bei der Gelegenheit leider nicht weiter hinterfragt. Aber das konnte ja auch schwerlich der Fall sein, schließ-
lich handelt es sich bei dem
39-jährigen Ausnahmepolitiker um einen astreinen,
weder angeheirateten noch adoptierten Aristokraten aus altem Geschlecht. Über dessen
hehre Motive und moralische Unanfechtbarkeit kann gar kein Zweifel bestehen. Adel
ermächtigt. Und verfügt von Geburts wegen über eine Lebenseinstellung, die Johann
Ferdinand Kuefstein, Sohn Johann Georgs
und Vorstand der Vereinigung der Edelleute in Österreich (V.E.Ö.), anlässlich der Vereinsgründung anno 2005 gegenüber profil
so definierte: „Traditionelle Werte, Ver­
bundenheit mit der Heimat, katholische Gesinnung, die Überzeugung, dass Adel tatsächlich in erster Linie verpflichtet – zu Verantwortung und zur Erfüllung von Führungsaufgaben.“
Mit anderen Worten: Aristokraten sind
die besseren, weil geborenen Staatenlenker.
Auch wenn es zum Beweis dieser Tatsache
manchmal eine etwas verklärte Sicht braucht
und notfalls auch ein paar Details ausgelassen werden müssen, die mehr als nur Fuß- E
REUTERS/Mal Langsdon
Prinzessin
­Diana, 29. Juli
1981 Royale
Traumhochzeit
als gehobenes
Unterhaltungsprogramm
78 profil 10 • 7. März 2011
Kultur
Der Untergang des Hauses Windsor
Reibebaum Royals: Die Popkultur arbeitet sich am britischen Königshaus seit Jahrzehnten ab – mit nicht unbeträchtlichem Zorn.
„The Queen“ (2006) Spitzfindiges Königinnenporträt von Stephen Frears
„The King’s Speech“ (2011) Abgründe der
­Monarchie konsequent heruntergespielt
Senator Film
er 27. Mai 1977 war kein guter Tag
für die Windsors. Mitten in die SilverJubilee-Feierlichkeiten, fast exakt ein Vierteljahrhundert nach dem Amtsantritt von
Königin Elizabeth II., veröffentlichten die
bereits notorischen Sex Pistols eine Platte,
die das konservative Großbritannien erstarren ließ. Der Song hieß „God Save the
Queen“, aber der sakrale Titel war nur ein
perfider Trick, denn im englischen Punk
reimt sich die Queen ganz selbstverständlich auf „fascist regime“. Die alte Nationalhymne von der „gnädigen, ehrwürdigen
Königin“ („God save our gracious Queen
/ Long live our noble Queen“) wurde auf
der zweiten Single der Sex Pistols also ein
wenig umgedichtet, das Vereinigte Königreich zur faschistischen Diktatur erklärt
und die Regentin kurzerhand entmenschlicht: „God save the queen / She ain’t no
human being!“, brüllte Johnny Rotten mit
süffisantem Grinsen fortan in jede Kamera
und von allen Bühnen – ein Anschlag auf
die britische Monarchie mit den Mitteln
des Punk.
Mit den grauenvollen Royals habe Großbritannien sowieso „no future“, davon waren nicht nur die Sex Pistols überzeugt;
auch Künstler, die mit feinerer Klinge als
die Punk-Anarchos arbeiteten, pflichteten
da bei: Morrissey, Mastermind der Band
The Smiths, nannte 1986 eines seiner Alben programmatisch „The Queen Is Dead“
– und in Interviews alle Mitglieder der königlichen Familie „so herrlich, unerklärlich
und unverzeihlich langweilig“, dass die Absurdität des monarchischen Luxuslebens in
Zeiten schreiender Armut des Volkes schon
gar nicht mehr ins Gewicht falle. Geld, das
fürs Königshaus ausgegeben werde, sei
„verbranntes Geld“. Er habe im Übrigen
nie jemanden kennen gelernt, der den Adel
unterstützt habe, stellte Morrissey fest –
„und glauben Sie mir, ich habe gesucht“.
Es sei „ekelerregend“, wenn man sich vor
Augen halte, „wie wenig die Royals den
Menschen helfen. Wir glauben nicht an
Kobolde, warum sollten wir an die Königin glauben?“
Seit ein paar Jahren wird das der britischen Wirklichkeit so grotesk entrückte
Leben der Windsors auch im Kino wieder
gern thematisiert – letzthin bekanntlich
mit beachtlichem Erfolg. Nach Helen Mirrens spitzfindigem Königinnenporträt in
Cinetext
D
„God Save the Queen“ (1977) Im englischen
Punk reimt sich die Queen auf „fascist regime“
Stephen Frears’ „The Queen“ (2006)
scheint das Retro-Sujet mit Tom Hoopers
jüngst vierfach Oscar-prämierter Tragikomödie „The King’s Speech“ endgültig im
Mainstream angekommen zu sein. Die Geschichte des stotternden Albert, Duke of
York, des Vaters der späteren Königin Eliz-
abeth II., der als King George VI. von
1936 bis 1952 Großbritannien regierte, hat
offenbar große Attraktivität: Es ist ja nur
gerecht, dass auch Könige Probleme haben, die ihnen die saturierte Existenz zu
verleiden drohen. „King’s Speech“-Hauptdarsteller Colin Firth hatte allerdings, wie
er im profil-Interview gestand, „kaum Beziehung zum Königshaus“, er habe nicht
einmal entfernt „damit gerechnet, dass die
Royals in meinem Leben je eine Rolle spielen würden“.
