Den Schmerz zulassen

Transcrição

Den Schmerz zulassen
114
Den Schmerz zulassen
Die Abschiedsfeier ist vorbei. Die Trauer aber noch nicht. Die
letzten Tage waren damit ausgefüllt, Termine einzuhalten und
Formalitäten zu erledigen.
Ein Platz bleibt
für immer leer.
Jetzt, da ein Großteil der notwendigen Arbeit getan ist – wenn
auch noch nicht die ganze, wie wir im folgenden Kapitel sehen
werden – und damit nicht mehr so große Ablenkung besteht,
kommen Hinterbliebene oft erst dazu, den Todesfall wirklich
zu begreifen. Sich der neuen Situation bewusst zu werden.
Sich darüber klar zu werden, dass dieses „niemals mehr“ nun
endgültig ist. Welchen Platz der Verstorbene im Leben der Verwandten und Freunde auch eingenommen hatte, er wird nun
leer sein. Und diese Lücke bedeutet Schmerz. Es muss nicht
nur von einer Person Abschied genommen werden, sondern oft
auch von gemeinsamen Hoffnungen, Träumen und Plänen.
Den Schmerz nur nicht an sich herankommen lassen! Keine
Gefühle zulassen, die einen überwältigen könnten! So schnell
wie möglich zur Tagesordnung übergehen! Das ist eine Haltung,
die heute weitverbreitet ist. Trauern hat in einer Gesellschaft
der Jugendlichkeit, der Freizeit und des Konsums keinen Platz.
Den Schmerz fruchtbar machen
„Schmerz und Klage sind unsere erste natürliche Antwort auf den
Verlust eines geliebten Menschen. Sie helfen uns durch die erste Trauer
und Not, sie genügen aber nicht, um uns mit dem Toten zu verbinden.
Das tut auf primitiver Stufe der Totenkult: Opfer, Grabschmuck, Denkmäler, Blumen.
Auf unserer Stufe muss aber das Totenopfer in unserer eigenen Seele
vollzogen werden, durch Gedanken, durch genaueste Erinnerung,
durch Wiederaufbau des geliebten Wesens in unserem Innern.
Vermögen wir dies, dann geht der Tod weiter neben uns, sein Bild ist
gerettet und hilft uns, den Schmerz fruchtbar zu machen.“
Hesse H (1977) Klein und Wagner. Suhrkamp Verlag
Die Trauerarbeit
Weitgehend vorbei auch, dass Trauernde mit schwarzer Kleidung ihren Seelenzustand öffentlich machen.
Trauern heißt Schmerzen erleiden. Doch wo Leistung, Konkurrenz und Stärke zählen, sind Schmerzen, Schwächen, Behinderung, Krankheit und menschliche Begrenztheiten tabu. Wer
nicht bald an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, trifft oft auf Unverständnis bei den Kollegen: „Übertreiben braucht er es auch
nicht, jetzt könnte er längst drüber weg sein.“
Trauer ist eine normale Reaktion des Organismus auf den Verlust eines nahestehenden Menschen. Sie ist keine Krankheit,
kann sich aber gerade dann zu einer entwickeln, wenn sie nicht
ausgelebt wird.
Wer den Schmerz nicht zulässt, überwindet ihn auch nicht,
wird ihn nicht los, das haben wir bereits betont ( Seite 26).
Verdrängen bedeutet nur wegschieben, aber nicht bewältigen.
Und mehr noch: Nicht aufgearbeiteter Schmerz birgt die Gefahr, dass er sich auf körperlicher Ebene in funktionellen oder
somatischen Störungen manifestiert.
Der eine zieht sich ganz in sich zurück, der andere schreit sich
seinen Schmerz von der Seele. Der eine möchte allein sein,
der andere sucht die Geborgenheit von Familie und Freunden.
So geht jeder, abhängig von seiner persönlichen Veranlagung,
seiner Lebensgeschichte und auch seiner aktuellen Verfassung,
mit dem Schmerz anders um – es ist ein mächtiges Gefühl, das
keine Vorschriften kennt.
