Leipziger Lebenskunst

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Leipziger Lebenskunst
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Leipzig
Leipziger
Lebenskunst
Die Stadt, in der das Ende der DDR begann,
wurde vor 1000 Jahren erstmals erwähnt –
und lockt seit jeher die weisen Verrückten an
The art of living in Leipzig
It ushered in the GDR’s demise and was
mentioned for the first time over 1000 years ago –
Leipzig is also known for a certain kind of crazy
Text Pia Volk
Fotos Malte Jäger
B
um-bum-bum. Hinter einer wabernden Masse stehen
mannshohe Boxen. Der Schall massiert ihre Körper, er
knetet sie durch, wie ein Schwarm in Zeitlupe bewegen
sie sich im Raum. So ist es in der Zukunft. Genauer: im Institut
fuer Zukunft, dem Technoclub im Keller des Kohlrabizirkus.
Bis 1995 wurde hier mit Gemüse gehandelt. Seitdem gehört
dieser Ort zu jenen Leipziger Leerstellen, die sich immer wieder
ver wandeln – mal morbide einsam, mal erfüllt vom prallen Leben.
Der Lindenauer Hafen gehört dazu, das Westwerk, der Felsenkeller. Partys und Flohmärkte gibt es da, Ausstellungen oder
Workshops. An anderen Tagen sehen sie aus, als hätte sie seit
dem Ende der DDR kein Mensch mehr betreten.
Bum-bum-bum. Die Bässe hier wurden vom Publikum finanziert. 30 000 Euro wurden per Crowdfunding für die Musikanlage eingesammelt, DJs, Musiker, Labels und Kulturarbeiter
betreiben das Projekt gemeinsam. Sie eint das Verlangen nach
Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. Und die Selbstausbeutung, denn in Leipzig gibt es viel zu tun für wenig Geld. Etwa im Fahrradladen Dr. Seltsam: Er verwandelt sich abends in
eine Bar. Oder das Bimbotown des Künstlers Jim Whiting: eine
Halle auf dem Gelände der Baumwollspinnerei, in der sich eine
Fantasiewelt aus fahrenden Betten, menschenfressenden Sofas
und pneumatischen Metallbeinen in Stöckelschuhen versteckt.
„Maschinentheater“ nennt Whiting sein Werk. Leipzig hat noch
Platz für Menschen, die anderswo als Spinner gelten.
Berlin
Leipzig
Ein alter Speicher am Lindenauer Hafen.
In Leipzig gibt es viele solcher leer stehenden
Räume, die von Künstlern kreativ bespielt werden
An old warehouse in the Lindenauer Hafen
docklands. There are many such empty, neglected
looking spaces in Leipzig, but artists fill them with
creativity and life
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Stadt und Wahn
Es ist ja oft nur eine Frage der Definition, ob jemand als liebenswerter Träumer gilt oder als psychisch gestört. Leipzig war jedenfalls immer schon von Menschen bewohnt, die besonders waren.
„Niemand würde Goethe heute kennen, wäre er in Leipzig nicht
verrückt geworden vor Liebeskummer“, sagt Thomas Müller vom
Sächsischen Psychiatriemuseum. Er führt regelmäßig durch
DEUTSCHLAND
GERMANY
Spezialläden wie die Buchhandlung Mzin erfreuen das Sammlerherz
Independent bookstores like the Mzin are very popular with collectors
Boom, boom, boom. The loudspeakers loom tall behind the
surging mass of bodies. Massaged by the sound, they move like
a hive in slow motion. Welcome to the future! Or more precisely,
to the “Institut fuer Zukunft” (Future Institute) techno club in the
basement of the Kohlrabizirkus, which housed a wholesale vegetable market until 1995. Since then, this “vacant space,” one of
many in Leipzig, has either been dismal and empty or bursting
with activity. Other such spaces include the Lindenauer Hafen
docklands, the Westwerk complex and the Felsenkeller venue,
which sometimes host parties, flea markets, exhibitions and workshops, but at other times appear to have stood empty since the
end of the German Democratic Republic (GDR) 25 years ago.
Boom, boom, boom. The pounding bass was paid for by the
audience: Crowdfunding for the sound system brought in 30 000
euros. DJs, musicians, labels and culture workers collaborated on
the project, united by a desire for independence, self-realization –
and self-exploitation, because they work so hard for so little money. The bicycle shop Dr. Seltsam, for instance, doubles as a bar
in the evenings, and artist Jim Whiting’s Bimbotown is a fantasy
world with motorized beds, cannibalistic couches and pneumatic
metal legs in high heels hidden away on the Cotton Mill premises.