Während in „The King’s Speech“ die Abgründe der Monarchie konsequent, um nur
niemandem zu nahe zu treten, herunter­
gespielt werden, stellten Regisseur Frears
und sein Drehbuchautor Peter Morgan in
„The Queen“ den inneren Kreis um Eli­
zabeth bewusst sarkastisch dar: das britische Königshaus als bizarre Familie in Krisenzeiten, in den Tagen nach der Angelobung Tony Blairs und dem Unfalltod von
Lady Di. Frears’ Spekulationen über das
bedrückende Privatleben der Royals sind
eine Gratwanderung zwischen Lustspiel
und Anteilnahme, was nicht zuletzt der extratrockenen Darstellung der Titelheldin
durch Helen Mirren zu verdanken ist. Sind
die Zeiten des heiligen Zorns auf die
Windsors also vorbei? Nicht bei allen: Der
65-jährige englische Filmemacher Terence
Davies, der in seinem Essayfilm „Of Time
and the City“ 2008 nicht nur seine Heimatstadt Liverpool porträtierte, sondern
auch heftig antimonarchistisch agitierte,
erklärt etwa ganz unverblümt, dass die königliche Familie für ihn schlicht „eine Bande von Parasiten“ sei.
Die Star-Modedesignerin Vivienne
Westwood, die 1977 in den Ausschreitungen rund um die öffentliche Präsentation
des Songs „God Save the Queen“ als SexPistols-Intima verhaftet wurde, empfing
1992 übrigens einen der höchsten britischen Verdienstorden aus den Händen von
Queen Elizabeth II. Ein Fotograf enthüllte damals angeblich zweifelsfrei, dass Westwood während der Zeremonie keinen Slip
getragen habe: auch eine Möglichkeit,
­seiner Kritik an den Royals, wenn auch
eher subtil, Ausdruck zu verleihen. Die
Queen, so sagt man, habe sich angesichts
des kleinen Eklats dennoch „very amused“
gezeigt.
Stefan Grissemann
7. März 2011 • profil 10 79
coverstory
noten sind. Aktuelles Beispiel: „The King’s
Speech“, mit vier Oscars großer Sieger bei
den diesjährigen Academy Awards. Der Film
zeigt den britischen König George VI. in
einer schwierigen Phase: Sein Bruder, König Edward VIII., verzichtet auf die Krone,
um seine Mätresse Wallis Simpson zu heiraten; George muss einspringen, obwohl er
sich wegen seines schweren Sprachfehlers
lieber im Hintergrund gehalten hätte;
schließlich bahnt sich in Deutschland auch
noch ein Weltkrieg an, dem sich der stotternde König nicht so recht gewachsen fühlt.
Auf dem Weg zum fürstlichen Happy End
nehmen Regisseur Tom Hooper und sein
Drehbuchautor David Seidler einige Abkürzungen – vor allem, was die Rolle des Kurzzeitkönigs Edward betrifft, der in Wirklichkeit äußerst emphatisch mit Hitler sympathisierte, 1937 nach seiner Hochzeit mit
Wallis Simpson nach Nazi-Deutschland
reiste, dem „Führer“ am Obersalzberg einen freundschaftlichen Besuch abstattete
und sich sogar beim Hitler-Gruß fotografieren ließ (siehe Kasten rechts).
