Vorsicht – einsiedlerkrebs von links!
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Vorsicht – einsiedlerkrebs von links!
R EI S E M A G A Z IN Vorsicht – Einsiedlerkrebs von links! Auf den Ogasawara-Inseln, die seit Juni 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe zählen, gibt es viel zu entdecken. Aktive können mit Delfinen schwimmen, Wale beobachten, schnorcheln und wandern. Aber auch wer einmal die Seele baumeln lassen möchte, ist auf den abgelegenen Eilanden richtig. Hauptsache, es kommt kein Taifun. Fotos: Sonja Blaschke Von Sonja Blaschke 1 Kominato Kaigan: Traumstrand auf der „Vaterinsel“ S chleicht da wer durchs Gebüsch? Niemand da. Nur ein paar kinderfaustgroße Schneckenhäuser liegen im Meeressand zwischen den Sträuchern. Aber die haben es in sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn mit einem Mal sprinten die Schneckenhäuschen los und fahren ihre Scheren aus! Gleich drei Einsiedlerkrebse liefern sich einen erbitterten Kampf, Haus um Haus. Irgendwann haben sie genug und trollen sich ins Unterholz. Es wird wieder still am Traumstrand von Kominato auf der Insel 32 J A PA N M A R K T Dezember 2011 Chichijima, der größten der OgasawaraInseln rund tausend Kilometer südlich von Tokyo. Einsiedlerkrebse sind ein wenig ängstlich: Sobald sich die putzigen Gesellen bedroht fühlen, ziehen sie ihre Stilaugen und Scherenbeinchen flugs in ihr Häuschen zurück. Der unbedarfte Wanderer denkt dann, da liege nur ein verlassenes Gehäuse. Das ist auf Wanderwegen eine gute Taktik – auf den vor einigen Jahren gut ausgebauten Straßen leider weniger. Deswegen stehen auf den Ogasawara-Inseln Straßenschilder mit Warnungen vor den umtriebigen Einsiedler- und anderen Krebsen. Wer diese fotografieren möchte, muss eine weite und vor allem lange Reise tun. Denn die abgelegene Inselgruppe ist nur mit dem Schiff erreichbar. Die einfache Fahrt dauert 25,5 Stunden zur größeren „Vaterinsel“ (Chichijima) und fast 28 Stunden zur kleineren „Mutterinsel“ (Hahajima). Einmal pro Woche – in den Sommerferien zweimal – legt die bis zu tausend Passagiere fassende „Ogasawara 1 Zurück in die Freiheit 1 Frisch geschlüpft 1 Abschied von der Insel Maru“ vom Takeshiba Pier in Tokyo ab, sofern kein Taifun kommt. So ein Tropensturm kann den Fahrplan anständig durcheinanderwirbeln. Der Vorteil ist, dass die Fähre zum neuen Termin recht leer ist, weil die meisten Touristen stornieren. Der Nachteil ist der immer noch ordentliche Wellengang, der einen des Nachts von Erdbeben träumen lässt… so verwunschen sehen die Wälder aus, in denen verrostende Kanonenrohre aus Mulden und Ruinen aus dem bisweilen urwaldartigen Dickicht ragen. Erst seit 1968 wieder besiedelt Auf den gar nicht so „menschenleeren Inseln“ („Bonin Islands“), wie sie auch genannt werden, ticken die Uhren anders. Wochenende ist immer dann, wenn die Fähre nicht am Pier ist, weil dann weniger Touristen vor Ort sind. Die meisten können nicht mehr als eine Woche freinehmen und bleiben daher nur drei Tage. Am Morgen vor der mittäglichen Ankunft wird den 2.000 Bewohnern Chichijimas per Lautsprecher sogar die genaue Zahl der Anreisenden durchgesagt, damit sich die Hotel- und