Whiting calls his work “mechanical theatre.” Leipzig still has room
for people who would be considered crazy elsewhere.
The city and its crazy side
Calling someone a lovable dreamer or psychologically disturbed
is often a matter of how you define crazy. Leipzig, at any rate,
has always been home to people who were in some way special.
“Nobody would remember Goethe today if love hadn’t driven him
insane,” says Thomas Müller of the Saxon Psychiatry Museum,
who regularly introduces tourists to the quaint old downtown area – and restless poetic souls. Müller stops in front of a shopping
center. “This is the site of Käthchen Schönkopf’s wine bar,
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Leipzig
[1]
[1] Ein altes Passagierflugzeug aus der
DDR schmückt das
Dach des Oldtimermuseums Da Capo
[1] An old passenger
plane from GDR days
adorns the roof of the
Da Capo Vintage Car
Museum
[3]
[2]
[d] die Innenstadt, es ist eine Tour durch die rastlosen Seelen
der Künstler. Vor einem Einkaufszentrum bleibt er stehen. „Hier
stand Käthchen Schönkopfs Weinhaus. Goethe verlor sein Herz
an sie und wurde depressiv, weil sie nicht seinem Stande entsprach.“ Müller spaziert durch die engen Straßen, vorbei am Alten
Rathaus, an der Mädlerpassage und Auerbachs Keller, bis zum
Coffe Baum, dem Kaffeehaus, in dem Robert Schumann gern
saß. Schumann, Richard Wagner, Friedrich Nietzsche – hat Leipzig sie um den Verstand gebracht? „In gewissem Sinne schon.
Nietzsche und Schumann holten sich hier die Syphilis. Schumann
hatte auch andere Probleme. Seine Frau konnte ja alles besser
als er“, sagt Müller, während er auf die Thomaskirche zusteuert.
Schräg gegenüber wohnte einst Karl May, in Leipzig verhaftet
wegen Diebstahls und Zechprellerei. Im Zuchthaus entwarf er
eine Themenliste für zukünftige Romane – die Geburtsstunde von
Winnetou. „May hatte wohl eine Persönlichkeitsstörung, er war
ein unglaublicher Schwindler“, sagt Müller, „aber er hat uns auch
schöne Abenteuerwelten hinterlassen.“
[e] where Goethe fell in love with Käthchen and into a state of
depression because she wasn’t of his social class.” Müller strolls
through the narrow streets, past the Old City Hall, the Mädlerpassage shopping mall and the famous Auerbachs Keller restaurant, stopping at the Coffe Baum coffeehouse, where Robert
Schumann liked to go. Schumann, Richard Wagner, Friedrich
Nietzsche – was it Leipzig that drove them crazy? “In a sense,
it was. Nietzsche and Schumann both contracted syphilis here.
Schumann had other problems, too: His wife was better at everything than he was,” continues Müller, leading us toward St. Thomas’s Church.
Karl May, who was arrested in Leipzig for theft and bill dodging, once lived across the street from the church. While in jail, the
future popular novelist made a list of things he wanted to write –
and Winnetou was born. “May evidently had a personality disorder, he was an incredible swindler,” says Müller, “but he certainly
left us some wonderful worlds full of adventure.”
Die Geschichtenerzähler
Was Karl May hier begann, führen Dennis Levin und Nicolas Wiethoff in gewisser Weise fort. Ihr Start-up-Unternehmen Thadeus
Roth entwickelt „Real Life Games“: Geheimnisvolle Anrufe,
The storytellers
What Karl May began, Dennis Levin and Nicolas Wiethoff continued, to a certain degree. Their start-up company, Thadeus Roth,
develops so-called real-life games in which mysterious phone
calls,
encrypted letters and hidden clues transform a
Die Deutsche Nationalbibliothek, ehemals Deutsche Bücherei (von 1912),
wurde 2011 zum vierten Mal erweitert – mit einem ufoartigen Anbau.
The German National Library (formerly the Deutsche Bücherei) was
expanded for the fourth time in 2011 and now features a UFO-like wing.
Das Völkerschlachtdenkmal erinnert an das Gemetzel vor den Toren
Leipzigs, bei dem im Oktober 1813 die Truppen Napoleons besiegt wurden.
The Monument to the Battle of the Nations commemorates a bloody battle
at the gates of Leipzig in which Napoleon was defeated in October 1813.