„Sie sind wie
Schauspieler. Sie
spielen ihre
­Königsrolle“
Andrew Morton
Aber auch Edwards
­ ruder und Nachfolger
B
George VI. hätte sich lange
lieber mit Hitler verbündet, als gegen ihn in
den Krieg zu ziehen; die Appeasement-Politik unterstützte er auch noch, als deutsche
Soldaten bereits tief nach Frankreich und
Skandinavien vorgedrungen waren. Erst spät
rang sich George zu dem königlichen Widerstand auf, dessen Symbol er in den
Kriegsjahren dann doch noch wurde. Der
englische Historiker Andrew Roberts findet
entsprechend harsche Worte zum Geschichtsbild von „The King’s Speech“: „Das
Publikum sollte Bescheid wissen über die
vielen krassen und ungeheuerlichen Fehler
und aufgewärmten Mythen, die dieser ansonsten sehr reizende Film wiederkäut.“
Auch der Publizist Christopher Hitchens
kommentierte die dramaturgischen Auslassungen von „The King’s Speech“, nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehende
Traumhochzeit zwischen Georges Urenkel
William und der höheren Tochter Kate
Middleton: „Praktisch das gesamte morali-
sche Kapital dieser relativ
merkwürdigen kleinen
deutschen Dynastie wurde
in diesen Mythos ihrer Teilhabe an Britanniens vornehmster Stunde investiert. Wäre
es nach ihnen gegangen, hätte diese Stunde
niemals stattgefunden.“
Unter ihrem heutigen Namen existiert
diese relativ merkwürdige Dynastie erst seit
dem 17. Juli 1917, als der damalige König
George V. befand, dass sich sein Familienname – Saxe-Coburg and Gotha – mit den
weltkriegsbedingt grassierenden antideutschen Ressentiments im britischen Empire
nicht mehr wirklich vertrage (vor allem,
nachdem deutsche Langstreckenflugzeuge
des Typs Gotha G.IV London bombardiert
hatten). Per Dekret bestimmte George, der
Enkel von Queen Victoria und Prinz Albert
von Sachsen-Coburg und Gotha, dass seine
Familie ab sofort Windsor heiße. Spätere
Dekrete bewahrten den neuen Namen auch
über die Hochzeit der heutigen Regentin
Elizabeth II. mit Philip von Griechenland
und Dänemark hinweg, der eigentlich E
epa
Kate Middleton,
Prinz William,
16. November 2010
Der Prinz und die
höhere Tochter
­verkünden ihre
­Verlobung
80 profil 10 • 7. März 2011
Hintergrund
Flitterwochen bei Adolf H.
Der Film „The King’s Speech“ verschweigt die Nazi-Sympathien von Wallis Simpson, der skandalumwitterten
Ehefrau König Edwards VIII. FBI- und Scotland-Yard-Akten liefern dazu höchst pikante Details.
er britische König Edward
VIII., wie ihn Hollywood
sieht: ein Partytiger und Trinker,
der seiner amerikanischen Geliebten Wallis Simpson verfallen
ist. Sein Bruder, der biedere
Stotterer „Bertie“ (später König
George VI.), und dessen Frau
Elizabeth sind dementsprechend
entsetzt, als Edward darauf beharrt, diese untragbare Person
auch noch zu ehelichen. Auch
der britische Premierminister
erhebt Einspruch: Eine zweifach
Geschiedene darf nicht Königin
werden. Frau Simpson ist weder
für die Royals noch für Großbritannien salonfähig.
Historisch liegt „The King’s
Speech“ damit nicht ganz falsch,
es gab aber einen weiteren Grund
für Edwards Abdankung: Wallis
Simpson hatte einen starken Hang
zu Nazis. Die britische Tageszeitung „Guardian“ veröffentlichte
im Jahr 2002 FBI-Akten mit brisantem Inhalt: Simpson hatte eine
Affäre mit Joachim von Ribbentrop. Der spätere Außenminister des Dritten Reichs war damals deutscher Botschafter in London. Ribbentrop war selbst nur
durch Adoption zu seinem Adelstitel gekommen, vielleicht war dies mit ein Grund für
seine Nähe zu Simpson, die gleichfalls als
soziale Aufsteigerin unter Blaublütern um
Anerkennung kämpfte. Der deutsche Nazi
soll der verführerischen Mrs. S. jedenfalls
täglich 17 Nelken geschickt haben – so oft
hatten die beiden angeblich miteinander geschlafen. Das FBI erfuhr die pikanten Details von einem in Amerika ansässigen Benediktinermönch namens Odo, der in einem
früheren Leben als deutscher Graf Karl Alexander von Württemberg in Aristokreisen
verkehrt war.
Auch nach der Abdankung sorgten Edward und Wallis für politische Peinlichkeiten. Der liebestolle Prinz kehrte zwar dem
Thron, nicht aber den Nazis den Rücken.
