Vom Protestsänger zum Rockstar – Dylan 1963-66 Bob
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Vom Protestsänger zum Rockstar – Dylan 1963-66 Bob
Vom Protestsänger zum Rockstar – Dylan 1963-66 Bob Dylan, Shootingstar der Folkbewegung in den frühen Sechzigern, liefert in den Jahren, die auf sein Debutalbum (1962) folgen, eine erstaunliche Dichte an Werken ab, die im Blick auf Qualität und Kreativität einzigartig sind. Mit „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ im Jahre 1963 betritt er endgültig die Szene der Singer-Songwriter. Das Album enthält – im Gegensatz zum ersten – ausschliesslich eigene Songs und darunter gleich einige der bis heute lebendigen Klassiker in Dylans Schaffen wie „Blowin‘ In The Wind“ (wohl in den Augen der Mehrheit DER Dylansong schlechthin!) oder „Hard Rain“, ein apokalyptisches Werk, dass alle gängigen literarischen Traditionen des Songschreibens sprengt und damit die Ankündigung des Speakers am Folkfestival von Newport 1965 rechtfertig, die davon spricht, das Dylan die Folkmusic „… from a point of view of a Poet“ verändert habe. Der Dichter Allan Ginsberg erzählt, wie er beim Hören dieses Songs geweint habe und erkannt habe, dass mit Dylan ein Autor am Werk sei, der die Beat-Lyrik über ihre Grenzen hinaus weiter entwickeln würde. Das Album enthält ebenfalls den Klassiker unter Dylans meist von Abschied und Distanz geprägten Liebesliedern „Girl From The North Country“, den er später (1968) nochmals im Duett mit Johnny Cash aufgenommen hat. Und schliesslich mein persönlicher Favorit auf dieser Scheibe: „Bob Dylans Dream“, eine wunderschöne Ballade über vergangene Männerfreundschaften und die verlorene Jugend. Das Jahr 1964 bringt zunächst Dylans Hauptwerk als „Protestsänger“ (ein Begriff, über den er sich bekanntlich im legendären Interview aus demselben Jahr lustig macht) mit dem Titel „The Times They Are A Changin“. Darauf die berührend aufrüttelnden Nummern wie „Ballad Of Hollis Brown“, der Geschichte eines Farmers, der aus Verzweiflung und Hunger seine Familie und sich selbst erschiesst (ein Stück das Dylan heute noch live spielt!). Natürlich ist vorab das Titelstück des Albums in die ewige Liste der besten Dylansongs eingegangen: The Times They Are A Changin. Dylan hat diesen Song bekanntlich auch im Jahre 2011 anlässlich eines Empfangs ehemaliger Repräsentanten der Bügerrechtsbewegung im Weissen Haus vorgetragen. Er entfaltet darin die poetische Vision von Veränderung und Erneuerung der Gesellschaft - weniger inhaltlich-konkret als programmatisch. So ist dieser Song später weltweit auch zu einer der Hymnen der 68er Bewegung geworden. Zu erwähnen ist auf diesem Album zudem die kritische Auseinandersetzung mit dem amerikanisch-christlichen Geschichtsverständnis in „With God On Our Side“. Das zweite Album des Jahres 1964 ist das Frühwerk von Dylans kommendem Entwicklungsschritt vom Folk- und Protestsänger (der zu gesellschaftlichen Themen Stellung nimmt) zum absurden bzw. introspektiven Poeten und Rocksänger. Auf „Another Side Of Bob Dylan“ tönt einiges von dem an, was auf den nachfolgenden Alben ausgearbeitet und vertieft wird. Neben visionären gesellschaftspolitischen Songs wie „Chimes Of Freedom“ finden sich stark selbstreflektierende Songs mit schwer verständlicher Metaphorik wie „My Back Pages“ (mit dem legendären Refrain:“… but I was so much older than, I’m younger than that now!“. Allgemein wird das letzte Stück dieses Albums („It Ain’t Me Babe“) als Absage an all die politischen Messiaserwartungen an seine Person gedeutet. Ob dies zutrifft, bleibt im Dunkeln, sicher ist, dass hier eine Geschichte von Rückzug und Verweigerung erzählt wird mit der Begründung drohender Überforderung und Enttäuschung. Wie schwer Dylan in Tat und Wahrheit seine frühen Anhänger enttäuscht, als er am Newport-Festival 1965 einen Teil des Konzerts mit elektrifizierter Band bestreitet, ist aus heutiger Sicht wohl kaum richtig einzuschätzen. Tatsache ist, dass er sich auf seiner legendären (von D.A.Pennebaker dokumentierten) England Tour im Mai 1966 mit heftigem Widerstand zahlreicher Anhänger der Folkbewegung konfrontiert sieht (vgl. z.B. der berühmte „Judas!