Mein Arzt kann mich wiederbeleben

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Mein Arzt kann mich wiederbeleben
Wassersport | 30.11.2015
Surfen: Sebastian Steudtner über Monsterwellen
„Mein Arzt kann mich wiederbeleben“
Bild: GoPro
Wellen hoch wie Mehrfamilienhäuser sind seine Leidenschaft. Wenn Extremsurfer Sebastian
Steudtner sich in die Monsterwellen stürzt, muss er hoch konzentriert und perfekt vorbereitet sein.
Im Interview spricht der „Meister der Risikominimierung“ über Angst, die Vorabendserie "Gegen
den Wind" und seine Erlebnisse auf Hawaii.
Ihre Geburtsstadt Nürnberg ist nicht gerade ein Mekka für Wassersportler. Wie sind Sie auf
die Idee gekommen, Profisurfer zu werden?
Wasser war schon früh meine Leidenschaft. Ich liebte schwimmen und tauchen. Mit neun Jahren
ritt ich bei einem Familienurlaub in der Bretagne das erste Mal eine Welle, und von da an war klar:
Ich möchte Surfer werden. Ich habe alles verschlungen, was damit zu tun hatte, und war ein
Riesenfan der Vorabendserie „Gegen den Wind“ mit Ralf Bauer und Hardy Krüger junior.
Die beiden haben ja auch wie verrückt trainiert, um Profis zu werden. Und Sie wollten mit
13 Jahren die Schule schmeißen und nach Hawaii ziehen. Ihre Eltern waren vermutlich
begeistert.
Ja, ich musste sie drei weitere Jahre lang bearbeiten, bis sie mich endlich ziehen ließen. So richtig
ernst genommen hat mich damals sowieso keiner. Egal ob meine Schwester, meine Freunde oder
meine Lehrer – alle haben mich müde belächelt.
Sie haben sich dann aber nicht beirren lassen, schnelle Fortschritte gemacht und sich
unter den Surf-Ikonen auf Maui behaupten können.
Stimmt. Das dauerte nur ein paar Monate, und schon konnte ich mich mit Supersprüngen über die
Wellen katapultieren. Trotzdem gab ich das Windsurfen schon ein Jahr später wieder auf. An der
Nordküste von Maui hatte ich die größten Wellen der Welt gesehen: ein irres Naturereignis, das
mich restlos in seinen Bann zog. Dann lernte ich auch noch den Big Wave Surfer Nelson Armitage
kennen, der mich in seine Familie aufnahm und trainierte. Mit seinem Sohn Nelson Boy
zusammen surfte ich 2004 meine erste über zehn Meter hohe Welle.
Schwimmbäder bauen auf Hawaii
Wovon haben Sie gelebt?
Bis 2009 habe ich auf Hawaii hauptberuflich Schwimmbäder gebaut.
... und 2010 gewannen Sie als erster Europäer den Billabong XXL Award in der Kategorie
„Größte Welle“ – ein Wahnsinnserfolg.
Stimmt, seitdem arbeite ich nicht mehr als Bauarbeiter. Der Billabong Award ist so etwas wie ein
Surf-Oscar und er hat mir enorme Popularität verschafft. Schließlich war auch das Surfen in
Europa bis dahin gar kein großes Thema und hatte keine Lobby, ganz anders als in den USA und
in Australien. Dabei gibt es hier in Frankreich, Irland und Portugal die größten Wellen der Welt.
Das Potenzial ist enorm.
Wie wichtig sind Ihnen Rekorde?
Mir geht es gar nicht darum, Preise zu gewinnen oder Rekorde aufzustellen. Auch eine zwei Meter
hohe Welle hat ihren Reiz. Selbst wenn ich alles erreicht habe, was ich erreichen möchte, gibt es
da draußen trotzdem immer noch Wellen, die ich reiten möchte. Ich will wissen, ob ich das
schaffe, darum geht es mir.
Welche Rolle spielt der Nervenkitzel? Monsterwellen zu reiten ist ein Spiel mit dem Tod: Die
gewaltigen Kräfte der Brecher können Sie tief unters Wasser ziehen oder an einen Felsen
drücken.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich bin kein Adrenalinjunkie. Vielmehr habe ich mich mein Leben
lang darauf vorbereitet und mich nach und nach an diese Wellenhöhen herangetastet. Ich bin
Hochleistungssportler und trainiere sieben Stunden am Tag. Ähnlich wie ein Alpin-Skifahrer lege
ich viel Wert auf Ausdauer: Vor der Saison geht es darum, die Batterien aufzuladen, und in der
Saison darum, die Kraft zu erhalten. So eine Welle ist mit etwa 70 Stundenkilometern unterwegs.
Auf ihr zu surfen fühlt sich so an, als ob man als Snowboarder von einer Lawine verfolgt wird.
Konzentration statt Angst
Haben Sie keine Angst, dass die tonnenschweren Wassermassen Sie erschlagen?
Dafür bin ich viel zu konzentriert: Ich achte beim Surfen nur auf meine Fahrlinie. Wichtig ist, dass
du mit dir selbst im Reinen und perfekt vorbereitet bist: Du musst vorher alles gemacht haben und
ein Meister der Risikominimierung sein. Du musst dich hundertprozentig auf dein Team verlassen
können und du musst Respekt vor der Welle und Hochachtung vor der Natur haben. Wenn du das
nicht ernst nimmst, bist du verloren.
Und wenn trotzdem etwas passiert?
Ich habe viele Jahre trainiert, unter Wasser nicht panisch zu werden. Ich arbeite mit dem
deutschen Raumfahrtzentrum und der Marine zusammen. Mein Arzt, der immer mit von der Partie
ist, kann innerhalb von zehn Minuten ein Boot auf dem Wasser in ein Krankenzimmer verwandeln:
Er kann mich wiederbeleben, Notoperationen vornehmen, einfach alles. Bisher hatte ich nur ein
paar harmlose Verletzungen.
Wie fühlt es sich an, von einer Welle verschluckt zu werden?
Wie wenn man von einer Waschmaschine durchgeschleudert wird. Du weißt nicht, wo oben und
wo unten ist und wie lang dir die Luft wegbleibt. Ich kann meine Luft fünf Minuten und 45
Sekunden anhalten, bevor ich in Ohnmacht falle, das habe ich systematisch trainiert. Wenn die
Welle mich wäscht, rolle ich mich zu einem Ball zusammen, damit ich mir Arme und Beine nicht
verreiße.
Alles was Sie zum Tow-in-Surfing wissen müssen:
Tow-in (englisch to be in tow = gezogen werden) wird beim Big-Wave-Surfen angewendet. Die
Wellenreiter lassen sich am Seil von einem Jetski oder Hubschrauber in eine Welle ziehen. Mit
bloßen Händen könnten sie nicht in die Wassermassen paddeln: Big Waves sind mit 70
Stundenkilometern zu schnell und zu groß.
In der Welle lässt der Surfer die Leine los und reitet die Welle ab. Als einer der Erfinder des Towin-Surfings gilt Waterman Laird Hamilton. Zahlreiche Wellenreitrekorde vermeldete zuletzt das
Fischerdorf Nazaré in Portugal. Hier türmen sich die höchsten Wellen der Welt auf, wenn der
Nordatlantik kocht und schwere Winterstürme toben. Erst 2013 bezwangen der Hawaiianer Garrett
McNamara und der Brasilianer Carlos Burle etwa 30 Meter hohe Wasserwände.