Ihre Hochzeitsreise führte die beiden 1937
ausgerechnet nach: Nazi-Deutschland. Sie
besuchten dort Adolf Hitler, der sie herzlich
am Obersalzberg empfing. Der Herzog
grüßte mit Hitler-Gruß. Beim Abschied
meinte der „Führer“ zu seinem Übersetzer:
angenommen wurde, dass seine
Frau immer noch mit ihren NaziFreunden – konkret mit Ribbentrop – in Verbindung stand. „Es
ist seit einiger Zeit klar, dass die
britische Regierung davon gewusst hat, dass die Herzogin von
Windsor außerordentlich prodeutsch in ihren Sympathien und
Beziehungen ist, und wir haben
starken Grund zur Annahme, dass
dies der Grund war, warum die
britische Regierung sich geweigert hat, Edward die Heirat mit
ihr zu erlauben“, schreibt ein FBIOffizier nach Kriegsausbruch an
Präsident Roosevelt. „Die beiden
sind mehrfach gewarnt worden,
im Interesse der Moral der britischen Bevölkerung mit deutschen
Vertretern nur äußerst zurückhaltend zu verkehren. Der Herzog
ist meistens in einem solchen
Wallis Simpson, Edward VIII., Adolf Hitler, 1937
Rauschzustand, dass er praktisch
„Sie wäre eine gute Königin gewesen“
‚non compos mentis‘ (unzurechnungsfähig, Anm.) ist. Die Herzogin hat die Warnungen mehrfach ignoriert.“
„Sie wäre eine gute Königin gewesen.“
Nach dem Tod von Georges Frau Eli­
Allerdings ist Edwards Nazi-Misstritt
zabeth, der „Queen Mum“, wurden im Jahr
nicht repräsentativ für das Königshaus. Sein
2003 auch Scotland-Yard-Berichte zur peinBruder Bertie war kein Sympathisant des
lichen Causa veröffentlicht. „Sie ist im KonDritten Reichs, aber er hielt das „Appeasetakt mit Nazis“, heißt es dort mehrfach sorgenvoll über Wallis Windsor. In den Papiement“ gegenüber Hitler für die beste Poliren findet sich aber kein Hinweis darauf,
tik – genauso wie der damalige Premiermidass Edward aus politischen Gründen abnister Neville Chamberlain.
Auch die Rolle Winston Churchills wird
danken musste. Das könnte allerdings auch
in „The King’s Speech“ historisch unrichtig
daran liegen, dass entsprechende Dokumendargestellt: Churchill
te vor der Veröffentlichung
setzte sich nicht wie im
entfernt wurden.
„Der Herzog ist
Film für Bertie als
Das FBI hatte weniger
meistens in einem
Thronfolger ein, er hielt
Beißhemmung
als Scotland
solchen Rauschzuvielmehr die längste Zeit
stand, dass er ‚non Yard. Angeblich, heißt es in
Edward die Stange. Erst
der FBI-Akte, gab es sogar
compos mentis‘ ist“
als die peinliche Affäre
eine Vereinbarung zwischen
FBI-Dossier
mit Wallis Simpson auHermann Göring und Edward
VIII.: „Nachdem Deutschland
ßer Kontrolle geriet und
die Nazi-Gerüchte nicht verstummten, ließ
den Krieg gewonnen hätte, wollte Göring
Churchill Edward fallen. 1940 schickte
mithilfe der Armee Hitler stürzen und
Churchill, inzwischen Regierungschef ge­Edward wieder als König von England einworden, das skandalöse Pärchen auf die Basetzen.“
hamas. Edward sollte dort als Gouverneur
Dazu kam es nicht. Göring verübte 1946
in Nürnberg Selbstmord. Edward trank sich
amtieren, weit weg von den politischen Erbis 1972 weiter durch die westliche Welt.
eignissen in Europa. Der ehemalige König
Tessa Szyszkowitz
wurde trotzdem vom FBI überwacht, weil
Popperfoto/Getty Images
D
7. März 2011 • profil 10 81
coverstory
dem Haus Schleswig-Holstein-SonderburgGlücksburg angehört und sich einmal bitter
über sein tragisches Schicksal beschwerte:
„Ich bin nichts als eine verdammte Amöbe.
Ich bin der einzige Mann in diesem Land,
der seinen Kindern nicht den eigenen Namen weitergeben darf.“ Immerhin bewahrte sich Philip sein Talent für tiefe Einsichten und markante Einzeiler. Anlässlich eines
Besuchs in China 1986 warnte er britische
Studenten: „Wenn ihr noch länger hier
bleibt, bekommt ihr alle Schlitzaugen.“
Während der großen britischen Rezession
von 1981 gab er sich verwundert über die
Klagen seiner Landsleute: „Alle haben doch
immer gemeint, sie bräuchten mehr Freizeit. Jetzt beschweren sie sich, dass sie arbeitslos sind.“ Bei einem Fabriksbesuch in
Edinburgh staunte er über einen etwas derangierten Sicherungskasten: „Schaut aus,
als hätte das ein Inder eingebaut.“ Und bei
einem australischen Aborigine erkundigte
er sich im März 2002 ganz höflich: „Werfen
Sie immer noch mit Speeren?“
Aber trotz seiner diplomatischen Unein-
„Man erwartet
nicht von uns, dass
wir uns wie
menschliche
­Wesen benehmen“
Queen Elizabeth II.
