filmmagazin

Transcrição

filmmagazin
celluloid
Ausgabe 3a/2012 - 28. April 2012
gegründet 2000
filmmagazin
e zur
Beilag
sie starb vor 30 jahren
© Eva Sereny / CameraPress / Gamma-Rapho
ARTIG.
NICHT
BRAV.
RomySchneider
Mit ausgewählten beiträgen aus dem filmmagazin celluloid
www.celluloid-filmmagazin.com
a r t i g , n i c h t b r av
celluloid
filmmagazin - BEILAGE ZUR WIENER ZEITUNG
Ausgabe 3a / 2012 - 13. jahrgang
Mai / JUNI 2012
LES
COVER
EDITORIAL
Liebe Leser,
4
30 Jahre ohne Romy
Die letzten Tage einer Legende.
Plus: Neue Bücher, DVDs, TV-Termine Einen „Feiertag“ für den österreichischen Film nannte Martin
Schweighofer von der Austrian
Film Commission den Tag der Bekanntgabe des offiziellen CannesWettbewerbs 2012. Gleich zwei
heimische Produktionen treten
um die Goldene Palme an: Michael Hanekes „Amour“ und Ulrich
Seidls erster Teil seiner „Paradies“Trilogie „Liebe“. Dass beide Filme
denselben Titel haben, ist aber wohl schon
die einzige Gemeinsamkeit.
Für den österreichischen Film ist es tatsächlich ein Grund zum Feiern: Nicht nur, weil
die Erfolgsserie damit ungebremst weitergeht, sondern auch, weil damit erstmals
zwei österreichische Filme im Cannes-Hauptbewerb antreten (Seidls Wunsch, alle drei
Teile seiner Trilogie gemeinsam aufzuführen,
wurde allerdings nicht entsprochen).
Alle Hintergründe, sowie eine Reihe weiterer
spannender Filmthemen (siehe links) erwarten Sie in unserer vollwertigen Ausgabe
celluloid 3/2012, die ab 30.4. im Handel
erhältlich ist. Wie Sie das Heft bestellen
können, erfahren Sie auf Seite 15!
Wir wünschen Ihnen viel informatives
Vergnügen beim Lesen!
FEATURES
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Evolution der Gewalt heißt Fritz Ofners Doku über Guatemala. Ein Gespräch
Profile: Catalina Molina ist eine junge
österreichische Filmemacherin mit
argentinischen Wurzeln
Crossing Europe: Das Linzer Filmfestival
öffnet diese Woche seine Pforten
Filmkritik: „Stillleben“, „Outing“ und Audrey Tautou in „Nathalie küsst“
Neu auf DVD und Blu-ray:
Die Woody Allen-Collection
Die Top-Filme im Mai und Juni
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WEITERE THEMEN
des celluloid Filmmagazins
(Ausgabe 3/12 ist am Kiosk erhältlich)
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Der König bin ich
Mads Mikkelsen im Interview zu seinem Kostümdrama „Die Königin und der Leibarzt“
Erwachsen werden? Wozu?
Die Darsteller von „American Pie 4“ machten Filmwerbung in Wien
Jean Reno, Michaël Youn
im Interview über die Komödie
„Kochen ist Chefsache“
Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm
sprechen über ihren „Kriegsfilm“
„Das Leben gehört uns“
David & Stéphane Foenkinos
drehten mit Audrey Tautou „Nathalie
küsst“. Ein Gespräch
Céline Sciamma über „Tomboy“
17 schwangere Mädchen
zeigen Muriel & Delphine Coulin
Pierre Richard pfeift aufs Altersheim,
wie er im Interview verriet
Exotische Vögel Filmproduzentinnen sind in Österreich sehr selten
Christopher Lee Kurz vor seinem 90. Geburtstag besuchte Lee Wien
Am Set bei Gustav Deutschs SpielfilmDebüt „Visions of Reality“
Renaissance der Wanderkinos
Evolution der Gewalt heißt Fritz Ofners Doku über Guatemala. Ein Gespräch
Susanne Brandstätter über ihre Doku „The Future‘s Past“
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Matthias greuling
Chefredakteur & Herausgeber
[email protected]
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und die Wiener Zeitung
Große Freude: Ulrich Seidl und Michael Haneke
sind beide im Cannes-Wettbewerb 2012 vertreten
Stillleben/Outing (mit Interview
Sebastian Meise) / Kuma / Nathalie
küsst / Lachsfischen im Jemen
Life Size Memories / Wie zwischen
Himmel und Erde / Tabu / Moneyball
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Greuling; Tuma; Poool, ORF
FILMKRITIK
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E
OB
R
EP
celluloid Filmmagazin Beilage. Nummer 3a/2012, Mai/Juni 2012
Beilage zur „Wiener Zeitung“ am 28. April 2012.
Medieninhaber und Herausgeber: Werbeagentur Matthias Greuling.
Printed in Austria. Die Beiträge in dieser Beilage wurden uns mit freundlicher
Genehmigung vom Verein zur Förderung des österreichischen und des europäischen Films zur Verfügung gestellt. Die Interviews wurden von Mitgliedern der
celluloid-Redaktion geführt. Die Beiträge geben in jedem Fall die Meinung der
AutorInnen und nicht unbedingt jene der Redaktion wieder. Fotos: Filmverleiher.
celluloid versteht sich als publizistische Plattform für den österreichischen und den
europäischen Film und bringt Berichte über aktuelle Filme.
Anschrift: Anningerstrasse 2/1, A-2340 Mödling,
Tel: +43/664/462 54 44, Fax: +43/2236/23 240, e-mail: [email protected],
Internet: http://www.celluloid-filmmagazin.com
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der
Redaktion und Quellenangabe. © 2012 by Werbeagentur Matthias Greuling
c e llul o i d O N L I N E : www . c e llul o i d - fil m m aga z in . c o m
celluloid 3a/2012
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cover
„EINE KERZE,
die an beiden Enden brannte
Foto: ORF/3sat
ROMY SCHNEIDER starb vor 30 Jahren, am 29. Mai 1982.