“–Ruf in der Manchester Trade-Hall am 17. Mai), der ihn ziemlich hart trifft. Im Frühjahr 1965 erscheint Dylans fünftes Studioalbum unter dem Titel „Bringing It All Back Home“. Auf dem Album befindet sich kein Stück mit diesem Titel (die europäische Ausgabe lief unter dem Titel des ersten Stücks auf dem Album: „Subterranian Homesick Blues“). Er ist daher wohl als programmatisches Statement zu verstehen, das ein Heimkommen signalisiert, welches für Dylan, der in seinen Teens mit „The Golden Chords“ in Hibbing vorwiegend Rock’n Roll gespielt hat, sowohl ein musikalisches als auch ein emotionales Heimkommen in einen Wurzelbereich amerikanischer Musikkultur, nämlich den Blues und den Rock’n Roll, bedeutet. Das Album hat eine elektrifizierte erste und eine akustisch gehaltene zweite Seite. Der country-bluesige Sound der Stücke (vor allem der ersten Seite) der ersten Seite trägt die provokanten und teilweise absurden Texte à la Rimbaud und Baudelaire in erfrischender und ungewohnter Weise. Mit diesem Werk ist Dylans selbstreflektierendes Bewusstsein ins Zentrum seines Schaffens gerückt. Es sind seine inneren Bilder, welche er zum Ausdruck bringt. Als exemplarisches Beispiel mag hier der Klassiker „Mr.Tambourine Man“ gelten, welcher die zweite Seite von „Bringing It All Back Home“ eröffnet. Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me I’m not sleepy and there is no place I’m going to Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me In the jingle jangle morning I’ll come followin’ you Though I know that evenin’s empire has returned into sand Vanished from my hand Left me blindly here to stand but still not sleeping My weariness amazes me, I’m branded on my feet Hey! Mr. Tambourine Man, spiel ein Lied für mich, Bin nicht müde und hab nirgends ein Zuhause. Hey! Mr. Tambourine Man, spiel ein Lied für mich, In den Tingeltangel-Morgen zieh ich mit dir hinaus. Das Reich des Abends ist verblaßt, versunken ist's im Sand, Und glitt mir aus der Hand, Ließ mich blind hier stehen, schlaflos, ohne Träume. Ich bin verzagt und ruhelos, mein Weg der hat kein Ziel, I have no one to meet And the ancient empty street’s too dead for dreaming Ich hab keinen, der mich will Und die alte leere Straße kennt keine Träume. Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me I’m not sleepy and there is no place I’m going to Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me In the jingle jangle morning I’ll come followin’ you Take me on a trip upon your magic swirlin’ ship My senses have been stripped, my hands can’t feel to grip My toes too numb to step Wait only for my boot heels to be wanderin’ I’m ready to go anywhere, I’m ready for to fade Into my own parade, cast your dancing spell my way I promise to go under it Nimm mich mit auf deinem magischen Zauberschiff, Meine Sinne sind erschlafft, meine Hände ohne Kraft, Meine Zehen ohne Gefühl, warten nur, daß meine Stiefel Wieder wandern. Ich bin bereit, ich folge dir, ich geh wohin du willst, Solang dein Lied du spielst und dein Zaubertanz mich führt In ferne Lande Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me I’m not sleepy and there is no place I’m going to Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me In the jingle jangle morning I’ll come followin’ you Though you might hear laughin’, spinnin’, swingin’ madly across the sun It’s not aimed at anyone, it’s just escapin’ on the run And but for the sky there are no fences facin’ And if you hear vague traces of skippin’ reels of rhyme To your tambourine in time, it’s just a ragged clown behind I wouldn’t pay it any mind It’s just a shadow you’re seein’ that he’s chasing Auch wenn du wildes Lachen hörst, das durch die Lüfte schrillt, Und dennoch keinem gilt, es ist nur ein flücht'ges Bild Eine Flucht, soweit die Himmel sie gestatten. Und wenn du aus der Ferne hörst, wie einer unverzagt Deinem Tambourin folgt im Takt, 's ist nur ein Clown, zerlumpt, halbnackt, Gib nicht weiter auf ihn acht, denn du siehst, er folgt nur Blindlings einem Schatten. Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me I’m not sleepy and there is no place I’m going to Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me In the jingle jangle morning I’ll come followin’ you Then take me disappearin’ through the smoke rings of my mind Down the foggy ruins of time, far past the frozen leaves The haunted, frightened trees, out to the windy beach Far from the twisted reach of crazy sorrow Yes, to dance beneath the diamond sky with one hand waving free Silhouetted by the sea, circled by the circus sands With all memory and fate driven deep beneath the waves Let me forget about today until tomorrow Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me I’m not sleepy and there is no place I’m going to Hey! Mr. Tambourine Man, play a song for me In the jingle jangle morning I’ll come followin’ you Dann führ aus meinen dämmrigen Gedanken mich ganz weit Durch die weißen Nebel der Zeit, überm vereisten Blätterkleid Verwunschener Bäume auf dem Land, hinaus zum stürmischen Strand Weit weg von allem Leid und allen Sorgen. Ja, wenn tanzend unterm Sternenhimmel ich im Kreis mich dreh Vor dem Hintergrund der See, wie unter einem Zirkuszelt, Wenn die Wellen überfluten alle Erinnerungen dieser Welt, Laß vergessen mich das Heute bis zum Morgen. . Copyright © 1964, 1965 by Warner Bros. Inc.; renewed 1992, 1993 by Special Rider Music Es bleibt unklar, von welcher objektiven Wirklichkeit dieser Song handelt. Seine Bilder sind Anspielungen (sie werden von einigen Kommentatoren mit Drogenerfahrungen in Zusammenhang gebracht) und Assoziationen, welche innere Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen. Dasselbe gilt für die drei weiteren Songs auf Seite zwei: „It’s Allright Ma (I’m only bleeding)“, „Gates Of Eden“ und „It‘s All Over Now, Baby Blue“. Sie gehören zum lyrisch Besten, was Dylan in seiner ersten Schaffensperiode geleistet hat. Im selben Jahr 1965 veröffentlicht Dylan ein zweites Album mit dem Titel „Highway 61 Revisited“. Der erste Song dieses Albums geht in die Musikgeschichte ein. Mit „Like A Rolling Stone“ ist es Dylan gelungen, anspruchsvolle Lyrik mit hochklassiger Rockmusik zu verbinden. Von zahlreichen Kommentatoren wird dieser Song für den besten Dylansong überhaupt gehalten. Ganze Monografien sind zu diesem einen Stück und seiner Entstehung geschrieben worden. Auch kommerziell war der Song (als Single-Auskoppelung) ein beachtlicher Erfolg (er stand im Sommer 1965 auf Nummer zwei der amerikanischen Rock-Charts – knapp verdrängt von Barry McGuire’s „Eve Of Destruction“). Neben dieser Kultnummer finden sich zahlreiche andere legendäre Stücke auf diesem Album: Der Titelsong „Highway 61 Revisited“ ist ebenso zum Dylan-Klassiker geworden wie „Tombstone Blues“, „Approximately Queen Jane“, „Just Like Tom Thumb‘s Blues“ oder das apokalytische „Desolation Row“. Neben dieser unheimlichen Produktivität auf höchstem Niveau im Studio tritt Dylan im Rahmen von Tourneen in dieser Zeit auch Live in Erscheinung. Legendär sind diese Auftritte sicher auch aufgrund des schon erwähnten Widerstands von Seiten eingeschworener Dylanfans aus dem Folk-Lager geworden. Beschimpfungen und Pfeifkonzerte gehören in dieser Zeit einfach dazu. Psychisch