Pensionsbetreiber, Restaurantbesitzer, Tauchschulen und Bootsführer mental vorbereiten können. Legt die Fähre an, werden die Reisenden mit Musik, Transparenten und Blumen empfangen – und übrigens genauso wieder verabschiedet. Als wäre das noch nicht genug, springen einige Inselbewohner zum Dank sogar kopfüber vom Pier oder von Booten ins Meer. Ein unglaubliches Spektakel! „Wir sind immer ganz aufgeregt, wenn das Schiff kommt“, sagt eine junge Inselbewohnerin, „auch weil wir unsere Bestellungen bekommen, die wir über das Internet getätigt haben.“ Die Supermärkte sind dann wieder mit frischer Ware gefüllt; überraschend viel wird vom Festland geliefert. Derzeit werden vor allem Okra-Schoten, Goya-Gurken, Mini-Mangos und Passionsfrüchte vor Ort angebaut und verkauft. Noch immer sei man dabei, die Anbauflächen neu anzulegen und die Infrastruktur zu verbessern, erklärt Bürgermeister Morishita von Ogasawara-mura, der größten „Stadt“ des Archipels. Denn bis zur Rückgabe der Inseln an Japan 1968 durften nach dem Zweiten Weltkrieg dort nur wenige Menschen wohnen, nämlich die mit einem US-amerikanischen Pass. Ganze Dörfer wurden im Krieg aufgegeben. Manchmal glaubt man, an einem verlassenen Filmset von „Krieg der Sterne“ auf einem fernen Planeten zu stehen, 5 Heile Tierwelt 5 Manta unterm Boot 5 Wale oft in Sichtweite Bei Notfällen kommt der Hubschrauber Ein Flughafen ist seit Jahren im Gespräch. Doch ob er nach der Verleihung des UNESCO-Weltnaturerbe-Status am 24. Juni 2011 noch realisierbar ist, ist fraglich. Während die einen das fragile Ökosystem der Inseln, die nie mit dem Festland verbunden waren und daher eine einzigartige Flora und Fauna beheimaten, in Gefahr sehen, wären andere froh über den schnelleren Zugang zum Festland. So müssen Schwangere rechtzeitig vor der Entbindung die Reise nach Honshu antreten. „Denn seit einigen Jahren haben wir hier keinen Arzt für Geburtshilfe mehr“, erklärt eine Krankenschwester. Bei lebensbedrohlichen Notfällen könne nur ein Armee-Hubschrauber gerufen werden. „Ich musste nur wegen eines Termins beim Augenarzt die Reise bis nach Tokyo auf mich nehmen“, erzählt eine ältere Dame auf der Fähre nach Hahajima (450 Einwohner). „Ich kriege immer Zustände Dezember 2011 J A PA N M A R K T 33 R EI S E M A G A Z IN bei den Menschenmassen dort und bin froh, wenn ich wieder auf meine Insel zurückkann.“ Dabei wohnt sie eigentlich auch in Tokyo. Denn dazu gehören die Ogasawara-Inseln verwaltungstechnisch, weswegen die Autos das Kennzeichen „Shinagawa“ tragen. Die lange Anreise lohnt sich: Zwar kann man auch auf Mikurajima (IzuInseln) mit Delfinen schwimmen, aber rund um Chichijima ist die Erfolgsquote viel höher. Die Tiere sind beinahe zutraulich und schauen neugierig, was da für seltsame Wesen mit ihnen im Wasser plantschen. Weiter draußen, wenn zwischen Boot und Meeresgrund tausend Meter Wasser sind, tauchen auch im Sommer Pottwale auf. Zwischen Dezember und Mai wird das Meer rundherum zur Kinderkrippe der Buckelwale. Dann braucht man nicht einmal auf ein wackeliges Boot steigen, denn die Wale schwimmen in Sichtweite vorbei, vor allem nahe Hahajima. Spezialität, die angeblich gerne in den französischen