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Maxi Kretzschmar vor
einer Wand des Kulturzentrums Feinkost;
die Kulturmanagerin,
selbst ein Kind der
Hip-Hop-Szene,
organisiert Festivals
in Industriebrachen
Maxi Kretzschmar, a
child of the hip-hop
scene, in front of the
Feinkost culture center;
she organizes festivals
in industrial wastelands
[2] Die Halle 14 in der Baumwollspinnerei wird für eine neue Ausstellung vorbereitet [3] Blick auf das Neue Rathaus, erbaut von
1899 bis 1905; im Vordergrund: das Einkaufszentrum Petersbogen
[2] Preparations for an exhibition at the Cotton Mill’s Hall 14 [3] The
New Town Hall, built 1899–1905; Petersbogen mall (foreground)
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Leipzig
[1] Memorabilien in der Wohnung von
Elfriede Lange, Revolutionärin von 1989
[2] Wer mit der „Stadtkarawane“ unterwegs ist, kann sie im Garten besuchen
[1] Souvenirs in the apartment belonging to Elfriede Lange, a 1989 revolutionary [2] You can visit her garden
with the “Stadtkarawane” tour initiative
Sybille!‘“ Viele Jahre war die Madonna der Sprayer-Legende
Blek le Rat unter Schichten von Postern vergraben, Maxi Kretzschmar ist es zu verdanken, dass sie nun unter Denkmalschutz steht.
„Wahrscheinlich ist es sein ältestes Werk überhaupt.“
Sie steht im Hof eines Kulturzentrums namens Feinkost, die
Wände sind mit bunten Bildern überzogen. In Leipzig wurden
nach der Wende die grauen Häuser mit Sprühdosen in bunte
Flächen verwandelt. Später wurden zwar viele Häuser aufgekauft,
eingerüstet, überstrichen. Aber Leipzig ist immer noch ein Mekka für Sprayer, die Schallschutzwände entlang der Autobahnschneisen und Zugtrassen sind voller kleiner und großer Kunstwerke – und die Stadt hat kein Geld, die Werke zu entfernen.
Maxi Kretzschmar hat schon etliche Industriebrachen-Festivals für Graffiti-Künstler organisiert. Sogenannte Halls of Fame, an
denen die Sprayer sich verewigt haben, stehen im Conne Island,
im Werk 2 und im Heizhaus. Auch Blek le Rat kam 1991 wegen
eines Sprayer-Festivals in die Stadt. Und lernte Sybille kennen.
[d]
[1]
[2]
verschlüsselte Briefe, versteckte Indizien verwandeln das
eigene Leben in einen gelebten Kriminalroman. Die Idee reifte in den Kneipen von Leipzig. Im „Schlechten Versteck“ und im
„Noch Besser Leben“ saßen Levin und Wiethoff und überlegten,
wie sie eine Handvoll Münzen, die sie erstanden hatten, einem
Freund auf besonderem Wege zukommen lassen konnten.
Sie erfanden eine Parallelwelt rund um das Erbe eines verstorbenen Mannes. Der beschenkte Freund folgte Hinweisen auf
dem Südfriedhof, wurde in die Lobby des Westin-Hotels gelockt,
fand Indizien im Kroch-Hochhaus am Augustusplatz. Er erlief sich
quasi die ganze Stadt. „In Leipzig geht das gut“, sagt Levin, „es
gibt so viele Orte, die man in Beschlag nehmen kann.“ Den Fockeberg zum Beispiel, einen Schutthaufen aus der Nachkriegszeit.
Keiner weiß, was im Schutt verborgen liegt. Den Clara-ZetkinPark mit seinem verwunschenen Wald oder den Auensee mit den
Schwanenbooten. Alltägliche Dinge werden zu kleinen Rätseln.
Oder Offenbarungen – wenn man nur genau genug hinsieht.
person’s ordinary life into a detective story. The idea came to
fruition in the bars and pubs of Leipzig; in places with names like
Schlechtes Versteck (bad hiding place) and Noch Besser Leben
(live even better), where Levin and Wiethoff would sit, racking their
brains, trying to figure out how to get a handful of coins to a friend
of theirs by unusual means.
They dreamed up a parallel world revolving around the legacy of a man who had died. Their friend had to follow a trail of clues
from the Südfriedhof cemetery to the lobby of the Westin hotel and
the Krochhochhaus building on Augustusplatz square. They basically sent him on a treasure hunt all around the city. “Leipzig is perfect for something like this,” says Levin, “there are so many places
you can use.” Like the Fockeberg, for instance, a hill of rubble and
debris left over from World War II, with who knows what buried
there; Clara Zetkin Park with its magical forest and the Auensee
lake and its swan boats. Ordinary things in Leipzig can become riddles – or contain revelations, if you look carefully enough.
