Lorenzo Ghelfi: «Jolanda ist das Meisterstück unseres Biopolymer
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Lorenzo Ghelfi: «Jolanda ist das Meisterstück unseres Biopolymer
INTERVIEW Lorenzo Ghelfi: «Jolanda ist das Meisterstück unseres Biopolymer-Teams.» Im Juni ging die neue Pilotanlage für Biokunststoffe von Sulzer Chemtech in der Schweiz in Betrieb. Der Betriebsleiter Lorenzo Ghelfi gibt in diesem Interview Einblicke in die Entstehung und Bedeutung dieser Anlage. Lorenzo Ghelfi präsentiert Polymermuster von der neuen Pilotanlage. Sie und Ihr Team nennen die neue Pilotanlage Jolanda. Was kann Jolanda? Mit dieser Anlage im Industriemaßstab können wir den Biokunststoff Polymilchsäure (PLA, Polylactic Acid) herstellen. Jolanda kann bis zu 1000 Tonnen PLA pro Jahr produzieren. Ausgangsstoff unseres innovativen Prozesses sind Dimere der Milchsäure, die aus natürlichen Rohstoffen wie Zucker, Stärke oder Cellulose gewonnen werden. Was ist an diesem Prozess so innovativ? Unser Polymerisationsverfahren zeichnet sich durch die Mischtechnologie aus. Mit unserer statischen Mischtechnologie und dem Mischreaktor SMR™plus können wir die Reaktionszeit deutlich verkürzen und trotzdem den ganzen Prozess sehr gut kontrollieren. Die Konkurrenz benutzt Verfahren, bei denen das Polymer sich über sehr viel längere Zeiträume in großen Reaktoren befindet. Mit Zunahme der Viskosität während der Reaktion 12 | Sulzer Technical Review 2/2012 lässt sich in solchen Reaktoren die Verweilzeit nicht im gesamten Behältervolumen kontrollieren. Unsere Anlage ist hingegen mit zahlreichen, sehr effizienten Heiz- und Kühlzonen ausgestattet. So können wir in jedem Bereich des Polymerisationsprozesses Temperatur, Viskosität und Druck genau steuern und damit die gewünschten Produkteigenschaften erreichen. Wie ist die Idee für den neuen PLAProzess entstanden? Sulzer hat bereits vor über 20 Jahren Erfahrungen mit Milchsäure und Derivaten für die PLA-Herstellung gesammelt. Damals war das Thema die Aufbereitung und Reinigung von Milchsäureprodukten durch Rektifikation. Danach haben wir Kristallisationstechnik für Lactide entwickelt. Mit der Akquisition der Firma Kühni hat Sulzer Chemtech 2009 die Kompetenzen im Anlagenbereich verstärkt. Eine Zusammenarbeit mit der Firma Purac – dem Weltmarktführer in der Milchsäure- und Lactid-Herstellung – und der Firma Synbra als Endkunde hat dann zu unseren PLA-Aktivitäten geführt. Hierfür haben wir unsere erprobte Misch- und Reaktionstechnik als Basis verwendet und spezifisch für die Herstellung von PLA weiterentwickelt. Eine erste, kontinuierliche Pilotanlage in Winterthur mit dieser neuen PLA-Technologie lieferte derart überzeugende Ergebnisse, dass in sehr kurzer Zeit ein Auftrag zum Bau einer Großanlage bei Synbra in Holland zustande kam. Mit dem neuen Verfahren können unsere Kunden Biokunststoff mit hoher Qualität und maßgeschneiderten Eigenschaften produzieren – und das zu einem Preis, der mit herkömmlichen petrochemischen Kunststoffen zunehmend konkurrieren kann. Die neue Pilotanlage eröffnet nun ganz neue Möglichkeiten. Was sind die größten Vorteile für die Kunden? Die neue PLA-Anlage in Pfäffikon ist größer und effizienter als die bestehende Pilotanlage in unserem Testcenter in Winterthur. Mit dem Betriebskonzept der neuen Anlage können wir nun auch einen Dauerbetrieb sicherstellen. In Pfäffikon beschäftigen wir neun Mitarbeitende in drei Schichten. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit unserem Entwicklungslabor in Winterthur zusammen, wo unsere Analytik angesiedelt ist. Die neue Anlage hat verschiedene Aufgaben. Sie dient zukünftigen Kunden als Demonstrationsanlage und ermöglicht die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden. 4378 INTERVIEW Darüber hinaus kommt sie für die Produktion zum Einsatz, sowohl für die Herstellung von größeren Produktmustern für Kunden als auch für die Entwicklung von eigenen Rezepturen und neuen PLAProdukten. großen Mengen angebaut, so dass Zucker und Stärke gut zugänglich sind. Dort ist der Bau von Veredelungsanlagen oder sogar kompletten PLA-Anlagen in direkter Nähe zu den Anbauflächen besonders attraktiv. Warum wünschen Kunden eine Demonstration der Technologie? Weltweit interessieren sich immer mehr Firmen für PLA. Was ist der Grund dafür? Zunehmend sehen Firmen einen strategischen Vorteil darin, Produkte aus alternativen Rohstoffen anstatt aus Erdöl zu produzieren. Heute basieren im Kunststoffmarkt fast alle Produkte auf Erdöl und Erdgas. Der Wunsch, sich von den Kunden investieren Millionenbeträge für großtechnische Produktionsanlagen und möchten auf der technischen Seite möglichst wenig Risiko eingehen. So ist es ist verständlich, dass die Kunden unseren Polymerisationsprozess eins zu eins sehen zu wollen, bevor sie investieren. Mit unserer neuen