Ein Lächeln im Land der Kopffüssler Ein Gespräch mit Pello, Clown

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Ein Lächeln im Land der Kopffüssler Ein Gespräch mit Pello, Clown
Ein Lächeln im Land der Kopffüssler
Ein Gespräch mit Pello, Clown und Humorberater
Angeregt durch den Erfolg der Urväter des therapeutischen Humors, Frank Farrelly und
Patch Adams, wird dem Humor heute besonders im Gesundheitswesen und in der Therapie
vermehrt Gewicht beigemessen. Die Soziale Arbeit ziert sich demgegenüber noch etwas,
sich näher mit den Errungenschaft der noch jungen Wissenschaft der "Gelotologie"
(griechisch: gelos = das Lachen) auseinanderzusetzen. SozialAktuell unterhielt sich mit dem
wohl führenden Praktiker der Humorintervention in der Schweiz: dem Clown und
Humorberater Pello.
von Martin Imoberdorf
Pello ist Clown, eingetragen ist diese Berufsbezeichnung auch in seinem Pass. Das öffnet ihm nicht
nur die Herzen des Publikums, sondern häufig etwas schneller eine Zollschranke, wenn er mit
seinem vollbeladenen Bus unterwegs ist. Seit 30 Jahren hat er sich dem kleinen wie dem grossen
Scherz verschrieben, dem grossen Lacher wie dem poetischen Schmunzeln. Angefangen hat alles
bereits in der Kindheit, mit den üblichen Streichen und Scherzen. Nach seiner Schulzeit erlernte er
zuerst einen "seriösen" Beruf, absolvierte das Lehrerseminar und wurde Realschul−, dann
Gewerbeschullehrer. Über das Schultheater entdeckte er seine Leidenschaft, inspiriert von den
grossen Clowns wie Grock und Charlie Rivel begann er eine Lehre, die ihn in renommierte
Clownschulen führte (Jacques Lecoq, Paris; Philippe Gaulier, London; Pierre Byland, Tessin) und
die für ihn nie abgeschlossen sein wird. Pello ist ein reflektierender und suchender Mensch,
entsprechend vielschichtig ist seine Clownkarriere: vom Duo mit Pic über seine Soloprogramme hin
zu seiner "Maskenschau" verzauberte er als Clown und Mime in immer wieder wechselnden Rollen
die Zuschauer. Ob Strasse, Zirkusmanege (Cirque de Paris, Cirque d’hiver d’Amiens, Roncalli, Knie
etc.) oder Kleintheater – wohl fühlte und fühlt er sich überall, wo er die Menschen mit seinen
Programmen berühren kann.
Neben seiner Bühnentätigkeit widmet sich Pello seit längerem auch der "ernsteren" Seite des
Humors und ist gewissermassen zu seinen pädagogischen Wurzeln zurückgekehrt. 1996 nahm er
erstmals am 1. Basler Humorkongress teil, seither ist er regelmässig an Humorkongressen und
–Symposien und veranstaltet Seminarien für Menschen, die in sozialen, sozialpädagogischen oder
klinischen Institutionen tätig sind. In seinen "Humorinterventionen" bleibt er ganz Praktiker, gibt
Anregungen, löst die angespannten Lachmuskeln und gibt den Menschen die Lust mit auf den Weg,
festgefahrene Rollen abzuwerfen und die eigene Lebens−Lust und den eigenen Humor im
Berufsalltag selbstbewusster einzusetzen.
Lachen ist gesund....
Humor ist keine Eigenschaft, Humor ist eine Lebenshaltung. Die junge Wissenschaft der
"Gelotologie" wartet mit interessanten Untersuchungen auf, die aufzeigen, dass Humor
entspannend wirkt, Lachen positive körperliche Auswirkungen hat und auch gedankliche Barrieren
löst. Humor erleichtert es dem Menschen, seine Energien und Potentiale "zum Fliessen zu bringen"
(Humor entstammt dem lateinischen "humores" = Körpersäfte). "Lachen ist gesund" oder "Wer
lacht, lebt länger" – diese Aussagen verdeutlichen im Volksmund, was nun auch die Medizin dem
Humor attestiert.