Die letzten Tage im Leben der großen Schauspielerin
Romy Schneider in „Der Swimmingpool“
(1968), Regie: Jacques Deray
I
n den letzten Monaten ihres Lebens liest
Romy Schneider ein Buch, die Autobiographie der Schauspiel-Diva Eleonora
Duse. Darin unterstreicht sie einen Satz,
den die Duse zitiert, es ist ein Satz des
italienischen Dichters Gabriele D´Annunzio:
„Ich weiß, was der Ruhm bedeutet und was
das Nahen der Nacht.“ Und beides, das
kennt auch Romy Schneider nur allzu gut,
diesen unermesslichen Ruhm, und, ja, das
Nahen der Nacht…
Anfang Mai reist Romy mit ihrem Lebensgefährten Laurent Pétin in die Schweiz, nach
Zürich, und sucht dort ihren Vermögensverwalter, Rechtsanwalt Dr. Jürg Henrik Kaestlin
auf. Romy hat finanzielle Probleme, und sie
will das alte Haus in Boissy-sans-Avoir doch
kaufen. In der Nacht des 10. Mai 1982 setzt
sie handschriftlich urplötzlich ihr Testament
auf. Es ist, als nähme sie das bevorstehende
Nahen der Nacht vorweg, als ahne sie ihr ei-
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celluloid 3a/2012
genes nahendes Ende. Von den noch lebenden Verwandten – Tochter Sarah Biasini, ExEhemann Daniel Biasini, Bruder Wolf-Dieter
Albach – tritt kurz darauf keiner das Erbe
Romy Schneiders an, da vom Vermögen, an
dem sich so manche aus ihrem Umfeld so
ungehemmt bedienten, nichts mehr geblieben ist außer Schulden, französischen Steuerschulden vor allem, die Angaben variieren
verschiedentlich zwischen drei Summen: sieben, neun und elf Millionen Francs.
Am 28. Mai, es ist ein Freitag, da gehen
Romy Schneider und Laurent Pétin zu Laurents Bruder Jérôme und dessen Frau Claude,
sie essen alle gemeinsam in deren Wohnung,
trinken, reden. Etwa über das im März neu
gefundene Haus in dem Dorf Boissy-sansAvoir, knapp 50 Kilometer westlich von Paris,
dort, wo sie sich noch richtig einrichten müssen, den Sommer verbringen wollen, nur sie
beide und Töchterchen Sarah. An Pfingsten,
am bevorstehenden Wochenende, da sind
sie schon mit Jean-Claude Brialy verabredet,
auch zum Abendessen. Romy und Jean-Claude, sie kennen sich seit den fünfziger Jahren,
schon seit damals, als sie mit Alain zusammen
in Christine spielten. Das ist fast 25 Jahre her.
Eine Freundschaft über ein Vierteljahrhundert.
Er kennt sie mit am besten. Und doch merkt
auch er nicht, dass der Tod um seine Freundin
Romy herum strich, wie er es später einmal
formuliert. Zu dem Treffen mit diesem, einem
ihrer ältesten Freunde überhaupt, soll es nicht
mehr kommen. Und keiner scheint zu spüren,
dass es das Nahen der Nacht ist.
Am frühen Morgen des 29. Mai wacht
Laurent Pétin allein im Bett in der im siebten
Arrondissement unweit des Invalidendoms
gelegenen Wohnung in der Rue Barbet de
Jouy auf. Romy liegt nicht neben ihm. Es ist
etwa sieben Uhr. Tochter Sarah schläft noch.
Er geht durch die Wohnung und findet Romy
im Salon, am Schreibtisch sitzend, kopfüber.
Inmitten eines handschriftlichen Briefes an
eine französische Zeitschrift bricht sie ab. Er
spricht sie an, doch sie reagiert nicht. Romy
Schneiders Herz, es hat gegen fünf Uhr in
der Nacht einfach zu schlagen aufgehört.
Herzversagen lautet die offizielle Todesursache. Sie konnte nicht mehr. Oder, wollte sie
nicht mehr? Sie ist 43 Jahre alt.
Romy Schneiders Begräbnis findet am Vormittag des 2. Juni 1982 in Boissy-sans-Avoir
statt. Dort, wo sie eigentlich leben wollte, dort
wird sie nun beerdigt. Hubschrauber kreisen
über dem kleinen Friedhof mit der mittelalter-
lichen Dorfkirche Sankt Sebastian, Fotografen
sitzen in den Hubschraubern, die als erste das
beste Foto schießen und meistbietend an die
Weltpresse verkaufen wollen. Das Foto vom
Sarg und der Bestattung eines Weltstars. Zeitweise ist die Grabrede von Regisseur Jacques
Rouffio nicht zu hören, die Motoren- und
Propellergeräusche in der Luft sind zu laut.
Eine geradezu pervertierte Situation.
ALAIN DELON FEHLTE Viele sind gekommen an diesem Tag. Neben Romy Schneiders
Familie, Bruder Wolf-Dietrich mit Frau Alba
und Tochter, Laurent Pétin sowie dem geschiedenen Ehemann Daniel Biasini, nehmen
auch langjährige Wegbegleiter wie ihr Kollege Michel Piccoli oder Jean-Claude Brialy
von ihr Abschied. Mutter Magda Schneider
bleibt nach ihrem erlittenen Herzinfarkt in
Deutschland. Nur einer fehlt sonst auf der
Beerdigung. Er kommt später, an einem anderen Tag, als die gierige Meute weg ist und
aller Rummel vorbei. Still und leise nimmt
Alain Delon allein von seiner Romy, von seinem „Puppele“ Abschied. Und so ist denn
auch jener umstrittene öffentliche Brief, der
in Frankreich in Paris Match, in Deutschland
zeitgleich auf Deutsch in der Quick erscheint,
„Adieu ma Puppele“ überschrieben (Paris
Match, 11. Juni 1982). Umstritten, da Delon
ihn nicht allein aufsetzt, umstritten, da er bei
aller von ihm stets betonten Diskretion seinen Abschied öffentlich macht. Ist das notwendig, fragen sich viele.