Trauer kann sich auch in ganz unterschiedlicher Weise zeigen.
In Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Depression, Angst,
Appetitlosigkeit, Atemproblemen, Schlaflosigkeit – jeder
Mensch reagiert anders. Trauer trifft den Menschen, auf der
somatischen, psychischen und seelischen Ebene. Gefühle von
Verlassenheit, Einsamkeit und Hilflosigkeit können aufsteigen.
Nicht selten auch von Wut: Wieso musste mich der geliebte
115
116
Mensch gerade jetzt allein zurücklassen! Oder auch von Selbstvorwürfen: Hätte ich mich anders verhalten, dann würde der
Mensch jetzt vielleicht noch leben! Oder vielleicht auch von
Erleichterung: Zum Glück ist nun die Leidenszeit dieses Menschen vorüber!
In diesem psychischen Ausnahmezustand, der ganz natürlich ist
und nichts mit „Verrücktsein“ im Sinne von Geistesgestörtheit
zu tun hat, ist (fast) alles möglich. Auch, dass die Stimmung von
einem Extrem genau in das Gegenteil umschlägt: von Ruhelosigkeit zu Erstarrung, von Erschöpfung zu Erregung. Es herrscht,
mal weniger, mal stärker ausgeprägt, Chaos im Inneren, zumindest bei jenen Menschen, deren Seelen nicht völlig versteinert
sind.
Selbst der Tod in
hohem Alter ist für
die Angehörigen
ein Schock.
Stirbt ein Mensch in hohem Alter, so konnten sich die Angehörigen schon vorher innerlich auf das Ableben einstellen. Aber
trotzdem wird dieses Ereignis als Schock empfunden, als etwas,
das nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Noch härter berührt
der Tod in der Regel, wenn er unerwartet kommt, und – weitere
Steigerung – ein Kind betroffen ist.
Einen ersten und wesentlichen Schritt zur Bewältigung der
Trauer sehen Therapeuten wie auch professionelle Trauerbegleiter darin, sie als neue Wirklichkeit anzuerkennen.
Professionelle Trauerseminare
In manchen Kirchengemeinden und Bildungshäusern werden Trauerseminare angeboten. Die Seminarleiter vermitteln nicht etwa Tipps,
wie Trauer möglichst umgehend zum Verschwinden gebracht werden
kann, es geht im Gegenteil um aktive Auseinandersetzung damit. Mithilfe von Übungen (Körper, Atem, Stimme, Bewegung) und kreativer
Arbeit (Malen, Singen, Tanzen) wird versucht, die Trauer zum Fließen zu
bringen. In Rollenspielen kommt es zur Auseinandersetzung mit dem
Tod. Rituale und symbolische Handlungen werden eingeübt, um loslassen und Abschied nehmen zu können.
Die Trauerarbeit
117
Konkret: Bewusst Abschied zu nehmen. Den Schmerz zuzulassen. Das (vorläufige) innere Chaos zu akzeptieren.
Trauerphasen
Traditionell werden verschiedene Phasen unterschieden:
Schockphase. Die ersten Stunden oder Tage nach dem Todesfall. Die Hinterbliebenen sind wie gelähmt. Sie wollen den
Tod nicht wahrhaben. Sie reden sich ein, alles sei nur ein böser
Traum, aus dem sie wieder erwachen.
Kontrollierte Phase. Die Trauernden finden Ablenkung und
Halt durch die Vielzahl der Aufgaben, die zu erledigen sind.
Auch der Beistand von anderen tut ihnen gut.
Regressive Phase. Die Zeit nach der Bestattung. Trauernde erleben nun erst den Tod in seiner ganzen Wucht und Tragweite.
Häufig tritt eine psychische Desorientierung auf.
Adaptive Phase. Die Trauernden wenden sich nun wieder vermehrt der Umwelt und der Gesellschaft zu. Es beginnt die Phase
des Suchens: Neue gesellschaftliche Bindungen sind nun auch
wieder denkbar.
Trauern
ist ein langer
und schwieriger
Prozess.