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So ist es denn auch nicht erstaunlich, dass Humor als bewusst eingesetztes Arbeitsinstrument
zuerst in Krankenhäusern und psychiatrischen Kliniken Anwendung findet. In vielen grösseren
Spitälern sind die "Spitalclowns" (beispielsweise der Stiftung Theodora) fester Bestandteil im
therapeutischen Alltag. Ihre Interventionen dienen dazu, die PatientInnen aufzuheitern, was
besonders im Bereich der Pädiatrie nachweisbar mit zum Wohlbefinden und zur Gesundung der
Kinder beiträgt.
Obwohl Pello jeden Mittwoch in der Rheuma− und Rehabilitationsklinik in Zurzach−Baden arbeitet,
ist er kein Spitalclown im eigentlichen Sinn. Ziel seiner Interventionen ist es vielmehr, sich
entbehrlich zu machen, Anstösse zu geben, die das Betriebsklima verändern. Wie überall in der
modernen Gesellschaft ist die Arbeitswelt auch und besonders im Gesundheitswesen von knappen
zeitlichen und personellen Ressourcen geprägt. Ein hoher Arbeitsdruck und grosse körperliche und
psychische Belastung bestimmen das Arbeitsklima und prägen die Betriebskultur. Da liegen
Begriffe wie "Stress", "Mobbing" und "Burnout" auf den ersten Blick wohl näher als der Gedanke an
ein Lächeln oder einen Spass...
Diesen Einwand mag Pello so nicht gelten lassen: "‘Burnout‘ ist eine unheilbare Krankheit, eine
chronifizierte Depression in einem hoffnungslosen Stadium. Gerade dieser Begriff wird viel zu oft
und ungenau benutzt." meint er. "Wenn ich mich am Morgen im Spiegel anschaue, so habe ich als
gesunder Mensch die Möglichkeit, meine Optik auf die heiteren Momente des Alltags zu richten."
Dem Alltag positiv und humorvoll zu begegnen, so Pello, sei daher eine "Willensentscheidung".
Darauf richten sich seine Interventionen aus: "Das oberste Ziel meiner Humoraktionen ist das
Wohlbefinden des Klinikpersonals – vom Chefarzt bis zur Büglerin. Wenn der Humor im gesamten
Klinikkörper gut fliesst, dann ist ein heiteres Betriebsklima möglich, die vom Leitbild geforderte
Betriebskultur wird gelebt. Wenn es den Mitarbeitenden gut geht, so überträgt sich das
Heiterkeitsgefühl mit Leichtigkeit auch auf die sich im Gesundungsprozess befindenden
Mitmenschen."
So betritt er morgens die Klinik zwar meist ohne rote Nase, stellt sich aber den Angestellten in den
Weg, unterbricht den hektischen Rhythmus mit kleinen Scherzen und überraschenden Aktionen:
"Der Clown ist in dieser hektischen, schnelllebigen Zeit so etwas wie ein Bremser." Die
Konfrontation mit Lebendigem, Erfreulichem, Lustvollem und Lustigem verändert die Sichtweise,
steckt an und zieht weitere Kreise, die sich direkt auf die Stimmung in der Klinik auswirken. Die
Aktionen sind aber nicht isoliert zu betrachten, haben System und sind fest in der Klinik verankert.
In den letzten drei Jahren hat sich in Zurzach daraus ein "Humorkonzept" entwickelt, welches eine
immer breitere Anwendung findet und spürbar über die reine wöchentliche Präsenz des Clowns
hinausreicht.