Es war Romys Großmutter Rosa AlbachRetty, von der der viel zitierte und die Dinge
so ambivalent antizipierende Satz stammt,
den sie zu beider Lebzeiten äußerte: „Wer
sich wie sie so hemmungslos von seinen
Emotionen, Leidenschaften und Begierden
treiben lässt, denkt sicher nicht daran, dass
eine Kerze, die man an beiden Seiten anzündet, auch schneller abbrennt...“
Auch am 29. Mai 2012, an Romy Schneiders 30. Todestag, wird dieses leicht zu übersehende unauffällige Grab wieder vollgestellt
sein, werden es die Menschen, die es wirklich
finden wollen, auch finden: Diesen Ort, der
so ganz eigen ist in seiner Atmosphäre und
Stimmung. Der so abgelegen ist von allem,
so weit weg. Der wie der Welt abhanden gekommen scheint. Diesen Ort, an dem Romy
Schneider begraben ist.  Thilo Wydra
Von Thilo Wydra ist unter anderem die Biografie
„Romy Schneider. Leben – Werk – Wirkung“
im Suhrkamp Verlag erschienen.
Zum 30. Todestag
romy als Buch, auf DVD & im TV
ROMY IN BUCHFORM
© R. Lebeck / Stern / Picture Press
„Wir wollen, dass dieses Buch abbildet,
wer Romy Schneider wirklich war und was
sie bis heute verkörpert. Wir wollen, dass
unsere Leser von
ihrer Anmut und
ihrer Schönheit
überwältigt werden, von diesem
Leben, dass sich
um sie spann mit
all seinen Dramen“,
schreibt Sarah
Biasini, Herausgeberin und Tochter
Romy Schneiders
über dieses Buch.
Der großformatige,
in qualitativ hochwertiger Ausstattung
produzierte Bildband versammelt seltene
Dokumente und 300 zum Teil unveröffentlichte Fotografien. Das Buch ist bei Edel.
Books erschienen. (EUR 36,00)
Romy Schneider, fotografiert 1976 von Robert Lebeck, mit der Mütze des Fotografen. Dieses
Foto, sowie unser Titelbild sind Bestandteil einer großen Romy-Schneider-Ausstellung, die
derzeit in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen ist. Infos: www.bundeskunsthalle.de
Romy überall: Neue (Hör-)Bücher erscheinen aus
Anlass ihres 30. Todestages, und im Fernsehen
widmet 3sat Romy Schneider eine große Filmreihe
mit zehn Filmen und zwei Porträts (Details siehe
Kasten unten). Außerdem erscheint bei StudioCanal eine umfangreiche (wenn auch unvollständige) neue DVD-Edition, mit insgesamt 13 Filmen,
darunter die DVD-Premieren „Die Bankiersfrau“,
„Die Geliebte des Anderen“ und „Le Train – Nur
ein Hauch von Glück“
Das Leben von Romy Schneider als Hörbuch,
erschienen in der Reihe „Berühmte Persönlichkeiten“ bei Monarda Publishing House (EUR 9,99)
Die Romy-Biografie von Günther Krenn (Filmarchiv Austria) wurde als E-Book neu aufgelegt,
erhältlich im Amazon Kindle-Store (EUR 8,10)
Fotos: StudioCanal; ORF
ALLE TV-TERMINE auf einen Blick
19.05.2012, 11:20 Uhr: Christine, ORF 2
20.05.2012, 23:00 Uhr: Die letzten Tage einer Legende: Romy Schneider, ORF 2
20.05.2012, 23:45 Uhr: Die Spaziergängerin von Sans-Souci, ORF 2
21.05.2012, 01:55 Uhr: Die letzten Tage einer Legende: Romy Schneider, ORF 2
23.05.2012, 00:15 Uhr: Leih mir deinen Mann, ORF 2
27.05.2012, 17:20 Uhr: Monpti, 3sat
27.05.2012, 20:15 Uhr: Romy, 3sat
28.05.2012, 17:20 Uhr: Christine, 3sat
28.05.2012, 20:15 Uhr: Ludwig II, 3sat
28.05.2012, 02:25 Uhr: Ludwig II, 3sat
29.05.2012, 22:25 Uhr: Romy Schneider Eine Frau in drei Noten, 3sat
30.05.2012, 22:25 Uhr: Das wilde Schaf, 3sat
31.05.2012, 22:25 Uhr: Die Liebe einer Frau, 3sat
01.06.2012, 16:15 Uhr: Die Halbzarte, 3sat
01.06.2012, 22:25 Uhr: Die Spaziergängerin von Sans-Souci, 3sat
„Die Liebe einer Frau“ (31.05., 22.25 Uhr, 3sat)
celluloid 3a/2012
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interview
fritz ofner hat für seinen
Dokumentarfilm „Evolution
der Gewalt“ als One-ManShow in Guatemala gedreht
Fotos: Poool Film
Filmstart:
04.05.12
die dynamik der
gewalt
A
n einem Wochenende 50 Morde, das
ist keine Seltenheit in Guatemala: In einem Land, das seinen Bürgerkrieg nie
aufgearbeitet hat, dreht sich die Gewaltspirale immer weiter und immer tiefer in die Menschen selbst. Der österreichische Filmemacher
Fritz Ofner versucht in seiner Dokumentation
„Evolution der Gewalt“ eine Annäherung an
die Kausalität der brutalen Dynamik.
celluloid: Das Wort „Evolution“ ist
positiv konnotiert, als „Weiterentwicklung“. Die Gewalt in Guatemala entwickelt sich aber nach innen, und kontraproduktiv ...
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celluloid 3a/2012
FRITZ OFNER: Ich glaube, „Evolution“ ist
weder positiv noch negativ gemeint, es bezeichnet einfach eine Veränderung und ihre
Dynamik. Ich wollte keinen Film über Guatemala per se machen, sondern über die
Mechanismen von Gewalt, unter welchen
Bedingungen Gewalt zustande kommt. In
Guatemala sind seit der Conquista Gesellschaftsformen geschaffen worden, die bis
heute auf der Ausbeutung von Ressourcen
und Arbeitskräften aufgebaut sind. Das
ganze System wird durch Repression und
Gewalt zusammengehalten, und die Strukturen haben sich nicht verändert. Das ging
von Silber über Gold, über Kautschuk und
Bananen, jetzt ist es Soja in Brasilien. Die
Güter, die gehandelt werden, haben sich
geändert, aber die Mechanismen sind gleich
geblieben. Um für diesen Film dem Mechanismus auch ein Gesicht zu geben, hat sich
der Bananenhandel angeboten, weil die Geschichte des Bürgerkriegs mit der Geschichte des Bananenhandels zusammenhängt.