Zeichen an der Wand
Maxi Kretzschmar hat hingesehen – vor zwei Jahren, als es
in Strömen regnete und sie an einem Haus auf der Karl-Liebknecht-Straße vorbeilief. Unter sich wölbenden Papierschichten
lugte der Kopf einer Frau hervor. Sie erinnerte sich sofort: „Als
ich zur Schule ging, führte mein Weg an diesem Graffito vorbei. Eine Frau mit Kind im Arm, daneben die Widmung ,Für
The writing on the wall
Two years ago, while walking past a house on Karl-Liebknecht-Strasse in the pouring rain, Maxi Kretzschmar noticed a
woman’s head peeping out from behind buckling layers of wet
paper, and suddenly remembered: “I always used to walk past
this mural of a woman with a child on her arm and the dedication ‘for Sybille’ on my way to school!” Thanks to Kretzschmar,
[d]
Das Museum in der „Runden Ecke“ erinnert
an die Stasi und an die friedliche Revolution.
The focus at the Round Corner museum is on the
Stasi secret police and the Peaceful Revolution.
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Erlebte Geschichte
Ohne Menschen wie Elfriede Lange hätte Blek le Rat die Liebe
seines Lebens wohl nicht getroffen. Lange war 1989 dabei, als die
Menschen in Leipzig für ihre Freiheit auf die Straße gingen. Heute
lebt sie in einer Wohnung in der Nähe des Völkerschlachtdenkmals. Man kann sie dort besuchen, wenn man mit der „Stadtkarawane“ unterwegs ist, einer Tour, die Reisende mit Einwohnern zusammenbringt. Die Schuhe ausziehen muss man bei Lange nicht.
„Ich lasse mich nicht zum Sklaven der Ordnung machen“, sagt die
70-Jährige. An den Wänden hängen Fotos, selbst gemalte
[e]
Die Thomaskirche beheimatet den Thomanerchor und Johann Sebastian Bachs Grabstätte.
St. Thomas Church is home to the St. Thomas
Boys’ Choir and J.S. Bach’s last resting place.
Leipzig hat noch Platz für Menschen,
die anderswo als Spinner gelten
Leipzig still has room for people who
would be considered crazy elsewhere
the Madonna by the legendary sprayer Blek le Rat is now
a city landmark. “It’s probably his oldest work,” she says. In the
courtyard of Feinkost, a culture center in a former canning factory,
the walls are covered with bright images. When the GDR ended,
sprayers turned the gray building walls into splashes of color. Many of the buildings were subsequently sold, covered with scaffolding or painted over, but Leipzig is still a mecca for sprayers. Sound
barriers along highways and railway lines are covered in artworks
large and small – and the city has no money to remove them.
Kretzschmar has organized many industrial-wasteland festivals for graffiti artists. Their work is immortalized in “halls of fame”
in the youth, culture and urban centers Conne Island, Werk 2, and
Heizhaus. Blek le Rat attended a sprayer festival in 1991 himself –
that’s when he met Sybille.
[e]
Living history
Without people like Elfriede Lange, Blek le Rat might never have
found his true love. Lange was there in 1989, when the people of
Leipzig went out into the streets and demonstrated for freedom.
Today, she lives in an apartment near the Monument to the Battle
of the Nations. You can pay her a visit as part of “Stadtkarawane,”
a tour initiative that brings visitors and locals together. She doesn’t
make you take off your shoes. “I’m not a slave to tidiness,” the
70-year-old explains. On the walls, there are photographs,
[4]
[3]
[3] In der Installationsbar Bimbotown
von Jim Whiting ist fast die gesamte
Einrichtung mechanisch bewegt
[4] Der Fahrradladen Dr. Seltsam wird
nachts zur Bar [5] Erfinder von raffinierten Erlebnisgeschichten: Nicolas
Wiethoff (links) und Dennis Levin
[3] The interior of Bimbotown, Jim
Whiting’s installation bar, consists
almost entirely of mechanical parts
[4] At night, the Dr. Seltsam bike shop
turns into a bar [5] Nicolas Wiethoff
(left) and Dennis Levin invent ingenious
adventures
In der ehemaligen Baumwollspinnerei sind heute
Galerien, Kinos, Cafés und Shops angesiedelt.
Galleries, cinemas, cafés and shops are located
inside the Leipzig Cotton Mill industrial site.