Humor in der Sozialen Arbeit – Ansichten eines Clowns
Die Tatsache, dass sich die Fachzeitschrift des SBS für die Meinung eines Clowns interessiert,
entlockt Pello ein herzliches Lachen. Dabei sieht er durchaus Parallelen zwischen der Sozialen
Arbeit und den Aufgaben des Clowns. Der Clown macht kleinere und grössere menschliche
Schwächen zum Thema. Das Stolpern des Clowns, seine Fehlleistungen wirken in einer Welt, die
auf Perfektion ausgerichtet ist, menschlich und anrührend. Pello freut sich in seinen Vorstellungen
nicht nur über das Lachen des Publikums, sondern auch darüber, wenn einmal verschämt ein
Taschentuch hervorgeholt wird.
Im wirklichen Leben aber haben Schwächen selten etwas Anrührendes oder gar Erheiterndes.
Sozialarbeit hat, so Pello, häufig mit dem Clownesquen zu tun. Sie hat aber als Disziplin
zunehmend eine Ernsthaftigkeit entwickelt, die die bestehenden Probleme und Schwächen der
KlientInnen diagnostisch überhöht und dadurch noch weiter ins Zentrum rückt.
Pello ist der Meinung, dass sich Soziale Arbeit immer mehr zu einer reinen Wissenschaft entwickelt,
welche die Diagnostik und Behandlung perfektioniert und die eigenen Strukturen und Prozesse zum
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eigentlichen Gegenstand der Betrachtung erhebt, dabei aber die ihr eigene Kultur der
Beziehungsarbeit immer mehr aus dem Blickwinkel verliert. Die Entwicklung der Ausbildung im
Rahmen der Fachhochschulen, "die immer mehr Wissen produzieren und weitervermitteln, dabei
aber das Menschliche immer weiter in den Hintergrund rücken" beurteilt er als gefährlich. "Die
Sozialarbeit droht hier dieselben Fehler zu begehen, wie sie bereits Medizin und Psychologie
gemacht haben", ist Pello überzeugt und er legt das Bild einer Maske vor, die er in seiner
"Maskenschau" benutzt: Ein riesiger Kopffüssler. Hier lässt der Kopf dem Herz und dem Bauch
keinen Platz mehr, zu erkennen sind lediglich noch die Füsse.
Distanz schaffen
Humor, so Pello, ist ein Mittel, um Distanz zu schaffen. Distanz sich selbst gegenüber, um die
eigene Situation und Entwicklung gleichsam von aussen betrachten zu können und sich selbst
etwas weniger wichtig zu nehmen.
In der Sozialen Arbeit als Beziehungsarbeit braucht es diese Distanz aber auch zum Gegenüber,
soll die Betroffenheit angesichts immer komplexerer Problemlagen nicht alles ersticken. Mit
humorvollen, überraschenden Interventionen können Schwächen und Widrigkeiten ins richtige Licht
gerückt und akzeptiert werden und verlieren so teilweise ihren Schrecken. Eine humorvolle Haltung
zwingt aber auch zu Aufmerksamkeit und Achtung und hilft somit paradoxerweise, den Menschen
und seine Situation ernst zu nehmen.
Die Situation des Sozialarbeiters − davon ist Pello überzeugt − gleicht gewissermassen auch in
dieser Hinsicht derjenigen des Clowns: Bestimmend ist der Dialog, die Aufmerksamkeit für das
Gegenüber, das Sich−Einlassen−Können.
Dabei ist es nicht immer die Sprache, die den Zugang erleichtert. Das Verwenden bildhafter Mittel,
wie sie der Clown verwendet, so Pello, bewirkt oft mehr als lange Diskussionen und Diskurse.
"Wenn die Menschen zu Euch kommen, so sind sie oft völlig verzweifelt und leer," sagt er, zieht
einen grossen Ballon aus der Tasche und bläst etwas Luft hinein. "Das hier ist häufig Eure Aufgabe,
zeigt das den Leuten selbst, Bilder und Metaphern bewirken oft mehr als viele Worte!"