118
Früher gingen Psychologen von einem linearen Modell aus,
davon, dass die oben beschriebenen Phasen des Trauerprozesses in strenger Abfolge verlaufen und nach und nach bewältigt werden müssen. Heute meinen sie eher, dass es keine strikte
Abfolge gibt und sich Trauerphasen überlappen und wiederholen können. Auch hüten sie sich davor, eine Zeitangabe zu
machen, nach der das Trauern abgeschlossen sein müsste.
Gerade beim Tod eines Kindes kann es sein, dass die Eltern
ein Leben lang Schmerz empfinden, was nicht bedeuten muss,
dass sie ununterbrochen weinen (was im Übrigen wunderbar
hilft, Beklemmungen zu lösen). Das heißt vielmehr, dass sie
sich in einem fortwährenden Prozess der Bewältigung dieses
Schmerzes befinden.
Darauf kommt es schließlich auch an: Wege und Mittel zu
finden, um mit dem Schmerz weiterleben und ihn schließlich
überwinden zu können. Welche Umwege oder einzelnen Wegstationen dabei genommen werden, ist individuell verschieden
und nicht so wichtig.
Nur die Richtung müssen Sie einhalten: Am Anfang ist das
Chaos, das Durcheinander der Gefühle – die Zeit der Trennung
vom Bisherigen. Daran schließt sich die Phase des Übergangs
an – man ist auf der Suche nach neuen Möglichkeiten des Weiterlebens. Der letzte und entscheidende Schritt lässt sich mit
Die Liebe fortsetzen
„Man weiß, dass die akute Trauer nach solch einem Verlust ablaufen
wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie Ersatz finden. Alles, was
an seine Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt
doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Das ist die einzige
Art, die Liebe fortzusetzen.“
Sigmund Freud in einem Brief vom 12.4.1929 an seinen Freund Binswanger, dessen Sohn
gestorben war
Die Trauerarbeit
119
dem Begriff Wiedereingliederung umschreiben – man sucht
nach einer neuen Position im Leben, nach Heilung. Heilung
bedeutet in diesem Zusammenhang, man strebt nach einer
neuen Ganzwerdung, die alte Identität wird zugunsten einer
neuen aufgegeben. Man macht wieder Pläne für die Zukunft.
Man sucht neue Freunde. Man setzt sich ein neues Ziel. Man
ändert seine Einstellung zum Leben.
Um den Teufelskreis der depressiven Lähmung zu durchbrechen, werden so gedankliche Impulse in Handlungen umgesetzt. Ein Prozess, der gewöhnlich auch viel mit Kreativität und
schöpferischem Gestalten zu tun hat – in jedem Fall aber nicht
damit, einfach nur wegzuschauen und den Todesfall nicht an
sich heranzulassen. Liebe Freunde können eine große Unterstützung in diesem schwierigen Lebensabschnitt sein. Vielleicht
hilft es Ihnen auch, ein Tagebuch zu führen, um so dem inneren
Chaos eine gewisse Ordnung zu geben. Bewegung, Entspannung, Erholung helfen Trauernden, jene Energie zu tanken, die
der Trauerprozess kostet. Nicht zuletzt können Betroffene sich
im Internet austauschen (z.B. auf www.trauer.org oder www.
kummernetz.de).
Wechselbad der Gefühle
„Was wir im Alltag so einfach ,Trauer’ nennen, ist tatsächlich ein
äußerst komplexes Phänomen und entzieht sich weitgehend der Regelhaftigkeit. Zwar finden wir – ähnlich wie bei sterbenden Menschen
– auch bei trauernden immer wiederkehrende ,typische’ Reaktionen;
Ausmaß, Dauer, zeitliche Abfolge jedoch lassen keine strenge Regelhaftigkeit erkennen. ... Das Gemeinsame liegt letztlich nur darin, dass ein
wichtiger, ein unersetzlicher Mensch gestorben ist und dieser Verlust
bei den Hinterbliebenen eine Fülle schmerzlicher psychischer und physischer Reaktionen auslöst. Und es braucht Zeit, unendlich viel Zeit, bis
schließlich wieder die Fähigkeit erlangt wird, das Wagnis einer neuen
liebevollen Beziehung einzugehen.“
Student C (2005) Im Himmel welken keine Blumen – Kinder begegnen dem Tod.