[5]
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Leipzig
[1] Auerbachs Keller ist das zweitälteste
Restaurant der Stadt, bekannt aus dem
„Faust“ [2] Spezialität des Hauses: Roulade mit Apfelrotkohl und Kartoffelklößen
[1] Auerbachs Keller restaurant, which
makes an appearance in Faust [2] Beef
roulade with dumplings and red cabbage
Die Altstadt mit Blick auf die Katharinenstraße: im Hintergrund das Neue
Rathaus und die Thomaskirche, vorn
das Museum der bildenden Künste
The old town overlooking Katharinenstrasse: In the background, the New
Town Hall and St. Thomas Church; in
the foreground, the Museum of Fine Arts
[2]
[1]
Por träts, handgeschriebene Zettel mit englischen Vokabeln,
„die brauche ich, wenn ich in Indien bin“. Auf dem Herd ein Teller mit Frühstücksresten. Elfriede Lange verstellt sich nicht für ihre
Besucher. Das Leben ist, wie es ist. „Heute wollen alle individuell
sein, das macht sie alle gleich“, sagt Lange und lacht, „der Kapitalismus ist gar nicht so weit vom Kommunismus entfernt.“
Sie erzählt, wie sie Ende der fünfziger Jahre durch das in Sektoren geteilte Berlin gefahren ist, wie sie am Theater in Leipzig,
dem heutigen Schauspiel, als Tischlerin arbeitete, wie die Regeln
strenger und das Leben undurchsichtiger wurden. „Das Traurigste war, als sie die Paulinerkirche für die Sprengung vorbereiteten.“
Heute erinnert das Paulinum an deren Zerstörung 1968. In den Siebzigern schrumpfte die Bevölkerung, Betriebe schlossen, Hallen verwahrlosten. „Jetzt finden das alle toll, damals war es ein Desaster.“
Heute fragt sich Lange, ob der Mensch mit seiner Freiheit überhaupt
umgehen kann. „Ich möchte in einem humanistischen Staat leben.
Aber ich wünsche mir auch ein gemeinschaftliches Leben und gemeinsame Projekte. Wo gibt es das heute noch?“ In der „Zukunft“.
Und die liegt gar nicht weit von Langes Wohnung entfernt.
[d]
Alle City-Tipps auch bei foursquare.com/lufthansa
These city tips are on Foursquare, too
Gosebrauerei Bayerischer Bahnhof
Bayerischer Platz 1; täglich 11–1 Uhr,
Tel. +49-341/124 57 60
bayerischer-bahnhof.de
Die Leipziger Bierspezialität Gose
schmeckt am besten im ältesten
Kopfbahnhof der Welt.
Gose, Leipzig’s specialty beer,
tastes best when drunk at the
world’s oldest railhead station.
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Living Bach 14
Thomaskirchhof 13/14; Tel. +49-341/
49 61 40, bach14.arcona.de
Das Boutiquehotel liegt gleich neben der Thomaskirche, wo Johann
Sebastian Bach wirkte, in einem
der ältesten Wohnhäuser der Stadt.
A boutique hotel in an old residential building next to the church
where J.S. Bach was cantor.
portraits she painted herself, and handwritten words and
phrases in English. “I need them when I go to India.” There’s a
plate on the stove with what’s left of her breakfast. Lange doesn’t
pretend to be anything she’s not. “Everybody wants to be an individual these days, which only makes them all the same,” she
laughs. “Capitalism isn’t so different from Communism after all.”
She describes driving through Berlin in the ’50s when the
city was divided into sectors, working as a cabinetmaker at the
Theater in Leipzig, as the Schauspiel was known then, talks about
how rules were stricter and life less comprehensible. “The saddest thing was when they were preparing St. Paul’s for demolition.” Today, the Paulinum commemorates the church’s destruction in 1968. The population shrank in the 1970s, factories closed,
buildings fell into neglect. “They all think it’s great, now. At the
time, it was a disaster.” Lange wonders if people even know how
to handle their freedom. “I would like to live in a humanist society
with a strong community spirit, where people realize projects together. Does that even exist anymore?” It does, in the Future (Institute), which is not very far at all from where Lange lives.
[e]
Schauen, staunen und entdecken
Nice to know
Leipziger Notenspur
Markierter Spazierweg mit
23 Stationen, notenspur-leipzig.de
Musikalische Stadterkundung
mit Klanginstallationen zu den
Wirkungsstätten der Komponisten,
die in Leipzig gelebt haben.
A musical tour of Leipzig with sound
installations dedicated to the musicians who lived and worked here.
Lufthansa Tipp
Lufthansa fliegt mehrmals täglich
von Frankfurt und München nach
Leipzig-Halle (LEJ). Wie viele Meilen
Ihnen für den Flug gutgeschrieben
werden, können Sie online unter
meilenrechner.de ermitteln.
Lufthansa operates daily flights from
Frankfurt and Munich to Leipzig Halle
(LEJ). Visit meilenrechner.de to find
out how many miles you can earn.
LH.com
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