Guatemala ist die archetypische Bananenrepublik. Dieses Wort kommt davon, weil die
exportierenden Firmen, in diesem Fall die
United Fruit Company, so mächtig waren,
dass sie effektiv über die Politik des Landes
bestimmt haben. Als es Anfang der 50er
einen demokratischen Wandel gab und
unser video-interview auf youtube
http://www.youtube.com/celluloidVideo
der damalige demokratische Präsident eine
Landreform durchführen wollte, die vorgesehen hätte, Land von den Bananenfirmen
zu nehmen und es an landlose Bauern zu
geben, hat die amerikanische Regierung
gemeinsam mit der United Fruit Company
eine militärische Intervention gestartet, die
den demokratischen Frühling beendet und
in weiterer Folge zum Bürgerkrieg geführt
hat, der dann 36 Jahre lang dauerte und in
einem Genozid endete. Die Geschichte des
Genozids beinhaltet auch die Tatsache, dass
Hunderttausenden jungen Männern beigebracht wurde, wie man tötet, vergewaltigt,
wie man erpresst. Nach dem Krieg sind diese Männer mit genau diesen „Kenntnissen“
in den Alltag zurück. Daher also auch der
Begriff „Evolution“: Etwas hat einen Mechanismus ausgelöst, der immer neue Formen
und Konsequenzen hatte. Der Ausgangspunkt für diese Gewaltspirale sind ökonomische und politische Zusammenhänge.
Der in Guatemala kulturell sehr tiefgehende Konflikt mit den Indiginas
wird im Film thematisiert, aber nicht
näher auf seine Ursprünge und Auswirkungen untersucht.
Richtig. Ich habe die These der Bananenrepublik für den Film gewählt; ein Soziologe würde die Gewaltspirale vielleicht in
anderen Mechanismen verorten. Mir war
der Ausdruck der emotionalen Kraft dieser
Gewalt wichtiger, als die Analyse, die im
Film einfach nicht derart viel Raum haben
konnte.
Sie lassen auch einen Militär-Kämpfer zu Wort kommen, der über seine
Gräueltaten berichtet – warum war es
Ihnen wichtig, alle Seiten zu zeigen?
Ich wollte die verschiedenen Aggregatszustände der Gewalt aufzeigen. Die erste
Episode im Film zeigt den voyeristischen
Blick der Journalisten, die zweite darüber,
wie jemand innerhalb des Systems dagegen kämpft, also die Sozialarbeiterin. Genauso wollte ich Opfern, aber auch Tätern
eine Stimme geben, um diese „Evolution“
der Gewalt darstellen zu können. Der Soldat ist ein integraler Bestandteil des Films,
weil Täter generell selten zu Wort kommen.
In der Dynamik des Konflikts in Guatemala
sind die Täter oft zugleich Opfer. Dieser Soldat zum Beispiel hatte sich nicht freiwillig
gemeldet, sondern das waren Zwangsrekrutierungen. Man konnte damals entweder
zur Armee gehen oder fliehen und sich im
Wald der Guerrilla anschließen. So oder so
war man gezwungen zu kämpfen. Für ihn
war die Teilnahme am Film sehr wichtig, um
eine Form von Katharsis zu finden, indem er
das, was er erlebt hat, auch einmal erzählen kann. Die Suche nach einem Soldaten
war aber sehr schwierig, weil niemand vor
die Kamera wollte, denn die meisten haben
Angst, deswegen umgebracht zu werden.
Sie zeigen auch Gespräche in Therapiegruppen, die aber wie immer eigentich von den „Falschen“ besucht
werden, nämlich den Frauen. Es sollten dort nämlich vor allem Männer
sitzen...
Die Gewalt gegen Frauen hat in Guatemala schon ein derartiges Ausmaß angenommen, dass man – in Anlehnung an
Genozid – bereits von Femizid spricht. Die
Selbsthilfegruppe im Film ist für minderjährige, vergewaltigte Mädchen. Sie arbeiten in
den Gesprächen die Geschichte des Landes
auf. Aber es gibt keinerlei Therapieform für
Täter, das ist richtig. So wird sich die Gewalt
weiter reproduzieren, weil sie keine Möglichkeit haben, selbst mit ihren Traumata
sich an jemanden zu wenden.
Erschreckend ist es, zu sehen, wie
die Menschen in dieser alltäglichen
Trauer schon wie gelähmt reagieren...
Ich habe im Laufe der Recherchen mit einem Schamanen gesprochen, der mir von
einer Krankheit erzählt hat, die „Susto“
heißt. Das ist ein ethnologisch definiertes
Krankheitsbild; eine Art von „Seelenverlust“
aufgrund eines Traumas. Diese Angstkrankheit kann die Formen von Schlafstörungen
über Essensstörungen bis hin zu Tod oder
Selbstmord annehmen. Ich glaube, dass die
gesamte Gesellschaft in Guatemala unter
„Susto“ leidet, und auch, dass ich im Zuge
der Dreharbeiten meine Portion davon abbekommen habe. Aber für mich war der
Filmschnitt eine Form von Therapie, diese
Bilder in meinem Kopf wieder raus und in
eine andere Form zu bekommen.
Was hatten Sie sich als formales
Konzept überlegt?
Weil ich als so genannte One-Man-Show
drehe, müssen meine Filme mit den Mitteln
funktionieren, die ich zur Verfügung habe.