Verlag Herder
Verdrängen
und Wegschauen
ist auch bei
Todesfällen
keine Lösung.
120
Das Andenken aufrechterhalten
Von einem Menschen Abschied zu nehmen heißt ja nicht, ihn
zu vergessen und ihn gleichsam aus seinem Leben zu streichen.
Es heißt vielmehr, eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen,
ihm einen anderen Platz im Leben einzuräumen. Was hat der
Verstorbene mir alles gegeben, was nicht mehr wegzunehmen
ist? Was bleibt von ihm? Welche schönen Erinnerungen habe
ich? Wer ein Gefühl der Dankbarkeit für die gemeinsam zurückgelegte Wegstrecke aufbauen kann, findet leichter über den
Verlust hinweg.
Das Gedenken kann auf vielerlei Weise erfolgen. Daniela
Tausch-Flammer und Lis Bickel führen in ihrem Buch „Wenn
ein Mensch gestorben ist“ ( Seite 170) einige Beispiele an:
 Aufstellen von Fotos;
 Schmücken von Bildern, Objekten oder Orten, die mit
dem Verstorbenen in Verbindung stehen;
 Auflegen von Briefen oder Schriften des Verstorbenen;
 ehrender Umgang mit besonderen Objekten, die dem
Verstorbenen besonders wichtig waren oder die einen
bedeutsamen Bezug zu seiner Person hatten;
 Weiterschenken von Gegenständen des Verstorbenen
zu verschiedenen Zeitpunkten;
 bestimmte Plätze so belassen, wie sie für ihn bedeutsam
waren;
 bestimmte Plätze aufsuchen, die für ihn bedeutsam waren;
 bestimmte Handlungen in seinem Sinne oder seiner Nachfolge tun;
 von ihm berichten oder schreiben.
„Trauer ist ein normaler, ein letztlich gesunder Prozess. Er hat
das Ziel, den Menschen, der einen schweren Verlust erlitten
hat und dadurch aus dem Gleichgewicht geraten ist, zu einem
neuen, veränderten Gleichgewicht hinzuführen. Trauerbegleitung hat die Aufgabe, diesen heilsamen Anteil des Prozesses zu
fördern, in Bewegung zu halten, Stillstand zu verhindern, Ent-
Die Trauerarbeit
wicklung zu ermöglichen. Eine Mut und Geduld verlangende
Aufgabe, die der einer Hebamme bei der Geburt vergleichbar
ist“, schreibt Prof. Dr. Christoph Student, Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ( Seite 170).
Aus diesem Grund sind Beruhigungsmittel nicht zu empfehlen.
Geht es nicht ohne, sollten sie nicht über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Einem ruhiggestellten Trauernden wird die Chance genommen, seinen Schmerz zu verarbeiten und seine Trauer schließlich zu einem Ende zu bringen.
Dazu kommt, dass nach Absetzen der Medikamente oft gerade
jene Symptome – Schlaflosigkeit, Unruhe oder Angstzustände
– verstärkt auftreten, gegen die sie wirken sollte.
Weihnachten, Geburtstag, Allerheiligen – gerade an diesen
Tagen kann die Erinnerung an den verstorbenen Menschen
besonders schmerzlich sein. Die Trauer hat ihre spezifischen
Rhythmen und Gezeiten, mal ist sie stärker, mal schwächer – sie
ändert sich stetig, wie auch das Verhältnis der Lebenden zuei­
nander nicht gleich bleibt, sondern einmal mehr Nähe, einmal
mehr Distanz aufweist.
Trauernde sind aus dem Lot geraten und müssen wieder zu
einem Gleichgewicht zurückfinden. Ein Prozess, aus dem sie
Andere Länder, andere Sitten
Das mexikanische Totengedenken wird wie ein Fest begangen. Zu Allerseelen kommen, so die dortige Vorstellung, die Toten zu Besuch zu
ihren Verwandten. Es wird daher gut gekocht und alles gerichtet, um sie
festlich zu empfangen. Die Verwandten besuchen einander und feiern.