sichtigkeit hat auch der seltsame Prinz Philip seine
Fans. Nicht nur in Europa:
Vom Stamm der Yaohnanen, die auf der südpazifischen Insel Tanna leben, wird er als
Gott verehrt. Gemeinsam mit seiner Gattin
hatte er 1974 den Inselstaat Vanuatu besucht,
dabei identifizierte ihn der Yaohnanen-Stammesführer Jack Naiva an Bord der MS Britannia ganz zweifelsfrei: „Ich sah ihn in seiner weißen Uniform an Deck stehen und
wusste, dass er der wahre Messias ist.“
Auch die Queen herself ist, ganz in diesem Sinn, überzeugt: „Man erwartet nicht
von uns, dass wir uns wie menschliche Wesen benehmen“, weshalb sie in ihrem DienstRolls-Royce auch eine Lampe einbauen ließ,
die ihr einen „überirdischen Schimmer“ verleihen soll. Der Diana-Biograf Andrew Morton formulierte in einem Interview die Kernkompetenz der Royal Family jüngst so: „Sie
sind wie Schauspieler. Sie haben eine Rolle:
Sie machen ihren Königsjob. Und danach
kicken sie ihre Schuhe weg, lümmeln sich
aufs Sofa und schauen fern.“ Dabei lassen
sie es sich aber offenbar
auch ganz gern ganz gut gehen: Morton erzählte, dass
sich Prinz Charles regelmäßig sechs Frühstückseier kochen ließ, um genau zwei davon zu essen, und auch einmal einen Korb
Zwetschken von seinem Garten in High­
grove nach Schloss Balmoral fliegen ließ,
wenn ihm danach war: „Charles ist maßlos
und widersprüchlich. Ein schwieriger
Mensch.“
Entsprechend schwierig ist es auch, bei
den Royals immer korrekt zwischen Fiktion
und Realität zu unterscheiden. Aber meistens geht es im Fall der Windsors auch gar
nicht darum, deren echte Charaktere und
Intentionen zu hinterfragen. Der Erfolg von
„The King’s Speech“ zeigt, dass die britischen Fürsten (wie die meisten ihrer europäischen Standesgenossen) vor allem als gehobenes Unterhaltungsprogramm funktionieren. Ob dabei die Grenze von Traum und
Wirklichkeit verschwimmt, ist den meisten
Beobachtern egal. „Tief im kollektiven britischen Unbewussten ist ein spezieller Ort E
EPA/SZILARD KOSZTICSAK
Camilla und
Charles,
­Dohány-Synagoge,
Budapest 2010
„Charles ist
­maßlos und
­widersprüchlich.
Ein schwieriger
Mensch“
82 profil 10 • 7. März 2011
Interview
„Das ist doch vollkommen absurd“
Der britische Republikaner Graham Smith erklärt, wie er die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton begehen
wird und warum er die Queen in Pension schicken will.
Graham Smith, 36,
ist seit 2005 Kampagnenchef und
Geschäftsführer von „Republic“,
­einer britischen Interessengruppe
zur Abschaffung der Monarchie.
liehen. Praktisch regiert der Premierminister für sie. Und nicht für uns, das Volk. Hinzu kommt, dass Prinz Charles als Lobbyist
für Gesundheit, Bildung und Umwelt fungiert und seine Tätigkeit jenseits jeder
Transparenz liegt. Wir haben überhaupt
­keine Kontrolle darüber, was er mit Ministern im In- und Ausland bespricht. Das ist
doch am Beginn des 21. Jahrhunderts vollkommen absurd. Wir müssen eine richtige
Verfassung festschreiben, in der die konstitutionelle Monarchie nicht mehr vorten, die Ausstellungen und Ähnliches eröffkommt.
nen; außerdem ist der Unterhaltungswert
profil: Mit Kate Middleton sitzt unter Umständen bald eine Bürgerliche auf dem
von schwarzen Schafen wie Prinz Andrew
Thron. Bedeutet das mehr Volksnähe und
hoch.
Smith: Im Tower of London wohnen die
eine gewisse Moderne im Königshaus?
Royals auch schon seit Jahrhunderten nicht
Smith: Prinz William ist auch nur ein Bürger dieses Staats, es gibt keinen Unterschied
mehr, und trotzdem ist der alte Sitz der közwischen ihm und Kate Middleton. Kate auf
niglichen Familie eine erstklassige Touristenattraktion. Die Windsors werden populär
dem Thron wird nichts ändern. Sie ist doch
bleiben, auch wenn wir
auch eine privilegierte Bürgekeine Monarchie mehr
rin. Sie war auf einer Privat„Die meisten
sind. Unsere Royals sind
schule, sie ist wohlhabend und
­jungen Royals
außerdem die teuersten
muss in ihrem Leben nicht ar­haben in ihrem
Europas. Sie kosten uns
beiten, um sich selbst zu er­Leben noch nichts
183 Millionen Pfund (215
halten. Sie wird in kürzester
geleistet“
Millionen Euro, Anm.) pro
Zeit von der Königsfamilie
Graham Smith
Jahr. Damit sollte man
komplett absorbiert werden.
lieber Schulen bauen.
profil: Will und Kate wirken
Wenn wir einen Präsidenten hätten, käme
stabiler – um nicht zu sagen: langweiliger –,
uns das Repräsentieren weit billiger. Der
als Charles und Diana es je waren. Nicht zu
­irische Präsident kostet bloß zwei Mil­
reden von Sarah Ferguson und Prinz Anlionen.
drew. Ist diese Generation die konservative
profil: Ist der finanzielle Aspekt Ihre HauptAntwort auf die ausgeflippten Royals von
kritik an der Monarchie?
gestern?