Diese Arbeitsweise definiert also bereits sehr
viel. Das hat den Vorteil, dass ich mehr Zeit
mit dem Dreh verbringen kann, aber den
Nachteil, dass ich stilistisch eingeschränkt
bin, weil ich eben kein Team habe, in dem
sich einer um das Bild, ein anderer um den
Ton kümmert. In diesem Fall wollte ich den
Film mit dem Moment der Gegenwart beginnen und davon in die Vergangenheit gehen. Geschehnisse in der Gegenwart kann
ich beobachten, Vergangenes muss ich mir
aber erzählen lassen. Für mich war hier das
Zen-Prinzip von „form follows function“
sehr nützlich; so hat der Film keine einheitliche stilistische Form, sondern mäandert
zwischen verschiedenen hin und her. Ich
hoffe aber, dass das wiederum eine eigene
Form ergibt.
 Interview: Alexandra Zawia
celluloid 3a/2012
7
profile
Catalina MOLINA
Foto: Greuling
D
„Unser Lied“ von Catalina Molina ist demnächst
bei den Cinema Next-Filmnächten, z.B. am 10.5.
im Topkino, Wien, 22.30 Uhr, zu sehen
8
celluloid 3a/2012
aheim spricht Catalina Molina mit
ihren Eltern und ihrem Bruder noch
immer Spanisch. Und das, obwohl die
Familie der 28-jährigen Nachwuchs-Regisseurin von Buenos Aires nach Gröbming zog, als
Catalina fünf Jahre alt war. „Ich fühle mich
als Argentinierin genauso wie als Steirerin“,
sagt Molina, in bestem Steirisch selbstverständlich.
Schon als Kind hat Molina eine Begeisterung für das Medium Film entwickelt, vor
allem, weil ihr Vater als Filmfreak ständig die
Werke von Fritz Lang, Bergman oder Peter
Greenaway zeigte. Und Catalina dabei aufmerksam zusah.
Gerade erst hat Molinas Film „Unser Lied“
bei der Diagonale in Graz den Preis für den
besten Kurzfilm gewonnen, nachdem sie das
Drehbuch dazu mit der Wiener Stoffentwicklungsfirma Witcraft Scenario entwickelte. Die
Regisseurin erzählt in „Unser Lied“ von einem
jungen, alleinerziehenden Vater, gespielt von
ihrem Bruder Conrado, der seine Arbeit, seine
Erziehungspflichten und seine Karriere als
Musiker unter einen Hut zu bringen sucht.
Als eines Tages die Mutter (Emily Cox) der
gemeinsamen Tochter plötzlich wieder vor
der Tür steht, bringt das den jungen Mann
vollends durcheinander. Molinas einfühlsame
Beobachtung einer Vater-Tochter-Beziehung
und ihr direktes, unmittelbares Filmerzählen
machen sie zu einer der großen Nachwuchshoffnungen des österreichischen Films.
Nach ihrer Matura hat Molina die Aufnahmsprüfung an die Wiener Filmakademie
bestanden, und studiert seither Filmregie bei
Michael Haneke und Drehbuch bei Walter
Wippersberg. Molina ist aber nicht erst seit
„Unser Lied“ ein Begriff in der Filmszene: Bereits ihre Filme „Talleres Clandestinos“ (2009),
„Zeitfeld“ (2007) und ihr Matura-Film an der
Ortweinschule Graz, „Waisenhaus“ (2004),
sorgten für Aufsehen und wurden mehrfach
ausgezeichnet.
„Mit meinen Filmen will ich vor allem
berühren“, sagt Molina, die sich gerne kleine
Geschichten aussucht, um sie in ihren Filmen
in größere Kontexte zu setzen. Ihr Herkunftsland Argentinien spielt dabei immer wieder
eine zentrale Rolle. „Talleres Clandestinos“
handelte von heimlichen Nähwerkstätten in
Argentinien, in denen Mitarbeiter ausgebeutet
werden. Dafür gab es sogar eine Nominierung zum Europäischen Filmpreis. Auch ihr
nächstes Projekt „Cordoba 1978“ wird wieder
mit Südamerika zu tun haben. Darin will sie
eine Brücke zwischen Österreich und Argentinien schlagen - der Konnex dürfte schon
anhand des Titels unschwer zu erkennen
sein - Fußball-Film wird „Córdoba 1978“ aber
keiner. Catalina Molina: „Mich interessiert
anhand einer Begegnung zweier Menschen
während des legendären Matches, was hinter
der kollektiven Erinnerung des ‚Wunders von
Córdoba‘ noch verborgen steckt“. 
Z
um bereits neunten Mal hat sich Linz von
24. bis 29. April dem europäischen Film
verschrieben: Dann findet in der oberösterreichischen Hauptstadt wieder das Crossing
Europe Filmfestival Linz statt. Ziel des Festivals
an der Donau ist es, hochkarätiges Filmschaffen aus Europa zu präsentieren, und zugleich
dem jungen Arthaus-Film eine Plattform zu
bieten – und das mit einem dicht geschnürten cineastischen Paket. So sind im offiziellen
Programm heuer 146 Spiel-, Dokumentar- und
Kurzfilme aus 43 Ländern zu sehen, davon 96
Österreich-Premieren und 22 Ur-Aufführungen.
Festival-Leiterin Christine Dollhofer: „Es ist uns
wichtig, dass Crossing Europe auf ,Cross Over'
und Querverweise setzet. Dabei sind die Synergien besonders wichtig.“
AUTORENKINO Trotz der globalen Betrachtungsweise von Crossing Europe – im Mittelpunkt des zweitgrößten österreichischen Filmfestivals stand von Anbeginn an der europäische
AutorInnen-Film. Die Wettbewerbssektion „Europäisches Kino" bietet neun Langfilmdebüts
beziehungsweise zweite Langfilme, die bereits
in den letzten Monaten auf anderen Festivals
Erfolge feiern konnten. Dabei spielt 2012 neben
der Darstellung bemerkenswerter Frauenfiguren
die Stille eine entscheidende Rolle. So kommt „Z
daleka widok jest piekny"/„It looks pretty from
a distance“ (Regie: Anna und Wilhelm Sasnal)
mit der Geschichte eines abgelegenen Dorfes,
für das es keine Hoffnung zu geben scheint, nahezu ohne Dialoge aus. Ebenso eine reduzierte
Sprache verwendet Lisa Aschan in „Apflickorna“/„She monkeys“, wenn sie von den Schwestern Erna und Sara erzählt, die zwischen Sexualität und Scheinmoral gefangen sind.