Um Mitternacht müssen die Toten dann zurückkehren. Auf dem Friedhof,
wo die Gräber geschmückt worden sind, wird von ihnen Abschied genommen, bis zur Wiederkehr des Totenfestes im folgenden Jahr.
In der Ukraine ist es üblich, das Fest auf den Friedhöfen auszurichten.
Die Lebenden besuchen die Verstorbenen und breiten das mitgebrachte Essen auf dem Grab aus.
121
Trauerbegleitung
hilft, den Schmerz
zu verarbeiten.
122
Chronische Trauer
sollte medizinisch
behandelt werden.
gestärkt hervorgehen können. Doch manche bleiben in ihrem
Schmerz gefangen. Sie bemerken keine Veränderungen, alles
bleibt für sie gleich, über Wochen und Monate hinweg. In
diesem Fall sprechen Mediziner von einer „problematischen“
oder „chronischen Trauer“, die eine Behandlung notwendig
macht, um psychische oder körperliche Folgeerkrankungen zu
verhindern.
Tipps für den Umgang mit Trauernden
Wenn beim Trauernden Gefühle aufbrechen, kann sich der
Zorn auch schon einmal gegen den Menschen richten, der Beileid bekundet. Trauernde haben ein sehr gutes Gespür dafür,
ob etwas von Herzen kommt oder nicht. Sie mögen es nicht,
wenn Beileidswünsche nur ausgesprochen werden, weil das
eben zum guten Ton gehört. Angehörige und Freunde können
einem trauernden Menschen Trost spenden. Es muss aber ein
ernst gemeintes Beileid sein, keine leere Floskel, denn die kann
leicht den genau gegenteiligen Effekt haben.
Anteilnahme lässt sich im Übrigen auch ohne Worte zum Ausdruck bringen. Dazu genügen ein fester Händedruck, ein Blick
in die Augen, ein mitfühlender Gesichtsausdruck, Tränen in
den Augen, eine Umarmung.
Die Trauerarbeit
Monika Fischer ( Seite 169) fasst in ihrem Buch „Todesfall“
zusammen, was im Umgang mit Trauernden getan und was
unterlassen werden sollte:
 Zeigen Sie Ihre aufrichtige Betroffenheit und Ihre Anteilnahme.
 Lassen Sie die Trauernden so viel Trauer ausdrücken, wie
sie gerade empfinden.
 Meiden Sie Trauernde nicht, weil Ihnen ein Zusammensein peinlich ist. Von Freunden gemieden zu werden, fügt
einer unerträglich schmerzlichen Erfahrung noch weiteren
Schmerz hinzu.
 Lassen Sie sich durch die eigene Hilflosigkeit nicht davon
abhalten, mit den Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen,
sie zu besuchen und einzuladen. Respektieren Sie, wenn
diese Ihnen eine Absage erteilen.
 Seien Sie ein aufrichtiger, geduldiger und echter Freund:
Trauernde sind in tiefer Not und auf großes Verständnis
angewiesen.
 Seien Sie bereit, wirklich zuzuhören. Bieten Sie Ihre Hilfe
für Besorgungen und die Betreuung der Kinder an.
 Ermutigen Sie die Trauernden, Geduld mit sich selbst zu
haben, nicht allzu viel von sich zu erwarten und sich nicht
zu viele „du sollst eigentlich“ aufzuerlegen.
Das sollten Sie lassen:
 Geben Sie keine gut gemeinten Ratschläge.
 Betonen Sie nicht, es seien ja noch andere wesentliche Bezugspersonen da. Menschen sind nicht austauschbar, sie
können einander nicht ersetzen.
 Geben Sie keine Kommentare ab, die in irgendeiner Weise
den Schluss zulassen, dass z.B. die Behandlung des verstorbenen Kindes nicht richtig war. Auch ohne Zutun der
anderen werden die Eltern von fürchterlichen Zweifeln
und quälenden Schuldgefühlen geplagt.