Smith: Die Verschwendung ist gerade in ZeiSmith: Die junge Generation ist noch nicht
ten von Sparbudgets ein wichtiger Aspekt.
einmal verheiratet, die meisten jungen
­Royals haben in ihrem Leben noch nichts
Doch wir kämpfen für die Abschaffung der
geleistet. Wer weiß, was uns da noch bevorMonarchie, weil sie uns zu einem zutiefst
undemokratischen Land macht. Die Macht
steht.
wird von der Königin an die Regierung verInterview: Tessa Szyszkowitz
tessa szyszkowitz
p
rofil: Ganz London ist voller Kaffeetassen mit Bildern von Will und Kate. Nur
Ihre Website ist ein Nest des Widerstands. Sie bieten einen Becher an, auf dem
steht: „I am not a royal wedding mug“ („Ich
bin kein königliches Hochzeitshäferl“). Wie
läuft der Verkauf?
Smith: Glänzend. Wir haben schon 2000
Stück verkauft, und die Nachfrage steigt
ständig. Die Erträge fließen zurück in unsere Bewegung, wir müssen schließlich die
Mittel aufbringen, unsere alternative Straßenparty zu finanzieren. Wir werden leider
nicht wie das Königshaus vom Steuerzahler
ausgehalten.
profil: Was werden Sie am Hochzeitstag,
dem 29. April, unternehmen?
Smith: Wenn die Royals in Westminster Abbey sind, veranstalten wir unsere eigene
Straßenparty mit Unterhaltung und Musik.
Am Abend feiern wir in einer Bar ein Fest.
Am Tag danach gibt es eine Veranstaltung
mit Republikanern aus anderen europäischen Ländern. Wir wollen zeigen, dass sich
nicht das ganze Land brennend für die
Adelshochzeit interessiert.
profil: Die britischen Steuerzahler müssen
für die Sicherheitsvorkehrungen aufkommen, heißt es, die Hochzeit selbst zahlen die
Royals.
Smith: Das ist doch absurd. Wenn jemand
zu einer Party einlädt, dann soll er seine Sicherheitsleute auch selbst bezahlen. Wenn
es ohne Polizeischutz nicht geht und sich
die königliche Familie das nicht leisten kann,
dann wird sie eben eine kleinere Hochzeit
ausrichten müssen.
profil: Jeden britischen Bürger kostet die
Monarchie etwa drei Pfund pro Jahr. Dafür
bekommt das Volk doch auch einiges geboten: eine Attraktion, die viele Touristen anzieht; einen ganzen Clan von Repräsentan-
7. März 2011 • profil 10 83
coverstory
STRUSS WERNER/Action Press/picturedesk.com
Alexander zu
Schaumburg-Lippe
„Das traurige Ende
einer beispiellosen
Menschenhatz“
für den Traum reserviert, dass die Queen
zur Trauung, 600 Gäste zum Lunch im Buzum Tee vorbeikommt“, schreibt der „Ecockingham-Palast und 300 Ehrengäste zum
nomist“. Man kann also davon ausgehen,
abendlichen Hochzeitsfest geladen. Der
dass Helena Bonham Carter, die in „The
Hochzeitstag selbst, der 29. April, wurde
King’s Speech“ Georges VI. Frau Elizabeth
zum nationalen Feiertag erklärt.
spielt, nicht flunkerte, als sie der BBC anNicht alle Briten verzaubert die Aussicht
auf die bevorstehende Prinzenhochzeit. Gralässlich der Oscar-Verleihung erzählte, wie
manche Passanten neuerdings die Augen
ham Smith, Chef der britischen Republikaehrfurchtsvoll vor ihr niederschlagen: „Als
ner-Bewegung, steht vor dem BuckinghamPalast und erklärt, warum er die Queen am
wäre ich wirklich die Queen Mum.“
liebsten heute noch in Pension schicken
Die echten Royals plagen derweil andere Sorgen: Wie soll man Tausende Gäste aus
würde (siehe Interview Seite 83): „Wir
europäischen Königshäusern und Staatskämpfen für die Abschaffung der Monarkanzleien, britische Honoratioren, Freunde
chie, weil sie uns zu einem zutiefst undemoaus Armee und Universikratischen Land macht. Die
tätszeiten sowie Reporter
Macht wird von der Köni„Die Lords haben
aus aller Welt am 29. April
gin an die Regierung verden Eindruck,
liehen. Praktisch regiert der
in die Westminster Abbey
dass ihre Rolle
quetschen? Wie kann das
Premierminister für sie.
nicht mehr
Hochzeitskleid von Kate
Und nicht für uns, das Volk.