Humor in der direkten Beratungsarbeit erlaubt es, festgefahrene Rollenmuster zwischen
Hilfesuchenden und Beratern aufzubrechen, über Schwächen nicht hinwegzusehen, aber dennoch
die Eigenverantwortung und die Ressourcen der KlientInnen zu betonen und zu stärken.
Darüber hinaus sollten Humorinterventionen in der Sozialen Arbeit aber auch − wie dies im
Gesundheitswesen zunehmend der Fall ist − auf der institutionellen Ebene eingesetzt werden. Für
Pello sind die Auswirkungen der an Effizienz orientieren Leistungsgesellschaft in der gesamten
Arbeitswelt spürbar. Das Bild des überlasteten, "gestressten" Sozialarbeiters ist denn auch ihm aus
seinen Seminarien und Workshops wohlbekannt. Aufgrund der speziellen, oft isolierten Situation in
der Einzelberatung gewinnt daher die Institution, das Team, grosse Bedeutung. Allerdings rücken
auch hier organisatorische Fragen stark in den Vordergrund und verdrängen meist jeden Gedanken
an eine tragfähige und lebendige Teamkultur.
Wenn Humor im Alltag eine bewusste individuelle Willensentscheidung ist, so muss sich auch eine
Institution oder ein Team bewusst für eine positive, humorvolle Haltung entscheiden..
"Humorinterventionen" und "Humoraktionen" müssen daher gezielt und aktiv eingeplant und
eingesetzt werden. "Eine Teamsitzung kann doch auch einmal mit einer fest eingeplanten
‚Humorrunde‘ beginnen, in der jedeR Anwesende etwas Lustiges oder Erfreuliches erzählt, das er
erlebt hat." Dadurch würden die lebensbejahenden und lustvollen Aspekte des alltäglichen Lebens
vermehrt in den Vordergrund gerückt. In einer Tätigkeit, die sich sozusagen naturgemäss mit
Defiziten, Versagen und Scheitern auseinandersetzt, sei dies nicht nur aus psychohygienischen
Gründen notwendig sondern erlaube erst eine ganzheitliche Sicht.
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Pello geht gesellschaftskritisch davon aus, dass die gesamte Arbeitswelt heute an einem Mangel an
Spass und Humor krankt. Wo striktes Rollendenken und Einhaltung von Zuständigkeiten den Alltag
bestimmen, geraten "natürliche" Verhaltensweisen aus den Fugen, leidet das Arbeitsklima und
letztendlich auch die Adressaten der Leistungen. Humor − so ist er überzeugt − kann hier einen
wichtigen Beitrag leisten, das Wohlbefinden des Einzelnen wie der Gruppe zu verbessern.
Die Soziale Arbeit bildet vor den kritischen Augen des Clowns dabei gewiss keine Ausnahme.
Pello ist im laufenden Jahr auf seiner Tournee "Evergreens".
Kontakt:
Pello
Mühlheimerstrasse 65
CH – 4056 Basel
Tel./Fax: 061 321 86 96
[email protected]
www.theater.ch/pello.html
Referate, Seminare, Tagungen, Kongresse mit Pello:
3.−5.5.2002, Stuttgart D,
Humor−Kongress "Humor
am Arbeitsplatz"
16.5.2002, Worb BE,
Schulzentrum, Referat
und Spiel "Humor in der
Schule"
1.6.2002, Zurzach AG,
Bechterev−Vereinigung,
Referat und Spiel "Humor
im Alltag"
29.11.− 1.12.2002,
Balzers FL,
Seminar/Workshop
"Humor als Schwimmring
auf dem Strom des
Alltags"
Martin Imoberdorf ist dipl. Sozialarbeiter lic. phil I, seit 1998 Mitarbeiter der Sozialen Dienste der
Gemeinde Binningen, BL. Er ist Mitglied der Redaktion SozialAktuell.
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www.avenirsocial.ch
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