Welche enorme Bedeutung der beobachtende Film im internationalen Festivalgeschehen
hat, wird in der Crossing Europe-Schiene „Panorama Europa Documentary“ deutlich, die die
unkonventionelle Position des europäischen Dokumentarfilms in all seinen unterschiedlichen,
bunten und kreativen Facetten beleuchtet. So
werden unter anderem Arbeiten über das Leben
mit Behinderungen („Louisa“), urbane Skater in
der DDR („This ain‘t California“), junge, kämpferische Lybier („Libya Hurra"/„Free Lybia“) und
die Vision eines modernen Stadtstaats in Estland („Uus Maailm“/„The new world“) gezeigt.
Das diesjährige Tribut schließlich ist der rumänischen Filmemacherin Anca Damian gewidmet,
die mit drei Lang-, sowie einem Kurzfilm in Linz
vertreten sein wird.  Sandra Wobrazek
Mehr Infos: www.crossingeurope.at
Foto: Crossing Europe
festival Crossing Europe startet in Linz
Crossing-Europe-Highlight: „Ave“ (l.),
Regie: Konstantin Bojanov, BG 2011
celluloid 2a/2012
9
filmkritik
STILLLEBEN / OUTING
/
E
STILLLEBEN
OUTING
Ö 2011, Regie: Sebastian Meise.
Mit Fritz Hörtenhuber, Christoph
Luser, Daniela Golpashin
FILMSTART: 18. 05. 2012
Ö 2012, Regie: Sebastian Meise,
Thomas Reider.
Dokumentarfilm
FILMSTART: 18. 05. 2012
in Projekt der Berliner Charite, das eine
Therapie für Menschen mit pädophilen Neigungen anbietet, die nicht zu
Tätern werden wollen, war die erste Inspiration für seinen Spielfilm „Stillleben“, erzählt
Regisseur Sebastian Meise. Wo beginnt
Schuld, und ist Pädosexualität synonym für
strafbares Gedankengut?, waren die ersten,
offensichtlichen Fragen, die sich daraus ergaben und die auch die – eigentlich als Nebenprodukt der Recherche parallel entstandene – Dokumentation „Outing“ prägen.
Mit wenigen Strichen und Hinweisen
entwirft Meise im Spielfilm „Stillleben“ ein
Familienuniversum und zeichnet die Geschichte von vier Menschen – Vater, Mutter, Tochter und Sohn - die während langer
Jahre mit sich und umeinander gerungen
haben. Diese fragile Gemeinschaft implodiert beinah lautlos durch die Ahnung eines
Inzests, eines pädophilen Übergriffs, als der
Sohn den sexuellen Phantasien seines Vaters
auf die Spur kommt, der seine Tochter zwar
noch nie angerührt hat, aber Prostituierte
dafür bezahlt, nach genauen Anweisungen
in ihre Rolle zu schlüpfen. „Stillleben“ beschreibt das zerbrochene Familiengefüge,
das sich nun auftut, ganz ruhig und intensiv.
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celluloid 3a/2012
Dabei vergisst er nicht auf die Umgebung
der Figuren: der kleine Vorort, die täglich
gelebte Stagnation. Meise nähert sich seinem Thema unaufgeregt und aufmerksam
und nimmt sich vom ersten Augenblick an
Zeit, den Zuschauer mitatmen zu lassen.
Mit geradezu schmerzlicher Wärme und auf
schmalem Grat präzis inszeniert, beschreibt
er den Verlust der Familiengemeinschaft,
das Unwiederbringliche. Während sich der
Bruder vorwirft, nicht rechtzeitig erkannt
zu haben, was vor Jahren passiert ist, steht
die Mutter fassungslos vor der Misere einer
sexuellen Obsession, für die sich der Vater
selber hasst und für die er geradezu nach
einer Bestrafung für sich selbst sucht. Fritz
Hörtenhuber verleiht diesem Vater den richtigen Ausdruck, beinahe unbeweglich nach
außen, aber im Inneren ein grelles Durcheinander. „Soap and Skin“-Sängerin Anja
Plaschg ist hier in ihrer ersten kleinen Rolle zu sehen und lieferte für den Film unter
anderem eine grandiose Neuinterpretation
von „Voyage Voyage“.
OUTING Das Thema Pädophilie beleuchten Meise und Ko-Autor Thomas Reider auch
in ihrer Dokumentation „Outing“ genauer:
Anhand der Geschichte von Sven, einem pädophilen jungen Mann, der alles dafür tut,
seine Neigung nie in die Tat umzusetzten,
wirft der Film wichtige Fragen auf.
Seit seiner Pubertät ist dem jungen Archäologen Sven klar, dass er sich sexuell
zu Kindern hingezogen fühlt. Als einer der
ersten Pädophilen erzählt er hier ausführlich
von seinen Träumen, seinen Ängsten und
Hoffnungen. Er artikuliert sich extrem reflektiert, ist in Dauer-Therapie und weiß, er muss
sich von kleinen Buben fernhalten. Und doch
verschieben sich im Laufe der Zeit (die Dokumentation fängt dies gut ein) langsam die
Grenzen, die er sich selbst setzt. Sven spricht
offen über seine pädophile Neigung und sein
Ziel, diese niemals in die Tat umzusetzen. Er
verschleiert auch seine Identität nicht - man
sieht sein Gesicht. Der Film begleitet ihn vier
Jahre lang, zeigt seinen inneren Kampf und
wirft Fragen auf nach moralischen Grenzen,
und danach, welchen Platz Menschen wie
Sven in der Gesellschaft haben können. Getragen vom echten menschlichen Interesse
an ihrem Protagonisten, gelingt den Filmemachern hier eine Nähe und Atmosphäre
der Offenheit, die schockiert und berührt.
 Klara Verthoer
Stadtkino
Ein Spielfilm und eine Doku von Sebastian Meise über unausgelebte Pädophilie
NATHALIE KÜSST

Filmladen
Dass ein einziger Kuss das gesamte Leben verändern kann, machen die Regie-Brüder
David & Stéphane Foenkinos auf romantische Weise deutlich
N
ur wenige Schauspielerinnen schaffen es, Kinopublikum und Filmkritiker gleichermaßen zu begeistern.