Nobellokalen der japanischen Hauptstadt verspeist wird. Pro Jahr dürfen 130 Tiere gefangen werden, davon 80 auf Hahajima. Die Hälfte ist für den Verzehr bestimmt, gekocht oder als Sashimi. Für die gekochte Variante, die recht gewöhnungsbedürftig ist, verwenden die Köche auch die grün glänzenden Innereien – daher der Name „grüne Meeresschildkröte“. In Aufzuchtstationen wie der vom „Club Noah“ auf Hahajima wird der Natur ein wenig nachgeholfen. Denn so eine kleine Meeresschildkröte hat es nicht leicht. Die einen schaffen es erst gar nicht aus dem Ei und durch den Sand nach oben. Andere laufen Richtung Berg statt Richtung Meer, erklärt eine der Betreuerinnen, die mit ihren Kollegen im Sommer wochenlang jede Nacht Wache hält und Geburtshilfe leistet. Wenn es die Schlüpflinge erst einmal ins Wasser geschafft haben, ist viel gewonnen. Mutter Natur war weise und hat ihnen einen weißen Bauch gegeben, der sie für viele Meerestiere unsichtbar macht und einen dunklen Rücken, der Seevögel täuscht. Eine der gefährlichsten Zonen für die handtellergroßen Jungtiere ist daher die 1 Vorsicht Krebs! Strecke zwischen Ei und Meer – durch das Territorium des scharfzangigen Einsiedlerkrebses und seiner Verwandten. Die kleinen Räuber begnügen sich zwar meist mit Fadenalgen oder totem Fisch und die größeren schnappen sich Muscheln und frischen Fisch. Doch um den Speiseplan zu variieren, kann es auch mal ein noch weiches, quasi panzerloses Schildkrötenbaby treffen. So putzig sind diese Einsiedlerkrebse dann doch wieder nicht. n Reisetipp 1 Ausblick vom Mount Chuo Saison: Ganzjährig, bis auf August (Quallen!). Schildkrötenfleisch für Gourmets Im 19. Jahrhundert waren die Gewässer dort weit weniger sicher für die Meeressäuger: Der Grund war der Walfang, der damals sogar einen Deutschen nach Hahajima verschlug. Nach ihm ist heute eine Gesteinssorte („Ross stone“) und ein kleines Museum benannt. Die ausgestellten Gegenstände und Fotos bezeugen, dass die Inseln dank des ganzjährig möglichen Obst- und Gemüseanbaus einmal zu den reichsten in Japan gehört haben. Heute füllen vor allem Edelfisch, Passionsfrüchte und Schildkrötenfleisch den Bauch der Ogasawara Maru auf dem Rückweg. Letzteres ist eine lokale Einpacken: Langärmlige Badebekleidung (z.B. für Surfer), da die Sonne sehr stark ist und die grandiose Unterwasserwelt der Korallenriffe zu langen Badegängen verlockt. 34 J A PA N M A R K T Dezember 2011 OgasawaraInseln Anreise: Buchung von Kabinen im Voraus; einen Liegeplatz in den Tatami-Schlafsälen der zweiten Klasse bekommt man noch am Tag der Abfahrt. Für Frauen gibt es auf Anfrage separate Schlafsäle. www.ogasawarakaiun.co.jp Unterkunft: Besonders zu empfehlen ist die Anfang 2011 eröffnete B&B-Pension „Sea Glass“ auf Chichijima. Großzügige, helle Zimmer mit Internetanschluss, moderner Küche und Badezimmer. Das Frühstück ist liebevoll gemacht; die Wirtin backt das Brot selbst. Die Pension liegt etwas über dem schönen Sandstrand der Bucht Ogiura, etwa fünf Kilometer vom Pier und vom Zentrum entfernt. Von dort aus nicht weit zum Traumstrand Kominato, in dessen Nähe eine weitere gute Unterkunft liegt („Tetsuya“). Buchung über: www.ogasawaramura.com