gewürdigt wird“
Middleton bis zu dem MoWir müssen eine richtige
Frank Furedi
ment ein Geheimnis bleiVerfassung festschreiben, in
ben, in dem sie vor der Kader die konstitutionelle
thedrale aus der Limousine steigt? Die VorMonarchie nicht mehr vorkommt.“
bereitungen zur Hochzeit von Prinz William,
Ähnlich sieht man es sogar in Teilen der
dem 28-jährigen Sohn von Prinz Charles,
anglikanischen Kirche, deren Oberhaupt die
Queen ist. Der Londoner Bischof Peter
laufen auf Hochtouren. Dreißig Jahre nach
Broadbent urgierte nach Bekanntwerden der
der Traumhochzeit von Charles und Diana
Verlobung von Will und Kate via Facebook:
soll die unter Kreditklemme und Sparbud„Wir brauchen eine Party in Calais für alle
get leidende Nation wieder einmal königlich verzaubert werden. Offiziell bekennt
guten Republikaner, die den widerlichen
man sich zwar zur Bescheidenheit und
Quatsch rund um diese Veranstaltung nicht
spricht von einer „austerity wedding“ (Sparaushalten. Ich habe es geschafft, das letzte
hochzeit); tatsächlich lässt man sich aber naZeitlupen-Desaster zwischen Segelohr und
türlich nicht lumpen: 1900 Gäste wurden
Porzellanpüppchen zu vermeiden – und ich
84 profil 10 • 7. März 2011
hoffe, dass mir das Gleiche auch diesmal gelingt.“ Außerdem bezeichnete er die Windsors als „Schürzenjäger“ und das Prinzip der
Erbfolge als „korrupt und sexistisch“ – ganz
im Geist des ehemaligen Pressesprechers
von Tony Blair, Alastair Campbell, der Mitte der neunziger Jahre erklärt hatte: „Die
Royals repräsentieren für mich all das, was
falsch in diesem Land ist: das Klassensystem,
die Titelsucht, die eitle Kleiderordnung, Nepotismus und die Arroganz nie gewählter
Macht.“
Trotzdem haben die Republikaner in
Großbritannien einen harten Stand. Eine
breite Mehrheit der Briten spricht sich für
den Erhalt der konstitutionellen Monarchie
aus. 2009 waren es in einer Umfrage 78 Prozent. Die britische Gesellschaft ist traditionell, konservativ und klassenbewusst. Dazu
passt die königliche Familie mit ihren bizarren Hüten perfekt. Wesentlich gefestigter
als das Klassenbewusstsein der Bevölkerung
ist allerdings jenes der Lords und Ladies.
Auch wenn der Status des britischen Adels
zunehmend ins Wanken gerät, wie der britische Soziologe Frank Furedi meint: „Historisch war es gewiss ihre gewohnte Position, sich überlegen und als Repräsentanten
einer vornehmeren Ordnung zu fühlen. Und
es ist ihnen bis heute bewusst, dass sie über
bestimmte Privilegien verfügen. Aber dahinter steckt auch eine defensive Haltung.
Die Lords haben den Eindruck, dass ihre
Rolle nicht mehr gewürdigt wird und in der
Gesellschaft ein großes Unbehagen über
dpa/Maurizio Gambarini
ihre traditionellen Privilegien herrscht. Ihr
Lebensstil, ihre Etikette und ihre Sprache
werden verachtet. Die meisten britischen
Lords fühlen sich im Ausland willkommener als zu Hause.“
Einen schönen Einblick in das traditionelle Selbstverständnis des britischen Hochadels gab Charles Spencer, der neunte Earl
Spencer und Bruder der verstorbenen Prinzessin Diana, in einem Artikel für „Vanity
Fair“ im Jänner 2010: „Als Inhaber eines der
großen, vererbbaren Titel Britanniens musste man eigentlich nur tun, was von einem
erwartet wurde, und dann sterben.“ Erwartet wurde: eine standesgemäße Eheschließung, öffentliche Einflussnahme in Royal
Court oder House of Lords, Pflege der
­Familienlandwirtschaft (die traditionelle
Haupteinnahmequelle des britischen Adels),
Ausbau der Familienkunstsammlung, erfolgreiche Weitervererbung. Leider halten sich
– gerade in letzter Zeit – immer weniger Betroffene an dieses bewährte Karrieremodell:
Jasper Orlando Slingsby Duncombe zum
Karl-Theodor zu Guttenberg
„Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich
habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“
Beispiel, der erstgeborene Sohn des sechsten Baron Feversham und präsumtiver Erbe
von Duncombe Park, einem 150-ZimmerAnwesen in Yorkshire mit einem Wert von
50 Millionen Euro, wurde in den neunziger
Jahren zu drei Jahren Haft verurteilt, nachdem er – mit falschem Bart – einen Laden
für Überwachungskameras überfallen hatte.