Audrey Tautou gelingt dieses Kunststück
seit ihrem internationalen Durchbruch in
„Die fabelhafte Welt der Amélie“ immer
wieder – auch in ihrem aktuellen Film. Als
Titelheldin in „Nathalie küsst“ schlüpft das
Ausnahmetalent in die Rolle einer feinfühligen aber willensstarken jungen Frau, die
mit ihren Rehaugen und dem mädchenhaften Charme sogar Eisberge zum Schmelzen
bringt. Ein solcher ist Markus: Der hünenhafte Büro-Angestellte ist zwar eine imposante Erscheinung, optisch aber das Gegenteil eines Märchenprinzen. Unscheinbar
und unauffällig schleicht er als graue Maus
durchs Leben, ist jeden Tag als erster im
Büro, um pünktlich nach Dienstschluss zu
Hause bei seinen Eltern zum Abendessen
zu sein. Völlig anders sieht der Alltag seiner
attraktiven Chefin aus, die sich nach dem
Unfalltod ihres Mannes ganz auf ihre Karriere konzentriert, um ihren inneren Schmerz
in Arbeit zu ersticken. Kurz: Nathalie und
Markus haben nichts gemeinsam – bis auf
einen unbedachten Kuss, der das Leben der
beiden für immer verändert.
Eindrucksvoll führen die Gebrüder Foenkinos vor, wie fruchtbar die (filmische) Zusammenarbeit von Blutsverwandten sein kann:
Während David das auf seinem gleichnamigen Roman basierende Drehbuch schrieb,
sorgte Stéphane für die leinwandgerechte
Umsetzung.
INTELLIGENTE TWISTS Das Resultat ist
eine bezaubernde Tragikomödie, die mit
Wortwitz und intelligent platzierten Plottwists gekonnt zwischen Drama und (Romantik-)Komödie balanciert. Mit großer Sorgfalt
stellt das französische Filmemacher-Duo die
Liaison des ungleichen Protagonisten-Paars
auf jenen dramaturgischen Boden – der Tod
von Nathalies Ehemann –, auf dem später
eine neue Liebe sprießt. Aber was wäre
eine Leinwand-Romanze ohne Intermezzo?
An dieser Stelle kommt Bruno Todeschini
ins Spiel: Als intriganter Nebenbuhler, der
schon seit Langem ein Auge auf Nathalie
geworfen hat, verzweifelt der virile Feschak
auf sympathisch-bemitleidenswerte Weise
an Markus’ menschlichen Qualitäten.
„Er hat etwas von dem Gogol-Charakter
an sich. Er vereint in sich diese groteske
Zartheit von Figuren aus osteuropäischen
Romanen, die mich stark beeinflussen. Physisch war er perfekt für die Rolle. Ich hatte
aber Befürchtungen, Damiens sei vielleicht
zu extrovertiert, denn Markus ist schüchtern
und diskret“, erzählt David Foenkinos über
das Casting für die männliche Hauptrolle.
Eine unbegründete Sorge, denn François
Damiens, der zuletzt in „Nichts zu verzollen“ zu sehen war, erweist sich dank markanter Physiognomie und seinen Ecken und
Kanten als Idealbesetzung, um seiner Rollenfigur Tiefgang und Wärme zu verleihen.
Gemeinsam mit der feenhaft wirkenden
Audrey Tautou ist es die schauspielerische
Leistung des belgischen Humoristen, die die
märchenhafte Botschaft des Films mit jener
Authentizität auflädt, die man im Blockbuster-Mainstream zumeist vermisst: wahre
Schönheit kommt von innen – in „Nathalie
küsst“ von François Damiens.
 Jürgen Belko
NATHALIE KÜSST
F 2011. Regie: David & Stéphane
Foenkinos. Mit: Audrey Tautou,
François Damiens, Bruno Todeschini. FILMSTART: 11. 05. 2012
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11
blu-ray und dvd
Diane Keaton und Woody Allen in „Manhattan“ (1979), ab 25. Mai erstmals auf Blu-ray
WOODY ALLEN-COLLECTION
20 Allen-Klassiker als Box und Einzel-Discs
Komödiant und Genie Woody Allen sagte
einmal: „Wenn man im Leben scheitert, kann das
gefährlich sein. Wenn man in der Kunst scheitert,
dann ist das peinlich.“ Doch das Schicksal des künstlerisch Gescheiterten ist Woody Allen erspart geblieben. Wer Lust auf einen garantiert unpeinlichen,
dafür aber rundum unterhaltsamen Querschnitt
durch das filmische Werk des kleinen großen Mannes aus Brooklyn hat, der kann sich auf die „Woody
Allen Collection“ freuen. 20 Filme – von „Bananas“
(1971) bis „Melinda & Melinda“ (2004) – sind in der
umfangreichen DVD-Box enthalten.
Dass ausgerechnet Woody Allen in den 50er
Jahren einen Filmkurs an der New York University hinwarf und auch als Stand-up-Comedian zunächst nur bedingt erfolgreich war, scheint heute
fast unglaublich. Vielleicht brauchte er ja einfach
etwas Zeit, um jene selbstzweiflerische und neurotische Wesensart zu akzeptieren, die bald darauf
zu seinem Markenzeichen werden sollte. Sicher
ist jedenfalls, dass der Mann, der eigentlich Allan
Stewart Konigsberg heißt, seit Jahrzehnten zu den
erfolgreichsten, vielseitigsten und produktivsten
Filmschaffenden der Welt zählt. Seit Mitte der 60er
12
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Jahre liefert er mit schöner Regelmäßigkeit neue
Filme ab, die mit ebenso schöner Regelmäßigkeit
mit Kritikerlob und Auszeichnungen überhäuft
werden. Viermal alleine wurden seine Filme mit
dem Oscar ausgezeichnet, das letzte Mal im Februar dieses Jahres.