belastet dies den Künstler mehr als er sich nach aussen anmerken lässt. Dylan konsumiert zunehmend Cannabis und Amphetamine. Im November 1965 heiratet Dylan Sara Lowndes. Dies ist der Beginn einer intensiven und gegen Ende dramatischen Beziehung, aus der u.a. drei gemeinsame Kinder hervorgegangen sind. Die Familie lebt anfangs in Woodstock NY und wechselt in den kommenden Jahren – auf der Flucht vor Fans und Presse – zeitweise fast im 3-Monate Rhythmus den Wohnsitz. Die Beziehung zu Sara findet ihren eindrücklichsten Niederschlag im grossartigen Song „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“, der mit einer Länge von über 14 Minuten eine ganze Seite des Doppelalbums (des ersten in der Rockgeschichte!) „Blonde On Blonde“ aus dem Jahre 1966 einnimmt. Das dieses Stück Sara gewidmet ist – wobei es wie einige andere Songs auf dem Album das Weibliche überhaupt thematisiert, erschliesst sich aus einem den Titel „Sara“ tragenden Stück des fast 10 Jahre jüngeren Albums „Desire“: „ … stayin‘ up all night at the Chelsea-Hotel, writing Sad Eyed Lady Oft The Lowlands for You…“ Mit „Blonde On Blonde“ (viele halten die Anfangsbuchstaben für einen Akrostichos: BOB) hat Dylans frühe Schaffensperiode ihren Höhepunkt erreicht. Das Album enthält ausschliesslich musikalische wie auch lyrische Highlights wie etwa „Visions Of Johanna“, „I Want You“, „Just Like A Woman“, „One Of Us Must Know (Sooner Or Later)“, „Rainy Day Women #12&35“ - eigentlich könnte man hier jeden einzelnen der 14 Songs nennen. Kurzum: Ein wahres Meisterwerk! Dylan erzeugt auf dieser Platte eine neue Art von Musik, die es so bislang nicht gegeben hat. Die Songs sind sowohl in der Instrumentierung als auch in ihrem Charakter einzigartig. Das in Nashville aufgenommene Werk weist deutliche Züge von Country-Musik in einem folk-rockigen Gewand auf. Das Entscheidende jedoch ist Dylans Präsenz in den Songs. Diese ist so eindrücklich, dass die Musik zu einem Selbstbekenntnis hinter mehrheitlich komplett surrealistischen Texten wird. Dylan schöpft hier aus dem Vollen – mehr noch: aus der Fülle! Es gibt wenige vergleichbare Alben in der zeitgenössischen Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Spontan fällt mir nur Jimi Hendrix‘ „Electric Ladyland“ als ähnlich von der Präsenz des Künstlers lebendes Werk ein!). Mit dem 1966er Doppelalbum ist Dylan endgültig in der psychedelisch-poetischen Welt der Rockmusik der amerikanischen Hippieära angekommen – wohl als einer der ersten überhaupt. Alle anderen, Greatful Dead, Jefferson Airplane, The Doors etc. sind gerade erst daran, sich in dieselbe Richtung aufzumachen. In Grossbritannien haben die Beatles und die Stones mit ihren psychedelischen Alben zumindest musiklisch einen ganz anderen Weg beschritten. Dylan ist definitiv kein Freund von verschwimmenden Soundteppichen. Er liebt das eher minimalistische verspieltnatürliche Miteinander von Rhythmus und Melodielinie. Darüber die rauhe, heiser tönende Stimme, das Markenzeichen (der „Kojote im Stacheldraht“, Richard Klein schreibt). Ganz anders als etwa im Sound der Beatles von „Sergeant Pepper“ ist Dylan, der Sänger und Musiker, als Person im Zentrum seiner Songs. Er bestimmt die Ambiance, das Gefühl, welches der Song transportiert. Die Musik gibt der Stimme eine Bühne, ein Gerüst, auf welchem der Sänger in die Höhe steigt, statt sich einfach in den Strudeln der Töne zu verlieren. Der musikalische Werdegang von Bob Dylan zwischen 1963 und 1966 ist unvergleichlich – nicht wegen des Ruhms (da haben ihn andere Bands wie die Beatles oder die Stones wohl übertroffen), sondern wegen der unglaublichen Kreativität und Qualität seines Werkes. Der Preis, den er dafür bezahlt hat, ist kaum abzuschätzen. Damit hat er sich freilich auch eine Vorlage geschaffen, an welcher er in Zukunft gemessen wird.