Sein Anwalt plädierte damals auf verminderte Zurechnungsfähigkeit, weil Jasper den
Tod seiner Mutter nicht verarbeitet habe,
die an einer Überdosis starb, als er acht­
Jahre alt war. Der Familiensitz ging trotzdem an den Zweitgeborenen. Der Baron
verdient heute sein Geld als Internetunternehmer – mit der „High Class Erotica“-­
Seite relishxxx.com.
Für das Publikum fällt damit zweifellos
eine unterhaltsame Geschichte ab, und tatsächlich verstehen auch Standesgenossen die
Royals vor allem als Entertainer: Die Österreicherin Margrit Methuen lebt seit ihrer
Hochzeit mit Lord Robert Methuen 1987
in England und weiß genau, warum jede Regung der königlichen Familie mit Argusaugen verfolgt wird: „Wir müssen alle hart arbeiten, die Preise in England sind ein Wucher, die meisten Leute haben einen riesigen
Berg Schulden, den sie abarbeiten müssen,
das Wetter ist immer grau und kalt, es regnet permanent – und die Royals bringen zumindest etwas Glamour in diese Tristesse.“
Ihre Glamourfunktion sei den europäischen Adelshäusern unbenommen; ganze
Industriezweige leben schließlich davon.
Wesentlich problematischer wird es aber,
wenn sich Aristokraten im Vollgefühl der
eigenen Unfehlbarkeit nicht nur über An- E
coverstory
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„Die Royals repräsentieren für mich all
das, was falsch in
diesem Land ist“
Alastair Campbell
standsgrenzen hinwegsetzen, sondern auch bürgerliche Gesetze übertreten. Auch Österreich, wo (dank der großzügigen
Verteilung von Adelsbriefen durch Kaiser Franz Joseph) über
20.000 Aristos leben, kennt ein paar einschlägige Beispiele.
Über Jahre hinweg ließ sich etwa Andrea Herberstein als steirische Society-„Gräfin“ hofieren – die Tochter eines Polarforschers hatte Otto Graf Herberstein geheiratet, nachdem
dessen erste Ehe kinderlos geblieben war. Mit Landesgeldern
und ÖVP-Verbindungen schuf Herberstein ein florierendes
Mischunternehmen aus Tiergarten, Schlosspark und Kunstsammlung, das sie sich mit Millionen an Steuergeldern subventionieren ließ. Jahrelang war die gräfliche Familie der Ansicht, es gehe niemanden etwas an, wie viel Geld sie von ihren Firmenkonten behebt. Vorvergangene Woche zeigte sich
die stets resolute Dame erstmals reumütig. „Ich stehe hier vor
Ihnen als 57-jährige Frau, früher von der Politik und den Medien als Macherin gesehen, aber vor allem als Mutter von drei
Kindern“, schluchzte Herberstein in die Mikrofone. Der
Oberste Gerichtshof zeigte sich davon unbeeindruckt und
verurteilte die Tierparkbesitzerin wegen Betrugs im Zusammenhang mit missbräuchlich verwendeten Fördergeldern zu
zwei Jahren Haft, davon 16 Monate bedingt.
Auch über die vielfältigen Geschäfte des Forstwirts, Jägers,
Waffenlobbyisten und Unternehmensberaters Alfons Mensdorff-Pouilly hat profil umfangreich berichtet. Zweimal saß
der 57-Jährige in den letzten Jahren bereits in Untersuchungshaft, Behörden in Österreich, Großbritannien, Schweden,
Ungarn und der Tschechischen Republik ermittelten und ermitteln unter anderem wegen Betrugs, Geldwäsche und falscher Zeugenaussage. Ein Verfahren ist anhängig, es gilt die
Unschuldsvermutung.
Sind das nun die „höchsten Ansprüche“, von denen der
unschuldsbewusste Herr Guttenberg vergangene Woche in
schönstem Gutsherrenton referierte? Die „traditionellen Werte“, von denen die Vereinigung österreichischer Edelleute
träumt? Oder doch nur ein Beispiel für das Ausmaß hochwohlgeborener Selbstherrlichkeit? Und muss man das denn
wirklich alles so schrecklich negativ sehen? Es geht schließlich auch anders: Die Spielkartenfirma Piatnik zum Beispiel
vertreibt zur kommenden Traumhochzeit ein Kate-und-William-Kartenspiel und erklärt im Klappentext das royale Ereignis zum „Event, das sogar den mieselsüchtigsten Misan­
thropen aufheitern wird“. Denn genau das ist er doch, der
Sinn der Monarchie: Prozac fürs Volk. Prinz Philip wusste
das übrigens schon 1969, als er auf Staatsbesuch in Kanada
verkündete: „Es ist ein völliges Missverständnis zu glauben,
dass die Monarchie im Interesse des Monarchen ist. Das ist
sie nicht. Sie ist im Interesse des Volkes. Wenn eine Nation
irgendwann zu dem Schluss kommt, dass das System unakzeptabel ist, dann liegt es an ihr, dieses System zu ändern.“
n
Weise Worte. Mitarbeit: Tina Goebel, Gunther Müller

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