DVD-PREMIERE Insgesamt umfasst die Collection 20 der erfolgreichsten Werke des Autorenfilmers. Zum ersten Mal ist auch „Stardust Memories“ auf DVD dabei. Woody Allen spielt darin den
schrägen Filmemacher Sandy Bates, der sich auf
einem Filmfestival mit aufdringlichen Fans, Möchtegern-Drehbuchautoren und – nicht zuletzt – mit
der holden Weiblichkeit herumschlagen muss. Zwei
der oscarprämierten Streifen Woody Allens sind
ebenfalls an Bord der Collection: „Der Stadtneurotiker“ von 1977 erhielt die begehrte Auszeichnung
gleich zweimal, in den Kategorien „Beste Regie“
und „Bestes Drehbuch“. Für das beste Drehbuch
bei „Hannah und ihre Schwestern“ durfte Allen die
Trophäe 1986 noch einmal in Empfang nehmen.
Die Filme der „Woody Allen Collection“ sind neben der DVD-Box auch als Einzel-DVDs erhältlich.
In den Genuss aufwändiger Artworks kommen
Woody Allen-Liebhaber dabei in beiden Varianten:
Die Cover der Single-DVDs wurden in einem modernen, einheitlichen Look neu gestaltet, die Box
liegt als hochwertiges DigiStack vor, den das stilisierte Antlitz des Meisters ziert.
Wer nach dieser umfangreichen Woody-Werkschau noch einen Nachschlag möchte, der kann
ihn sich mit „Manhattan“ (1979) holen. Der Film,
auf den Allen selbst am allermeisten stolz ist, gibt
es unabhängig von der Collection ebenfalls ab 25.
Mai zum ersten Mal auf Blu-ray-Disc. Erhältlich ab 25.05.
Promotion (C) 2012 TCFHE
Am 25. Mai bringt Twentieth Century Fox Home
Entertainment die „Woody Allen Collection“ in den
Handel. Sie enthält 20 Filme, die das Genie des Filmemachers eindrucksvoll widerspiegeln – und jeder einzelne ist ein Klassiker. Ein ganz besonderer
Leckerbissen: Erstmals ist auch „Stardust Memories“ dabei. Die Tragikomödie von 1980 war bei
uns noch nie zuvor auf DVD erhältlich. Außerdem
erscheint zeitgleich Woody Allens romantische Komödie „Manhattan“ zum ersten Mal auf Blu-ray.
„Der Stadtneurotiker“ war bereits vor wenigen
Monaten auf Blu-ray erschienen.
American Dad!
Die 6. Staffel, neu auf DVD
W
enn WAHNSINNIG KOMISCH draufsteht, dann ist auch WAHNSINNIG
KOMISCH drin: Dafür stehen die verrückten Komikerköpfe von Mike Barker, Matt
Weitzman und Family Guy-Schöpfer Seth
MacFarlane. Auch die sechste Staffel von
„American Dad!“, die am 25. Mai als
3-Disc-DVD-Box erscheint, strotzt wieder
vor sternübersätem Irrsinn – vor allem in
der Episode „Die verrückte Entrückung“,
wo Stan es mit dem Antichristen persönlich
aufnimmt.
Immer mit dem Finger am Abzug macht
CIA-Agent Stan Smith vor nichts Halt, um
alles zu schützen, was die Vereinigten Staaten zu einem großartigen Land macht – von
Strip-Bars bis hin zu Amerikas Allerheiligstem, dem Kokain. Egal, ob er buchstäblich
einem Rennpferd seinen Willen aufzwingt
oder Roger vor blutrünstigen Revolutionären rettet - in dieser sagenhaft übertriebenen Hommage auf die USA kennt Stan
keine Gnade, wenn es um die Segnungen
der Freiheit geht.
Erhältlich ab 25.05.
Futurama
Die 5. Staffel, neu auf DVD
D
ie Crew von Planet Express hat die Rufe
der Fans erhört: „Futurama“, die legendäre Animationsserie von „Simpsons”Schöpfer Matt Groening, ist zurück und unserer Zeit um Lichtjahre voraus! Die 5. Staffel
erscheint am 25. Mai als 2-Disc-Box.
Fry, Bender, Leela und der Rest der Gang
sind also wieder da: 13 brandneue Episoden,
die einige der heiß umstrittensten Themen
der Galaxie behandeln, inklusive Katzen-Intelligenz, robosexuelle Ehe, Einweg-Zeitmaschinen und Evolution… Schließlich erfährt
die Planet Express-Crew auch noch die wahre Bedeutung von Weihnachten, Robanukka
und Kwanzaa…
Die DVD-Box bietet auch jede Menge Bonusmaterial: So gibt es unter anderem Audiokommentare, entfallene Szenen, die Featurettes „Die Entstehung des Superhits ‚Shut
up and love me‘“, „Was bisher geschah“,
und „Die Abenteuer von Lieferjungen-Man“
von Philip J. Fry, sowie das „Bieg es wie
Bender“-Musikvideo und die „Im Körper des
Freundes“-Skriptlesung Erhältlich ab 25.05.
celluloid 2a/2012
13
Skurriler Humor von Wes Anderson: Zwei junge Pfadfinder büchsen 1965 aus einem Sommercamp aus, die Erwachsenen
1
MOONRISE KINGDOM von Wes Anderson - ab 25.05. im Kino
beginnen eine aufwändige Suche. Mit Bruce Willis, Ed Norton, Bill Murray und Tilda Swinton.
abspann
Redaktion
im Mai & Juni 2012
celluloid
14
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4
UND WENN WIR ALLE
ZUSAMMENZIEHEN?
Ab 22.06. im Kino
Komödie: Jean Reno als Sternekoch, dessen
5
KOCHEN IST
CHEFSACHE
Ab 07.06. im Kino
Ruf auf dem Spiel steht.
dem Altersheim.
3
TOMBOY
Ab 04.05. im Kino
TABU
von Christoph Stark - ab 15.06. im Kino
Pierre Richard und Jane Fonda entkommen
als Bub aus.
Ein kleines Mädchen gibt sich bei Freunden
2
Fotos: Tobis; Filmladen (2); Thimfilm; Constantin
5
Die
Top
der
Geschwisterliebe füreinander empfinden.
Lars Eidinger und Peri Baumeister als Geschwister Georg und Grete Trakl, die mehr als nur
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