 Sagen Sie nie: „Das Leben geht weiter.“ Gerade das scheint
so sinnlos und ist schwer zu akzeptieren.
123
Anteilnahme ist
keine Frage von
großen Worten.
124
Wenn Kinder trauern
Trauernde
mit Kindern sind
doppelt gefordert.
Sie müssen nach einem Todesfall nicht nur Ihr eigenes Gleichgewicht wiederfinden, sondern auch Ihre Kinder über den Verlust eines geliebten Menschen trösten? „Im Himmel welken
keine Blumen – Kinder begegnen dem Tod“, heißt ein bemerkenswertes Buch, das Prof. Dr. Christoph Student ( Seite 170)
herausgegeben hat und das bereits in der 6. Auflage erschienen
ist. Hier einige wesentliche Passagen daraus, die Ihnen helfen
werden, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen:
„Ermutige Deine Kinder, Fragen zu stellen und sei bereit, ihnen
ehrliche und verständliche Antworten zu geben. Wenn Fragen
wieder und wieder gestellt werden, zeigt dies, dass damit eigentlich mehr gefragt werden soll als die Frage offen ausdrückt.
– Sprich auf einem sprachlichen Niveau, das Dein Kind verstehen kann. Bemühe Dich, hinzuhören und versuche, zu verstehen, was Dein Kind fragt – und auch, was es nicht fragt. Deine
Kinder sollten das Gefühl haben, dass sie all ihre Gedanken
und Fragen ausdrücken dürfen. Sei geduldig und zeige ihnen
unbeirrt Deine Liebe.
Teile Deine eigenen Gefühle mit Deinen Kindern und ermutige
sie, ihre eigenen Gefühle offen zu zeigen. Denke daran, dass
Du ihr Vorbild dafür bist, wie man Trauer ausdrückt. In einer
Die Trauerarbeit
Zeit des Verlustes ist es außerordentlich hilfreich, liebevoll und
fürsorglich zu sein und seine Gefühle der Liebe und Zuneigung
auszudrücken.
Erkläre die Todesursache in einer Sprache, die Deine Kinder
verstehen können und versichere ihnen, dass ihre Gedanken
und Gefühle in keinster Weise verantwortlich für den Tod sind.
Erkläre ihnen das Begräbnisritual und überlasse ihnen die
Entscheidung darüber, in welcher Weise sie daran teilnehmen
wollen. Bestehe nicht darauf, dass sie irgendetwas tun, was sie
nicht mögen.
Sei verständnisvoll, wenn Deine Kinder Rückschritte in ihrer Entwicklung zeigen und bedenke, dass dies wieder vorübergeht.
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, meinen wir oft, unsere Kinder
dadurch zu schützen, dass wir ihnen ausweichende Antworten
auf ihre Fragen geben. Diese Antworten verwirren unsere Kinder
aber oft und vermehren ihre Angst und ihre Unsicherheit. Bedenke, dass Kinder dazu neigen, Dinge wörtlich zu nehmen.
Wenn wir unseren Kindern sagen, dass jemand auf eine lange
Reise gegangen ist, erwarten sie, dass er zurückkommt und
fühlen sich vielleicht schuldig, dass sie den Menschen davongetrieben haben.
Wenn wir unseren Kindern sagen, dass jemand nur friedlich
schläft, werden sie anfangen, den Schlaf zu fürchten.
Unsere Kinder werden Erklärungen wie: ‚Es war Gottes Wille'
nicht verstehen, weil sie lieber den Menschen behalten hätten.
Wenn wir ihnen sagen: ‚Michael war so gut, dass Gott ihn zu
sich genommen hat', dann werden unsere Kinder vielleicht beschließen, böse zu werden, damit es ihnen nicht ebenso geht.
Wenn Du mit Kindern über den Tod sprichst, denke daran, dass
Ehrlichkeit, Anteilnahme, vor allem aber Liebe die wichtigsten
Dinge sind, die ihnen durch diese Zeit hindurchhelfen.“
125
Verstecken Sie Ihre
Gefühle nicht vor
Ihren Kindern.