Anlage können die Mit Jolanda möchten wir unsere neue PLAKunden den EnergieTechnologie am Markt etablieren. verbrauch und die Effizienz des Prozesses sowie die Pro- steigenden Preisen und der begrenzten Verfügbarkeit von fossilen Brennstoffen duktqualität schon im Vorfeld genau unabhängig zu machen, ist ein großer überprüfen. Trend. Auch die Musterherstellung ist ein Ist das PLA-Geschäft auch für Sulzer wichtiges Thema für die Kunden. Ja, denn die Kunden betreiben in dem ein Wachstumsmarkt? Ja, wir haben große Ziele. Die neue PLAZeitraum vom Kauf bis zur Fertigstellung Technologie und unsere Demonstrationseiner PLA-Anlage ihre Marktentwicklung – und im Marketing gibt es viele Risiken. anlage sollen unser Geschäft mit PolyBevor man in einer Großanlage im Kilo- meren deutlich steigern. Der – zurzeit noch kleine – Anteil der Polymerverfahtonnen-Maßstab produziert, muss geklärt werden, ob die richtigen Produkte aus- renstechnik am Gesamtumsatz von Sulzer Chemtech soll in den nächsten gewählt wurden, ob die Qualität den Anforderungen bestimmter Anwendun- Jahren signifikant steigen. gen entspricht und ob genügend EndSie selber sind seit über 30 Jahren bei abnehmer gefunden werden. Daher benötigen unsere Kunden bereits im Vor- Sulzer. Welche Erfahrungen bringen Sie in dieses Projekt ein? Was waren feld produzierte PLA-Muster, um daraus die größten Herausforderungen? Endprodukte wie etwa Folien oder Fasern herstellen und testen zu können. Ich bringe Erfahrung im Engineering und Wir können mit unserer Anlage PLA- in der Führung mit. Eine reine Chemieproduktion zu führen, ist für mich eine Muster mit verschiedenen Rezepturen in neue Aufgabe. Aber dank meiner LebensMengen von 20 bis 200 Tonnen liefern und Berufserfahrung kann ich mit unerund so dafür sorgen, dass bei den warteten Situationen gelassen umgehen. Kunden die spätere Produktion und der Besonders herausfordernd war es, die Verkauf glatt laufen. Teams an drei Standorten zu koordinieren Wer sind Ihre Kunden? und dabei Zeit- und Kostenpläne einWir bekommen Anfragen sowohl von zuhalten. Unsere Kollegen in Allschwil großen Kunststoffproduzenten als auch haben die Anlage gebaut. Die Abteilung von vielen kleineren Firmen, die kosten- in Winterthur ist zuständig für das Engigünstigen Zugang zu natürlichen Roh- neering, und wir in Pfäffikon machen stoffen haben. In vielen Ländern Asiens die Montage. Dank des großen Engageund Südamerikas werden Pflanzen wie ments aller Mitarbeitenden konnten wir Zuckerrohr oder Maniokwurzeln in diese Schwierigkeiten meistern. Wie unterscheidet sich dieses Projekt von Ihren früheren Projekten, die Sie weltweit für Sulzer durchgeführt haben? Ich war für Sulzer rund um den Globus tätig: in Brasilien, Argentinien, Russland und den USA. Die dortigen Schwierigkeiten aufgrund von Kultur- und Sprachunterschieden gab es jetzt bei dem neuen Projekt in der Schweiz nicht. Allerdings werden hier die behördlichen Vorschriften und Auflagen für Arbeits- und Umweltschutz strenger gehandhabt und auch geprüft. Warum hat sich Sulzer Chemtech für den Standort in Pfäffikon entschieden? Funktioniert eine Produktion im Hochlohnland Schweiz? Kunden aus der ganzen Welt besuchen uns und schätzen die Nähe zur Verkaufsabteilung von Sulzer Chemtech sowie die gute Erreichbarkeit über den nahegelegenen internationalen Flughafen Zürich. Die Schweiz bietet ein ideales Umfeld für die Hightechindustrie. Außerdem profitieren wir von der Nähe zu unserer Entwicklungsabteilung, die uns bei dem Betrieb und der Optimierung der Anlage unterstützt, was an anderen Standorten nicht möglich wäre. Und da wir effizient nach LEAN-Prinzipien arbeiten, sind wir auch am Standort Schweiz konkurrenzfähig. Was ist für die Zukunft geplant? Wir planen, Jolanda einige Jahre zu betreiben, um die neue PLA-Technologie am Markt zu etablieren. Die bedeutende Investition in diese Polymer-Anlage soll als Initialzündung dienen und zum Durchbruch der Technologie führen. Interview: Tünde Kirstein Lorenzo Ghelfi studierte Maschinenbau an der ZHAW, Winterthur, Schweiz. Er war als Projektingenieur tätig auf dem Gebiet der industriellen Feuerungstechnik für Metallurgie und Kraftwerksbau. Seit über 30 Jahren arbeitet er für Sulzer Chemtech in den Bereichen internationaler Verkauf, Projektabwicklung sowie Engineering und Produktion von Prozessausrüstungen für den internationalen Chemieanlagen- und Ölraffineriebau. Während seiner Auslandseinsätze in Argentinien, Brasilien, Russland und in den USA baute er in leitenden Funktionen neue Geschäftseinheiten von Sulzer auf und erweiterte die weltweite Marktpräsenz von Sulzer Chemtech. Vor kurzem kehrte er von seinem mehrjährigen Russlandaufenthalt zurück in die Schweiz und leitet nun den Aufbau und den Betrieb der PolymerPilotanlage in Pfäffikon. Sulzer Technical Review 2/2012 | 13